In den digitalen Medien gibt es wohl kaum ein Thema, welches in der schulischen Unterrichtung präsenter ist als die Inklusion. Es werden aber vor allem kritische Stimmen laut, welche die praktische Umsetzung für nicht ausgereift genug halten. Schulische Inklusion wurde zwar gesetzlich verbindlich festgelegt, dennoch scheint es an theoretischen Grundlagen, vor allem aber an der praktischen Umsetzung zu scheitern. Negative Erfahrungen aller Beteiligten führen zu einer Verschlechterung der Haltung von Gesellschaft, Fachkräften, Schülerschaft und Eltern zur schulischen Inklusion.
Seit der Forderung nach Inklusion wird versucht, ein flächendeckendes Angebot für alle Schüler*innen gemeinsam an einer Schule anzubieten. Diese Arbeit geht daher näher auf das deutsche Schulsystem ein und beschreibt Begrifflichkeiten wie Inklusion, Exklusion - auch in Bezug auf die (Grund-)Schule - sowie den Begriff der Behinderung und ihrer Klassifizierungen. Zudem werden zwei Schulen, welche für gut gelingende Inklusion mit dem Jakob Muth-Preis ausgezeichnet wurden, vorgestellt. Die Best Practice wird mit dem Index für Inklusion in Verbindung gebracht. Durch aktuelle Umfragen wird dieser Vergleich kritisch betrachtet. Durch die multiprofessionellen Teams, welche in inklusiven Schulen arbeiten, ist diese Thematik auch als immer größer werdender Aufgabenbereich in der Sozialen Arbeit anzusehen.
2.3 Methodenkritik der Literaturarbeit
3.1 Schulsystem / Bildungssystem
3.1.1 Grundschule (Primarbereich)
3.2 Behinderung und Eingliederung
3.2.3 Stufen der Eingliederung
3.3 Gesetzliche Grundlagen der (schulischen) Inklusion
3.3.1 Auf Ebene der Vereinten Nationen
3.3.2 Auf Ebene der Bundesrepublik Deutschland
3.3.3 Auf Ebene der Bundesländer
3.4 Konzepte schulischer Inklusion
3.4.1 Kooperationsklassen
3.4.2 Partnerklassen
3.4.3 Inklusion einzelner Schüler*innen
3.4.4 Schulprofil „Inklusion“
3.4.5 Klassen mit festem Lehrertandem
4 Theoretische und praktische Ansätze zur Umsetzung schulischer Inklusion
4.1 Jakob Muth-Preis
4.1.1 Sieben Merkmale guter inklusiver Schule
4.1.2 Preisträger 2019 - Staatliche Gemeinschaftsschule „Kulturanum“ in Jena
4.1.3 Preisträger 2016 - Grund- und Mittelschule Thalmässing
4.2 Index für Inklusion
4.2.1 Indikatoren für gemeinsame und inklusive Werte
4.2.2 Der ganzheitliche Ansatz im Überblick
5 Diskussion und Verknüpfung von Theorien und aktuellen Zahlen
5.1 Verknüpfung und kritische Hinterfragung der Best Practice
5.2 Schlussfolgerung und Handlungsempfehlung
6 Fazit
IV. Literaturverzeichnis
II. Abkürzungsverzeichnis
III. Abbildungsverzeichnis
Abb. 2: Stufen der Eingliederung
Abb. 3: Historische Entwicklung - Von der Exklusion zur Inklusion
Abb. 6: Inklusion einzelner Schüler*innen
1 Einleitung
„Jeder ist ein Genie!
Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst,
ob er auf einen Baum klettern kann,
wird er sein Leben lang denken, er sei dumm.“
Albert Einstein
Inklusion ist seit Einführung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2006 und der veränderten Auffassung von Behinderung ein immer größer werdendes Thema in der Gesellschaft und im Bereich der Schule. In zahlreicher Literatur wird über mögliche Umsetzungen in der Theorie berichtet, sowie Kritik über die momentane Praxis geäußert. Warum aber konnte von 2006 bis heute noch kein theoretischer Ansatz gefunden werden, um auch in der breiten Praxis gut gelingende schulische Inklusion zu ermöglichen?
„Inklusion ist kein Luxus. Inklusion ist ein Menschenrecht“ (Gudrun Kellermann). Genau dieses Recht gilt eben für alle Menschen. Trotz der gesetzlichen Vorgaben steht die Gesellschaft der schulischen Inklusion in einer Umfrage, von Aktion Mensch, Die Zeit und infas, kritisch gegenüber (Aktion Mensch et al., 2019, S. 8). 66 % der Befragten sprechen sich für eine gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung aus. Diese Zahl scheint hoch zu sein. Im Vergleich dazu sprechen sich jedoch 85 % für ein gleichberechtigtes Miteinanderleben in der Gesellschaft aus und 94 % für die Möglichkeit des gemeinsamen Aufwachsens in der Freizeit. Hier ist zwar eine Zustimmung zur sozialen, nicht aber zur schulischen Inklusion erkennbar.
Zugleich stieg deutschlandweit die Förderquote, und somit auch die Zahl der zu inkludierenden Kinder von 6 % (Schuljahr 2008/2009) auf 7,6 % (Schuljahr 2018/2019) (Aktion Mensch, o.J., Abs. 1). Die Inklusionsquote stieg zwar von 1,1 % auf 3,2 %, aber die Exklusionsquote sank nur gering von 4,9 % auf 4,4 %. Das heißt somit, dass über die Hälfte der Kinder mit Förderschwerpunkt weiterhin separiert unterrichtet wurde.
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Thematik einer gelingenden inklusiven Unterrichtung an Grundschulen auseinander und stellt die Komplexität dieses Themenfeldes dar. Es gibt zahlreiche Konzepte, unter anderem der Unterricht inklusiver Klassen mittels durchgehend doppelbesetztem Lehrpersonal, für welches sich 86 % der befragten Lehrer*innen aussprechen (Forsa, 2017, S. 7-8; Aktion Mensch et al., 2019, S. 14). Bei diesem unterstützenden Personal kann es sich sowohl um Sonderpädagogen*innen als auch um Sozialpädagogen*innen oder Schulpsychologen*innen handeln. Deshalb werden sich Sozialpädagogen*innen zukünftig häufiger mit schulischer Inklusion in der Praxis auseinandersetzen müssen. Aus diesem Gesichtspunkt erscheint es sinnvoll folgende Fragestellung, möglichst guten inklusiven Lernens an Grundschulen im weiteren Verlauf näher zu erörtern.
Zu Beginn wird die Methodik der Literaturarbeit näher betrachtet. Im Anschluss erfolgt eine theoretische Fundierung durch die Auseinandersetzung mit dem deutschen Schulsystem, dem Begriff der Behinderung, sowie den Stufen der Eingliederung. Darauf folgen die gesetzlichen Grundlagen der schulischen Inklusion, sowie die Konzepte zur Umsetzung der inklusiven Unterrichtung. Im nächsten Kapitel werden durch die Vorstellung des Jakob Muth-Preises und des Index für Inklusion theoretische, sowie praktische Ansätze des inklusiven Lernens vorgestellt. Im Anschluss folgt eine Verknüpfung dieser Ansätze, sowie eine kritische Hinterfragung durch aktuelle Zahlen zur Einschätzung schulischer Inklusion anhand von vorhandenen Umfragen, welche in einer Handlungsempfehlung und Schlussfolgerung münden.
2 Methode: Literaturarbeit
Die Literaturarbeit, auch Literaturübersicht genannt, hat die Kernaufgabe „bereits vorhandene wissenschaftliche Literatur zu einem bestimmten Thema zusammenzutragen und zu sichten“ (Prexl, 2017, S. 14-15). Dieser methodische Ansatz ist noch recht jung. Es werden auch Begriffe wie Literaturanalyse, Übersichtsarbeit, integrierende Forschungsübersicht, Forschungssynthese oder auch Literatur Review als Synonyme verwendet. Die Literaturübersicht beschreibt nicht nur den Prozess, sondern bezieht sich auch auf das fertige Endprodukt. Sie soll sowohl den aktuellen und bisherigen Forschungsstand darstellen als auch Forschungslücken aufdecken. Des Weiteren soll eine Veror- tung der eigenen Arbeit ermöglicht werden, mit dem Ziel die Forschungsfrage zu beantworten. Durch das Zusammenführen von einzelner Literatur können neue Erkenntnisse gewonnen werden. Somit stehen Literaturarbeit und empirische Forschung gleichwertig gegenüber (Werner, Vogt & Scheithauer, 2017, S. 12).
