Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des deutschen und des französischen Umgangs mit Immigranten waren in der Vergangenheit häufig Gegenstand der Literatur, allerdings wurden selten direkte Gegenüberstellungen erarbeitet. Die Existierenden sind selten aktuell. Dabei weisen die beiden Staaten hervorragende Ansatzpunke für einen Vergleich auf: Institutionelle Gemeinsamkeiten, ihre Existenz als stabile Demokratien mit anerkannter Religionsfreiheit, ein Säkularisierungsprozess, der in beiden Staaten nachweisbar ist, aber auch eindeutige Unterschiede in der Beziehung zwischen Staat und Religion sind hierbei zu nennen.
Diese Arbeit stellt die deutschen und französischen Konzepte zur Integration von Ausländern einander gegenüber. Der Vergleich wird die Fragen beantworten, ob zwischen ihnen ausreichend Konvergenzen bestehen, damit eine Angleichung der Integrationspolitiken und eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten möglich wäre. Ferner werden die Maßnahmen vorgestellt, die von der Europäischen Union in diesem Politikbereich ergriffen wurden, um zu untersuchen, inwiefern die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit einer gemeinsamen Integrationspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen in Betracht ziehen und ob sich Einflüsse eines nationalen Konzeptes auf die EU-Politik bzw. letzterer auf die nationalen Integrationsmaßnahmen feststellen lassen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung
2.1 Was ist „Integration“?
2.2 Was ist „Integrationspolitik“?
2.3 Was ist „der Islam“?
3. Das deutsche Integrationskonzept
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.1.1 „Nation“ in Deutschland: ein kulturalistischer Begriff
3.1.2 Religionen und der deutsche Staat: das korporatistische Modell
3.1.3 Islamische Einwanderung nach Deutschland
3.2 Integrationspolitik in Deutschland
3.2.1 Maßnahmen zur besseren Wahrnehmung sozialer und politischer Rechte: Integration von Ausländern
3.2.1.1 Zuständige Institutionen
3.2.1.2 Integrationsmaßnahmen
3.2.2 Der Umgang mit Forderungen nach kulturellen Rechten: Integration von Muslimen
3.2.2.1 Repräsentation der Muslime in Deutschland
3.2.2.2 Kopftücher an öffentlichen Schulen
3.2.2.3 Islamischer Religionsunterricht
3.2.2.4 Schächten
3.2.2.5 Islamische Bestattungen
4. Das französische Integrationskonzept
4.1 Geschichtliche Entwicklung
4.1.1 „Nation“ in Frankreich : ein republikanisches Konzept
4.1.2 Religionen und der französische Staat: das etatistisch-republikanische Modell
4.1.3 Islamische Einwanderung nach Frankreich
4.2 Integrationspolitik in Frankreich
4.2.1 Maßnahmen zur besseren Wahrnehmung sozialer und politischer Rechte: Integration von Ausländern
4.2.1.1 Zuständige Institutionen
4.2.1.2 Integrationsmaßnahmen
4.2.2 Der Umgang mit Forderungen nach kulturellen Rechten: Integration von Muslimen
4.2.2.1 Repräsentation der Muslime in Frankreich
4.2.2.2 Kopftücher an öffentlichen Schulen
4.2.2.3 Islamischer Religionsunterricht
4.2.2.4 Schächten und andere Nahrungsvorschriften
4.2.2.5 Moscheebau und Friedhöfe
5. Vergleich
5.1 Unterschiede
5.1.1 Rahmenbedingungen
5.1.2 Institutionen
5.1.3 Integrationsmaßnahmen
5.2 Konvergenzen
5.2.1 Rahmenbedingungen
5.2.2 Institutionen
5.2.3 Integrationsmaßnahmen
5.3 Erklärungsansätze
6. Fazit
6.1 Das Konzept der Europäischen Union zur Integration von Drittstaatsangehörigen
6.1.1 Entwicklung
6.1.2 Aktueller Stand
6.2 Schlussfolgerungen
Anhang
Literatur
1. Einleitung
Diese Arbeit stellt die deutschen und französischen Konzepte zur Integration von Ausländern[1] einander gegenüber. Der Vergleich wird die Fragen beantworten, ob zwischen ihnen ausreichend Konvergenzen bestehen, damit eine Angleichung der Integrationspolitiken und eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten möglich wäre. Ferner werden die Maßnahmen vorgestellt, die von der Europäischen Union (EU) in diesem Politikbereich ergriffen wurden, um zu untersuchen, inwiefern die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit einer gemeinsamen Integrationspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen in Betracht ziehen und ob sich Einflüsse eines nationalen Konzeptes auf die EU-Politik bzw. letzterer auf die nationalen Integrationsmaßnahmen feststellen lassen.
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des deutschen und des französischen Umgangs mit Immigranten waren in der Vergangenheit häufig Gegenstand der Literatur, allerdings wurden selten direkte Gegenüberstellungen erarbeitet. Die Existierenden sind selten aktuell (Bizeul 2004: V). Dabei weisen die beiden Staaten hervorragende Ansatzpunke für einen Vergleich auf: Institutionelle Gemeinsamkeiten, ihre Existenz als stabile Demokratien mit anerkannter Religionsfreiheit, ein Säkularisierungsprozess, der in beiden Staaten nachweisbar ist, aber auch eindeutige Unterschiede in der Beziehung zwischen Staat und Religion sind hierbei zu nennen (Fetzer/ Soper 2005: 16 –18).
Ein weiterer Grund für die Wahl des deutschen und des französischen Systems ist die „privilegierte Sonderbeziehung“ (Vogel 2005: 418), die sich seit Beginn des europäischen Integrationsprozesses entwickelt hat und letzteren oftmals prägte. 1963 wurde zwischen Deutschland und Frankreich der Élysée-Vertrag geschlossen, der die „Kooperation sowie die Koordinierung in Politik, Verwaltung und Wirtschaft“ (Zervakis/ von Gossler 2003: 8) vorsah.[2] In der Folge nahmen die beiden Staaten in zahlreichen politischen Fragen gemeinsame Haltungen ein, um sie gemeinsam auf europäischem Niveau leichter durchsetzen zu können (Zervakis/ von Gossler 2003: 11). Vor allem weil am Ende auf die europäische Politik im Bereich der Ausländerintegration eingegangen werden soll, liegt daher ein Vergleich der deutschen und französischen Position nahe.
