Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Organtransplantation und stellt die Frage, ob spenden Pflicht sein sollte.
Organspende – Die Entscheidung zählt! Diese Aufklärungskampagne der BZgA soll helfen, besser über postmortale Transplantationen innerer Organe aufzuklären. Sie zielt vor allem auf den dringenden Entschluss für oder gegen die Organspende ab. Neben der Entscheidung stellt auch die Frage nach einer Organspendepflicht einen aktuellen, tiefgreifenden Konflikt dar.
Das Verfahren der Organspende ist dabei noch sehr jung: 1883 wurde von dem Schweizer Chirurg Theodor Kocher erstmalig Gewebe transplantiert – ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin, und bis heute eine gängige Heilungsmethode. Die Organtransplantation beschreibt das Übertragen der Organe von Verstorbenen oder Lebendspendern auf schwerkranke Patienten, deren Organfunktionen gestört sind.
Diese Thematik verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie sowohl die gängigste, als auch die umstrittenste Variante, Leben zu retten, darstellt: Tod kann lebenserhaltend sein. Auch der Kontakt mit der Problematik durch einen Fall innerhalb der Familie führte zur intensiven Auseinandersetzung und näheren Untersuchung von Organtransplantationen. Doch die modernisierte Organspende wirft Fragen auf:
Was spricht dafür, was dagegen?
Greift die postmortale Organentnahme in die Autonomie des Menschen ein?
Ist eine Organspendepflicht aus ethischer Sicht vertretbar?
Wie werden Transplantationen in Deutschland geregelt und wovon hängt die Spendenbereitschaft ab?
Ein Telefoninterview mit Betroffenen sowie eine digitale Umfrage sollen helfen, ebenjenen Fragen auf den Grund zu gehen. Die Umfrageergebnisse, sowie das Interview, werden in den einzelnen Kapiteln analysiert.
Ziel dieser Arbeit ist es, eine mögliche Organspendepflicht kritisch zu hinterfragen und das Für und Wider der Transplantationsmedizin zu diskutieren. Die Frage nach der Angemessenheit des Hirntodkriteriums bleibt hierbei unberücksichtigt, da diese den Rahmen der Arbeit überschreiten würde.
Außerdem dient die schriftliche Ausarbeitung zur Aufklärung und Meinungsbildung des Lesers. Die Schwerpunkte liegen herbei auf den ethischen Grundsteinen der Organspende und den Möglichkeiten zur Regelung einer Organspendepflicht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bereitschaft zur Spende
2.1 Zwischenmenschliche Differenzen
2.2 Religiös geleitete Ansichten
2.3 Ethische Aspekte
3. Der Mensch als “Ersatzteillager”?
3.1 Schockierende Erfahrungsberichte
3.2 Von Skandal bis Organhandel
4. Umgang mit der Diagnose
4.1 Alternativen für eine Transplantation
4.2 Psychische Belastungen
5. Organspendepflicht
5.1 Systeme zur Regelung von Organtransplantationen
5.2 Europaweite Spendenbereitschaft
5.3 Situation in Deutschland
5.4 Mögliche Lösungswege
6. Schlusswort
7. Literaturverzeichnis
8. Bildverzeiclmis
9. Abkürzungsverzeichnis
10. AbbildmigsVerzeichnis
10.1 Umgang mit der Diagnose
10.2 Organspendepflicht
11. Anhang
1. Einleitung
„Organspende - Die Entscheidung zählt!“1 Diese Aufklärungskampagne der BZgA soll helfen, besser über postmortale Transplantationen innerer Organe aufzuklären. Sie zielt vor allem auf den dringenden Entschluss für oder gegen die Organspende ab. Neben der Entscheidung stellt auch die Frage nach einer Organspendepflicht einen aktuellen, tiefgreifenden Konflikt dar, welcher im Folgenden diskutiert wird. Das Verfahren der Organspende ist dabei noch sehr jung: 1883 wurde von dem Schweizer Chirurg Theodor Kocher erstmalig Gewebe transplantiert2 - ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin, und bis heute eine gängige Heilungsmethode. Die Organtransplantation beischreibt das Übertragen der Organe von Verstorbenen oder Lebend- spendern3 auf schwerkranke Patienten, deren Organfunktionen gestört sind. Diese Thematik verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie sowohl die gängigste, als auch die umstrittenste Variante, Leben zu retten, darstellt: Tod kann lebenserhaltend sein. Auch der Kontakt mit der Problematik durch einen Fall innerhalb der Familie führte zur intensiven Auseinandersetzung und näheren Untersuchung von Organtransplantationen. Doch die modernisierte Organspende wirft Fragen auf: Was spricht dafür, was dagegen? Greift die postmortale Organentnahme in die Autonomie des Menschen ein? Ist eine Organspendepflicht aus ethischer Sicht vertretbar? Wie werden Transplantationen in Deutschland geregelt und wovon hängt die Spendenbereitschaft ab?
