Zentrale Frage dieser Arbeit ist, ob und inwiefern Behauptungen, Auffassungen und Ideen von OnlyFans-Creatorinnen, verbreitet über das Medium YouTube, als postfeministisch beschrieben werden können. Dies wird unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Literatur zu Postfeminismus erörtert, wobei die Publikationen der feministischen Kulturtheoretikerin und Soziologin Rosalind Gill, welche den Begriff nachhaltig geprägt hat, die Grundlage für die Analyse bilden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Soziale Netzwerk OnlyFans
3 Feminismus und Postfeminismus
4 Medialer Diskurs über OnlyFans
4.1 Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und Kontrolle
4.2 Wahlfreiheit, Subjektivierung und sexuelle Befreiung
4.3 Postfeminismus und Populärer Feminismus
4.4 Empowerment, Selbstbewusstsein und weibliche Vielfalt
4.5 Girl Power, Feminismus und Neoliberalismus
5 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In meiner Wahrnehmung scheint der Feminismus vom Schatten der gesellschaftlichen Stigmatisierung ins Licht der Medien getreten zu sein. Dieser Feminismus, welcher von den Medien mit neoliberalen Werten der Selbstentfaltung umhüllt wird, bezieht sich positiv auf feministische Ideen und stellt diese gleichzeitig als überholt dar (McRobbie, 2004, S.257259). Es zirkulieren in unserer zeitgenössischen Medienkultur eine Reihe von widersprüchlichen und gegensätzlichen Themen und Aussagen in Bezug auf Feminismus. Dieses kulturelle Phänomen der Verwobenheit von feministischen und anti-feministischen Überzeugungen wird infolge von Gill (2007, 2017, 2018) und McRobbie (2004) als postfem inistisch beschrieben. Die Einführung des Begriffs der postfeministische Sensibilität (Gill, 2007, S.541-542) hilft dabei, die Widersprüchlichkeit der aktuellen Diskurse zu beschreiben, zu verstehen und einzuordnen.
Auch auf den sozialen Netzwerken findet sich eine Dominanz von postfeministischer Kultur, welche die Identität und Einstellung der Rezipient*innen prägt (Wilhelm, S.65-68, Jahr). Ich möchte Postfeminismus als analytische Kategorie anwenden, um den medialen Diskurs über das Soziale Netzwerk OnlyFans zu untersuchen. Dazu wird zuerst die Plattform OnlyFans und deren Aufbau und Funktionsweise beschrieben. Anschließend werden, ausgehend von Arbeiten der Autorinnen Gill und McRobbie und unter Bezugnahme weiterer wissenschaftlicher Literatur, Feminismus und Postfeminismus definiert und Elemente einer postfem inistischen Medienkultur herausgearbeitet. Hierauf aufbauend wird analysiert, inwiefern eine postfem inistische Sensibilität in aktuellen Diskursen über OnlyFans zu finden ist. Da die Plattform OnlyFans erst im Zuge der Pandemie Beliebtheit und Aufmerksamkeit gewonnen hat (Jarvey, 2020), gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine wissenschaftliche Literatur über die kulturelle Wirkung und Bedeutung der medialen Diskurse über OnlyFans in Bezug auf Postfeminismus. Daher werde ich auf YouTube und dort veröffentlichte Interviews mit OnlyFans-Creatorinnen zurückgreifen. Diese Creatorinnen nutzen OnlyFans, um sexuelle und pornografische Inhalte gegen Geld anzubieten. In den YouTube-Interviews wird von ihnen eine positive Vorstellung von Feminismus, sexueller Befreiung, Empowerment und Selbstbestimmtheit kommuniziert. Doch wie lässt sich diese Position vertreten, wenn in einem hetero- und gendernormativen Rahmen agiert wird?
Ich möchte die (post)fem inistische Argumentation auf Basis von Zitaten aus drei YouTubeInterviews analysieren. Zentrale Frage dieser Arbeit ist, ob und inwiefern Behauptungen, Auffassungen und Ideen von OnlyFans-Creatorinnen, verbreitet über das Medium YouTube, als postfeministisch beschrieben werden können. Dies möchte ich unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Literatur zu Postfeminismus erörtern, wobei die Publikationen der feministischen Kulturtheoretikerin und Soziologin Rosalind Gill, welche den Begriff nachhaltig geprägt hat, die Grundlage für meine Analyse bilden.
