Patsy L‘Amour laLove ist zur Zeit die meist umstrittenste selbsternannte „Polittunte“ Deutschlands. Im März 2017 veröffentlichte sie zusammen mit 25 anderen AutorInnen das Buch „Beissreflexe“. Die hohe Nachfrage lässt auf die Brisanz und die weitreichend entfachte Debatte schließen, die die Veröffentlichung ausgelöst hat. Vorerst erscheint es fraglich, wie eine derartig hohe Resonanz für ein Buch mit dem Titel „Beissreflexe“ entstehen konnte. Der prägnante Untertitel lautet „Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten und Sprechverboten“. Fraglich ist zudem der Umstand, ob es während der gegenwärtig geltenden Grundrechte, die eine Presse und Meinungsfreiheit beinhalten, eine Instanz geben darf, die sogenannte Maulkörbe anlegt. Patsy L‘Amour laLove unterstellt der queeren Community eine solch autoritäre Macht, die diese Rechte beschneidet. Die Schilderungen im Buch lassen auf eine stringente Meinung schließen, die im Folgenden aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird.
Essay im Seminar „Queer Politics: Geschlecht und Sexualität im gesellschaftlichen Kontext von Staat, Familie und Individuum.“
Thema: Wird durch das Buch „Beissreflexe“ eine ganzheitliche Meinungsbildung zum Thema „queerer Aktivismus“ unterstützt?
Patsy L'Amour laLove ist zur Zeit die meist umstrittenste selbsternannte „Polittunte“ Deutschlands. Im März 2017 veröffentlichte sie zusammen mit 25 anderen Autorinnen das Buch „Beissreflexe“. Die erste Auflage war in weniger als einer Woche ausverkauft. Inzwischen ist bereits die dritte Auflage erschienen. Die hohe Nachfrage lässt auf die Brisanz und die weitreichend entfachte Debatte schließen, die die Veröffentlichung ausgelöst hat. Vorerst erscheint es fraglich, wie eine derartig hohe Resonanz für ein Buch mit dem Titel „Beissreflexe“ entstehen konnte. Der prägnante Untertitel lautet „Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchtenund Sprechverboten“ (laLove 2017: 1). Fraglich ist zudem der Umstand, ob es während der gegenwärtig geltenden Grundrechte, die eine Presse- und Meinungsfreiheit beinhalten, eine Instanz geben darf, die sogenannte Maulkörbe anlegt. Patsy L'Amour laLove unterstellt der queeren Community eine solch autoritäre Macht, die diese Rechte beschneidet. Die Schilderungen im Buch lassen auf eine stringente Meinung schließen, die im Folgenden aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird.
„Beissreflexe“ thematisiert verletzte Gefühle, Traumata und unausgesprochene „Wahrheiten“, die Zustimmung, aber auch Zurechtweisungen, Anfeindungen und eine vielseitig empörte Leserschaft zur Folge haben. Schon Titel und Untertitel lassen vermuten, was Patsy und ihre Mitautorinnen offen kritisieren: Eine Autorität, die queere Maulkörbe an diejenigen verteilt, die Gender und Sexualität nicht korrekt in Frage stellen. Bei fortführender Betrachtung erschliessen sich divergente Kritikpunkte und Meinungen. Einer der Vorwürfe beinhaltet, dass nur Betroffene eine Berechtigung zum sprechen haben. Nur eigene Leiterfahrungen können eine authentische Identität verifizieren. Diese und eine Vielzahl anderer Behauptungen stellen die queer-feministische Bewegung in den Fokus und sind weitestgehend an sie adressiert. Es herrscht eine inquisitorische Atmosphäre in der queeren Community, in der Patsy l'Amour laLove einen Versuch unternimmt sich entgegen der kritisierten Aktionistlnnen zu stellen und das in einem bisher unvorstellbarem Ausmaß. Gerechtigkeit ist eine grundlegende Norm des sozialen Zusammenlebens (vgl. Kelsen 1975). In den Beiträgen des Sammelwerks werden Situationen beschrieben, in denen Patsy l'Amour laLove und ihre Mitstreiterinnen Ungerechtigkeit erfahren haben. Es scheint tatsächlich eine autoritäre Riege zu existieren, die Maulkörbe verteilt, die lauter und bestimmter ist, als der Rest. Doch sind die Darstellungen und Beispiele voreingenommen beschrieben, obwohl auch andere Sichtweisen einbezogen werden müssen.
