Die Arbeit versucht, auf die Probleme bei der Umsetzung der Bildungsreformen einzugehen und die Zusammenhänge zwischen dem „neuen“ Bildungswesen und den wirtschaftlichen und sozialen Krisen der neunziger Jahre in den oben genannten Staaten zu umreißen. Dabei sollen Prozesse um ethnische, sprachliche und religiöse Identitäten zu ihrer sowjetischen Vergangenheit in Beziehung gesetzt und unter dem Aspekt ihrer Entwicklung nach 1991 beschrieben werden. Anhand eines solchen „Vergleichs“ lässt sich der Stellenwert den ein Bildungssystem innerhalb des Gesamtkontextes „Staat, Gesellschaft und Individuum“ erreichen kann, beziehungsweise den es zu verlieren hat, sehr gut verdeutlichen.
Aufgrund meiner Quellenlage wird der Fokus dabei auf Usbekistan, Kirgistan und
Kasachstan liegen. Ähnliche Tendenzen sind jedoch in Turkmenistan und
Tadschikistan zu verzeichnen, da alle Staaten in etwa die gleichen Erfahrungen mit der Sowjetherrschaft und somit 1991 auch ähnliche Ausgangssituationen hatten.
Die Auflösung der Sowjetunion 1991 bedeutete die Unabhängigkeit ihrer zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan. Diese sahen sich nun vor der Aufgabe, ihre Staaten an die neuen Bedingungen anzupassen, die nun in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens anstanden. Ein zentraler Punkt war dabei auch das Bildungswesen, dem gleich zu Beginn der Unabhängigkeit in allen fünf Staaten bis spätestens 1993 Reformen erarbeitet wurden, die die unter Gorbatschows Perestroika ab 1987 verfolgten Ansätze zur Bildungsreform aufnahmen und mit westlichen Modellen und Ideen des nation building zu verbinden suchten.
Im Folgenden möchte ich versuchen, auf die Probleme bei der Umsetzung der Bildungsreformen einzugehen und die Zusammenhänge zwischen dem „neuen“ Bildungswesen und den wirtschaftlichen und sozialen Krisen der neunziger Jahre in den oben genannten Staaten zu umreißen.
Dabei sollen Prozesse um ethnische, sprachliche und religiöse Identitäten zu ihrer sowjetischen Vergangenheit in Beziehung gesetzt und unter dem Aspekt ihrer Entwicklung nach 1991 beschrieben werden. Anhand eines solchen „Vergleichs“ lässt sich der Stellenwert den ein Bildungssystem innerhalb des Gesamtkontextes „Staat, Gesellschaft und Individuum“ erreichen kann, beziehungsweise den es zu verlieren hat, sehr gut verdeutlichen.
Aufgrund meiner Quellenlage wird der Fokus dabei auf Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan liegen. Ähnliche Tendenzen sind jedoch in Turkmenistan und Tadschikistan zu verzeichnen, da alle Staaten in etwa die gleichen Erfahrungen mit der Sowjetherrschaft und somit 1991 auch ähnliche Ausgangssituationen hatten.
Um zu verstehen, wie diese Ausgangssituationen aussahen und wie untrennbar das zentralasiatische Bildungswesen von der Sowjetherrschaft und -ideologie bis 1991 war, bleibt es unumgänglich einen Blick auf die Anfänge der Sowjetherrschaft in Zentralasien zu werfen. Hierbei werde ich die Entwicklungen im Raum des heutigen Usbekistan exemplarisch für die Vorgehenstendenzen in der gesamten Region erläutern. Es sollen drei Kriterien des sowjetischen Bildungswesens erörtert werden, die ich für sehr bedeutsam halte in Hinblick auf die post-sowjetische Zeit.
Die Bolschewiki sicherten sich unmittelbar nach der Revolution 1917 Einfluss in den Städten, vor allem Tashkent, wobei bis Anfang der dreißiger Jahre kaum Usbeken in der Partei waren. 1925 wurde die Sowjetepublik Usbekistan in ihren heutigen Grenzen offiziell errichtet. Die Konsolidierung sowjetischer Ideologie und die Modernisierung der infrastrukturell und technisch rückständigen Region konnte für Lenin nur durch das „Erzwingen der Festung Wissenschaft“ gelingen. Stalin forderte die schnellstmögliche Bildung einer „phalanx of national teachers“, die diese Aufgaben in Angriff nehmen sollten, er bezeichnete sie auch als „Architekten des Wandels“. Es kam also besonders in dieser frühen Phase den Pädagogen eine Schlüsselstellung zu (vgl. Medlin: 1971, S. 93).
