Durch die Einbettung in den organisationalen Kontext wird in dieser Arbeit mit Hilfe des Stressgeschehens die Brücke zu einem umfassenderen Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Organisation und dem engen Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Individuums und der Leistungsfähigkeit der Organisation geschlagen. Gesunde Menschen bedingen gesunde Organisationen! Das Stresskonzept macht klar, dass Gesundheit über körperliche Aspekte hinausgeht. Ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff schließt neben dem physischen auch das psychische und soziale Wohlbefinden des Menschen ein. Durch die Schaffung von menschengerechteren Organisationen kann nicht nur die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Organisationen an sich erhöht werden, sondern letzlich liegt auch der Schluss nahe, dass auf diese Weise ein Wandel hin zu einer menschengerechteren und humaneren Gesellschaft erfolgen kann. Bei "menschengerechteren Organisationen" handelt es sich nicht um ein realitätsfremdes gedankliches Konstrukt. Es geht hier vielmehr darum, einen Ausgleich zwischen organisationalen und individuellen Interessen zu schaffen, also um die Berücksichtigung nicht nur rein ökonomischer Ziele im Rahmen betriebswirtschaftlicher Betrachtungen.
Inhaltsverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist Stroll?
1.1. Forschungsrichtungen
1.1.1. Biologische StreBforschung
1.1.2. Psychologische Strei3forschung
1.1.3. Sozialpsychologisch-soziologische StreBforschung
1.2. Definitorische Abgrenzung von StreB
1.2.1. Strel3konzepte
1.2.2. Definitionsanalyse
1.2.3. Allgemeine Definition von StreB
2. Organisation und Streg
2.1. Mensch und Organisation
2.1.1. Organisation
2.1.2. Mensch
2.1.3. Zielenstehung beim Menschen
2.1.4. Zielentstehung in Organisationen
2.1.5. Motivation zur Teilnahme an einer Organisation
2.2. Organisationaler StreB
2.2.1. Stressoren im Arbeitsbereich
2.2.2. StreBquellen nach McGrath
3. Strel3folgen
3.1. Auswirkungen auf den Menschen
3.1.1. Schadlichkeit von Stressoren
3.1.2. Indikatoren ftir das Vorhandensein von StreB
3.2. Auswirkungen auf die Organisation
3.2.1. Indikatoren air "beeintrachtigte" Organisationen
3.2.2. Beziehung zwischen Leistung und StreB
4. MaBnahmen zur Kontrolle von Stre0
4.1. StreBkontrolle auf Ebene der Organisation
4.1.1. Betriebliche Gesundheitsvorsorge
4.1.2. Reduktion von Stressoren aus der materiellen Umwelt
4.1.3. Anpassung von Organisationsstrukturen
4.1.4. Verbesserung der sozialen Beziehungen
4.1.5. Reduktion von Angst
4.1.6. Harmonisierung von Individuum und Anforderungen
4.2. StreBkontrolle auf Ebene des Individuums
4.2.1. BewuBtseinsbildung
4.2.2. Entspannung
4.2.3. Bewegung
4.2.4. Risikofaktoren
4.2.5. Ernahrung
4.2.6. Freizeit
4.2.7. Einstellung
Schlul3bemerkung
Literaturverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
Darst. 1: Forschungsrichtungen
Darst. 2: StreBkonzepte
Darst. 3: Analyse von StreBdefinitionen
Darst. 4: StreBgeschehen
Darst. 5: Stressoren nach Huber
Darst. 6: StreB als komplexes Geschehen
Darst. 7: des Rahmensysteme Verhaltens in Organisationen
Darst. 8: Einfaches Motivationsmodell
Darst. 9: Hierarchische BedUrfnispyramide nach Maslow
Darst. 10: Okonomische Zielkonzeption einer Organisation
Darst. 11: StreBzyklus
Darst. 12: Rollenbedingter StreB
Darst. 13: Verhaltensbereiche und Rollen eines Individuums
Darst. 14: Erlebnis-Kontinuum nach Levi
Darst. 15: Phasen des aligemeinen Anpassungssyndroms
Darst. 16: Beispiele flir StreBindikatoren
Darst. 17: StreB und Gesundheitsstorungen bei Frauen und Mannern
Darst. 18: Klassifikation wichtiger Effekte psychischer Befindensbeeintrachtigungen
Darst. 19: Obersicht liber Kostenarten und Kosten ausmaB von Befindensbeeintrachtigungen
Darst. 20: Beziehung zwischen Physiologischem StreB und verschiedenen Reiz-Leistungsniveaus
Darst. 21: Hypothetische Beziehung zwischen Leistung und StreB
Darst. 22: Optimale Leistungsfahigkeit
Darst. 23: Aufbau einer QZ-Organisation
Darst. 24: Der Handlungsspielraum
Darst. 25: Soziale UnterstUtzung
Darst. 26: Ansatzpunkte zur StreBreduktion
Darst. 27: StreBkontrolle
Einleitung
Krank an Organisationen
Inhumane und unkommunikative Strukturen fUhren zu DauerstreB, Krankheit und verminderter Leistungsfahigkeit
Wenn heute von StreB die Rede ist, gibt es kaum einen Menschen, der sich nicht in irgendeiner Weise von diesem Thema berUhrt fUhlt. Versucht man sich konkreter mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, z.B. im Rahmen einer Diskussion, so gelangen die Gesprachspartner sehr rasch an ihre Grenzen. Warum? Zum einen sicher deshalb, weil jeder unter StreB etwas anderes versteht. So lange es aber keine einhellige Meinung darUber gibt, was denn nun unter StreB zu verstehen ist, wird es auch unmeiglich sein, dieses Thema zum Gegenstand ernsthafter Auseinandersetzungen zu machen.
Die vorrangige Frage, die es im Rahmen dieser Arbeit zu beantworten gilt, ist somit: "Was ist StreB?" Auf Basis dieser Grundfragestellung kOnnen weitere Oberlegungen angestelit werden. Zum einen soli mit Hilfe des StreBkonzepts die mechanistische, Bich hauptsachlich an okonomischen Zielen1 orientierende Betrachtungsweise von Organisationen, Uberwunden werden. Zum anderen soil gezeigt werden, daB das StreBkonzept weit mehr bedeutet als eine Auseinandersetzung mit der Krankheit eines Individuums. Kann von gesunden Menschen auf "gesunde" Organisation geschlossen werden?