Ein Telefoninterview mit Betroffenen, sowie eine digitale Umfrage sollen helfen, ebenjenen Fragen auf den Grund zu gehen (Anh. 20-25). Die Umfrageergebnisse, sowie das Interview werden in den einzelnen Kapiteln analysiert. Diese Formen der Eigenleistung eignen sich besonders gut für die komplexe Leistung, weil dadurch die subjektiven Wahrnehmungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zum Thema Organspende und Organspendepflicht am besten erfasst und dargestellt werden können. Ziel dieser Arbeit ist es, eine mögliche Organspendepflicht kritisch zu hinterfragen und das Für und Wider der Transplantationsmedizin zu diskutieren. Die Frage nach der Angemessenheit des Hirntodkriteriums bleibt hierbei unberücksichtigt, da diese den Rahmen der Arbeit überschreiten würde. Außerdem dient die schriftliche Ausarbeitung zur Aufklärung und Meinungsbildung des Lesers. Die Schwerpunkte liegen herbei auf den ethischen Grundsteinen der Organspende und den Möglichkeiten zur Regelung einer Organspendepflicht.
2. Bereitschaft zur Spende
“Ich bin Organspender, weil ich ungern Dinge wegschmeiße, die vielleicht wer anders gebrauchen kann.”4 Dieser Satz wurde 2016 Twitter-Userin “@kulturbolschewi” veröffentlicht. Doch nicht jeder spricht sich, wie @kulturbolschewi, zugunsten einer solchen Transplantation aus. Skepsis und Zustimmung können abhängig von verschiedenen Faktoren sein. Bspw. ergab sich bei der Auswertung der Umfrage, dass mehr Befragte als vermutet die Organspende nicht unterstützen. (Abb. 6, Anh. 20-22) Daran ist besonders gut sichtbar, dass die Selbstverständlichkeit, “ja” zur Spende zu sagen, nicht die Regel darstellt. Genau dieser Punkt erweist sich als Problem, dessen Ursachen es herauszufinden gilt. Woran liegt es, dass Menschen so unterschiedlich über die Thematik “Organtransplantationen” denken?
2.1 Zwischenmenschliche Differenzen
In der Umfrage (Anh. 20-22) wurden die Aspekte Alter, Wissensstand zur Transplantationsmedizin, und emotionale Beteiligung bzgl. der Entscheidung für oder gegen eine Organspende, erfragt. Welchen Einfluss hatten diese Faktoren auf die Wahl der Teilnehmer? Zuerst lässt sich vermuten, dass es unterschiedliche Positionen aufgrund des Alters gibt. Die Umfrage hat 65 Personen von 15 bis 69 J. erfasst. Da die Differenz von 54 J. eine große Ausdehnung annimmt, sind altersmäßig beeinflusste Meinungen nicht sehr abwegig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Altersverteilung bezogen auf die Meinungen zu einer Organspendepflicht
Quelle: eigener Entwurf
Anhand der Statistik wird jedoch sichtbar, dass sich Befürworter und Gegner einer Organspendepflicht altersmäßig nur unwesentlich unterscheiden. Rechtsseitig sind ein paar wenige Teilnehmer über 60 J. zu sehen, welche links nicht vertreten sind. Die Seite der Befürworter zeigt mehr “Teenager” von 15 bis 20 J. Diese Unterschiede sind jedoch so klein, dass sich anhand dessen keine allgemeingültige Festlegung zu altersspezifischen Meinungen treffen lässt. Hier anzumerken, dass auch nicht das Mindestalter einer Spende die Entscheidung der Teilnehmer beeinflusst hat, da alle über 14 Jahre alt sind. Ab diesem Alter ist es nämlich möglich, einer Organentnahme zu widersprechen. Aktive Zustimmung kann ab 16 Jahren im Organspendeausweis oder der Patientenverfügung dokumentiert werden.5
Der zweite Gedanke beschreibt unterschiedliche Meinungen aufgrund des Wissensstandes zum Thema Organspende. Die Befragten haben wie folgt auf die Frage “Sind sie bereits vor dieser Umfrage mit dem Thema Organspende in Kontakt gekommen?”, geantwortet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Kontakt der Befragten zum Thema Organspende
Quelle: eigener Entwurf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3 Spendenbereitschaft in Abhängigkeit vom Kontakt zum Thema Organspende
Quelle: eigener Entwurf
Bei näherer Betrachtung von Diagramm 3 bzgl. der Entscheidungen zur Organspendepflicht, lässt sich feststellen, dass keine allgemeine Aussage zur Meinungsbildung auf Basis des Aufklärungsstandes möglich ist. Der Grund dafür: Die Stimmzahlen gleichen sich fast, unabhängig vom Wissenstand der Befragten. “Dafür” schneidet bei den Teilnehmern ohne Kontakt zur Organspende mit ca. 48%, “Dagegen” mit ca. 52%, ab. Etwa 49% der Befragten, welchen das Thema bereits bekannt war, stimmten “Dafür”, 51% “Dagegen”. Daran wird erkennbar, dass auch dieser Faktor keine entscheidende Rolle bei der Meinungsbildung spielt.
