Die deutsche Bildungspolitik hat seit 2001 ein neues Zauberwort
- Standards. Infolge des schlechten Abschneidens der Schüler bei der internationalen Vergleichsstudie Programm for International Student Assessment (PISA) mussten die Kultusminister der Länder schnell handeln. Unter dem Druck der Medien, der Öffentlichkeit und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung wurden anhand der sogenannten Klieme-Expertise nationale Bildungsstandards entwickelt. Seitdem sind fast sieben Jahre vergangen. Anfangs mit sehr hohem Tempo vorangetrieben, verlangsamte sich der Arbeitsenthusiasmus der Politiker. Bereits seit 2003 liegen in den Kernfächern und seit kurzem auch in einigen Nebenfächern wie zum Beispiel in Geographie Bildungsstandards vor. Ein im politischen Diskurs als Wechsel vom input- zum outputorientierten Unterricht postulierter Paradigmenwechsel zeigt in der Praxis vermehrt Unklarheiten. Insbesondere die Lehrerschaft ist verunsichert, welche neuen Anforderungen durch Standards an sie gestellt werden. Gleichzeitig besteht gegenwärtig ein Defizit in der Lehrerausbildung. Lediglich einzelne Dozenten und Professoren greifen das Thema in Seminaren und Vorlesungen auf. Setzt man sich intensiver mit der Konzeption von Bildungsstandards auseinander, ist vielfach dem Betrachter im ersten Moment nicht verständlich, was mit dem Wort Bildungsstandards beschrieben wird. Ein Hauptanliegen der Arbeit ist es daher, die Konzeption nationaler Bildungsstandards vorzustellen und näher zu erläutern. Ausgehend davon ist es das Ziel, die Standards kritisch zu hinterfragen. In einem ersten Schritt werden dazu die Motive und Rahmenbedingungen zu beschreiben sein, welche den Ausschlag zur Entwicklung von Standards gegeben haben. Anhand der Klieme-Expertise wird die Konzeption näher erläutert. Dabei wird insbesondere der Begriff Bildungsstandards zu klären sein. Basierend auf diesem Vorwissen werden die Standards hinsichtlich ihrer Konzeption und ihrer Implementierung hinterfragt und am Beispiel der Geographie exemplarisch betrachtet. Hierbei wird an markanten Stellen, wie zum Beispiel dem Aufbau, ein Vergleich zwischen der Konzeption und den vorliegenden Standards im Geographieunterricht vorzunehmen sein. Des Weiteren werden die vorgelegten Standards in Geographie exemplarisch mit dem sächsischen Lehrplan verglichen. Abschließend wird zu klären sein inwieweit die vorgelegte Konzeption nationaler Bildungsstandards im deutschen Schulsystem umgesetzt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 NATIONALE BILDUNGSSTANDARDS
2.1 Ursache der Entwicklung nationaler Bildungsstandards
2.2 Beschlusslage der Kultusministerkonferenz
2.3 Konzeption nationaler Bildungsstandards
2.3.1 Begriffsdifferenzierung und Definition von Bildungsstandards
2.3.2 Theoretischer Aufbau von Bildungsstandards
2.3.2.1 Kompetenz (-modell)
2.3.2.2 Kerncurriculum vs. Lehrplan
2.3.2.3 Evaluation und Aufgabenentwicklung
2.4 Implementierung von Bildungsstandards
2.5 Kritik an der Konzeption nationaler Bildungsstandards
2.6 Zwischenbilanz zur Konzeption von Bildungsstandards
3 BILDUNGSSTANDARDS IM GEOGRAPHIEUNTERRICHT
3.1 Aufbau der Standards im Schulfach Geographie
3.2 Aufgabenbeispiele zu den Bildungsstandards im Geographie
3.3 Vergleich der Bildungsstandards im Fach Geographie mit dem sächsischen Lehrplan an Mittelschulen und Gymnasien
3.4 Implementierung der Bildungsstandards in Geographie
4 SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATURVERZEICHNIS
Monographien
Aufsätze in Sammelbänden
Aufsätze in Fachjournalen und Zeitschriften