Allerdings ist die Ausländerintegration ein weites Feld. Erstens ist die Gruppe der Ausländer alles andere als homogen. Mögliche Differenzierungskriterien sind zum Beispiel die Herkunft, das Alter, Geschlecht, der Aufenthaltsgrund oder der Aufenthaltsstatus von Ausländern. Zweitens existieren Integrationskonzepte innerhalb eines Staates auf unterschiedlichen Ebenen. Auf nationalem Niveau werden in der Regel die Grundlagen und Rahmen geschaffen, die auf kommunaler Ebene, auf der sich Integration letztendlich praktisch vollzieht, ausgeführt werden. In einem föderalen Staat wie Deutschland ist zudem die Landesebene zwischengeschaltet. Insgesamt ergibt sich eine Vielzahl möglicher Schwerpunkte, die ein Vergleich der Integrationspolitik gegenüber Ausländern in Deutschland und Frankreich haben könnte. Diese Arbeit wird sich auf die Konzepte auf nationaler Ebene beschränken. An einigen Stellen wird es unumgänglich sein, die Landesgesetzgebung in Deutschland einzubeziehen.
Davon ausgehend, dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund vor allem von ihrer Teilhabe an sozialen, politischen und kulturellen Rechten abhängt (Faist 2004: 79; Oberndörfer 2004: 14 – 21), werden die Konzepte zur sozialen und politischen Integration für alle in Deutschland und Frankreich dauerhaft ansässigen Ausländer erläutert. Der Umgang mit kulturellen Rechten hingegen wird eingeschränkt auf das am Beispiel der muslimischen Bevölkerung: Zum einen ist die Integration des Islam in Europa spätestens seit den Anschlägen vom 11. September eines der Top-Themen der Politik und der Medien. Regelmäßig wird die Eignung bzw. der Erfolg oder Misserfolg bisheriger Integrationspolitiken anhand der Integration von Muslimen diskutiert. Zum anderen hat der Islam neben den christlichen Kirchen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die meisten Anhänger. Die religiösen bzw. kulturellen Bedürfnisse und Forderungen der Muslime erscheinen oftmals unvereinbar mit den Prinzipien und Möglichkeiten der westeuropäischen Gesellschaften. Wie die deutsche und französische Politik damit umgehen, soll in dieser Arbeit dargestellt werden.
Der Vergleich der deutschen und französischen Integrationskonzepte wird auf Grundlage von Publikationen von nationalen, eigens für den Problembereich eingerichteten Organen angestellt. Zur Darstellung des deutschen Konzeptes ist der Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (BBMFI) über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland (BBMFI 2005b) und eine Publikation mit dem Titel „Islam einbürgern“ (BBMFI 2005a) grundlegend. Auf französischer Seite gibt es zwei entsprechende Veröffentlichungen des Haut Conseil à l’Intégration (HCI), zum einen die „Bilan de la politique d’intégration 2002 – 2005“ (HCI 2006) und zum anderen den Bericht „L’Islam dans la République“ (HCI 2000).
Anhand dieser Publikationen und wissenschaftlicher Literatur werden die Unterschiede der aktuellen Integrationskonzepte in Deutschland und Frankreich allgemein und gegenüber dem Islam möglichst umfassend herausgearbeitet und zusammengefasst. Bezüglich der EU- Politik zur Integration von Drittstaats-angehörigen wurden in erster Linie die Dokumente der Europäischen Kommission, des Ministerrates und des Rates der EU herangezogen.
Bevor die nationalen und das europäische Konzept vorgestellt werden könne, müssen zuerst die zentralen Begrifflichkeiten umrissen werden, zumal es sich bei „Integration“ um einen vielschichtigen und umstrittenen Begriff handelt. Kapitel 2 wird deshalb versuchen, die wichtigsten Termini zusammenfassend zu erläutern.
Grundsätzlich lassen sich die meisten Unterschiede zwischen deutscher und französischer Integrationspolitik mit den historischen Erfahrungen erklären, die beide Länder mit Migration und Religion, insbesondere mit dem Islam, gesammelt haben. Bevor in den Kapiteln 3 und 4 ausführlich auf die aktuellen Integrationskonzepte eingegangen werden kann, ist daher jeweils eine Übersicht über das nationale Verständnis von „Nation“, sowie des traditionellen Verhältnisses von Religion und Staat und ein geschichtlicher Abriss der islamischen Einwanderung geboten. Anschließend werden die aktuellen Integrationskonzepte erläutert. Dabei muss unterschieden werden zwischen den Vorgaben zur Eingliederung von Ausländern gleich welcher Herkunft und zur Integration der muslimische Bevölkerung, die sich zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich aus Ausländern zusammensetzt.
In Kapitel 5 werden das deutsche und französische Integrationskonzept in ihren markanten Punkten verglichen. Bevor in Kapitel 6 das abschließende Fazit gezogen werden kann, wird auf die europäische Integrationspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen eingegangen.
2. Begriffsbestimmung
2.1 Was ist „Integration“?
Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Integration“ leitet sich ab vom lateinischen „integratio“, was zu deutsch die Herstellung eines Ganzen bedeutet (Duden 1997). In der Soziologie ist mit „Integration“ die Einbindung von Personen in eine größere Gruppe gemeint, im Falle der Ausländerintegration also die Eingliederung von Menschen mit Migrationshintergrund in die Aufnahme-gesellschaft.
Vom deutschen Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration wurde Integration als „mittel- bis langfristiger, mitunter sogar mehrere Generationen umfassender Kultur- und Sozialprozess“ definiert (Sachverständigenrat 2004: 21). Es befinden sich nicht nur die Migranten selbst, sondern auch ihre Nachkommen in einem Prozess der Eingliederung. Zu betonen ist die Wechselseitigkeit von Integration. Auch die Aufnahmegesellschaft muss sich für Neuankömmlinge öffnen und „Teilhabechancen bereitstellen“ (Tiemann 2004: 12): Alle Beteiligten haben „Anpassungs- und Akzeptanzleistungen“ zu erbringen (Sachverständigenrat 2004: 238). Letztlich ist Integration als normativer Begriff aufzufassen, als eine ideale Zielvorstellung dessen, was am Ende des Eingliederungsprozesses stehen soll (Oberndörfer 2004: 13; Tiemann 2004: 10).