Es kann zwischen einer traditionellen und einer systematischen Literaturarbeit unterschieden werden (Prexl, 2017, S. 16). Im Rahmen dieser Arbeit wurde der systematische Ansatz gewählt, weshalb im weiteren Verlauf ausschließlich auf diesen näher eingegangen wird.
Eine systematische Literaturarbeit geht standardisiert vor und legt vorab Kriterien fest, nach denen Literatur systematisch ein- oder ausgeschlossen wird (ebd., S. 18-19). Suchbegriffe und die Datenbanken der Recherche werden zuvor festgelegt. Das Vorgehen sowie der Ein- und Ausschluss von Literatur, wird systematisch, nachvollziehbar und transparent protokolliert. Dieser Ansatz eignet sich im Grundsatz für jedes Fachgebiet, findet aber vor allem in den Human- und Sozialwissenschaften Verwendung.
Die Literaturübersicht, als eigenständige Methode, ist relativ neu (ebd., S. 29). Dies liegt vor allem an der verbesserten und beschleunigten Literaturrecherche durch die Digitalisierung. Des Weiteren sind durch die unübersichtliche Vielzahl an Literatur zum Teil sich widersprechende Publikationen aufzufinden, welche kritisch betrachtet werden müssen. Dies spiegelt sich ebenso in den Funktionen der Übersichtsarbeit wider (ebd., S. 23-24). Die Literaturübersicht soll verfügbare Literatur zu einem ausgewählten Thema sichten, vergleichen und somit eigene Schlussfolgerungen ermöglichen.
Durch das Zusammenführen, Kategorisieren und Vergleichen vorhandener Literatur kann neues Wissen herbeigeführt werden. Es können durch diese Methode aber auch bestehende Theorien überprüft und weiterentwickelt werden.
Um den genannten Aufgaben und Funktionen gerecht zu werden, beschreibt Prexl fünf standardisierte Schritte der systematischen Literaturübersicht (2017, S. 30-34):
· Entwicklung der beantwortbaren Fragestellung (groben Überblick vorhandener Literatur verschaffen, Definition einer klaren Forschungsfrage)
· systematische Literatursuche (Inklusions- und Exklusionskriterien für Quellen festlegen)
· Qualitätsbewertung der eingeschlossenen Studien (Qualitätsüberprüfung, methodische Qualität, interne und externe Validität, Bias)
· quantitative Datensynthese (ausgewählte Literatur gegenüberstellen)
· objektive Interpretation der Ergebnisse (Studienergebnisse diskutieren und eigene Schlussfolgerungen stellen)
Im weiteren Verlauf der Arbeit ist zu sehen, dass (schulische) Inklusion einer langen historischen Geschichte vorausgeht. Sie ist gesetzlich verankert. Dennoch wird Inklusion in der Freizeit laut Umfragen von der Bevölkerung mehr gewünscht als schulische Inklusion (Aktion Mensch, o.J.). Die Befragten geben auch Gründe für ihr Zweifeln an, welche ebenfalls näher ausgeführt werden. Neben diesen Bedenken wurden Schulen und Projekte für gelingende schulische Inklusion mit dem Jakob Muth-Preis ausgezeichnet. Durch die Aktualität und Unterschiedlichkeit der Literatur erscheint eine systematische Literaturarbeit als geeignet. Sie ermöglicht eine Gegenüberstellung der vorhandenen Literatur, sowie die Entwicklung einer aktuellen Schlussfolgerung. Eine objektive Betrachtung ist durch diese Methode ebenfalls gegeben. Dadurch kann zwischen widersprüchlicher Literatur unterschieden werden. Weitere Vorteile sind die Planbarkeit und Flexibilität. Durch einen hohen Rechercheaufwand kann der Zugriff auf zahlreiche, interessante und vielfältige Informationen ermöglicht werden, was sich positiv auf die Bearbeitung der Thesis auswirkt.
Die Theorie in der bereits vorhandenen Literatur hätte durch qualitative Befragungen oder Interviews untermauert werden können, um eigene Erkenntnisse zu erlangen. Allerding können durch die Filmporträts der Jakob Muth-Preisträger auf bereits vorliegende Multimedia-Quellen eingegangen werden, die ebenfalls einen qualitativen Einblick in die Praxis ermöglichen. Dadurch kann eine Vorstellung und ein Vergleich der Best Practice vorgenommen werden, welcher durch aktuelle bereits vorhandene Umfragen kritisch hinterfragt werden soll. Eine quantitative Forschung erschien aufgrund der individuellen Thematik als ungeeignete Methodik.
Vor Entwicklung der Forschungsfrage wurde sich ein grober Überblick über die vorhandene Literatur verschafft. Im Gespräch mit dem Betreuer wurde eine geeignete beantwortbare Forschungsfrage entwickelt. Im Anschluss wurde die systematische Literaturarbeit vorbereitet. Im nächsten Kapitel wird die Literaturrecherche dokumentiert.
2.1 Literaturrecherche
Zu Beginn der Arbeit wurde eine unspezifische Recherche vorgenommen, um einen groben Überblick über die vorhandene Literatur zu erhalten und so eine geeignete Forschungsfrage und einen dazugehörigen ersten Gliederungsentwurf vorzubereiten (Prexl, 2017, S. 103-104). Da die Forschungsfrage bereits vorab erarbeitet wurde, eignete sich das Schneeballsystem als gute Herangehensweise, um geeignete Literatur zu erhalten. Hierzu werden möglichst aktuelle Fachartikel herangezogen, welche durch dort genannte Literaturverweise zu weiteren vielzähligen Titeln führt. Außerdem können Datenbanken durch die Eingabe spezifischer Begriffe gezielt durchsucht werden und dadurch eine geeignete Trefferliste angezeigt werden. Der Vorteil wissenschaftlicher Datenbanken liegt in der systematischen Qualitätskontrolle, welche ebenfalls bei der Literatursuche beachtet werden sollte. Eine ergänzende Suche im Netz kann jedoch den Zugriff auf nicht-wissenschaftliche Quellen und noch nicht im Journal veröffentlichte wissenschaftliche Beiträge ermöglichen. Dies verhilft zu weiteren Schlagwörtern. In der Schlagwortsuche werden relevante Begriffe auf Deutsch und Englisch sowie Synonyme festgelegt. Diese Suche soll dokumentiert werden und auch festhalten, wie erfolgreich die Schlagwortsuche war. Durch die Schneeballsuche ergeben sich durch bereits geeignete gefundene Literatur weitere Titel, welche für die Arbeit genutzt werden können. Dies verringert die Zeit des mühsamen Durchsuchens von Datenbanken. Zu dem kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Literatur um zitierfähige Titel handelt, da sie bereits in anderen Publikationen verwendet wurden.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde zu Beginn die Suche im Netz in Anspruch genommen. Des Weiteren wurden Lehrbücher zur ausgewählten Thematik herangezogen, gesichtet und überlesen. Diese dienten zur ersten Erstellung der Gliederung. Im Anschluss wurden in Verbindung mit den einzelnen Kapiteln und Unterpunkten der Gliederung spezifische Suchbegriffe verwendet. Folgende Schlagwörter waren für die Thesis mehr oder weniger ausschlaggebend: Inklusion, schulische Inklusion, Behinderung UND Schule, Sonderpädagogik, inklusive Schule, Klassifikation UND Behinderung, inklusive Bildung UND Schule.
Erfolglose Schlagwörter: Behindertenrecht, Behinderung, Heilpädagogik, Soziale Arbeit UND Inklusion.
Außerdem wurden Inklusions- und Exklusionskriterien für die Literaturauswahl festgelegt (Prexl, 2017, S. 31-32). Die Literatur sollte die Altersgrenze von 20 Jahren nicht überschreiten. Es wurde aufgrund des besseren Verständnisses ausschließlich deutschsprachige Literatur verwendet. Außerdem wurden Studien, Sammelbücher, Fachbücher und Studienbücher bevorzugt. Zur Darstellung der Best Practice wurden Videosequenzen der Preisträger-Schulen sowie die Vorgaben des Index für Inklusion herangezogen. Dies ermöglicht einen aktuellen und persönlicheren Eindruck einer guten Umsetzung inklusiver Schule.