Bei der Internetrecherche nach dem Buchtitel „Beissreflexe“, findet sich eine Vielzahl von Blogposts, Rezensionen und Medienberichten. Die Meinungen differenzieren sich stark voneinander. Jedem Text istjedoch ein eindeutiger Tenor für oder gegen das Sammelwerk zu entnehmen. Die Autorinnen fühlen sich von der provozierenden Ikone angegriffen oder verstanden. Die getroffene Seite ertönt mit melancholischer Stimme im geistigen Ohr: „Wie kann sie nur solche Aussagen treffen, ich bin zutiefst verletzt und empört.“ Auf dem anderen Ohr ertönt ein Jubelschrei: „Endlich sagtjemand, was alle denken und was uns die ganze Zeit schon einschüchtert, unterdrückt und nervt!“. Die Hauptkritikpunkte von „Beissreflexe“ folgen stringent einem roten Faden und weisen auf den Einfluss eines gemeinsamen Echo chambers der Autorinnen hin. Eine Gegenseite kommt im Buch nicht zu Wort, obwohl diese aus Gründen der Fairness und für ein objektive Lesermeinung unerlässlich ist.
Aktuell wird aufbeiden Seiten zugebissen. Die Veröffentlichung des Buches hat die Diskussion um das Thema „queerer Aktivismus“ erhitzt. Eine queer-feministische, akademische Aktivszene wird von 27 Autorinnen in einer nicht ausreichend diskursiven Art und Weise diffamiert (vgl. Butler & Hark 2017). Peter Rehberg vergleicht die queer- feministische Szene mit der Stasi. Genauer spricht er von einer „Gender-Stasi“ (Rehberg 2017). Er nimmt in der Community seit Jahren eine moralische Kontrolle wahr, die nichts mehr von dem kämpferischen Freiheitsgedanken der 68er-Bewegung übrig hat. „Beissreflexe“ setzt an einem Punkt der langjährigen Debatte an, an dem sich Teile der queeren Community längst einer Selbstkritik unterziehen mussten. Der Verdacht der Privilegierung einer weißen reaktionären Mittelschicht spaltet eine ganze Bewegung. Mithin umfasst diese Körperschaft den schwul-lesbischen Mittelstand, dem unterstellt wird, dass Eigeninteressen und Privilegien vorrangige Motivatoren politischer Arbeit sind. Solidarität, Minderheitenschutz und Gerechtigkeit rücken in den Hintergrund (vgl. Rehberg 2017). Die Theoretikerin Jasbir Puar spricht in ihren Beiträgen von sogenanntem "Homonationalismus": Besser gestellte Lesben und Schwule präferieren beim Thema Islamophobie die Seite, die sich für eine restriktive Migrationspolitik ausspricht. In Folge dessen nimmt die Anzahl von AfD-Schwulen zu, die vorzugsweise mit dem Staat kooperieren, anstatt sich martialisch den Intoleranzen entgegen zu stellen, die der Staat und die Gesellschaft vorantreiben. Stichwörter wie Rassismus, Xenophobie, Islamophobie und Diskriminierung deuten hier nur einen Teil des spannungsgeladenen Rahmens der Debatte an (vgl. Puar 2007).
Beginnend mit dem ersten Beitrag im Buch „Beissreflexe“ wird eine Art Inquisition auf dem e*camp 2013 protokolliert. Anonyma beschreibt darin die eigene Wahrnehmung der Geschehnisse auf dem Festival der e*vibes. Aufgrund von unerwünschten Äußerungen wurde dort letztendlich die Bitte geäußert, dass er/sie das Gelände vorzeitig verlassen sollte. Die Schilderungen deuten auf eine Beschneidung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung hin.