Schlüsselbereiche zur Integration von Einwanderern sind Wirtschaft und Arbeit, Bildung (insbesondere Sprachkenntnisse), sowie der Aspekt von Familie und Wohnumfeld. Die Integration in einem dieser Teilbereiche steht in Wechselwirkung mit den anderen. Grundsätzlich betrifft die Notwendigkeit zur Teilhabe daran alle Menschen. Personen mit Migrationshintergrund sind in der Regel aber in einer schwierigeren Ausgangsituation als die autochtone Bevölkerung (Sachver-ständigenrat 2004: 233 – 241).
Religiöse Zugehörigkeit kann eine ambivalente Rolle bei der Integration spielen: Einerseits wirkt sie für ihre Anhänger, besonders an „biographischen Schnittstellen“ und „individuellen Irritationen“ sinn- und identitätsstiftend, was zur Stabilisierung von Persönlichkeiten beitragen kann und Menschen eine Integration in eine neue Umgebung erleichtert (Bukow 2003: 71; siehe auch HCI 2000: 23). Zudem bieten Religionsgemeinschaften für die Gesellschaft Dienstleistungssysteme, z. B. im Bereich der Seelsorge und der Unterstützung Bedürftiger. Abhängig vom politischen System, mit dem sie konfrontiert werden, tragen sie nicht zuletzt mit ihren Kompetenzen zu „Expertenentscheidungen“ bei (Bukow 2003: 71). Andererseits können von Religionszugehörigkeit auch integrationshemmende Effekte ausgehen, wenn sie Grundwerte der Aufnahmegesellschaft in Frage stellen (Sachver-ständigenrat 2004: 243; BBMFI 2005b: 170).
Was den Islam betrifft, so hebt dieser sich in mancher Hinsicht von den anderen großen Religionen in Westeuropa ab. So sind seine Anhänger vornehmlich Menschen mit Migrationshintergrund, die sich häufiger als andere in schwierigen Lebenssituationen befinden. Hinzu kommt, dass es sich um eine „institutionell wenig ausgeprägte Religion“ handelt, was eine Integration in vorhandene Strukturen der Aufnahmegesellschaft erschwert (Bukow 2003: 73; BBMFI 2005b: 214f).
2.2 Was ist „Integrationspolitik“?
Integrationspolitik umfasst Konzepte und Maßnahmen, die auf die Eingliederung von Personen und Personengruppen in eine Gesellschaft gerichtet sind. Grundsätzlich ist Integrationspolitik die ständige Aufgabe eines jeden Staates und nicht nur auf Einwanderer, sondern auf alle dauerhaft auf seinem Territorium ansässigen Menschen gerichtet. Das Ziel ist in der Regel die Herstellung von Chancengleichheit, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren, der für die dauerhafte Existenz des Staates unabdingbar ist. Wenn sich auf Dauer ansässig gewordene Bevölkerungsteile nicht eingliedern und somit über Generationen von wichtigen Teilbereichen der Gesellschaft ausgeschlossen werden, führt dies zur Aushöhlung der Legitimität von demokratischer Herrschaft und zur Verringerung des sozialen Zusammenhalts sowie des wirtschaftlichen Wohlstands der Gesellschaft (Europäische Kommission 2003: 18; Oberndörfer 2004: 14f).
Die Integrationspolitik gegenüber Immigranten besitzt eine „besondere Qualität“, da der Einbezug von Einwanderern in der Regel mit neuen kulturellen Ansprüchen und vor allem ungleichen Bedingungen für die soziale, politische und ökonomische Partizipation verbunden ist (Meng 2004: 66f). Auf Seiten des Staates gilt es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich auch Menschen mit Migrationshintergrund „uneingeschränkt und eigenständig“ in allen Teilbereichen der Gesellschaft entfalten können (Sachverständigenrat 2004: 233f). Ihre Chancen sollten sich nicht signifikant von denen der autochtonen Bevölkerung unterschieden. Aufgrund der zahlreichen Facetten, die eine erfolgreiche Integration umfasst, berührt die Integrationspolitik zahlreiche Bereiche. In erster Linie ist sie Teil der Innen- und Sozialpolitik, sie betrifft aber auch die Außen- und Wirtschaftspolitik eines Staates sowie seine Sicherheitspolitik. Vor allem ist sie eng verbunden mit Asyl- und Einwanderungspolitik. Betroffen sind darüber hinaus Bildungs-, Kultur- und Religionspolitik (Sachverständigenrat 2004: 21).
Integrationspolitik erstreckt sich auf alle Ebenen des sie umgebenden politischen Systems (vgl. BBMFI 2005: 165 - 190). Die Konzeption und Organisation von Rahmenvorgaben vollziehen sich auf nationalem Niveau. Die konkrete Durchführung hingegen betrifft erstrangig die Städte und Kommunen. Seit wenigen Jahren beschäftigt sich auch die EU mit der Integration von Drittstaatsangehörigen.
Die Adressaten von Integrationspolitik können höchst unterschiedlich sein. Dabei kann beispielsweise nach Migrationsgründen (Arbeitsmigration, Flucht, Saisonarbeit/ Werksvertragsarbeit, Bildungsmigration und - deutschlandspezifisch - Aus- und Spätaussiedler), Geschlecht, Alter oder auch nach dem Rechtsstatus der Immigranten unterschieden werden (vgl. Sachverständigenrat 2004: 9 – 13, ebd.: 91 – 114). Aus diesem Grund wird in den letzten Jahren darauf hingearbeitet, einen Teil der Integrationsregelungen speziell auf ihre Empfänger zuzuschneiden. Neben diesen bereichsspezifischen Maßnahmen gibt es die übergreifende Integrationspolitik, die an alle Immigrantengruppen gerichtet ist, z. B. bei den Bedingungen zur Einbürgerung (Sachverständigenrat 2004: 237).
Integrationspolitik zielt heutzutage meist nicht nur auf Neuzuwanderer, sondern es existieren ebenso Maßnahmen zur „,nachholenden Integration“, welche die Integration von Personen fördern sollen, die seit längerem oder gar in der sogenannten Zweiten oder Dritten Generation im Land leben (Sachverständigenrat 2004: 16).
