Der Begriff Rationalität ist entweder in tragender Rolle den meisten Organisationstheorien immanent oder liegt ihnen sogar teilweise zu Grunde. Für die Strukturationstheorie von Anthony Giddens scheint keine dieser beiden Feststellungen zuzutreffen. In seinem Werk „Die Konstitution der Gesellschaft“ bleibt die Suche nach einer umfassenden, verbindlichen Definition des Begriffes, wie er in anderen Theorien, z. B. dem Bürokratiemodell von Max Weber, verwandt wird, erfolglos. Statt dessen findet sich an zentraler Stelle das Konstrukt der „Rationalisierung des Handelns“, dessen unterschiedliche Definitionen jedoch für Verwirrung sorgen. Was hat es also mit der Rationalität in Giddens Strukturationstheorie auf sich? An welcher Stelle in seiner Theorie kann sie herausgefiltert bzw. schwerpunktmäßig verortet werden? Haben Giddens Kritiker recht, wenn sie die Vermutung äußern, dass Giddens durch das sich „nicht festlegen“ versucht, Begriffe zu immunisieren, indem er ihre Bedeutungsinalte für jegliche Denkvarianten der Theorieanwender offen hält?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zentrale Begriffe
2.1 Rationalität
2.2 Organisation(en)
3. Strukturationstheorie
4. Strukturationstheorie, Verbesserungsvorschlagswesen und Rationalität
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Ein Blick in die Sachregister wissenschaftlicher Fachbücher zeigt, dass es verteilt über die unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen etliche Ausprä-gungen des Begriffs „Rationalität“ gibt (vgl. Kieser, 2002, S. 420; Nohlen/Schultze, 2004, S. 816 ff.; Etzrodt, 2003, S. 356 f.).
Der Begriff Rationalität ist entweder in tragender Rolle den meisten Organisationstheorien immanent oder liegt ihnen sogar teilweise zu Grunde. Für die Strukturationstheorie von Anthony Giddens scheint keine dieser beiden Feststellungen zuzutreffen. In seinem Werk „Die Konstitution der Gesellschaft“ (Giddens, 1997) bleibt die Suche nach einer umfassenden, verbindlichen Definition des Begriffes, wie er in anderen Theorien, z. B. dem Bürokratiemodell von Max Weber, verwandt wird, erfolglos. Statt dessen findet sich an zentraler Stelle das Konstrukt der „Rationalisierung des Handelns“, dessen unterschiedliche Definitionen jedoch für Verwirrung sorgen (Walgenbach, 2002, S. 370). Was hat es also mit der Rationalität in Giddens Strukturationstheorie auf sich? An welcher Stelle in seiner Theorie kann sie herausgefiltert bzw. schwerpunktmäßig verortet werden? Hat Peter Walgenbach recht, wenn er die Vermutung äußert, dass Giddens durch das sich „nicht festlegen“ versucht, Begriffe zu immunisieren, indem er ihre Bedeutungsinalte für jegliche Denkvarianten der Theorieanwender offen hält?
Der Aufbau der Hausarbeit ist wie folgt strukturiert. Für ein grundlegendes Ver-ständnis der Begriffe Organisation und Rationalität werden zunächst Charakteris-tika, über die weitgehend Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft besteht, also möglichst allgemein gehaltene Definition herausgearbeitet. Des weiteren wird auf ihre Verwendung in der Strukturationstheorie, auf die sich die Fragestellung dieser Hausarbeit konzentriert, Bezug genommen. Der Begriffsklärung folgt eine Darstellung der Strukturationstheorie, wobei hier auf Grund der Fragestellung das Hauptaugenmerk auf dem Begriffskonstrukt der „Rationalisierung des Handelns“ und dessen Einbindung in das Giddensche „Stratifikationsmodell“ liegen wird. Daran anschließend wird am fiktiven Beispiel der Einführung eines betrieblichen Verbesserungsvorschlagwesens und dem Einzelfall eines Verbesserungsvorschlages dem Begriff der Rationalität in der Strukturationstheorie auf Struktur- und Akteursebene nachgespürt. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse noch einmal konzis dargestellt.
2. Zentrale Begriffe
2.1 Rationalität
Gemäß dem Duden ist Rationaltiät „... 1. das Rationalsein; rationales von der Ver-nunft bestimmtes Wesen ...“ (Duden, 2005, S. 880). In den Sozialwissenschaften wird Rationalität zumeist als „... ein vernunftgemäßes, vernünftiges Agieren in Handlungszusammenhängen. ...“ beschrieben (Reinhold, 2000, S. 519). Diese eher allgemeinen Definitionen dürften dem gängigen Alltagsverständnis entsprechen.