Internetquellen
ANHANG
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
ABBILDUNG 1: HANDLUNGSFELDER DER KULTUSMINISTERKONFERENZ
ABBILDUNG 2: BEDEUTUNGSVIELFALT DES STANDARDSBEGRIFFS
ABBILDUNG 3: BEREICHE DER KONZEPTION VON BILDUNGSSTANDARDS
ABBILDUNG 4: QUALITÄTSMERKMALE GUTER BILDUNGSSTANDARDS
ABBILDUNG 5: FUNKTION UND BEDEUTUNG VON BILDUNGSSTANDARDS
ABBILDUNG 6: FACETTEN DER INDIVIDUELLEN AUSPRÄGUNG VON KOMPETENZEN
ABBILDUNG 7: BILDUNGSSTANDARDS UND KERNCURRICULA
ABBILDUNG 8: STEUERUNG VON SCHULE UND UNTERRICHT
ABBILDUNG 9: GESAMTKONZEPT NATIONALER BILDUNGSSTANDARDS
ABBILDUNG 10: BEZUGSDOKUMENTE ZUR ENTWICKLUNG NATIONALER BILDUNGSSTANDARDS IM FACH GEOGRAPHIE
ABBILDUNG 11: AUFBAU DER BILDUNGSSTANDARDS IM FACH GEOGRAPHIE
ABBILDUNG 12: TEILKOMPENTENZEN DES KOMPETENZBEREICHS RÄUMLICHE ORIENTIERUNG
ABBILDUNG 13: ALLGEMEINER AUFBAU DER AUFGABENBEISPIELE BEI BILDUNGSSTANDARDS
TABELLE 1: BESCHLUSSLAGE DER KULTUSMINISTERKONFERENZ
TABELLE 2: DEFIZITE UND VERBESSERUNG DER FORMULIERUNG VON AUFGABENSTELLUNGEN
1 Einleitung
Die deutsche Bildungspolitik hat seit 2001 ein neues Zauberwort
- Standards. Infolge des schlechten Abschneidens der Schüler bei der internationalen Vergleichsstudie Programm for International Student Assessment (PISA) mussten die Kultusminister der Länder schnell handeln. Unter dem Druck der Medien, der Öffentlichkeit und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung wurden anhand der sogenannten Klieme-Expertise nationale Bildungsstandards entwickelt. Seitdem sind fast sieben Jahre vergangen. Anfangs mit sehr hohem Tempo vorangetrieben, verlangsamte sich der Arbeitsenthusiasmus der Politiker. Bereits seit 2003 liegen in den Kernfächern und seit kurzem auch in einigen Nebenfächern wie zum Beispiel in Geographie Bildungsstandards vor. Ein im politischen Diskurs als Wechsel vom input- zum outputorientierten Unterricht postulierter Paradigmenwechsel zeigt in der Praxis vermehrt Unklarheiten. Insbesondere die Lehrerschaft ist verunsichert, welche neuen Anforderungen durch Standards an sie gestellt werden. Gleichzeitig besteht gegenwärtig ein Defizit in der Lehrerausbildung. Lediglich einzelne Dozenten und Professoren greifen das Thema in Seminaren und Vorlesungen auf. Setzt man sich intensiver mit der Konzeption von Bildungsstandards auseinander, ist vielfach dem Betrachter im ersten Moment nicht verständlich, was mit dem Wort Bildungsstandards beschrieben wird. Ein Hauptanliegen der Arbeit ist es daher, die Konzeption nationaler Bildungsstandards vorzustellen und näher zu erläutern. Ausgehend davon ist es das Ziel, die Standards kritisch zu hinterfragen. In einem ersten Schritt werden dazu die Motive und Rahmenbedingungen zu beschreiben sein, welche den Ausschlag zur Entwicklung von Standards gegeben haben. Anhand der Klieme-Expertise wird die Konzeption näher erläutert. Dabei wird insbesondere der Begriff Bildungsstandards zu klären sein. Basierend auf diesem Vorwissen werden die Standards hinsichtlich ihrer Konzeption und ihrer Implementierung hinterfragt und am Beispiel der Geographie exemplarisch betrachtet. Hierbei wird an markanten Stellen, wie zum Beispiel dem Aufbau, ein Vergleich zwischen der Konzeption und den vorliegenden Standards im Geographieunterricht vorzunehmen sein. Des Weiteren werden die vorgelegten Standards in Geographie exemplarisch mit dem sächsischen Lehrplan verglichen. Abschließend wird zu klären sein inwieweit die vorgelegte Konzeption nationaler Bildungsstandards im deutschen Schulsystem umgesetzt werden kann.
