Wer ein stabiles Wertefundament hat, projiziert dies konsequenterweise in seiner Erwartungshaltung auf andere Personen. Gerade Politiker, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen und die Staatsführung innehaben, sollten in Wertfragen ein Vorbild sein. Als Konsequenz dessen setzt die politische Tätigkeit in gewissem Grad eine philosophische Fundierung voraus, und unter den Klassikern des politischen Denkens gibt es nur wenige, die quasi Zeit ihres Lebens beides in einem personifizierten.
Einer von ihnen ist der römische Redner, Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero. Wenn sich sogar ein politisches Magazin nach ihm benennt, muss es in dessen Denken etwas Klassisches geben, was heute noch als Synonym für vollkommen vorbildliche politische Kultur gelten kann.
Aus diesem Grund soll es das Anliegen der Arbeit sein, anhand Ciceros Schriften sein Bild des idealen Staatsmannes darzustellen und aufzuzeigen, welche Werte ein Politiker im Sinne Ciceros unbedingt verkörpern muss, um für das Wohl des Gemeinwesens sorgen zu können. Ein Schwerpunkt liegt daher in der Auseinandersetzung mit dessen staatsphilosophischen Originaltexten „De re publica“, „De officiis“ und „De legibus“, ferner werden aber auch die eher moralphilosophischen Werke „De finibus bonorum et malorum“ sowie die „Tusculanae disputatiuones“ eine Rolle spielen. Angesichts der historischen Zeitumstände - die Römische Republik befindet sich im Verfallsprozess – stellt sich zunächst jedoch die Frage, inwiefern die Werte und Ideale Ciceros realistisch sind oder ob seine Gedanken nicht eher eine historische Utopie darlegen. Alle einflussreichen Protagonisten Roms verkörpern geradezu das Gegenteil der ciceronischen Ideale wie Einsatz für das Gemeinwohl, Vernunft und Tugend und so offenbart sich im Zuge der geschichtlichen Fallstudie die Dekadenz der römischen Republik. In diesem Zusammenhang soll ein Abriss darüber, wie sich Cicero dagegen stemmte, zum einen bereits Grundzüge seines staatsmännischen Denkens aufzeigen, zum anderen aber auch die Frage nach der historischen Utopie bejahen.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass Ciceros Erwartungsbild an den idealen Staatsmann deswegen an Aktualität verloren hat. Das Gegenteil ist der Fall und daher zeigt die Arbeit im Schlussteil auf, dass die antiken Gedanken weit über ihre unmittelbare Gegenwart hinausreichen, indem es Cicero gelingt, einen zeitlos gültigen moralischen Leitfaden für politische Tugendhaftigkeit zu entwerfen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. „O Tempora, o mores!“
2.1 Die Dekadenz der römischen Republik
2.2 Der Fels in der Brandung
3. Der ideale Staatsmann
3.1 Gedanken in „De re publica“
3.1.1 Der Einsatz für den Staat
3.1.2 Gerechtigkeit als Fundament des Staates
3.1.3 Der Somnium Scipionis – eine kosmische Vision
3.2 Gedanken in „De officiis“
3.2.1 Die vier stoischen Kardinaltugenden
3.2.2 Themistokles und die Ehrenhaftigkeit
3.3 Antigone und das höhere Gebot
3.4 Rhetorik und Politik
3.5 Philosophie und Politik
4. Das Erhabene und das Lächerliche
Anhang
Anmerkungen
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Die Wahlergebnisse der letzten Jahre indizieren aufgrund relativ geringer Beteiligung die zunehmende Grundtendenz der Politikverdrossenheit weiter Bevölkerungsschichten. Die Abkehr vom politischen Interesse kann unter anderem auf einen generellen Vertrauensverlust sowohl in das System als auch in die Akteure der Politik zurückgeführt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die akteurstheoretische Frage, welche Voraussetzungen ein Politiker erfüllen muss, um verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu können.
