Wo stehen die Printmedien politisch, das heisst, nehmen sie eine politisch einheitliche redaktionelle Linie ein oder lässt sich eine politisch-konsistente Linie in der Zeitungslandschaft nicht ausmachen? Diese Frage steht im Zentrum dieser Arbeit, die im Rahmen des Lizentiats am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich geschrieben wird. Medien werden in der Literatur zwar vielfach als vierte Gewalt im Staat bezeichnet (vgl. bspw. Claußen/Geißler 1996: 151), ihnen wird also ein grosser politischer Einfluss nachgesagt, trotzdem wurde die Frage nach der
politischen Ausrichtung der Medien in der Schweiz noch nicht ausreichend beantwortet.
Dies soll mit dieser Untersuchung, mindestens zum Teil, nachgeholt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorie
2.1 Der Gatekeeper-Ansatz
2.2 Der News Bias-Ansatz
2.3 Instrumentelle Aktualisierung und opportune Zeugen
2.4 Zusammenfassung der Theorie
3. Stand der Forschung
3.1 Untersuchungen aus Deutschland
3.2 Politische Grundhaltung von Schweizer Medien
4. Hypothesen
5. Forschungsdesign
5.1 Forschungsgegenstand- und zeitraum
5.1.1 Forschungsgegenstand
5.1.2 Auswahlverfahren und Untersuchungszeitraum
5.2 Methoden
5.2.1 Politische Grundkonflikte in der Schweiz
5.2.2 Politische Position der Medien
5.2.3 Politische Position der Parteien
5.2.4 Ideologische Nähe zwischen den Zeitungen und den Parteien
5.3 Pretest
6. Operationalisierung
7. Auswertung der Ergebnisse
7.1 Allgemeine Auswertung
7.2 Auswertung der Hypothese I
7.3 Interpretation der Ergebnisse zu Hypothese I
7.4 Auswertung der Hypothese II
7.5 Interpretation der Ergebnisse zu Hypothese II
7.6 Auswertung der Hypothese III
7.7 Interpretation der Ergebnisse zu Hypothese III
8. Konklusion
9. Literaturverzeichnis
Anhang A: Codierblatt
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gatekeeper-Modell von Westley/MacLean (zit. nach Staab 1988: 14)
Abbildung 2: Einflusssphären (Donsbach 1987: 112)
Abbildung 3: Einflussfaktoren auf den Spin
Abbildung 4: Grundstruktur eines publizistischen Konfliktes (Kepplinger u.a. 1989: 203)
Abbildung 5: Modell der Nachrichtenflüsse
Abbildung 6: Medien nach politischen Einstellungen (nach Blum 2004: 17)
Abbildung 7: Medien im Links-Rechts-Schema (Blum 2004: 17)
Abbildung 8: Wahltermine in den betroffenen Kantonen und Städten
Abbildung 9: Diagonale Konfliktlinien im Raum der Weltanschauungen
Abbildung 10: Räumliche Distanz zwischen Parteien und Medien
Abbildung 11: Anzahl der Wertungen, die durch Medienschaffende vorgenommen wurden
Abbildung 12: Anzahl der Artikel mit Schweizer Bezug, die Wertungen enthalten
Abbildung 13: Anzahl der Wertungen nach ihren Urhebern
Abbildung 14: Anzahl Wertungen pro Konflikt
Abbildung 15: Verortung der Zeitungen auf der Dimension Links vs. Rechts
Abbildung 16: Verortung der Zeitungen auf der Dimension Konservativ vs. Liberal
Abbildung 17: Verortung der Zeitungen auf der Dimension Ökologisch vs. Technokratisch
Abbildung 18: Zeitungen im dreidimensionalen Raum der Weltanschauung
Abbildung 19: Links-Rechts Dimension, aufgeteilt nach Konflikten
Abbildung 20: Konservativ-Liberal Dimension, aufgeteilt nach Konflikten
Abbildung 21: Position in Kommentaren und in Nachrichtenartikeln des TA im Vergleich
Abbildung 22: Position in Kommentaren und in Nachrichtenartikeln der NZZ im Vergleich
Abbildung 23: Position in Kommentaren und in Nachrichtenartikeln der BZ im Vergleich
Abbildung 24: Position in Kommentaren und in Nachrichtenartikeln der MZ im Vergleich
Abbildung 25: Position in Kommentaren und in Nachrichtenartikeln der NLZ im Vergleich
Abbildung 26: Positionen aus Nachrichtenartikeln auf der Dimension Links – Rechts
Abbildung 27: Positionen aus Nachrichtenartikeln auf der Dimension Konservativ – Liberal
Abbildung 28: Positionen aus Nachrichtenartikeln auf der Dimension Ökologisch – Technokratisch
Abbildung 29: Distanz der Zeitungen zur Mitteposition
Abbildung 30: Politische Position der Parteien
Abbildung 31: Anzahl Wertungen der Parteien in den verschiedenen Zeitungen
Abbildung 32: Wählerstärke und Anteile wertender Aussagen im Vergleich
Abbildung 33: Distanzen zwischen Zeitungen und Parteien
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:Ideologische Präferenzen der Zeitungen (Voltmer 1997: 182)
Tabelle 2: Ideologische Parallelstrukturen zwischen Zeitungen und Parteien (Voltmer 1997: 185)
Tabelle 3: Eidgenössische Abstimmungen Mai 02 – März 03 & April 04 – Okt. 04
Tabelle 4: Stichprobentage
Tabelle 5: Prägende Abstimmungen für die Konfliktlinie links-recht (Hermann/Leuthold 2003: 16)
Tabelle 6: Prägende Abstimmungen für die Konfliktlinie liberal-konservativ (Hermann/Leuthold 2003: 17)
Tabelle 7: Prägende Abstimmungen für die Konfliktlinie ökologisch-technokratisch (Hermann/Leuthold 2003: 19)
Tabelle 8: Konfliktlinien und ihre konkreten thematischen Konflikte (vgl. Hermann/Leuthold 2003: 16-19)
Tabelle 9: Urheber von Aussagen
Tabelle 10: Operationalisierung
Tabelle 11: Anteil an Meldungen mit Wertungen gemessen an allen Artikeln mit Schweiz-Bezug
Tabelle 12: Konflikte in der Ubersicht
Tabelle 13: Vergleich zwischen der Blum-Einschätzung und der IA
Tabelle 14: Politische Position der Parteien
Tabelle 15: Räumliche Distanzen zwischen Parteien und Zeitungen
Tabelle 16: Distanz zwischen Parteien und Zeitungen (nur 1. & 2. Dimension)
1. Einleitung
Wo stehen die Printmedien politisch, das heisst, nehmen sie eine politisch einheitliche redaktionelle Linie ein oder lässt sich eine politisch-konsistente Linie in der Zeitungs- landschaft nicht ausmachen? Diese Frage steht im Zentrum dieser Arbeit, die im Rah- men des Lizentiats am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich geschrieben wird. Medien werden in der Literatur zwar vielfach als vierte Gewalt im Staat bezeichnet (vgl. bspw. Claußen/Geißler 1996: 151), ihnen wird also ein grosser politischer Einfluss nachgesagt, trotzdem wurde die Frage nach der politischen Ausrichtung der Medien in der Schweiz noch nicht ausreichend beantwor- tet. Dies soll mit dieser Untersuchung, mindestens zum Teil, nachgeholt werden.
Diese Arbeit soll im publizistikwissenschaftlichen Feld der Kommunikator-Forschung verortet werden. Theoretische Grundlagen werden aus dem News Bias- und dem Ga- tekeeper-Ansatz sowie den Theorien der instrumentellen Aktualisierung und dem Kon- zept der opportunen Zeugen erarbeitet. Es soll gezeigt werden, inwiefern die Medien einseitig politische Positionen bevorzugen und stützen und andere Positionen ableh- nen. Ausserdem soll auch ein Augenmerk darauf geworfen werden, wie diese Positio- nen zum Ausdruck gebracht werden. Zeigen die Journalisten ihre Positionen offen oder nicht? Was für Unterschiede gibt es zwischen dem Nachrichtenteil und den Kommenta- ren einer Zeitung? Alle diese Fragen sollen durch diese Arbeit beantwortet werden. Als erstes wird erforscht, ob, und wenn ja, welcher politischen Position die untersuchten Zeitungen zugerechnet werden können. Die Zeitungen sollen dazu in einem dreidi- mensionalen „Raum der politischen Einstellung“ verortet werden. Es soll also über das herkömmliche Links-Rechts- oder Konservativ-Liberal-Schema hinausgegangen wer- den, in dem auch noch eine dritte Dimension, nämlich die Verortung auf der ökolo- gisch-technokratischen Achse, untersucht wird. Diese Dimensionen gehen auf eine Arbeit von Michael Hermann und Heiri Leuthold zurück (Hermann/Leuthold 2003).