2 Nationale Bildungsstandards
In Deutschland findet man ein Bildungssystem vor, das in seinen Grundzügen seit nunmehr fast zweihundert Jahren existiert. Folglich muss gefragt werden, welcher Umstand dazu geführt hat einen von den Kultusminister/-innen als grundlegend beschriebenen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik zu vollziehen. In erster Linie wird dabei zu klären sein, was der dafür entscheidende Auslöser gewesen ist. Interessant in diesem Zusammenhang und bedeutsam für die weitere Argumentation ist hierfür die Beschlusslage der Kultusministerkonferenz der Länder. Ausgehend davon können markante Sachverhalte besser nachvollzogen und später an den entscheidenden Punkten im Verhältnis zwischen Theorie und deren Umsetzung kritisch hinterfragt werden. Die angesprochene Darlegung der Theorie wird anhand der Konzeption nationaler Bildungsstandards vorgenommen. Basierend darauf werden die gewonnenen Erkenntnisse nochmals zusammenfassend dargelegt.
2.1 Ursache der Entwicklung nationaler Bildungsstandards
Die deutsche Schulpolitik ist nicht erst seit den Ergebnissen der PISA- Studie darüber informiert, dass im nationalen Schulsystem Defizite vorliegen. Bereits im Jahr 1997 sind Probleme der Schüler in Mathematik und den Naturwissenschaften durch die Vergleichsstudie Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) aufgezeigt worden.1 Infolgedessen entschied sich die Kultusministerkonferenz der Länder mit den sogenannten Konstanzer Beschlüssen im selben Jahr das deutsche Bildungssystem in regelmäßigen Abständen international vergleichen zu lassen.2 Im Jahr 2001 wurden die Defizite des deutschen Schulsystems infolge der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse offenbar.
Als zentraler Auslöser der Bildungsdebatte der damaligen Zeit sollen nachfolgend die markanten Punkte kurz diskutiert werden.
Die PISA-Vergleichsstudie wird im Auftrag der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) durchgeführt. Hauptaufgabe der OECD ist es, vornehmlich hoch entwickelte westliche Industrienationen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu analysieren. Seit 2000 werden im dreijährigen Rhythmus die einzelnen Bildungssysteme untersucht. Ziel der Studie ist es, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler im Alter von 15 Jahren zu messen und bezüglich ihrer späteren Berufschancen zu bewerten. Die Schüler werden dafür in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet.3 Zusätzlich wurde in Deutschland eine national ergänzende Studie PISA-E durchgeführt, welche die einzelnen Bundesländer vergleichend bewertet. Betrachtet man die markanten Ergebnisse der Studie, ergibt sich für Deutschland folgendes Bild. In keinem OECD-Land sind die schulischen Leistungen so immanent abhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft wie in der Bundesrepublik. Auffällig sind insbesondere die Leistungsunterscheide zwischen Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund und deutschstämmigen Jugendlichen. Die Studie PISA-E zeigt weiter einen sehr großen Unterscheid zwischen den einzelnen Bundesländern. Demnach entsprechen die einzelnen Noten innerhalb der Länder unterschiedlichen Leistungsanforderungen. Dadurch werden Schüler in Deutschland in Bezug auf ihre Chancengleichheit im Bildungssystem laut PISA klar benachteiligt.4 Betrachtet man diesen Aspekt vor dem Hintergrund von Abschlusszeugnissen ergibt sich folgendes Problem. In Deutschland befähigen Zeugnisse zum Wechsel an weiterführende Bildungseinrichtungen. Folglich entstehen den Schülern erhebliche Nachteile, welche bei gleicher Leistung höhere Anforderungen bewältigen müssen. Bewertet man die PISA-Ergebnisse vor diesem Hintergrund, entwickelt sich die Auffassung das Schülerleistungen ohne regionale, soziale/ethnische und ohne Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen vergleichbar sein müssen. Anders formuliert, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten haben alle Schüler und Schülerinnen am Ende der Sekundarstufe I mindestens vorzuweisen?5 Als unmittelbare Reaktion auf die schlechten PISA-Resultate formulierten die Kultusminister/-innen 2001 sieben verschiedene Handlungsfelder. Diese sollten für den weiteren bildungspolitischen Gestaltungsprozess der Länder aber auch der Kultusministerkonferenz als wichtige Orientierung dienen. Die Abbildung 1 führt alle sieben Handlungsfelder der Kultusministerkonferenz auf, dabei bezieht sich das Handlungsfeld fünf auf die Entwicklung verbindlicher Standards.6