Aufgrund der oben formulierten Fragestellungen geht es daher im ersten Abschnitt dieser Arbeit vor allem darum, einen Querschnitt aus alien moglichen Betrachtungsweisen von StreB zu bilden, um eine moglichst umfassende und allgemeine Definition von StreB herauszufiltern. Nur unter dieser Bedingung scheint es maglich, StreB auch im Rahmen wirtschaftlicher Diskussionen ernsthaft zum Thema zu machen.
Im zweiten Abschnitt soil es vor allem darum gehen, das Thema StreB in einen organisationalen Kontext zu bringen. Dem Arbeitstitel "Krank an Organisationen" entsprechend mochte ich2 aufzeigen, daB die Organisation starken EinfluB auf den Menschen nimmt und somit auch verantwortlich zu machen ist dafUr, ob ein Mensch im Einklang mit seiner Arbeit lebt und mit hochster Wahrscheinlichkeit gesund bleibt. Im negativen Fall ist davon auszugehen, daB dies fiber kurz oder lang zur Erkrankung des Menschen fUhrt. Das StreBkonzept erscheint mir bestens geeignet, diesen EinfluB, vor allem in seiner fir den Menschen negativen Form, darzustellen.
Ich gehe davon aus, daB ein GroBteil aller Organisationen, obwohl von Menschen getragen, wenig Menschliches an sich hat. Dies duBert sich in Strukturen, die formal gesehen sicher Berechtigung haben, dennoch aber wesentliche Aspekte auBer acht lassen. Der Umstand, daB jedes wirtschaftliche Handeln beim Menschen beginnt und wieder aufhort, und daB es auf lange Sicht wenig Sinn macht, den Menschen in Strukturen hineinzupressen, die ihm wenig bis gar nicht entsprechen, bleibt oft unberUcksichtigt. Aus diesem Grund erscheint es wichtig, die Organisation als solche dem Menschen gegenUberzustellen und zu klaren, was den Menschen tatsachlich dazu bewegt, Teil solcher Organisationen zu werden oder zu bleiben. Das heiBt, in weiterer Folge geht es auch darum, den Menschen in den Mittelpunkt der Uberlegungen zu stellen, wozu das StreBkonzept einen perfekten Ausgangspunkt bildet.
Durch die Einbindung des StreBkonzepts in den organisationalen Kontext kann die wechselseitige Beeinflussung von Mensch und Organisation deutlich gemacht werden. Untersteilt man, daB gesunde Menschen gesunde Organisationen bedingen und umgekehrt, interessiert weiters, wie sich der EinfluB von StreB auf den Menschen und die Organisation auswirkt. Im dritten Abschnitt mochte ich daher insbesonders auf den Zusammenhang zwischen StreB, Krankheit, verminderter Leistungsfahigkeit und seine Auswirkungen auf individueller und organisationaler Ebene eingehen.
Ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit ist es, den engen Zusammenhang zwischen Mensch und Organisation darzustellen. Nicht nur der Umstand, daB Organisationen groBe Verantwortung fUr das Wohlbefinden des Menschen haben, sondern auch die Tatsache, daB der einzelne Mensch ein Indikator fur mogliche Fehlentwicklungen in Organisationen sein kann, machen deutlich, daB es im Interesse der Organisation sein muB jenen Fehlentwicklungen so frith als moglich entgegenzuwirken. Der letzte Abschnitt befaBt sich daher konsequenterweise damit, was sowohl im Rahmen der Organisation als auch vom Individuum fOr den StreB getan werden kann.
1. Was ist StreB?
Bevor das StreBkonzept in einen organisationalen Zusammenhang gebracht werden kann, erscheint es notwendig zu klaren, was eigentlich unter StreB zu verstehen ist und zudem einige begriffliche Abgrenzungen vorzunehmen.
1.1. Forschungsrichtungen
Die zu dieser Thematik vorhandene Literatur bietet eine kaum zu liberblickende Vielfalt von Definitions- und Erklarungsansatzen, und es ergeben sich je nach zugrundeliegender Forschungsrichtung unterschiedliche Schwerpunkte in der Behandlung des Themas "StreB".
Unter den Forschungsrichtungen seien insbesondere die biologische, die psychologische und die sozialpsychologisch-soziologische StreBforschung hervorgehoben. (vgl. Nitsch 1981a, S. 50)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darst. 1: Forschungsrichtungen(eig. Darst.)
1.1.1. Biologische StreBforschung
Im Rahmen dieser Forschungsrichtung, der u.a. Cannon, Selye und Levi zuzuordnen sind, wird StreB als etwas Unvermeidbares angesehen, das keineswegs immer schadlich sein muB. Es geht um die Erforschung der durch StreB verursachten Veranderungen in der Struktur wie in der chemischen Zusammensetzung des KOrpers. Untersucht werden vor allem korperliche Prozesse wie z.B. hormonelle Veranderungen, Pulsfrequenz, Verengung der BlutgefaBe, Verdauungsprozesse, Aktivierung der SchweiB-drUsen,Korpertemperatur, Herzfrequenz, usw.
1.1.2. Psychologische Strenforschung
Im Mittelpunkt der psychologischen StreBforschung stehen psychische StreBsymptome, d.h. bestimmte Veranderungen von Wohlbefinden, kognitiven Funktionsablaufen und Handlungsvollzugen. Sie untersucht die GesetzmaBigkeiten der psychischen Strel3genese. Verbindungen zur physiologisch-medizinisch orientierten StreBforschung ergeben sich dort, wo es um organisch begrUndete psychische Storungen (Psychopathologie) oder um physiologisch-morphologische Begleit- und Folgeerscheinungen psychischer Veranderungen (Psychophysiologie, Psychosomatik) geht. (vgl. Nitsch 1981b, S. 84f)
Im groBen und ganzen lessen sich zwei Grundstromungen in der psychologischen StreBforschung erkennen: Die eine steht in der Tradition der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie. Die andere hat sich in engem Bezug zur modernen kognitiven Psychologie entwickelt, wobei insbesondere die Arbeiten der Lazarus-Gruppe seit den fUnfziger Jahren die psychologische StreBforschung nachhaltig beeinfluBt haben. (vgl. Nitsch 1981b, S. 86)
Bedeutende Vertreter dieser Forschungsrichtung sind u.a. Lazarus und McGrath.