Was die Sowjets vorfanden war eine stark familiär und tribal organisierte, traditionell muslimisch geprägte Agrargesellschaft, die diverse Ethnien (Usbeken, Tadschiken, Kasachen, etc.), Sprachen, Stämme und religiöse Ausrichtungen beinhaltete. Bildung über das Erlernen landwirtschaftlicher Arbeitstechniken hinaus war im Grunde einzig durch die religiösen Schulen repräsentiert, in denen der Lehrer eine starke Autorität darstellte und über seine Lehrtätigkeit hinaus auch oft den Status eines Universalbeamten und „Schlichters“ innehatte. Vermittelt wurden religiöse Moralvorstellungen und Fertigkeiten im Lesen und Rezitieren islamischer Schriften, die Schrift war arabisch. Diese Schulen wurden in den zwanziger und dreißiger Jahren zu verdrängen versucht, hielten sich jedoch in geringer werdender Zahl und überdauerten schließlich gar die Sowjetherrschaft.
Sowjetstatistiken geben die Alphabetisierungsquote prä-sowjetischer Verhältnisse mit ca. 3% (Yalcin: 2002), was jedoch untertrieben scheint angesichts der starken Verbreitung des Islam, einer Religion des Buches, die eine dem Lernen aufgeschlossene Grundhaltung fordert und wenigstens rudimentäre Lesefertigkeiten – und sei es bloß auswendig gelernte Wiedergabe – und ein Grundverständnis der arabischen Schrift verlangte. Die Alphabetisierungsquote war demnach also eine relative, keine absolute, und darüber hinaus bleibt fraglich, ob nicht auch nur die russischsprachige Bevölkerung als alphabetisiert gewertet wurde.
Um hier eine funktionierende, fortschrittliche (im russisch-europäischen Sinne) und Ertrag bringende sozialistische Gesellschaft unter wirtschaftlicher und kultureller Vorherrschaft Russlands „aus dem Boden zu stanzen“, wurden massive Bildungskampagnen unternommen, die Erwachsenen wie Kindern Lesen, Schreiben, Grundrechenregeln, Hygienestandards und erste „Häppchen“ sowjetischer Ideologie vermittelten. Überall wurden Orte der Bildung eingerichtet, sogar in (roten) Nomadenjurten (Medlin: 1971), um vor allem die Landbevölkerung mit einem Grundstock an damaliger Allgemeinbildung abzudecken. Es gab auch Spezialschulen für Frauen, Personen mit Lernschwierigkeiten oder Sprachminderheiten, sowie „mobile Workshops“ die durch die ruralen Gegenden zogen und in jeder Siedlung Kurse veranstalteten. Zum Lernen angespornt wurde die Bevölkerung durch das „Zuckerbrot“ in Form von Belohnungen wie Urlaub, Unterhaltungsveranstaltungen, Büchern oder Exkursionen für die Lernstarken und durch die „Peitsche“ in Form von Verfolgungen traditioneller, muslimischer Lehrer oder Veröffentlichung der Individualleistung jeder Person nach Tests oder Evaluationen.
Eine zentrale Rolle in dem Bestreben die Entwicklung Usbekistans durch Bildung unter sowjetische – demnach russische – Kontrolle und Führung zu bringen, war die Sprachenpolitik. Seit dem 19. Jahrhundert befassten sich russische Pädagogen und Linguisten mit der Methodik, das Russische anderen Sprachgruppen beizubringen. Der aserbaidschanische Linguist Mirza Akhundov befand in den 1870er Jahren die lateinische Schrift als die ideale, um turksprachigen Menschen Russisch zu vermitteln (vgl. Medlin: 2002, S. 102). 1926 hat dann der Erste Turkologische Kongress der UdSSR in Baku die Einführung dieses Alphabets beschlossen, was ein Jahr später per Gesetz besiegelt wurde. Dies hatte parallel zu den Anti- Religionskampangnen der zwanziger und frühen 30er Jahre den Effekt, dass das stark religiös konnotierte arabische Schriftwesen langsam verdrängt wurde. Russisch wurde ab 1938 Pflichtfach in usbekischen Schulen und ab 1940 begann die Umstellung auf das kyrillische Alphabet, was zeitweise zu einem „kommunikativen Wirrwarr“ aus drei Schriftsystemen führte.
Nichts desto trotz hat die Durchsetzung des Russischen als Sprache der (vor allem sekundären und tertiären) Bildung in Verbindung mit der Stellung Russlands und der usbekischen Russen als „Geber“, Ausbilder, Förderer, Privilegierte, sowie die proklamierte Eignung des Russischen als „Sprache interethnischer Kommunikation“ zu einem bis heute andauernden empfundenen qualitativen Gefälle zwischen der russischen und den indigenen Sprachen geführt (vgl. Schmidt: 1995). Die soziale Mobilität war nun unter anderem auch von dem Zugang abhängig, den man zur russischen Sprache in Schrift und Alltagskommunikation hatte. Diese Praxis sicherte einerseits den russischen und russischsprachigen Eliten ihre wirtschaftlich und sozial begünstigte Position und zum anderen richtete es das höhere Bildungswesen und geistig-kulturelle Leben der Sowjetrepubliken an denen Russlands aus.