Im Allgemeinen sollte ein Autor angegeben, ein Inhaltsverzeichnis erstellt, sowie ein Datum der Erfassung aufzufinden sein. Schlüsselbegriffe wie Inklusion, (Grund-)Schule, inklusive Bildung, inklusive Schule, schulische Inklusion, Behinderung, Sonderpädagogik sollten in den Texten enthalten sein.
Im nächsten Schritt wird das Suchmedium festgelegt. Es kann in (Online-)Bibliotheken, Datenbanken und im Internet nach passender zitierfähiger Literatur gesucht werden. Diese kann oft bereits anhand des Lesens von Abstracts und Titel der Literatur einfacher und schneller gefunden werden (Bortz & Döring, 2016, S. 161).
Aufgrund der großen Entfernung zu einer Stadtbibliothek mit passender Literatur wurde dies für die Bearbeitung ausgeschlossen. Die Literaturrecherche erfolgte deshalb lediglich über folgende Suchportale im Internet: Google, Statista, Amazon, Online-Bibliothek der IU, YouTube, Springer, Wiso und Google Books.
Die Literaturrecherche dauert im Laufe des Verfassens der Arbeit an. Die Suchbegriffe und Stichwörter sollten daher im Verlauf spezifischer und konkreter werden (Bort & Döring, 2016, S. 160). Aber nicht nur die Suchstrategien sollten variieren. Es sollten auch verschiedenste Informationsressourcen genutzt werden, um so viel geeignete Literatur wie möglich herauszufiltern (Prexl, 2016, S. 106).
2.2 Literaturauswahl
Nach der ersten Literatursichtung stehen meist zahlreiche Quellen zur Bearbeitung der Thesis zur Verfügung (Prexl, S. 107-109). Zur Eingrenzung der vielzähligen Literatur werden drei sogenannte Kriterien der Literatursichtung und -bewertung verwendet:
Zum einen die Zitierfähigkeit. Dieses Kriterium ist einfach zu bewerten (ebd.). Die Zitierfähigkeit ist gegeben, wenn der Leser uneingeschränkt auf die Quelle zugreifen kann. Dies ist vor allem in Bibliotheken, im Buchhandel oder im Internet durch einen permanenten Link gegeben. Bei sogenannter „grauer Literatur“ ist es wichtig, das Material sorgfältig zu archivieren, sodass es nach Abgabe der Arbeit als Printversion oder elektronisch zur Verfügung gestellt werden kann.
Als zitierwürdig gilt eine Quelle, wenn sie „insbesondere nachvollziehbar, inhaltlich anspruchsvoll, theoriegeleitet und möglichst aktuell und generalisierbar ist“ (ebd.). Hierfür werden folgende Merkmale als Gütekriterien für die wissenschaftliche Qualität eines Textes genannt: klare Gliederung und Strukturierung, Behandlung einer wissenschaftlichen Fragestellung, präzise und wissenschaftliche Terminologie, Text-Text-Bezüge, theoretische Fundierung und angemessene Methodik. Ein Text muss jedoch nicht alle Kriterien gleichermaßen erfüllen, um zitierwürdig zu sein.
Ein weiteres Kriterium stellt die Relevanz dar (ebd.). Diese ist gegeben, wenn die Literatur einen konkreten Bezug zur Fragestellung aufweist. Die Quelle bietet also einen Mehrwert für die Bearbeitung der Thesis. Hier ist zu beachten, dass vor allem aktuellere Literatur aus renommierten Fachzeitschriften oder von Wissenschaftlern verwendet werden soll, anstelle von älteren Beiträgen von Journalisten oder Praktikern.
Im nächsten Schritt geht es an das Lesen der Texte (Werner, Vogt & Scheithauer, 2017, S. 35). Hier kann zwischen zwei Schritten unterschieden werden: erstens das Lesen oder auch Überlesen der Texte und zweitens das Aufarbeiten der Texte. Dies ist mühsam und nimmt viel Zeit in Anspruch.
Ist die Auswahl der vorhandenen Literatur durch die drei Kriterien weiter eingegrenzt worden, so wird das Inhaltsverzeichnis erfasst und ausgewählte Kapitel quergelesen, also grob überflogen. Dieses Vorgehen nennt man auch Skimming (Prexl, 2017, S. 115). Fragwürdige Quellen und Texte wurden mit weiterer Literatur verglichen. Wenn beiden Quellen das Gleiches angegeben, wurde aus ihnen zitiert. Bei einem Widerspruch wurden die Texte gegenübergestellt und kritisch hinterfragt. In diesem Schritt wurden brauchbare Kapitel und Textstellen der Literatur durch Klebezettel oder Leuchtstift angemerkt und markiert. Zugleich wurden sie den einzelnen dazu passenden Kapiteln der Gliederung zugeordnet. Im Laufe der Bearbeitung der Thesis wurden neue Textpassagen ausfindig gemacht, welche ebenfalls für die Arbeit von Bedeutung sind. Diese wurden erst im Nachgang markiert und zugeordnet. Am Laptop wurden Ordner mit den einzelnen Kapiteln angelegt. In diesen wurden die elektronischen Medien sortiert und griffbereit abgelegt. Einige Literaturquellen fanden in mehreren Kapiteln Verwendung. Dieses System erwies sich als effizient und erleichterte die Bearbeitung der Thesis im Verlauf. Durch das systematische und strukturierte Vorgehen und Ablegen von Quellen, konnten diese gezielt und zeitsparend aufgefunden werden. Deshalb wurde diese Vorgehensweise durchgehend beim Schreiben der Arbeit genutzt.
2.3 Methodenkritik der Literaturarbeit
Diese Methodik scheint vorteilhaft für die Bearbeitung dieser Thesis zu sein. Dennoch dürfen die Nachteile dieser Methodenwahl nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Literatursuche kann dem Verfasser ein klarer Fokus bzw. der Bezug zur Forschungsfrage fehlen oder es werden keine eigenen Bezüge zwischen den Quellen hergestellt (Prexl, 2017, S. 34-35). Es fehlt somit an der Untermauerung der eigenen Schlussfolgerungen durch Quellen. Durch die große Menge an gesammelter Literatur kann ebenfalls sowohl der Fokus als auch die Übersichtlichkeit verloren gehen.
Durch die ausschließliche Nutzung vorhandener Literatur ist die Gefahr ein Plagiat zu begehen größer als bei empirischen Arbeiten. Die Methode bringt Objektivität mit sich, was bei erster Betrachtung auch positiv erscheint. Jedoch kann dies den Nachteil mit sich bringen, dass persönliche Erfahrungen nicht miteinbezogen werden. Dies soll in dieser Arbeit durch die Best Practice Vorstellung anhand von Videos mit dem Schulportrait der Jakob Muth-Preisträger und durch aktuelle vorhandene Umfragen vermieden werden.
3 Bildung und Behinderung
In den nächsten Unterpunkten wird im Näheren auf das deutsche Bildungssystem und die unterschiedlichen Förderschwerpunkte der Förderschulen eingegangen. Des Weiteren werden Behinderungen, Klassifikationsmodelle, die Stufen der Eingliederung und gesetzliche Grundlagen genauer ausgeführt.
3.1 Schulsystem / Bildungssystem
Das Bildungssystem in Deutschland umfasst fünf große Bereiche: Elementarbereich, Primarbereich, Sekundarbereich I, Sekundarbereich II und Tertiärbereich (Edelstein, 2013, Abs.6). Diese beinhalten wiederum verschiedene Bildungseinrichtungen und Bildungsgänge, mit welchen verschiedene Abschlüsse erreicht werden können. Da in der BRD für die Bildungspolitik die einzelnen Bundesländer zuständig sind, kann keine einheitliche Beschreibung des Bildungssystems erfolgen.
(ebd. Abs. 1).
Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagespflege und sogenannte Vorklassen an Grundschulen gehören zum Elementarbereich (ebd., Abs. 7). Der Besuch solcher Einrichtungen ist in Deutschland nicht verpflichtend. Seit dem Jahr 2013 haben jedoch Kinder mit Vollendung des ersten Lebensjahres Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Die Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung liegt in öffentlicher oder freier Trägerschaft, welche durch die Kommune, das Land und Elternbeiträge finanziert werden (kmk, 2019, S. 80). Freie Träger finanzieren sich zusätzlich noch durch dessen Eigenmittel.