1.1.3. Sozialpsychologisch-soziologische StreBforschung
Das Hauptaugenmerk dieser Forschungsrichtung liegt in der Beantwortung von Fragen (vgl. Nitsch 1981b, S. 121ff)
- der sozialen Bedingtheit von StreB,
d.h. also inwieweit Stressoren eine Wiederspiegelung soziokultureller Lebens- und Arbeitsbedingungen sind, inwieweit die Bewertung von Reizen als Stressoren und die darauf bezogenen Strel3reaktionen abhangig sind von sozialen Lernprozessen, inwieweit soziale Beziehungen unmittelbar zur StreBquelle einerseits und zu strel3reduzierenden Bedingungen andererseits werden, inwieweit StreB im sozialen Zusammenhang eine Zweckreaktion darstellt und somit sozialregulative Funktion hat.
- der streBabhangigen Veranderungen des Sozialverhaltens
mit Schwerpunkten in der Untersuchung des AnschluB-, Gesellungs- oder Affiliationsverhaltens und in der Untersuchung der Veranderungen sozialer Kommunikations-und Interaktionsmuster.
- der StreBbewaltigung als ein soziales Geschehen.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Strel3konzept wird klar, daB es sich - von welcher Seite auch immer man es betrachtet - um ein Thema handelt, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Der Mensch als ein Individuum in einem sozialen Kontext lebend mit Korper, Geist und Seele, die miteinander in standigem Wechselspiel stehen und unter keinen Umstanden voneinander getrennt zu betrachten sind, will man den Menschen in seiner Ganzheit sehen.
Es erscheint daher nicht nur sinnvoll, sondern durchaus notwendig, die verschiedenen Forschungsrichtungen nicht strikt voneinander zu trennen und soweit dies meglich ist, diese miteinander zu vereinen, um ein moglichst umfassendes und vollstandiges Bild von "StreB" zu erhalten.
1.2. Definitorische Abgrenzung von Strea
Bei dem Versuch eine einheitliche Definition flir den Begriff "StreB" herauszufinden, stoat man auf erhebliche Probleme. Dies kUndigt sich schon im alltagssprachlichen Gebrauch des StreBbegriffes an, obwohl es uns zunachst nicht bewuBt ist. Oftmals hort man jemanden sagen: "Heute habe ich unheimlich viel StreB" oder aber "Ich bin ganz schon im StreB!"
Stren haben: als Synonym ftir keine Zeit haben, viel Arbeit oder einfach viel zu tun haben, viel vorhaben. Schon die Verwendung des Wortes "haben" deutet darauf hin, daB da etwas ist, das ich angreifen, horen, sehen kann. Also etwas, das von auBen auf mich einwirkt und verantwortlich daftir ist, daB ich mich in einer bestimmten Art und Weise verhalte.
1m StreB sein: die Verwendung des Wortes "sein" 1a13t auf einen Zustand schlieBen. Ich befinde mich in einer Situation, die air mich scheinbar unausweichlich ist. Es passiert etwas mit mir oder auch in mir, das mich ausfUllt, mich vorwartstreibt, mich tun laBt. Ich bin mittendrin in einem Geschehen, ich bin standig dabei zu agieren bzw. zu reagieren.
Diese Uneinheitlichkeit des StreBbegriffs pflanzt sich in wissenschaftlichen Bereichen fort. Einmal wird StreB definiert als Reiz, der bestimmte StreBreaktionen bedingt. Dann wieder als Reaktion selbst, die durch bestimmte Reize hervorgerufen wird. Manche Autoren verwenden StreB als Oberbegriff fur ein Geschehen, welches durch einen Reiz ausgelost wird und eine bestimmte Reaktion hervorruft. Andere Konzepte wiederum betrachten StreB als einen zwischen Person und Situation vermittelnden ProzeB. Natarlich ergeben sich innerhaib der einzelnen Forschungsrichtungen noch weitere Unterschiedlichkeiten hinsichtlich einer StreBdefinition. Das Definitionschaos ist damit scheinbar perfekt.
Wie schon weiter oben festgestellt, konnen und dUrfen die einzelnen Forschungsrichtungen und Konzepte einander nicht ausschlieBen. Es muB also einen gemeinsamen Nenner geben, der in einer mtiglichst einfachen und verstandlichen Form fUr alle mit der StreSthematik befaBten Bereiche anwendbar ist.
Bevor ich den Versuch einer allgemeingUltigen Definition unternehme, scheint es mir fUr das Gesamtverstandnis des Themas wichtig, noch kurz auf die bestehenden StreBkonzepte einzugehen. Trotz aller Unterschiedlichkeiten lessen sich in letzter Konsequenz auch Gemeinsamkeiten feststellen. Diese bilden die Basis und somit den Ausgangspunkt zu einer allgemeingUltigen Definition.
1.2.1. Streakonzepte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darst. 2: StreBkonzepte (eig. Darst.)
1. Stimuluskonzepte
Synonym zum Stimulusbegriff werden etwa Reiz, Erreger, Stressor, AuslOser verwendet. Der Akzent liegt hier auf Einwirkungen aus der Umwelt.
"Im Sinne der Stimuluskonzepte werden Stressoren als Umgebungsbedingungen, die StreB erzeugen, interpretiert (z.B. Katastrophen, Verlust des Arbeitsplatzes, Tod eines nahestehenden Menschen)". (Udris/Frese 1988, S. 429)
StreB wird also verstanden als eine Einwirkung im Sinne der Uber- oder Unterstimulation bzw. der Uber- oder Unterforderung, die zur Storung des Systemgleichgewichts fUhrt. (vgl. Nitsch 1981a, S. 46) Der Reiz selbst, als eine Bedingung, die eine Storung oder bestimmte reaktive Veranderungen hervorruft, wird als StreB definiert. (vgl. Lazarus/Launier 1981, S. 220)
2. Reaktionskonzepte
Anstelle des Begriffes Reaktion wird ebenso Strain oder Response verwendet.
"Diese Konzepte stellen die Reaktionen auf Belastungs-situationen in den Vordergrund der Analyse und sprechen von StreB dann, wenn eben Reaktionen wie z.B. eine vermehrte AdrenalinausschUttung, zunehmende Pulsfrequenz oder Symptome, wie z.B. auffallende Leistungsstorungen und ErschOpfungssymptome, beobachtet werden. Aus dem Auftreten derartiger und ahnlicher Reaktionsweisen wird auf das Vorhandensein von Belastungsfaktoren zurUckgeschlossen". (Gebert 1981, S. 2f)
StreB wird also Uber das Verhalten des Organismus definiert, unabhangig davon wie er ausgelost wurde. zur Messung werden dabei Ublicherweise physiologisohe, Verhaltens- oder auch verbale Daten herangezogen.