Handlungsfelder der Kultusministerkonferenz:
1. Verbesserung der Sprachkompetenz im vorschulischen Bereich
2. Bessere Verzahnung von vorschulischem Bereich und Grundschule
3. Durchgängige Verbesserung der Lesekompetenz und des Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge
4. Förderung bildungsbenachteiligter Kinder
5. Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards
6. Verbesserung der Professionalität der Lehrertätigkeit
7. Ausbau von Ganztagsangeboten mit dem Ziel erweiterter Bildungsund Förderungsmöglichkeiten
Abbildung 1: Handlungsfelder der Kultusministerkonferenz 2001
Auf der Grundlage der sieben Handlungsfelder entschlossen sich die Kultusminister der Länder im Mai 2002 zur Entwicklung nationaler Standards. Darin postuliert sich ein in der Literatur als Paradigmenwechsel bezeichneter Wandel vom input- zum outputorientierten Unterricht. Ist das System Schule bisher ausschließlich von Input-Faktoren bestimmt (Lehrpläne, Rahmenrichtlinien) spricht man in Kombination mit Standards von einer Output-Steuerung. Dies bedeutet, dass zunehmend die Leistungen der Schüler in Form ihrer Lernergebnisse in den Fokus der Betrachtung rücken. Es vollzieht sich dadurch eine Neuorientierung im Bildungswesen, mit einem gewandelten Verständnis staatlicher Steuerung. Nicht mehr Regelungen und Richtlinien bestimmen den Schulalltag, sondern der Aufbau grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten in Form von sogenannten Kompetenzen, welche zu einem bestimmten Zeitpunkt anhand von Tests überprüft werden. 7
Gerade im Bezug auf den zweiten Teil der Arbeit aber auch hinsichtlich einiger kritischer Anmerkungen ist es wichtig, wesentliche Punkte der Beschlusslage der Kultusministerkonferenz in Bezug auf Standards zu kennen und zu verstehen.
2.2 Beschlusslage der Kultusministerkonferenz
Ein erster Ansatz zur Entwicklung nationaler Standards in Deutschland ist mit den sieben Handlungsfeldern im Jahr 2001 unternommen worden.8 Ein halbes Jahr später einigten sich die Kultusminister der Länder im Mai 2002 in Eisenach auf die Entwicklung von länderübergreifenden Standards in den sogenannten Kernfächern für bestimmte Jahrgangsstufen. Als wissenschaftliche Grundlage zur Ausarbeitung von Standards hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im September 2002 in Abstimmung mit der Kultusministerkonferenz eine Expertise in Auftrag gegeben. Damit bekräftigte das Ministerium sein Interesse an einer wissenschaftlich fundierten Entwicklung nationaler Standards. Vor diesem Hintergrund sind die Kultusminister/-innen einem gewissen Handlungsdruck seitens der Bundesregierung ausgesetzt worden.9 Bereits im Oktober 2002 wurde demnach ein Zeitplan für die Entwicklung von Standards beschlossen. Anderthalb Jahre später im Dezember 2003 stellten die Kultusminister/-innen die ersten abschlussbezogenen Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss in den Fächer Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache (Englisch/Französisch) vor. Seit dem Schuljahr 2004/2005 gestalten die genannten Fächer ihren Unterricht nach den vorliegenden Standards. Bereits im April 2004 legte die Kultusministerkonferenz erste Entwürfe für die Kernfächer in Hauptschulen und im Primarbereich vor. Die ausgearbeiteten Entwürfe wurden im Oktober 2004 von den Kultusminister/-innen beschlossen. Damit liegen an Hauptschulen in den Fächern Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache sowie in der Grundschule in den Fächern Deutsch und Mathematik Bildungsstandards vor. Ebenfalls charakterisieren sich die Standards, wie auch die für den Mittleren Bildungsabschluss, als abschlussbezogene Bildungsstandards. Dies