Die Schulpflicht greift ab dem Primarbereich, also in der Regel mit der Vollendung des sechsten Lebensjahres (Edelstein, 2013, Abs. 5) und endet meist mit dem 18. Lebensjahr. Diese Zeitspanne umfasst vorwiegend neun Besuchsjahre, die sog. Vollzeitschulpflicht, an einer allgemeinbildenden Schule und die Teilzeitschulpflicht, auch Berufsschulpflicht genannt. Letztere endet mit dem Abschluss der Berufsausbildung.
Der Sekundarbereich I beinhaltet wiederum verschiedene Schulformen: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, integrierte Gesamtschule oder Schularten mit zwei oder drei Bildungsgängen, die sog. kooperative oder additive Gesamtschule (ebd. Abs. 9). Am Ende kann in allen Formen ein allgemeinbildender Abschluss erworben werden. Dieser ermöglicht dem Schüler / der Schülerin den Besuch von verschiedenen weiterführenden Schulformen im Sekundarbereich II.
Allgemeinbildende und berufliche Vollzeitschulen (Gymnasiale Oberstufe, FOS, BOS, Fachgymnasium, Berufsfachschule, Berufsschule) sowie duale Ausbildung sind Formen des Sekundarbereich II (ebd. Abs. 10). Ein Abschluss in diesem Bereich bereitet den Zugang für weitere Bereiche im Tertiärbereich. Dieser beinhaltet Universitäten, Fach(hoch)schulen, Berufsakademien, die Abendschule oder den Einstieg in den Arbeitsmarkt bzw. die Stellensuche (ebd. Abs. 12).
Der Besuch von öffentlichen Schulen im Primar- und Sekundarbereich ist kostenlos und wird von Ländern und Kommune finanziert (kmk, 2019, S. 81-86). Die Kosten für die Berufsausbildung im Tertiärbereich werden im Großteil von den Ausbildungsbetrieben getragen. Für private und staatlich geförderte Bildungseinrichtungen gelten andere Regelungen.
Der Primarbereich ist nach dem Elementarbereich und vor dem Sekundarbereich I einzuordnen. Förderschulen werden in der interaktiven Grafik der Bundeszentrale für politische Bildung (https://www.bpb.de/fsd/bildungsgrafik2/?1) im Sekundarbereich I, Sekundarbereich II und Tertiärbereich aufgezeigt. Da diese Arbeit die Inklusion an Grundschulen thematisiert und eine Exklusion an Sonder- bzw. Förderschulen hinterfragt, wird in den nächsten zwei Unterpunkten näher auf Grund- und Förderschulen eingegangen.
3.1.1 Grundschule (Primarbereich)
Die Grundschule umfasst die Jahrgangsstufen eins bis vier, in manchen Bundesländern eins bis sechs (Edelstein, 2013, Abs. 8). Sie ist die einzige Bildungseinrichtung, welche von (fast) allen schulpflichtigen Kindern besucht wird. Dies zeigt sich auch deutlich in der Statistik vom September 2021 (Statistisches Bundesamt, 2021). Im Erhebungszeitraum 2020/2021 gab es 15.447 Schulen im Pri- marbereich in Deutschland. Im Vergleich dazu 2.806 Förderschulen und 1.752 Realschulen. Welchen weiteren Bildungsweg die jeweiligen Kinder nach der Grundschulzeit beschreiten, wird durch eine sogenannte Schullaufbahnempfehlung ausgesprochen (Edelstein, 2013, Abs. 8). Diese wird anhand von Arbeitsverhalten und Schulnoten im Primarbereich gestellt. Wenn eine andere (höherwertigere) Schulform als die empfohlene gewählt wird, so muss häufig eine Aufnahmeprüfung absolviert oder die Probezeit an der weiterführenden Schule bestanden werden.
Ihren gesetzlichen Ursprung hat die Grundschule in der Weimarer Republik (Götz & Sandfuchs, 2014, S. 35). Im August 1919 wurde diese Form der Einrichtung im Artikel 146 in der Weimarer Verfassung verankert. Kurz darauf wurde von der Weimarer Nationalversammlung das große Grundschulgesetz erlassen, welches eine einheitliche Umsetzung auch auf Länderebene ermöglichen sollte und eine Mindestzeit von vier Jahren vorgab. Die Grundschule als Institution wurde der Volksschule zugeordnet und stellte keine eigenständige Schulform dar.
Von 1933 bis 1945 herrschte der Nationalsozialismus in Deutschland vor. In diesem Zeitraum erlangte die Schulform Grundschule ihren Titel als „konkurrenzlose öffentliche Pflichtschule“ (ebd. S. 38). Sie war jedoch weiterhin der Volksschule zugeordnet und ein mehrklassiger Ausbau der Volksschulen fand nicht statt. Der Unterricht dieser Schulen wurde mehrheitlich in ein- oder zweiklassiger Form, das heißt Schüler*innen aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen besuchten eine Klasse.
Nach 1945 forderten die Siegermächte ein demokratisches Schulsystem für Deutschland, welches sich durch Chancengleichheit und unentgeltlichen Unterricht auszeichnete (ebd. S.39-40). Statt dem gegliederten Schulsystem, in welchem die Grundschule als Teil der Volksschule vorgesehen war, sollte ein gestuftes Schulsystem eingeführt werden. Eine Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs oder sogar acht Jahre wurde ebenfalls diskutiert. Durch den bevorstehenden „Kalten Krieg“ konnten diese Pläne nicht in die Realität umgesetzt werden und es verblieb beim gegliederten Schulsystem mit vier Grundschuljahren. Von 1945 bis 1990 entwickelten sich die DDR und die BRD, durch die deutsche Zweistaatlichkeit, in zwei unterschiedliche pädagogische Wege. In beiden Staaten war der Besuch der Grundschule verfassungsrechtlich festgehalten. „In der Bundesrepublik durch den Artikel 7, Abs. 5 und 6 und durch die Landesverfassungen, in der DDR in Art. 38 der Verfassung von 1949“ (ebd. S. 40). Im westlichen Deutschland konnte jedoch bis in die 1960er Jahre keine einheitliche Bildungsversorgung ermöglicht werden. Pädagogisch knüpfte Westdeutschland an die Konzeption in Weimarer Zeiten an. Die Unterrichtung fand größtenteils weiterhin in ein- oder zweiklas- sigen Schulen statt. Erste Änderungen der Unterrichtung im Primarbereich wurden Mitte der 1960er Jahre durch die aufkommende Bildungsreform sichtbar.
Die Grundschule der DDR ist „geprägt von der Orientierung am Marxismus-Leninismus“ (ebd.). Der Primarbereich wurde hier als Unterstufe der Polytechnischen Oberschule (POS) gesehen. Das Schulgesetz von 1946 legte eine achtjährige, verpflichtende Grundschule fest. Durch die Einführung einer Landesschulreform zur Umsetzung des sogenannten Einheitsschulsystems gelang der DDR ein zeitlich früherer Abbau der einklassigen Schulen.
Erst 1969 entstand in der BRD die eigenständige, meist vierjährige, Grundschule (Oelkers, 2019, Abs. 3-5). In Berlin und Brandenburg gibt es bislang noch das sechsjährige Grundschulsystem, wie es auch in anderen europäischen Ländern typisch ist. Die Primarschule mit vier Jahrgangsstufen gibt es europaweit nur noch in Deutschland und Österreich.
3.1.2 Förderschule
Die Förderschule, welche in manchen Bundesländern auch Sonderschule, Förderzentrum oder Schule für Behinderte genannt wird, kann von Schülern*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht werden (Edelstein, 2013, Abs. 1). Der Begriff Sonderschule tauchte erstmals im 18. Jahrhundert auf. 1938 begann in einzelnen deutschen Ländern die Einführung des sogenannten Reichsschulpflichtgesetzes. Dieses Gesetz umfasste die Pflicht zum Sonderschulbesuch für behinderte Kinder (Sander, 2008, S. 28-29 und Mürner & Sierck, 2012, S.77). Die Nationalsozialisten gelegen begrüßten das Reichsschulgesetz, weshalb es auch noch während und lange nach der NS-Zeit galt.