Drittens ist es möglich, dass sich die Meinungen in der emotionalen Beteiligung der Befragten unterscheiden, bzw. in den Bereichen, in denen sie mit der Organspende konfrontiert wurden. Hierzu sollten die Teilnehmer die Frage “Sind [...] Personen ihres näheren Umfeldes von einer Organspende betroffen?”, beantworten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4 Berührungspunkte mit Organtransplantationen
Quelle: eigener Entwurf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5 Spendenbereitschaft in Abhängigkeit von den Berührungspunkten
Quelle: eigener Entwurf
Der Großteil der Befragten war emotional nicht stark beteiligt. Entgegen aller Erwartungen wird besonders in Abb. 5 deutlich, dass bei größerer emotionaler Beteiligung mehr Ablehnung bzgl. einer Organspendepflicht auftritt. Doch warum ist das so? Wäre es nicht naheliegend, dass Betroffene, welchen die nervenaufreibende Suche nach einem Spenderorgan bekannt ist, eher positiv bzgl. der Pflicht eingestellt sind, da sie wissen, wie viel eine Spende bedeuten kann? Begründend wurde angegeben, dass die Organspendepflicht aufgrund von Organhandel oder dem Selbstbestimmungsrecht nicht vertretbar sei. Überraschend ist ebenfalls, dass Teilnehmer, deren Umfeld nicht betroffen ist, vermehrt für die Pflicht gestimmt haben. Somit scheinen sich die Berührungspunkte mehr oder weniger auf die Entscheidung der Befragten auszuwirken. Anhand dessen lässt sich herleiten, dass die Entscheidung für oder gegen die Organspende abhängig von mehreren Faktoren ist und sich nicht auf einen speziellen Aspekt zurückführen lässt. Faktoren wie Religiosität, persönliche Erfahrungen und moralische Perspektiven scheinen ebenfalls Einfluss darauf zu haben.
2.2 Religiös geleitete Ansichten
Oft wird die Religion für eine negative Einstellung zur Organspende angeführt. Auch die Umfrageteilnehmer forderten, religiöse Lebensweisen bzgl. der Organspendepflicht zu berücksichtigen. Doch wie stehen die Religionen wirklich zur Transplantationsmedizin? Im Folgenden werden beispielhaft Christentum, Judentum und Islam betrachtet.
"Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst"6 - so ist es in der Bibel zu lesen. Demnach steht das Christentum der Organspende positiv gegenüber. Ein Organspender verkörpert Nächstenliebe und moralisch verantwortliches Handeln. Dabei beweist nicht nur der Spender seine Nächstenliebe, sondern auch Angehörige, insofern sie der Organentnahme zustimmen. Ein wichtiges Gebot im Judentum ist es, Leben zu retten. Dennoch sind liberale und orthodoxe Juden bzgl. der Organspende geteilter Meinung. Liberale Juden legen mehr Wert auf das Leben, als auf den intakten Leichnam, während orthodoxe Juden vom Gegenteil überzeugt sind. Seit jedoch das Chefrabbinat die Organspende akzeptierte, sind Gläubige sogar per Gebot aufgerufen, zu spenden. Diese steigende Akzeptanz stellt eindeutig einen großen Fortschritt dar. Im traditionellen Islam gehört der Körper ausnahmslos Allah und darf deshalb nicht zur Organspende freigegeben werden. Sollte die Spende für den Patienten jedoch die einzige Überlebenschance sein, zeugt die Organ- entnahme bei modernen Muslimen von Nächstenliebe. Je nach Lebensweise ist die Organspende also mit dem Islam vereinbar - oder nicht.7
2.3 Ethische Aspekte
Besonders wichtig in Bezug auf eine Organspende sind ethische und moralische Ansichten. Ist die Organentnahme, bzw. Organspendepflicht vertretbar, oder widerspricht dieses Verfahren den ethischen Prinzipien der Medizin? An welche Werte ist die Organspende gebunden, und wer trägt Verantwortung für wen?
