Ausgehend von der Digitalisierung von Informationen wurde das neue Medium „Internet“ entwickelt, womit ein großes Potential geschaffen wurde. Es erlaubt uns „nahezu unglaubliche Mengen an Informationen rund um den Globus zu senden und zur Verfügung zu stellen“ (Fiedler, 2003, S. 21). Wenn diese Informationstechnologie zuerst auch nur wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Nutzen hatte, so ist sie nun auch im menschlichen Alltag angekommen.
Kaum ein Mensch kann sich heutzutage das Internet mehr aus dem Leben wegdenken, zumal sich unser Alltag immer mehr „online“ abspielt, als im realen Leben. Menschen kaufen Lebensmittel und andere Waren im Internet ein, er- und versteigern Dinge bei Online-Auktionen, lesen die neuesten Nachrichten im „web“ und buchen ihre Urlaubsreisen online. Zwischendurch werden E-Mails gelesen und geschrieben und/oder man unterhält sich mit einem neuen oder alten Chat-Partner (Winkel, 2005). Nach Ott und Eichenberg (1999, S. 19) „steht [das Internet] mittlerweile […] an der Schwelle zu einem neuen Massenkommunikationsmedium“. Egal ob aus beruflichen oder privaten Gründen – 9,9 Millionen Deutsche nutzen es regelmäßig. Castells (2001) spricht in diesem Zusammenhang von einer „informationstechnologischen Revolution“ (zitiert nach Fiedler, 2003, S. 22), zumal es in vielen Bereichen zu nachhaltigen Veränderungen geführt hat.
Aufgrund der Dienste, Anwendungen und Nutzungsmöglichkeiten des Netzes, können sich Menschen sowohl Zugänge zu Ressourcen unterschiedlichster Themen verschaffen (Informationsmedium), als auch sich per E-Mail, Chat, Videokonferenzen und weiteren Kommunikationsmitteln via Internet unterhalten (Kommunikationsmedium) (Eichenberg, 2004a). Ebenso besteht die Möglichkeit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die eine ernsthafte und persönlich bedeutsame Relevanz haben. Menschen unterhalten sich über Inhalte, „die im Alltag tabuisiert und verdrängt werden, die Angst machen und Hilflosigkeit auslösen“ (Winkel, 2005, S. 14), weil sie sich im Netz durch die Anonymität sicher fühlen. Hierzu gehört neben Krankheiten, Sterben und Tod vor allem das Thema „Suizid“, welches „trotz einer gewissen Tabuisierung – Teil der gesellschaftlichen Alltagskommunikation ist“ (Fiedler & Neverla, 2003, S. 558). [...]
INHALTSVERZEICHNIS
I. THEORIETEIL
1. EINLEITUNG
2. SUIZIDALITÄT BEI JUGENDLICHEN UND ERWACHSENEN
2.1 Definitionen von Suizidalität und Klassifikation suizidalen Verhaltens
2.2 Epidemiologie
2.3 Psychopathologie
2.4 Risiko-, protektive und auslösende Faktoren
2.5 Diagnostik und Interventionen bei Suizidalität
2.6 Zusammenfassende Schlussfolgerungen
3. ENTSTEHUNGSTHEORIEN VON SUIZIDALITÄT UND IHR BEZUG AUF SUIZIDFOREN
3.1 Biologische Perspektive
3.2 Soziologische Perspektive
3.3 Perspektive der Psychoanalyse
3.4 Lerntheoretische Perspektive
3.5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen
4. GESPRÄCHSFOREN IM INTERNET
4.1 Definitionen und wichtige Begriffe über Gesprächsforen
4.1.1 Was sind Foren7
4.1.2 Was sind Selbsthilfeforen7
4.1.3 Was sind Suizidforen7
4.2 Kommunikation im Internet und ihre Wirkung
4.2.1 Merkmale computervermittelter Kommunikation und ihre Bedeutung
4.2.2 Psychologische Auswirkungen der Internetnutzung
4.2.3 Der Werther-Effekt und seine Wirkmechanismen
4.3 Selbstdarstellung in Suizidforen
4.4 Die Nutzung von Suizidforen zur Selbsthilfe
4.4.1 Nachteile der Selbsthilfe in Foren
4.4.2 Vorteile der Selbsthilfe in Foren
4.4.3 Fazit zum Thema Selbsthilfe
4.5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen
5. GEFAHR ODER NUTZEN? DER WISSENSCHAFTLICHE DISPUT UM SUIZIDFOREN
5.1 Beginn des öffentlichen Interesses an Suizidforen
5.2 Suizidforen aus der Sicht der Medien und ihre anfängliche Stigmatisierung
5.3 Suizidforen aus der Sicht der Wissenschaft
5.3.1 Einzelfallstudien
5.3.2 Stellungnahmen von Experten
5.3.3 Empirische Untersuchungen zu Suizidforen
5.4 Potentiell gefährdende Aspekte von Suizidforen
5.5 Potentielle Chancen von Suizidforen
5.6. Zusammenfassende Schlussfolgerungen
II. EMPIRISCHER TEIL
6. FORSCHUNGSFRAGEN UND HYPOTHESEN
7. METHODISCHES DESIGN
7.1 Die Beobachtung
7.2 Die Online-Befragung
7.2.1 Aufbau des Online-Fragebogens
7.2.2 Durchführung der Umfrage
7.2.3 Auswertung der Fragebögen
8. ERGEBNISSE
8.1 Ergebnisse der Beobachtung
8.2 Ergebnisse der Online-Befragung
8.2.1 Beschreibung der Stichprobe
8.2.2 Ergebnisse zur Nutzung des Suizidforums
8.2.3 Ergebnisse zur Motivation der Nutzer
8.2.4 Ergebnisse zur Suizidalität
8.2.5 Ergebnisse zu den Erfahrungen mit dem Forum
8.2.6 Ergebnisse zu Beratungsangeboten bzw. (Online-)Therapie
8.2.7 Positive und negative Effekte aus Sicht der Nutzer
8.2.8 Weitere Angaben
8.3 Zusammenfassung aller Ergebnisse
9. DISKUSSION UND AUSBLICK
9.1 Ein Blick in die Suizidforen: Gruselig oder einladend?
9.2 Werden Suizidforen von jungen Frauen regiert?
9.3 Wird die Forennutzung in das Leben der User integriert?
9.4 Suizidforen - ein Marktplatz für Selbstmörder oder eine gewinnbringende Plattform zum Austausch?
9.5 Werden Suizidforennutzer wirklich erst im Forum suizidal?
9.6 Sammeln Suizidforennutzer suizidprotektive oder suizidogene Erfahrungen?
9.7 Lehnen die User wirklich jegliche Hilfe von außen ab?
9.8 Fazit der User: Gefahr oder Chance?
9.9 Fazit der Autorin
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Anhang A: Risikofaktoren jugendlicher Suizidalität
Anhang B: Anstieg der Zahl der Selbstmorde nach Veröffentlichung von Geschichten auf der Titelseite der New York Times
Anhang C: Anschreiben an die Admins
Anhang D: Eröffnungsposting in den Foren
Anhang E: Online-Fragebogen
Anhang F: Anmerkungen der Befragten
Anhang G: Ausschnitt aus den Foren-
I. Theorieteil
1. Einleitung
Ausgehend von der Digitalisierung von Informationen wurde das neue Medium „Internet" entwickelt, womit ein groBes Potential geschaffen wurde. Es erlaubt uns „nahezu unglaubliche Mengen an Informationen rund um den Globus zu senden und zur Verfügung zu stellen" (Fiedler, 2003, S. 21). Wenn diese Informationstechnologie zuerst auch nur wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Nutzen hatte, so ist sie nun auch im menschlichen Alltag angekommen.
Kaum ein Mensch kann sich heutzutage das Internet mehr aus dem Leben wegdenken, zumal sich unser Alltag immer mehr „online" abspielt, als im realen Leben. Menschen kaufen Lebensmittel und andere Waren im Internet ein, er- und versteigern Dinge bei Online-Auktionen, lesen die neuesten Nachrichten im „web" und buchen ihre Urlaubsreisen online. Zwischendurch werden E-Mails gelesen und geschrieben und/oder man unterhält sich mit einem neuen oder alten Chat-Partner (Winkel, 2005). Nach Ott und Eichenberg (1999, S. 19) „steht [das Internet] mittlerweile [...] an der Schwelle zu einem neuen Massenkommunikationsmedium". Egal ob aus beruflichen oder privaten Griinden — 9,9 Millionen Deutsche nutzen es regelmäßig. Castells (2001) spricht in diesem Zusammenhang von einer „informationstechnologischen Revolution" (zitiert nach Fiedler, 2003, S. 22), zumal es in vielen Bereichen zu nachhaltigen Veränderungen geführt hat.
Aufgrund der Dienste, Anwendungen und Nutzungsmöglichkeiten des Netzes, können sich Menschen sowohl Zugänge zu Ressourcen unterschiedlichster Themen verschaffen (Informationsmedium), als auch sich per E-Mail, Chat, Videokonferenzen und weiteren Kommunikationsmitteln via Internet unterhalten (Kommunikationsmedium) (Eichenberg, 2004a). Ebenso besteht die Möglichkeit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die eine ernsthafte und persönlich bedeutsame Relevanz haben. Menschen unterhalten sich über Inhalte, „die im Alltag tabuisiert und verdrängt werden, die Angst machen und Hilflosigkeit auslösen" (Winkel, 2005, S. 14), weil sie sich im Netz durch die Anonymität sicher fiihlen. Hierzu gehört neben Krankheiten, Sterben und Tod vor allem das Thema „Suizid", welches „trotz einer gewissen Tabuisierung — Teil der gesellschaftlichen Alltagskommunikation ist" (Fiedler & Neverla, 2003, S. 558).
Die Suchmaschine „Google" liefert mehr als 51 Millionen Einträge unter Eingabe des Begriffs „Tod" — 2005 waren es „nur" rund 11 Millionen. Hierbei ist zu beachten, wie unterschiedlich die Inhalte bezüglich dieses Themas sein können: ob sogenannte Gedenk-Seiten (persönliche Webseiten, die Hinterbliebenen dazu dienen, um über ihre Angehörigen zu trauern), virtuelle Friedhöfe, Online-Beerdigungen oder reine Informationen zum Thema „Tod/Sterben" — der Kreativität ist keine Grenze gesetzt (Winkel, 2005). Menschen haben die Möglichkeit, sich ohne große technische Fähigkeiten und handwerklichem Geschick, „auf vielfältige Weise einem groBen Publikum mitzuteilen" (Eichenberg, 1998, S. 1).
Die herkömmlichen Umgangsweisen mit dem Thema Tod oder Selbstmord, sei es öffentlich oder privat, erweitern sich um neue Ausdrucksmöglichkeiten durch so genannte elektronische Gesprächsforen, in welchen man über solche Themen diskutieren kann (Döring, 2000). Diese werden von Jugendeinrichtungen, kirchlichen Trägern, aber auch von Privatpersonen zur Verfügung gestellt. Eine besondere Form solcher Foren stellen Gesprächsforen dar, die den Suizid als thematischen Schwerpunkt besitzen: sogenannte „Suizidforen". flier ist die Möglichkeit geboten, sich über seine Stimmungen und Probleme, Todeswünsche oder das Thema Suizid im Allgemeinen auszutauschen. Nach Eichenberg (2002a, S. 1) dienen die „Suizidforen" in aller Regel „zur emotionalen Unterstützung und zum Informationsaustausch", wenn sie auch von den Medien mit reiBerischen Titeln wie „Bei Mausklick Selbstmord?" dämonisiert werden. Gerade dem Aspekt der Selbsthilfe im Internet durch derartige Foren wird meist wenig Beachtung geschenkt (Lehman, 2004).