In den 1930er Jahren erschien der Begriff „Sonderschule“ erstmals im pädagogischen Bezug in einem Lexikon. In einem „Gutachten zur Ordnung des Sonderschulwesens“ (Mürner & Sierck, 2012, S.79) im Jahr 1960 setzte sich in einem Gutachten diese Bezeichnung auch in der Bundesrepublik Deutschland durch. In diesen Schulen wurden behinderte Kinder beschult und erzogen.
Im Wörterbuch Soziale Arbeit in der Ausgabe von 2021 beschreibt Bernitzke den Begriff Förderschule wie folgt (S.415-416):
Die Förderschule zielt auf eine schulische und berufliche Eingliederung, eine gesellschaftliche Teilhabe und eine eigenständige Lebensgestaltung ab. [...] Die Förderschulen berücksichtigen die individuellen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Schüler aus, wenn eine grundlegende Bildung vermittelt wird, an die sich eine berufliche Qualifizierung anschließt. Die Arbeitsformen, Gruppengröße und Anforderungen werden auf die behindertenspezifischen Einschränkungen abgestimmt. Das Lernen soll ganzheitlich erfolgen und den Schülern*innen Erfolgserlebnisse vermitteln, die ihr Selbstvertrauen stärken und damit zu einem positiveren Selbstkonzept führen. Die Förderschule wird als Lebens- und Erfahrungsraum verstanden, in dem das Kind Sicherheit und Geborgenheit, Vertrauen und Zuwendung, Hilfe und Förderung erlebt.
Laut Mürner und Sierck (2012, S. 79) gehören folgende Einrichtungen zu dieser Schulform: „Gehörlosenschule, Schwerhörigenschule, Sprachheilschule, Blindenschule, Sehbehindertenschule, Geistigbehindertenschule, Lernbehindertenschule, Körperbehindertenschule, Verhaltensgestörtenschule.“ Heute existieren je nach Bundesland bis zu elf verschiedene Typen von Förderschulen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten (Edelstein, 2013, Abs.1).
3.1.3 Förderschwerpunkte
In Deutschland wird zwischen verschiedenen Sonderschulformen durch sog. Förderschwerpunkte unterschieden (Bernitzke, 2021, S. 415). Die Kultusministerkonferenz (KMK) nimmt im Februar 2020 in ihrer Grafik auf Seite XV eine Einteilung der Förderschwerpunkte wie folgt vor:
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: KMK, 2020, S. XV, https://www.kmk.org/fileadmin/Da-teien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Dok223_SoPae_2018.pdf
Im Jahr 2018 wurden insgesamt 556.300 Schüler*innen mit einem Förderschwerpunkt unterrichtet (kmk, 2020, S. XV). 192.600 (34,6 %) Kinder wurden mit Schwerpunkt Bereich Lernen unterrichtet, was den größten Anteil der Förderschwerpunkte ausmacht. Dieser ist auf Schüler*innen anzuwenden, welche beim schulischen Lernen beeinträchtigt sind (Bernitzke, 2021, S. 415). Es liegt eine sogenannte Lernstörung vor (Lauth, Brunstein & Grünke, 2014 zitiert nach Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S.108). Diese hindert Schüler*innen daran, Wissen, Können und Verhaltensweisen in dem dafür vorgesehen Zeitraum zu erwerben. Andauernde Störungen in einzelnen Bereichen können Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) oder auch Dyskalkulie (Rechenstörung) sein. Ausdauernde Lernstörungen, welche sich insgesamt auf den Bereich Lernen auswirken, werden auch als Lernbehinderung bezeichnet. Eine strukturierte Lernumgebung, individuelle Lern- und Aneignungswege werden genutzt, um das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken und Lernerfolge zu ermöglichen (Bernitzke, 2021, S. 415). Häufige Ursachen für eine Lernstörung sind eine niedrige Aufmerksamkeitsspanne, der Erziehungsstil der Eltern sowie die schulischen Anforderungen und die Lernbedingungen (Geiling & Theunissen, 2009 zitiert nach Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 109).
Zweitgrößter Bereich mit 17,2 %, also 95.765 Schüler*innen im Jahr 2018, ist der Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Dieser verzeichnet seit 2009 (12,2 %) einen Anstieg von ca. 63 % (kmk, 2020, S. XV-XVI). Schulen mit diesem Schwerpunkt arbeiten häufig mit emotionaler Zuwendung für Schüler*innen (Bernitzke, 2021, S. 415). Sie sollen unter anderem lernen ihr Verhalten selbst zu regulieren und Grundverhaltensweisen zu entwickeln. In der Arbeit mit den Kindern soll angestrebt werden ihre Lernbereitschaft anzuregen, Leistungsfähigkeit zu verbessern und die Kinder für die Aufnahme schulischer Lerninhalte zu öffnen. (kmk, 2020, S. 124-125). Als weitere Kompetenzen nennt Stein (2006) zitiert nach Stein und Müller (2018, S.31) in einer Tabelle:
Tab. 1: Emotionale und soziale Kompetenzen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Stein und Müller, 2018, S. 31
Mit 16,9 % macht der Förderschwerpunkt geistige Entwicklung den drittgrößten Bereich aus (kmk, 2020, S. XV). Kuhlenkamp und Strobel (2016, S. 113) definieren geistige Behinderung wie folgt: „Eine geistige Behinderung ist eine weitreichende Lernbeeinträchtigung, die durch eine Hirnschädigung hervorgerufen werden kann und alle Entwicklungs- und Sozialisationsbereiche betrifft, die hochgradig abhängig sind von Lernprozessen.“ Deshalb steht nicht nur die kognitive Entwicklung im Vordergrund, sondern auch Maßnahmen zur Förderung der „sprachlichen, senso- und psychomotorischen, emotionalen und sozialen Entwicklung“ (kmk, 2020, S. 125). Selbstständigkeit und aktive Lebensbewältigung stehen als Ziele im Vordergrund. Die bestmögliche Erreichung dieser soll durch individuelle Förderpläne sichergestellt werden, welche eine Förderung in allen Entwicklungsbereichen vorsieht (Stöppler, 2017, S. 96). Schüler*innen sollen neben der Unterrichtung am Vormittag eine Betreuung und Unterstützung durch ein Nachmittagsangebot in Einrichtungen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung erhalten können (kmk, 2020, S. 125). Gründe für diese Beeinträchtigung können in pränatale (vorgeburtlich, z.B. Genmutationen), perinatale (während der Geburt, z.B. Sauerstoffmangel) und postnatale Ursachen (nach der Geburt, z.B. Vernachlässigung oder Tumore) eingeteilt werden (Seidel, 2006 zitiert nach Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 118).
Der Bereich Förderschwerpunkt Sprache, Sprechen und Kommunikation macht 10,1 % im Jahr 2018 aus (kmk, 2020, S. XV). Beim Oberbegriff Sprachbehinderung handelt es sich um Störungen bzw. Beeinträchtigungen des Sprechens und der Sprache. Vier Störungsbereiche, welche sich wiederum in Beeinträchtigungen äußern sind (Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 150-156):
1. Störungen der Sprachentwicklung (z.B. Dyslalien, Sprachentwicklungsverzögerung)
2. Störungen der Redefähigkeit / Kommunikationsstörungen (z.B. Poltern, Stottern)
3. zentrale und organisch bedingte Sprachstörungen (z.B. Aphasien, Dysarthrie)
4. Störungen der Stimme / Dysphonie (z.B. chronische Heiserkeit)
Ziel dieses Förderschwerpunktes ist die Freude der Schüler*innen am Gebrauch von Sprache und Kommunikation zu wecken.
6,8 % aller Schüler*innen wurden 2018 im Förderschwerpunkt körperlich motorische Entwicklung unterrichtet (kmk, 2020, S. XV). Körperbehinderungen lassen sich in Schädigungen des Zentralnervensystems (z.B. cerebrale Bewegungsstörungen), Schädigungen der Muskulatur und des Skelettsystems (z.B. Gliedmaßenfehlbildungen), Wachstumsstörungen (z.B. Kleinwüchsigkeit) sowie chronische Krankheiten und Fehlfunktionen von Organen (z.B. Asthma bronchiale) unterteilen (Greving & Niehoff, 2004 zitiert nach Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 99-103).