In einer sich schnell ändernden Zeit, die von Soziologen gern mit dem diffusen Begriff des sozialen Wandels beschrieben wird, wünscht sich ein Großteil der Bevölkerung verlässliche Bezugspunkte zur Lebensführung. Eine Orientierungsmöglichkeit liegt in moralischen Normen und Werten; wer ein stabiles Wertefundament hat, projiziert dies konsequenterweise in seiner Erwartungshaltung auf andere Personen. Gerade Politiker, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen und die Staatsführung innehaben, sollten in Wertfragen ein Vorbild sein. Als Konsequenz dessen setzt die politische Tätigkeit in gewissem Grad eine philosophische Fundierung voraus, und unter den Klassikern des politischen Denkens gibt es nur wenige, die quasi Zeit ihres Lebens beides in einem personifizierten.
Einer von ihnen ist der römische Redner, Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero. Wenn sich sogar circa 2000 Jahre nach dessen Wirken ein politisches Magazin nach ihm benennt, muss es in dessen Denken etwas Klassisches geben, was heute noch als Synonym für vollkommen vorbildliche politische Kultur gelten kann.
Aus diesem Grund soll es das Anliegen der Arbeit sein, anhand Ciceros Schriften sein Bild des idealen Staatsmannes darzustellen und aufzuzeigen, welche Werte ein Politiker im Sinne Ciceros unbedingt verkörpern muss, um für das Wohl des Gemeinwesens sorgen zu können. Ein Schwerpunkt liegt daher in der Auseinandersetzung mit dessen staatsphilosophischen Originaltexten „De re publica“, „De officiis“ und „De legibus“, ferner werden aber auch die eher moralphilosophischen Werke „De finibus bonorum et malorum“ sowie die „Tusculanae disputatiuones“ eine Rolle spielen. Angesichts der historischen Zeitumstände - die Römische Republik befindet sich im Verfallsprozess – stellt sich zunächst jedoch die Frage, inwiefern die Werte und Ideale Ciceros realistisch sind oder ob seine Gedanken nicht eher eine historische Utopie darlegen. Alle einflussreichen Protagonisten Roms verkörpern geradezu das Gegenteil der ciceronischen Ideale wie Einsatz für das Gemeinwohl, Vernunft und Tugend und so offenbart sich im Zuge der geschichtlichen Fallstudie die Dekadenz der römischen Republik. In diesem Zusammenhang soll ein Abriss darüber, wie sich Cicero dagegen stemmte, zum einen bereits Grundzüge seines staatsmännischen Denkens aufzeigen, zum anderen aber auch die Frage nach der historischen Utopie bejahen.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass Ciceros Erwartungsbild an den idealen Staatsmann deswegen an Aktualität verloren hat. Das Gegenteil ist der Fall und daher zeigt die Arbeit im Schlussteil auf, dass die antiken Gedanken weit über ihre unmittelbare Gegenwart hinausreichen, indem es Cicero gelingt, einen zeitlos gültigen moralischen Leitfaden für politische Tugendhaftigkeit zu entwerfen[1].
2. „O Tempora, o mores!“
2.1 Die Dekadenz der römischen Republik
Am Ende des Dritten Punischen Krieges im Jahr 146 v.Chr., der mit der völligen Zerstörung Karthagos endete, bezog Rom die alleinige Hegemonialstellung im Mittelmeerraum. Dies war der Grundstein für den Aufstieg des ehemaligen Stadtstaates zur Weltmacht und zog die Konsequenz nach sich, dass die bisherige Staatsordnung einer Reform bedurfte. „Aber der Reformbedürftigkeit entsprach die Reformfähigkeit in keiner Weise“ [2] und so wurde ein Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende der Untergang der Römischen Republik stand.
Ein erster Indikator für die Reformunfähigkeit des Staates war ein Vorschlag zur Agrarreform von Tiberius Gracchus, der im Jahre 133 v.Chr. als Volkstribun tätig war. Sein Vorschlag zur Umverteilung von Agrarflächen zugunsten der armen Massen stieß auf heftige Kritik und nach einem Veto des Kollegen von T. Gracchus wäre der Vorschlag eigentlich zu den Akten gelegt worden, denn der Senat setzte das verfassungskonforme kollegiale Veto gerne ein, sobald ungebetene Initiativen von Seiten des Magistrats abgeblockt werden sollten.[3] Tiberius Gracchus unternahm daraufhin den waghalsigen Schritt, seinen Kollegen von der Volksversammlung absetzen zu lassen. Diese Maßnahme indizierte, dass die Möglichkeit besteht, als Volkstribun mit Hilfe der Volksversammlung gegen den Senat zu regieren[4] – ein Prinzip, das sich explizit gegen die Vorrangstellung des Senats wandte und damit die politische Ordnung der Republik immens in Frage stellte. Und es war nicht nur die verfassungsmäßige Ordnung, sondern auch die politische Einheit, welche Schaden nahm, denn es zeichnete sich nunmehr eine Spaltung der Führungsschicht in Optimaten und Popularen ab. Die Optimaten hielten an der traditionellen Ordnung mit dem Senat als Machtzentrum fest, die Popularen hingegen stützten sich, wie es T. Gracchus exemplarisch tat, zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Volksversammlung.
