Da ein Kind nicht von Anfang an über Sprache verfügt, kann davon ausgegangen werden, dass „die entscheidenden Faktoren [für den Beginn] der Sprachentwicklung […] nicht im äußeren Milieu des Kindes [liegen], sondern in den Reifungsprozessen des wachsenden Organismus (anlagebedingt) zu suchen sind. Es handelt sich bei den sprachlichen Abläufen um arttypische motorische Koordinationen, d.h. um Erbkoordinationen“ (Wirth, 1994, S.89). Da deren genauere Betrachtung nicht Ziel dieser Arbeit ist und darüber hinaus den Rahmen dieser sprengen würde, werden sie im folgenden Kapitel nur am Rande erwähnt, so dass man sich mehr mit den Grundlagen der kindlichen Sprachentwicklung befassen kann, wobei auch hier aufgrund der Literaturfülle das Thema auf die wesentlichen Merkmale eingegrenzt wurde. Im darauf folgenden Kapitel soll der Begriff ‚Sprach- bzw. Sprechstörungen’ (allgemein) er-läutert werden, worauf ein Überblick über deren Systematik (und Ursachen) erfolgt, so dass die sich anschließenden Kapitel 4 und 5 mit den Sprachstörungen ‚Stottern’ bzw. ‚Lispeln’ spezieller befassen. Am Ende eines jeden speziellen Kapitels soll versucht werden, Anregungen und Tipps zur Hilfestellung bei der Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen zu geben. Letztendlich erhoffen wir uns mit der vorliegenden Broschüre, dass Sie (als Zielgruppe) am Ende ein erstes Wissen und erste Kenntnisse über Sprachstörungen erwerben konnten, um ggf. rechtzeitig solche zu erkennen, mit fachlicher Hilfe zu entscheiden, ob es sich um eine Störung handelt, bei der eine individuelle Behandlung des Kindes notwendig wird, und eine (gezielte) Sprachförderung in Gang setzen zu können.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
2 Kindliche Sprachentwicklung – Grundlagen
3 Sprachstörungen im Überblick
4 Stottern
4.1 Definitionen, Merkmale und begriffliche Ab- grenzungen des Stotterns
4.2 Erscheinungsformen sowie Symptome des St otterns
4.3 Aspekte zur Epizootiologie des Stotterns
4.4 Hinweise für Erzieher und Lehrer im Umgang mit stot- ternden Kindern
5 Sigmatismus
5.1 Wesen von Sigmatismen
5.2 Übersicht der Arten von Sigmatismen
5.2.1 Psychisch bedingte Sigmatismen
5.3 Schlussfolgerungen aus pädagogischer Sicht
6 Literaturverzeichnis
Vorwort
Immer mehr Kinder im Vorschulalter haben Schwierigkeiten beim Sprechen, reden undeutlich oder verwaschen, können bestimmte Laute nicht bilden, sich oft gar nicht richtig ausdrücken, sie stottern oder verweigern völlig die Kommu-nikation. Entwickeln sich die oben genannten Sprachauffälligkeiten zu einer Epi-demie?
Störungen des Sprechens und der Sprache sind in den letzten Jahren stark in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt, was durch den ein-helligen Tenor der Schlagzeilen vieler Printmedien und vieler Radio- und Fern-sehberichterstattungen widergespiegelt wird: Bei etwa jedem fünften Vorschul-kind bzw. Schulanfänger in Deutschland stellen Ärzte heute Sprachstörungen fest[1]. Waren Mitte der 70er Jahre gerade einmal 4-5% einer Jahrgangspopu-lation sprachentwicklungsgestört, so sollen heutzutage ca. 20-25% einer Jahr-gangspopulation Sprachauffälligkeiten aufweisen. Dies mag damit zusammen-hängen, dass solche Sprachstörungen an Häufigkeit zugenommen haben, deren Zunahme eventuell aber auch auf bessere Erkennungsmethoden und verbreitete statistische Erhebungen zurückzuführen ist.