Ein mögliches Vorbild für Integrationspolitik ist das Assimilationskonzept (Bade/ Bommes 2004: 7ff; Esser 2004: 41ff). In seiner ursprünglichen Fassung wurde es von der „Chicago School of Sociology“ entwickelt. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts lag das Konzept der US-amerikanischen Integrationspolitik zugrunde. In seinem Kern steht die Forderung nach der „Ausrichtung des Verhaltens von Individuen und Kollektiven an institutionalisierten sozialen Erwartungen“ (Bade/ Bommes 2004: 9). Es wird von einer stufenweisen Anpassung der Immigranten an die Mehrheitsgesellschaft ausgegangen: Am Anfang steht die Akkulturation3, es folgt die strukturelle Assimilation4, bis es schließlich zur Identifikation5 kommt (Faist 2004: 84f; Esser 2004: 46). Seit 1945 ist das Assimilationskonzept allerdings stark umstritten. Seine Kritiker verweisen auf „einseitige Anpassungsleistungen“ (Bade/ Bommes 2004: 7) der Immigranten und - in Zeiten „transstaatlicher Migrationssysteme“ (Esser 2004: 41) - auf das Fehlen geeigneter Bezugspunkte für eine Assimilation.6 In jüngster Zeit gibt es nichtsdestotrotz wieder Stimmen, die vom „return of assimilation“ sprechen und zumindest die soziale Assimilation als Bedingung für die Teilhabe an den Schlüsselbereichen der Gesellschaft ansehen (Brubaker bei Bade/ Bommes, 2004: 13). Dazu gehören das Erlernen der Sprache und die Ausrichtung an den grundlegenden Werten und Systemen der Gesellschaft (Esser 2004: 46ff).
Das multikulturalistische Konzept kann gewissermaßen als Gegenstück zum Assimilationskonzept angeführt werden. Es sieht keinen Druck auf die Immigranten zu deren Anpassung vor, sondern erkennt ethnische und kulturelle Differenzen an (Bade/ Bommes 2004: 11f). Die Entwicklung des multikulturalistischen Ansatzes reicht bis in das frühe 20. Jahrhundert zurück. In den achtziger und neunziger Jahren wurde es als Alternative zum Assimilationskonzept wieder aufgegriffen. Im Zentrum der Idee stehen die kulturellen Rechte (z. B. die Anerkennung religiöser Praktiken), während beim Assimilationskonzept hauptsächlich auf die sozialen Rechte eingegangen wird (z. B. der Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt) (Faist 2004: 79f). Selbst von vielen ursprünglichen Befürwortern wird mittlerweile als problematisch bewertet, dass Multikulturalismus zur Segregation der gesellschaftlichen Gruppen und zur „Entstehung sich selbst stabilisierender ethnischer Minderheiten- und Schichtungsverhältnisse“ führen könne (Bade/ Bommes 2004: 13).
Neben den Diskussionen um das Für und Wider des Assimilations- und des Multikulturalismuskonzepts stellt sich immer wieder die Frage, ob eine Gleichstellung der Einwanderer mit Personen der Aufnahmegesellschaft als Bedingung oder vielmehr als Belohnung für die Integration gesehen werden soll. Darüber hinaus wird diskutiert, wodurch sich die Gesellschaft auszeichnet, in die sich Immigranten integrieren sollen (Oberndörfer 2004).
Integrationspolitik hat ihre Grenzen: Konzepte und Maßnahmen können Integrationsprozesse aufgrund ihrer Eigendynamik und der zahlreichen beteiligten Faktoren nicht vollständig steuern (Oberndörfer 2004: 24). Der Eigenbeitrag, den die Immigranten leisten (können), ist wesentlich für den Erfolg von Integrationkonzepten. Eingliederung von Immigranten in die Aufnahmegesellschaft kann von integrationspolitischen Maßnahmen an vielen Stellen lediglich „fördernd begleitet werden.“ (Sachverständigenrat 2004: 21; ebd.: 235)
2.3 Was ist „der Islam“?
Diese Frage kann aus vielen Gründen nicht eindeutig beantwortet werden: Innerhalb des Islams existieren eine Reihe unterschiedlicher Strömungen und Schulen (HCI 2000: 21f). Die größten Gruppierungen innerhalb des Islam sind die Sunniten und die Schiiten, die sich vor allem in ihrer Auffassung über die rechtmäßige Nachfolge des Propheten Mohammed voneinander unterscheiden (HCI 2000: 21; vgl. Weiss 1999: 66 – 75). Innerhalb des Sunnismus werden wiederum die vier Rechtsschulen der Hanafiten, der Malikiten, der Schafi’iten und der Hanbaliten7 unterschieden (Weiss 1999: 41f). Die Schiiten können in Zwölfer-, Siebener- und Fünferschiiten unterteilt werden, je nachdem, wie viele Imame sie als Mohammeds Nachfolger ansehen (vgl. Weiss 1999: 69 – 72). Neben diesen großen Strömungen und Schulen sind die Minderheiten der Assasinen (im Jemen und in Indien vertreten), der Drusen (in Syrien, Libanon und Israel lebend), der Alewiten (vor allem im nördlichen Libanongebirge ansässig) zu nennen (Weiss 1999: 72 – 74). Die Mehrheit der in Deutschland und Frankreich lebenden Muslime stammen aus der Türkei bzw. aus Nordafrika und gehören dem Sunnismus an.
Neben seiner religiösen Dimension ist der Islam ein „fait social et culturel“ (HCI 2000: 22). Im Alltag überschneiden sich seine sozialen, kulturellen und religiösen Aspekte (HCI 2000: 53; Waardenburg 2000: 112). Nicht selten ist es so, dass Muslime sich eher an den kulturellen Gepflogenheiten des Islam orientieren als an dessen theologischen Inhalten (HCI 2000: 24). Zu den Muslimen werden in der Regel neben denjenigen, die ihren Glauben umfassend praktizieren8, auch diejenigen gezählt, die nur einzelne Regeln, z. B. Nahrungsvorschriften, einhalten oder lediglich aus islamisch geprägten Staaten stammen. Auch die vorliegende Arbeit orientiert sich an dieser Auffassung, die der verwendeten Literatur zu Grunde liegt. Allerdings muss festgestellt werden, dass diese Position durchaus umstritten ist, vor allem, wenn es um die Bestimmung der Zahl der Muslimen in Frankreich geht (vgl. Tribalat 2003). Mit Kriterien, die Menschen als Muslime kennzeichnen, sollte grundsätzlich mit Zurückhaltung umgegangen werden, wie die Soziologin Jocelyne Césari warnt:
„tout le monde pense savoir ou croit savoir qu’il y a un certain nombre de rites, de pratiques et de croyances qui font que si quelqu’un est musulman, il est obligatoirement musulman de cette manière. (…) Dès qu’un certain nombre de personnes ne se conforment pas à ces codes rituels, les observateurs, pertubés, commencent à déclarer qui est musulman ou qui ne l’est pas: c’est le faut débat par excellence“ (Césari bei HCI 2000: 25; siehe auch Waardenburg 2000: 112).
