Die ,,Association of Southeast Asian Nations“ hat ihre Auffassung von Sicherheit in den verschiedenen Erklärungen und Verträgen seit ihrer Gründung im Jahre 1967 nur vage formuliert und lässt infolgedessen einen großen Spielraum für wissenschaftliche Interpre-tationen. Barry Buzan und Ole Wæver gehen in ihrem Werk ,,Regions and Power“ davon aus, dass sich in Asien nach dem Zweiten Weltkrieg drei regionale Sicherheitskomplexe etablierten und diese während des gesamten Kalten Krieges existierten. Sie unterteilen den ,,Asian Supercomplex“ in den ,,South Asian RSC“, ,,Southeast Asian RSC“ und den ,,Northeast Asian RSC“. Dem ,,South Asian RSC“ gehörten zur Zeit des Ost-West-Konfliktes die Länder Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und Bhutan an. Zum ,,Southeast Asian RSC“ zählen Buzan und Wæver die Philippinen, Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam, Malaysia, Singapur, Indonesien und Brunei. In diesem regionalen Sicherheitskomplex unterscheiden sie zwischen dem ,,kommunistischen Lager“ (Vietnam, Laos, Kambodscha) und dem ,,antikommunistischen Lager“(ASEAN-Gruppe). Die Staaten China, Japan, Taiwan, Nord- und Südkorea ordnen sie dann dem ,,Northeast Asian RSC“ zu. Die spezielle Rolle der ,,Isolator-/Pufferstaaten“ zwischen den regionalen Si-cherheitskomplexen nehmen ihrer Meinung nach Nepal, die Mongolei, Afghanistan und Myanmar ein. Allerdings waren alle drei asiatischen RSC während des gesamten Kalten Krieges nicht autark, sondern wurden stark vom globalen System beeinflusst. Ziel dieser Arbeit ist es, die Bedeutung der Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes für die ASEAN-Region darzustellen und kritisch zu hinterfragen. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der Merkmale des Regionalen Sicherheitskomplex-Ansatzes soll eine Betrachtung der ASEAN-Region im Zeitraum des Ost-West-Konfliktes vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den ASEAN-Beschlüssen von Singapur 1992 möglich werden. Die Kategorien der Analyse bilden die regionalen Akteure, die Beziehungen zwischen ihnen und die strukturellen Merkmale der Region. Abschließend wird die Frage zu klären sein, inwieweit die südostasiatischen Nationen in diesem Zeitraum einen eigenständigen regionalen Sicherheitskomplex dargestellt haben.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes
III. Analyse der ASEAN-Region
a. Regionale Akteure
b. Beziehungen zwischen den regionalen Akteuren
c. Merkmale der regionalen Struktur
IV. Die ASEAN – ein eigenständiger regionaler Sicherheitskomplex?
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die ,,Association of Southeast Asian Nations“[1] hat ihre Auffassung von Sicherheit in den verschiedenen Erklärungen und Verträgen seit ihrer Gründung im Jahre 1967 nur vage formuliert und lässt infolgedessen einen großen Spielraum für wissenschaftliche Interpretationen.
Barry Buzan und Ole Wæver gehen in ihrem Werk ,,Regions and Power“ davon aus, dass sich in Asien nach dem Zweiten Weltkrieg drei regionale Sicherheitskomplexe[2] etablierten und diese während des gesamten Kalten Krieges existierten. Sie unterteilen den ,,Asian Supercomplex“ in den ,,South Asian RSC“, ,,Southeast Asian RSC“ und den ,,Northeast Asian RSC“.[3] Dem ,,South Asian RSC“ gehörten zur Zeit des Ost-West-Konfliktes die Länder Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und Bhutan an. Zum ,,Southeast Asian RSC“ zählen Buzan und Wæver die Philippinen, Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam, Malaysia, Singapur, Indonesien und Brunei. In diesem regionalen Sicherheitskomplex unterscheiden sie zwischen dem ,,kommunistischen Lager“ (Vietnam, Laos, Kambodscha) und dem ,,antikommunistischen Lager“ (ASEAN-Gruppe).[4] Die Staaten China, Japan, Taiwan, Nord- und Südkorea ordnen sie dann dem ,,Northeast Asian RSC“ zu. Die spezielle Rolle der ,,Isolator-/Pufferstaaten“ zwischen den regionalen Sicherheitskomplexen nehmen ihrer Meinung nach Nepal, die Mongolei, Afghanistan und Myanmar ein.[5] Allerdings waren alle drei asiatischen RSC während des gesamten Kalten Krieges nicht autark, sondern wurden stark vom globalen System beeinflusst.[6]
Ziel dieser Arbeit ist es, die Bedeutung der Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes für die ASEAN-Region darzustellen und kritisch zu hinterfragen. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der Merkmale des Regionalen Sicherheitskomplex-Ansatzes soll eine Betrachtung der ASEAN-Region im Zeitraum des Ost-West-Konfliktes vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den ASEAN-Beschlüssen von Singapur 1992 möglich werden. Die Kategorien der Analyse bilden die regionalen Akteure, die Beziehungen zwischen ihnen und die strukturellen Merkmale der Region. Abschließend wird die Frage zu klären sein, inwieweit die südostasiatischen Nationen in diesem Zeitraum einen eigenständigen regionalen Sicherheitskomplex dargestellt haben.
