Unterrichtsanfänge spielen im schulischen Kontext eine zentrale Rolle, da jede Unterrichtstunde mit einem Unterrichtsbeginn startet. Hierbei sind insbesondere die Unterrichtsanfänge, die direkt an die Pausen anknüpfen, von großer Bedeutung. Diese Anfänge dienen als Übergangsphase von der Pause zum Unterricht und können dabei vielfältige Funktionen einnehmen: Einerseits sollte während dieses Übergangs die Arbeitsbereitschaft hergestellt werden, da diese, laut Schelle, die Grundlage einer Schulstunde sei. Des Weiteren sei die Herstellung von Ordnung und Unterrichtsbereitschaft zu Beginn jeder Stunde eine wichtige Basis für den Schulerfolg der Individuen. Ebenso sei das allgemeine Gelingen der Stunde von einem erfolgreichen Unterrichtsbeginn abhängig, da der Beginn die Grundierung für das Arbeiten und Lernen der Schülerinnen und Schüler darstelle. Aber auch der Einstieg in das jeweilige Thema falle in den Bereich des Unterrichtsanfangs.
Der Unterrichtsbeginn ist dementsprechend in vermehrter Hinsicht bedeutsam, werde aber oft vernachlässigt. Schelle begründet diese Vernachlässigung damit, dass sich bei den Analysen von Fallbeispielen eher auf das pädagogische statt auf das fachdidaktische Handeln fokussiert werde oder die Unterrichtsaufzeichnung erst später beginne. Im Folgenden soll sich nun explizit auf den Beginn einer Unterrichtsstunde fokussiert werden, indem dieser analysiert wird und somit die besondere Stellung eines Unterrichtsanfangs verdeutlicht wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Bedeutung von Unterrichtsanfängen
2. „Einen wunderschönen guten Morgen allerseits“
3. Die Adressierung der Schüler:innen durch die Lehrerin
4. Interpretation
4.1.: Sequenz 1
2.2.: Sequenz 2
4.3.: Sequenz 3
4.4.: Sequenz 4
4.5.: Sequenz 5
4.6.: Sequenz 6
4.7.: Sequenz 7
4.8.: Sequenz 8
4.9.: Sequenz 9
5. Konsequenzen für das Lehrerhandeln
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Die Bedeutung von Unterrichtsanfängen
Unterrichtsanfänge spielen im schulischen Kontext eine zentrale Rolle, da jede Unterrichtstunde mit einem Unterrichtsbeginn startet. Hierbei sind insbesondere die Unterrichtsanfänge, die direkt an die Pausen anknüpfen, von großer Bedeutung. Diese Anfänge dienen als Übergangsphase von der Pause zum Unterricht und können dabei vielfältige Funktionen einnehmen: Einerseits sollte während dieses Übergangs die Arbeitsbereitschaft hergestellt werden, da diese, laut Schelle, die Grundlage einer Schulstunde sei. Des Weiteren sei die Herstellung von Ordnung und Unterrichtsbereitschaft zu Beginn jeder Stunde eine wichtige Basis für den Schulerfolg der Individuen. Ebenso sei das allgemeine Gelingen der Stunde von einem erfolgreichen Unterrichtsbeginn abhängig, da der Beginn die Grundierung für das Arbeiten und Lernen der Schüler:innen darstelle. Aber auch der Einstieg in das jeweilige Thema falle in den Bereich des Unterrichtsanfangs. Der Unterrichtsbeginn ist dementsprechend in vermehrter Hinsicht bedeutsam, werde aber oft vernachlässigt. Schelle begründet diese Vernachlässigung damit, dass sich bei den Analysen von Fallbeispielen eher auf das pädagogische statt auf das fachdidaktische Handeln fokussiert werde oder die Unterrichtsaufzeichnung erst später beginne (vgl. Schelle 2018). Im Folgenden soll sich nun explizit auf den Beginn einer Unterrichtsstunde fokussiert werden, indem dieser analysiert wird und somit die besondere Stellung eines Unterrichtsanfangs verdeutlicht wird.
2. „Einen wunderschönen guten Morgen allerseits“
Das vorliegende Fallbeispiel mit dem Titel „„Einen wunderschönen guten Morgen allerseits“ – Sprechakte einer Lehrperson“ spielt in einer Deutschstunde eines 12er Grundkurses an einem beruflichen Gymnasium. Die Klasse besteht aus vier Schülerinnen und zwanzig Schülern. Protokolliert wurde die Stunde von Studenten aus dem erziehungswissenschaftlichen Bereich der Universität Mainz.