Des Weiteren trat in den Jahren 113-101 v.Chr. eine militärische Bedrohung durch die germanischen Stämme der Kimbern und Teutonen auf. Der Feldherr C. Marius, der diese Gefahr erfolgreich abwehrte, nutzte das Bedrohungsszenario und reformierte das Militärwesen der Römer, indem er das Milizsystem zugunsten einer wesentlich leistungsfähigeren Berufsarmee abschaffte. Diese Maßnahme sollte für den Staat nicht ohne Konsequenzen bleiben, denn so wurde den Feldherren ein enorm starkes Machtinstrument zur Durchsetzung ihrer Interessen in die Hand gegeben. Das ist kein Problem, solange die Interessen des Feldherrn mit denen des Staatswohls kongruent sind. Steht stattdessen jedoch - und das war in der Endphase der Römischen Republik der Fall – die Durchsetzung egoistischer Partikularinteressen des Feldherrn an erster Stelle, resultiert daraus ein großes Problem für das politische Gefüge der Republik.
Eine derartige Situation zeichnete sich in den Jahren 91-89 v.Chr. ab, als die Bundesgenossen Roms eine Rebellion gegen die Stadt starteten. Ihnen wurde das Bürgerrecht angeboten, um den Kampfwillen der Bundesgenossen zu schwächen, was schließlich auch gelang. Als aber das politische Partizipationsrecht der Neubürger nur auf 8 von 35 Stimmkörpern verteilt werden sollte, setzte sich der amtierende Volkstribun Sulpicius Rufus für eine Verteilung auf alle 35 Stimmkörper ein.[1] Dafür brauchte er eine Mehrheit, die er sich vom Bündnis mit dem Heeresreformer Marius versprach. Als Gegenleistung wollte er ihm den Oberbefehl im absehbaren Krieg gegen Mithridates verschaffen. Das Kommando hatte allerdings schon der Konsul Sulla inne, der äußerst frustriert reagierte, als ihm das Kommando zugunsten von Marius entzogen wurde. Dieser Konflikt gipfelte 83 v.Chr. schließlich im Bürgerkrieg, als Sulla mit seinem Heer gegen Rom zog. Damit erreichte die innere Auseinandersetzung ihr bisher größtes Ausmaß. Der Fakt, dass ein Feldherr seine Armee gegen den Staat einsetzte, verwarf die bis dahin bestehende politische Ordnung der Republik, was sich auch daran manifestierte, dass er sich nach seinem Sieg zum Diktator ernennen und politische Gegner verfolgen ließ. Mit dem Bürgerkrieg schien die Einheit der Römischen Republik endgültig zerbrochen zu sein, statt des Einsatzes für das Gemeinwohl rückten egoistische Partikularinteressen in das primäre Handlungsfeld der führenden Akteure. Parallel dazu zeigte sich der Senat unfähig, seine frühere Vorrangstellung wiederzuerlangen – so wurde die Römische Republik zum Spielball von Einzelakteuren.