In einem zweiten Schritt soll diese politische Position, die mittels einer Inhaltsanalyse erhoben wurde, mit der Position der politischen Parteien der Schweiz verglichen wer- den. Hier steht die Frage im Zentrum, wie nahe eigentlich unabhängige Zeitungen den verschiedenen politischen Parteien stehen.
Untersucht werden in dieser Arbeit fünf Tageszeitungen aus der Deutschschweiz und ihre Berichterstattung während zweier Zeiträume. Bei den Zeitungen handelt es sich um die fünf grössten Qualitätszeitungen der Deutschschweiz. Es sind dies aus dem Kanton Zürich der Tages-Anzeiger (TA) mit einer Auflage von knapp 237'000 sowie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) mit knapp 160'000 verkauften Exemplaren. Dazu kommt aus der Hauptstadt der Eidgenossenschaft die Berner Zeitung (BZ), welche eine Aufla- ge von gut 165'000 Exemplaren aufweist sowie aus dem Kanton Aargau die Mittelland- zeitung (MZ) mit 190'000 und aus der Zentralschweiz die Neue Luzerner Zeitung (NLZ) mit knapp 135'000 Auflagezahl (Auflagezahlen nach WEMF AG für Werbemedienfor- schung 2004). Der Untersuchungszeitraum beträgt zweimal eine dreimonatige Zeit- spanne. Der erste Untersuchungszeitraum liegt zwischen dem Dezember 2002 und dem Februar 2003, der zweite zwischen dem Juni und dem August 2004. Diese zwei Untersuchungszeiträume wurden so gewählt, weil zu diesen Zeiten keine oder fast keine wichtigen Abstimmungen oder Wahlen anstanden, die als intervenierende Vari- able das Ergebnis hätten beeinflussen können. Ausserdem kann so auch untersucht werden, ob die Zeitungen im Zeitverlauf ihre politische Position verändert haben.
Natürlich würde eine Vollerhebung in diesen beiden Zeiträumen den Rahmen dieser Lizentiats-Arbeit sprengen. Deshalb werden die Zeitungen stichprobenhaft untersucht. Ausserdem beschränkt sich die Inhaltsanalyse auf jeweils drei Seiten pro Ausgabe, nämlich auf die Titelseite und die ersten beiden Seiten des Inland-Bundes. Allerdings sollen alle Kommentare, die in den ausgewählten Zeitungsausgaben zu innenpoliti- schen Themen verfasst wurden, untersucht werden, auch wenn sie nicht auf den zuvor erwähnten drei Seiten stehen. Mehr Details zur Untersuchungsanordnung folgen in einem späteren Kapitel.
Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit dürften sowohl für aktive Politikerinnen und Politiker als auch für die Politik- und Publizistikwissenschaft interessant sein. Ebenso dürften die Ergebnisse auch für Medienschaffende und die Herausgeber der untersuchten Zeitungen spannende Punkte über ihre eigene Arbeit enthalten.
Im nächsten Kapitel gehe ich auf die theoretischen Grundlagen ein, die in dieser Arbeit angewendet werden. Danach wird der Stand der Forschung beschrieben sowie die Hypothesen hergeleitet und die detaillierten Methoden beschrieben. Am Schluss dieser Arbeit wird auf die Ergebnisse der Untersuchung eingegangen und ein Fazit gezogen.
2. Theorie
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wird diese Arbeit im publizistikwissenschaftlichen Teilbereich der Nachrichtenforschung verankert. Dies, weil in diesem Teilbereich ver- schiedene Theorien erarbeitet wurden, die Antworten auf die Fragen geben, welche diese Arbeit behandelt.
Natürlich wären auch andere Ansatzpunkte als die Nachrichtenforschung möglich. So zum Beispiel ein normativer Ansatz, der vom politischen System der Schweiz, also der direkten Demokratie, ausgeht und dadurch die mediale Meinungsvielfalt als wün- schenswert und für das Funktionieren dieses politischen Systems als essentiell be- schreiben würde, oder ein historischer Ansatz, der vom Ursprung der heutigen Zeitun- gen, den Parteiblättern, her argumentieren würde und unterstellt, dass sich die Zeitun- gen noch nicht vollständig emanzipiert haben und deshalb unterschiedliche politische Meinungen vertreten. Schliesslich wäre auch eine wirtschaftswissenschaftliche Heran- gehensweise denkbar, die davon ausgeht, dass die Zeitungen vor allem ihren Gewinn maximieren wollen und deshalb die Meinung vertreten, die von der werbetreibenden Wirtschaft und den meisten Lesern honoriert wird. Diese Herangehensweise würde dann eher auf eine Vereinheitlichung der Meinungen hindeuten, wobei eventuell noch Nischenblätter möglich wären.
Allerdings überzeugt mich die theoretische Basis der Nachrichtenforschung stärker als die oben angedeuteten Ansätze. Dies, weil der normative Ansatz einen wünschenswer- ten Zustand beschreibt, der nicht zwangsläufig mit der Realität übereinstimmen muss. Der historische Ansatz hingegen liefert je nach unterstelltem Stadium der Emanzipation der Zeitungen von den Parteien unterschiedliche Antworten und die wirtschaftwissen- schaftliche Herangehensweise geht davon aus, dass sich Zeitungen und Verlage rein nach dem Prinzip des homo oeconomicus verhalten, was so wohl nicht direkt und un- geprüft angenommen werden kann. Deshalb habe ich mich für die Nachrichtenfor- schung entschieden und werde in diesem Kapitel auf diesen Forschungsbereich ge- nauer eingehen.
Allerdings lässt sich die Nachrichtenforschung generell wieder in drei Unterbereiche aufgliedern. „Diese drei Forschungstraditionen – Gatekeeper-Forschung, ‚News Bias’- Forschung und Nachrichtenwert-Theorie – weisen allerdings Querverbindungen und Überschneidungen auf, so dass eine eindeutige Zuordnung der einzelnen empirischen Untersuchungen nicht immer möglich ist“ (Staab 1990: 11). Sowohl im Gatekeeper- als auch im News Bias-Ansatz finden sich Erkenntnisse, die für diese Arbeit zentral sind. Beide Ansätze lassen darauf schliessen, dass Zeitungen eine konsistente politische Linie verfolgen. Deshalb widme ich diesen beiden Forschungsrichtungen im Folgenden je ein Unterkapitel. Ebenso soll ein Unterkapitel den Konzepten der instrumentellen Aktualisierung und der opportunen Zeugen gewidmet werden. Auf die Nachrichtenwert- Theorie gehe ich im Folgenden nur kurz, der Vollständigkeit halber, ein.
Zuerst jetzt aber einige Ausführungen zur Nachrichtenforschung generell. Diese hat bereits eine über 50jährige Tradition. Als Beginn der Nachrichtenforschung kann näm- lich David Manning Whites Aufsatz „The Gatekeeper“ angeschaut werden (White 1950). Er untersuchte in dieser Studie, wie der „wire editor“, also der Redaktor am Fernschreiber, welchen er Mr. Gates nannte, die einkommenden Meldungen selektier- te. Als Untersuchungsobjekt zog er eine Tageszeitung im mittleren Westen der USA heran. Dabei musste Mr. Gates während einer Woche alle Agenturmeldungen, die er nicht in der Zeitung veröffentlichte, sammeln und den Grund für die Nicht- Veröffentlichung angeben. Ausserdem befragte White Mr. Gates. So konnte David Manning White zum ersten Mal systematisch die Gründe, die für eine Veröffentlichung, oder eben für eine Nichtveröffentlichung einer Nachrichtenmeldung relevant sind, er- mitteln. Die Hauptgründe für eine Nichtveröffentlichung lagen vor allem bei objektiven Sachverhalten wie beim Zeitpunkt des Nachrichteneingangs oder beim Platzmangel.