Beeinträchtigungen der Sinne werden in Förderschwerpunkt Sehen (1,7 %) und Hören (3,9 %) eingeteilt (kmk, 2020, S. XV). Eine Hörstörung, oder auch auditive Wahrnehmungsstörung genannt, behindert die Wahrnehmung von akustischen Reizen (Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 160). Unterschiedliche Ausprägungen der Störung ermöglichen leichte bis keine Wahrnehmung von Schallereignissen. Leonhardt (2009), zitiert nach Kuhlenkamp und Strobel (2016, S. 161-164), unterscheidet zwischen zwei Hörstörungen, welche auch in Kombination auftreten können. Er nennt die Schallempfindungsstörung mit den Ursachen Vererbung, Missbildung, Sauerstoffmangel, Nebenwirkungen von Medikamenten oder Kopfverletzungen, sowie die Schallleitungsstörung mit einer Infektion als Ursache. Die Schule setzt in der Arbeit mit diesen Schülern*innen auf verständliche Lautsprache und gebärdensprachliche Kommunikation (kmk, 2020, S. 127). Bei der Arbeit mit Kindern mit einer Sehstörung bzw. einer Störung der visuellen Wahrnehmung steht die Förderung des Restsehvermögens und die Bildung der „taktilen-kinästhetischen und auditiven Wahrnehmung“ im Vordergrund (ebd., S.126). Technische Hilfsmittel zur Kompensation der Auswirkungen der Störung werden in umfangreichem Maße genutzt, um den Schüler*innen die Erschließung der Umwelt zu ermöglichen und den Erwerb von lebenspraktischen Fertigkeiten zu fördern.
Als weitere Bereiche nennt die KMK die Bereiche Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung (LSE) mit 3,6 %, sowie übergreifende Förderschwerpunkte bzw. solche ohne Zuordnung mit 3,0 %.
Der Förderschwerpunkt lang andauernde Erkrankung bzw. Schule für Kranke nimmt 2,1 % in der Einteilung der KMK (2020, S. XV) ein. In diesem Bereich werden Schüler*innen beschult, welche aufgrund einer länger andauernden Krankheit zu Hause bleiben oder auch in regelmäßigen Abständen bzw. für längere Zeit sich in einem Krankenhaus aufhalten müssen (ebd. S. 127). Mit diesem Angebot soll einer Isolierung der erkrankten Kinder, sowie einer Gefährdung der schulischen Laufbahn entgegengewirkt werden.
Im Anhang nennt die KMK noch die „Empfehlung zu Erziehung und Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit autistischem Verhalten“ (2020, S. 128). Hierbei handelt es sich jedoch um keinen Förderschwerpunkt im traditionellen Sinne, weshalb auf diese Bezeichnung verzichtet werden kann. Für Schüler*innen mit Autismus gibt es keine Schulform, die nur für dieses Krankheitsbild zugeschnitten ist. Durch ein Gutachten soll jedoch herausgefunden werden, in welchem Förderbereich die bestmögliche Beschulung ermöglicht werden kann. Nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10), auf welche später in Punkt 3.2.2. noch näher eingegangen wird,
handelt es sich bei Autismus um eine angeborene, unheilbare, tief greifende Entwicklungsstörung. Diese betrifft die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsleistung des Gehirns. In deren Folge es zu Beeinträchtigungen kommt. Diese Beeinträchtigungen variieren in Form und Ausprägungsgrad. Die Erkennungsmerkmale sind früh erkennbare Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen, mit der Entwicklung von Stereotypien, Störungen der Kommunikationsfähigkeiten und Interaktion, der Sprache sowie schwere Störungen des Sozialverhaltens.
Unterschieden wird zwischen frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus und dem Asperger- Syndrom (Weltgesundheitsorganisation, 2013 zitiert nach Kuhlenkamp & Strobel, 2016, S. 140).
3.2 Behinderung und Eingliederung
Das Spektrum der Förderschwerpunkte ist breit gefächert und lässt einen ersten Einblick in die Vielfalt und Vielseitigkeit der einzelnen Förderschwerpunkte zu. Häufig steht dieser in Verbindung mit einer Behinderung, welche ebenfalls verschiedene Ausprägungen und Formen haben kann. In den nächsten Unterpunkten wird auf den Begriff Behinderung, die Klassifikationsmodelle von Erkrankungen / Behinderungen, sowie die Stufen der Eingliederung näher eingegangen.
3.2.1 Behinderung
Die Definition des Behindertenbegriffs kann im Kontext mit verschiedenen Lebenslagen unterschiedlich ausgelegt werden (Degener, 2021, S. 127). So sind in den verschiedenen Rechtsbereichen auch unterschiedliche Begrifflichkeiten und Definitionen im Zusammenhang mit Behinderung zu finden. „In der medizinischen Rehabilitation die Funktionsstörung, im Arbeitsrecht insb. der Schwerbehindertenstatus, im Gleichstellungsrecht ist es die Betroffenheit von Diskriminierung“ (ebd.). Im Schulrecht wird von sonderpädagogischem Förderbedarf gesprochen, wie unter 3.1.3. bereits näher ausgeführt wurde.
Behindert im erziehungswissenschaftlichen Sinn sind Kinder, Jugendliche und Volljährige, die im Sozialverhalten, in ihrem Leben, in der (sprachlichen) Kommunikation oder der Psychomotorik beeinträchtigt sind und dadurch eine Teilhabe des öffentlichen Lebens sichtlich erschwert wird (Deutscher Bildungsrat, 2011 zitiert nach Mürner, Ch. & Sierck, U., 2012, S. 81).
Die rechtliche Definition wurde historisch betrachtet sehr unterschiedlich ausgelegt (Degener, 2021, S. 127). Ursprünglich war das Verständnis von Behinderung ein anderes (Neuer-Miebach, 2021, S.119). Dieses bezog sich allein auf das Individuum und dessen Defizite. Seit den 1990er Jahren orientiert sich die Beschreibung des Behindertenbegriffs im SGB IX an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Degener, 2021, S. 127). Das Blickfeld für die Definition von Behinderung wurde, durch die Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), erweitert. Barrieren im sozialen, gesellschaftlichen oder räumlichen Sinne wurden so in das Verständnis von Behinderung mit inbegriffen (Neuer-Miebach, S. 2021, S. 119). Durch die Einführung des Bundes-Teilhabe-Gesetzes (BTHG) 2017 wurde die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland vorangetrieben. In diesem Zuge wurde auch die Definition von Behinderung im SGB überarbeitet.
Der zentrale Behindertenbegriff wird seit jeher wie folgt definiert (§ 2 Abs. 1 SGB IX):
Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sin- nesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
Schwerbehindert ist nach § 2 Abs. 2 SGB IX wessen Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 Prozent beträgt.
In Deutschland wird zwischen verschiedenen Behinderungen unterschieden (Neuer-Miebach, 2021, S. 119). Eine genaue Ausführung der daraus resultierenden Förderschwerpunkte wurde bereits unter 3.1.3. vorgenommen. Eine solche Unterteilung ist aber nicht in allen Ländern der Fall. Um spezifische Leistungsansprüche für Menschen mit Behinderung besser ermitteln zu können, werden häufig Klassifikationsmodelle, wie beispielsweise die ICF oder der ICD verwendet. Diese und weitere Modelle werden im nächsten Unterpunkt weiter ausgeführt.
3.2.2 Klassifikationsmodelle
In der verwendeten Fachliteratur und der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) werden unterschiedliche Klassifikationsmodelle genannt. Stöppler (2017, S.20-25) erklärt die Systeme „American Association on Mental Retardation“ (AAMR), „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF), „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10) und „Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen“ (DSM-IV[2]). Das BfArM (2022d) nennt die ICD, den OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel), die ICHI (International Classification of Health Interventions), die ATC (Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikation), die IVD-EDMA (In-vitro-Di- agnostika-European Diagnostic Manufacturers Association) und die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health). Fornefeld (2013, S.64-71) beschreibt die Klassifikationssysteme DSM-IV, ICF und ICD-10(-GM).
In der ICD-10 (10. Revision) werden hauptsächlich Gesundheitsprobleme klassifiziert (DIMDI, 2005, S. 9-10). In der ICF werden Funktionsfähigkeit und Behinderung, in Verbindung mit einem Gesundheitsproblem klassifiziert. Diese beiden Systeme ergänzen einander gut und sollen nach dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gemeinsam verwendet werden. Deshalb wird im Folgenden genauer auf die ICF und die ICD Klassifikation eingegangen. Modelle wie OPS, ICHI, ATC und IVD-EDMA finden durch ihre Zielsetzung vor allem in der Medizin Verwendung und spielen somit in Bezug auf Inklusion eine unbedeutende Rolle (BfArM, 2022d). Die ICF wurde von Hausotter (2008, S. 78) bereits in Bezug mit Integration als „wichtiges Dokument“ betitelt.