3. Das deutsche Integrationskonzept
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.1.1 „Nation“ in Deutschland: ein kulturalistischer Begriff
Da die Staatswerdung Deutschlands im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ spät begann, wurde der Begriff „Nation“ für die Deutschen lange Zeit ausschließlich über ihre gemeinsame Kultur und Sprache abgeleitet. Dieser Umstand führte zu einer traditionellen „Ablehnung kultureller Vermengungen“ und einer „Überbewertung der ,Reinheit’ der Kultur“ (Bizeul 2004: 139). Mittlerweile wird „der frühere völkische Ethnozentrismus sowie jede Art von Abneigung gegen das Fremde im Eigenen“ zwar in der Regel negiert (Bizeul 2004: 140). Dennoch können Positionen in Deutschland zur Integration von Ausländern in Zusammenhang mit dem Ursprung des deutschen Nationenbegriff gesehen werden, so die Forderung der totalen Anpassung der Immigranten an die nationale Mehrheitskultur (klassisches Assimilationskonzept) wie auch die Forderung, dass Immigranten in Deutschland ihre Herkunftskultur weiterpflegen können, ohne dabei Einflüssen der Aufnahmegesellschaft ausgesetzt zu sein (klassisches Multikulturalismuskonzept) (Bizeul 2004: 139 – 142).
3.1.2 Religionen und der deutsche Staat: das korporatistische Modell
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das Verhältnis von Staaten und den Religionsgemeinschaften auf ihren Territorien zu typologisieren. Herkömmlich ist die juristische Unterscheidung nach „Trennungs-, Konkordats- und Staatskirchenmodellen“ (Koenig 2005: 20). Eine Alternative ist die Differenzierung zwischen Staaten, die ein liberales, korporatistisches oder etatistisch-republikanisches Modell entwickelt haben.9 Neben Belgien, Spanien und Österreich zählt Deutschland nach dieser Einteilung zu den Staaten mit korporatistischen Regelungen (vgl. Koenig 2005: 21- 26): Religion ist Teil der öffentlichen Sphäre. Der Staat entscheidet, ob er einzelnen religiösen Vereinigungen einen gehobenen Status verleiht, an den sich für beide Seiten sowohl Rechte als auch Pflichten anschließen und der weitreichende Konsequenzen vor allem für die sozialen Aktivitäten der Religionsgemeinschaften hat. Die Anerkennung der Religionsgemeinschaften als solche (Art. 7 Abs. 3 GG) ist der entscheidende Status für die Möglichkeit konfessionellen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Noch mehr Privilegien erhalten Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV). Auf Antrag einer Religionsgemeinschaft kann ihr vom jeweils zuständigen Bundesland dieser Status gewährt werden, wenn sie die Dauerhaftigkeit ihrer Existenz in Deutschland durch ihre Verfassung und ihre Mitgliederzahl glaubhaft machen kann.[4] Zu den Privilegien der öffentlich-rechtlichen Körperschaften gehören unter anderem die Insolvenzunfähigkeit, verschiedene Steuerprivilegien und das Recht, mit Unterstützung der Finanzämter Steuern bei den Mitgliedern einzuziehen (Faist 2004: 91 und BMI o. J. b). Hinzukommen wichtige Teilhaberechte am öffentlichen Leben, z. B. bei der Jugendfürsorge oder in Rundfunkräten. Als Gegenleistung hat der Staat größere Möglichkeiten, die internen Abläufe der Religionsgemeinschaften zu kontrollieren. Momentan sind bereits etwa 180 Religionsgemeinschaften in Deutschland Körperschaften des öffentlichen Rechts (Diplomatische Vertretungen der USA in Deutschland 15.09.2006).[5] Neben den evangelischen und katholischen Kirchen gehören zahlreiche orthodoxe, jüdische und andere Gemeinschaften zu ihnen. Bisher gibt es keine islamische Vereinigung, die diesen Status erreicht hat.
3.1.3 Islamische Einwanderung nach Deutschland
Die ersten Muslime, die im 17. Jahrhundert das Gebiet des heutigen Deutschlands erreichten, kamen vor allem als Kriegsgefangene. Ab dem 18. Jahrhundert waren oftmals osmanische Militärs und Diplomaten zu Gast im Deutschen Reich (Tworuschka 2003: 46f). 1915 wurde die erste Moschee für Kriegsgefangene errichtet. Ab 1924 entwickelte sich die Wilmersdorfer Moschee in Berlin zum Mittelpunkt des Islam in Deutschland, der von osmanischen Exilanten und Akademikern, aber auch von deutschen Konvertiten geprägt war. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden sämtliche Vereine aufgelöst. In den 1950er und 1960er Jahren bildeten sich vor allem durch den Zuzug von Studenten und Akademikern nach Aachen und München sowie von iranischen Kaufleuten in Hamburg neue Zentren des Islam. Arbeitsmigranten und ihre Familien, heute die Basis der deutschen islamischen Gemeinden, kamen erst später hinzu (Tworuschka 2003: 46 – 48).[6]
1961 wurde das erste Anwerbeabkommen mit einem islamisch geprägten Staat, der Türkei, geschlossen. Bis dahin hatten deutsche Einwanderer (Flüchtlinge, Aussiedler aus der Sowjetunion und Übersiedler aus der DDR) den wachsenden Bedarf an Arbeitskräften der Nachkriegszeit gedeckt. Es folgten Abkommen mit Marokko (1963) und Tunesien (1965).[7] Als viele Immigranten sich in Deutschland niederließen und der Trend zum Familiennachzug einsetzte, begann mit der Erkenntnis, dass die ursprünglichen „Gastarbeiter“[8] bleiben würden, die öffentliche Debatte um Einwanderung (Ghadban 2003: 30). 1973 wurde der bis heute gültige Anwerbestopp erlassen. Mit Niederlassung der Arbeitsmigranten und dem Nachzug ihrer Familien wurde der Islam in Deutschland sichtbarer (Tiemann 2004: 83; Fetzer/ Soper 2005: 3). Man begann erstmals, über die Möglichkeiten einer Integration von Ausländern nachzudenken. Der Begriff „Integration“ blieb allerdings „diffus“ und „unreflektiert“ (Oberndörfer 2004: 13). Ab den 1980er Jahren, vor allem infolge des Militärputsches in der Türkei kamen zunehmend Asylsuchende islamischen Glaubens nach Deutschland (Tiemann 2004: 13).