„Knapp ein Drittel der Gründe, die Mr. Gates für die Nichtveröffentlichung angab, klas- sifizierte White als ‚highly subjective value judgements’ (White 1950: 165). Darunter fielen Argumente wie, das Ereignis sei zu trivial oder die Nachricht darüber schlecht geschrieben.“ (Bannasch 2003: 29). White fokussierte in dieser Studie sehr stark auf einen einzelnen Akteur, auf seinen Mr. Gates. Nicht untersucht blieb dabei, inwiefern andere Faktoren, beispielsweise die Einstellung des Chefredaktors oder des Inhabers der Zeitung eine Rolle spielen.
Einige Autoren (z.B. Eilders 1997, Staab 1990) verorten den Beginn der Nachrichten- forschung bereits gut 25 Jahre früher, nämlich in einer Arbeit von Lippmann, die den Begriff „News Value“, also Nachrichtenwert, prägte und, allerdings noch nicht im Rah- men einer konsistenten Theorie, bereits einige Nachrichtenfaktoren andeutete (Lipp- mann 1922). Wenn man allerdings diese Ausführungen als Nachrichtenforschung ak- zeptiert, kann, nach Kolja Bannasch, der Anfang der Nachrichtenforschung noch weiter vordatiert werden (Bannasch 2003: 25). Er sieht diesen bereits in der Arbeit „Zeitungs Lust und Nutz“ von Stieler im 17. Jahrhundert (Stieler 1969). Bereits dort werden näm- lich einzelne Nachrichtenwerte erwähnt: „So müssen Nachrichten ‚wahr und nachzure- den’ sowie ‚Neue seyn’ [Stieler 1969: 29ff.]. Des weiteren hebt Stieler hervor: ‚Zeitun- gen von weit entfernten und unbekannten örtern sind nichts nütze’ und betont, dass die Zeitungen von Dingen handeln solten / die ganz von privat-Sachen entfernt sind / und allein zu dem gemeinen Wesen gehören’ [Stieler 1969: 47]“ (Bannasch 2003:25). Die- se Ausführungen allerdings sind doch noch sehr bruchstückhaft.
Zu welchem Zeitpunkt die Nachrichtenforschung beginnt, ist also nicht eindeutig klar. Diese Beispiele aber zeigen, dass der Vorgang der Selektion von Nachrichten bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen der ersten Tageszeitungen interessiert hat.
Eine Antwort auf die Frage, welche Nachrichtenmeldungen in den Medien publiziert werden und welche nicht, liefert die Nachrichtenwert-Theorie, die hier kurz beschrieben werden soll. Sie besagt, dass Ereignisse, die von den Medien aufgenommen werden sollen, bestimmten journalistischen Kriterien, den Nachrichtenwerten, genügen müs- sen. Nach Galtung und Ruge ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Ereignis eine Nachricht wird grösser, umso mehr Nachrichtenfaktoren auf das Ereignis zutreffen (Additivitätshypothese). Fehlen aber einzelne Faktoren, so können sie durch andere kompensiert werden (Komplementaritätshypothese) (Galtung/Ruge 1970: 270 f.). Die Nachrichtenwerte können aber nicht nur für die Frage, ob eine Meldung publiziert wird oder nicht, angewendet werden, auch über die Frage, wie und in welchem Umfang berichtet wird, geben sie Aufschluss. So wird, nach der Nachrichtenwert-Theorie, aus- führlicher und prominenter über Ereignisse berichtet, welche mehr Nachrichtenwerte erfüllen, als über andere. Ebenso werden vor allem jene Aspekte betont, die den Nach- richtenfaktoren entsprechen.
Wenig Einigkeit in der publizistikwissenschaftlichen Forschung besteht in der Frage, wie diese Nachrichtenwerte aussehen. So bestehen nebeneinander verschiedene Nachrichtenwertkataloge. Beispielhaft sollen hier die 6 Nachrichtenwerte die Staab als US-Katalog betitelt, dargestellt werden (Staab 1998: 50):
- Unmittelbarkeit
- Nähe
- Prominenz
- Ungewöhnlichkeit
- Konflikt
- Relevanz
Weitere bekannte Nachrichtenwertkataloge, die sich zum Teil nur in Details vom vor- gestellten US-Katalog unterscheiden, finden sich bei Staab (Staab 1998: 50).
Die Nachrichtenwert-Theorie ist also ein Ansatz, der besagt, dass die Meldungen auf- grund bestimmter Eigenschaften selektiert werden. In keinem der häufig zitierten Kata- loge erscheint aber die politische Richtung der Nachrichtenmeldung als Selektions- merkmal. Deshalb lässt sich aus der Nachrichtenwert-Theorie für die Hauptfrage dieser Arbeit nur eine Antwort ableiten: Die Zeitungen haben keine konsistente politische Li-
nie, sondern die Meldungen werden anhand anderer Gesichtspunkte selektiert. Die Nachrichtenwert-Theorie ist also ein prominenter, wahrscheinlich sogar der prominen- teste Vertreter der Ansätze, die eine politische Linie der Medien verneinen.
Einen konträren Schluss lassen die beiden anderen Ansätze der Nachrichtenfor- schung, der Gatekeeper- sowie der News Bias-Ansatz zu. Auf diese beiden Ansätze wird in den folgenden Unterkapiteln nun detaillierter eingegangen.
2.1 Der Gatekeeper-Ansatz
Wie der Name des Gatekeeper-Ansatzes bereits andeutet, geht er auf den erwähnten Aufsatz von White und dessen Mr. Gates zurück (White 1950). Die Gate- keeper-Forschung versucht den Prozess der Nachrichtenauswahl genauer zu untersu- chen. Dabei versteht sich diese Forschungsrichtung eher als empirisch ausgerichtet, das heisst, empirische Untersuchungen und deren Ergebnisse stehen im Zentrum, was zu einer Vernachlässigung der Theoriebildung in diesem Bereich geführt hat. Westley und MacLean jedoch haben eines der wenigen theoretischen Konstrukte, das dem Gatekeeper-Ansatz zugerechnet werden kann, formuliert und in einem Modell über- sichtlich dargestellt (Abbildung 1) (Westley/MacLean 1955, zit. nach Staab 1988: 14).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gatekeeper-Modell von Westley/MacLean (zit. nach Staab 1988: 14)
Bestimmte Ereignisse (x1, x2…) werden durch den Gatekeeper (C) zum Rezipienten (B) übertragen. Wobei diese Ereignisse über einen weiteren Kommunikator (A) bereits schon vorselektiert werden können. Dabei könnte man beim Kommunikator A zum Bei- spiel an eine Nachrichtenagentur oder eine Public Relation-Abteilung einer Firma den- ken. „Der Informationstransfer wird somit als zwei- bzw. dreistufig definiert (x, x’, x’’), wobei zwischen einem Umweltobjekt oder Ereignis und dem Kommunikator (A) bzw. dem Gatekeeper (C) mehrere Kommunikationskanäle bestehen können (x 3m , x 3c )“ (Staab 1988: 13 f.). Die an diesem Kommunikationsprozess beteiligten Personen oder Institutionen sind darüber hinaus durch verschiedene Feedback-Möglichkeiten (fCA, fBA, fBC) miteinander verbunden. Von zentralem Interesse für die Gatekeeper-Forschung ist, wie der Gatekeeper C aus den verschiedenen Ereignissen x diejenigen auswählt, die er zu Nachrichten x’’ weiterverarbeitet. Dabei können zwei grundsätzlich verschiedene Einflussfaktoren auf diese Selektion unterschieden werden. Dies sind zum einen die individuellen Prädispositionen des Gatekeepers selbst, wie seine persönliche Einstel- lung zu Themen oder seine Interessenslage. Zum zweiten sind dies aber auch instituti- onelle Faktoren wie der Zeitdruck, Platzmangel oder die Einstellung des Verlegers. Im Folgenden sollen zu beiden grundlegenden Erklärungsansätzen einige zentrale Stu- dien vorgestellt werden. Natürlich kann hier nicht eine trennscharfe Abgrenzung ge- macht werden, da viele Studien Elemente beider Richtungen enthalten und untersu- chen.