In reaktionsbezogener Definition bezeichnet StreB die Gesamtheit der organismischen Anpassungsreaktionen, die auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des inneren und/oder auBeren Gleichgewichts abzielen. (vgl. Nitsch 1981a, S. 46) Besonders in der medizinischen bzw. biologischen Forschungsrichtung kommt das Reaktionskonzept zur Anwendung.
3. Beziehungs- oder transaktionale Konzepte
In diesen Konzepten, die vor allem in der psychologischen StreBforschung zur Anwendung kommen, geht es um die Beschreibung von Anpassungsprozessen zwischen einem System (z.B. einer Person) und einer Umwelt. (vgl. Lazarus/Launier 1981, S. 220) Anstelle des Transaktionsbegriffs wird oftmals auch Interaktion verwendet. Transaktion wird als Zusammenfassung von Reiz und Reaktion bzw. als ProzeB, der zwischen Belastung3 und StreBreaktion vermittelt, verstanden.
"Hauptbestandteil dieser Konzepte ist die Inkongruenz zwischen Anforderungen der Umwelt und Kapazitaten des Individuums (sog. Imbalance-Modell, vgl. McGrath 1970) als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung. Wesentlich ist dabei allerdings, daB nicht die objektiven Anforderungen diese Inkongruenz quasi "automatisch" bedingen. Vielmehr sind Wahrnehmungen, Interpretationen und Antizipationen von MiBerfolg wesentlich, sowie Hypothesen iiber eine Beeintrachtigung relevanter Ziele und BedUrfnisse. Man spricht deshalb auch von kognitiven Konzepten". (Udris/Frese 1988, S. 429)
Das bedeutet daher, ob und wie stark ein Reiz als "Stressor" wirkt, hangt wesentlich davon ab, wie er von der betreffenden Person wahrgenommen und verarbeitet wird, Uber welche Bewaltigungsfahigkeiten sie verfligt und welche Bewaltigungsstrategien sie wahlt.
BerUcksichtigt man den engen Zusammenhang zwischen StreB und Anpassungsgeschehen und damit die Organismus-Umwelt-Beziehung, dann lABt sich StreB als Beziehungskonzept verstehen, das bestimmte Anpassungsprobleme und -prozesse zwischen einem System und seiner Umwelt beschreibt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die aktive Auseinander-setzung mit der Umwelt und die dabei auftretenden Storungen des Person-Umwelt-Gleichgewichts. (vgl. Nitsch 1981a, S. 47) 4. Zustandsorientierte Konzepte
Im Rahmen dieser Definitionsansatze wird vorgeschlagen, StreB im Sinne einer intervenierenden Variablen als bestimmten organismischen Zustand zu definieren, der spezifische Antezedenzien hat und mit gewissen Konsequenzen fur das Anpassungsverhalten verbunden ist. StreB ist somit gleichbedeutend mit der Gleichgewichtssterung, Imbalance oder Destabilisierung selbst, sei sie nun primar intern (psychisch und/oder physiologisch) oder extern (z.B. Diskrepanz zwischen Fahigkeiten und situativen Anforderungen). (vgl. Nitsch 1981a, S. 45f)
Die oben dargesteilten Konzepte geben zwar einen Anhaltspunkt, in welche Richtung sich die verschiedenen StreBdefinitionen bewegen und machen deutlich, daB StreB entweder als Reiz, Reaktion, Transaktion oder Zustand definiert wird. Sie stellen aber in keinem Fall eine befriedigende Antwort auf die so brennende Frage "Was ist StreB?" dar.
1.2.2. Definitionsanalyse
Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Obersicht der am haufigsten in der Literatur vorgefundenen Definitionen von StreB. Aus 35 Definitionen verschiedener Autoren wurden Hauptkomponenten ihrer Definition herausgefaBt und miteinander verglichen. Die Tendenz einer Definition in Richtung der obenerwahnten Konzepte scheint hier bestatigt.
Im Rahmen einer soichen Analyse stellt sich das Problem, daB viele Autoren fur ein und dieselbe Sache verschiedenste Begriffe wahlen, obwohl sie dock im Prinzip das gleiche darunter verstehen.
Unter dem Begriff Belastung (Einwirkung, auBerer Reiz, StreBfaktor, Oberforderung, EinflUsse) wurden von mir jene Definitionen zusammengefaBt, deren Hauptaspekt auf den "von auBen auf den Menschen einwirkenden Einfllissen" liegt. Beanspruchung hingegen wird interpretiert als "Folge der Belastung flit. den Menschen" oder in formelhafter Darstellung (vgl. Rohmert 1977, S.66 zit. nach: Gebert/Rosenstiel 1992, S. 106): Beanspruchung = f(Belastung,Personenmerkmale}
Wahrend Belastung im Sinne der stimulusorientierten Konzepte zu verstehen ist, orientiert sich der Beanspruchungsbegriff an den Reaktionskonzepten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darst. 3: Analyse von StreBdefinitionen4 (in Anlehnung an Heimerl-Wagner 1993, S. 240)
Bevor ich die bisherigen Erkenntnisse zusammenfasse, um eine allgemeingUltige Antwort auf die Frage "Was ist StreB?" zu erhalten, soil hier noch jede der drei Forschungsrichtungen mit den von ihnen postulierten Definitionen zu Wort kommen.
1. Biologische Streadefinition
Im Rahmen der biologischen Forschungsrichtung sei hier insbesondere Hans Selye, der oftmals ais Vater der StreBforschung bezeichnet wird, erwahnt. Schon vor Selye setzte Bich Cannon (1914) mit der StreSthematik auseinander (vgl. Semmer 1992, S. 744), jedoch kommt Selye das groBe Verdienst zu, daB mit seinen Forschungen die wissen-schaftliche Auseinandersetzung mit StreB zunahm and das StreBkonzept ganz aligemein an Bedeutung gewann.
Sein erster - damals noch einziger - Aufsatz zu dieser Thematik erschien 1936. Seine Definition von StreB lautet:
"StreB ist die unspezifische5 Reaktion des KOrpers auf jede Anforderung, die an ihn gestelit wird". (vgl. Selye 1974, S. 22, S. 58)
Der Arzt - so meint Selye - versteht unter StreB die gewohnlichen Auswirkungen irgendeines Reizes, dem der Patient ausgesetzt war. StreB ist also gleichzusetzen mit jenen kOrperlichen Veranderungen, die durch Stressoren6 (z.B. nervose Spannung, Verletzung, Mite) verursacht wurden. (vgl. Selye 1974, S. 199)
Selye sah sich von seiten anderer Wissenschafter oft dem Vorwurf ausgesetzt, die psychologische Seite des StreB zu vernachlassigen.