bedeutet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt von jedem Schüler eine vorher definierte Leistung erbracht werden soll. Mit dem Beschluss vom Oktober 2004 ist ein erster Zeitpunkt dieser Feststellung das Ende der vierten Schulklasse, mit Ausnahme von Berlin und Brandenburg, da in beiden Bundesländern die Primarstufe mit der sechsten Klasse endet.10 Eine Überprüfung der Bildungsstandards soll anhand einer ergebnisorientierten Evaluation in Form von Orientierungs- und Vergleichsarbeiten erfolgen. Dazu haben die Kultusminister der Länder am 4.Juni 2004 einen Gründungsvertrag mit der Humboldt-Universität in Berlin geschlossen. Diese hat den Auftrag bekommen ein wissenschaftliches Institut, das sogenannte Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) aufzubauen, welches die Erarbeitung und Auswertung von Vergleichsaufgaben zur Aufgabe hat.11 Bereits dieses Jahr werden die ersten Vergleichsarbeiten in der Klassenstufe neun geschrieben.12 Beziehen sich die ersten vorgelegten Bildungsstandards ausschließlich auf die sogenannten Kernfächer in den Schulen, lässt die Kultusministerkonferenz für weitere Unterrichtsfächer Standards erarbeiten. Seit August 2004 liegen als Ergänzung der Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss Entwürfe für die naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik vor. Diese wurden im Dezember 2004 als verbindliche Standards von den Kultusministern/-innen beschlossen.13
Verfolgt man die Beschlusslage der Kultusminister der Länder sind mehrere Punkte interessant. Zum einen ist auffällig, dass sich die Standards auf den Primarbereich, den Hauptschul- und Mittleren Bildungsabschluss beziehen, nicht aber auf die Sekundarstufe II. Dies resultiert daraus, dass in Deutschland bereits Einheitliche Prüfungsanforderungen (EPA) für die Sekundarstufe II als nationale Normierungen in den meisten Schulfächern gelten. Es zeigt sich des Weiteren, dass die formulierten Standards als abschlussbezogene Regelstandards definiert sind. Viele Kritiker des dreigliedrigen Schulsystems sehen darin, dass sich die Standards auf den Abschluss eines Schultyps beziehen, eine Bestätigung der traditionellen Gliederung des Bildungssystems.14 Gegenteilig wird argumentiert, dass gerade durch die Konzeption abschlussbezogener Standards die Vergleichbarkeit der einzelnen Bildungsabschlüsse innerhalb Deutschlands, unabhängig davon welchen Bildungsgang man besucht hat, ermöglicht wird. Ausgehend davon kommt es zu einer Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit.15
Sind in einem ersten Schritt die Planungen der nationalen Standards von den Kernfächern ausgegangen, haben sich schnelle Ergänzungen in Form der naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik durchgesetzt. Betrachtet man die jeweiligen untersuchten Bereiche der PISA-Studie Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, ist verständlich warum Bildungsstandards für die genannten Fächer ergänzend entwickelt wurden. Auffällig ist, dass vornehmlich naturwissenschaftliche Fächer Gegenstand der Erarbeitungen sind. Geistes- und sozialwissenschaftliche aber auch künstlerisch und musische Fächer finden keine Beachtung. Folglich stellt sich die Frage, was mit den Fächern passiert, welche nicht Gegenstand der Betrachtung einer internationalen Vergleichsstudie sind. Exemplarisch ausgeführt wird dieses Problem näher im zweiten Teil der Arbeit am Schulfach Geographie.
Die nachfolgende Tabelle 1 fasst die bisher ausgearbeiteten Sachverhalte nochmals zusammen und ergänzt diese.16
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Beschlusslage der Kultusministerkonferenz
2.3 Konzeption nationaler Bildungsstandards
In einem ersten Schritt wird zunächst der Begriff Bildungsstandards näher zu erläutern und zu definieren sein. Ausgehend von der Expertise Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wird der theoretische Aufbau von Standards dargelegt. Weiter wird dabei auf verschiedene inhaltliche Schwerpunkte wie zum Beispiel Kompetenzen, Kerncurricula, Evaluation und Implementierung ausführlicher eingegangen.