Zu den Studien, die die individuellen Einflussfaktoren als Erklärungsfaktor für die Nach- richtenauswahl untersuchten, gehört natürlich David Manning Whites „The Gatekeeper“ (White 1950). Siebzehn Jahre nach White wiederholte Snider die Studie (Snider 1967) und kam auf sehr ähnliche Ergebnisse. Auch er stellte fest, dass politische Themen den Kriminalitätsmeldungen vorgezogen wurden und dass die individuelle Einstellung von Mr. Gates einen sehr grossen Einfluss auf die Nachrichtenauswahl hatte. Auch Harless, der die Nachrichtenauswahl eines Fernsehredaktors untersuchte, bestätigte die Befunde von White (Harless 1974). Allerdings stellte er ausserdem einen grossen Einfluss von fernsehspezifischen Produktionsbedingungen fest. Eine Studie die den Erklärungen, die oben besprochen wurden, mindestens zum Teil widerspricht, ist die von Gieber (Gieber 1956). Er untersuchte das Selektionsverhalten von insgesamt 16 „wire editors“ auf eine ähnliche Weise wie White. Allerdings führte er seine Interviews standardisiert mit 111 Fragen durch. Ebenso verglich er die Themenstruktur der Nach- richtenagentur, von der die untersuchten Zeitungen ihre Meldungen bezogen mit den- jenigen der Zeitungen selbst. Dabei stellte er fest, dass die Themenstruktur des Inputs und des Outputs sehr ähnlich waren. Daraus leitete er ab, dass die Redaktoren eine sehr passive Rolle einnehmen und die Nachrichtenagenturen die Gatekeeper-Rolle im eigentlichen Sinne spielen würden. Dies obwohl die „wire editors“ in der Befragung angaben, dass in der Nachrichtenauswahl Faktoren wie persönliche Präferenzen und Ansichten von Interessensgruppen wichtig seien.
Vor allem die Studie von Gieber verweist darauf, dass nur mit den individuellen Präfe- renzen der Redaktoren die Nachrichtenauswahl nicht befriedigend erklärt werden kann. Eine Reihe von Studien untersuchte deshalb auch institutionelle Faktoren darauf, ob sie Auswirkungen auf die Nachrichtenauswahl haben. Hier wurde zum einen das Ver- hältnis der Journalisten zu ihren Quellen untersucht. Zentral dabei war die Frage, ob das Verhältnis einen Einfluss auf die Berichterstattung und die Nachrichtenselektion habe. Tichenor, Olien und Donohue untersuchten dies anhand einer schriftlichen Be- fragung von Journalisten, es wurden insgesamt 88 Redaktoren einbezogen, und ihren Quellen, hier wurden 88 Vertreter von Landwirtschaftsorganisationen befragt (Tiche- nor/Olien/Donohue 1967). Diese Befragung kombinierten sie mit einer Inhaltsanalyse der Zeitungen einerseits sowie der Informationen der Quellen andererseits. Einen sig- nifikanten Einfluss der Quellen konnten sie nicht nachweisen. Vielmehr zeigte die Stu- die, dass journalistische Kriterien und die Bevölkerungsstruktur eine entscheidende Rolle spielten.
Der Einfluss des Verlegers auf die Nachrichtenauswahl wurde in einer Studie von Do- nehew nachgewiesen, in der er die Einstellung von Verlegern zum Thema ärztliche Vorsorge mit der Wahrnehmung der öffentlichen Meinung und Daten der Berichterstat- tung von 17 verschiedenen Zeitungen verglich (Donehew 1967). Er verglich dazu die Ergebnisse einer Inhaltsanalyse der Zeitungen mit den Angaben, die die Verleger in einem Interview machten. Um den Einfluss der sozialen und politischen Bedingungen, die im Verbreitungsraum der jeweiligen Zeitungen herrschten, zu untersuchen, erfasste Donehew auch Strukturdaten der jeweiligen Bezirke. Während sich der Einfluss des Verlegers sowohl auf die Nachrichtenauswahl als auch auf die Tendenz der Berichter- stattungen als sehr gross erwies, hatten die sozialen und politischen Bedingungen fast keinen Einfluss. Ähnliche Ergebnisse brachte auch eine Studie von Olien, Donohue und Tichenor (Olien/Donohue/Tichenor 1968), die aber auch zeigte, dass sich die Grösse und die Erscheinungshäufigkeit einer Zeitung auf den Einfluss, den ein Verle- ger auf den Inhalt hat, auswirkte.
In der Gatekeeper-Forschung konnte also, wie oben gezeigt wurde, nachgewiesen werden, dass verschiedene Faktoren einen Einfluss auf die Nachrichtenauswahl ha- ben. Verschiedene Modelle haben diese Einflussfaktoren zusammengefasst. Dons- bach (Donsbach 1987) unterscheidet dabei vier Einflusssphären (Abbildung 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Einflusssphären (Donsbach 1987: 112)
Die Subjektsphäre ist quasi die Ebene des Individuums. Eigenschaften wie die persön- liche Werthaltung, politische Einstellung, Alter, Geschlecht und so weiter von Journalis- ten wirken sich auf die Auswahl und Präsentation der Medieninhalte aus. Neben der Subjektsphäre wirkt aber auch die Professionssphäre auf diese Selektion. Hier wird der Blick unter anderem auf die Nachrichtenwerte und die Rollenerwartungen gegenüber den Journalisten gerichtet. Schliesslich wirken sich nach Donsbach auch die Instituti- onssphäre und die Gesellschaftssphäre auf die Medieninhalte aus. Unter der Instituti- onssphäre versteht er die unternehmensspezifischen Selektionsregeln und Arbeitsbe- dingungen sowie die mediumseigenen Produktionsroutinen. Ausserdem können auch der Verlegereinfluss und die politische Ausrichtung eines Mediums in der Institutions- sphäre verortet werden. Mit der Gesellschaftssphäre schliesslich trägt Donsbach in seinem Modell dem gesellschaftlichen Raum Rechnung, in welchem die Medien ope- rieren. In diesen Bereich fallen die Pressefreiheit, die medienpolitischen Rahmenbe- dingungen und die politische Kultur.
Neben diesem Modell der Einflusssphären von Donsbach gibt es noch eine Reihe von weiteren, ähnlichen Modellen. Sie sollen hier nur stichwortartig erwähnt werden. Shoemaker und Reese unterscheiden fünf Ebenen, die auf die Nachrichtenselektion einen Einfluss haben (Shoemaker/Reese 1991). Dies sind die “ideological”, “extrame- dia”, “organizational”, “media routines” und “individual” Ebene. Auch Weischenbergs Zwiebelmodell, welches vier Kontexte unterscheidet, geht in eine ähnliche Richtung (Weischenberg 1992). Er unterscheidet den Normenkontext (Mediensystem), den Strukturkontext (Medieninstitution), den Funktionskontext (Medienaussagen) und den Rollenkontext (Medienakteure).
Nachdem hier auf die Gatekeeper-Forschung eingegangen wurde, widmet sich das nächste Kapitel dem News Bias-Ansatz. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass eine trennscharfe Abgrenzung der Gatekeeper- und der News Bias-Forschung nicht möglich ist. Beide Ansätze überlappen sich gegenseitig.
2.2 Der News Bias-Ansatz
Generell kann man beim News Bias-Ansatz nicht von einer zusammenhängenden und ausformulierten Theorie sprechen. Dieser Begriff bezeichnet eher eine Forschungs- Tradition, die mehr an den Ergebnissen empirischer Studien interessiert ist als daran, einen konsistenten Theoriestrang zu entwickeln. In diesem Kapitel sollen deshalb zent- rale Ergebnisse der News Bias-Forschung zusammengefasst werden und es soll auch auf die wenigen theoretischen Überlegungen, die zu diesem Thema gemacht wurden, verwiesen werden.
Das Ziel der News Bias-Forschung ist „Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und poli- tischen Tendenzen in der Medienberichterstattung zu messen sowie Aufschluss über deren Ursachen zu erlangen“ (Staab 1990: 27). Schon an diesem kurzen Zitat von Jo- achim Friederich Staab zeigt sich, dass diese Lizentiats-Arbeit wohl in dieser For- schungsrichtung verortet werden muss. Denn genau die politischen Tendenzen ver- schiedener Tageszeitungen sollen hier ja gemessen werden. Allerdings geht es in die- ser Arbeit vor allem um die Frage, ob es überhaupt Unausgewogenheiten in der Be- richterstattung gibt, dass heisst, ob sich die untersuchten Tageszeitungen in der Rich- tung der Berichterstattung unterscheiden. Die intensive Erforschung der Gründe wäre sicherlich sehr interessant, würde den Rahmen dieser Arbeit aber sprengen.