John Mason, der sich mit der StreStheorie Selyes sehr ausfUhrlich auseinandersetzte, "schlagt vor, als den gemeinsamen Nenner der Stressoren ,janz einfach die Aktivierung "des physiologischen Apparates" anzusehen, der bei GefUhlsregungen oder Erregungszustanden beteiligt ist, die als Reaktion auf bedrohende oder unangenehme Gegebenheiten in der Lebenssituation im ganzen genommen auftreten". Selye selbst schreibt 1974, daB Gemlitsregungen beim Menschen mit seinem hochentwickelten Nervensystem die am haufigsten auftretenden Stressoren sind. (vgl. Selye 1974, S. 61)
Selye beschaftigte sich vor allem damit, wie sich die Zellen und Organe im Korper verhalten, wenn irgendein Stressor die Homoostase7 gefahrdet, und wie eigens von der Natur dafiir vorgesehene Mechanismen schleunigst jede dieser St8rungen bewerten, um je nach dem Grad ihrer Bedrohlichkeit damit fertig zu werden und so das harmonische Gleichgewicht schnellstens wieder herzustellen. (vgl. Selye 1974, S. 18)
2. Psychologische Streadefinition
Cofer und Appely definieren StreB als "einen Zustand des Organismus, der dann eintritt, wenn das Individuum erkannt hat, daB sein Wohlbefinden (oder seine Integritat) in Gefahr ist und daB es alle verfUgbare Energie zu seinem Selbstschutz und seiner Selbstverteidigung aufwenden muB". (Martin 1976, S. 482 zit. nach: Worliczek/Sluga 1994, S.19)
Lazarus versteht unter dem "Begriff StreB jedes Ereignis, in dem auBere oder innere Anforderungen (oder beide) die Anpassungsfahigkeit eines Individuums, eines sozialen Systems oder eines organischen Systems beanspruchen8 oder libersteigen". (Lazarus/Launier 1981, S. 226) Diese Definition trennt nicht mehr zwischen den einzelnen Konzepten, sie bezieht sich sowohl auf soziale, individuelle bzw. psychologische und organische bzw. physiologische Systeme.
Im Rahmen dieses Konzepts schlieSt StreB eine Transaktion ein, in der Fahigkeiten mobilisiert werden mUssen. "In psychologischer Sicht setzt StreB die Feststellung voraus, daB die Transaktion ein Risiko (Bedrohung), Schadigung/Verlust oder eine Gelegenheit beinhaltet, die Probleme zu Uberwinden und sich weiterzuentwickeln (Herausforderung), indem mehr als die normalen Fahigkeiten aktiviert werden". (Lazarus/Launier 1981, S. 226)
Das bedeutet, so lange das Individuum das Gefahl hat, eine Anforderung9 mit seinen vermeintlichen Fahigkeiten zu bewaltigen, fUhlt es sich herausgefordert und wird versuchen zu "kampfen". In dem Augenblick aber, in dem es seine eigenen Miiglichkeiten negativ bewertet, wird es sich von der Situation Uberwaltigt fUhlen und sich sozusagen "geschlagen" geben. Wie stressend jene Situation in letzter Konsequenz fur das Individuum wird, ist wiederum abhangig von ganz individuellen Bewertungsprozessen.
3. sozialpsychologische Strendefinition
In sozialpsychologischer-soziologischer Sicht heiBt es:
"Wenn StreB nicht bloB durch naturgegebene, sondern maBgeblich durch gesellschaftlich vorgeformte EinflUsse ausgelOst wird, heiBt das, daB die jeweilige Gesellschaft den StreB ihrer Mitglieder produziert und daftir auch grundverantwortlich ist". (Nitsch 1981b, S. 122)
Im Hinblick auf die individuellen StreBreaktionen muB berticksichtigt werden, daB uns in sozialen Lernprozessen Wertvorstellungen vermittelt und Verhaltensmuster eingeUbt werden, die unsere Wahrnehmung und somit die Auseinander-setzung mit unserer Umwelt nachhaltig beeinflussen. Das heiBt also, die Wahrnehmung von Stressoren sowie die individuelle Reaktion darauf sind sozial vermittelt. Von klein auf lehrt man uns welche Werte, Normen und Ziele die richtigen sind. VerstOBe gegen gesellschaftliche Prinzipien haben Sanktionen zur Folge. Unser SozialisationsprozeB und auch das Leben mit und in dieser Gesellschaft birgt ein enormes StreBpotential.
"Nach Pepitone (1967) entsteht StreB insbesondere auch bei sozialer Beeintrachtigung sog. "Selbstmotive" (self-based motives) und darauf bezogener Selbsteinschatzungen, d.h.
- wenn es nicht gelingt, durch sozialen Vergleich eine genaue Selbstbewertung (self-evaluation) vorzunehmen,
- wenn man daran gehindert wird, sich seiner Selbsteinschatzung entsprechend zu verhalten und somit Selbstbestatigung (self-validation) zu erreichen,
- wenn man in seiner Selbstverwirklichung (self-improvement) z.B. durch Erschwerung des sozialen Aufstiegs beeintrachtigt und damit auch eine Verbesserung der Selbsteinschatzung gefahrdet wird.
Von sozialem StreB im engeren Sinne sollte man jedoch erst dann sprechen, wenn man sich in seiner sozialen Existenz und Handlungsfahigkeit in Frage gestellt sieht, d.h. die soziale Kompetenz und Identitat einer Person bedroht, beeintrachtigt oder ungewin sind". (Nitsch 1981b, S.123f)
Nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang ist auch der Umstand, daB soziale Verhaltensvorschriften und Interaktionen zwar zum einen StreB beganstigen, aber andererseits auch als StreBmoderatoren wirken, d.h. zur Verminderung von StreB beitragen konnen. So kann z.B. der in der Arbeit verursachte StreB (mangelnde Kooperations-bereitschaft der Kollegen, Unf8higkeit der Sekretarin, ungerechte Leistungseinschatzung durch den Vorgesetzten, ...) durch anschlieBende Gesprache im Rahmen der Familie oder mit Freunden in seiner anfanglich extrem negativen Wirkung auf das personliche Wohlbefinden stark abgeschwacht, vielleicht sogar ins Gegenteil umgewandelt werden (was anfangs zum Weinen war, wird zuletzt nur mehr als lustig empfunden).