„Die ICD-10 stellt eine ,Diagnose‘ von Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder anderen Gesundheitszuständen zur Verfügung“ (ebd., S. 10). Die ICD-11 wurde im Mai 2019 verabschiedet. In Kraft getreten ist diese im Januar 2022 (BfArM, 2022b, Abs. 2). Der genaue Zeitpunkt der Einführung der deutschen Abänderung ,German Modification’ (GM) ist noch unbekannt. Die Übersetzung der ICD-11 ins Deutsche wurde im Jahr 2018 begonnen (ebd., Abs. 22). Seit 1. Januar 2022 ist jedoch die ICD-10-GM in der Version 2022 zu verwenden. Die ICD-10-GM wird jährlich überarbeitet (BfArM, 2021, S. 4). Bevorzugt wird dieses Klassifikationssystem zur Kodierung der Morbidität verwendet. Die Abrechnung von stationären und ambulanten Leistungen, die Erstellung von Statistiken und die Qualitätssicherung basieren ebenfalls auf der Nutzung der ICD-10-GM (ebd., Abs. 13).
Das BfArM stellt die deutsche Abänderung zum kostenlosen Download online bereit, sowie eine online Kode-Suche (BfArM, 2022c).
ICF stellt ebenfalls ein Klassifikationsmodell der WHO dar (BfArM, 2022a). Diese englischsprachige Originalausgabe wurde 2001 veröffentlicht und stellt die Weiterentwicklung der „International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps“ (ICIDH) von 1980 dar (Fornefeld, 2013, S. 68). Die deutsche Fassung steht seit September 2005 unter dem Titel „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ zur Verfügung und kann kostenlos über das BfArM heruntergeladen werden. Herausgeber ist hier das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Des Weiteren stellt das BfArM eine kostenlose online Kode-Suche für die ICF Klassifikation bereit. Die ICF findet in verschiedenen Bereichen und Disziplinen Anwendung (DIMDI, 2005, S. 11). Sie wurde als Mehrklassifikationsmodell entwickelt und verfolgt spezifische Ziele:
· „wissenschaftliche Grundlage für das Verstehen und das Studium des Gesundheitszustands und der mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände“
· „gemeinsame Sprache für die Beschreibung des Gesundheitszustandes“ zur Verbesserung der Kommunikation unter den Benutzern
· „Datenvergleiche zwischen Ländern, Disziplinen im Gesundheitswesen, Gesundheitsdienst, sowie im Zeitverlauf“
· „systematisches Verschlüsselungssystem für Gesundheitsinformationssysteme“ (ebd.).
Anwendung findet das System als Instrument für Statistiken, die Forschung, die gesundheitliche Versorgung, die Sozialpolitik und die Pädagogik. „Die ICF bezieht sich auf und enthält die Rahmenbedingungen für die Herstellung von Chancengleichheit von Personen mit Behinderung“ (ebd.). Informationen werden in der ICF in zwei Teile gegliedert (ebd., 13-14). Der erste Teil befasst sich mit Funktionsfähigkeit und Behinderung mit den dazugehörigen Komponenten „Körper“, sowie „Aktivitäten und Partizipation“. Der zweite Teil umfasst die Kontextfaktoren mit den Komponenten „Umweltfaktoren“ und „Personenbezogene Faktoren“. Die ICF wendet sich von der defizitorientierten Sichtweise alter Klassifikationsmodelle ab (Hausotter, 2008, S. 78). Begriffe wie „Körperfunktionen, Aktivitäten und Partizipation“ lösen Begrifflichkeiten wie „Schädigung, Beeinträchtigung und Benachteiligung“ ab. Sie soll auch dazu verhelfen, Bedarfe in den Bereichen Therapie, Pflege, Unterstützung oder Assistenz individuell besser anzupassen (Fornefeld, 2013, S. 70-71).
3.2.3 Stufen der Eingliederung
Heute wird zwischen vier Stufen der Eingliederung unterschieden:
Abb. 2: Stufen der Eingliederung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Aehnelt, 2016, Internetseite, http://www.robertaehnelt.de/in- dex.php/bildung/inklusion
Exklusion stammt vom lateinischen Wort exclusio ab und bedeutet Ausschließung / Ausgrenzung (Bibliographisches Institut GmbH, 2022a). Bildungsunfähige, behinderte Kinder und Jugendliche werden hier vom Bildungssystem ausgeschlossen. Dies soll der schwarze Kreis in der Abbildung darstellen (Sander, 2008, S. 28; Kulke, 2021, S. 432).
Hergeleitet wird der Begriff Segregation vom spätlateinischen Wort segregatio und vom lateinischen segregare, was trennen bedeutet (Bibliographisches Institut GmbH, 2022b). Es meint die Trennung bzw. Ausscheidung von Personen(gruppen) mit gleichen Merkmalen von Personen(gruppen) mit anderen Merkmalen und dient zur Kontaktvermeidung. In Bezug auf das Bildungssystem meint Segregation die Aussonderung der Schüler*innen nach Fähigkeiten und Eigenschaften (Kulke, 2021, S. 432). Behinderte Schüler*innen werden hier also als bildungsfähig betrachtet. Sie haben eine Schulpflicht zu erfüllen und werden in für sie geeigneten Schulen (Förder- bzw. Sonderschulen) gesondert nach eigenem Lehr- bzw. Förderplan unterrichtet. Diese Schulen werden durch die kleinen Schwarzen Kreise dargestellt.
Der Begriff Integration wird vom lateinischen Wort integratio abgeleitet, was die Wiederherstellung eines Ganzen bedeutet (Bibliographisches Institut GmbH, 2022c). Es soll die zuvor getrennten Per- sonen(gruppen) aus der Segregation wieder zusammenfügen, sodass sie gemeinsam, aber nebeneinander lernen (Kulke, 2021, S. 432). Die zuvor separierten Kinder und Jugendlichen werden also eingegliedert. Bei der Umsetzung wird zwischen unterschiedlichen Stufen der Integration unterschieden, wie z.B. Außen- oder Kooperationsklassen oder die Einzelintegration. Diese werden ebenfalls in der Abbildung durch einen angegliederten schwarzen Kreis bzw. durch den kleinen Kreis im großen Ganzen dargestellt.
Inklusion kommt vom lateinischen Wort inclusio (Bibliographisches Institut GmbH, 2022c). Seit den 1980er und 1990er Jahren findet er auch Gebrauch in der Sozialen Arbeit und in der Soziologie. Im pädagogischen Bezug meint Inklusion die gemeinsame Erziehung beeinträchtigter und nicht beeinträchtigter Kinder und Jugendlichen an Kindergärten und Schulen (Bibliographisches Institut GmbH, 2022c). Alle lernen gemeinsam und die Strukturen passen sich den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlicher an. Man spricht bei Inklusion im Deutschen vom Begriff „Einschließen“ (Kulke, 2021, S. 431). Es werden somit keine Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgegrenzt und es findet keine Differenzierung auf institutioneller Ebene statt. Dies soll durch die schwarze Umrandung in der Abbildung dargestellt werden. Es kann und soll keine klare Abgrenzung mehr stattfinden.
Historisch gesehen werden die Stufen Exklusion, Segregation / Separation, Euthanasie / Vernichtung, Normalisierung, Kooperation, Integration und Inklusion / Teilhabe genannt. Stöppler (2017, S. 69) stellt den geschichtlichen Verlauf in einem Zeitstrahl dar. Auf welchen im weiteren Verlauf näher eingegangen wird.
Abb. 3: Historische Entwicklung - Von der Exklusion zur Inklusion
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Stöppler, 2017, S. 69
Die Exklusion findet ihren Beginn im Altertum und reicht bis zur Zeit der Aufklärung / Neuzeit. Hier wurden geistig behinderte Kinder in sogenannten alten Hochschulen getötet oder ausgesetzt (Stöpp- ler, 2017, S. 70 zitiert nach Merkens, 1988). Behinderte Menschen wurden meist in den Familien vor der Öffentlichkeit versteckt (Sander, 2008, S. 28). Einige Armenhäuser oder Hospize nahmen obdachlose Menschen mit Behinderung auf. Eine schulische oder berufliche Bildung gab es für diese Personengruppe nicht. Jedoch galt bis ins 19. Jahrhundert auch keine allgemeine Schulbesuchspflicht für nicht behinderte Personen.