Ebenso wie bereits im Kapitel über den Gatekeeper-Ansatz erwähnt, wird auch in der News Bias-Forschung davon ausgegangen, dass sowohl die redaktionelle Linie eines Mediums als auch die subjektive Einstellung der Redakteure eine wichtige Rolle in der Berichterstattung spielen. Anders als in der Gatekeeper-Forschung wird der Einfluss hier aber weniger auf die Veröffentlichungs-Entscheidung, sondern auf die Richtung, oder wie es durch den englischen Ausdruck wohl treffender beschrieben wird, auf den Spin den die Berichterstattung hat, untersucht. Ein Modell dieses Sachverhaltes wird in Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Einflussfaktoren auf den Spin
Allerdings beeinflussen sich die redaktionelle Linie und die subjektive Einstellung der Redaktoren ebenfalls gegenseitig. Journalisten suchen das Medium aus, für welches sie arbeiten wollen. Natürlich ist diese Auswahl nicht frei von jeglichen Zwängen, aber tendenziell wird ein Journalist eher ein Medium wählen, das eine ähnliche politische Linie repräsentiert, wie er selbst hat. Insofern findet bereits eine Vorauswahl statt, in- dem ein Journalist die redaktionelle Linie eines potentiellen Arbeitgebers einzuschät- zen versucht.
Arbeitet der Journalist für das Medium, wird er je nach Medienunternehmen mit ver- schiedenen Mitteln auf die redaktionelle Linie oder mindestens in die Nähe davon ge- bracht. Wie das vor sich geht, ist in einer Reihe von Arbeiten untersucht worden (Breed 1955, Breed 1973, Donehew 1967, Schulz 1979). So fand Breed durch die Befragung von insgesamt 120 Zeitungsredakteuren heraus (Breed 1973), dass die redaktionelle Linie der Zeitung nicht explizit durch den Chefredaktor oder den Herausgeber gelehrt wird, sondern dass diese durch die Redaktoren, mittels Lesen der eigenen Zeitung, Gespräche mit Kollegen und Orientierung an den Vorgesetzten, internalisiert wird. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung passen sich die Journalisten aus ver- schiedenen Gründen der von ihnen wahrgenommenen redaktionellen Linie der Zeitung an. Die wichtigsten sind, dass sie Angst haben bei Nichtanpassung bestraft zu werden, weil sie sich bessere Karrierechancen erhoffen oder weil sie sich gegenüber dem Vor- gesetzten oder der Gesamtredaktion dazu verpflichtet fühlen. Im deutschsprachigen Raum stellte Schulz den Einfluss der Verleger auf das Selektionsverhalten fest, indem er 73 Redaktionen von Tageszeitungen untersuchte (Schulz 1979). Nach seiner Unter- suchung wird die redaktionelle Linie vor allem durch institutionalisierte Kommunikatio- nen gefestigt. Dies geschieht in der Diskussion an den Redaktionssitzungen sowie beim Gegenlesen der Artikel. Wie bereits im Kapitel zur Gatekeeper-Theorie erwähnt, stellte auch Donehew in einer Studie einen grossen Einfluss der Meinung des Verle- gers auf den Spin der Berichterstattung fest (Donehew 1967).
Umgekehrt können auch die Redaktoren, wenn auch in schwächerem Masse, die län- gerfristige redaktionelle Linie beeinflussen. Dies indem ihre Artikel wiederum von Kol- legen als Indiz für die vorherrschende Meinung der Zeitung aufgefasst werden. Auch können sie ihre Meinung in der Redaktionssitzung und in Gesprächen einbringen, wo- mit sie Einfluss auf die redaktionelle Linie nehmen können.
Häufig untersuchte Gebiete in der News Bias-Forschung sind die Berichterstattung über Minderheiten, wie zum Beispiel Ausländer oder Flüchtlinge, oder die Kriminali- tätsberichterstattung. Immer wieder wurde auch die politische Berichterstattung vor Wahlen oder während politischer Konflikte ins Zentrum des Interesses dieser For- schungsrichtung gerückt. Ähnlich wie im Gatekeeper-Ansatz wird auch hier davon aus- gegangen, dass sowohl institutionelle Faktoren als auch die individuelle Einstellung der Redaktoren selbst einen Einfluss auf die Verzerrung haben. Im Folgenden sollen bei- spielhaft einige Studien, die zur News Bias-Forschung gezählt werden können, vorge- stellt werden.
Eine prominente Studie, die die politische Tendenz der Berichterstattung in mehreren Tageszeitungen nachzuweisen versuchte, ist jene von Malcom W. Klein und Nathan Maccoby (Klein/Maccoby 1954). Die Autoren untersuchten die Berichterstattung über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA in acht Tageszeitungen. Davon standen vier Zeitungen, was durch Umfragen ermittelt wurde, den Demokraten und vier den Republikanern nahe. Während einem Monat wurden alle Artikel, die auf der Titelseite der Zeitungen erschienen und in denen einer der beiden Präsidentschaftskandidaten erwähnt wurde, inhaltsanalytisch analysiert. Dabei wurden unter anderem die Anzahl der Bilder und Kommentare sowie die Grösse der Schlagzeile und der Artikel codiert. Schliesslich hielten die Forscher auch die Anzahl und die Richtung der wertenden Aus- sagen über die Kandidaten fest. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten ganz klar, dass die politische Ausrichtung der Zeitungen einen grossen Einfluss auf die Berichterstat- tung hat. So wurden in den demokratisch orientierten Zeitungen mehr Artikel über den demokratischen Kandidaten Stevenson veröffentlicht als über seinen Gegenspieler. Auch waren diese Berichte deutlich positiver gefärbt, besser bebildert und platziert.
Der amerikanische Wahlkampf war auch in einigen Folgestudien immer wieder belieb- tes Untersuchungsobjekt. So bestätigte eine Studie von Jae-won Lee, welche er an- hand der Präsidentschaftswahlen 1968 durchführte, die Ergebnisse von Klein und Maccoby im Wesentlichen (Lee 1972). Auch eine Studie über den Präsidentschafts- kandidaten Jesse Jackson zeigte, dass liberale und konservative Medien die Stärken und Schwächen des Kandidaten deutlich verschieden darstellt (Dates/Gandy 1985).
Allerdings gibt es auch Studien, die den Einfluss der Verlegermeinung auf die Bericht- erstattung relativieren. Ruth C. Flegel und Steven H. Chaffee untersuchten mittels ei- ner Kombination einer Inhaltsanalyse einer progressiven und einer konservativen Zei- tung und einer Befragung von Journalisten der entsprechenden Zeitungen, wie stark die persönliche Einstellung der Journalisten und die wahrgenommenen Einstellungen des Verlegers und der Bevölkerung die Berichterstattung beeinflussen (Flegel/Chaffee 1971). Dabei konnten sie feststellen, dass zwischen der Einstellung der Journalisten und der Verleger in nicht wenigen Fällen eine grosse Differenz herrschte. In diesen Fällen fand eher die Einstellung der Journalisten Eingang in die Berichterstattung. Aus- serdem konnten sie feststellen, dass die erwartete Rezipientenmeinung einen sehr geringen Einfluss auf die Berichterstattung ausübte. Zu ähnlichen Ergebnissen gelang- te auch eine Studie, die Noelle-Neumann und Kepplinger im deutschsprachigen Raum durchgeführt haben (Noelle-Neumann/Kepplinger 1978). Sie konnten durch mehrere Inhaltsanalysen der Mainzer Allgemeinen Zeitung und einer Befragung von Redaktoren dieses Blattes zeigen, dass auch hier die Meinung der Journalisten stark in die Be- richterstattung einfloss, während die Meinung der Bevölkerung nicht entsprechend ver- treten war.
Klaus Schönbach untersuchte in einer Arbeit, wie stark in den Nachrichtenmeldungen und den Artikeln von insgesamt 27 deutschen Tageszeitungen sowie je zwei Radio- und Fernsehstationen die Tendenz zu einer einseitigen Berichterstattung war (Schön- bach 1977). Ziel war es festzustellen, ob die redaktionelle Linie der Medien nur in den Kommentaren oder auch in den Nachrichtenmeldungen zum Vorschein kommt. Insge- samt unterschied er vier verschiedene Berichterstattungstypen (Schönbach 1977: 48ff):
- Synchronisation: Das Medium berichtet im Nachrichtenteil einseitig. Die gleiche Richtung der Berichterstattung zeigt sich auch in den Kommentaren des Medi- ums. In diesem Fall wird der Rezipient also eindeutig einseitig und verzerrt in- formiert. Dies umfasst nicht nur die Kommentierungen sondern auch die Nach- richten, die in die gleiche Richtung verzerrt sind. In diesem Fall kann man von einem eindeutigen News Bias sprechen.