Anonyma und zwei Begleiter wendeten sich mit Kritik an die Veranstalterinnen des e*camps. Die Reaktionen auf die Verbesserungsvorschläge waren Einzel -und Gruppengespräche, die im Buch anschaulich beschrieben werden. Die Protagonisten wurden von den Veranstalterinnen, Mitgliedern der e*vibes Organisation, gebeten den „safe space“ der Veranstaltung nicht zu stören. In einer Art „awareness-Training“ wurde versucht sie zu sensibilisieren, was laut Anonyma als eine Art Bedrängung wahrgenommen wurde. Sie wurden aufgefordert ihre Meinung zu revidieren und sich bei den Organisatorinnen und den direkt involvierten Protagonistinnen zu entschuldigen. Letztendlich wurden sie gebeten das Gelände zu verlassen, da sie sich weigerten den Forderungen der direkt involvierten e*vibes- Mitglieder nachzugehen. Die einzelnen Vorgänge werden hauptsächlich aus Sicht der drei zuletzt vom Camp „Ausgeschlossenen“ beschrieben. In einem offenen Brief reagieren die e*Vibes einige Zeit später auf die Anschuldigungen und nehmen Stellung. Erstmalig werden dort die Hintergründe des Vorfalls aus der Sicht der queer-feministischen Veranstalterinnen beschrieben. In einer verständnisvollen Reaktion zum Protokoll gestehen sie Fehler ein, können zudem aber größtenteils die vorherrschende Opferrolle Anonymas und seiner Begleiter entkräftigen. Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung an der Universität Merseburg, kritisiert das Buch in seiner Gesamtheit. Er betrachtet insbesondere den Verlauf des Diskurses kritisch, der ihm zu Folge hauptsächlich aus Verleumdungen und Beleidigungen besteht. Seine Zusatzinformationen, die er zum geschilderten Vorfall veröffentlicht, zeigen neue Perspektiven auf. Laut seiner Argumentation wurden die im ersten Beitrag von Anonyma beschriebenen Besucher des e*camps nicht grundlos des Festivals verwiesen. Der Gesamtzusammenhang der Ereignisse erscheint durch seinen Beitrag klarer, wobei Aussage gegen Aussage steht. Eine der beschriebenen Situationen betrifft die Bitte um die Regulierung der Lautstärke. Anynoma und seine Begleiter wandten sich Nachmittags an die DJ's und darauffolgend an die Organisatorinnen, die die „Beschallung“ durch die Hauptbühne tagsüber unterlassen sollten. Voß schildert die Situation wie folgt: Die drei Besucher des Festivals störten sich an einer zu lauten Klangkulisse, da sie in direkter Nähe zur Hauptbühne ungestört lesen und arbeiten wollten. Sich dafür von dem Platz zu entfernen kam nicht in Frage. Zudem beschreibt Voß den Protokollführer als „Cis-Mann“, der sich von einem „FLT-Schutzraum“ ausgeschlossen fühlte und im Gegenzug einen „Wichsraum“ verlangte. Die Überprüfbarkeit der Aussagen steht außer Frage (vgl. Voß 2017). Allein die verschieden geschilderten Umstände, verändern dagegen den gesamten Blickwinkel auf die Vorfälle und die Bewertung dieser. Die Provokationen erscheinen deutlich größer, die Verletzungen bedeutender und die letztendlichen Forderungen verständlicher. Unabhängig von einer diesbezüglichen Meinungsbildung wird deutlich, wie wichtig ein zu Wort kommen der „Gegenseite“ ist. Eine gedruckte Stellungnahme im Buch, könnte ein Abwägen erleichtern und einen sachlichen, offenen Diskurs fördern. Zudem wären persönliche, öffentliche Diskussionsräume ein Fortschritt. Es gibt eine enorm hohe Anzahl von Blogpost und Berichten über diese. Dagegen gibt es nur vereinzelte Dokumentationen von sachlich geführten B2B-Diskursen.