Auffallend an diesem Transkript ist, dass die Lehrerin die Sprechrolle fast durchgängig übernimmt. Nur ein Schüler kommt in der gesamten Szene zu Wort. Der Unterricht beginnt mit der Begrüßung der Lehrerin, auf welche direkt eine Aufforderung ihrerseits folgt: Ein Schüler mit dem Anfangsbuchstaben S. soll die Stühle herunterstellen. Anschließend weist die Lehrerin auf den Unterrichtsablauf hin: bevor das Lernen und Arbeiten beginnt, sollen organisatorische Angelegenheiten erledigt werden. Die Lehrkraft scheint jedoch von diesem ursprünglichen Plan abzuweichen, da sie nun das Thema Handys aufkommen lässt. Dabei spricht sie eine Schülergruppe direkt an, welche ihre Handys scheinbar zur Hand haben und nicht dem Unterrichtsgeschehen folgen. Nachdem sie die Schülergruppe gefragt hat, mit was sie sich beschäftigen, kommt es erstmals zu einem Schülersprechakt. Ein Schüler erklärt, dass er gerade sein neues iPhone präsentiere. Die Lehrkraft kommentiert dies mit der Aussage, sie sehe, dass das Handy eine Spider-App habe. Auch stellt sie erneut die Frage, was die Gruppe tue. Im Anschluss an ihre Frage fordert sie die Schüler auf, ihre Handys wegzupacken und droht mit einem Tobsuchtsanfall. Anschließend fährt sie mit der Organisationsplanung fort.
Da die Lehrkraft in diesem Transkript die größte Sprechrolle innehat und dabei verschiedene Schüler anspricht, lässt sich die Adressierung der Schüler anhand dieses Beispiels gut untersuchen. Auch der Versuch zu Beginn des Unterrichts Ordnung in der Klasse herzustellen kann mithilfe der vorliegenden Szene untersucht werden.
3. Die Adressierung der Schüler:innen durch die Lehrerin
In diesem Transkript wird der Unterrichtsbeginn durch die Herstellung von Ordnung und Unterrichtsbereitschaft eingeleitet. Dabei spielt insbesondere die Lehrerin eine bedeutende Rolle, da sie für die Herstellung der Unterrichtsordnung verantwortlich ist.
Bezieht man die Systemtheorie Luhmanns mit ein, erkennt man die Bedeutung der Kommunikation in dieser Situation. Laut ihm ist die Kommunikation die Grundlage jedes Systems, da sich Handlungen aus der Kommunikation heraus ergeben (vgl. Baecker 2013, S.40).
Auch Reh et al. erkennen die Bedeutung von Kommunikation im schulischen Kontext an. Sie vertreten die Meinung, dass Kommunikation und Interaktion eine „pädagogische Bedingung[...]“ (Reh/Ricken 2012, S. 37) sei, um die Entwicklung der Kinder zu fördern (vgl. Reh/Ricken 2012, S. 37). Des Weiteren interpretieren sie Anerkennung als Adressierung und kennzeichnen dies als Grundlage von Interaktion (vgl. Reh/Ricken 2012, S. 42). Zusätzlich betont Helsper, dass die Antinomie von Ordnung und Interaktion Einfluss auf den Unterricht hat. Da Unterricht von zeitlichen Abläufen und Vorgaben geprägt sei, sei es schwierig das passende Maß an Interaktion und Kommunikation zu finden, ohne die Ordnung zu unterbrechen (vgl. Helsper 1997, S. 534f).
Anhand dieser Grundlagen wirft das vorliegende Transkript die Frage auf, inwiefern die Adressierung der Schüler:innen durch die Lehrerin als Auftakt zum Unterricht gedeutet werden kann und ob diese Adressierung die Herstellung der Unterrichtsordnung beeinflusst. Der „machttheoretische“ (Schelle 2018, S. 99) Ansatz von Anerkennung und Adressierung soll dabei theorieorientiert vertieft werden.