Zusammenfassend lassen sich die so zahlreichen und verschiedenen StreBmodelle jedenfalls zwei Hauptrichtungen zuordnen. Der Aktivierungstheorie, zum einen, kOnnen jene Konzepte zugeordnet werden, die StreB als Ergebnis von Homoostaseverschiebungen infolge einer Uber- bzw. Unterstimulierung ansehen (z.B. Levi in Orientierung an Selye, Frankenhaeuser).
Das Imbalance-Modell von McGrath, als zweite Hauptrichtung, orientiert sich an Lazarus und sieht die StreBgenese als Resultat einer Inkongruenz zwischen Anforderungen der Umwelt und Fahigkeiten des Individuums, wobei die individuellen Interpretationen und Antizipationen, die Wahrnehmung einer Situation und eine entsprechende Bewertung durch das Individuum eine ganz entscheidende Rolle spielen. (vgl. Udris 1981, S. 393f)
1.2.3. Allgemeine Definition von StreB
Zusammenfassend laBt sich StreB somit wie folgt definieren:
StreB ist ein
individueller Zustand, der durch
Stressoren, vermittelt aber
psychische Prozesse, ausgelost wird und zu den
verschiedensten StreBreaktionen auf
korperlicher und/oder psychischer Ebene flihrt.
StreB
Ich schlieBe mich hier der Auffassung Selyes an, der far die Ausloser (das Agens) von StreB den Begriff "Stressoren" vorschlagt und das Wort "StreB" dem Zustand an sich vorbehalt. StreB als einen Zustand zu betrachten kommt meiner Ansicht nach nicht nur der umgangssprachlichen Auffassung von StreB entgegen, sondern nicht zuletzt wohnt auch den meisten transaktionistischen Konzepten implizit ebenfalls eine reaktive Komponente inne. (vgl. Semmer 1992, S. 745)
Individueller Zustand
Ob und in welcher Intensitat eine Situation far ein Individuum stressig ist, ist abhangig von seiner biologischen, psychischen und sozialen Predisposition.
Bei diesem Zustand handeit es sich um ein durch Stressoren verursachtes Ungleichgewicht zwischen ganz individuellen Soll- und Istwerten, in dem das Individuum mehr oder weniger bewuBt alles unternimmt, um auf psychischer und/oder physiologischer Ebene wieder ein Gleichgewicht oder zumindest einen far das Individuum akzeptablen Zustand herzustellen.
Die Art und Intensitat der StreBreaktion ist wiederum abhAngig von ganz individuellen Bewertungsprozessen und Einstellungen.
StreBstandardsituationen gibt es demnach nicht. Es ktinnen nur solche Situationen ausfindig gemacht werden, die innerhalb eines bestimmten Rahmens von einer Mehrzahl von Individuen stressend empfunden werden. Das StreBgeschehen laBt sich allgemein darstellen als eine Funktion aus Person und Situation.
Stren=f{Person,Situation}
Persdnlichkeitsmerkmale: z.B. Belastbarkeit, Fahigkeiten, Fertigkeiten, Rollenwahrnehmung, Konnen.
Situationsdeutung: z.B. Kausalattribution, Einschdtzung der Situation als vorftergehend, als beherrschbar, als herausfordernd,etc. (vgl. Wiswede 1991, S. 227)
Weiters ist zu fragen, inwieweit sich das Individuum seine eigenen Stressoren (ver-) schafft, sich also selbst unter StreB setzt. "Dies geschieht insbesondere im Falle intrinsischer Motivation10, namlich dann, wenn das Individuum sich seine eigenen Leistungsziele setzt und sein Anspruchsniveau standig erhoht (SelbststreB)". (Wiswede 1991, S. 227)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darst. 4: Streageschehen (vgl. Wiswede 1991, S. 227) Stressor
Wie bereits andernorts erwahnt versteht man unter einem Stressor alles, was StreB erzeugt. Levi unterscheidet physikalische (z.B. Lam) und psychosozialen11 Stressoren. "Psychosoziale Reize (z.B. Akkordarbeit, Korrekturlesen, Auftritt vor einem Auditorium) werden hinsichtlich ihrer Natur in spezifische und unspezifische unterteilt. Die spezifischen Reize haben selbst nur geringe oder keine Wirkung, sie erhalten nur dadurch Bedeutung, daB sie als Signale oder Symbole wirksam werden. Art und Starke der durch sie hervorgerufenen psychischen und physiologischen Reaktionen hangen im wesentlichen von der vorangegangenen individuellen Erfahrung ab. Unspezifische psychosoziale Reize beeinflussen die Mechanismen fast jeder Person unabhangig von ihrer vorangegangenen Erfahrung, wobei die Reaktionsstarke von Individuum zu Individuum betrachtlich variieren kann". (Levi 1981, S. 194)
Huber bietet einen guten Oberblick Uber die verschiedenen Stressoren (vgl. Darst. 5). Die Stressorwirkung ist je nach Individuum unterschiedlich. Die individuelle StreBdosis ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Intensitat, Zeitdauer und Vielfaltigkeit der auf die Person einwirkenden Stressoren. Haufig wird genau jene Vielfalt in ihrer gebandelten Einwirkung auf die Person unterschatzt. (vgl. Huber 1986, S. 97) "Eine anhaltende Belastung durch kleine Reize kann zur gleichen Endreaktion faren wie eine kurze Einwirkung sehr starker Stressoren". (Vester 1993, S. 89)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darst. 5: Stressoren nach Huber (vgl. Huber 1986, S. 97) StreBreaktion
Im physiologischen Bereich erfolgt die StreBreaktion zum einen auf neuraler Ebene (Zentralnervensystem) und zum anderen bezieht sie das System der endokrinen DrUsen (neurohumoraler Bereich) mit ein. Beide Vorgange sind voneinander abhangig und haben doch unterschiedliche Bedeutung ftir das Anpassungsgeschehen des Korpers.