3.2 Integrationspolitik in Deutschland
3.2.1 Maßnahmen zur besseren Wahrnehmung sozialer und politischer Rechte: Integration von Ausländern
Das deutsche Integrationskonzept richtet sich an diejenigen der rund 6, 7 Millionen Ausländer (8,7 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung), die Aussicht auf einen langfristigen Aufenthalt haben (Stand 31.12.2005, vgl. BAMF 2006: 78f). 26,1 Prozent der Ausländer (1.764.041 Personen) stammen aus der Türkei. Ihre durchschnittliche Aufenthaltszeit in Deutschland beträgt 19,9 Jahre. Von ihnen sind etwa 34,2 Prozent trotz ihres türkischen Passes in Deutschland geboren worden. Daneben sind in Hinblick auf muslimische Einwanderer häufige Herkunftsländer die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Marokko, Tunesien, Iran und Libanon, deren Staatsangehörige im Durchschnitt ebenfalls eine Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahren in Deutschland aufweisen (BAMF 2006: 82 - 84).
In Deutschland kann der Bund „Art und Maß der Integrationsvoraussetzungen festlegen und auch die Grundsätze der Integrationsförderung bestimmen. Wie diese umgesetzt werden, ist Aufgabe der Länder.“ (Sachverständigenrat 2004: 244) Die Integration von Ausländern wird hauptsächlich durch das Aufenthaltsgesetz (AufhG) geregelt, das als Teil des neuen Zuwanderungsgesetzes seit dem 1. Januar 2005 in Kraft ist. Mit ihm hat Integrationspolitik in Deutschland seitdem eine gesetzliche Grundlage (Sachverständigenrat 2004: 16).
3.2.1.1 Zuständige Institutionen (BBMFI 2005b: 170 – 191)
Integrationspolitik fällt in erster Linie in das Ressort des Bundesministerium des Inneren (BMI). Ihm wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) untergeordnet, das verantwortlich ist für die Koordinierung und Durchführung der Integrationskurse und der Migrationsberatung. Zudem dient das BAMF als nationale Kontaktstelle für Integration[9] und als nationale Zentralstelle für die Verwaltung des Europäischen Flüchtlingsfonds, der unter anderem Mittel für Integrationsprojekte bereitstellt. Neben dem BAMF spielt die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration eine zentrale Rolle.[10] Ihr obliegt die Vernetzung und Koordinierung von Verwaltung, Politik und Verbänden. Ferner gehört die Herausgabe des „Handbuchs für Deutschland“, das seit 2005 Neueinwanderern die Erstorientierung in Deutschland erleichtern soll, zu ihren Aufgaben.
3.2.1.2 Integrationsmaßnahmen (BBMFI 2005b: 192 – 212)
Neben der genannten Erstorientierung umfasst das Angebot der Integrationsmaßnahmen
- Integrationskurse, die „einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland“ umfassen (§ 43 Abs. 3 AufhG).[11] Anspruch sowie Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs werden in §§ 44 und 44a AufhG geregelt. Wenn verpflichtete Ausländer die Teilnahme verweigern, kann dies Konsequenzen bei der Entscheidung über eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder bei der Bemessung von Sozialeistungen mit sich bringen (§ 44a Abs. 3 AufhG).
- Migrationsberatung: Für Immigranten gibt es bis zu drei Jahre nach ihrer Einwanderung nach Deutschland die Möglichkeit einer Migrationserstberatung, die vom BMI finanziert wird. Bei Bedarf wird ihnen bei der Eingliederung durch Beratung und Aufstellen eines individuellen Integrationsplanes geholfen. Für Jugendliche bis zu 27 Jahren gibt es einen speziellen Jugendmigrationsdienst. Er wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) getragen.
Die genannten Maßnahmen lassen die Konzentration der deutschen Integrationspolitik auf Erstförderung erkennen, aber es wird zunehmend auch Wert auf nachholende Integration gelegt, indem man die Angebote bei Bedarf auch für „Bestandsausländer“ zugänglich macht (BBMFI 2005b: 204; vgl. ebd.: 178 und Sachverständigenrat 2004: 236).
Neben dem Zuwanderungsgesetz ist auch die Bedeutung des Staatsangehörigkeitsgesetze s für die Integration von Ausländern zu erwähnen. Die hohe Zahl in Deutschland geborener Ausländer ist hierauf zurückzuführen. Das Gesetz basiert hauptsächlich auf dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis). Zum einen steht dies in der Tradition des geschilderten kulturalistischen Nationenbegriffs der Deutschen: Eine Vermischung des deutschen Volkes mit Menschen von außerhalb des deutschen Kulturkreises konnte mit dem ius sanguinis eingeschränkt werden. Zum anderen führte die Tatsache, dass Deutschland vor der Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem ein Emigrationsland war, zur Entscheidung für das Abstammungsprinzip. Den im Ausland ansässigen Nachkommen von Immigranten sollte die Möglichkeit einer deutschen Staatsangehörigkeit offen gehalten werden.
In das reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz, das im Jahr 2000 das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 ablöste, wurden Elemente des Territorialprinzips (ius soli), das in klassischen Einwanderungsländern wie Frankreich, den USA und Australien vorherrscht, aufgenommen (Faist 2004: 77).