II. Die Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes erhielten Regionen, die zuvor aufgrund der primären Betrachtung des globalen Systems fast vergessen waren, eine verstärkte Aufmerksamkeit in den wissenschaftlichen Analysen der Internationalen Beziehungen.[7] Schon 1983 hatte Barry Buzan in seinem Werk ,,People, States and Fear“ die Grundlagen für die Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes gelegt.[8] Ursprünglich entstammte dieser Theorieansatz der neorealistischen Tradition, wurde aber in den folgenden Jahren durch die Mitarbeit von Ole Wæver und Jaap de Wilde durch universalistische, institutionalistische und konstruktivistische Elemente erweitert.[9] Ziel der Theorie von Buzan, Waever und de Wilde ist es, eine Region mit Hilfe des regionalen Sicherheitskomplexes, der als Analyserahmen fungiert, systematisch zu erfassen.[10]
Wer sind aber nun die bestimmenden Akteure im regionalen Sicherheitskomplex? Grundsätzlich sind nach Buzan Staaten die primären Akteure, jedoch können auch nichtstaatliche Akteure auf den Sicherheitskomplex Einfluss nehmen.[11] Die Staaten werden erstens in Bezug auf ihre Größe, geographische Lage, Geschichte, Ideologien, politische Zusammensetzung und Kultur unterschieden.[12] Aus diesen Merkmalen ergeben sich dann für Buzan verschiedene Typen von Staaten, wie dem ,,nation-state, state-nation, part-nation-state, multination-state“[13]. Eine zweite Kategorisierung der Akteure ergibt sich für Buzan aus der Betrachtung der Machtverhältnisse, wobei sie grundsätzlich zwischen ,,starken“ und ,,schwachen“ Staaten unterscheiden.[14] Infolgedessen ergeben sich erneut unterschiedliche Arten von Staaten. Ein Staat, der in der Lage ist, überall auf der Welt politisch und militärisch einzugreifen, wird dementsprechend als ,,Supermacht“ bezeichnet.[15] Akteure, die dagegen nur in begrenzten Regionen eine entscheidende Rolle spielen, werden als ,,Regionalmächte“ bezeichnet. Mächte, die zwischen der ,,Supermacht“ und den ,,Regionalmächten“ stehen und auf lange Sicht durch ihre guten ökonomischen und militärischen Voraussetzungen den Sprung zur Supermacht schaffen können, werden als ,,Großmächte“ bezeichnet. Aber die souveränen Nationalstaaten sind nicht autark von der Struktur des internationalen Systems, sondern sind in die globalen Sicherheitsdependenzen eingebunden. Dies bringt Buzan zur der Annahme, dass das internationalen System von dem Grundprinzip der Anarchie, was für sie nicht Chaos, sondern die Abwesenheit einer übergeordneten Regierung bedeutet, geprägt ist.[16]
Sind infolge der Anarchie nun auch die Beziehungen zwischen den Akteuren von einem anarchischen Zustand gekennzeichnet? Die Interaktionen zwischen den Mitgliedern beruhen auf dem von Buzan so bezeichneten ,,Freund-Feind-Schema“. Unter Freundschaft versteht Buzan: ,,[…] relationships ranging from genuine friendship to expectations of protection or support.“[17] Feindschaft dagegen ist für ihn: ,,[…] relationships set by suspicion and fear.“[18] So können die Beziehungen der Mitglieder zwischen verschiedenen Stufen, die von Chaos bis zur Integration reichen, variieren.[19] Außerdem zeichnen sich die Beziehungen dadurch aus, dass es innerhalb des Sicherheitskomplexes mehr Interdependenzen gibt als außerhalb.[20] Ein weiteres wichtiges Element in den Beziehungen der handelnden Akteure ist die ,,Securitization“. Sie ist die ,,politische Konstruktion einer Sicherheitsfrage“[21] und beschreibt die Gefahr, die ein Sachverhalt für verschiedene Subsysteme des Staates darstellt. Nach der Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes gibt es militärische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und ökologische Subsysteme (Sektoren).[22] Diese Aufteilung ermöglicht es dem Akteur, die Gefahr genauer zu erkennen und entsprechend zu handeln. Man kann aber erst von ,,Securitization“ sprechen, wenn die Sicherheitsfrage eine bestimmte Grenze bei den Teilnehmern überschritten hat.[23] Im Mittelpunkt der Beziehungen der Akteure steht also die Sicherheit, die das Überleben eines Staates angesichts einer lebensbedrohlichen Gefahr darstellt.[24]