Die darauf folgenden Beiträge im Sammelwerk sind ähnlich Anonymas Beitrag aufgebaut und gleichen der stringenten Meinungsäußerung, die allein durch Zusatzliteratur eine Gegendarstellung erhalten. Die Gegenwärtigkeit der Debatte begründet das auffallend starke Heranziehen neuester Internetquellen für diese Arbeit. In einem taz-Artikel vom 29. Mai berichtet Tobias Brück von Buchvorstellung Patsy l'Amour laLove's in der Hamburger Roten Flora. Die zunächst erwarteten Gegnerinnen blieben aus. Brück begründet diese Tatsache mit dem Veranstaltungsrahmen, bei dem ein wirklicher Austausch von Argumenten nicht möglich gewesen wäre (vgl. Brück 2017). Es ist zu vermuten, dass die gebildeten Echo chambers beider Seiten nicht zum diskursiven Austausch beitragen und die gegenüberstehenden Meinungsbilder sich immer weiter verfestigen werden. „Beissreflexe“ kritisiert diesen Zustand und Patsy l'Amour laLove fordert einen offenen Austausch und das Recht offen Kritik üben zu dürfen. Fraglich bleibenjedoch die Umstände, dass Veranstaltungen keinen Rahmen zum Austausch bieten. Durch Korednerlnnen der queer-feministischen Seite, könnte ein Rahmen geschaffen werden, der zum Austausch einlädt. Stattdessen hat sich eine „Blockwartmentalität“ (Rehberg 2017) entwickelt. Fehlverhalten wird durch Denunziation oder Ausschluss abgestraft. Bei den Hochschultagen an der Humboldt-Universität in Berlin und bei den deutschlandweiten Demos zum CSD, wachen Autoritäten darüber, ob Verhalten, Aussehen oder Sprache korrekt queer sind und ob gegebenenfalls durch "awareness"- Trainings Korrekturen vorgenommen werden müssen. Diese Vorwürfe sind eine Zusammenfassung einiger Kritikpunkte, die das Buch „Beissreflexe“ beinhaltet.
Ein weiterer Vorfall, der im Buch angebracht wird, ist ein Konzert der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“, bei dem der Schlagzeuger seinen Oberkörper entblösste und das Konzert daraufhin abgebrochen wurde. Das Heranziehen von Sekundärliteratur zeigtjedoch, dass die Situation nicht so aggressiv und dramatisch war, wie sie im Buch beschrieben wird. Veranstaltungsort des Konzertes war das Arbeiterinnen -und Jugendzentrum Bielefeld. Im Vorfeld wurde dort ein Verhaltenskodex festgelegt, der auch Männern untersagt ihre Brustwarzen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Hintergrund dieser Festlegung ist die Forderung nach Gleichberechtigung, da für Frauen das Entblößen des Oberkörpers in Deutschland eine Ordnungswidrigkeit darstellen kann. Der Autor Leo Fischer beschreibt die Situation dramatisch und nutzt Übertreibungen. Den Abbruch des Konzerts bewertet er als Überreaktion und einen „Beissreflex“. An dieser Stelle lässt sich vermuten, dass eine Art Feminismus-Bashing den Autor zu seinem doch sehr kritischen Beitrag ermutigt hat. Peter Rehberg spricht in Hinblick auf den AJZ-Vorfall in Bielefeld von einer „Überwachungskultur“ (Rehberg 2017). Die Band „Feine Sahne Fischfilet“ veröffentlich später eine Stellungnahme zu den Ereignissen, in der die Situationsbeschreibung von der Fischers abweicht. Nicht zwölf sondern zwei Mitarbeiterinnen betraten die Bühne und forderten den Schlagzeuger auf seinen Oberkörper zu bedecken. Grund für die Entblößung war ein nicht belüfteter kleiner Konzertsaal. Die Band stellte zudem klar, dass diese Aktion keinerlei Provokation darstellen sollte. Nachdem es eine kurze Unterbrechung gab und alle Akteure des Abends ihren Oberkörper bedeckt hatten, wurde das Konzert fortgesetzt. Die Band gibt an, im Anschluss an die Geschehnisse noch ein gites Konzert und einen ausgelassenem Abend gehabt zu haben.
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- Citation du texte
- Lysann Prescher (Auteur), 2017, Wird durch das Buch "Beissreflexe" von Patsy L‘Amour laLove eine ganzheitliche Meinungsbildung zum Thema "queerer Aktivismus" unterstützt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1252524
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