2 Das Soziale Netzwerk OnlyFans
OnlyFans ist eine Social-Media-Plattform, welche 2016 von Timothy Stokely gegründet wurde (OnlyFans, o.D.-b). OnlyFans ist ähnlich wie andere Soziale Netzwerke aufgebaut: Auf der Startseite befindet sich der Feed, auf welchem die geteilten Inhalte dargestellt werden. Zusätzlich gibt es eine Suchleiste, um neue Creator*innen zu finden oder Vorschläge für Personen zu erhalten. Es werden Benachrichtigungen über Abonnements, Likes, Nachrichten oder Trinkgelder angezeigt. Über private Chats kann mit Follower*innen direkt kommuniziert werden (Tillman, 2021).
Im Gegensatz zu anderen Social-Media-Plattformen, wie beispielsweise Instagram oder Facebook, verbietet OnlyFans keine sexuell expliziten Inhalte und wird deshalb fast ausschließlich für pornografische Inhalte genutzt (Shephard, 2021, S.13-14). Diese Inhalte befinden sich hinter einer Paywall. Content Creator*innen legen eine monatliche Abo-Gebühr fest, welche zwischen $4.99 und $49.99 liegt (Shepard, 2021, S.14). Durch eine Pay-Per- View-Funktion und einer Trinkgeld-Option lassen sich durch personalisierte Inhalte in privaten Chats weitere Einnahmen generieren (Shepard, 2021, S.14). OnlyFans behält dabei 20 Prozent aller Einnahmen (Shepard, 2021, S.14).
Laut einem Medienbericht des „The Hollywood Reporter“ (Jarvey, 2020) ist die Zahl der Benutzer*innen vor allem seit der Covid-19-Pandemie stark gestiegen. Laut den auf der Website OnlyFans veröffentlichten Statistiken verzeichnete die Plattform über 100 Millionen registrierte Nutzer*innen und eine Million Creator*innen (OnlyFans, o.D.-b).
3 Feminismus und Postfeminismus
Der Feminismus beschreibt eine Weltanschauung und soziale Bewegung, welche sich für die Selbstbestimmung und Gerechtigkeit, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Umfeld, von Frauen einsetzt (Lenz, 2018). Dabei werden vor allem patriarchal bestimmte Normen- und Wertesysteme kritisiert und ein Gesellschaftswandel angestrebt (Lenz, 2018).
Der Feminismus erhält seit den 1960er Jahren zunehmend Einzug in unsere Medienlandschaft (Gill, 2007, S.553). Aktuelle feministische Diskurse in den Medien nehmen dabei einen widersprüchlichen Charakter an, welcher feministische und anti-feministische Perspektiven vermischt (Gill, 2007, S.554). Um diese kulturelle Veränderung zu beschreiben, gewann der Ausdruck „Postfeminismus“ an Bedeutung.
Seit der Einführung des Begriffs Postfeminismus in den 1980er Jahren wurde dieser verschieden genutzt (Gill, 2018). Es ergeben sich drei Betrachtungsweisen: Zum Einen wurde Postfeminismus als eine theoretische Position verstanden, um die Veränderungen innerhalb des Feminismus zu verdeutlichen und ihn mit anderen Bewegungen, wie der Postmoderne in Einklang zu bringen (Gill, 2018). Zum Anderen diente der Begriff zur historischen Einordnung und Abgrenzung zum Feminismus der zweiten Welle, der Frauenbewegung der 1960er, und galt somit als aktuellste Version des Feminismus (Gill, 2018). Die letzte Perspektive versteht unter Postfeminismus einen antifeministischen Backlash, aufgrund eines zunehmenden Sexismus in den zeitgenössischen Mediendiskursen (Gill, 2018).
Weder die Einordnung aller feministischer Ideen nach der zweiten Welle in „postfeministisch“ (Gill, 2018), noch die einseitige Betrachtung einer antifeministische Gegenreaktion auf Feminismus helfen die Widersprüchlichkeit der aktuellen Diskurse zu beschreiben, so Gill (2017, S.607). Zusätzlich kritisiert Gill (2007, S.541), dass sich durch solche Betrachtungsweisen keine spezifischen Elemente des Postfeminismus definieren lassen. Daher plädiert Gill (2007, S.541-542) für ein Verständnis von Postfeminismus als eine Sensibilität, um die Medienkultur zu analysieren und die Verwobenheit von feministischen und anti-feministischen Ideen zu erfassen. Laut McRobbie (2004, S.257-259) werden feministische Ideologien in der Populärkultur anerkennt, indem diese als altmodisch und bereits erreicht dargestellt und Gendernormen freiwillig verinnerlicht werden. McRobbie (2004, S.255) sieht somit Postfeminismus als eine Praktik der Medien, um feministische Errungenschaften der 1970er Jahre herabzusetzen.