Rationalität stellt darüber hinaus jedoch einen Schlüsselbegriff in den verschiede-nen sozialwissenschaftlichen Disziplinen dar, der sich sehr unterschiedlich in zahl-reichen Theorien niederschlägt und teilweise grundlegend für deren Konzeption ist.1 Disziplin übergreifend scheint, trotz der Definitionsvielfalt, zumindest Konsens bezüglich der Bindung von Rationalität an einige dauerhafte Kriterien zu herrschen. So soll sie auf Gründe zurückzuführen sein, Relationen und ein Ordnungsgefüge zwischen Verschiedenem herstellen und eine Methode der geregelten Erzeugung begründeter Ordnung sein (vgl. Nohlen/Schultze 2004, S. 817). Die Feststellung „Rationalität ist begrenzt“, welche dem Konzept der „bounded rationality“ von Herbert A. Simon entstammt, wonach der Mensch prinzipiell einer begrenzten Informationsverarbeitungskapazität unterliegt und deshalb Rationalität im Sinne von optimalen Ergebnissen bei der Entscheidungsfindung nicht erreichen kann (Jansen, 2006, S. 57), wird von mir als eine ebenso grundlegende Erkenntnis erachtet und soll den dieser Hausarbeit zu Grunde liegenden Rationalitätsbegriff abrunden.
Abhängig von der Perspektive auf das Organisieren bzw. die Organisation kann der Begriff „Rationalität“ weder einheitlich definiert noch uneingeschränkt kompatibel verwandt werden. Als logische Konsequenz ergibt sich daraus, dass zumeist mit der Auswahl eines Rationalitätsbegriffes auch eine Determinierung der Auswahl aus den organisationstheoretischen Ansätzen einhergeht und umgekehrt.
Im Rahmen der Strukturationstheorie bleibt Anthony Giddens eine konkrete Definition des Begriffes Rationalität schuldig. Lediglich der Begriff der „Rationalisie-rung des Handelns“ kann zunächst, wenn auch nur in Teilen2, mit Rationalität im o. a. Sinne in Verbindung gebracht werden. Anthony Giddens versteht unter ihm erstens:„Das Vermögen kompetenter Akteure, mit den Beweggründen für das, was sie tun, während sie es tun, >auf Tuchfühlung zu bleiben<, und zwar so, daß sie, falls sie von anderen danach gefragt werden, Gründe für ihr Handeln angeben zu können.“ (Giddens, 1997, S. 431).
Sowie zweitens: „... daß Akteure – ebenfalls routinemäßig und meistens ohne viel Aufhebens davon zumachen – ein <theoretisches Verständnis> für die Gründe ihres Handelns entwickeln. Wie erwähnt, sollte ein solches Verständnis nicht mit der diskursiven Anführung von Gründen für spezifische Verhaltensweisen gleichgesetzt werden, noch gar mit dem Vermögen solche Gründe diskursiv zu spezifizieren. Kompetente Akteure erwarten jedoch voneinander – und damit ist das grundlegende Kriterium für die Beurteilung von Handlungskompetenz im Alltag angesprochen -, daß sie normalerweise dazu in der Lage sind, für ihr Handeln in aller Regel eine Erklärung abzugeben, wenn sie danach gefragt werden. “3 (Giddens, 1997, S. 56).
Peter Walgenbachs Aussage, dass die Definitionen für Verwirrung sorgen, da unter anderem nicht klar wird, ob die Akteure nun in der Lage sind ihr Handeln diskursiv zu begründen oder nicht, liegen o. a. kursiv gekennzeichneten Textpassagen aus Giddens Werk zu Grunde. Ergänzt man jedoch das zweite Zitat um die in Giddens Werk direkt nachfolgende Textpassage (hier kursiv und fett dargestellt), so lässt sich eine Leseart anlegen, die eine andere Interpretation erlaubt. Giddens geht nämlich, wie nachfolgend noch ausführlicher dargestellt wird, davon aus, dass diskursives und praktisches Bewusstsein in die Rationalisierung des Handelns einfließen und somit indirekt Teil der reflexiven Handlungssteuerung werden. Demzufolge scheint es logisch, den Zugang zur „Rationalisierung des Handelns“ für beide Bewusstseinsarten offen zu halten. Dies tut Giddens! Einerseits die diskursive Darlegung der Gründe des Handelns zu fordern und andererseits wiederum nicht, ist folgerichtig, da in seiner Theorie Routinen einen nicht unwesentlichen Stellenwert einnehmen. Diese müssen nicht immer begründet, sollten jedoch zumindest verstanden werden können, um überhaupt den nächsten Schritt des diskursiven Darlegens, gehen zu können. Aus diesem Zusammenhang heraus scheint die „Rationalisierung des Handelns“ in der Strukturationstheorie, in einem nicht unwesentlichem Ausmaß, mit dem „Verstehen und ggf. Aufbrechen von Routinen“ einher zu gehen, welches wiederum den kompetenten Akteur erfordert, der in der Lage ist sein Handeln diskursiv zu begründen.
2.2 Organisation(en)
Der Begriff Organisation ist in unserer heutigen Gesellschaft omnipräsent. Auf Schritt und Tritt wird der Mensch mit ihm in seinem Lebensumfeld konfrontiert. Sei es z. B. bei der Ausführung von Tätigkeiten, die Organisation erfordern oder aber einfach durch den unvermeidliche Kontakt zu Verbänden, Vereinen, Institutionen etc., die umgangssprachlich als Organisation bezeichnet werden.