Erst durch den ersten über das Netz verabredeten Doppelselbstmord zwischen einem 24-jährigem Norweger und einer 17-jährigen Österreicherin wurden Suizidforen bekannt. Dramatisierende und moralisierende Medienberichte über die Selbstmordforen kommentierten diese Tat. Durch die bis dahin ahnungslose Gesellschaft ging ein Schauer. Jugendliche informieren sich angeblich im Internet über die effektivsten Suizidmethoden, überzeugen sich gegenseitig, dass der Suizid die Lösung aller Probleme darstellt und/oder verabreden sich zum gemeinsamen Selbstmord (Winkel, 2005). Es ist kein Wunder, dass die Öffentlichkeit durch derartige Darstellungen besorgniserregt ist, zumal den Suizidforen zugeschrieben wird, dass sie Ursache für Selbstmorde sind (Eichenberg & Fischer, 2003). Aus diesem Grund und weil „das Internet [...] auch fir Lebensmilde zum Marktplatz der Möglichkeiten geworden" ist, fordert unter anderem ]die Autorin Solveig Prass (2002, S. 3), juristische Maßnahmen gegen solche Foren zu ergreifen.
In der Literatur lassen sich zu diesem viel umstrittenen Thema eine große Anzahl von Meinungen finden, die jedoch „fast ausschlieBlich auf theoretischen Uberlegungen oder anekdotischen Berichten" beruhen (Eichenberg, 2004b, S. 1). Argumente, die versuchen, die Gefährlichkeit eines Suizidforums zu begründen, sind ebenso spekulativ wie relativierende Positionen, die ihnen suizidpräventive Funktionen zuschreiben. „Sowohl einseitige Schädlichkeitszuschreibungen als auch beschwichtigende Haltungen beruhen auf ungeprüften Annahmen" (Eichenberg, 2004b, S.1).
Durch die große Menge an Spekulationen ist es schwer, aber dennoch notwendig, einen differenzierten Blick auf diese Foren zu werfen. Deshalb ist es Ziel der vorliegenden Studie, empirisch fundierte Antworten auf die vielen Fragen zu bekommen, welche derart kontrovers bestritten werden. Es soll der Problematik nachgegangen werden, inwieweit Suizidforen „gefährlich" sind, sowie ob sich die Nutzung solcher Foren positiv auf die Teilnehmer auswirkt. Die Perspektive der Forenteilnehmer wird dabei mit Hilfe einer Onlinebefragung in den Vordergrund gestellt. Zudem werden einige Suizidforen mittels Beobachtung unter die Lupe genommen, um sie genauer zu beschreiben und sich ein Bild von ihnen machen zu können. Die Arbeit ist hauptsächlich deskriptiv orientiert und soll einen Überblick über die Suizidforen aus der Sicht der Betroffenen verschaffen.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der Theorieteil umfasst fünf Kapitel (inklusive dieser Einleitung). In Kapitel 2 wird ein Überblick über Suizidalität bei Jugendlichen und Erwachsenen gegeben, um das Erscheinungsbild „Suizidalität" als theoretisches Grundwissen verständlich zu machen. Kapitel 3 widmet sich den Erklärungsansätzen dieses Erscheinungsbildes, wobei schon erste Bezüge auf die Suizidforen genommen werden. Die Differenzierung der unterschiedlichen Arten von Gesprächsforen und schließlich die Beschreibung der Suizidforen selbst, sowie die potentielle Wirkung der Kommunikation im Internet, als auch Selbsthilfeaspekte von Suizidforen sind Gegenstand des vierten Kapitels. Kapitel 5 versucht den Wandel des öffentlichen Bildes dieser Foren im Laufe der letzten Jahre durch die Medien und die Wissenschaft aufzuzeigen. Durch die Darstellung von wissenschaftlichen Diskussionen und Studien sollen denkbare positive und negative Effekte der Foren abgeleitet und möglichst objektiv dargestellt werden. Nach jedem Kapitel werden bereits wichtige Schlussfolgerungen für den empirischen Teil gezogen.
Der empirische Teil gliedert sich in fünf weitere Kapitel, beginnend mit der Ableitung der Fragestellungen und Hypothesen. Kapitel 7 beinhaltet das methodische Design der Untersuchung: die Beobachtung und der Online-Fragebogen. Kapitel 8 gibt eine detaillierte Darstellung aller gewonnenen Ergebnisse. Zur Diskussion der Ergebnisse in Zusammenhang mit theoretischen Vorüberlegungen kommt es in Kapitel 9. Hierbei werden zusätzlich Anreize für zukünftige Forschungen gegeben und Perspektiven für die Praxis abgeleitet. Die Arbeit schließt mit einem persönlichen Fazit der Autorin.
2. Suizidalität bei Jugendlichen und Erwachsenen
In diesem Kapitel soll ein Überblick über die Suizidalität bei Jugendlichen und Erwachsenen dargestellt werden, um die Hintergründe dieses komplexen Verhaltens für die vorliegende Arbeit zu verstehen. Hierbei werden zuerst wichtige Begriffe der Suizidalität definiert und suizidales Handeln klassifiziert. Nach dem Aufzeigen epidemiologischer Gesichtspunkte, wird kurz auf den Verlauf und auf Risiko- bzw. schützende Faktoren eingegangen. Anschließend soll der Bereich der Diagnostik, Prävention und Intervention, einschließlich Therapie berücksichtigt werden.
2.1 Definitionen von Suizidalität und Klassifikation suizidalen Verhaltens
Sowohl in der Literatur, als auch in der Praxis werden verschiedene Bezeichnungen für Selbstmord bzw. Selbstmordgefährdung verwendet. Alle meinen gemeinsam die „Neigung eines Menschen, aktiv seinem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen" (Rausch, 1991, S. 13). Nach Auffassung der Autorin Karin Rausch (1991) beginnt Selbstmordgefährdung schon dann, wenn ein Mensch sich denkt oder wünscht zu sterben, sich Dritten gegenüber äußert und Vorbereitungsmaßnahmen in dieser Richtung trifft, auch wenn diese nicht tödlich sind. Zudem gibt es in den verschiedenen Forschungsdisziplinen eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen, die jeweils in ihrer Begrifflichkeit die vorherrschende Einstellung zu diesem Handeln aufzeigen: ablehnend, akzeptierend oder neutral (Grubitzsch & Weber, 1998). So spricht man in der Religion von Selbstmord, da es als eine „zu verurteilende Tat gegen den Menschen als einem Geschöpf Gottes" (Rilbenach, 2007, S. 960) gesehen wird, wohingegen die Philosophie den Begriff Freitod nutzt, um die Tat als „freiwilligen Akt eines entscheidungsfähigen Individuums" (ebd.) hervorzuheben. Um kein Moralurteil zu fällen und „eine vorurteilsfreie, enttabuisierende Untersuchung des Akts der Selbsttötung zu ermöglichen" (ebd.), bemüht man sich in der Medizin und Naturwissenschaft, den Begriff Suizid zu nutzen.
Der Begriff Suizid wird aus dem Lateinischen „sui caedere" abgeleitet, was soviel bedeutet wie „sich töten" und nach Rilbenach (2007) und der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (DGKJP, 2007) eine mit bewusster und gezielter Absicht bzw. Inkaufnahme durchgeführte Handlung mit Todesfolge meint. Hömmen (1989, zitiert nach Kaiser, 2003, S. 6) hingegen definiert den Suizid folgendermaßen, wobei er eine Beabsichtung der Handlung für irrelevant hält: „Selbsttötung ist eine gegen das eigene Leben gerichtete Handlung mit tödlichem Ausgang. Es ist nicht entscheidend, ob der Tod beabsichtigt wurde oder nicht".
Während der Begriff Suizidalität von Arnold, Eysenck, Meili (1987, S. 2251) und Dornblüth (2002, S. 1611) nur kurz als „Neigung zum Selbstmord/Suizid" abgehandelt wird, gilt er nach Rausch (1991, S. 13) als „Symptom einer zeitlich früheren zugrunde liegenden Störung". Er impliziert kein eigenständiges Störungsbild, sondern stellt ein komplexes Geschehen mit sowohl medizinischen als auch psychologischen Aspekten dar. Lindner, Fiedler und Götze (2003, S. 226f) verstehen Suizidalität als „Ausdruck der Zuspitzung einer seelischen Entwicklung, in der der Mensch hoffnungslos und verzweifelt über sich selbst, das eigene Leben und seine Perspektiven ist und seine Situation als ausweglos erlebt". Aufgrund dessen richtet der Mensch alle Gedanken, Gefühle und Handlungen auf die Selbstzerstörung „durch selbst herbeigeführte Beendigung des Lebens" aus. Suizidalität findet ihren stärksten Ausdruck im vollendeten Suizid (Winkel, 2005).
Suizidale Gedanken oder s uizidale Affekte sind Anzeichen, die ohne eine Verknüpfung mit Handlungen, direkt oder indirekt, verbal oder nonverbal eine Beschäftigung mit Suizidideen anzeigt (DGKJP, 2007). Hierbei können die Suizidgedanken sowohl um den „Wunsch zu sterben, den Wunsch nach Ruhe, nach einer Pause", als auch um eine „Unterbrechung im Leben" kreisen (Lindner, Fiedler & Götze, 2003, S. 227). Suizidales Handeln wird von Stengel (1970, zitiert nach Kaiser, 2003) als eine Art der absichtlichen Selbstschädigung beschrieben, die durch einen kurzen Zeitraum begrenzt ist und bei der der Mensch nicht weiß, ob er die Handlung, die er begeht, überlebt oder nicht.
Suizidversuche, also Handlungen, die dazu dienen, das eigene Leben zu beenden, aber nicht tödlich enden, können nach Dornblüth (2002) in 3 Formen eingeteilt werden. Demnach gibt es erstens den Suizidversuch, der Suizidhandlungen beinhaltet, jedoch keine Selbsttötungsabsichten hat, zweitens den Suizidversuch mit einer ausgeprägten Ambivalenz (die Person will weder leben, noch sterben) und schließlich den überlegten Suizidversuch, bei der die Person zwar sterben will, es jedoch zufällig nicht gelingt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt das Ersetzen mit dem Begriff Parasuizid vor, jedoch liegt das Gewicht hier zu sehr auf der appellativen Funktion der suizidalen Handlung, da der Begriff eine „Selbstbeschädigung mit potenzieller, aber nicht intendierter Lebensbedrohung" (Steinhausen, 2006, S. 357) bezeichnet. Hierbei werden zahlreiche andere Intentionen, die mit parasuizidalem Verhalten verbunden sein können, beispielsweise das Aufmerksammachen oder Bestrafen anderer Menschen mit eingeschlossen, nicht mehr der eigene Tod ist das Kriterium (Winkel, 2005).
In der Literatur ist es bisher noch immer umstritten, ob man suizidale Gedanken, Suizidversuche und den vollendeten Suizid getrennt als völlig unterschiedliche Phänomene, oder ob man alles als verschiedene Grade der Ausprägung einer Grundstörung betrachten sollte. Für beide Seiten existieren überzeugende Argumente, jedoch ist es schwer, eine theoretisch-konzeptuelle Trennung in der Praxis aufrechtzuerhalten. Es wird angenommen, dass sich „die Gruppen von Personen mit Suizidgedanken, Suizidversuchen und vollendeten Suiziden in vieler Hinsicht überschneiden und es sich um unterschiedliche Intensitätsgrade des gleichen Phänomens handelt" (ebd., S. 45).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Klassifikation nach Suizidmethoden (Rübenach, 2007, S. 962)
Je nachdem welches Ziel man mit seiner Untersuchung verfolgt, ist es von Vorteil, Suizide bzw. Suizidversuche nach bestimmten Aspekten zu klassifizieren. Obwohl es noch keine allgemein akzeptierte Klassifikation für Suizidversuche gibt, teilt Steinhausen (2006) diese in drei Gruppen ein: Während in der Gruppe der akuten (1) und chronischen (2) Suizidversuche noch Verhaltensauffälligkeiten fehlen und die festgestellten Probleme erst seit kurzem (1) bzw. schon etwas länger (2) bestehen, zeichnet sich die Gruppe chronisch mit Verhaltensauffälligkeiten (3) vor allem durch Verhaltensauffälligkeiten wie Drogenkonsum, Stehlen oder wiederholtem Weglaufen aus. In der zweiten, vor allem aber in der dritten Gruppe stützen sich Autoren auf medizinische oder psychische Störungen.