Zwischen Spender und Empfänger entsteht eine komplexe Verbindung. Normalerweise weiß der Patient nicht, von wem das gespendete Organ stammt. Vom Spender geht trotzdem eine Verantwortung aus: Er ist verantwortlich dafür, ein Leben gerettet zu haben, da der Patient ohne neues Organ womöglich verstorben wäre. Diese Verantwortung kann ihre Anerkennung sogar nach dem Tod des Spenders beibehalten, da die “gute Tat” dieses Menschen durch das weiterlebende Organ nicht verfliegt. Doch lässt sich die Aussage auch umkehren? Ist ein Nicht-Spender verantwortlich, dass Menschen auf der Warteliste sterben? Einerseits wählt die Person, welche sich aktiv gegen eine Spende entscheidet, lieber den Tod anderer Personen, anstatt zu Spenden. Doch nicht jeder Nicht-Spender handelt aus Egoismus. Möglicherweise sind religiöse Aspekte, persönliche Erfahrungen, oder Lebensstile der Grund für den Widerspruch. Andererseits hat der Nicht-Spender keine direkte Verbindung zu einem bestimmten Patienten. Folglich wäre jeder nicht spendende Mensch für den Tod aller, und gleichzeitig keiner bestimmten Patienten verantwortlich. An dieser Stelle muss ein allgemeines Problem gelöst werden: Besteht auch vor der Entscheidung für oder gegen die Spende eine Verantwortung des Einzelnen gegenüber fremden Menschen? Alles, was eine Person tut, beeinflusst unbewusst seine Umwelt - agiert jemand aber bewusst unter Kenntnis sowohl der negativen, als auch der positiven Folgen, ist er verantwortlich für die Resultate seines Handelns. Deshalb ist es wichtig, zu betrachten aus welchem Grund Nicht-Spender widersprechen. Sollte also jemand willkürlich gegen die Spende aussagen, damit Patienten sterben, besteht die Verantwortlichkeit für deren Tod. Doch ist es dann angemessen, diesen ignoranten Menschen ein Organ zu verwehren, sollten sie es je benötigen? Nach der goldenen Regel der Ethik - “Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest”8 - wäre die Maßnahme gerechtfertigt, weil sie ebenjenen ethischen Leitfaden verfolgt. Jedoch nicht ohne Folgen: Es würde eine Kette der Engstirnigkeit und des Egoismus ausgelöst, da sich diese Regel immer auf den nächsten “Verweigerer” übertrüge. Hält man sich weiter daran, wäre es möglich, jeden von der Spende auszuschließen, der seine Organe Nicht-Spendern verweigert. Daraufhin würde der Aspekt der Hilfsbereitschaft einer Spende zum gnadenlosen Ignoranz-Kampf geformt werden, welcher sich wiederum durch den negativen Charakter nicht zur Unterstützung und Bewerbung von Organtransplantationen eignet.