Nervose Prozesse sind vor allem dort wichtig, wo es auf eine schnelle und gezielte Innervation12 bestimmter Organe ankommt, wahrend hormonale Vorgange dort wichtig werden, wo es auf die Gesamtreaktionen und Dauerwirkungen ankommt. (vgl. Nitsch 1981b, S. 58f)
"Die Wirkung eines Stressors in physiologischer Sicht ist von folgenden Faktoren abhangig (vgl. hierzu auch Cofer & Appley, 1964, S. 449 zit nach: Nitsch 1981b, S. 59):
- Der unmittelbaren SchfidlichkLit des Stressors (z.B. Gewalteinwirkung, pharmakologische Einflasse);
- der grundsatzlichen Sensibilittit des Organismus far den jeweiligen Stressor in Abhangigkeit von GewOhnungseffekten;
- der organismischen Ausgangslage zum Zeitpunkt der Einwirkung des Stressors, wobei die Ausgangslage von dispositionellen (z.B. Verschiebung der vegetativen Funktionslage nach langfristigem sportlichen Ausdauertraining; "vegetative Labilitat") und aktuellen Variationen (tagesrythmische Schwankungen, Grad der Vorbeanspruchung, Zusatzeinflasse durch Stimulantien wie Kaffee, Nikotin und Alkohol) abhangt;
- den funktionalen Beziehungen zwischen den involvierten Systemen im Sinne positiver (verstarkender) oder negativer (abschwachender) Rlickkoppelungen;
- den konkreten Anpassungsanforderungen und -zielen (Kurzzeit- bzw. Langzeitanpassung)". (Nitsch 1981b, S. 59)
In der allgemeinen Steuerung der StreBreaktion kommt dem Hypothalamus eine herausragende Rolle zu, da die physiologische StreBreaktion als ein ProzeB gesehen wird, "der durch ein starkes Erregungsniveau im Hypothalamus primar ausgelost wird". (Schaefer, 1975, S. 114 zit. nach:
Nitsch 1981b, S. 65) Der Hypothalamus integriert die Funktionen des somatischen, vegetativen, hormonellen und zentralen Aktivierungssystems und bildet die entscheidende Stelle flit' die im Rahmen der physiologischen StreBreaktion so bedeutende Umschaltung nerv8ser Erregung in hormonelle Reaktionen. (vgl. Nitsch 1981b, S. 65)
Wie schon erwAhnt sind das StreBgeschehen und die damit verbundenen Prozesse von Mensch zu Mensch verschieden. Im Hinblick auf die individuelle StreBreaktion sind die jeweilige erbgenetische Ausstattung, Erfahrungen und Lernprozesse von Bedeutung. Diese individuellen Reaktionsbesonderheiten wirken sich vor allem in der Schwellensenkung fUr bestimmte Reize, der Tendenz zu vorwiegend sympathischer bzw. parasympathischer Reaktion und der Organwahl bei psychosomatischen StOrungen aus. (vgl. Nitsch 1981b, S. 81)
Das vegetative Nervensystem kann als ein Bindeglied zwischen unseren seelischen und k8rperlichen Vorgangen angesehen werden. Die sympathischen und parasympathischen Nervenfunktionen stellen zwei gegens&tzliche Systeme dar. "Die Aktivierung des Sympathikus hat zwangslaufig die Aktivierung des Parasympathikus zur Folge und umgekehrt. Das sympathische System ist das System der "Aktionen", der Sofortreaktionen, das in akuten Situationen alle erforderlichen Reaktionen des KOrpers zur Auseinandersetzung mit dem Problem, eventuell mit einer Gefahr einleitet. Der Parasympathikus (Vagus) wieder aktiviert alle Vorgange, die der Erholung, der Verdauung und dem Aufbau gelten". (Eggetsberger/Eder 1992, S. 46) Das Wechselspiel dieser beiden Systeme sorgt normalerweise fUr Harmonie und Ausgeglichenheit und bewahrt so den Organismus vor Schaden. Dauernde StreBbelastung kann zu einer Verschiebung in Richtung eines dieser Systeme fUhren und zu den typischen psychosomatischen Reaktionsweisen eines Sympathikotonikers oder eines Vagotonikers.
Zu den fUr den Sympathikotoniker typischen Erkrankungen werden Ublicherweise Erkrankungen des GefAB- und
Kreislaufsystems, Herzinfarkte und Bluthochdruck gezahlt, wahrend die vagotonische Reaktionsweise eher mit Erkrankungen des Magen-, Darmtrakts, niedrigem Blutdruck und Bronchialasthma korreliert. (vgl. Eggetsberger/Eder 1992, S. 52f)
Die psychische StreBreaktion ist weitestgehend von den Wertungsdispositionen des betroffenen Individuums abhangig. "Stressende Bewertungen treten als Schadigung/Verlust13, Bedrohung14 und Herausforderung auf, wobei alle drei eine gewisse negative Bewertung des eigenen gegenwartigen oder zuktinftigen Wohlbefindens einschlieBen, Herausforderung aber die am wenigsten negative und am meisten positive Gefahlshaltung aufweist". (Lazarus & Launier 1981, S. 235f)
Bei der Entstehung der psychologischen StreBreaktion bilden die Fahigkeiten, die eine Person far verfUgbar halt und psychologisch den vorhandenen Gefahren und Schadigungen gegentiberstellt, einen entscheidenden kognitiven Faktor. "Eine potentielle Schadigung ist Bann keine Schadigung, wenn die Person damit leicht fertig werden kann, und wenn sie so bewertet wird, entsteht nur geringe oder gar keine Bedrohung". (Lazarus & Launier 1981, S. 240)
Psychologischer StreB bedeutet, daB die Person (oder das Tier) sich in Gefahr befindet und sich physiologisch mobilisieren muB, um die Situation zu bewaltigen (vgl. Selye, Cannon). Anders ausgedrlickt: Als Reaktion auf psychologischen StreB erfolgt eine physiologische Mobilisierung. (vgl. Lazarus & Launier 1981, S. 249)
[...]
1 ) vgl. hierzu "okonomismus": die "Vernachlassigung "auBerokonomischer" Ziele (z.B. Wirkungen unternehmerischer Wachstumsziele auf die Umweltbedingungen, Vereinbarkeit wirtschaftlicher Ziele mit der Verwirklichung bestimmter Grundrechte der am ProduktionsprozeB Beteiligten) zugunsten der Konstruktion eines autonomen Systems wirtschaftlicher Werte". (Raffee 1993, S. 47f)
2 ) Anm. d. Verf.: In Zeiten, in denen zwar oft von der Gleichstellung der Geschlechter die Rede ist, emanzipatorische semiihungen jedoch leider nach wie vor im Keim erstickt werden, habe ich mich bemliht meinen Text maglichst geschlechtsneutral zu verfassen. Sollte es mir jedoch trotzdem passiert sein, der mannlichen Wortform den Vorrang gelassen zu haben, bitte ich die weibliche Form gedanklich zu erganzen. Es kann sich hierbei nur um die Folge einer schlechten Angewohnheit, infolge stark mannlicher Gesellschaftspragung handeln, und war selbstverstandlich keineswegs beabsichtigt.