Wie erfolgt nun die Zuordnung eines Staates zum Sicherheitskomplex, und ist der regionale Sicherheitskomplex Wandlungen unterworfen? Ob ein Staat sich zu einem RSC zugehörig fühlt, ist von verschiedenen Einflüssen wie ,,Kultur, Geschichte, religiösen Traditionen und kollektiven Identitäten“[25] abhängig. Grundsätzlich aber kann ein Staat, mit Ausnahme von ,,insulator states“, nur einem Sicherheitskomplex angehören.[26] Gerade durch die geographische Nähe schließen sich Staaten zusammen, da Sicherheitsfragen in einer Region voneinander abhängen und auf geringeren Distanzen stärkere Gefahren entfalten als auf langen geographischen Entfernungen.[27] Außerdem unterscheidet Buzan Sicherheitskomplexe in die drei verschiedenen Typen Standard-Sicherheitskomplexes, Zentrierten-Sicherheitskomplexes und Superkomplex.[28] Eine weitere zentrale Aussage des Ansatzes ist, dass regionale Sicherheitskomplexes nicht statisch sind, sondern durch Interaktionen der Akteure oder durch externe Transformation in ihrer Struktur geändert werden können.[29] Fremde Mächte können einen Sicherheitskomplex durch ,,overlay“ (wenn eine Supermacht/Großmacht die Region komplett überdeckt) oder durch ,,penetration“ (wenn die Einmischung der Supermacht/Großmacht nur vorübergehend ist) beeinflussen.[30]
[...]
[1] Im weiteren Verlauf wird ,,Association of Southeast Asian Nations“ mit ASEAN abgekürzt.
[2] Regionaler Sicherheitskomplex wird zum Teil mit RSC (Regional Security Complex) abgekürzt.
[3] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver: Regions and Power. The Structure of International Security, Cambridge 2003, S. 93-143, hier S. 98.
[4] Vgl. ebd., S. 134.
[5] Vgl. ebd., S. 97-100.
[6] Vgl. ebd., S. 96.
[7] Vgl. Andrew Hurrell: One World? Many Worlds? The Place of Regions in the Study of International Society, in: International Affairs 83 (2007) 1, S. 131.
[8] Vgl. Barry Buzan: People, States and Fear. The National Security Problem in International Relations, 1. Auflage, Brighton 1983.
[9] Vgl. Matthias Heise: Die Renaissance der Regionen. Neue Ansätze in den Theorie der Internationalen Beziehungen: Regionaler Sicherheitskomplex und Regionale Ordnungen, Bern u.a. 2008, S. 69.
[10] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver/ Jaap de Wilde: Security. A New Framework for Analysis, Boulder/ London 1998, S. 9, in: Google Scholar, <http://scholar.google.de/scholar?hl=de&lr=&cluster=2195167382902086360> am 26.7.2008.
Es werden in der Analyse vier verschiedene Ebenen unterschieden: innerstaatliche Ebene, regionale Ebene, interregionale Ebene und globale Ebene, vgl. dazu: Barry Buzan: People, States and Fear, op. cit., S. 225f.
[11] Vgl. Barry Buzan: People, States and Fear, An Agenda for International Security Studies in the Post-Cold War Era, 2. Auflage, New York 1991, S. 58.
[12] Vgl. ebd., Kapitel 2 , hier S. 153.
[13] Ebd., S. 72-75.
[14] Vgl. ebd., 96-107.
[15] Vgl. zur Kategorisierung nach ,,Supermacht“, Großmacht“ und ,,Regionalmacht“: Barry Buzan/ Ole Wæver: Regions and Power, op. cit., S. 34-37.
[16] Vgl. Barry Buzan: People, States and Fear, op. cit., S. 146-153, hier S. 148.
[17] Ebd., S. 189.
[18] Ebd., S. 190.
[19] Vgl. ebd., S. 218.
[20] Vgl. Matthias Heise: Die Renaissance der Regionen, op. cit., S. 49.
[21] Ebd., S. 52.
[22] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver/ Jaap de Wilde, Security, op. cit., S. 22f.
[23] Vgl. Matthias Heise: Die Renaissance der Regionen, op. cit., S. 59
[24] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver/ Jaap de Wilde, Security, op. cit., S. 24.
[25] Vgl. Matthias Heise: Die Renaissance der Regionen, op. cit., S. 68.
[26] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver: Regions and Power, op. cit., S. 41.
[27] Vgl. Matthias Heise: Die Renaissance der Regionen, op. cit., S. 61.
[28] Vgl. Barry Buzan/ Ole Wæver: Regions and Power, op. cit., S. 55ff.
[29] Vgl. ebd., S. 53.
[30] Vgl. ebd., S. 61ff.
- Quote paper
- Felix Neumann (Author), 2008, Die Vereinigung südostasiatischer Nationen , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125519
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