Die Überzeugung zur Segregation oder auch Separation, wie sie von Sander (2008, S. 28) bezeichnet wird, entwickelte sich im 17. Jahrhundert und ging bis zum Beginn der NS-Zeit. Fürsten und Landesherren versprachen sich von einem gebildeten Volk einen höheren Wohlstand für das Land. Deshalb wurde die allgemeine Schulpflicht vorangetrieben und eine Beschulung auch für behinderte Kinder angestrebt. Aber nicht nur die Fürsten zeigten Interesse, sondern auch Pädagogen*innen wie Pestalozzi und Comenius beschäftigten sich mit der „Bildbarkeit von Menschen mit geistiger Behinderung“ (Stöppler, 2017, S. 70). Um 1800 wurden die ersten Einrichtungen geschaffen, an welchen blinde, gehörlose, körperbehinderte und geistigbehinderte Schüler*innen getrennt vom übrigen Schulwesen beschult wurden (Sander, 2008, S. 29-30). Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden die Eltern dann dazu verpflichtet, ihre behinderten Kinder in einer Sonderschule separiert unterrichten zu lassen. 1980 entstand die Hilfsschule, an welcher Kinder beschult wurden, die mehrfach Klassen im normalen Schulwesen wiederholen mussten. Diese ist heute als Schule für Lernbehinderte bzw. Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen bekannt.
Das Sonderschulwesen kam den Nationalsozialisten sehr gelegen. Sie hatten zum Ziel, das deutsche Volk von allen vererblichen Kranken zu befreien (ebd.). Durch Zwangssterilisationen und Euthanasiemorde wurde ihr Ziel in die Praxis umgesetzt. Die Separation in Schulen vereinfachte die Umsetzung, da die Zielgruppe wie in einem Sammelbecken auffindbar war und nicht gesucht werden musste. Die Nazis hatten die Ansicht, dass Erbkranke die Existenz des Volkes gefährden und verabschiedeten deshalb am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, welches am 1. Januar 1934 in Kraft trat (Stöppler, 2017, S. 72 zitiert nach Ellger-Rüttgardt, 2008). Circa 400.000 Personen wurden im Nationalsozialismus zwangssterilisiert. Ab Oktober 1939 begann dann die Tötung „Lebensunwerten Lebens“, die Euthanasie (Stöppler, 2017, S. 72-73). Die Zeit der Vernichtung und sogenannten Euthanasie dauerte die NS-Zeit bis zum Beginn der Normalisierung 1945 an.
Diese war durch das Normalisierungsprinzip gekennzeichnet. In Deutschland bekam dieses vor allem durch die Veröffentlichung der Psychiatrie-Enquete Gehör (Stöppler, 2017, S. 74 zitiert nach Schildmann, 1997, S. 92). Diese forderte die Unterbringung geistig behinderter Menschen außerhalb von psychiatrischen Kliniken. Das Normalisierungsprinzip hatte zum Ziel, den bisher ausgesonderten Personenkreis in den gesamtgesellschaftlichen Kontext zu integrierten (Stöppler, 2017, S. 74 zitiert nach Bank-Mikkelsen 1978).
Der Schwede Bengt Nirje formulierte in den 1960er Jahren acht Forderungen in Bezug zum Normalisierungsprinzip (Stöppler, 2017, S. 74 zitiert nach Thimm, 1984, 19f.):
1. „normaler Tagesrhythmus
2. Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen
3. normaler Jahresrhythmus
4. normaler Lebenslauf
5. Respektierung von Bedürfnissen
6. angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern
7. normaler wirtschaftlicher Standard
8. normale Standards von Einrichtungen“
Sander (2008, S. 30-31) beschreibt in den 1960er Jahren das Heranwachsen einer kritischen Generation, welche zu gesellschaftlichen Bewegungen führte. Diese stellten die bisherigen Strukturen infrage und sprachen von sozialer Ungleichheit. Schulische Separation wurde negativ betrachtet und das Sonderschulwesen heftig kritisiert. Eine Reaktion auf diese Bewegungen war der Beginn der Kooperation von Sonderschulen mit allgemeinen Schulen, z.B. in Form einer Partnerklasse. Die Formen der Kooperation wurden 1980 in Berlin bei einem Symposion theoretisch vorgestellt. Weitgehend wurde die Theorie aber nicht in die Praxis umgesetzt. Bildungspolitisch gesehen wird aber noch heute auf Kooperation zwischen den verschiedenen Schulsystemen gesetzt.
Zeitgleich wurden in den 1960er Jahren durch empirische Forschung in der Erziehungswissenschaft bereits vorherrschende Zweifel an der Wirksamkeit von Sonderschulen bestätigt (ebd., S. 31 -34). Die 1973 veröffentlichten Erwägungen des Deutschen Bildungsrats bestärkten diese Zweifel weiter. Fast zeitgleich forderten auch Vereinigungen erwachsener behinderter Menschen ihr „Menschenrecht auf Nichtaussonderung in allen gesellschaftlichen Feldern ein“ (ebd., S.31). Im weiteren Verlauf führte dies in den 1970er und 1980er Jahren zu einem Zusammenschluss von Eltern behinderter Kinder (Stöppler, 2017, S. 75 zitiert nach Hinz, 2007, S. 251). Sie gründeten eine Elterninitiative und stellten eine separierte Beschulung für behinderte Kinder und Jugendliche an Sonderschulen infrage und forderten die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung. Unterstützt wurden diese durch „Eltern nichtbehinderter Kinder, durch Pädagoginnen und Pädagogen von Kindergärten und Grundschulen, durch Fachleute aus der universitären Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft oder auch durch aufgeschlossene Sonderschullehrer und -lehrerinnen“ (Sander, 2008, S. 31). Diese Bemühungen verzeichneten Erfolge und ebneten den Weg zur Integration. Für die Integrationspädagogik wurden wichtige Inhalte und Zielsetzungen in der Salamanca-Deklaration der UNESCO formuliert (Stöppler, 2017, S. 75 zitiert nach UNESCO Salamanca Statement, 1994). Diese forderte 1994 die Bildung für alle. Auf diese Erklärung folgte 2000 die „Empfehlung zur sonderpädagogischen Förderung“ der KMK (Stöppler, 2017, S. 76 zitiert nach KMK, 1998). „Integration im Schulalter meint die aktive und effektive Teilnahme von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen aller Arten und Schweregrade am Unterricht und sonstigen Schulleben auf allen Schulstufen in wohnortnahen Regelschulklassen etwa gleichaltriger Nichtbehinderter“ (Sander, 2008, S. 32). Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen werden stundenweise im Ko-Unterricht oder durch das Zwei-Lehrer-System beschult. Die Unterrichtung erfolgt „zielgleich“, d.h. es gilt für behinderte und nichtbehinderte Schüler*innen das gleiche Lehrplanziel oder „zieldifferent“, d.h. individuelle Förderpläne für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In den meisten deutschen Ländern hatten Eltern eines Kindes mit Behinderung nicht die Wahl zwischen Sonderschule und Integration, sondern nur zwischen einem Antrag zur Integration und dem Besuch der Sonderschule. Der Antrag konnte aus Haushaltsgründen von der Schulbehörde abgelehnt werden. Der Integrationsbegriff wurde daher auch kritisch betrachtet, da er eine Integration nicht für alle ermöglichte und eine Gruppenbildung aufgrund des Leistungsniveaus implizierte (Stöppler, 2017, S. 76 zitiert nach Hinz, 2006, S. 149). Daher wurde dieses Konzept vom aktuell angestrebten Ziel der Inklusion abgelöst. Inklusion stellt eine optimierte und erweiterte Form der Integration dar und benötigt daher einen Rückblick auf den ursprünglichen Integrationsbegriff (Sander, 2008, S. 35). Inklusive Pädagogik kann auch als allgemeine Pädagogik bezeichnet werden, welche die Verschiedenheit von Kindern und Jugendlichen anerkennt und Bildung darauf aufbaut.
- Citation du texte
- Roswitha Biebl (Auteur), 2022, Inklusion an Grundschulen. Wie kann sie gelingen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1254555
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