Das Klassifikationssystem der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitssysteme (ICD), welches in Tabelle 1 ersichtlich ist, lässt sich verwenden um nach Suizidmethoden zu ordnen, obgleich „keine Kodierung der Suizidalität auf der Achse der psychiatrischen Störungen" (Winkel, 2005, S. 45) erlaubt ist, da Suizidalität lediglich ein Symptom darstellt. Des Weiteren kann man nach weichen Methoden (z.B. Einnahme von Tabletten), bei denen eine mögliche Rettung durch Intervention vorhanden ist, und harten Methoden (z.B. Erschießen), welche durch ihre Hochwirksamkeit, ihre schnelle Wirkung und seltene Rettung gekennzeichnet sind, unterscheiden. Zusätzlich gibt es die Differenzierung zwischen gebräuchlich (z.B. Einnahme von Tabletten) und ungebräuchlich (z.B. Sprengstoff) (Winkel, 2005).
Neben der Klassifikation nach Schweregrad (vgl. Tabelle 2), bei der sowohl nach intrapsychischen, als auch nach äußeren Kriterien geordnet wird, stellt die Einteilung nach Suizidmotiven weiterhin eine große Relevanz dar. Hierbei wird hauptsächlich Bezug auf Aussagen überlebender Personen genommen, da Abschiedsbriefe nicht immer hinterlassen werden und Aussagen von Angehörigen möglicherweise inhaltlich nicht aussagekräftig sind. Winkel (2005, S. 48) teilt die Motive in selten vorkommende demonstrative Suizidversuche (z.B. „Wunsch nach Beachtung und Aufmerksamkeit, [...] Versuch, andere zu beeinflussen") und häufiger vorkommende Bewältigung von Problemen (z.B. „Vermeidung oder Flucht aus einer unertraglichen Situation").
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Klassifikation von Suizidmethoden nach Schweregrad (DGKJP, 2007)
Vor allem Jugendliche haben meist nicht das Verlangen zu sterben, sondern versuchen durch ihr Handeln ihre Gefühle der Verzweiflung mitzuteilen und/oder sehnen sich nach Ruhe und Entlastung. Ambivalenzsuizide, die durch ein starkes Schwanken zwischen Leben und Tod gekennzeichnet sind, sind eher bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen zu finden. Im höheren Erwachsenenalter werden außerdem Bilanzsuizide erwähnt, denen ein sorgfältiger Entscheidungsprozess zugrunde liegt, wobei die Perspektiven des Lebens „nicht als erstrebenswert angesehen werden" (Winkel, 2005, S. 49).
2.2 Epidemiologie
Die vorliegenden epidemiologischen Befunde zeigen die Häufigkeit des Auftretens von suizidalen Gedanken, Suizidversuchen und Suiziden in der Population. Vorrangig wird auf die Variablen Alter und Geschlecht Bezug genommen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die offiziellen Angaben die tatsächliche Zahl unterschätzen, da von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden kann. Ein erheblicher Teil nicht erkannter Suizide kann sich unter den Toten von Verkehrsunfällen, Drogen oder unklaren Todesursachen verbergen. Des Weiteren können die folgenden Angaben weiteren Fehlerquellen (Fehler bei der Datenübermittlung, unterschiedliche Dokumentationsmethoden etc...) unterliegen, so dass man annehmen kann, dass die tatsächlichen Zahlen um mindestens 25% höher liegen (Fiedler, 2007).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Sterbefälle durch Suizide in Deutschland im Zeitverlauf (Daten: Rübenach, 2007)
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass sich täglich mehr als 1.000 Menschen auf der Erde das Leben nehmen. In den meisten europäischen und nordamerikanischen Ländern wird der Suizid zu den „fünf bis zehn häufigsten Todesursachen der Gesamtpopulation" (Kaiser, 2003, S. 9) gezählt. Die Anzahl der Suizidtoten steigt laut WHO weltweit an. In Deutschland ist jedoch nach den Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes ein „relativ kontinuierlicher Rückgang seit Anfang der 1980er-Jahre" (Rübenach, 2007, S. 964) zu verzeichnen. Im Jahr 2006 starben weltweit 821.627 Menschen (385.940 Männer, 435.687 Frauen), wovon es in Deutschland 7.225 männliche und 2.540 weibliche Suizidtote gab. Die Sterberate bzw. Suizidrate (Zahl der Gestorbenen auf 100.000 Personen bezogen) durch Suizid betrug somit im Schnitt 11,9 (Männer: 17,9; Frauen: 6,0). Um den Rückgang der Sterbefälle durch Suizide und das Schwanken der Suizidrate in den letzten 20 Jahren zu verdeutlichen, werden ausgewählte Daten in Tabelle 3 und Abbildung 1 dargestellt. Zu erwähnen ist jedoch, dass dies kein aussagekräftiger Vergleich ist, da sich im Laufe der Zeit auch z.B. Unterschiede im Bevölkerungsaufbau entwickelt haben können (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Suizidraten in Deutschland 1980 bis 2005 (alte und neue Bundesländer) (Fiedler, 2007, S. 2)
Es lässt sich eindeutig erkennen, dass mehr Männer durch Suizide sterben als Frauen. Bezieht man das Alter in die Suizidziffern mit ein, so ergibt sich das sogenannte ungarische Muster, welches in Abbildung 2 erkennbar ist. „Die Suizidgefährdung nimmt mit dem Alter [...] zu" (Weinacker, Schmidtke & Löhr, 2002, S. 1). Allgemein lässt sich sagen, dass junge Menschen im Vergleich zu älteren Menschen weniger durch Suizid sterben. Bei Männern steigt die Suizidrate besonders ab dem 60. Lebensjahr stark an, bei den Frauen ist jede zweite Suizidtote älter als 60 Jahre (Fiedler, 2007).
Einen interessanten Vergleich zeigt Rausch (1991, S. 17): Im Jahr 1988 gab es 10.815 Todesfälle durch Suizid, wohingegen „nur 7.944 Menschen" bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen. Nach Fiedler und Neverla (2003, S. 557) ist „die Zahl der Todesfälle aus Suiziden pro Jahr in Deutschland [...] gröBer als die durch Verkehrsunfälle, Aids, Drogen und Gewalttaten zusammengenommen". Durch solche und weitere Vergleiche anderer Autoren wird dem Leser die Dimension der suizidalen Todesfälle erst richtig bewusst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Suizidziffern der einzelnen Altersgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, 2000 (Weinacker,
Schmidtke & Löhr, 2002, S. 9)
Über die Häufigkeit von Suizidversuchen gibt es keine offiziellen statistischen Angaben. Da nur ein Teil der suizidalen Handlungen bekannt wird (z.B. durch Krankenhausaufenthalte) oder unbehandelt und somit unbekannt bleiben, ist es sowohl schwierig, Daten hierzu zu erfassen, als auch nicht überraschend, dass viele Untersuchungen unterschiedliche Ergebnisse aufzeigen (Fiedler, 2007). Außerdem gibt es eine Reihe von Verzerrungsfaktoren wie z.B. unscharfe Definitionen von Suizidversuchen oder fehlende umfassende Fallregister (Steinhausen, 2006). Fiedler (2007) geht davon aus, dass, unabhängig vom Alter der Person, etwa zehnmal so viele Suizidversuche stattfinden wie Suizide, wohingegen Steinhausen (2006, S. 358) von einer Relation „von vollendetem Suizid und Suizidversuch [von] etwa 1:38" spricht. Aber auch diese Schatzungen konnen eine hohe Dunkelziffer aufweisen!
Bezüglich den Suizidversuchen gibt es erhebliche Unterschiede zu Suiziden: Zum einen führen Frauen häufiger Suizidversuche durch als Männer. Es wird geschätzt, dass 1996 bei den Männern 122 pro 100.000 und bei den Frauen 147 pro 100.000 Menschen versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Für einen männlichen vollendeten Suizid entspricht das 5,5 Suizidversuchen — bei Frauen stehen 18 Suizidversuche pro einem Suizid. Insgesamt würde das bedeuten, dass es im Jahre 1996 110.200 Suizidversuche gab (Fiedler, 2007). In Bezug auf das Alter lässt sich aussagen, dass Suizidversuche bei Kindern unter 12 Jahren relativ selten zu beobachten sind, sie jedoch häufiger von jungen als von alten Menschen unternommen werden. Wie in Abbildung 3 ersichtlich, sind die Suizidversuchsraten bei jüngeren Menschen deutlich höher als bei älteren Altersgruppen. „Die Altersverteilung der Personen mit Suizidversuchen ist der der Suizide entgegengesetzt" (Weinacker, Schmidtke & Löhr, 2002, S. 2). In Bezug auf Geschlecht und Alter lässt sich folgende Aussage festhalten: „Ab der Präadoleszenz dominieren Mädchen iiber Jungen im Verhältnis von 3 bis 9:1" (Steinhausen, 2007, S. 358).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Suizidversuchsziffern der einzelnen Altersgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, 2000
(Weinacker, Schmidtke & Löhr, 2002, S. 9)
Auffällig ist, dass man Suizidversuche häufiger in den unteren Schichten findet. Menschen mit niedriger Schulbildung, ohne Berufsausbildung bzw. niedriger Berufsausbildung sind im Vergleich zur Gesamtpopulation bei Suizidversuchen überrepräsentiert. Ebenso spielt in einer Studie der WHO Arbeitslosigkeit eine große Rolle für suizidales Verhalten (Weinacker, Schmidtke & Löhr, 2002).
Obwohl die Anzahl der Suizidversuche in Deutschland nach Weinacker, Schmidtke und Löhr (2002) im Jahr 2001 auf 108/100.000 bei Männern und 131/100.000 bei Frauen gesunken sind, spricht Steinhausen (2007) von einer internationalen Zunahme. Er begründet dies mit einer möglichen Zunahme der Verfügbarkeit von Drogen, mehr Verschreibungen von psychotropen Substanzen und einem zunehmendem gesellschaftlichem Druck.
Reine suizidale Gedanken, zu denen Suizidvorstellungen und Todeswünsche gehören, treten bei ungefähr 20% von Jugendlichen auf (Becker, 2004, zitiert nach Winkel, 2005). Eine andere repräsentative Studie gab an, dass sich 10.2% der befragten Jugendlichen mit Suizidgedanken beschäftigen (Bronisch & Wunderlich, zitiert nach Winkel, 2005). Insgesamt lasst sich sagen, dass „es sich bei Suizidgedanken im Jugendalter um eine sehr haufige Erscheinung handelt" (Winkel, 2005, S. 50), diese jedoch meistens voriibergehen und man eher selten von einer suizidalen Gefährdung spricht.
Regionale oder internationale Unterschiede von Suiziden, Suizidversuchen und Weitere finden sich in den Daten des Statistischen Bundesamtes (vgl. Rübenach, 2007) und in zahlreichen anderen Untersuchungen (vgl. Weinacker, Schmidtke & Löhr, 2002; Kaiser, 2003). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Deutschland immer noch jeder 100. Mensch freiwillig stirbt und die Zahl der Suizide trotz des rückläufigen Sterblichkeitsniveaus immer noch bedeutsam höher ist als die Zahl der Verkehrstoten. In Bezug auf die Suizidforen kann angenommen werden, dass die Nutzer überwiegend weibliche Jugendliche und junge Erwachsene sind, da sie am meisten Suizidversuche unternehmen. Es ist zu erwarten, dass diese Personen in den Foren Zuflucht suchen und über ihre Probleme reden möchten.
2.3 Psychopathologie
Da Befunde von psychopathologischen Untersuchungen, welche sich mit dem Verlauf psychischer Störungen beschäftigen, für die Aufstellung von Prognosen und die Beurteilung der Anwendung von Maßnahmen wichtig sind, werden im folgenden frühe Warnzeichen und die Entwicklungsstadien von Suizidalität aufgezeigt.
Signale und Alarmzeichen
Um präventive bzw. therapeutische Maßnahmen rechtzeitig einführen zu können, ist die Identifikation suizidgefährdeter Menschen besonders wichtig, was wiederum die Kenntnis von Signalen und Warnzeichen voraussetzt. Diese sollten unbedingt ernst genommen werden, denn sie geben Hinweise auf eine mögliche bestehende Gefährdung.