3.2.2 Der Umgang mit Forderungen nach kulturellen Rechten: Integration von Muslimen
Die im letzten Abschnitt erläuterten Integrationsmaßnahmen sind für sämtliche Ausländer in Deutschland, unabhängig von ihrer Religion, entwickelt worden. Sie zielen in erster Linie auf die mögliche Wahrnehmung sozialer Rechte durch die Immigranten (Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt durch den Erwerb von Sprachkenntnissen). Der Erhalt der Staatsangehörigkeit betrifft die politischen Rechte der Menschen. Was bleibt, sind die kulturellen Rechte (z. B. die freie Ausübung von religiösen Praktiken und die Anerkennung religiöser Gemeinschaften), deren Erfüllung im Folgenden am Beispiel des Islam erörtert werden.
Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst (REMID) schätzt, dass in Deutschland 3.300.000 Muslime leben, davon 1.000.000 mit deutschem Pass. Zu zwei Dritteln sind die Muslime in Deutschland ausländische Staatsbürger. Nur ein Drittel besitzt einen deutschen Pass, davon sind rund 14.400 deutsche Konvertiten (REMID 04.11.2006). Unabhängig von ihrer Nationalität haben Muslime in der Regel eine Reihe religionsbedingter Ansprüche, die ohne Änderungen der bestehenden Situation in Deutschland nicht durchzusetzen sind. Zur Integration des Islam sind viele Fragen noch offen, vor allem, wer der Ansprechpartner des Staates ist, wenn es um Fragen islamischer Bedürfnisse geht? Dazu gehören die in den Medien viel beachtete „Kopftuchfrage“, der islamische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, aber auch weniger prominente Themen wie das Schächten und islamische Bestattungen.
Zum Teil wurden Antworten gefunden, die im Folgenden vorgestellt werden. Um die verbleibenden Schwierigkeiten zu lösen, hat das BMI jüngst die Deutsche Islamkonferenz (DIK) einberufen, deren Auftaktveranstaltung am 27. September 2006 stattfand. Die DIK wird sich mit der Integration des Islam in Deutschland beschäftigen, v. a. mit den Fragen,
„wie unterschiedliche religiöse Sitten und Gebräuche des Islam in Einklang mit der deutschen Verfassungsordnung gebracht werden können, ob und wie der Islam (als ,Religion ohne Kirche’) Organisationserfordernissen des deutschen Religions-verfassungsrechts gerecht werden kann und wie die über viele Jahrhunderte entwickelte deutsche Verfassungs- und Rechtsordnung zur Entwicklung eines modernen, deutschen Islam beitragen kann.“ (BMI o. J. a).
3.2.2.1 Repräsentation der Muslime in Deutschland
Wie in Kapitel 2 dargelegt, sind demokratische Staaten um ihrer Legitimation willen darauf angewiesen, alle dauerhaft ansässigen Bevölkerungsgruppen in die gesellschaftlich zentralen Bereiche einzubinden. In einer pluralistischen Demokratie wird dabei „der Einfluss einer Vielfalt frei organisierter Gruppen auf die staatliche Willensbildung als legitim akzeptiert“ (Rudzio 2003: 71). Da also eine große Zahl spezieller Interessen in die politischen Entscheidungen einfließen sollen, ist eine Interessenbündelung notwendig, erstens, um den einzelnen Gruppierungen mehr Gewicht zu verleihen, zweitens, um die Komplexität für das politische System zu reduzieren. Die Einbindung der Interessengruppen führt zu einem „integrativ-befriedenden Verhalten“, indem sie die Akzeptanz der politischen Entscheidung auf Seiten ihrer Mitglieder steigern (Rudzio 2003: 71f).
Diese Ausgangslage gilt auch für die islamischen Vereinigungen in Deutschland, die in den meisten Fällen die Rechtsform „eingetragener Verein“ innehaben. Problematisch im Sinne der Interessenbündelung ist die Vielzahl unterschiedlicher islamischer Vertretungen auf Bundesebene: Die BBMFI nennt mehrere Dachverbände, die jeder eine große Zahl kleiner Vereine unter sich versammeln, als Ansprechpartner der Bundesregierung: den „Islamrat für die BRD“, die „Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB)[12], den „Verband islamischer Kulturzentren“ und den „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) (BBMFI 2005b: 221). Daneben ist der Dachverband „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) nennenswert, der 274 Moscheevereine unter sich versammelt und dessen Mitgliederzahl auf 26.500 Personen geschätzt wird (REMID 04.11.2006; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2005: 112).[13]
Diese Aufsplitterung der islamischen Interessenverbände ist vor allem problematisch, wenn es um die Fragen der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder des islamischen Religionsunterrichts geht. Nach Darstellung von Nadeem Elyas, der bis 2006 Vorsitzender des ZMD war, gab es in den achtziger Jahren eine gewisse Einheitlichkeit der Vereinslandschaft: 1986 hatten sich die großen Verbände zum ZMD zusammengeschlossen, um das Recht zum Schächten durchzusetzen. Später traten die DITIB und die IGMG aus dem ZMD aus, womit der Einheitscharakter geschwächt wurde. Nach Elyas’ Einschätzung ist es unrealistisch, alle großen Verbände wieder unter einer der bereits existierenden Organisationen zu versammeln (Elyas 2005: 14f).
Bisher wurde noch keinem Antrag islamischer Vereinigungen auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts stattgegeben. Als Begründung wird angeführt, dass erstens kein „hinreichend legitimierter Ansprechpartner“ für den Staat zur Verfügung stehe und dass die Vereinigungen zweitens nach „illiberalen Prinzipien“ organisiert seien (Faist 2004: 92, 94).[14] Streitbar ist die Frage, ob es sachlich überhaupt gerechtfertigt ist, von staatlicher Seite aus auf einen einzigen Ansprechpartner zu bestehen. In der Praxis, wenn es um islamischen Religionsunterricht oder andere Regelungen auf lokaler Ebene geht, hat man auch ohne einen übergeordneten, repräsentativen Ansprechpartner Lösungen gefunden. (Beauftragte 2005a: 8; dies. 2005b: 221; ebd.: 243 – 249 und Hoffmann 2005: 11).[15]
[...]
[1] Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird ausschließlich die maskuline Form von Begriffen wie Ausländer, Immigrant und Muslim verwendet. Die feminine Form wird jedoch eingeschlossen, sofern nicht anders angegeben.