Die Etablierung einer Verkehrssprache ermöglicht es unter ideologischen Gesichtspunkten, offizielle Doktrinen auch subtil in das Weltverständnis der Menschen einzuflechten. Begriffe wie „Kollektiv“, „Fortschritt“, „Kulak“ und dergleichen Rhetorik „verselbstverständlichten“ sich und ihre ideologische Bedeutung in der offiziellen Sprache, da sie extensiv durch die lebensbegleitenden staatlichen Institutionen hindurch Gebrauch fanden.
Für Kasachstan trifft die Universalisierung des Russischen jedoch mehr zu als für die übrigen Staaten, da hier ein russischer Siedlungskolonialismus mit entsprechend resultierender Mischbevölkerung stattfand, während eine ethnische und sprachliche Heterogenität in Usbekistan noch bis zum Ende der Sowjetunion fortbestand. In den Familien wurde hauptsächlich Usbekisch gesprochen und noch 1959 haben trotz knapp 30 Jahren Präsenz der russischen Sprache ca. 98,6 % aller dortigen Usbeken Usbekisch als ihre Muttersprache angegeben (Medlin: 1971, S. 107). Es gehörte außerdem zur Nationalitätenpolitik Moskaus, den zentralasiatischen Republiken „ihre“ Mehrheitssprache zur Nationalsprache zu machen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Frage, wieso das sowjetische Bildungswesen prägend für die post-sowjetischen Krisen der zentralasiatischen Länder war, sind die Gruppe-Individuum-Beziehung die es vermittelte. Interessante Einblicke in den Lehrbetrieb usbekischer Sekundärschulen der sechziger und siebziger Jahre geben diesbezüglich Medlin, Cave und Carpenter in ihrer ausführlichen Studie „Education And Development In Central Asia“ (1971).
Neben einer umfangreichen Ausbildung in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens nach sozialistischem Ideal war der Unterricht stark moralisch aufgeladen. Gerade in sozialwissenschaftlichen Fächern wie Geschichte oder Recht waren viele moralische Lektionen in die Vermittlung des Stoffes eingeflochten. Dessen Interpretation wurde quasi bereits mitgeliefert. Die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse wurden oft im überspitzen Kontrast zu (den negativen Aspekten von) kapitalistischen Gesellschaften erläutert oder geschichtliche Ereignisse, z.B. Revolutionen, als Fortschritt und Notwendigkeit präsentiert.
Allein die Methodik war stark auf die Herausbildung einer „sozialistischen Persönlichkeit“ ausgerichtet. Beispielsweise wurde die in traditionell orientierten, muslimischen Familien oft vorherrschende moralische Verwerflichkeit von außerfamiliären, intensiveren Jungen-Mädchen-Beziehungen durch die gemischtgeschlechtliche und kollektivistische Ausrichtung der staatlichen Schulen zu korrigieren versucht. Vieles wurde in Gruppenarbeit erarbeitet, dem einzelnen Schüler wurde dadurch extensiv seine Aufgabe in einem übergeordneten Kollektiv (Klasse, Schule), das wiederum eine übergeordnete Gruppe hat (Staat, Sowjetunion, etc), verdeutlicht.
Der psychologische Effekt dessen ist meines Erachtens nicht zu unterschätzen: ein stark ausgeprägtes Verantwortungs-, Überwachungs- und Pflichtbewusstsein, das in Verbindung mit einem klaren Katalog an sozialistischen civic values die Unterscheidung von Pflicht und Freiwilligkeit, Befehl und Bitte, Gut und Schlecht, bereits vorweg nimmt und damit eine Form von Kohärenz anstrebt, die zumindest sozial harmonisierend wirkt und Identitäten wie die ethnische, sprachliche oder religiöse zu „latenten“ Identitäten werden lässt (vgl. Schmidt:1995).
Verglichen mit dem prä-sowjetischen Kontext war die Reihenfolge der Bezugsrahmen des Individuums, die die Schulen vermittelten, nun umgekehrt : man war zuerst Bürger der Sowjetunion, dann Bürger einer ihrer Republiken, Individualismus und Partikularismus waren im sozialistischen Weltbild keine Basis für kollektive Errungenschaften - Sprachdifferenzen sollten durch Russisch überwunden werden und dem Zufall der Geburt unterliegende Kriterien wie Geschlecht, Ethnie oder Religion sollten keine Kriterien zur Bewertung eines Menschen sein, ihre politische, partikularisierende Bedeutung wurde offiziell negiert. Die Autoren um William Medlin (s.o.) schreiben über diese klaren Verhältnisse in den Bewertungs- und Verhaltensrichtlinien:
„Behavioral expectancies are clearly indicated fort he child, who is hardly ever in doubt what behavior is appropriate in a given situation. It would seem therefore that anxiety generated by ambiguities in social situations is somewhat unlikely.” (Medlin: 1971, S. 152)
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- Anónimo,, 2007, Das Bildungssystem Zentralasiens im Wandel, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124405
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