„Menschen werden durch die Sprache geformt, mehr als die Sprache durch den Menschen geformt wird. Es ist die natürliche Kraft einer Sprache, die dem Entstehungsprozess einer Nation Gestalt gibt.“
Versucht man in wenigen Sätzen zu beschreiben, was den Kern der belgischen Krise ausmacht, ist notwendigerweise der „Sprachenstreit“ als einer der wesentlichen Gründe für die Disparitäten zwischen Flamen und Wallonen zu nennen.
Nach ihm wird der historisch begründete soziale Konflikt benannt, der sich aus dem Zusammenschluss zweier im Kern verschiedener Volksgruppen zu einem unabhängigen Königreich Belgien ergab.
Vielen ist der tief in die Gesellschaft unseres Nachbarlandes hineingreifende Konflikt nicht bekannt, auch in der deutschen Tagespresse findet er wenig Erwähnung. Daher ist es weniger verwunderlich, dass Belgien von vielen als „Land ohne Profil“ und eher als der „unbekannte Nachbar“ gesehen wird.
Um die Tiefe des Konflikts zu erfassen ist es notwendig, einen Blick auf die historische Entwicklung im Lande zu werfen. Dies soll im ersten Abschnitt dieser Ausarbeitung geschehen. Im zweiten Teil wird die Umsetzung der Idee des Föderalismus auf das System des belgischen Staates betrachtet.
Diese kleine Einführung in das Staatsgefüge soll die Grundlage bieten, den daran anschließenden Kern der Arbeit, die Ausei-nandersetzung mit den Problemen des Systems und den daraus resultierenden Folgen für die (Un-)Regierbarkeit und Krisenanfälligkeit nachvollziehen zu können.
INHALT
1. Einführung
2. Abriss über die belgische Historie
3. Der Bundesstaat Belgien
3.1 Beschreibung des Föderalismus
3.2 Die föderale Struktur Belgiens
3.2.1 Die Ebene des Föderalstaates
3.2.2 Die Ebene der Gemeinschaften und Regionen
4. Probleme des Systems
4.1 Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Föderalstaat und Gliedstaaten als einer der Gründe für die Krisenanfälligkeit des belgischen Staates
4.2 Die Streitigkeiten um den Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde
4.3 Belgien am Rande der Regierbarkeit
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
1. Einführung
„Menschen werden durch die Sprache geformt, mehr als die Sprache durch den Me n- schen geformt wird. Es ist die natürliche Kraft einer Sprache, die dem Entstehungspro- zess einer Nation Gestalt gibt.“[1]
Versucht man in wenig en Sätzen zu beschreib en, was den Kern der b elgischen Krise ausmacht, ist notwendigerweise der „Sprachenstreit“ als e iner der wesentlichen Grün- de für die D isparitäten zwischen Flamen und Wallonen zu nennen. Nach ihm wird der historisch b egründete soziale Konflikt benannt, der sich au s dem Zusammenschluss zweier im Kern verschie dener Volksgruppen zu einem unabhängigen Königreich B el- gien ergab,. Vielen ist der tief in die Gesellscha ft unseres Nachbarlandes hineingr ei- fende Konflikt nicht bekannt, auch in der deutschen Tagespresse finde t er wenig Er- wähnung. Daher ist es weniger verwunderlich, dass Belgien von vielen als „Land o hne Profil“ und eher als der „unbekannte Nachbar“ gesehen wird.[2]
Um die Tiefe des Konflikts zu erfassen ist es notwendig, einen Blick auf die historische Entwicklung im Lande zu werfen. Dies soll im ersten Abschnitt die ser Ausarbeitu ng geschehen. Im zweiten Teil wird di e Umsetzung der Idee des Föderalismus auf das System des belgischen Staates betrachtet. Diese kleine Einführung in das Staatsgefü- ge soll die Grundlage bieten, den daran anschließenden Kern der Arbeit, die Ausei- nandersetzung mit den Problemen des Systems und den daraus resultierenden Folgen für die (Un-)Regierbarkeit und Krisenanfälligkeit nachvollziehen zu können.