Für ein moralisch richtiges Handeln gibt es auch in der Medizin ethische Grundsätze. Dazu zählen Autonomie des Patienten, Schadensvermeidung, Patientenwohl und soziale Gerechtigkeit.9 Doch sind diese Prinzipien mit der Organspende(-pflicht) vereinbar? Da derzeit in Deutschland einer postmortalen Organentnahme aktiv zugestimmt werden muss, wird der Aspekt der Autonomie eines Spenders momentan definitiv berücksichtigt. Bei einer Pflicht mit Widerspruchsregel bestünde das selbstständige Handeln des Einzelnen darin, die Organspende abzulehnen, anstelle zuzustimmen. Auch notwendig für die Spender-Autonomie ist ausreichende Aufklärung. Ebenfalls wurde das in der Selbstbestimmung enthaltene Prinzip des Datenschutzes umgesetzt, indem Organspender und Empfänger anonym bleiben müssen. Solange diese Punkte eingehalten werden, lässt sich eine Organspendepflicht mit dem Prinzip der Autonomie vereinbaren. Schadensvermeidung und Patientenwohl bedeutet, den Patienten mit so wenigen Nebenwirkungen wie möglich zu heilen und niemandem die Lebensgrundlage zu entziehen.10 Der Arzt muss also den Nutzen jeder OP gegen das Risiko abwägen, um dem Patienten so wenig wie möglich zu schaden. Besonders bei Lebendspenden ist dieses Kriterium sehr wichtig, da in dem Fall auch der Spender mit dem Eingriff ein beachtliches Risiko eingeht. Doch auch bei Sterbenden, welche sich potentiell als Spender eignen, muss das Prinzip des Patientenwohles umgesetzt werden. Sie als minderwertig und mit weniger Achtung zu behandeln, als andere Patienten, wäre demnach moralisch verwerflich. Auch sie besitzen nach dem Grundgesetz eine Menschenwürde, welche besagt, dass ausnahmslos alle Menschen gleichgestellt sind.11 Solange also das Patientenwohl von Spender und Empfänger bei der Organtransplantation im Vordergrund steht, ist die Organspende in diesem Punkt vertretbar. Auch eine Organspendepflicht würde nicht gegen dieses Prinzip verstoßen, insofern der Pflichtcharakter keine maßgeblichen Einflüsse auf die gesundheitliche Situation der Patienten und Sterbenden hat. Es ist also dieser Ansicht nach vertretbar, eine Pflicht zur Spende einzuführen, solange bei der Organspende respekt- und würdevoll mit Verstorbenen umgegangen wird. Soziale Gerechtigkeit kann durch Gleichstellung aller Patienten und eine gerechte Verteilung von Organen, unabhängig von deren Herkunft oder finanzieller Lage, erreicht werden. Werden diese Punkte eingehalten, bestehen aus Sicht der sozialen Gerechtigkeit keine Einwände gegen die Organentnahme bzw. Organspendepflicht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Organspende(-pflicht) prinzipiell nicht gegen die Grundsätze des moralisch korrekten Handelns in der Medizin widerspricht.
Es gilt jedoch nicht nur diese Prinzipien zu achten und die Frage nach Verantwortung zu klären, sondern auch weitere Wertvorstellungen, wie Integrität, Respekt, Nachhaltigkeit und Transparenz, umzusetzen.12 Das bedeutet, dass eine Organspendepflicht erst dann wirklich vertrauenswürdig wäre, wenn mit ihr diese Wertvorstellungen verwirklicht würden. Auch bei der Umfrage war der Wunsch der Teilnehmer nach der Erfüllung dieser Aspekte, in Bezug auf eine künftige Pflicht zur Spende, sehr stark. Selbstverständlich: Transparenz beispielsweise vermittelt nach außen eine vertrauenswürdige Atmosphäre. Das könnte der Organspende in Zukunft sehr zugute kommen, da Vertrauen eine geeignete Basis für mehr Spendenbereitschaft darstellt und ein gutes Licht auf die Transplantationsmedizin wirft. Allein dieser Aspekt könnte ausschlaggebend für wachsende Spenderzahlen sein und eine positive Einstellung zur Organentnahme hervorrufen. Integrität bedeutet Ehrlichkeit, und moralisch richtiges Handeln und Verpflichtungen nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Die Organspende kann somit als Chance gesehen werden, die eigene Integrität auszubauen. Mit der Pflicht zur Spende werden das moralisch richtige Handeln und die Hilfsbereitschaft des Einzelnen gegenüber den kranken Menschen gefördert, genau wie das ehrliche “Nein” zur Organentnahme. “Respekt” als Wertvorstellung spielt auch hier eine wichtige Rolle. ’’Erweise ich dem kranken Menschen durch eine Spende Respekt, indem ich ihm/ihr zeige, dass ich sein/ihr Leben genauso achte, wie das meine?“ - diese Frage könnten sich potentielle Spender stellen. Die Organspende aus Sicht der Nachhaltigkeit besagt, dass die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener im Mittelpunkt stehen sollte, sowie die gerechte Verteilung der Organe vorrangig an die Menschen, welche sie am dringendsten brauchen. Beide Aspekte werden jetzt bereits durch die Organspende und mithilfe von Eurotransplant umgesetzt. Auch bei einer Pflicht zur Spende müssen sie im Fokus liegen, da diese Prinzipien die Grundlagen für das Überleben der auf der Warteliste befindlichen Menschen darstellen.