Ein erstes Zeichen stellt die soziale Isolierung dar, also das Zurückziehen aus bisherigen Beziehungen und die Vernachlässigung bzw. der Abbruch von Freundschaften. Neben häufigen Stimmungsschwankungen (von übermütig überdreht zu depressiv und umgekehrt) geben auch Veränderungen in der äußeren Erscheinung (z.B. Vernachlässigung der Körperhygiene, ausdrucksarme Stimme, Mimik und Gestik) und aggressiv abwehrendes Verhalten Hinweise auf das mögliche Vorliegen von Suizidalität. Zusätzlich zu schriftlichen Äußerungen wie Gedichten, die sich mit dem Thema Tod auseinandersetzen, Zeichnungen und Symbolen, sowie verbalen Äußerungen, gibt der Autor der Internetpräsenz neuhland.net weitere Hinweise wie Selbstverletzungen, vermehrter Konsum von Alkohol und Drogen und ein verändertes Essverhalten an. Nicht zu vernachlässigen sind körperliche Symptome wie Appetitlosigkeit, Schwindelgefühle, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Erschöpfung (neuhland.net, 2008). Winkel (2005) zählt als zusätzliche Zeichen Disziplinprobleme und Vernachlässigung von Aufgaben und Pflichten. Die genannten Alarmzeichen müssen beim einzelnen Auftreten kein Hinweis auf eine Gefährdung suizidalen Verhaltens sein, sollten aber besonders bei einer Häufung wahrgenommen werden.
Das präsuizidale Syndrom
Vielen Suiziden geht eine längere Entwicklung voraus, in der die Menschen in ihren Gefühlen einer hohen Ambivalenz ausgesetzt sind und den Suizid erst nur als eine Möglichkeit erwägen. Zu dieser Zeit sind die Reaktionen und Botschaften besonders bedeutsam (Tomandl, Sonneck & Stein, 2007). Die charakteristische Befindlichkeit, die einem Suizid vorausgeht, beschrieb erstmals der Psychiater Erwin Ringel im Jahre 1949. Nachdem er 745 Menschen, welche einen Suizidversuch überlebt haben, untersucht hatte, rekonstruierte er eine seelische Befindlichkeit, welche dem Suizidversuch vorausging und mit den meisten Probanden übereinstimmte. Dieses komplexe Muster von Warnzeichen der Suizidalität nannte er präsuizidales Syndrom. Ringel bezeichnet drei Elemente als entscheidend: die gedankliche, emotionale Einengung, die Umkehr der (gehemmten) Aggressionen und Suizidphantasien. Während sich die Einengung sowohl auf die Realität, als auch auf das Denken und die Psyche der betroffenen Person bezieht, richtet sich die Umkehr der Aggressionen nur gegen die eigene Person. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Gedanken an den Tod und letzten Endes auch an den Suizid (Ringel, 1989).
Da viele Ärzte die Komponenten des präsuizidalen Syndroms heute als Maßstab nehmen, um eine Suizidgefährdung zu beurteilen, und diese Befunde in der Zwischenzeit bestätigt und weiter präzisiert worden sind, sind die genannten Merkmale Warnzeichen, welche ernst zu nehmen sind. Nach Steinhausen (2006) und der DGKJP (2007) ist es jedoch problematisch, das Syndrom auf Kinder und Jugendliche zu ubertragen, „da suizidale Gedanken und Handlungen auch in einem Klima der Impulsivität und Panik akut werden können" (DGKJP, 2007, S. 2).
Stadien in der Entwicklung von Suizidalität
Pöldinger (1982) zufolge kann der Verlauf der Suizidalität in 3 Entwicklungsstadien eingeteilt werden. Kurzschlusshandlungen werden in diesem Modell, welches in Abbildung 4 dargestellt ist, jedoch nicht berücksichtigt (Assion, 2007).
In der ersten Phase, dem Stadium der Erwägung, wird der Suizid lediglich als Lösung des Problems erwogen. Psychodynamische Faktoren, wie nach innen gerichtete Aggressionen und suggestive Momente, wie Suizide in der Umwelt des Betroffenen, spielen hierbei eine Rolle. Berichte über Suizidversuche oder auch Suizide in Foren können in dieser Phase zu einer vorübergehenden Erhöhung der Suizidalität führen.
Erst in der zweiten Phase, im Stadium der Ambivalenz, besteht für Angehörige die Möglichkeit, eine suizidale Entwicklung der betroffenen Person zu erkennen. Die hier mehr oder weniger offenen Suizidankündigungen (z.B. durch Andeutungen oder Drohungen)
sollten vom Umfeld als Hilferufe ernst genommen werden, da der Betroffene noch zwischen Leben und Tod abwägt.
Die dritte und letzte Phase, das Stadium des Entschlusses, ist durch den endgültigen Entschluss zum Suizid, seiner Planung und dem Versuch selbst gekennzeichnet. Da es hier zu einer Beruhigung des Betroffenen kommen kann - er erscheint möglicherweise viel heiterer und entspannter - ist eine Suizidalität schwerer für Angehörige erkennbar. Es sieht aus, als hätte sich der Zustand des Betroffenen gebessert, Suizidankündigungen geschehen höchstens indirekt, doch genau diese Phase ist kritisch zu sehen und erfordert intensiven Kontakt zum Betroffenen, denn der Suizid steht eventuell unmittelbar bevor (Pöldinger, 1982).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Stadien der suizidalen Entwicklung (Assion, 2007, S. 3)
2.4 Risiko-, protektive und auslösende Faktoren
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die in unterschiedlichem Maße zu einer Erhöhung oder Verminderung von einer multifaktoriell verursachten Störung wie der Suizidalität führen kann, welche in diesem Abschnitt kurz genannt werden sollen. Weiterhin werden Faktoren aufgeführt, die letzten Endes Suizide auslösen.
Risikofaktoren
Alle Faktoren suizidaler Gedanken, Suizidversuche und Suizide werden gemeinsam aufgeführt, da sich diese stark überschneiden.
Zu den häufig auffallenden ähnlichen Problemen, die bei Suizidpatienten gefunden werden, zählen nach Finzen und Hoffmann-Richter (o.J.) neben beruflichen Krisen (z.B. Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz etc.) mangelnde Kontakte und Einsamkeit (z.B. durch häufige Umzüge oder Auszug aus dem Elternhaus etc.) oder der Verlust einer Bezugsperson (z.B. durch Scheidung, Trennung oder Tod). Des Weiteren kann das Erwachsenwerden oder die Diagnose einer schweren Krankheit (Umbruchs- und Übergangssituationen) die Suizidalität erhöhen. Doch auch Veränderungen, die eigentlich erfreuen sollten, wie beispielsweise eine Heirat oder Geburt, können schwere Krisen und somit Suizidalität auslösen. Nicht unerheblich sind frühere Suizidversuche bei der eigenen Person oder im Bekannten- und Verwandtenkreis. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen die Autoren (Finzen & Hoffmann-Richter, o.J., S. 1) „depressive Verstimmungszustände, Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, Abhängigkeitserkrankungen, psychogene Reaktionen und Persönlichkeitsstörungen", was jedoch nicht bedeuten soll, dass Suizidalität nur bei psychisch Erkrankten vorkommt. Ebenso bei gesunden Menschen können die aufgeführten Risikofaktoren auftauchen, jedoch wird psychisch Erkrankten eine konstruktive Krisenbewältigung durch die Krankheit erschwert.
Die Autoren von Greyerz und Keller-Guglielmetti (2005) teilen die Faktoren neben demographischen (Alter, Geschlecht etc.) in individuelle und umgebungsbedingte, zu denen unter anderem der Werther-Effekt und der Einfluss des Internet gehören ein. Diese werden in Kapitel 4.2. noch weiter erläutert. Eine zentrale Rolle spielen neben der psychischen Verletzbarkeit (Vulnerabilität), genetische Determinanten (biologischer Faktor) und Persönlichkeitsmerkmale wie das Selbstvertrauen oder die Beziehungsfähigkeit. Zusätzlich können kritische Lebensereignisse (bereits oben aufgeführt) „die psychische Stabilität eines Individuums bedrohen" (ebd., S. 17) und somit zu einem Suizid führen. Während bei Suiziden bis zu 90% der Menschen eine psychische Störung und in etwa 40% der Fälle eine Suchterkrankung aufwiesen, sind psychische Erkrankungen bei Suizidversuchen weniger evident und Alkohol nur bei 10% ein Problem. Die Autoren heben hervor, dass vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen soziale Faktoren, finanzielle Probleme und Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden und der Integration in die Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen.
Winkel (2005) hingegen unterscheidet bei der Einteilung der Risikofaktoren zwischen einer psychopathologischen und psychosozialen Perspektive, wobei sie zusätzlich sowohl biologische, als auch kognitive, emotionale und Persönlichkeitsmerkmale mit einbezieht. Diese Einteilung wird im Anhang A ergänzend dargestellt.
Protektive Faktoren
Obwohl viele Menschen Risikofaktoren ausgesetzt sind, gibt es auch Personen, die keine Suizidalität entwickeln. Hierbei spielt erstens das Konzept der Resilienz eine große Bedeutung. Es zeichnet sich dadurch aus, dass Stresssituationen und Belastungen von resilienten Menschen nicht so bedeutsam wahrgenommen und erlebt werden, wohingegen suizidale Menschen dieselben als überwältigend eingeschätzt werden. Ein weiterer Unterschied besteht in der flexiblen und adäquaten Einsetzung verschiedener Bewältigungsstrategien bei resilienten Personen. „Starre, unflexible und oft vermeidende Reaktionsmuster" (Winkel, 2005, S. 87) zeichnen suizidale Menschen aus.
Als zweiter Punkt sind protektive (schützende) Faktoren zu nennen, die durch einen Schutz vor psychischen und sozialen Fehlentwicklungen indirekt zu einer signifikanten Verminderung des Risikos der Entstehung von Suizidalität führen können. Einen schützenden Einfluss haben somit „individuelle Faktoren wie soziale Kompetenzen, ein gut ausgebildetes Gesundheitsbewusstsein oder ausreichende körperliche Aktivitäten" (von Greyerz & Keller-Guglielmetti, 2005, S. 19). Neugierige, offene und selbstbewusste Menschen, die ihre Verhaltensweisen gut anpassen können, sind ebenso weniger dem Risiko einer Entwicklung von Suizidalität ausgesetzt, wie Menschen, die sozial integriert sind, von Familie und Freunden unterstützt werden oder persönliche und berufliche Perspektiven haben. Von Greyerz und Keller-Guglielmetti (2005) geben einem gut funktionierenden sozialen Netz eine besondere Bedeutung für den Schutz. Da Internetforen virtuelle soziale Netzwerke darstellen, könnte man vermuten, dass die Nutzer durch die soziale Unterstützung, die sie dort möglicherweise bekommen, vor Suiziden geschützt sind. Dies zu untersuchen stellt einen Teil der Arbeit dar.
Auslösende Faktoren
Während die eben genannten Risikofaktoren Bedingungen darstellen, die eher von langer Dauer sind, werden Ereignisse oder Bedingungen die kurzfristig und aktuell sind als auslösende Faktoren verstanden. Ihre Wirkung ist besonders belastend.
Ursula Stahl (2003) teilt häufige Auslöser für Suizidversuche in 4 Bereiche ein (zitiert nach Vollmer, o.J.). Im Bereich der Arbeit, Ausbildung und Schule können sowohl Demütigungen, Mobbing und Misshandlungen, als auch Kritik von Vorgesetzten, Kollegen, Mitschülern oder Lehrern einen Suizidversuch auslösen. Hinzu kommen Arbeitslosigkeit oder Sitzenbleiben. Werden beispielsweise Jugendliche bestimmten Leistungsanforderungen nicht gerecht, so kann dies ebenso eine Belastung für sie darstellen. Bereits genannte Risikofaktoren wie der Verlust (ausgelöst durch Trennung, Krankheit oder Tod) oder familiäre Konflikte stellen ebenso Auslöser von Suizidversuchen dar (Bereich der persönlichen Beziehungen), wie auch Alltagsprobleme, finanzielle Probleme, soziale Isolation oder Auseinandersetzungen mit anderen Menschen (Bereich des Alltagslebens). Im Bereich der Gesundheit geben häufig chronische Krankheiten, Störungen des psychischen Wohlbefindens und Unfälle den Anstol3, sich das Leben zu nehmen.
Es ist eindeutig eine Kumulation von Risikofaktoren und auslösenden Faktoren zu erkennen. Die Vielzahl von Einflussfaktoren können entweder zu einer Erhöhung oder Verminderung des Suizidalitätsrisikos führen (Winkel, 2005).