2. Abriss über die belgische Historie
Im Verlaufe seiner Geschichte war Belgien schon immer Spielball de r europäischen Großmächte. Nach den napoleonischen Feldzügen wurde d as Land als Teil eines Ab- kommens mit anderen Großmächten 1815 den Niederlanden zugesprochen.[3]
Doch schon nach kurze r Zeit, 1830, wurde die fremde Ad ministration vertrieben un d ein unabhängiges Königreich auf Basis einer Verfassung ausgerufen. Diese Verfas- sung war für jene Zeit besonders innovativ, so enthielt sie bereits einen Grundrechtska- talog und betonte die Verantwortung eines starken Parlaments. Im 19./20.Jh. wurde sie zum Vorbild vieler europäischer Verfassungen.[4]
Jedoch sah sie, trotz des Bewusstseins für zwei Volksgrupp en[5] zu gelten, nur die Ein- sprachigkeit vor. Zurückzuführen ist dies auf die Befürchtu ng des fran kophonen Teils Belgiens, durch die Gen ehmigung einer anderen Sprache als die ihre, Macht einzubü- ßen. Zudem war es sch licht eine Abrec hnung mit der unliebsamen niederländischen Sprache.[6]
In den darauf folgenden Jahrzehnten kam es zu einer Polarisierung auf beiden Seiten. Es bildeten sich nach Autonomie strebende Bewegungen, gepaart mit anfangs schlei- chendem, später imme r deutlichere m Machtverlust auf Seiten der Wallonen [7]. Dieser war sowohl wirtschaftlicher als au ch politischer Art. Besonders der Umstand, dass d en Flamen endlich das allgemeine Wahlrecht eingeräumt wurde, führte zu einer Verände- rung der Einflüsse. Die stete Polarisierung gipf elte in der Einführung neuer Sprachge- setze in den Jahren 1962/63, einhergehend mit der Zersplitterung der medialen Lan d- schaft und der Parteien[8], unter der das politische Belgien noch heute leid et. Verankert wurden diese Gesetze in der ersten großen Verfassungsrevision von 1970. Diese erste Staatsreform war zugleich der erste Schritt Belgiens in Richtung Bundesstaat. [9] Auf die erste Verfassungsrevision von 1970 folgten noch drei weitere, bis auch die Verfassun g selbst von einem föderalen Belgien sprach.[10]
3. Der Bundesstaat Belgien
3.1 Beschreibung des Föderalismus
Eine eindeutige Definition des Föderalismus ist nicht vorhanden, da seine Stärke sich in der Flexibilität begründet und jedes als föderalistisch bezeichnete Land seine Eigen- heiten hat. Sehr wohl g ibt es aber gewisse Eigenschaften, die verschiedene föderale Länder gemein haben. Zu nennen ist hier beso nders die schriftlich nied ergelegte Ver- fassung. Hinzu ein Organ zur Einf lussnahme der Gliedstaaten am Gesetzgebungspro- zess der Ze ntralregierung und eine Instanz, die in verfassungsrechtlich en Angelegen- heiten zwischen den beiden Ebenen vermittel t. Außerdem mindestens zwei Ebenen staatlicher Gewalt [11] mit direkter Leg itimation durch die wählende Bevölkerung. Ent- scheidend ist, dass beide Ebenen über gewisse Kompetenzen und Au tonomie gege- nüber der jeweiligen anderen Ebene verfügen.[12] Daraus lassen sich die drei Leitpunkte Autonomie, Zusammena rbeit und Mitwirkung ableiten. Im Sinne der Sta atstheorie ist der Föderalismus auch die strukturelle Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips.
3.2 Die föderale Struktur Belgiens
„Belgien ist ein Föderalstaat, der sich aus den Gemeinschaften und den Regionen zu- sammensetzt.“ (Art. 1 der belgischen Verfassung).
Hinter dieser simplen Strukturbestimmung verbirgt sich eine komplizierte Staatsarchi- tektur. Art.1 bestimmt die Aufteilun g sowohl in „Regionen“ als au ch in „Gemeinschaf- ten“, eine Teilung also in zwei verschiedene Typen von Gliedstaaten. Es wird in diesem Zusammenhang auch von einem asymmetrischen Föderalismus gesprochen.[13] Da sich Regionen und Gemein schaften an mehreren Stellen über schneiden, wird ebenjene Asymmetrie noch verstärkt. [14] Außerdem werde n vier Spra chgebiete u nterschieden: das deutsche, das französische, das niederländische sowie das zweisp rachige Gebiet in der Region Brüssel-Hauptstadt.
Die weiteren Einteilung en und Zuweisungen, so zum Beispiel die Pro vinzen, werden durch Art. 2-5 GGW bestimmt.