3. Der Mensch als “Ersatzteillager”?
Maschinen, Werkzeuge und Fragmente - typische Assoziationen mit dem Wort “Ersatzteil”. Auf den ersten Blick findet sich hier keine Spur von Menschlichkeit. Oder doch? Übertragen auf Organtransplantationen wäre vergleichsweise der Spender das “Lager” und seine/ihre Organe die “Teile”, welche als “Ersatz” für kranke Organe des Empfängers dienen. In gewisser Weise ist es also doch möglich, einen Organspender als “Ersatzteillager” zu bezeichnen. Da stellt sich lediglich die Frage: Ist es denn überhaupt vertretbar, das Lebewesen Mensch wie ein unempfindliches, seelenloses Objekt zu betrachten?
3.1 Schockierende Erfahrungsberichte
Selten, jedoch schier unvermeidbar: Fälle, in denen genau das zum Problem wird. Renate Greinert vertritt seit dem Tod ihres Sohnes (1985) die Ansicht, dass “Mediziner, die einen schwerst[...]verletzten Patienten betreuen, ihn als Organreservoir betrachten [...], nur um ihn als Organspender optimal für andere zu konditionieren.” Sie ist der Meinung, dass “der Mensch als [...] Körper-Geist-Seele-Einheit gesehen werden muss, [...] nicht [...] rational[. . .].13 Noch heute steht sie der Transplantationsmedizin kritisch gegenüber. Renate G. hat guten Grund dazu. Nachdem ihr Sohn für tot erklärt wurde, drängten die Ärzte zu einer Entscheidung für die Organspende. Geplant war die Entnahme von Leber, Niere, oder Herz. Nachdem die Mutter unwissentlich zustimmte, ließ sie ihren Sohn, welcher zu diesem Zeitpunkt noch aussah, als schliefe er, im Krankenhaus zurück. Zur Beerdigung der Schock: Der Leichnam erinnerte Renate G. “an ein ausgeschlachtetes Auto, dessen unbrauchbare Teile lieblos auf den Müll geworfen wurden.”14 Dem 15-jährigen wurden jegliche Organe entnommen, Knochen herausgesägt, sogar die Augen entfernt. Zu diesem Zeitpunkt, sah Greinerts Sohn dann wirklich aus, als wäre er tot. Die Kleidung wurde ihr zerrissen in einem Müllsack überreicht und sämtliche Wertgegenstände fehlten. Als “Recyclinggut” bezeichnet die Mutter die Überbleibsel des Toten. Die Bezeichnung “Ersatzteillager” lässt sich jedoch genauso gut anbringen.
Dieser Umgang mit Sterbenden hat nichts mehr mit einer Spende und einem menschenwürdigen Ableben zu tun, es handelt sich vielmehr um eine Organentnahme um jeden Preis. Zu betonen ist aber, dass diese Vorkommnisse keinesfalls die Regel darstellen. Vertreten war der Wunsch nach Achtung der Menschenwürde insb. unter den Umfrageteilnehmern (Anh. 20-22). Menschenwür- de bedeutet bzgl. dessen nicht nur, jede Person zu Lebzeiten gleich zu werten, sondern auch, dass der Verstorbene nach dem Tod seinen Wert behält. Unter einem menschenwürdigen Ableben versteht man dahingehend, dass der tote Spender behandelt werden muss wie der lebendige Empfänger.15 Demnach sollte eine Organspende nur zulässig sein, wenn der Spender nicht respektlos ausgenutzt wird: Der Tod dieses Menschen ist genauso zu achten, wie das Leben des Organempfängers.
3.2 Von Skandal bis Organhandel
Als Argument gegen die Spende wurden z. T. Organspende-Skandale und illegaler Organhandel von den Umfrageteilnehmern angebracht. Bezüglich der Ablehnung der Organspende wurde bspw. geantwortet: “Aufgrund der Tatsache das Organhandel betrieben wird und die Wege der Organe scheinbar nicht gut 'durchleuchtet' sind.”