4. Interpretation
4.1.: Sequenz 1
L: „Einen wunderschönen guten Morgen allerseits. Ich bin da“ (geringer Geräuschpegel)
Die Sequenz beginnt mit einer überschwänglichen Begrüßung der Lehrerin. Dies stellt den ersten Teil der allgemein dreiteiligen Unterrichtseröffnung dar: Die Schwellenphase zwischen Pause und Unterricht wird durch die Begrüßung gebrochen (vgl. Ziezek 2015, S. 331f). Es handelt sich bei dieser Begrüßung um eine Adressierung „ersten Aktes“ (Reh/Ricken 2012, S. 44), da die Lehrerin hier mit der Ansprache beginnt. Jedoch wirkt die Begrüßung unpassend für einen schulischen Rahmen, da die Nutzung des Adjektivs „wunderschön[…]“ etwas positives und besonders Schönes zu Versprechen scheint. Dabei erweckt die Lehrerin nicht den Eindruck, dass die Schüler:innen an diesem Tag etwas lernen müssen, sondern man könnte beispielsweise auf einen Wandertag oder einen Ausflug schließen. Zusätzlich entindividualisiert die Lehrkraft die Schüler, indem sie die Klasse mit „allerseits“ anspricht. Demzufolge richtet sich die Begrüßung an die gesamte Klasse, wodurch alle Schüler adressiert werden. Diese Adressierung beinhaltet aber auch eine indirekte Anforderung der Lehrerin: es wird erwartet, dass die Schüler:innen die Lehrerin anerkennen und auch sie begrüßen.
Im Folgenden lässt die Lehrerin den Jugendlichen jedoch keine Zeit für eine Begrüßung, wodurch eine asymmetrische Beziehung zwischen den Schüler:innen und der Lehrerin entsteht. Sie fährt fort, indem sie ihre Präsenz nochmals mündlich betont. Dieses Verhalten ist ungewöhnlich, da die Schüler: innen die Lehrerin vermutlich sehen und sie dementsprechend nicht zusätzlich auf sich aufmerksam machen müsste. Die Lehrerin stellt sich mit der Aussage „Ich bin da!“ in den Mittelpunkt des Geschehens und inszeniert sich damit selbst: Sie ist nun da und jeder muss auf sie achten. Die Lehrerin muss ihre Anwesenheit hier erklären, was den Eindruck erweckt, dass die Rollenverteilung und die Aufgaben der Einzelnen in diesem Unterricht nicht ausreichend bekannt sind oder die Lehrperson allgemein keine Anerkennung durch die Jugendlichen genießt. Die Lehrerin lokalisiert sich zudem durch ihre Aussage im Klassenraum und impliziert damit, dass die Schüler ihre Aufmerksamkeit auf die Lehrerin richten sollen. Dennoch lässt sie den Schülern anschließende Handlungsmöglichkeiten offen, da sie keinen Arbeitsauftrag ausspricht.
Die gesamte Sequenz erscheint paradox, da die Anwesenheit der Lehrerin normalerweise automatisch für Ordnung im Klassensaal sorgen sollte und eine verstärkt Betonung nicht nötig sein sollte. Auch die Beschreibung der Akustik lässt darauf schließen, dass die Jugendlichen die Lehrerin bemerkt haben und keine große Unruhe im Klassensaal herrscht. Dennoch verstärkt die Lehrerin ihre Präsenz verbal, wodurch die Schüler:innen als unaufmerksam dargestellt werden.
Man würde nun erwarten, dass die Klasse die Lehrerin zurückgrüßt und somit eine gleiche Anerkennungsebene hergestellt wird. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Schüler:innen die Lehrerin nicht als solche anerkennen und der Geräuschpegel steigt. Eine dritte mögliche Schülerreaktion wäre, dass diese schweigen und somit die Lehrerin als Lehrkraft anerkennen, aber dennoch keine „Schüler-Lehrer-Interaktion“ (Lüders 2012, S. 342) zustande kommt. Hierdurch würde die Anerkennung seitens der Schüler gering ausfallen.
2.2.: Sequenz 2
L: „S., stell doch mal die Stühle runter!“
Diese Sequenz ist in den zweiten Teil des dreiteiligen Unterrichtsbeginns einzuordnen: der Präbeginn, in welchem Ordnung und Arbeitsbereitschaft hergestellt wird (vgl. Zizek 2015, S. 331f). Dies soll dadurch geschehen, dass die Stühle von den Tischen auf den Boden gestellt werden und somit ein vernünftiges Arbeitsklima geschaffen wird.
Anders als das Ende der ersten Sequenz erwarten lässt, lässt die Lehrkraft den Schülern keine Möglichkeit zur Begrüßung, sondern ändert ihre Adressierung. Sie spricht nun nicht mehr die gesamte Klasse, sondern nur noch einen Schüler an. Dabei ist unklar, wieso sie genau diesen adressiert. Hierbei ist auffällig, dass einem Sprecherwechsel, welcher ein beutendes Merkmal des Unterrichtens ist (vgl. Lüders 2012, S. 342), keine Bedeutung zugemessen wird, sondern eine einseitige Kommunikation der Lehrkraft vorherrscht.