2.3.1 Begriffsdifferenzierung und Definition von Bildungsstandards
Verfolgt man die Beschlusslage der Kultusministerkonferenz hinsichtlich der Entwicklung und Implementierung von Bildungsstandards, sind diese demnach wissenschaftliche Dokumente des politischen Gestaltungswillens.17 Des Weiteren wird mit dem Begriff Standard in Deutschland zumeist eine negative Assoziation verbunden. Im alltäglichen Sprachgebrauch verbindet man damit Wörter wie gewöhnlich, normal, der Norm entsprechend oder den Anforderungen genügend. Im Bildungssystem wirkt ein Begriff, welcher an einen standardisierten Vorgang oder ein Produkt erinnert eher befremdend. Gleichzeit herrscht in der öffentlichen Diskussion keine einheitliche Verwendung des Begriffs Bildungsstandards vor. Vielfach findet man lediglich einen semantischen Austausch und verwendet statt dem Wort Ziele den Begriff Standard. Aber nicht nur im öffentlichen Diskurs herrscht Uneinigkeit über deren Verwendung, auch international wird der Begriff Standard unterschiedlich definiert. So kennt man in den skandinavischen und angelsächsischen Ländern den Begriff Bildungsstandards als solchen nicht und beschreibt diesen mit den Worten objectives oder benchmarks (Lernziele oder Erwartungen).18 Es ist an dieser Stelle wichtig zu differenzieren und nicht einfach alte Postulate in eine neue sprachliche Form zu bringen oder aber auch semantische Verknüpfungen zu anderen Geltungsbereichen herzustellen.19 Hierin besteht aber ein grundlegendes Problem, welches es dem Betrachter schwer macht, die verschiedenen Bedeutungsdifferenzierungen des Begriffs eindeutig zu deklarieren. Im Allgemeinen werden Standards als normative Vorgaben verstanden mit deren Hilfe die Steuerung von Bildungssystemen ermöglicht wird. Differenzieren lassen sie sich aber in unterschiedlicher Art und Weise. Zum einen werden Standards hinsichtlich ihrer Bezugspunkte Inhalt, Prozess und Ergebnis eingeteilt, zum anderen wird die jeweils zugrunde gelegte Niveauanforderung differenziert. Die unterschiedlichen Ansätze einer Definition werden demnach zuerst unterteilt hinsichtlich des Gegenstandes der Betrachtung, auf welchen sie sich beziehen. Stehen dabei Inhalte des Lehrens und Lernens, welche sich auf normative und inhaltliche Festlegungen des Unterrichts beziehen, im Vordergrund spricht man von content standards. Diese legen wie auch Lehrpläne die Unterrichtsziele, -inhalte und deren stoffliche Verteilung fest. Folglich beschreiben sie die Inputsteuerung von Bildungssystemen. Stehen nicht mehr die Inhalte des Lehrens und Lernens im Mittelpunkt sondern richtet sich der Fokus der Betrachtung auf die damit verbundenen Prozesse, spricht man von process standards oder opportunity-to-learn standards. Im Speziellen beziehen sich diese auf den Input und die Prozesse des schulischen Lernens. Sie definieren damit die Rahmenbedingungen von Unterricht und Schule, indem sie Festlegungen zu methodischen Vorgaben, Arbeitsbedingungen, der Ausstattung der Schule und der Aus- und Weiterbildung der Lehrer machen. Betrachtet man als letzten Bezugspunkt das Ergebnis des Lehrens und Lernens spricht man in diesem Zusammenhang von performance standards. Diese Art von Standards beschreibt die Kompetenzen, welche die Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem schulischen Werdegang erreicht haben sollen. Sie beziehen sich damit auf den Output von Bildungssystemen.20 Performance standards lassen sich hinsichtlich ihres Bedeutungsgehalts weiter differenzieren. Beziehen sich diese auf normative Standards haben sie Gültigkeit über den einzelnen Schulstandort hinaus. Spricht man hingegen von konkreten normativen Zielen (benchmarks), so ist deren Geltung auf eine einzelne Bezugsgruppe und deren Ausgangsbedingungen begrenzt.21 Betrachtet man Bildungsstandards in Bezug auf ihre unterschiedliche Niveauabstufung, so ist dies insbesondere für content standards aber auch für performance standards von Bedeutung. Allgemein lassen sich drei Abstufungen unterscheiden. Mindest- oder Minimalstandards beschreiben dabei ein Erwartungsniveau, welches möglichst von allen Schülern ohne Unterschied ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft erreicht werden soll. Im mittleren Anforderungsniveau ergibt sich hinsichtlich der getroffenen Unterteilung ein Problem. Demnach beschreiben diese sogenannten Regelstandards ein mittleres Leistungsniveau, welches möglichst von vielen Schülern erreicht werden soll. Dies impliziert aber zwangsläufig eine Normverteilung, bei der es im Vergleich zu Mindeststandards immer Schüler geben wird, die unterhalb dieser Verteilung liegen werden.