Die nachfolgenden, allgemeinen Definitionen zeigen mögliche unterschiedliche Bedeutungen des Begriffes: „1. ... a) das Organisieren; b) Aufbau, Gliederung, planmäßige Gestaltung. 2. Gruppe, Verband mit <sozial>politischen Zielen (z.B. Partei, Gewerkschaft). ...“ (Duden, 2005, S. 738).
Erweiterungen dieser sehr allgemeinen Darstellungen finden sich unter anderem bei Georg Schreyögg, der Organisation (das Organisieren) als Funktion, als Prozess der Regeln erzeugt, die sich als Erwartungen an die Organisationsmitglieder richten und deren Handlungsspielräume determinieren, beschreibt. Weiterhin stellt er heraus, dass Organisation instrumentell gedacht werden kann, also als Gesamtheit der Maßnahmen, die auf das Erreichen von Zwecken und Zielen gerichtet sind und durch welche die Organisation sowie die Handlungen der ihr angehörenden Menschen, die Informationsverarbeitung und der Ressourceneinsatz strukturiert werden. Und schließlich, so Schreyögg, findet Organisation institutionell seinen Ausdruck, d. h. Organisation wird verstanden als System bzw. Institution, als ein soziales Gebilde, welches beständige Grenzen zwischen sich und seiner Umwelt aufweist, dauerhaft auf einen spezifischen Zweck ausgerichtet ist und eine formale Struktur besitzt, anhand der die Handlungen ihrer Mitglieder nach einem rationa-lem Muster auf das verfolgte Ziel hin ausgerichtet und aufgeteilt werden sollen (Schreyögg, 2003, S. 5 ff.).
Aus dem Prozess des Organisierens und dem Umgang mit Organisation(en) ergeben sich unterschiedlichste Problemlagen, die auch Gegenstand der verschiedenen Organisationstheorien sind. Diesen liegt gewöhnlich ihr je eigener perspektiven-abhängiger Organisationsbegriff zu Grunde. Je nach Betrachtung der Analyseebe-nen (Mikro-, Meso-, Makroebene) der verschiedenen Problemstellungen (Ent-scheidungsfindung, Rationalität, Arbeitsregulation etc.) und oder der möglichen Dimensionen von Organisation (u. a. das Verhältnis zwischen Normen und Sank-tionen) erfährt der Organisationsbegriff also zwangsläufig weitere Modifikationen. Bezüglich der Strukturationstheorie kann aus Giddens Ausführungen zunächst auf Organisation(en) als kollektive Akteure mit starrem Ortsbezug, eindeutiger Rol- lendefinition und reflexiver, von einem Prozess der Informationaufbereitung ab-hängiger, Selbststeuerung geschlossen werden. (Giddens, 1997, S. 255 ff.) Ergän-zend soll hier noch auf Jörg Sydow Bezug genommen werden, der beschreibt, dass der Fokus der Strukturationstheorie weniger auf dem Tatbestand der Strukturiertheit von Organisation als auf der Strukturation, also dem Prozess der Strukturbildung und Reproduktion, liegt. Dieses „Organisieren“, das als reflexiver Prozess stattfindet, ist abhängig von kodifizierten und praktizierten Regeln und Ressourcen (Organisationsstruktur) und wird durch diese sowohl ermöglicht als auch beschränkt (Sydow, 2006, S. 12 ff.).
3. Strukturationstheorie
Ein Grundanliegen organisationstheoretischer Ansätze ist die Darstellung des Ver-hältnisses von Anspruch und Wirklichkeit in der Organisationspraxis und damit einhergehend die Verbesserung derselbigen. Im Laufe der Zeit entstand so ein Theorienpluralismus, in dem sich die Ansätze bis heute teilweise völlig konträr und vermeintlich unvereinbar gegenüberstehen (Kieser, 2002, S. 1 ff.). Objektivistische (Funktionalismus/Strukturalismus) und subjektivistische Ansätze (interpretative Ansätze/Hermeneutik) nehmen zwei dieser gegensätzlichen Positionen ein. Für erstere liegt der Primat der Erklärung organisatorischen Handelns bei der Struktur, letztere sprechen dem Individuum die handlungsgestaltende Kraft zu. Dieses Erklärungsdefizit, diesen Dualismus zwischen Handlung und Struktur in der Sozial-und Organisationstheorie, versucht Anthony Giddens mit seiner Struk-turationstheorie zu überwinden (Walgenbach, 2002, S. 356 f.).
[...]
1 Hier sei vor allem an Max Webers Analyse der Bürokratie gedacht, die zum Wegbereiter der modernen Organisationstheorie avancierte (vgl. Kieser, 2005, S. 39 ff.).
2 Hier wird sich auf das Begründen des Handelns bezogen.
3 Hervorhebung durch den Verfasser
- Quote paper
- Thomas Frank (Author), 2009, Rationalität von und in Organisationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125598
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