Ein bekannter Organspende-Skandal fand bspw. im Jahre 2012 statt. Hier fälschte ein Arzt der Uni-Klinik Göttingen Krankenakten, um Patienten für eine Lebertransplantation zu bevorzugen. Das widersprach dem Transplantationsgesetz und Dr. O. machte sich somit strafbar. Durch solche Vorfälle kommt bei potentiellen Spendern die Frage auf: Ist es überhaupt möglich, einen Missbrauch der eigenen Organe zu verhindern? Prinzipiell lässt sich das kaum beeinflussen, da Organe anon. vergeben werden und der Spender keinen Einfluss auf den Empfänger hat. Jedoch ist seit diesem Skandal viel Zeit vergangen, in der die Sicherheit und Verlässlichkeit der Transplantationssysteme stark ausgebaut wurde. Die Klinik in Göttingen ist nicht die einzige, welche in Zukunft willkürliche Manipulation an Patientenakten ausschließen kann.16 Darüber hinaus wirft illegaler Organhandel schlechtes Licht auf die Organspende. Befragte wollen nicht, dass mit ihren Organen gehandelt wird und verzichten deshalb lieber auf die Spende. Deutschland zählt jedoch nachweislich nicht zu den Organ-Exporteuren: Vielmehr sind arme Länder wie Indien oder Bangladesch auf den Organhandel angewiesen. Zahlreiche Inder bieten bspw. ihre Niere zum Verkauf an - sie stecken in Not und sehen keinen anderen Ausweg. Der Export dortzulande hat jedoch keine Auswirkungen auf die Organspende hier. Potenzielle Spender können demnach beruhigt sein - es besteht keine Gefahr zum Export eigener Organe. Anderenfalls sollte ein Blick auf den Transplantationstourismus geworfen werden: Viele “Urlauber” reisen kurzzeitig nach Deutschland, um dort auf die Warteliste gesetzt zu werden. Grund dafür sind fehlende Transplantationssysteme, Kultur oder Politik. Nach der Transplantation kehren sie in ihr Heimatland zurück.17 So ist die weltweite Verteilung der eigenen Organe möglich. Doch auch dagegen wird vorgegangen: Transplantationszentren haben eine Aufnahme von nicht mehr als fünf Prozent aller Patienten aus Nicht-ET18 -Ländern zum Ziel, gemessen an Transplantationen des Vorjahres.19
4. Umgang mit der Diagnose
“Man hat ja nicht einfach Anrecht auf ein Herz, nur weil man eines braucht.”20 - so die 33-jährige Laura, welche auf ein Spenderherz wartet und nur noch 18 Monate zu leben hat. Es ist kein Geheimnis, dass die Warteliste in Deutschland überfüllt ist. Wie gehen Patienten also damit um, wenn sie erfahren, dass sie dringend ein Spenderorgan benötigen? Was erwarten sie von ihren Mitmenschen? Wie reagieren Angehörige?
4.1 Alternativen für eine Transplantation
Meist haben schwerkranke Menschen keine Wahl. Sie können entweder warten oder vorzeitig sterben - insofern dürfte der Beschluss zur Transplantation leichtfallen. In einem Interview mit Frau G., welche seit 10 Jahren mit einer Spenderniere lebt, wird deutlich, dass es nicht immer um das pure Überleben geht, sondern vielmehr um Lebensqualität (Anh. 23). Der Begriff besitzt keine klare Definition, es handelt sich um ein subjektives Empfinden verschiedener Faktoren. Materiell gesehen kann sich z.B. das Einkommen auf die Lebensqualität auswirken. Doch viel wichtiger sind die immateriellen Werte Gesundheit, Umwelt, persönliche Sicherheit sowie das ausgewogene Verhältnis von Arbeit und Freizeit (Abb. 11).21 Ohne die neue Niere hätte Frau G. drei Mal wöchentlich zur Dialyse gemusst und wäre nicht arbeitsfähig gewesen. Eine Entschädigung von 500 Euro monatlich hätte das ausgleichen sollen - als Lebensgrundlage völlig unzureichend. Wie F. Nietzsche bereits sagte: “Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens.”22 Des Weiteren erklärte Frau G.: “Dialyse bedeutet Einschränkung, Transplantation Freiheit.” Es bestand für sie also die Alternative, in ihrer Freiheit eingeschränkt weiterzuleben oder mithilfe einer Spenderniere autonom und ohne Existenzängste durchs Leben zu gehen. Geringeres Einkommen, schlechte gesundheitliche Umstände, das Fehlen einer Arbeit und dadurch unzureichende persönliche Sicherheit hätten sich negativ auf die Lebensqualität ausgewirkt.
[...]