Folglich ergibt sich als Konsequenz eine Einteilung der Schüler in Gewinner und Verlierer.22 Die höchste Niveauanforderung beschreiben die sogenannten Exzellenz-, Maximal- oder Expertenstandards. Diese entsprechen einem theoretisch idealen Erwartungshorizont und sind für den Lehrer zwar handlungsleitend aber nicht allgemeines Unterrichtsziel.23 Ausgehend von den unterschiedlichen Möglichkeiten Standards zu klassifizieren formuliert Klieme Bildungsstandards dahin gehend, dass sie festlegen, was alle Schüler bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe an Kompetenzen erworben haben sollen.24
Zusammenfassend ergibt sich daher ein Standardbegriff, der in seiner inneren Differenzierung sehr vielfältige Erklärungsansätze in sich vereint. Vor diesem Hintergrund, den international unterschiedlich definierten Standardbegriffen und einer semantischen Umdeutung innerhalb der öffentlichen Diskussion, ist somit eine exakte Betrachtungsweise des Standardbegriffs erforderlich. Die Abbildung 2 veranschaulicht alle dargelegten Klassifizierungsmöglichkeiten und zeigt dadurch die Bedeutungsvielfalt des Begriffs nochmals auf.25
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Bedeutungsvielfalt des Standardsbegriffs
Weiter wird die Unterteilung der performance standards in normative Standards und nicht normative benchmarks nochmals hervorgehoben. Legt man die Definition der Expertise Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards zugrunde, so sind diese abschlussbezogene performance standards mit einem mittleren Anforderungsniveau, welche als sogenannte Regelstandards beschrieben werden können.
[...]
1 Vortmann, 2005, S.109.
2 Artelt/Riecke-Baulecke, 2004, S. 11.
3 Vgl. Beer, 2007, S. 31f.
4 Vgl. Stanat, 2003, S. 51ff.
5 Rhode-Jüchtern, 2007, S. 7.
6 Vgl. Abbildung (aus): Daumen/Eschmann/Hofmann-Göttig, 2005, S. 32.
7 Pott, 2003, S. 13.
8 Siehe dazu Kap. 2.1.
9 Vgl. Feltes/Paysen, 2005, S. 16.
10 Vgl. Keßler/Hovestadt, 2005, S. 8.
11 Vgl. Hofmann-Göttig/Eschmann/Daumen, 2005, S. 34.
12 Vgl. Karpen/Ingwertsen, 2005, S. 23.
13 Vgl. Feltes/Paysen, 2005, S. 17.
14 Vgl. Feltes/Paysen, 2005, S. 22.
15 Vgl. Thies, 2005, S. 12.
16 Vgl. Abbildung aus: Hofmann-Göttig/Eschmann/Daumen, 2005, S. 32f.
17 Siehe dazu Tab. 1.
18 Vgl. Becker, 2004, S. 17.
19 Vgl. Olkers, 2005, S. 18.
20 Vgl. Artelt/Riecke-Baulecke, 2004, S. 18ff.
21 Vgl. Beer, 2007, S. 24.
22 Vgl. Klieme u.a., 2003, S. 27f.
23 Vgl. Ziener, 2006, S. 50.
24 Vgl. Klieme u.a., 2003, S. 19.
25 Abbildung entnommen aus: Beer, 2007, S. 24.
- Quote paper
- Peter Griesbach (Author), 2008, Konzeption nationaler Bildungsstandards am Beispiel der Standards im Schulfach Geographie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125087
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