In Suizidforen ist die Möglichkeit gegeben, sich über alle möglichen Themen zu unterhalten. Die genannten Risikofaktoren stellen teilweise Probleme dar, über die sich die Nutzer der Foren unterhalten könnten. Es wäre interessant herauszufinden, ob das Niederschreiben dieser Probleme und ihre Diskussion zur Bewältigung und somit zur Verminderung des Suizidrisikos beitragen. Ist dies der Fall, könnte ein Suizidforum ein protektiver Faktor sein um Risikofaktoren zu vermindern bzw. auszuschalten.
2.5 Diagnostik und Interventionen bei Suizidalität
Sowohl Suizidgedanken, suizidale Handlungen als auch Suizidversuche ziehen immer Konsequenzen für die betroffene Person, für das soziale Umfeld und für die Ökonomie wie beispielsweise hohe Kosten nach sich (Winkel, 2005). Doch auch aus ethischen Gründen, um persönliches Leiden zu vermeiden und vor allem um herauszuarbeiten, in welcher Weise man in Suizidforen intervenieren kann, soll in diesem Abschnitt ein Augenmerk auf diesen Bereich gerichtet werden.
Diagnostik von Suizidalität
Eine der schwierigsten, aber auch wichtigsten Aufgaben der diagnostischen Medizin und Psychologie liegt in der Erkennung von Anzeichen von Suizidalität. Da sich zwar nach Lindner, Fiedler und Götze (2003) viele suizidgefährdete Menschen vor einem Suizidversuch an den Hausarzt wenden, jedoch höchstens indirekt und nicht offen über ihre suizidalen Absichten sprechen, stellt das Erkennen suizidaler Tendenzen und das sensible und einfühlsame Thematisieren von Suizidalität eine grol3e Herausforderung für den Arzt dar. Hierfür sollte das Thema offen angesprochen und die Reaktion des Patienten beobachtet werden. Da sich ein von den oben genannten Autoren empfohlenes diagnostisches Vorgehen nach dem präsuizidalem Syndrom und den Risikofaktoren auch auf Trennungserfahrungen und die aktuelle psychische Befindlichkeit stützt, sollten suizidspezifische Fragen gestellt werden und zwar so, dass man hierzu Erkenntnisse bekommt (z.B. Fragen über aktuelle Belastungen oder kürzliche Trennungserfahrungen) (ebd.). Ausschlaggebend ist das objektive Erleben der Situation durch den Patienten. Um eine mögliche suizidale Gefährdung erkennen zu können, ist die Kenntnis der im vorhergehenden Kapitel genannten Risikofaktoren von großem Vorteil. Die wichtigste Grundregel bei der Abklärung einer möglichen suizidalen Gefährdung stellt die Befragung dar, die durch Offenheit, Direktheit, Ausführlichkeit, Ernsthaftigkeit und Einfühlsamkeit gekennzeichnet sein sollte (Grebner, Lehle, Neef, Schonauer, Vogel & Wolfersdorf, 2005).
Insgesamt sollte die Diagnostik nach Winkel (2005, S. 99) die „Stärke der Suizidalität bzw. die Höhe des Sterberisikos" einschätzen, aber auch erfassen, wie wahrscheinlich ein Suizid bzw. wiederholter Suizidversuch stattfindet. Zusätzlich sollten eventuelle zugrunde liegende Störungen und Risikofaktoren ermittelt werden.
Illes (2007) spricht von der Existenz von Messinstrumenten um Suizidalität zu erfassen, womit standardisierte Fragebögen und Einschätzungsskalen gemeint sind. Diese dienen aber lediglich der diagnostischen Unterstützung und nicht der Ersetzung vertrauensvoller Gespräche zwischen Patient und Arzt bzw. Therapeut.
Eine Diagnose kann grundsätzlich aus unterschiedlichen Punkten heraus entstehen: Wird die Suizidalität vom Betroffenen direkt angesprochen oder wird ein Mensch wegen einem Suizidversuch aufgenommen, handelt es sich um die offensichtlich erkennbare Suizidalität. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass Angehörige über suizidales Verhalten einer bestimmten Person berichten oder Suizidalität wahrscheinlich erscheint, weil bestimmte Kriterien dafür sprechen, der Patient jedoch selbst nichts darüber sagt. Egal, wie es zur Diagnose kommt, muss das weitere Handeln bestimmt werden, wenn eine Gefährdung offensichtlich ist (Grebner et al., 2005).
Notfallbehandlung und Krisenintervention
Allgemein vorherrschende Formen der Behandlung akut suizidaler Patienten stellen die Notfallbehandlung und die Krisenintervention dar.
Die Notfallbehandlung ist dadurch geprägt, dass man aufgrund eines Suizidversuchs oder akuter Suizidalität unmittelbar handeln muss, da die Gesundheit des Patienten gefährdet ist. Aus diesem Grund läuft der Prozess der Notfallbehandlung deutlich schneller ab. Während der Behandlung ist eine intensivere persönliche Betreuung und erhöhte Wachsamkeit erforderlich. Der Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von somatischen Folgen und auf einer akuten pharmakologischen Behandlung. Die Entscheidung, ob der Patient stationär weiterbehandelt werden muss, liegt in der Einschätzung des Arztes. Eine Notfallbehandlung dauert im Schnitt nur wenige Stunden bis zu einem Tag (Fiedler, Götze, Gans, Gerisch, Lindner & Richter, 1999; Rausch, 1991).
Die Krisenintervention, welche im Schnitt stationär 14 Tage und ambulant 6 Sitzungen dauert, hat das Ziel, den äußeren Anlass der Suizidalität erst einmal zu bearbeiten um (weitere) suizidale Reaktionen zu vermindern. Es ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Behandlung unmittelbar beginnt, vor allem nach einem Suizidversuch (Fiedler et al., 1999). Nach Rausch (1991, S. 119) ist es das Ziel, „die Situation vor Eintritt der suizidalen Krise wiederherzustellen und eine psychiatrische Chronifizierung zu vermeiden".
Es sollte frühzeitig nach der suizidalen Handlung Kontakt aufgenommen werden und unter Aufbau einer Beziehung ein ausführliches Krisengespräch mit offenem Ansprechen der Problematik stattfinden. Hierbei sollten Schuldvorwürfe vermieden und ein Angebot gemacht werden, den Patienten engmaschig therapeutisch und pflegerisch in der Krise zu begleiten. Der Behandelnde muss Art, Dauer und Intensität des suizidalen Verhaltens genau definieren um mögliche Hilfe- und Therapiemöglichkeiten finden und auf die Kompetenzen des Patienten abstimmen zu können. Eine eventuelle zusätzliche Medikation sollte neben der Behandlung der Grundkrankheit bedacht werden. Sie hat unter anderem das Ziel den Handlungsdruck zu dämpfen und den Patienten zu entspannen. Besonders wichtig ist es, dem Patienten Zuwendung und Akzeptanz zu zeigen und ihn in Maßnahmen möglichst viel einzubeziehen, damit er selbstständig weiteren Behandlungen zustimmt. Neben häufigen Gesprächskontakten, in denen über die Gefühle und das Leid des Patienten gesprochen wird und alternative Lösungen erarbeitet werden, stellt die Kontaktaufnahme mit Angehörigen bzw. Bezugspersonen einen Teil der Krisenintervention dar. Ist eine Weitervermittlung an z.B. einen Therapeuten erfolgreich, endet die Krisenintervention, wobei der Patient die Möglichkeit hat, sich in Notfällen wieder an den Behandelnden zu wenden (Rausch, 1991; Grebner et al., 2005; DGKJP, 2007; Echterhoff, 2007). Rausch (1991, S. 124) betont zusätzlich, dass „eine lackenlose Verkettung von der Krisenintervention zur weiteren Behandlung" notwendig sein muss.
Therapie von suizidalen Patienten
Winkel (2005), Rausch (1991) und weitere Autoren sind sich darüber einig, dass jeder Mensch, der versucht hat, sich selbst zu töten, in psychotherapeutische Behandlung gehen sollte, denn es besteht ein hohes Rückfallrisiko, wenn sie nach einer medizinischen Versorgung wieder nach Hause geschickt werden, denn die Motivation, eine Therapie zu beginnen, lässt dann meist rasch nach. Aus diesem Grund sollten weitere Maßnahmen bereits vor der Entlassung aus der Krisenintervention besprochen werden. Ist der Patient in einem labilen psychischen Zustand, muss eine Einweisung in die stationäre Psychiatrie erfolgen.
Da unmittelbares suizidales Erleben einen Zugang zur zugrunde liegenden Problematik erleichtert, sollte man akut suizidalen Menschen wenn möglich schon vor einem
Suizidversuch ein niedrigschwelliges ambulantes psychotherapeutisches Angebot machen
(Fiedler et al., 1999).
Allgemeine Ziele einer Therapie sind (DGKJP et al., 2003; zitiert nach Winkel, 2005, S. 108):
- Stärkung der Autonomie
- Verminderung einer zu engen Anbindung an andere (dependentes Verhalten)
- Verminderung einseitiger, verzerrter Wahrnehmung
- Verminderung der subjektiv empfundenen Bedrohung durch die Außenwelt
- Einbeziehen wichtiger Bezugspersonen
- Realistische Einschätzung der Konsequenzen des Suizidversuchs
- Vermeidung unerwünschten Verhaltens durch den gezielten Einsatz von Verstärkern
Bezüglich der Therapieformen und —wahl lässt sich anmerken, dass es unterschiedlichste Formen von Therapien zur Behandlung suizidaler Menschen gibt (kognitive Therapie, kognitive Verhaltenstherapie, dialektisch-behaviorale Therapie, interpersonale Therapie, systemisch-familientherapeutische Therapie, Psychotherapie etc...) und die Wahl auf den Patienten abgestimmt und von weiteren Umständen abhängig gemacht werden sollte.
Möglichkeiten der Prävention
Bei der Suizidprävention lassen sich 2 Hauptrichtungen unterscheiden, die jedoch in Kombination miteinander wirkungsvoller sind. Während die gezielte Form der Suizidprävention, die „individuelle Verhiitung von Suizidversuchen und Suiziden" (von Greyerz & Keller-Guglielmetti, 2005, S. 21), hauptsächlich an die Hochrisikogruppen gerichtet ist, wendet sich die universale Form an die Allgemeinbevölkerung und „umfasst [...] MaBnahmen der Gesundheitsförderung und der Primär- und Sekundärprävention" (ebd.). Der Unterschied zwischen Primärprävention und Sekundärprävention liegt darin, dass primäre Maßnahmen versuchen, erstmalige Suizidversuche zu verhindern, während sich sekundäre Maßnahmen an Personen mit vorausgehenden Suizidintentionen und suizidalem Verhalten richten (Kaiser, 2003). Es gibt eine Reihe von nationalen und regionalen Präventionsprogrammen, die vordergründig gleiche Ziele beabsichtigen, jedoch unterschiedliche Ansätze verwenden. Zu den Zielen gehört es einerseits zu verhindern, dass Suizidideen in Handlungen umgesetzt werden, psychische Störungen und Krankheiten adäquat zu behandeln, bekannte Risikofaktoren zu beeinflussen, als auch die psychische Gesundheit durch gesundheitsfördernde Maßnahmen zu verbessern. Eine wirksame Suizidprävention bedarf der Mitarbeit von anderen Berufsgruppen und dem Einbezug von Laien und Angehörigen, ist jedoch „vor allem eine gesellschaftliche Aufgabe" (von Greyerz Keller-Guglielmetti, 2005, S. 21). Auch Echterhoff (2007) betont, dass Suizidprävention nur interdisziplinär möglich ist, da, nur wenn die Tabuisierung von Suizidalität in der Gesellschaft gebrochen wird und sich die Einstellungen der Menschen ändern, Suizidgefährdete entlastet werden und sich somit neue Wege für eine bessere Prävention öffnen können. Nach Grebner et al. (2005, S. 54) gibt es jedoch eine „absolut sichere Suizidprävention auch unter optimalen fürsorglichen und therapeutischen Bedingungen" nicht. Präventionsarbeit soll nicht nur suizidale Menschen schützen, sondern meint auch, die suizidale Krise in ihrem Kontext zu verstehen.