Um die postfeministische Kultur zu analysieren, identifiziert Gill (2007, S.542) folgende Elemente:
„die Vorstellung, dass Weiblichkeit eine körperliche Eigenschaft ist; die Verlagerung von Objektivierung zu Subjektivierung; die Betonung der Selbstüberwachung, Kontrolle und Disziplin; ein Fokus auf Individualismus, Wahlfreiheit und Empowerment [Hervorhebung im Original]; die Dominanz eines Makeover -Paradigmas [Hervorhebung im Original]; ein Wiederaufleben der Ideen eines natürlichen Geschlechterunterschieds; eine deutliche Sexualisierung der Kultur; und ein Schwerpunkt auf Konsum sowie die Kommerzialisierung von Differenz“ (Gill, 2007 S.542).
Gill ergänzt die Auflistung, um weitere Elemente: der Fokus auf positive mentale Einstellung (2017, S.619) und sexuelle Agency oder Handlungsmacht (2008), basierend auf neoliberaler Subjektivität.
Der Schwerpunkt auf Individualismus, Freiheit und Selbstverantwortung der Subjekte in postfem inistischen Diskursen wird in Verbindung mit dem Neoliberalismus und Kapitalismus gesetzt (Banet-Weißer, 2018, S.154; Gill, 2007, S.555). Gill (2017, S.609) spricht von einem „geschlechtsspezifischen Neoliberalismus”, welcher nach Banet-Weiser (2018, S.153-154) als hegemoniale Strategie fungiere und patriarchale Strukturen stärke.
Obwohl sich diese Merkmale des Postfeminismus auf die Medienkultur Anfang der 2000er Jahre beziehen, sind diese dennoch in der Gegenwart relevant (Gill, 2017, S.616). Gill (2017, S.616) betont, dass die Elemente auch in der zeitgenössischen Kultur vorherrschen und sich sogar verstärkt haben. Die Grenzen des Postfeminismus in der Medienkultur sind undeutlicher geworden, da er zur Normalität des Alltags geworden ist, so Gill (2017, S.609).
4 Medialer Diskurs über OnlyFans
Soziale Netzwerke, wie YouTube, Instagram oder Twitter, sind Orte für Kommunikation und Austausch und prägen die Identität und Einstellung der Rezipient*innen (Wilhelm & Tortajada, 2021, S.65-68, Jahr). Zunehmend werden dort feministische mit antifeministischen Narrativen verbunden (Wilhelm & Tortajada, 2021, S.68). Wiens und MacDonald (2021) beschreiben einen Postfeminismus im Kontext der Influencer-Kultur auf Instagram. Riley et al. (2017, S.6.) führen ebenfalls Studien an, welche die postfeministische Sensibilität in Soziale Medien charakterisieren.
Im Folgenden möchte ich Postfeminismus als analytische Kategorie anwenden, um den medialen Diskurs über OnlyFans zu untersuchen. OnlyFans und der mediale Diskurs über die Plattform, welcher auf anderen Sozialen Netzwerken, wie Instagram oder Youtube stattfindet, prägen unser zeitgenössisches Verständnis, indem (post-)feministische Ideen verbreitet werden.
Um (post)feministische Argumente von Creatorinnen, die pornografische Inhalte auf OnlyFans gegen Geld anbieten, zu analysieren, wird auf Interviews, veröffentlicht auf der Plattform YouTube, zurückgegriffen. Durch die Zuhilfenahme direkter Zitate, welche die Grundlage der Analyse bilden, werden Elemente einer postfeministischen Medienlandschaft identifiziert, um zu untersuchen, ob und inwiefern Creatorinnen von OnlyFans postfeministische Gedanken auf YouTube artikulieren.