Dennoch lässt sich die Tatsache, dass Kinder, die im Vorschulalter sprachliche Auffälligkeiten aufweisen, ein erhöhtes Risiko für einen erschwerten Schrift-spracherwerb und daraus resultierend weitere schulische Probleme haben, nicht von der Hand weisen, so dass die Ergebnisse der statistischen Erhe-bungen alarmierend genug sein sollten, um sich dem Themenfeld der Sprach-entwicklung und -förderung von Kindern – aber auch Jugendlichen – gezielt zu widmen.
Das vorliegende Material als Informationsbroschüre ist vorrangig an Eltern, Familienangehörige, Schüler und Studenten gerichtet, um eventuell einen (kleinen) Beitrag zur Prävention und Früherkennung von Sprachstörungen leisten zu können.
1 Einleitung
Die Fähigkeit, Sprache[2] verstehen und als Kommunikationsmittel nutzen zu können, ist eine faszinierende und komplexe Leistung – allen voran in der Ent-wicklung der Kinder. Da heutzutage sprachliche Kompetenzen die Grundlage für schulische Leistungen und die Chancen bilden, sich überhaupt an Bildung zu beteiligen, ist es zum einen wichtig über eine belastbare Stimme zu verfügen, um die Grundvoraussetzung für alle Berufe zu besitzen, in denen viel gesprochen werden muss, zum anderen aber vielleicht mehr für die erfolgreiche Kommunikation und soziale Interaktion (Kooperation) mit anderen Menschen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Integration.
Da ein Kind nicht von Anfang an über Sprache verfügt, kann davon ausge-gangen werden, dass „die entscheidenden Faktoren [für den Beginn] der Sprachentwicklung […] nicht im äußeren Milieu des Kindes [liegen], sondern in den Reifungsprozessen des wachsenden Organismus (anlagebedingt) zu suchen sind. Es handelt sich bei den sprachlichen Abläufen um arttypische motorische Koordinationen, d.h. um Erbkoordinationen“ (Wirth, 1994, S.89). Da deren genauere Betrachtung nicht Ziel dieser Arbeit ist und darüber hinaus den Rahmen dieser sprengen würde, werden sie im folgenden Kapitel nur am Rande erwähnt, so dass man sich mehr mit den Grundlagen der kindlichen Sprachentwicklung befassen kann, wobei auch hier aufgrund der Literaturfülle das Thema auf die wesentlichen Merkmale eingegrenzt wurde. Im darauf fol-genden Kapitel soll der Begriff ‚Sprach- bzw. Sprechstörungen’ (allgemein) er-läutert werden, worauf ein Überblick über deren Systematik (und Ursachen) erfolgt, so dass die sich anschließenden Kapitel 4 und 5 mit den Sprach-störungen ‚Stottern’ bzw. ‚Lispeln’ spezieller befassen.
Am Ende eines jeden speziellen Kapitels soll versucht werden, Anregungen und Tipps zur Hilfestellung bei der Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen zu geben. Letztendlich erhoffen wir uns mit der vorliegenden Broschüre, dass Sie (als Zielgruppe) am Ende ein erstes Wissen und erste Kenntnisse über Sprachstörungen erwerben konnten, um ggf. rechtzeitig solche zu erkennen, mit fachlicher Hilfe zu entscheiden, ob es sich um eine Störung handelt, bei der eine individuelle Behandlung des Kindes notwendig wird, und eine (gezielte) Sprachförderung in Gang setzen zu können.
2 Kindliche Sprachentwicklung
Die „normale“ Sprachentwicklung[3] eines Kindes verläuft über Jahre, allerdings können markante Eckdaten in dieser Entwicklung nachgewiesen werden. So stellt beispielsweise das erste Schreien eines Säuglings den Beginn der Sprachentwicklung dar.
Um Ihnen die (kindliche) Sprachentwicklung in ihren Grundzügen näher zu bringen, möchte ich mich auf den „Sprachbaum“ von Wendlandt (1992) be-ziehen, da ich denke, dass diese Metapher die vier ihr zugrunde liegenden Denkrichtungen des kindlichen Spracherwerbs – Nativismus, Behaviorismus, Kognitivismus und Interaktionismus – (mit seinem Verlauf und seinen wesent-lichen Merkmalen) zusammengefasst mit am besten und verständlichsten dar-stellt.