Aus Art. 2 und 3 der GGW ergeht, in Verbindung mit Art.1 folgende Staatsgliederung:
1) Föderalebene
2) Gemein schaften
a) Deutschs prachige Gemeinschaft
b) F lämische Gemeinschaft
c) Wallonische Gemeinschaft
3) Regionen
a) Brüsseler Region (auch Brüssel-Hauptstadt)
b) Flämische Region
c) Wallonische Region
Entsprechend dieser Einteilung be stehen sechs Gliedstaaten, faktisch sind es aller- dings nur fünf, da bereits 1980 die Flämische Gemeinschaft mit der Flämischen Region zum Flämischen Rat fusionierte.[15]
Überhaupt ist die Glied erung in Re gionen und Gemeinschaften ein einzigartiges Mo- dell. In aller Regel ist ein Gliedstaat territorial b egrenzt[16]. Die Gemeinschaften jedoch definieren sich rein durch die ihnen zugehörigen kulturell sprachlichen Gruppierungen. Dies zeigt sich auch in den ihnen zugewiesene n Kompetenzen, auf die an spätere r Stelle noch eingegangen wird.
Weiter haben wir die Einteilung in fünf Exekutivebenen:
- Föderalregierung
- Gemeinschaften
- Regionen
- Provinzen
- Gemeinden
Die auf der linken Seite gelisteten Einheiten verfügen auch über legislative Gewalt in Form eines direkt gewählten Parlamentes.
3.2.1 Die Ebene des Föderalstaates
Auf föderale r Ebene tragen die beiden Kamme rn, die Abg eordnetenkammer und der Senat sowie der König gemeinsam die legislative Gewalt (Art. 36 GGW). Mitg- lieder beide r Kammern werden im Vier-Jahre s-Turnus in Verhältniswahl durch den Bürger gewählt. Sie rep räsentieren die ganze Nation, nicht nur jene von denen sie ge- wählt wurden (Art. 42 GGW).[17] Durch Art. 58 und 59 GGW wird ihnen Indemnität und Immunität gewährt.
[...]
[1] Johann Gottlieb Fichte, Erscheinungsjahr unbekannt.
[2] Unter anderem hiermit befasst sich das Buch „Belgien für Deutsche – Reise in ein unauffälliges Land“.
[3] Vgl. Grasse/Berger S.103.
[4] Vgl. Woyke S.389.
[5] Damals: 2,4 Millionen Niederländischsprachige und 1,8 Millionenen Französischsprachige (Alen, S.15, Fn. 27).
[6] Vgl. Alen, S.15 Nr. 6.
[7] Neben dem 1893 eingeführten Mehrheitswahlrecht, welches den Flamen erheblich mehr politischen Einfluss bescherte, kristallisierte sich heraus, dass die wallonische Wirtschaft an ihre Grenzen stieß, wäh- rend die flämische immer mehr zu blühen begann.
[8] Die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die Presse trennten sich nach Sprachgruppen auf, ebenso die sprachgebundenen Flügel der Parteien. Siehe auch: Alen, S.28 Rn.20.
[9] Vgl. Grasse/Berger S.109.
[10] Gemeint ist die Verfassung aus dem Jahre 1993. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Ausarbei- tung wird auf die Änderungen in den ersten drei Revisionen nicht näher eingegangen und erst die Struktur ab 1993 betrachtet, da diese für die heutige Situation entscheidender ist.
[11] Das sind zum einen Gliedstaaten (Kantone, Länder etc.) auf der regionalen Ebene und eine Zentralre- gierung (z.B. die Bundesregierung) auf gesamtstaatlicher Ebene.
[12] Vgl. Anderson S.15ff.
[13] Vgl. Grasse/Berger S.113f.
[14] Die deutschsprachige Gemeinschaft ist Teil der wallonischen Region, in der Region Brüssel-Hauptstadt leben sowohl Teile der wallonischen als auch der flämischen Gemeinschaft. Vgl. Grasse/Berger S.113f.
[15] Woyke S.458.
[16] Vgl. Anderson, S.30f. Besonders: „[…]die Festlegung der föderalen Gliedstaaten entspricht nicht ethni- schen, religiösen oder sprachlichen Aufteilungen.“.
[17] Dieser Artikel hat besondere Bedeutung, zumal die Parteien nach den beiden großen Sprachgruppen aufgeteilt sind und nur von Angehörigen der jeweiligen Sprachgruppe gewählt werden können.
- Quote paper
- Mustafa Salem (Author), 2009, Krise eines Bundesstaates am Beispiel Belgiens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124452
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