1 ebd. BzgA (2021): Die Kampagne „Organspende - Die Entscheidung zählt!“. https://www.organspende- info.de/die-kampagne.html [Stand: 20.04.2021].
2 vgl. Makenthun, Bastian (2021): Geschichte der Transplantation. Historischer Überblick. https://www.transplant- wissen.de/geschichte-der-transplantation/ [Stand: 16.04.2021].
3 In der folgenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich auf Personen jeden Geschlechts.
4 ebd. Schröder, Heinz (2019): Die besten Tweets von @kulturbolschewi. https://www.twitterperlen.de/die-besten- tweets-von-kulturbolschewi/ [Stand: 29.03.2021].
5 Bundesministerium für Gesundheit (2020): Organspende. Fragen und Antworten zum Thema Organspende. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/organspende/faqs.html [Stand: 13.04.2021].
6 ebd. Christlicher Internet Dienst (1996): Bibel. 3. Buch Mose. https://www.bibel-online.net/ [Stand: 07.04.2021].
7 vgl. SWR (2019): Organverpflanzung. Religiöse Positionen zur Organspende. https://www.planet- wissen.de/gesellschaft/medizin/organverpflanzung/pwiereligioesepositionenzurorganspende100.html [Stand: 07.04.2021].
8 vgl. Wesche, Eberhard (2008): Die Goldene Regel. http://www.ethik-werkstatt.de/Goldene_Regel htm [Stand: 20.04.2021].
9 vgl. Rahbar, Kambitz (2019): Medizinethik. Ethische Prinzipien in der Medizin aus dem Blickwinkel der „Goldenen Regel“, https://ethica-rationalis.org/ethische-prmzipien-m-der-medizin-aus-dem-blickwmkel-der- goldenen-regel/ [Stand: 14.04.2021].
10 vgl. Beauchamp, Tom L. und Childress, James F. (2001): Principles of biomedical ethics. https://zellux.net/m.php?sid=197 [Stand: 15.04.2021].
11 ebd. Bundesamt für Justiz (2020): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. https://www.gesetze-im- internet.de/gg/BJNR000010949.html [Stand: 31.03.2021].
12 vgl. Beldiman, Eva (2017): Ethische und Moralische Werte. http://www.beldiman.de/ethische-und-moralische- werte/ [Stand: 15.04.2021].
13 ebd. Greinert, Renate (2011): Organspende — nie wieder. Organtransplantation aus der Sicht einer Betroffenen. https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-sicht-einer-betroffenen/ [Stand: 04.04.2021].
14 ebd. Greinert, Renate (2011): Organspende — nie wieder. Organtransplantation aus der Sicht einer Betroffenen. https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-sicht-einer-betroffenen/ [Stand: 04.04.2021].
15 vgl. Praetor Intermedia UG (2021): Menschenwürde (Teil 2). Personaler und räumlicher Schutzbereich der Menschenwürde. https://www.grundrechteschutz.de/gg/menschenwurde-2-255 [Stand: 08.04.2021].
16 vgl. Abbott, Anna-Lena (2012): Organspendeskandal in Göttingen. "Dafür ist kriminelle Energie nötig". https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/organspende-skandal-an-uniklinik-goettingen-arzt-soll-akten- gefaelscht-haben-a-845496 html [Stand: 06.04.2021].
17 vgl. Deutscher Bundestag (2017): Ausarbeitung. Weltweiter Organhandel und geographische Brennpunkte des Organhandels. https://www.bundestag.de/resource/blob/559594/572de8efca505199d1d72379ae77dfff/wd-7-023-17- pdf-data.pdf [Stand: 06.04.2021].
18 Eurotransplant
19 vgl. Siegmund-Schultze, Nicola (2012): Organspende. Quälender Mangel. https://wwwfr.de/wissen/quaelender- mangel-11382072 html [Stand: 06.04.2021].
20 ebd. ZDF (2021): Re: Ein Herz für Laura. Das lange Warten auf ein Spenderorgan. https://www.arte.tv/de/videos/098419-009-A/re-ein-herz-fuer-laura/ [Stand: 03.04.2021].
21 vgl. Bundesamt für Statistik (2016): Indikatoren der Lebensqualität. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/city-statistics/indikatoren-lebensqualitaet html [Stand: 05.04.2021].
22 ebd. Möller, Peter (2015): Leben. Zitate zu Leben. http://www.philolex.de/leben html [Stand: 03.04.2021].
- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Organtransplantation. Sollte spenden Pflicht sein?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1253840
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