Aufgrund dieser theoretischen Hintergründe stellen sich Fragen, inwiefern in Suizidforen beispielsweise bei Suizidankündigungen interveniert wird und inwieweit dort Präventionsarbeit geleistet wird. Dem nachzugehen und herauszufinden, ob die Forennutzer Interesse an der Einbindung solcher Informationen haben, sowie ob sie bereits in therapeutischer Behandlung sind/waren, stellt einen Teil dieser Arbeit dar.
2.6 Zusammenfassende Schlussfolgerungen
In diesem Kapitel wurden viele verschiedene Aspekte der Suizidalität erläutert, aus welchen sich nun einige Schlussfolgerungen ziehen lassen, welche in der empirischen Studie untersucht werden sollen.
Laut epidemiologischen Befunden ist die höchste Risikogruppe für Suizidversuche in der Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14-24 Jahre), wobei Frauen hierbei deutlich präsenter sind. Es ist anzunehmen, dass die Nutzer von Suizidforen mit großer Wahrscheinlichkeit diesem Muster entsprechen. Um die Wirkung der Foren auf die Teilnehmer zu untersuchen, soll ebenso untersucht werden, ob die genannten schützenden Faktoren der sozialen Unterstützung und Hilfeleistung aus Sicht der Nutzer in den Foren gegeben sind und welchen Einfluss Foren bezüglich Risikofaktoren haben. Aufgrund der Tatsache, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten zur Prävention und Intervention für Suizidalität gibt, auch im Rahmen des Internets, stellt sich die Frage, ob überhaupt ein Interesse an der Einbindung solcher Hilfsangebote in das Suizidforum besteht und inwieweit die Forennutzer solche Angebote in Anspruch nehmen würden bzw. schon genommen haben. Des Weiteren soll herausgefunden werden, inwiefern Foren Interventions- und Präventionsarbeit leisten.
3. Entstehungstheorien von Suizidalität und ihr Bezug auf Suizidforen
Im Laufe der Geschichte haben sich schon immer viele wissenschaftliche Disziplinen bemüht, Erklärungs- und Verstehensansätze für Suizidalität zu entwickeln. Es gibt zahlreiche Publikationen auf diesem Gebiet und viele Theorien zur Erklärung suizidalen Verhaltens, so dass ein Überblick kaum mehr möglich ist. Dieses Kapitel stellt einen kurzen Abriss aller Perspektiven dar und arbeitet Aspekte heraus, die für diese Forschung über Suizidforen relevant sind.
3.1 Biologische Perspektive
Der erste biologische Erklärungsansatz basiert auf evolutionsbiologischen Überlegungen, welche von einem Vorteil für die überlebende Population sprechen, wenn sich ein „entbehrliches" Individuum suizidiert, da somit mehr Ressourcen fir die Anderen zur Verfügung stehen. Diese Überlegungen werden unterstützt durch Studien an Naturvölkern, in denen man einen starken sozialen Druck erkannte, der die Geschlechtsverteilung und Gruppengröße reguliert (Fritzsche, Ebner & Da Silva, 2003; zitiert nach Winkel, 2005).
Befunde von genetischen Studien, welche Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien umfassen, legen eine Existenz von genetischen Einflüssen auf die Suizidalität nahe, die jedoch „unabhängig von einer psychiatrischen Grunderkrankung sind" (Erazo, 2006, S. 16). Es ist jedoch bisher unklar, welche genetischen Faktoren eine Rolle spielen. Des Weiteren wird angenommen, dass nur bestimmte Dispositionen, die das Risiko für Suizidalität erhöhen und nicht die Suizidalität selbst vererbt wird (Winkel, 2005). Obwohl man bei familiären Häufungen auch imitatorische Effekte oder andere Einflüsse bedenken muss, erklären sie einen nicht unbedeutenden Anteil suizidalen Verhaltens (Erazo, 2006).
Neurophysiologische Studien belegen eine serotonerge Unterfunktion in den Transmittersystemen von Suizidenten. Erniedrigte Werte der 5-HIE-Säure, welche ein Abbauprodukt des Serotonins darstellt, stehen im Zusammenhang mit aggressivem, impulsivem und suizidalem Verhalten, was dadurch erklärt wird, dass Serotonin vor Impulsivität und extremen Stimmungsschwankungen schützt. Bisher ist ungeklärt, ob diese Dysfunktion erblich bedingt ist, jedoch sprechen weitere Befunde „f•r einen Zusammenhang von erniedrigten Cholesterinwerten, reduzierter serotonerger Aktivität und einem erhöhten [...] suizidalen Verhalten" (Erazo, 2006, S. 17).
Diese Erklärungsansätze lassen keine Vermutungen über einen Zusammenhang mit Gesprächsforen aufstellen.
3.2 Soziologische Perspektive
Für die Soziologie ist der Zusammenhang mit gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen ein wesentlicher Aspekt des komplexen Suizidgeschehens. Neben Breed, der in seinem Status-Change Ansatz versucht, suizidale Handlungen mit Veränderungen im Leben des Individuums und somit einhergehende Destabilisierung im sozialen Umfeld zu erklären, geht Emile Durkheim stärker auf die gesellschaftlichen Faktoren ein (Winkel, 2005). Nachdem er in verschiedenen Zeiträumen Suizidberichte unterschiedlicher Kulturen analysierte, kam er zu dem Schluss, dass sich gesellschaftliche Reglementierung und das Ausmaß gesellschaftlicher Integration auf die Suizidraten auswirken können. Ist ein Individuum in eine sehr stark sozial regulierte Gesellschaft eingebunden, in der es seine eigenen Bedürfnisse wegen zu engen Normen und Werten nicht mehr befriedigen kann, führt dies zu fatalistischen Suiziden. Dagegen führen zu weit gefasste Normen, unbestimmte Werte und zu geringe soziale Regulation zu anomischen Suiziden, da diese Regellosigkeit Orientierungslosigkeit, Unzufriedenheit und Frustration auslösen kann (Erazo, 2006; Ljubas, o.J.; Winkel, 2005). In Bezug auf die gesellschaftliche Integration ist die Suizidgefahr nach Durkheim dann höher, wenn die „Interessen der Gruppe fiber die Interessen des Individuums gestellt werden" (Winkel, 2005, S. 69). Identifiziert sich ein Individuum stark mit einer sozialen Gemeinschaft, so dass keine Distanz mehr zwischen ihm und den gesellschaftlichen Anforderungen besteht, handelt es sich um einen altruistischen Suizid, wohingegen bei extremer Individualisierung und Isolation von einem egoistischen Suizid gesprochen wird. Suizide sind somit die Folge eines „gestörten Gleichgewichts von Individuum und Gesellschaft" (Erazo, 2006, S. 19).
Manche Aspekte von Durkheims Theorie bestätigten Eckersley und Dear (2002; zitiert nach Winkel, 2005) in ihrer Studie, welche eine geringe soziale Identität, geringe zwischenmenschliche Bindungen und einen hoch ausgeprägten Individualismus bei suizidalen Jugendlichen herausfand. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann sich somit positiv auf suizidales Verhalten auswirken, was die Vermutung nahe legt, dass Nutzer von Gesprächsforen weniger anfällig für Suizidtendenzen sind, wenn sie in der Gruppe Anerkennung und Akzeptanz bekommen. Ob dies in Suizidforen der Fall ist, soll in dieser Studie herausgefunden werden.
In diesem Zusammenhang spielen nach Maris, Berman und Silverman (2000; zitiert nach Winkel, 2005) jedoch die in der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft vermittelten Werte und Normen noch eine bedeutsame Rolle. So wirkt eine Gesellschaft, die Suizid ablehnt eher positiv auf die Suizidraten, wohingegen eine suizidanerkennende Gesellschaft zu vermehrten Suiziden führen kann. In Bezug auf Suizidforen heißt das, dass eine Teilnahme in denjenigen
Foren, die den Suizid als Lösungsmöglichkeit ansehen und anerkennen, das Risiko für Suizidalität erhöht. Auf der anderen Seite können Foren, die den Suizid nicht befürworten, eine positive Wirkung auf die Teilnehmer haben. Im Rahmen dieser Arbeit soll nachgegangen werden, welche Werte und Normen die untersuchten Foren vertreten und wie sie somit auf die Suizidalität wirken.
3.3 Perspektive der Psychoanalyse
Die psychoanalytische Sicht befasst sich mit den „unbewussten und bewussten psychodynamischen Prozessen der Suizidhandlung" (Gerisch, Fiedler, Gans, Götze, Lindner & Richter, 2000) und fing an, den Suizid in Zusammenhang mit depressiven Störungen zu erklären. Nach Freuds Theorie über die Depression reagiert ein Mensch, der ambivalent in Liebe und Hass an einen anderen Menschen gebunden ist, auf den realen oder phantasierten Verlust dieser Bezugsperson oder auf eine Zurückweisung mit starken Gefühlen wie Trauer, Wut, Hass und/oder Feindseeligkeit. Führt dies zu einem Tötungswunsch dieser Person, werden die aggressiven Impulse jedoch aus Angst, den Menschen tatsächlich zu verlieren, nach innen gegen die eigene Person und nicht nach außen gerichtet. Diese sogenannte Aggressionsumkehr wird in der Literatur von vielen Autoren auf den Suizid angewandt (Erazo, 2006; Ljubas, o.J.; Winkel, 2005; neuhland.net, 2008). Selbstanklagen, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe führen schließlich zum Wunsch der Selbsttötung. Ljubas (o.J.) sieht die Motivation für den Suizid darin, die andere Person zu bestrafen, wohingegen Winkel (2005) postuliert, dass sich der Suizident für seine eigenen aggressiven Tendenzen bestrafen will.
Ein weiterer psychoanalytischer Erklärungsansatz geht von einer Beeinträchtigung des narzistischen Gleichgewichts aus, welches die grundsätzliche Überzeugung darstellt, dass man trotz Versagen oder Kränkungen noch immer ein akzeptabler Mensch ist. Durch eine schwere Verletzung des Selbstwertgefühls eines Menschen, kann dieses Gleichgewicht labil werden und sogar zusammenbrechen. Alle Verluste und Kränkungen werden als Katastrophe angesehen und das Individuum sieht den Suizid als einzige Möglichkeit, die immer dominanter werdenden Gefühle der Wertlosigkeit usw. zu bewältigen (neuhaland.net, 2008). Als dritte psychoanalytische Theorie soll die Objektbeziehungstheorie vorgestellt werden, die davon ausgeht, dass Suizidalität durch einen langfristigen Prozess entsteht und besagt, dass „jede Suizidhandlung [...] eine Aktualisierung pathologischer frühkindlicher Objektbeziehungserfahrungen bedeutet" (Gerisch et al., 2000, S. 3). Fehlentwicklungen sozialer Beziehungen wie beispielsweise früh erfahrene Ablehnung, können durch Erfahrungen im späteren Leben wieder ausgelöst und aktualisiert werden, so dass das
Individuum den Suizid als einzige Handlungsmöglichkeit sieht, um Kontrolle über die konfliktreiche Situation zu bekommen (Winkel, 2005).
Im Kontext der Suizidforen im Internet lassen sich zwei Annahmen festhalten: Erstens können die im Internet entstandenen Beziehungen „sehr anfällig für die in der Objektbeziehungstheorie beschriebenen Risiken" (ebd., S. 67) sein und zu mehr Suiziden führen, wenn diese Beziehungen zu versagen drohen. Zweitens ist es dem Nutzer vor allem durch die Anonymität und dem Mangel an sozialer Kontrolle im Internet möglich, seine Aggressivität ungehemmt zu äußern. Narzistische Kränkungen, die dadurch entstehen können, führen eventuell zu einer Erhöhung von suizidalen Handlungen der Nutzer. Diese Annahmen werden jedoch hier nicht überprüft und bedürfen weiteren Forschungsbedarfs.
3.4 Lerntheoretische Perspektive
Auch lerntheoretische Ansätze, welche davon ausgehen, dass suizidales Verhalten durch Lernprozesse erworben wird und die „positiven Auswirkungen eines Suizidversuchs in Bezug auf das soziale Umfeld" (Ljubas, o.J., S. 28) als wesentlichen Aspekt betonen, führen zu Annahmen in Bezug auf Suizidforen. Vor allem die Aspekte des klassischen Konditionierens haben nach Winkel (2005) eine besondere Bedeutung für die Medien, zumal suizidale Gedanken eine positive Qualität bekommen können, wenn sie mit angenehmen Erfahrungen assoziiert werden. Werden beispielsweise suizidale Inhalte gekoppelt mit ansprechenden Filmen, führt dies zu einer Änderung der Einstellung und des Verhaltens: Der Mensch wertet die suizidale Ideation als positiv, was das Risiko von Suizidalität erhöht.
