Schon die Fragestellung zeigt auf: der Petrarkismus ist ein System, in dem recht regelhaft sprachliche und motivische Elemente aus Petrarcas „Canzoniere“ übernommen werden, wobei durch die Imitation und Ausformung insbesondere des antithetischen Motivs eine gewisse Formelhaftigkeit entsteht. Zugleich werden der angebeteten Dame Attribute in Art eines „Schönheitskatalogs“ zugesprochen, um sie – ähnlich wie in der Minnelyrik – emporzuheben. Sie ist ein bezauberndes, aber abweisendes Wesen, das den Dichter lustvollen Schmerz über die unerfüllte Liebe artikulieren lässt.
Schon die Fragestellung zeigt auf: der Petrarkismus ist ein System, in dem recht regelhaft sprachliche und motivische Elemente aus Petrarcas „Canzoniere“ übernommen werden, wobei durch die Imitation und Ausformung insbesondere des antithetischen Motivs eine gewisse Formelhaftigkeit entsteht. Zugleich werden der angebeteten Dame Attribute in Art eines „Schönheitskatalogs“ zugesprochen, um sie – ähnlich wie in der Minnelyrik – emporzuheben. Sie ist ein bezauberndes, aber abweisendes Wesen, das den Dichter lustvollen Schmerz über die unerfüllte Liebe artikulieren lässt.
Gewissermaßen systematisch erscheint auch das Gedicht „Sonett“ von Opitz. Auf den ersten Blick erfüllt es genau die Merkmale des Petrarkismus: in Sonettform wird einer apostrophisch angesprochenen Dame gehuldigt, die gemäß dem Schönheitskatalog gepriesen wird, angefangen bei den Augen. Auch die Prätiosenmethaporik zur Beschreibung der Schönheit der Dame Tyndaris entspricht dem Konzept. Aber die metaphorischen Zuordnungen sind falsch angebracht, so dass beispielsweise der Rubin, dessen strahlendes Rot den Lippen entspräche, hier zur Beschreibung der Augen dient, der Türkis zur Beschreibung der Lippen, die Zähne sind goldgelb, so dass die Dame monströs und hässlich erscheint. Der Witz des Gedichtes liegt darin, dass dies durch die Entlehnung der Metaphern aus dem Bereich der idealen Schönheit geschieht und diese bei der Beschreibung nur satirisch verkehrt zugeordnet werden, anstatt das eigentlich angemessene Vokabular zu verwenden. Spätestens im letzten Vers, der fast epigrammhaft erscheint, versteht auch der letzte Leser, das es sich nicht um ein Gedicht im klassisch petrarkischen Stil handelt, sondern lediglich die äußeren Rahmenbedingungen eines solchen erfüllt zu sein scheinen: dem Feind wird die Dame gewünscht.
Bei detaillierterer Betrachtung fallen noch mehr Unterschiede auf: die Sonettform entspricht der französischen Form mit doppeltem Blockreim in den Quartetten (abba abba) und dem Reimschema ccd eed in den Terzetten, Versmaß ist ein sechshebiger Jambus mit Mittelzäsur (Alexandriner). Man vermutet, dass sich Opitz an einem Gedicht von Joachim Du Bellay orientiert hat, der wiederum Francesco Bernis Sonetto alla sua donna als Vorlage verwendet hat, die Opitz auch bekannt war, was durch direkte Übernahmen belegt werden kann, z. B. wird „bocca ampia celeste“ (Berni) zu Opitz‘ „der Mund ist Himmelweit“. Diese Metapher erscheint im Deutschen zunächst seltsam und passt nicht in das vorhergehende Schema. Ab dem letzten Vers der Quartette stammen die grotesken Schönheitsqualifikationen nicht mehr aus dem Sprachmaterial des Petrarkismus, sondern sind mythologischen Referenzen des neulateinischen Dichtens entlehnt, mit Anspielungen auf Alektos Schlangenhaar, Vulkans hinkenden Gang oder Amors Blindheit. Auffällig ist auch, dass keine Einheit in den sonst inhaltlich abgeschlossenen Quartetten und Terzetten herrscht. Wie gesagt wird die formale und inhaltliche Einheit der Quartette vorzeitig aufgebrochen und die begonnene Thematik setzt sich in den Terzetten fort bis zu einer Klimax im dritten Vers des ersten Terzetts: „In summa du bezwingst die Götter vnnd Göttinnen“ (Vers 11). Dieser Vers lässt sich auf zwei verschiedene Arten lesen. Behält man das Versmaß bei, wird „Göttinnen“ auf der zweiten Silbe betont, was wie eine neuzeitlich emanzipatorische Unterscheidung zwischen Männern und Frauen wirkt (wie z. B. Mitglieder und MitgliederINNEN). Betont man bei dem Wort „Göttinnen“ die erste Silbe, wird das Versmaß gestört und man stolpert buchstäblich über einen Daktylus bzw. zwei Daktylen („Götter und Göttinnen“ / - - / - -). Dieser Wechsel stört den Lesefluss und betont sowohl diese Aussage, als auch den starken thematischen Wechsel, der im nächsten Terzett folgt. Eingeleitet durch die Konjunktion „weil“ erwartet der Leser eine Begründung Tyndaris‘ Außerordentlichkeit, aber es folgt stattdessen die Einschiebung einer formelhaften, religiös anmutenden Moral, man möge demjenigen, der einem selbst nichts Gutes sinnt, trotzdem Gutes gönnen. Dieser extrem wirkende Wechsel zwischen den Terzetten findet zum Teil einfach aus syntaktischen Gründen statt, um die Aussage „so wündtsch‘ ich das mein feind dich möge lieb gewinnen“ (Vers 14), der die Begründung hier vorrausgeht, an das Ende des Gedichts stellen zu können, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Dem Feind in diesem Sinne die „schöne“ Tyndaris zu wünschen, ist natürlich nur scheinheilig moralisch. Tyndaris ist auch kein beliebiger Name, er stammt auch aus der Welt der Mythologie. Tyndaris ist ein Beiname der schönen Helena, den sie von ihrem vermeintlichen Vater Tyndarus bekommen hat. Dieser Name ist nicht sehr geläufig, manch ein Leser wird ihn nicht zuzuordnen wissen. Kennt man ihn nicht, erscheint das Gedicht als geistreiche Spielerei, wenn man aber weiß, dass Helena parodiert wird, ist die Intention des Gedichts viel eindeutiger. Somit kann man eine klare Zuordnung zum Antipetrarkismus vornehmen. Unter dem Begriff werden in der Forschung Texte subsummiert, die im engeren oder weiteren Sinne entweder die stilistischen und sprachlichen Besonderheiten petrarkistischer Lyrik oder die Liebeskonzeption bzw. Konzeption des Liebeswerbens oder aber beides kritisieren, parodieren oder ironisieren. Rhetorisch werden ähnliche oder die gleichen Mittel mit umgekehrtem Vorzeichen verwandt, was bei Opitz durch verkehrte metaphorische Zuordnungen von res und verba geschieht, also nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Deutlich wird bei Opitz außerdem, dass Antithesen in petrarkistischer Manie völlig fehlen, der Dichter formuliert auch keinerlei schmerzvolle Verlusterfahrung bezüglich unerfüllter Liebe seitens der Dame.
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- Arbeit zitieren
- Natalie Schilling (Autor:in), 2009, Inwiefern passt Martin Opitz‘ Gedicht „Sonnet“ in das System des Petrarkismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124502