Ein weiterer Schritt auf diesem Weg war das 60 v.Chr. konstituierte Triumvirat zwischen Pompeius, Cäsar und Crassus, was eine Machtakkumulation dieser drei Männer bedeutete. Sie einigten sich auf den Grundsatz, dass keiner von ihnen etwas unternimmt, was den Interessen der anderen zuwiderläuft.[2] „Dieses Bündnis zwischen dem Mächtigsten [Pompeius], dem Reichsten [Crassus] und dem politisch Genialsten [Cäsar, jeweils Anmerkungen des Verfassers] wurde zu einem Schlüsselereignis der römischen Geschichte.“ [3] Doch mit der Zeit traten Differenzen zwischen Cäsar und Pompeius auf und seit Crassus’ Tod auf einem Feldzug 53 v.Chr. fehlte ein Vermittler zwischen den beiden. Pompeius ließ sich zunehmend für die Interessen des Senats einspannen, während hingegen Cäsar durch seinen Expansionskrieg in Gallien beträchtlich an Macht gewann. Aus Unbehagen vor seinem enormen Machtpotenzial hielt es der Senat für angebracht, Cäsar abzuberufen[1]. Er weigerte sich jedoch, woraufhin der Senat den Oberbefehl über dessen Streitkräfte an Pompeius gab. Mit Cäsars Überschreitung des Rubikon 49 v.Chr. brach zum zweiten Mal ein Bürgerkrieg aus, den Cäsar letztendlich zu seinen Gunsten entschied. In der Folgezeit war er Alleinherrscher, im Jahr 44 v.Chr. fiel er jedoch einem Attentat mehrerer Senatoren zum Opfer. Im Konflikt um dessen Nachfolge standen sich Antonius und Octavian gegenüber, die sich 43 v.Chr. überraschend verbündeten, die Truppen der republikanischen Kräfte besiegten und das Reich unter sich aufteilten. Doch auch ihr Bündnis zerbrach und wiederum tobte eine innere Auseinandersetzung im Römischen Reich, bis schließlich Octavian (der später den Ehrennamen „Augustus“ tragen sollte) die Seeschlacht bei Actium 31 v.Chr. gewann und in Folge dessen Alleinherrscher wurde. Nach einem Jahrhundert der Bürgerkriege brachte er zwar den lang ersehnten Frieden, aber die Römische Republik war im Zuge der ausgeuferten innenpolitischen Auseinandersetzungen, deren Wurzeln in der moralischen Dekadenz der herrschenden Elite lagen, untergegangen.
2.2 Der Fels in der Brandung
Cicero, dessen Karriere gerade begann, während Sulla als Diktator herrschte, setzte sich vehement dafür ein, die Republik zu erhalten. Im Jahre 80 v. Chr. hielt er seine erste große Gerichtsrede.[2] Sextius Roscius war wegen Mordes an seinem Vater angeklagt worden, in Wirklichkeit jedoch steckte Chrysogonus, ein Freund Sullas dahinter – in Zeiten dessen Diktatur wahrlich ein brisanter Fall! Cicero mied daher die offene politische Auseinandersetzung mit jenem, stattdessen richtete er an die Nobilität insgesamt prophetisch klingende Ermahnungen: Die Führungsschicht werde ihre Vormachtstellung nicht halten können, wenn es ihr, und dafür stehe Chrysogonus exemplarisch, nur um Eigennutz und Gewinnstreben gehe.[3] Hier zeigt sich Ciceros feste Überzeugung, dass die Führung des Staates nicht denen anvertraut sein sollte, die ihre Position nur der Abstammung verdanken, sondern dass als Kriterium zur politischen Aktivität vielmehr ein Mindestmaß an moralischer Integrität vorhanden sein muss.
Doch zu diesem Ideal bestand in der Praxis der römischen Politik eine große Diskrepanz, die sich wiederum manifestierte, als sich herausstellte, dass Gaius Verres in seiner Zeit als Provinzverwalter Sizilien systematisch ausgebeutet hatte.
[...]
[1] Cicero: In Catilinam I,2 ; Originaltext von http://www.thelatinlibrary.com/cicero/cat1.shtml
[2] Bringmann, Klaus: Römische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Spätantike. 9. Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2006, S. 39
[3] Vgl. ebd., S. 44
[4] Vgl. ebd. ; siehe auch Verfassungsschema der Römischen Republik im Anhang
[1] Vgl. Bringmann, Römische Geschichte, S. 48
[2] Vgl. ebd., S. 51
[3] ebd.
[1] Vgl. Giebel, Marion: Cicero. 15. Auflage 2004, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S. 83
[2] Pro Sextio Roscio Amerino
[3] Vgl. Giebel, Cicero, S. 21
- Citar trabajo
- Steffen Radtke (Autor), 2008, Ciceros Bild des idealen Staatsmannes - mehr als nur eine historische Utopie?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125462
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