- Generalanzeiger-Typus: In diesem Fall ist der Nachrichtenteil umfassend, stimmt aber ebenfalls mit der, auch umfassenden, Kommentierung des Medi- ums überein. Ein Medium, das in diesen Typus fällt, versucht alle Anliegen zu vertreten, ohne eine klare Stellung zu beziehen.
- Asynchronität: In diesem Fall informiert das Medium im Nachrichtenteil unaus- gewogen und einseitig. Ebenso ist die Kommentierung einseitig, die Richtung allerdings ist nicht dieselbe. Diesem Fall, der in der Praxis wohl äusserst selten vorkommen dürfte, hat Schönbach keinen Namen gegeben. Die Bezeichnung „Asynchronität“ ist in dieser Arbeit selbst zugefügt worden.
- Idealfall: Die Berichterstattung in diesem Fall ist ausgewogen und objektiv aus- gewählt. Anders sieht es in der Kommentierung aus, sie ist einseitig. Dies be- zeichnet Schönbach als Idealfall, da die Meinung des Mediums die Nachrich- tenauswahl nicht beeinflusst. Der Rezipient wird umfassend informiert, muss aber trotzdem nicht auf eine klare Meinung der Kommentatoren verzichten.
Wie an den ausgewählten Arbeiten, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden, ersicht- lich ist, wird in der News Bias-Forschung häufig mit Inhaltsanalysen gearbeitet. Zum Teil werden diese Inhaltsanalysen auch mit Journalisten- oder Verlegerbefragungen kombiniert oder die Tendenz, also der Bias der Berichterstattung, wird durch einen intermediären Vergleich oder der Orientierung an anderen Aussenkriterien festgestellt.
Ein anderer in der News Bias-Forschung ebenfalls häufig angewandter Ansatz ist der, ein Experiment durchzuführen. Da experimentelle Untersuchungen natürlich erheblich aufwändiger sind als Inhaltsanalysen oder Befragungen, gibt es aus dieser For- schungstradition weniger Texte. Vor allem einer ist für die Thematik, die in dieser Ar- beit untersucht werden soll, von Bedeutung. Dies ist eine Untersuchung, die mit Jour- nalistik-Studenten in den USA gemacht wurde (Kerrick/Anderson/Swales 1964). Die Autoren untersuchten in insgesamt drei Laborexperimenten, wie die individuelle Ein- stellung der Journalisten und die Tendenz der Berichterstattung zusammenhängen. Zuerst bekam eine Gruppe von 32 Studenten den Auftrag, einen Kommentar über die Problematik der Anerkennung der Volksrepublik China zu schreiben. Den Teilnehmen- den wurden sowohl die Vor- als auch die Nachteile einer Anerkennung vorgestellt. Ausserdem wurde die politische Einstellung der Journalistik-Studenten durch eine Be- fragung festgestellt. Die eine Hälfte der Probanden bekam nun den Auftrag, für eine Zeitung, die diese Anerkennung befürwortete, einen Artikel zu schreiben, während die Zeitung, für die die andere Hälfte schreiben sollte, dagegen war. Im zweiten Teil- Experiment mussten 15 Nixon- und 15 Kennedy-Anhänger einen Artikel über eine Fernsehdebatte der beiden Präsidentschaftskandidaten verfassen, wobei ihnen mitge- teilt wurde, dass sie für eine konservative Zeitung zu arbeiten hätten. Im dritten Teil der Versuchsanordnung schliesslich wurden 17 Studenten drei verschiedene Meldungen über einen Streik vorgelegt. Je ein Artikel stellte die Gewerkschaft, respektive die Ar- beitgeber, in ein schlechtes Licht. Die dritte Meldung war neutral formuliert. Die Pro- banden mussten nun einen Artikel verfassen, wobei zuvor bereits ihre persönliche Ein- stellung gegenüber den Gewerkschaften und den Arbeitgebern gemessen wurde.
Interessant am Ergebnis dieser breit angelegten Studie ist, dass gezeigt werden konn- te, dass sowohl die redaktionelle Linie als auch die individuelle und subjektive Einstel- lung der Studenten zentrale Einflussfaktoren für die Richtung der Berichterstattung waren. So übernahmen die Probanden viele Argumente, die der vorgegebenen Positi- on der Zeitung, für welche sie schreiben sollten, entsprach. Dieser Anteil an Argumen- ten war besonders hoch, wenn die persönliche Einstellung der Studenten nicht mit der redaktionellen Linie der Zeitung übereinstimmte. Die persönliche Einstellung der Pro- banden, wie sie vor und nach dem Experiment erfasst wurde, konnte in den Artikeln vor allem festgestellt werden, wenn keine redaktionelle Linie der Zeitung vorgegeben wurde. Die Argumente, die der persönlichen Einstellung entsprachen, kamen aber in abgeschwächter Form vor, vor allem wenn eine Diskrepanz zwischen der Werthaltig- keit der Argumente und der Einstellung der Probanden festgestellt werden konnte. In der Untersuchung konnte auch ein Primacy-Effekt nachgewiesen werden.
2.3 Instrumentelle Aktualisierung und opportune Zeugen
Nachdem in den beiden vorhergegangenen Unterkapiteln mit dem News Bias-Ansatz und der Gatekeeper-Theorie zwei grosse Forschungsansätze, die vor allem empirisch erforscht wurden und deshalb nur schwach theoretisch erhellt sind, vorgestellt wurden, gehe ich in diesem Kapitel auf die instrumentelle Aktualisierung und das Konzept der opportunen Zeugen ein. Diese theoretischen Konstrukte sind sicherlich weniger offen und weniger breit angelegt als die obigen, erlauben aber gerade auch deshalb präzise- re Aussagen.
Geprägt wurde der Begriff der instrumentellen Aktualisierung von Hans Mathias Kepplinger (Kepplinger u.a. 1989). Er verortet seine Ausführungen zur instrumentellen Aktualisierung im Bereich der Konflikttheorien. Generell kann nach ihm zwischen ge- waltsamen und gewaltlosen Konflikten unterschieden werden, wobei auch in gewalt- samen Konflikten durchaus Elemente von gewaltlosen Konflikten vorhanden sind. Nach Kepplinger können gewaltlose Konflikte, oder der gewaltlose Teil von gewaltsa- men Konflikten, auch als Kommunikationskonflikte angeschaut werden. „Kommunikati- ons-Konflikte sind Kontroversen zwischen mindestens zwei Kontrahenten über einen Konflikt-Gegenstand, die mit Informationen ausgetragen werden, wobei offen bleibt, welche Qualität diese Informationen besitzen.“ (Kepplinger u.a. 1989: 201). Lange Zeit wurden die Massenmedien in der Konfliktforschung weitgehend ausgeblendet. Genau darauf legt Kepplinger aber sein Augenmerk. Er betrachtet die Medien in einem Konflikt nicht als unabhängige sondern als intervenierende Variabeln, die mitunter eine wichti- ge Rolle in einem Konflikt einnehmen können.
In publizistischen Konflikten, als solche bezeichnet Kepplinger im Unterschied zu den privaten und öffentlichen Konflikten diejenigen, die über die Massenmedien ausgetra- gen werden, gibt es in der Regel mindestens zwei Konfliktparteien (K1, K2). Entspre- chend gibt es im Publikum, das den Konflikt verfolgt, drei verschiedene Teilpublika: die Anhänger der einen Partei, die zugleich meist die Gegner der anderen Partei sind (P1), die Anhänger der anderen Partei (P2), auch hier wird davon ausgegangen, dass diese meist auch Gegner der konkurrenzierenden Partei sind, und die Unentschiedenen be- ziehungsweise Uninteressierten (Pu). Im Mediensystem einer liberalen Gesellschaft werden diese verschiedenen Teilpublika in der Regel auch durch verschiedene Mas- senmedien bedient. Es gibt also normalerweise entsprechend drei Kategorien von Massenmedien: die Anhänger des einen Kontrahenten (M1), diejenigen des anderen (M2) und die Unentschiedenen oder Neutralen (Mu). Auch hier kann davon ausgegan- gen werden, dass die Medien, die Anhänger des einen Kontrahenten sind, Gegner der anderen Konfliktpartei sind und umgekehrt.