Bei ihrer Adressierung handelt es sich nun um einen „direktiven Sprechakt“ (Reh/Ricken 2012, S. 46), wodurch klar wird, dass der angesprochene Schüler die ihm erteilte Aufgabe erfüllen muss. Anders als in Sequenz eins werden ihm hier keine Handlungsoptionen offengelassen. Die Lehrkraft positioniert sich damit neu in der Klasse und sorgt somit für eine Subjektpositionierung ihrer selbst (vgl. Reh/ Ricken 2012, S. 38f). Sie präsentiert sich nun nicht mehr als Person, welche um Anerkennung bittet, sondern als eine Person, die Anweisungen erteilen kann und dementsprechend automatisch anzuerkennen ist. Sie differenziert sich damit von den Schülern und macht deutlich, dass die Rechte und Pflichten zwischen Lehrkraft und Schüler ungleich verteilt sind. Der angesprochene Schüler gerät nun in eine „performative“ (Reh/Ricken 2012, S. 45) Situation: es wird von ihm erwartet, dass er der Aufforderung nachkommt. Damit geht auch die Antinomie von „Autonomie und Heteronomie“ (Helsper 1997, S. 535) einher, da dem Schüler nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten bleiben. Er kann der Aufforderung nachgehen oder nicht. Die Selbstbestimmung des Schülers wird hiermit teilweise eingeschränkt und die Lehrkraft erhebt sich als machtvollere Person, was auch im Gegensatz zur freundlichen Begrüßung steht. Auch die Illusion des „wunderschönen guten Morgen[s]“ und der damit verbundenen Entspannung wird durch die erteilte Aufgabe aufgehoben.
Folglich wäre zu erwarten, dass der angesprochene Schüler der Aufforderung nachkommt und der Lehrerin dadurch seine Anerkennung erweist. Anschließend könnte die Lehrperson mit dem Unterricht beginnen.
4.3.: Sequenz 3
L: „Gut Teil eins, wir machen erst die Orga und dann können wir was arbeiten.“
Anhand es Adjektivs „gut“ lässt sich deuten, dass der angesprochene Schüler der Aufforderung nachgekommen ist und somit die Lehrerin als Lehrkraft anerkannte hat. Dieses Adjektiv kann dabei auf verschiedene Weisen gedeutet werden: einerseits als Lob an den Schüler und andererseits als Feststellung. Die Variante der Feststellung passt in diesem Kontext besser, da nicht weiter auf den Schüler eingegangen wird. Auch scheint es ein Indiz dafür zu sein, dass nun mit dem eigentlichen Vorhaben der Lehrerin begonnen werden kann.
Sie fährt mit einer Aufzählung fort. Dabei strebt sie an, zuerst die Organisation zu erledigen und dann mit dem eigentlichen Unterricht (vgl. „arbeiten“) zu beginnen. Hierdurch stellt sie sich erneut als zentrale Instanz dar, welche die Befugnis dazu hat, Struktur vorzugeben. Auch priorisiert sie die Organisation im Vergleich zum fachlichen Unterricht. Durch die Aufzählung wird die Priorisierung verstärkt deutlich, da die Erledigung der Organisation die Grundlage zu sein scheint, um überhaupt mit dem Unterricht beginnen zu können. Dies wird durch die Zeitbestimmungen „erst“ und „dann“ ersichtlich. Warum die Lehrkraft die Abkürzung „Orga“ verwendet, könnte auf eine gängige Formulierung oder auf eine Anpassung an die Jugendsprache hinweisen. Der genaue Grund bleibt aber fraglich.
Die zuvor vorgenommene Abgrenzung von der Schülerschaft wird nun zurückgenommen. Die Lehrerin verweist auf Kollegialität, indem sie das Personalpronomen „wir“ verwendet. Hierdurch erkennt sie die Schüler als gleichgestellte Personen an und adressiert sie nicht mehr eigens. Dadurch wir das allgemeine Problem von Lehrern bezüglich „Nähe versus Distanz“ (Helsper 1997, S. 530) deutlich: Zuvor distanzierte sich die Lehrkraft deutlich von den Schülern, während sie sich nun mit ihnen gleichstellt. Hierdurch wird der Eindruck einer Arbeitsgemeinschaft erweckt und die Schüler bekommen das Gefühl, dass sie in ihrem Lernprozess unterstütz werden. Dabei muss man jedoch aufpassen, sich den Schülern nicht zu sehr anzunähern, um das Prinzip der Chancengleichheit zu wahren (vgl. Helsper 1997, S. 530f).
Man erwartet nun, dass die organisatorischen Aspekte erledigt werden und anschließend mit dem fachlichen Unterricht begonnen wird.
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- Citation du texte
- Anonyme,, 2021, "Einen wunderschönen guten Morgen allerseits". Die Bedeutung von Unterrichtsanfängen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1253218
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