Beim operanten Konditionieren wird eine Verstärkung des suizidales Verhalten durch die „Zunahme positiver Reize (Belohnung) und durch die Reduktion negativer Reize (negative Verstärkung)" (Winkel, 2005, S. 71) angenommen. Bekommt ein Mensch beispielsweise durch Äußerung suizidaler Gedanken mehr Aufmerksamkeit (positive Verstärkung) oder wird er von unangenehmen Pflichten entlastet (negative Verstärkung), führt dies langfristig dazu, dass suizidales Verhalten wiederholt und aufrechterhalten wird. Die in Suizidforen entgegengebrachte Aufmerksamkeit könnte somit als positiver Verstärker gewertet werden. Ein dritter lerntheoretischer Erklärungsansatz ist das von Bandura (1977) beschriebene Lernen am Modell. Menschen erlernen Verhaltensweisen, die sie zuvor bei anderen beobachtet haben, wobei der Lerneffekt von der Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit des Beobachters abhängt. Das Verhalten hingegen ist abhängig von verschiedenen Variablen wie beispielsweise der Ähnlichkeit zwischen dem Modell und dem Beobachter oder seiner Motivation. Empirische Untersuchungen belegen die Existenz dieser Nachahmungseffekte von suizidalem Verhalten nach ihrer Beobachtung. Dies zählt sowohl für direktes Erleben wie z.B. Suizide bei Freunden, als auch fir „medienvermittelte Darstellungen realer und fiktiver Suizidalität" (Winkel, 2005, S. 72), wobei auf letzteres in Kapitel 4.2.3. noch spezifischer eingegangen wird. Nach Winkel (2005) kann angenommen werden, dass sich die Nutzer von Suizidforen mit ihren suizidalen Einstellungen gegenseitig beeinflussen und somit gefährden, zumal in solchen Foren voraussichtlich viele Menschen sind, die eine hohe Suizidalität aufweisen. Die Frage, ob den Teilnehmern der untersuchten Foren dieser Aspekt bewusst ist, bleibt zu beantworten.
3.5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen
Aus einigen der eben genannten Modellvorstellungen lassen sich Schlussfolgerungen für die empirische Untersuchung ziehen. Neben der biologischen Perspektive, die hier ebenso wie die psychoanalytische Sicht vernachlässigt wird, gehen soziologische Theorien von einer positiven Auswirkung auf die Suizidalität bei Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus. In der Studie muss also geprüft werden, inwiefern sich die Nutzer in den Foren anerkannt und akzeptiert fühlen, da dies ein bedeutender Indikator für einen suizidprotektiven Effekt der Foren wäre. Des Weiteren ist es von großer Bedeutung, die in den Foren vertretenden Werte und Normen zu erfassen, da auch diese zur Abschätzung des Gefahren- oder Hilfepotentials wichtig ist. Zu untersuchen, ob sich die User von Suizidforen nach den lerntheoretischen Ansätzen durch gegenseitige Beeinflussung gefährden, war für diese Studie nicht vorgesehen und bedarf einer weiteren Analyse. Die User sollen jedoch gefragt werden, wie sie diesen Aspekt einschätzen. Diese Schlussfolgerungen können ergänzt oder verfeinert werden, wenn man einen genaueren Blick auf die Gesprächsforen selbst richtet, welche Gegenstand des folgenden Kapitels sind.
4. Gesprächsforen im Internet
In den folgenden Abschnitten sollen Gesprächsforen im Internet definiert und in ihre unterschiedlichen Arten klassifiziert werden. Hierbei wird tiefer auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand, die Suizidforen, eingegangen. Um die Besonderheiten computervermittelter Kommunikation zu begreifen, wird im Weiteren beschrieben, welche Unterschiede es zur Face-to-Face-Kommunikation gibt und inwiefern diese für Nutzer von Suizidforen von Bedeutung sein können. Nach Erklärungen über die Möglichkeiten, sich selbst darzustellen, wird abschließend auf den Selbsthilfecharakter von Foren eingegangen.
4.1 Definitionen und wichtige Begriffe fiber Gesprächsforen
Eine weitere Möglichkeit, die das Internet neben dem einseitigen Abrufen von Informationen bietet, ist die Kommunikation miteinander. Baerlocher (2000, S. 3) unterscheidet Foren neben Onlineberatungen, bei denen der Betroffene mit einem professionellem Helfer kommuniziert („ Client to Professional"), noch zwischen „ Professional to Professional" (Experten-Foren) und „ Client to Client" (Selbsthilfe-Foren). Die vorliegende Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf letztere Foren.
4.1.1 Was sind Foren?
Es gibt viele Versuche, Foren zu beschreiben indem man Vergleiche zieht. So werden sie als „schwarze Bretter" dargestellt, die fir jeden öffentlich zugänglich sind und an denen man Aushänge mit Informationen und Texten machen kann, oder mit einer elektronischen Zeitschrift verglichen, in der jeder sowohl Beiträge lesen als auch eigene Beiträge veröffentlichen kann (Barth, 2003), wobei Döring (1999) bei diesen Vergleichen die Aspekte der Gemeinschaft und der Interaktivität fehlen. Fiedler (2003) beschreibt Foren bzw. Diskussionsgruppen ebenso mit der Metapher des Schwarzen Brettes, geht jedoch in seiner Definition expliziter vor: Ein Nutzer (User) kann ein Forum über einen Web-Browser aufrufen und dort Mitteilungen (Postings) an das Forum schicken, welche dort gespeichert werden Alle interessierten Nutzer können diese Postings lesen und darauf antworten, so dass eine Diskussion entstehen kann (Thread), die sich auf dieses einzelne Thema bezieht. Des Weiteren ist es meist möglich, mit dem Schreiber (Poster) auch per Email Kontakt aufzunehmen, da in der Regel dessen Email-Adresse angezeigt wird. Nach „m." (2003), einem Besitzer eines Suizidforums, können diese Themen sowohl Nachrichten, reine Informationen als auch Probleme oder Fragen der Nutzer sein. Eine weitere, klar verständliche Definition von Foren, welche ursprünglich entstanden sind, dass sich Forscher und Studenten von verschiedenen Universitäten austauschen können, liefert Winkel (2005, S. 149): „Unter Foren versteht man eine webbasierte, interaktive, kommunikative Anwendung, die es beliebig vielen, meist anonymen Teilnehmern ermöglicht, eigene Texte zu einem Themenbereich zu veröffentlichen". Marotzki (2003, S. 158) unterscheidet Foren im Sinne der bereits genannten Nachrichtenbretter, in denen nur Postings gemacht werden, es aber nicht zur Auslösung von Diskussionen kommt und Foren „im Sinne von Newsgroups", in denen umfangreiche Diskussionen stattfinden.
Angeboten werden können Foren von kommerziellen Betreibern sowie von Privatpersonen. Heutzutage gibt es solche Plattformen im Internet zu den unterschiedlichsten Themen und Interessensgebieten wie beispielsweise Sport, Computer, Spiele, Tiere, Partnerschaft und auch Suizid und Tod. Manche Foren thematisieren sich auf einen Bereich, andere wiederum halten ein breites Themenspektrum für die Nutzer bereit. Sehr große Foren, die einzelne Themen in Unterforen gliedern, bezeichnet man als Boards. Mittlerweile ist es prinzipiell jedem Menschen möglich, „ein Forum zu einem Thema seiner Wahl zu eröffnen und zu betreiben" (Fiedler, 2003, S. 25). Neben der Höhe des Niveaus und der äußeren Erscheinung, unterscheiden sich die zahlreichen Foren ebenso in ihrer Verwaltung (Administration): Sind die Foren moderiert, werden die veröffentlichten Texte nach der Einhaltung bestimmter Regeln (Forenregeln) überwacht und gegebenenfalls von den Moderatoren bzw. Admins (den „Oberwachern" — auch Forenmaster genannt) kommentiert oder gelöscht. In der Regel sind Foren für jeden zugänglich und öffentlich einsehbar, in vielen muss man sich jedoch erst unter einigen Angaben (meist: Geburtstag und Email-Adresse) registrieren, um Beiträge schreiben zu können. Hierfür kann sich der User einen Nicknamen (Pseudonym) auswählen, damit er trotzdem anonym auftreten kann. Ein weiterer Unterschied zwischen Foren ist, dass einige durch einen so genannten Chat erweitert sind, damit sich die User auch in Realzeit unterhalten können (Fiedler, 2003; Winkel, 2005; „m.", 2003; Prass, 2002; Fiedler & Neverla, 2003).
Obwohl Foren „eine der ältesten und lebendigsten Belege" (Schömbs, 2003, S. 235) dafür sind, dass das Internet zu einer Förderung von Meinungsvielfalt, Informationen und Demokratie verantwortlich ist, sorgten sie dafür, dass Zusammenhänge zwischen Internet und Suizid meist negativ angesehen werden.
Wie bereits erwähnt gibt es Foren zu den unterschiedlichsten Themen. Demnach erscheint eine weitere Einteilung der Foren für relevant. Die für diese Studie benutzten Untersuchungsgegenstände werden im Folgenden weiter differenziert.
4.1.2 Was sind Selbsthilfeforen?
Um den Begriff eines Selbsthilfeforums erklären zu können, bedarf es allgemeinen Wissens über Selbsthilfegruppen. Unter Selbsthilfegruppen versteht man Menschen mit psychischen und sozialen Lebensproblemen oder chronisch körperlich und psychisch Kranke, die ein gemeinsames Problem haben und versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, indem sie nach Lösungsmöglichkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten suchen. Manche Selbsthilfegruppen sind ausdrücklich gegen professionellen Einfluss gerichtet, andere wiederum arbeiten mit professionellen Helfern zusammen. Die Betroffenen organisieren und leiten diese kostenlosen Gruppen selbst (Legewie & Ehlers, 1992; Winkel, 2005).
Obwohl nach Döring (2000) die Wirksamkeit solcher Selbsthilfegruppen im Internet bisher kaum erforscht ist, sind sie auch im Internet weit verbreitet. Es existieren zu nahezu jedem physischem oder psychischem Problem (wie beispielsweise Suchterkrankungen, Essstörungen etc.) Selbsthilfegruppen, wovon bei den meisten zusätzlich zu einer Homepage, auf denen wichtige Informationen zu den Krankheiten, Adressen zu Hilfeangeboten usw. gefunden werden können, auch Kommunikation unter Betroffenen in einem Forum möglich ist (Ott & Eichenberg, 1999). In Selbsthilfeforen können sich Betroffene „Ratschläge, Informationen, Unterstiitzung, Trost und Verständnis von anderen " (Baerlocher, 2000, S. 3) holen. Die Unterstützung, die sich die User gegenseitig geben, ist die zentrale Funktion solcher Foren (Winkel, 2005). Baerlocher (2000, S. 3) spricht in diesem Zusammenhang auch an, dass sich die Foren durch sogenannte „Community-Philosophien" auszeichnen, nach denen die Angebote Selbsthilfecharakter besitzen, gegenseitige Betroffenheit eine Bindung zueinander herstellt und „eine Personalisierung der Angebote" von enormer Bedeutung ist.
Ein großer Unterschied zwischen Selbsthilfegruppen in Gesprächsforen und denen im realen Leben ist, dass ein „selektives Wahrnehmen des Gruppengeschehens" (Barth, 2003, S. 49) ermöglicht wird, da Nutzer nur bestimmte Beiträge lesen und andere ignorieren können. Gerade dies ist für Winkel (2005) ein großer Vorteil, denn das Lesen anderer Postings ohne sich selbst zu offenbaren, kann Interessierten hilfreiche Informationen geben. Ebenso vermeidet der anonyme Austausch Befürchtungen über negative Konsequenzen wie beispielsweise ungewollte Reaktionen von Bekannten. Zudem können marginalisierte Gruppen wie z.B. Homosexuelle die Möglichkeit erhalten, sich „im Netz eine positive Identität aufzubauen" (ebd., S. 151).