Neben den an einem Konflikt beteiligten Personen und Institutionen, wie sie oben be- schrieben wurden, macht natürlich auch der Konfliktgegenstand (G) einen Konflikt aus. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass dieser Konfliktgegenstand nicht isoliert im Raum steht, sondern mit weiteren Gegebenheiten (G1, G2) verknüpft ist. Diese Ge- gebenheiten können für oder gegen eine Konfliktpartei sprechen, sind also für die eine Partei nützlich, für die andere aber schädlich. Deshalb nennt Kepplinger sie instrumen- telle Gegebenheiten. „Die Instrumentalität der Gegebenheit muss von ihrer Bewertung unterschieden werden. Als Bewertungen kann man positive und negative Urteile dar- über bezeichnen, ob (unter anderem) instrumentelle Gegebenheiten wünschenswert sind (+/-)“ (Kepplinger u.a. 1989: 202). So können die Instrumentalität einer Gegeben- heit und ihre Bewertung entweder übereinstimmen (instrumentelle Nützlichkeit und positive Bewertung oder instrumentelle Schädlichkeit und negative Bewertung), in die- sem Falle kann die Bewertung als konsistent bezeichnet werden, oder die Bewertung kann inkonsistent sein (instrumentelle Schädlichkeit und positive Bewertung oder in- strumentelle Nützlichkeit und negative Bewertung), der Instrumentalität also widerspre- chen. In Abbildung 4 wird die Grundstruktur eines publizistischen Konfliktes vereinfacht dargestellt. Wobei die durchgezogenen Linien den Informationsfluss und die gestrichel- te Linien die Bewertungen darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Grundstruktur eines publizistischen Konfliktes (Kepplinger u.a. 1989: 203)
Bei einem öffentlichen Konflikt, der nicht durch die Massenmedien vermittelt wird, ver- suchen die Kontrahenten das Publikum direkt zu beeinflussen. In einem publizistischen Konflikt allerdings nehmen die Medien eine zentrale Stellung ein, in dem die Kontra- henten das Publikum nur via die Medien erreichen können. Dies führt dazu, dass das Verhalten der Kontrahenten vor allem mediengerecht sein sollte. Erst in zweiter Linie verhält sich ein erfolgsorientierter Kontrahent demnach sachgerecht. Um Erfolg zu ha- ben, was in publizistischen Konflikten ein Erscheinen in den Medien voraussetzt, müs- sen sich die Kontrahenten nämlich den Selektionsbedingungen der Medien anpassen. Dies auch, wenn das entsprechende Verhalten nicht unbedingt sachgerecht im Bezug auf den Konfliktgegenstand, ist.
Die Ausgangslage eines Kontrahenten in einem publizistischen Konflikt kann sich auf zwei Arten verbessern. Erstens, wenn seine eigene Position gestärkt wird. Dies kann dadurch passieren, dass Gegebenheiten die für ihn sprechen stärker gewichtet werden oder er selbst positiver bewertet wird. Zweitens kann sich seine Lage verbessern, wenn sein Kontrahent geschwächt wird. Dies passiert analog zur Stärkung, nämlich wenn Gegebenheiten, die gegen den Kontrahenten sprechen stärker gewichtet werden oder dieser selbst negativer bewertet wird. „Die Stärkung der eigenen Seite und die Schwächung der gegnerischen Seite mit Hilfe der Massenmedien in den Augen der Bevölkerung kann man als die beiden grundlegenden Strategien in publizistischen Konflikten betrachten, wobei man die Stärkung der eigenen Seite als defensive, die Schwächung der gegnerischen Seite als offensive Strategie bezeichnen kann“ (Kepplinger u. a. 1989: 205).
In einem publizistischen Konflikt gibt es zwei Möglichkeiten, wie ein Kontrahent ge- stärkt werden kann. Diese beiden Möglichkeiten sind auf der einen Seite die instrumen- telle Aktualisierung, auf der anderen Seite die Umbewertung. Von einer Umbewertung wird dann gesprochen, wenn die Sichtweise auf eine instrumentelle Gegebenheit in der Öffentlichkeit geändert wird, die Gegebenheit also umbewertet wird. Als instrumentelle Aktualisierung wird das starke Betonen einer instrumentellen Gegebenheit durch den einen Kontrahenten, ein Medium oder eine dritte Partei bezeichnet. Dabei interessiert weniger, ob es sich bei der instrumentellen Gegebenheit oder der verstärkten Bericht- erstattung um die Wahrheit handelt oder nicht. Das Entscheidende ist, dass die Gege- benheit, die der einen Partei nützt (und damit der anderen Partei schadet) verstärkt thematisiert wird. Diese Taktik der instrumentellen Aktualisierung wird von allen Kon- fliktbeteiligten benützt. Wie eine Reihe von Studien gezeigt hat, versuchen Regierun- gen und Politiker den Medien gezielt Informationen zuzuspielen, die der eigenen Posi- tion nützen und den Gegner schwächen (Sarcinelli 1984, Albritton/Mannheim 1985). Aber auch die Massenmedien bedienen sich der instrumentellen Aktualisierung, indem sie vor allem Politiker, Regierungen oder Kontrahenten im Allgemeinen zu Wort kom- men lassen, die die eigenen Anschauungen und Sichtweisen vertreten. Auch dies wur- de in verschiedenen Studien belegt (Kepplinger/Linke 1988, Mann 1974).
Detailliert untersucht wurde die instrumentelle Aktualisierung auch von Kepplinger (Kepplinger u.a. 1989). Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie kurz dargestellt werden. In einer Befragung von Journalisten verschiedener Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen stellte Kepplinger fest, dass knapp die Hälfte aller Redak- toren die instrumentelle Aktualisierung akzeptierte. Das bewusste Herunterspielen von Informationen, die instrumentelle Verschleierung also, fand hingegen nur jeder sechste Befragte vertretbar. In einem Experiment mit denselben Journalisten konnte er bele- gen, dass die Meinung der Journalisten einen signifikanten Einfluss auf die Nachrich- tenauswahl hatte. Die Journalisten veröffentlichten eher Meldungen, welche ihre Kon- fliktsicht stützen. Dies konnte er auch in einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung der besagten Medien zum Nicaragua-Konflikt nachweisen, wobei er feststellte, dass in al- len Medien beide Kontrahenten negativ dargestellt wurden. „Die jeweils ‚eigene’ Seite wurde - bildhaft gesprochen – nicht verteidigt, sondern aus dem Schussfeld genom- men, die andere Seite dafür um so heftiger attackiert“ (Kepplinger u.a. 1989: 214). Dies führte er darauf zurück, dass in einem publizistischen Konflikt die negativen Informatio- nen glaubwürdiger seien als die positiven Informationen. Dies, weil sie nicht dem Ver- dacht der Beschönigung ausgesetzt sind.
Eine Erweiterung des Konzepts der instrumentellen Aktualisierung geht auf Hagen zu- rück (Hagen 1992). Er formulierte das Konzept der opportunen Zeugen. Danach be- richten die Medien nicht nur über die Sachverhalte, die ihre Konfliktsicht stärken, häufi- ger und ausgedehnter als über andere. Sie suchen sich auch die Interviewpartner, wel- che sie zu Wort kommen lassen, nach diesem Kriterium aus. So wird nach Hagens Konzept im Nachrichtenteil der Medien selten vom Journalisten selbst klar Stellung bezogen, sondern er sucht sich so genannte opportune Zeugen, die er verstärkt zu Wort kommen lässt. So vermittelt er seine Ansicht und Position.
Hagen hat dieses Konzept anhand der Berichterstattung über die Kontroverse zur Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1987 angewendet und überprüft. Dazu analysierte er den Inhalt von fünf überregionalen Qualitätszeitungen (Tageszeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine und die Welt). Zuerst wurden diese Zeitungen auf einer Achse nach den Argumenten, die von Journalisten für oder gegen die Volkszählung vorgebracht wurden, eingeord- net. Dabei stellte Hagen fest, dass die Tageszeitung sich am stärksten gegen die Volkszählung wehrte, während in der Welt die meisten Argumente für eine Volkszäh- lung hervorgebracht wurden.
In einem zweiten Schritt untersuchte Hagen, welche Personengruppen sich für oder gegen eine Volkszählung engagierten. So konnte er ermitteln, dass sich die Bundesre- gierung und die CDU/CSU sowie die Ministerien und die Statistikämter stark für die Volkszählung aussprachen. Die Interessensverbände, Anwälte, die Grünen und die Boykottinitiativen hingegen engagierten sich stark gegen die Volkszählung.