Folgende YouTube-Videos und darin interviewten Creatorinnen von pornografischen Inhalten auf OnlyFans werde ich für meine Analyse verwenden:
1. Das Video vom Kanal Brust Raus, in welchem Naiad interviewt wird (Brust Raus, 2021).
2. Das Video vom Kanal PULS Reportage, in welchem ein Interview mit Suzie Grime geführt wird (PULS Reportage, 2020).
3. Das Video vom Kanal Y-Kollektiv, in dem Yma als Interviewparterin herangezogen wird (Y-Kollektiv, 2020).
4.1 Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und Kontrolle
Im medialen Diskurs auf YouTube über das Soziale Netzwerk OnlyFans zirkulieren die Ideen, dass OnlyFans, und das damit verbundene Hochladen von sexuell expliziten Inhalten, ein Werkzeug für Selbstbestimmung, Macht und Freiheit für Frauen sei und somit ein Fortschritt für den Feminismus darstelle. Dies wird am folgenden Zitat deutlich:
„Ich glaube, dass eine Plattform wie OnlyFans, dass gerade die Demokratisierung der Erotikbranche ein super spannendes Thema ist, weil du kannst einfach auf eigene Faust den Content produzieren, den du gerne machen möchtest. Und das ist natürlich extrem selbstbestimmt einfach. Es gibt den Frauen die Macht zurück in die Hand, quasi Erzähler und Darsteller ihres eigenen Narratives zu sein. Und insofern finde ich das schon sehr feministisch, weil in dem Moment, die einzige Person, die da an den Frauen mitverdient, ist die Plattform OnlyFans.“ (PULS Reportage, 2020, 7:18-7:47).
Die von Suzie Grime (PULS Reportage, 2020, 7:18-7:47) vertretene Vorstellung von Selbstbestimmung und Selbstermächtigung ist nach Gill (2007, S.547-548) ein zentrales Element von einem postfeministischen Mediendiskurs. Suzie Grime stellt sich als unabhängiges, emanzipiertes, eigenmächtiges Subjekt dar, welches „in keinerlei Hinsicht mehr von Benachteiligungen oder Machtungleichgewichten eingeschränkt [wird]“ (Gill, 2007, S.547). Zusätzlich präsentiert sich Suzie Grime als Entrepreneurin und verkörpert dabei die neoliberale Ideologie von Individualismus und Selbstverantwortung, welche entsprechend Banet Weisers (2018, S.154) Ausführungen ein zentrales postfeministisches Element darstellt. OnlyFans (o.D.-a) wirb mit dem Versprechen Jede*r könne durch das Uploaden persönlichen Contents unkompliziert Geld verdienen und wird so Teil eines neoliberalen Verständnisses. Nach Alison Winch (2015, zitiert nach Gill, 2017, S.616) wird in der heutigen Medienkultur der Körper zum Kapital und zum Mittel für Freiheit und Selbstbestimmung, indem er in einer neoliberalen Gesellschaft zur Schau gestellt wird. McRobbie (2010, S.40) kritisiert hierbei, dass unter dem vermeintlichen Selbstermächtigungsanspruch zunehmend der Konsum von pornografischen Content normalisiert und nicht hinterfragt wird. Durch OnlyFans als soziales Netzwerk erhalten sexualisierte, erotische Inhalte Eintritt in die Mainstream-Medien-Kultur. Dies unterstützt Gills These (2007, S.543-544) von einer postfeministischen Kultur, welche sich durch eine steigende Sexualisierung und Fokussierung auf weibliche Körper charakterisieren lässt. Der Begriff Sexualisierung meint, nach Dobson (2015, S.39), eine Sozialisation von Mädchen und Frauen, welche sich an Weiblichkeit und Heteronormativität orientiert. Darunter versteht sich sowohl die zunehmende sexuelle Darstellung von weiblichen Personen in der Öffentlichkeit als auch die Konzentration der Medien auf Sex und Sexualität (Gill, 2017, S.544).
Die Auffassung von Selbstbestimmung und Kontrolle lässt sich auch im Fazit der Reporterin wiederfinden: „Auch wenn's auf Plattformen wie OnlyFans hauptsächlich um erotischen und hotten Content geht, geht es auf jeden Fall in die Richtung zu Selbstbestimmung im Internet. Das heißt: My content, my rules!“ (PULS Reportage, 2020, 16:27-16:37).
Dies reiht sich in folgende Aussage einer Creatorin ein: „OnlyFans is were you really can post whatever you want. You're in control of it. I think that's why it was so appealing for me.” (Y-Kollektiv, 2020, 4:04-4:11).
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2022, "OnlyFans" im medialen Diskurs. Auseinandersetzung aus feministischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1250180
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