Nach Janssen (1998; zitiert nach Barth, 2003, S. 56) sind Gesprächsforen „die am meisten genutzten Formen der Selbsthilfe im Internet" und ersetzen bzw. ergänzen die Hilfsangebote im Leben durch ihre ähnlichen Funktionen. Auch verschiedene andere Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Foren insgesamt sehr positiv zu beurteilen sind, zumal sie einen großen Einfluss auf die User haben, sich für eine professionelle Beratung oder Therapie zu entscheiden. Celline Schreiber (2003, S. 246) erzählt in ihrem Erfahrungsbericht, dass „Selbsthilfe im Internet [...] niemals eine gute Therapie ersetzen" kann, „aber sie kann sie unterstützen oder dazu animieren, sich im realen Leben Unterstützung zu suchen und Hilfe anzunehmen". AuBerdem erweisen sich die Foren als ein hilfreiches Mittel, Krisen zu bewältigen bzw. dabei zu helfen.
Da sich auch in Suizidforen Menschen begegnen, die sich in Krisen befinden, könnte man annehmen, Suizidforen wären ebenso als Selbsthilfeforen anzusehen. Dieser Aspekt wird in Abschnitt 4.3 weiter diskutiert. Zuerst soll jedoch ein Augenmerk auf die Suizidforen gerichtet werden.
4.1.3 Was sind Suizidforen?
Nachdem einige Autoren alle möglichen interaktiven Formen der Kommunikation als „Suizidforen" zusammenfassen, definieren Fiedler und Neverla (2003, S. 562) Suizidforen als „thematisch fokussierte, internetbasierte Diskussionsgruppen, in denen suizidale Menschen Befindlichkeiten, Gefühle und Gedanken austauschen, Suizidmethoden diskutieren und auch — selten — Verabredungen zum Suizid treffen oder einen Suizid ankiindigen". Des Weiteren geht es um den Austausch von positiven und negativen Erfahrungen bezüglich Ärzten, Therapeuten und Behandlungsmöglichkeiten, um Methoden von Behandlungen und Wirkungen von Medikamenten. Ebenso wird über den Sinn des Lebens philosophiert, User veröffentlichen Gedichte oder kommunizieren einfach über Banalitäten (Fiedler, 2003).
Im deutschsprachigen Internet lassen sich nach Autoren 30 Suizidforen finden, wobei die Zahl nach Eigenrecherchen mittlerweile viel höher anzunehmen ist. Winkel (2005) geht von einer hohen Fluktuation aus, so dass genaue Angaben über ihre Anzahl schwer zu machen sind. Im Jahr 1981, also schon in der Pionierzeit des Internet, wurde die erste Diskussionsgruppe „alt.suicide.holiday" („a.s.h.") gegriindet, um die Frage zu diskutieren, wieso es in den Ferien zu einer Erhöhung der Anzahl der Suizide kommt. Diese unmoderierte Diskussionsgruppe hat sich im Laufe der Zeit zu einem umfassendem Forum gewandelt, welches sowohl Fragen zu Suizidalität in Zusammenhang mit Psychologie, Philosophie und Recht, als auch Diskussionen von Suizidmethoden und Suizidphantasien beinhaltet und von einer umfangreichen Webseite begleitet wird. Die Nutzer vertreten den Glauben, „dass der Mensch ein Recht auf Suizid hat, ohne zum Suizid ermutigen zu wollen" (Fiedler & Lindner, o.J., S. 2). Die ersten deutschsprachigen Suizidforen wurden vermutlich in den neunziger Jahren gegründet.
Es gibt wenig empirische Untersuchungen zur Zusammensetzung der Nutzerpopulation. Dennoch ist anzunehmen, dass sich vor allem Jugendliche und junge Erwachsene häufig in Suizidforen aufhalten, da sie bei der allgemeinen Internetnutzung eine dominante Gruppe darstellen (Winkel, 2005). „m." (2003), einer von drei Forenmastern eines Suizidforums fir Erwachsene, teilt mit, dass die User in der Regel aus allen Altersgruppen und Schichten, aber mit unterschiedlichsten Auslösern ihrer Suizidgedanken in Foren sind. Ernsthafte User setzen sich seit längerem mit ihrer Suizidalität auseinander und wünschen sich, sich mit ihren Problemen diskret und offen auseinandersetzen zu können.
Um die vorrangigen Inhalte von Suizidforen zu erfassen und herauszufinden, welche Intentionen die User haben, analysierten Fekete und Osvath (2001, zitiert nach Fiedler & Neverla, 2003, S. 562) 966 Postings des bereits genannten Forums „a.s.h." und kamen neben zahlreichen Suizidankündigungen zu folgender Klassifikation:
1. Bitte um Unterstützung oder Angebot von Unterstützung (76 Fälle)
2. Suizidmodelle, Verabredungen und Vorbilder (72 Fälle)
3. Fragen nach Suizidmethoden und Information (67 Fälle)
4. die Auswirkungen des Suizids auf die Hinterbliebenen und andere Konsequenzen dieser Handlung (52 Fälle)
5. die Rolle der Religion und die Beziehung zu Gott (47 Fälle)
6. die Relation des Suizids zu Feiertagen (46 Fälle)
7. Maskierung des Suizids als Unfall (29 Fälle)
8. philosophische und ethische Fragen (12 Fälle)
9. unmittelbarer „Cry for Help" (11 Fälle)
In der vorliegenden Studie soll herausgefunden werden, wie sich die Population von Suizidforennutzern zusammensetzt und welche Motive sie haben, solche Foren zu besuchen. Suizidforen sind durch Suchmaschinen relativ leicht für Internetznutzer zu finden. Sie unterscheiden sich nicht nur deutlich durch ihre Namen („Träumer-Forum" vs. „Schwarzer Abgrund"), sondern auch hinsichtlich der Gestaltung (düster wirkend mit dunklen Farben und Abbildungen vs. neutral gehalten mit freundlichen Farben), des Aufbaus (verschiedene Themen vs. nur Suizid als Thema) und vor allem in der Art der Diskussion und der Einstellung zum Suizid. In einigen Foren sind beispielsweise Methodendiskussionen (z.B. „Wie bringe ich mich am besten um?", „Wie wirkt dieses Medikament?") im Vordergrund und Suizidankündigungen erlaubt, während diese in anderen strengstens verboten werden. Erstere propagieren den Suizid als Lösungsmöglichkeit, in zweiteren Foren werden User angehalten, sich Hilfe zu suchen. Suizidankündigungen werden unter Umständen sogar an die Polizei gemeldet. Ebenso weisen manche Foren Links zu Seiten auf, auf denen man die „besten" Suizidmethoden und Suizidmittel finden kann, andere wiederum sind zu professionellen Hilfsangeboten verlinkt (Fiedler & Lindner, o.J.; Winkel, 2005).
Folgende aus Fiedler und Neverla (2003, S. 563) entnommene Beispiele von Postings unterschiedlicher Foren sollen veranschaulichen, welche konkreten Unterschiede es in der Art der Kommunikation gibt:
Subject: selbstmordpartner gesucht (16.11.2001)
Suche einen selbstmordpartner. bin 19 jahre und für alle formen offen.
Subject: Re: selbstmordpartner gesucht (19.11.2001)
In reply to: selbstmordpartner gesucht on 21:15:34 11/19/01 Mon
Bin 25 und weiß nicht, wie.
Habe vorhin überlegt:
1. von hohem Gebäude springen
2. erschießen
3. Gift zu sich nehmen
4. Pulsadern aufschneiden
5. nichts mehr essen
Es sollte eine Methode sein, die nicht allzu sehr weh tut und bei der man GARANTIERT nicht
überlebt. Ich möchte nicht als Invalide weiterleben.
Was meinst Du?
Subject: Re: selbstmordpartner gesucht (20.11.2001)
Sich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen, sie luftdicht am Hals abzukleben, ein Paar
schlaftabletten dazu zu nehmen ist mit abstand die sicherste, einfachste und sanfteste Methode
Forum: Selbstmordforum.de
Ich kann nicht mehr!
Hallo!
Ich bin neu hier und mein problem ist das ich einfach nicht mehr leben möchte, wenn ich das
überhaupt jemals getan habe. Ich sitze hier,und bin einfach am ende.ich bin 15,meine 2-jährige
beziehung ist seit einer woche im eimer,ich erkenne mich nicht im spiegel habe nie etwas
besonderes in meinem leben geleistet,habe menschen verletzt und entäuscht,liebe die mir
entgegen gebracht wurde habe ich ausgeschlagen.
tja, das ist meine statistik nach 25 erdenjahren.
ich fühle mich so leer.
Und ich möchte gehen.für immer.vielleicht denkt ihr,ich bin nur ein spinner der sich im
depressiven selbstmitleid suhlt und sich mit pubertären problemen selbst das leben schwer
macht,aber ich meine es ernst.
ich will nicht mehr leben...
ich wollte das hier nur niederschreiben,weil ich niemanden habe mit dem ich über DIESE
gefühle sprechen kann.danke
Re: ich kann nicht mehr
Hm... ist es pubertar, wenn man an seiner verlorenen Liebe zweifelt?
Gut, dann bin ich auch pubertär, denn mir es geht *genau* wie Dir, ich habe exakt die gleichen
Gefühle und Selbstzweifel.
Aber erst einmal Willkommen im Forum!
Nun, Tipps kann *ich* Dir sicher keine geben, denn wie gesagt geht's mir ja genauso. Darum
spare ich mir auch erstmal jeglichen Kommentar zu dem Rest deines Postings, ich kann Dir aber
nur versichern, dass zumindest ich diese Gefühle weder für pubertär, noch für dumm halte.
Vergleicht man beide Postings miteinander, so erkennt man neben den deutlichen Längenunterschieden, dass die User in ihren Beiträgen unterschiedliche psychische Bediirfnisse ausdriicken. Während im ersten Beispiel „aggressive Phantasien [...] mit einer relativen Unbezogenheit der Mitteilungen" verbunden werden, erkennt man im zweiten Exempel „depressive Stimmungslagen verbunden mit dem Wunsch, gehalten zu werden" (Fiedler & Neverla, 2003, S. 564). Zusätzlich ist die Antwort beim Zweiten auch viel stärker auf das ursprfingliche Posting bezogen.
Die deutlich zu erkennenden Unterschiede von Suizidforen lassen die vorsichtige Annahme zu, die „Pro-Suizidforen" eher als gefahrdend und die „Anti-Suizidforen" eher als hilfreich anzusehen.
4.2 Kommunikation im Internet und ihre Wirkung
Im vorangegangenen Abschnitt wurden Foren, spezieller Selbsthilfe- und Suizidforen, in ihrem Aufbau und ihre Funktionen erklärt. Da in Internetforen rein textbasiert kommuniziert wird und kommunikativen Funktionen nach der ARD/ZDF-Online-Studie 2007 (van Eimeren & Frees, 2007) nicht nur zu den beliebtesten Internetanwendungen (v.a. der Frauen) zählen, sondern auch immer mehr in den Alltag eingebunden werden, soll in diesem Abschnitt ein Augenmerk auf die Besonderheiten computervermittelter Kommunikation, ihre Wirkung und auf allgemeine Effekte der Internetnutzung gerichtet werden.
4.2.1 Merkmale computervermittelter Kommunikation und ihre Bedeutung
Mit der Verbreitung des Internet wurde die menschliche Kommunikation um ein Medium erweitert. Neben audiovisuellen Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Internet-Telefonie), denen eine sehr untergeordnete Rolle zukommt, existieren viele Arten von Kommunikation, die mit dem Computer im Internet möglich sind. Diese lassen sich unter anderem in synchrone Kommunikation (z.B. „Chatten") und asynchrone Kommunikation einteilen, wozu die online-Foren gezählt werden. Die computervermittelte Kommunikation (CvK) hebt sich, trotz einer ähnlichen Komplexität wie bei der face-to-face-Kommunikation (F2FK) , von dieser durch viele wesentliche Merkmale — sowohl technisch als auch psychologisch — ab. Ihre Besonderheiten sind in Bezug auf die Suizidforen teilweise von großer Bedeutung (Boos, o.J.; Englmayer, 2005).
[...]
- Arbeit zitieren
- Dr. Stephanie Sasse (Autor:in), 2008, Gesprächsforen im Internet - Eine deskriptive Analyse über die Nutzung von Suizidforen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124894
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