3 ) Belastung: Objektive von auBen auf den Menschen einwirkende GroBen, die unabhangig von ihrer Auswirkung auf den Menschen definiert werden. (vgl. Gebert/Rosenstiel 1992, S. 106)
4 ) ad 1) vgl. Duden 1986, S. 662; Duden 1982, S. 730; Der groBe Knaur 1983, S. 7727; Pons 1991, S. 552; Pschyrembel 1982, S. 1150; Schmitt 1992, S. 2, S. 17; Selye 1957, S. 14; Selye 1974, S. 18; Lazarus 1981 a, S. 198f; Juli/Engelbreoht et al. zit. nach: Mann 1987, S. 24; Udris/Frese 1988, S. 428. ad 2) vgl. Duden 1986, S. 662; Duden 1982, S. 730; Lexikon der Medizin 1977, S. 196; Meyers o.J., S. 840; Hofmann 1991, S. 132; Reimann/Brock 1991, S. 33; Troch 1979, S. 129, Selye 1974, S. 18; Gebert/Rosenstiel 1992, S. 59; Semmer 1992, S. 744; Peseschkian 1986, S. 26; Blohmke 1986, S. 53; Nitach 1981a, S. 40; Lazarus/Launier 1981, S. 214. ad 3) vgl. Lazarus zit. nach: Staehle 1991, S. 230ff; Lazarus 1981, S. 198f; Sohwarzer 1981 zit. nach: Mann 1987, S. 42f; McGrath 1976 zit. nach: Mann 1987, S. 44; Pullig 1986, S. 7f; Wengle 1986, S. 112f; Rutenfranz 1981, S. 387; Harrison (1978) zit. nach: Wiswede 1991, S. 228. ad 4) vgl. Peseschkian 1986, S. 37; Selye 1957, S. 14; Schasfoort-Spanbroek 1993, S. 14; vgl. Duden 1986, S. 662. ad 5) vgl. Pschyrembel 1982, S. 1150; Selye 1957, S. 14; Cooper 1981, S. 285f. ad 6) vgl. Vester 1993, S. 15. ad 7) vgl. Cofer/Appely zit. nach: Worliczek 1994, S. 19; Lazarus 1981, S. 198f. ad 8) vgl. Lazarus 1981, S. 198f. ad 9) vgl. Semmer 1992, S. 744. ad 10) vgl. Pullig 1986, S. 7. ad 11) vgl. Udris/Frese 1988, S. 428. ad 12) vgl. Schienstook et al. 1979, S. 197ff. ad 13) vgl. Graumann 1969, S. 96 zit. nach: Nitsch 1981a, S. 48.
5 ) "Unspezifisch: Eine unspezifisch gebildete Veranderung beteiligt alle oder die meisten Teile des Organismus ohne bestimmte Auswahl. Sie ist das Gegenteil einer spezifischen Veranderung, die nur eine oder hdchstens ein paar Einheiten eines Systems erfant. Eine in unspezifischer Weise verursachte Veranderung kann durch viele oder alle Agenzien hervorgerufen werden". (Selye 1974, S. 200)
6 ) "Stressor: Alles, was Stress erzeugt". (Selye 1974, S. 199)
7 ) "Homelostase (homoios=gleich; stasis=Stand, Position). Die Fahigkeit des Korpers, trotz alley auBeren Veranderungen das Gleichgewicht seiner Funktionen aufrechtzuerhalten; physiologische Stabilitat". (Selye 1974, S. 195)
8 ) Beanspruchen: "in Anspruch nehmen" oder "einen Aufwand erforderlich machen", egal ob dieser Aufwand nun groB oder klein ist oder in welcher Form auch immer er auftritt. (vgl. Lazarus/Launier 1981, S. 226) Unter Beanspruchung versteht man die Art und Intensitat der Auswirkungen von Belastungen, also die Folge der Belastung flir den Menschen. (vgl. Gebert/Rosenstiel 1992, S. 106)
9 ) Anforderungen: "Umweltbedingte Anforderungen sind externe Ereignisse, welche eine Anpassung erforderlich machen und im Falle des miBerfolgs einer entsprechenden Handlung zu negativen Konsequenzen flihren. Interne Anforderungen beziehen sich auf erstrebenswerte Ziele, Werte, Wertungsdispositionen, Programme oder Aufgaben, die einem Individuum, einem sozialen oder einem organischen System immanent sind oder von ihnen erworben wurden und deren Vereitelung oder Aufschub negative Folgen oder Begleiterscheinungen haben wUrde". (Lazarus/Launier 1981, S. 226f)
10 ) Bei intrinsischer Motivation liegen die Verhaltensursachen mehr im Inneren des Menschen selbst (z.B. SpaB an der Tatigkeit, Freude an der Leistung), wahrend bei extrinsischer Motivation die angenommenen Ursachen fur ein bestimmtes Verhalten in der Umwelt der Person liegen (z.B. Angst vor Bestrafung, Suche nach Anerkennung durch andere). (vgl. Mayerhofer 1993, S. 3)
11 ) Psychosoziale Reize: Reize, die aus sozialen Beziehungen oder Konstellationen (d.h. aus der Umwelt) stammen und den Organismus Uber zentralnervese Prozesse beeinflussen. (vgl. Levi 1981, S. 189)
12 ) Innervation: Versorgung eines Korperteiles mit Nerven; Leitung der Reize durch die Nerven zu den Organen (Med.). (vgl. Duden Bd. 5 1982, S. 345)
13 ) Schddigung/Verlustt "bezieht sich auf eine bereits eingetretene Schadigung, z.B. eine fortwahrend unrealisierbare kurz- oder langfristige Wertungsdisposition, ein erschlittertes Selbst- und Weltbild, eine Storung des SelbstwertgefUhls oder der sozialen Anerkennung, einen zwischenmenschlichen Verlust oder eine beeintrachtigende Verletzung usw". (Lazarus/Launier 1981, S. 235)
14 ) Bedrohungt "Betrifft eine Schadigung oder einen Verlust, die noch nicht eingetreten sind, sondern antizipiert werden". (Lazarus/Launier 1981, S. 235)
- Arbeit zitieren
- Mag. Sabine Seiter (Autor:in), 1997, Krank an Organisationen - Inhumane und inkommunikative Strukturen führen zu Dauerstress, Krankheit und verminderter Leistungsfähigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124391
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