In einem dritten Schritt wurde festgehalten, wer in welchen Zeitungen, wenn es um die Volkszählungsdiskussion ging, zu Wort kam sowie in welche Richtung und wie stark argumentiert wurde. Dabei zeigte sich ganz deutlich, dass die Ausrichtung der unter- suchten Medien einen grossen Einfluss auf die Auswahl der Interviewpartner hatte. Die Zeitungen, die der Volkszählung kritisch gegenüber standen, zitierten viel häufiger Gegner der Volkszählung, während die Zeitungen, die die Volkszählung begrüssten, die Befürworter häufiger zu Wort kommen liessen. So kamen in der Tageszeitung, nach den Journalisten selbst, am häufigsten die Grünen und die Datenschützer, die sich ebenfalls gegen die Volkszählung stark machten, zu Wort. In der Welt hingegen waren die Ministerien die häufigsten Urhebern von Aussagen über die Volkszählung. Am zweithäufigsten wurden zwar Aussagen von Grünen Politikern abgedruckt, gefolgt wurde diese Gruppe aber bereits wieder von Wissenschaftlern, den Kommunen und Vertretern der CDU. Mit dieser Untersuchung konnte Hagen also zeigen, dass sein Konzept der opportunen Zeugen in der Realität wirklich angewendet wird, dass der News Bias also häufig indirekt, über Interviewpartner, hergestellt wird.
In den letzten drei Unterkapiteln wurden der News Bias-Ansatz, die Gatekeeper- Theorie und die instrumentelle Aktualisierung beziehungsweise das Konzept der op- portunen Zeugen dargestellt. Bevor ich in Kapitel drei auf den aktuellen Forschungs- stand eingehe, folgt in einem nächsten Unterkapitel eine kurze Zusammenfassung der dargestellten Theorie.
2.4 Zusammenfassung der Theorie
In diesem Kapitel sollen die wichtigsten Punkte der drei theoretischen und empirischen Ansätze, wie sie oben dargestellt wurden, nochmals zusammengefasst werden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die zu untersuchende Fragestellung gerichtet. Des Weiteren wird versucht, den News Bias-, den Gatekeeper-Ansatz und die Theorien der instrumentellen Aktualisierung und der opportunen Zeugen zu kombinieren, um so eine theoretische Basis, auf der diese Untersuchung aufbauen kann, zu generieren.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Gatekeeper-Modell von Westley und MacLe- an, welches in Abbildung 1 dargestellt wurde (Westley/MacLean 1955, zit. nach Staab 1988: 14). Es wird davon ausgegangen, dass sich im Umfeld, über das die Medien berichten, verschiedene Ereignisse abspielen. Als Ereignis wird hier nicht nur ein Er- eignis im herkömmlichen Sinne bezeichnet, sondern der Begriff wird weiter gefasst. Als Ereignis wird im Folgenden alles, über was die Medien berichten können, bezeichnet. So kann ein Ereignis auch zum Beispiel eine Meinung einer Person sein. Diese so ver- standenen Ereignisse können direkt von einem Medium verfolgt werden, dann nämlich, wenn ein Journalist dieses Mediums vor Ort ist. Sie können aber auch indirekt zu ei- nem Medium gelangen, indem das Medium von einem vorgelagerten Kommunikator informiert wird. Dieser vorgelagerte Kommunikator kann zum Beispiel eine Nachrich- tenagentur, ein anderes Medium, das bereits darüber berichtet hat, ein Politiker, eine Organisation oder eine Regierung sein. Entscheidend ist, dass die Medien aus ver- schiedenen Ereignissen auswählen können, was sie als Nachricht publizieren wollen und was nicht. Natürlich werden den Medien nicht alle Ereignisse aktiv übermittelt, so dass sie nicht nur als Selektionsinstanz agieren können, sondern ein Medium kann durch Recherchen auch Ereignisse aufdecken, beziehungsweise sogar auch selbst provozieren. Allerdings stehen dabei allen Medien, die über den gleichen Raum berich- ten, theoretisch die gleichen Möglichkeiten offen.
Wie in der Gatekeeper-Theorie ausführlich besprochen wurde, entscheidet ein Medium anhand verschiedener Kriterien (Nachrichtenwerte, persönliches Interesse des Journa- listen, Zielpublikum, redaktionelle Linie, Zeitdruck usw.), über was es berichten möchte. Mit dieser Auswahl wird mindestens in einem gewissen Masse die Ausrichtung, in die- ser Arbeit ist vor allem die politische Ausrichtung damit angesprochen, der Ausgabe, ob bewusst oder unbewusst, festgelegt.
Aber die Ausrichtung eines Mediums ist nicht nur abhängig von der Auswahl der Ereig- nisse, über die berichtet wird. Mindestens ebenso stark spielt die Richtung der einzel- nen Berichte eine Rolle. So kann über ein Ereignis oder eine Person positiv oder nega- tiv berichtet werden, was für die Ausrichtung entscheidend sein kann. Obwohl über dasselbe Ereignis berichtet wird, kann das eine Medium dies anders bewerten als das andere. Wie im Abschnitt über den News Bias-Ansatz gezeigt wurde, gibt es auch hier verschiedene Gründe, die die Richtung der Berichterstattung beeinflussen. Im Wesent- lichen sind dies die redaktionelle Linie des Mediums, die Meinung des Journalisten selbst sowie die Informationsquellen, die den Journalisten beeinflussen können. Die politische Ausrichtung eines Mediums ist also in erster Linie abhängig von der Nach- richtenselektion und der Richtung der Berichterstattung über die ausgewählten Ereig- nisse.
Diese Überlegungen zur politischen Ausrichtung eines Mediums sollen in einem Modell veranschaulicht werden. Dabei wurde das Gatekeeper-Modell, welches bereits Aus- gangspunkt war, als Grundlage genommen und erweitert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Modell der Nachrichtenflüsse
Die verschiedenen Ereignisse (x1, x2…) werden von den Medien (M1, M2) entweder direkt wahrgenommen oder sie werden über einen vorgelagerten Kommunikator (K1, K2, K3) zu den Medien transportiert. Die Medien selektieren aus den verschiedenen Ereignissen jene, über die sie berichten. Allerdings selektieren sie diese Meldungen nicht nur, sondern, das wird mit dem dicken Pfeil zwischen den Medien und dem Out- put (O1, O2) dargestellt, sie entscheiden auch wie sie über dieses Ereignis berichten. Schliesslich wurde im Modell auch noch das Publikum (P1,P2,P3) berücksichtigt, das entweder das eine Medium, das andere oder beide Medien zusammen rezipieren kann. Auf ein Zufügen von Feedback-Möglichkeiten, wie sie im Original-Modell von Westley und MacLean vorhanden sind, wurde der Übersicht halber verzichtet.
Die unterschiedlichen Ausrichtungen der Medien manifestieren sich also im Medien- Output. Dabei gilt es neben der Nachrichtenauswahl auch die Richtung der Berichter- stattung zu untersuchen. Hier gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, wie eine Be- wertung sich zeigen kann. Die erste und einfachere Möglichkeit ist, wenn der Journalist direkt seine Meinung oder Bewertung in den Artikel einfügt. Dies kommt vor allem in Kommentaren häufig vor. Die zweite Möglichkeit ist die instrumentelle Aktualisierung und das Konzept der opportunen Zeugen. Diese Konzepte, die auf Kepplinger bzw. Hagen zurückgehen, besagen, dass die Journalisten ihre Meinungen häufig nicht direkt im Artikel äussern, sondern diese über eine Auswahl der Nachrichten oder der Inter- viewpartner äussern. Die Journalisten interviewen eher Personen, die die gleiche Mei- nung zu einem Thema wie sie selbst vertreten.
Aus den oben dargestellten Theorien ist abzuleiten, dass die verschiedenen Tageszei- tungen auch verschiedene politische Ausrichtungen vertreten und dass diese unter- schiedlichen Ansichten sich auch im Inhalt der Zeitungen manifestieren sollten. Beson- ders in den Kommentaren sollte dies klar bemerkbar sein. Auch ist zu erwarten, dass häufiger Personen zu Wort kommen, die ähnliche Ansichten vertreten wie die Zeitung.
Im Folgenden gehe ich auf aktuelle Forschungsergebnisse ein, die zum Thema politi- sche Ausrichtung von Medien publiziert wurden.
[...]
- Arbeit zitieren
- lic. phil. Jan Vontobel (Autor:in), 2005, Die politische Position von Schweizer Qualitätszeitungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124440
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