[2] Mehr zum diesem Abkommen mit dem offiziellen Titel „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ bei Vogel 2005: 421 – 425.
3 Konkret kann das die Übernahme von Sprache, Normen und Idealen der Mehrheitsgesellschaft bedeuten.
4 Dies meint den Erwerb von Rechten und Positionen im sozialen System (z. B. auf dem Arbeitsmarkt) und die Vermischung mit der Aufnahmegesellschaft (z. B. durch Heirat).
5 Identifikation besteht nach Esser hauptsächlich im Aufbau von Loyalitäten.
6 Dieses Argument spielt in der Debatte um die deutsche „Leitkultur“ (vgl. Bizeul 2004: 142) und um die Einbürgerungstests von einigen Bundesländern eine Rolle; weitere Argumente für und gegen das Assimilationskonzept bei Esser S. 42 – 44.
7 Die Hanafiten sind die am weitesten verbreitete Rechtsschule: Sie ist v. a. in Zentralasien, Afghanistan, der Türkei und in Tunesien weit verbreitet. Die Malikiten sind in Nord- und Nordwestafrika, Nigeria und dem Sudan zu finden, die Schafi’iten dominieren Ägypten, den Vorderen Orient und Südostasien. Die Hanbaliten sind auf der arabischen Halbinsel in der Mehrheit (Weiss 1999: 41).
8 Zu den fünf „Säulen“ des Islam (das Glaubensbekenntnis, die Almosensteuer, das Gebet, die Pilgerfahrt nach Mekka und das Fasten), weiteren Grundsätzen, und Bräuchen vgl. Weiss 1999: 28 – 39, ebd.: 44 –59.
[3] Zu den liberalen Modellen zählt das Vereinigte Königreich, wo Religion (trotz der anglikanischen Staatskirche) als Angelegenheit der Zivilgesellschaft betrachtet wird. Das etatistisch-republikanische Modell trifft auf Frankreich zu.
[4] Konkrete Ansprüche, welche an die Religionsgemeinschaften gestellt werden, sind neben der „Rechtstreue“ (Faist 2004: 91) ihrer Verfassungen eine Existenz in Deutschland von ca. 30 Jahren und eine Mitgliederzahl, die etwa 0,1 Prozent der Landesbevölkerung entspricht (Walter 2005: 39).
[5] Vgl. BMI (Januar 2005): Übersicht über die Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (…). Auf http://www.bmi.bund.de/cln_028/nn_370400/Internet/Content/Themen/Kirchen__und__Religionsgemeinschaften/Einzelseiten/Liste__Koerperschaft__Religionsgemeinschaften.html, aufgerufen am 12.12.2006
[6] Die Ausführungen zur Einwanderung zwischen 1945 und 1990 beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland. Zur DDR vgl. Klaus J. Bade: Migration und Integration in Deutschland: Erfahrungen, Probleme, Perspektiven. In: Landeszentrale für politische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Die Migrationsgesellschaft als Herausforderung im 21. Jahrhundert. Düsseldorf, 2002, S.45 – 56.
[7] Zu den Interessen der Türkei an diesem Abkommen vgl. Tiemann 2004: 13. Neben der Türkei, Marokko und Tunesien wurden Abkommen mit Italien, Spanien, Griechenland und Jugoslawien geschlossen (Ghadban 2003: 31).
[8] „,Gastarbeiter’ wurden sie im öffentlichen (nicht im amtlichen) Sprachgebrauch genannt, in Abgrenzung zu den ,Fremdarbeitern’ im nationalsozialistischen und zu den ,ausländischen Wanderarbeitern’ im kaiserlichen Deutschland.“ (Bade 2002: 49)
[9] Ein Netzwerk nationaler Kontaktstellen wurde im Rahmen der EU-Integrationspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen geschaffen .
[10] Momentan wird dieses Amt von Maria Böhmer bekleidet.
[11] Die beiden Teile des Sprachkurses umfassen je 300 Stunden. Der Orientierungskurs dauert 30 Stunden. Zu seinem Inhalt ist eine Publikation des BAMF erschienen: Lernziele und Lerninhalte des Orientierungskurses – voneinander lernen, gemeinsam leben. Nürnberg, August 2006 Auf: http://www.bamf.de/cln_042/nn_565356/SharedDocs/Anlagen/DE/Integration/Downloads/Integrationskurse/Kurstraeger/KonzepteLeitfaeden/lernziele-und-lerninhalte-des-orientierungskurses,templateId= raw,property=publicationFile.pdf/lernziele-und-lerninhalte-des-orientierungskurses.pdf, aufgerufen
am 12.12.2006
[12] DITIB, 1984 in Köln gegründet, ist personell und organisatorisch stark mit dem Präsidium für Religionsangelegenheiten der Türkei verbunden und vertritt einen separatistisch geprägten Kurs. Mehr Informationen dazu bei Meng (2004: 33 – 38); Kritik an der Haltung der DITIB in Bezug auf eine gemeinsame Interessenvertretung des Islam in Deutschland bei Elyas (2005).
[13] Die IGMG wird offensichtlich nicht von der Regierung als möglicher Partner angesehen, vermutlich nicht zuletzt, weil ihr die Vertretung islamistischer Positionen vorgeworfen wird. Allerdings dominiert die IGMG personell den Islamrat für die BRD (Tiemann 2004: 94). Weitere Angaben vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (2004: 112 – 118). Zu anderen Einschätzungen über die Positionen der IGMG kommt Frank Meng (2004: 38 – 48).
[14] Sowohl die organisatorische Zersplitterung wie auch die Organisationsstruktur, die z.B. Frauen von Ämtern ausschließt, können z. T. auch bei christlichen Religionsgemeinschaften festgestellt werden, die nichtsdestotrotz als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, wie Faist anmerkt (Faist 2004: 94).
[15] Das Bestehen auf einen Ansprechpartner wird von den meisten Autoren, ob Politikern, Wissenschaftlern oder islamischen Interessenvertretern verurteilt, so von Wolf-Dietrich Bukow als „populistische Hinhaltetaktik“ (Bukow 2003: 77).
- Arbeit zitieren
- B. A. Gitta Glüpker (Autor:in), 2007, Konzepte zur Integration von Ausländern in Deutschland und Frankreich im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124567
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