Man stelle sich nun einen Baum vor, dessen Wurzeln, die dem „Zögling“ Halt, Kraft und Sicherheit in einer wachstumsfördernden Umwelt geben, die drei Be-reiche der grundlegenden Entwicklungsprozesse symbolisieren, die ein Kind durchlaufen muss, um später über die Fähigkeit zu verfügen, Sprache (über-haupt) erwerben und (situationsgerecht) anwenden zu können. Darunter werden die sensomotorische (Hören, Sehen, Tasten, Schreien bzw. Lallen, Grob-/Feinmotorik), sozialemotionale (Beschäftigung, Fürsorge, Interaktion, Kontakt) und die geistige Entwicklung (Wiedererkennen, Erinnern, Unter-scheiden, Zuordnen, Erfassen) des Kindes verstanden. Erst wenn die oben genannten Fähigkeiten und Entwicklungsprozesse miteinander in Beziehung gesetzt werden können, erst wenn die sensomotorische Integration (bis ca. 6. Monat) stattgefunden hat, ist das Kind überhaupt in der Lage Sprache (störungsfrei) zu erwerben. „Dass die Entwicklung der Sprache ohne Beein-trächtigungen erfolgen kann, setzt neben intakten peripheren Sprechorganen und einem intakten Gehör die Unversehrtheit bestimmter Teile des Gehirns und des übrigen Nervensystems voraus“ (Eberle, 1989, S. 357)[4].
Der sich aus diesen anlagebedingten Faktoren entwickelnde Stamm stellt die Sprechfreude und das Sprachverständnis dar, welche die Voraussetzung(en) für das Ausdifferenzieren der Sprache bilden. Da Kinder von Natur aus neugierig und unternehmungslustig sind, kann sich die Kommunikationsfähig-keit in den ersten Lebensmonaten rapide entwickeln, vorausgesetzt man lässt sich auf das kindliche Bemühen ein. Kinder beginnen bereits in den ersten Lebensmonaten, nachdem das reflexhafte Schreien bei Hunger, Schmerz etc. abgeklungen ist, mit Lautbildungen, i.d.R als Ausdruck von Wohlbefinden. Ab ca. dem 6. Monat werden Laute aus der Umgebung nachgeahmt, ohne dass sie deren Bedeutung kennen („Echolalie“[5]). Die Sprechfreude ist bei allen Kinder in dieser Phase gleich; das Sprachverständnis, welches sich ab dem 9. bzw. 10. Lebensmonat entwickelt, dient dazu, dass Kinder mit (größter) Aufmerksamkeit ihre Merkfähigkeit für Laut- und Wortklänge entwickeln, so dass hier bei der lexikalischen Entwicklung vom (frühen) Worterwerb gesprochen wird. Die Fähigkeit, Sprache zu verstehen ist demnach viel eher ausgebildet, als sie selbst sprechen zu können, was vergleichbar mit dem Erlernen einer Fremd-sprache sein könnte, da auch hierbei der passive Wortschatz anfangs größer sein wird als dessen aktive Nutzung.
Die Baumkrone, die die ausgebildete Sprache darstellt, untergliedert sich in die Bereiche Wortschatz, Artikulation und Grammatik; sie entfalten sich nebenei-nander und wachsen mit einem beachtlichen Tempo. Hierbei ist zu beobachten, dass das Kind zuallererst die Laute beherrscht, die im vorderen Mundbereich geformt werden (m,p), dann diejenigen des mittleren (l,n,t) und später des hinteren Mund- und Rachenbereichs (kr, gl). Anfangs nimmt das Kind nur Be-griffe von konkreten Dingen in seinen Wortschatz auf, welcher nach und nach durch den Erwerb von Wörtern abstrakter Konstruktionen erweitert wird (ab ca. 18. Lebensmonat).
Das Bild des Baumes ist nun vollständig; nur was braucht ein Baum, um auch wachsen bzw. reifen zu können? In unserem Bild stellen eine Gießkanne und die Sonne (Wärme, Liebe, Akzeptanz) das unabdingbare sprachfördernde Ver-halten der Eltern dar, wodurch das Kind in seiner Sprachentwicklung gefördert aber auch gehemmt werden kann – Fördern statt Fordern! Erst durch die tägliche Kommunikation[6] der Eltern mit dem Kind kann sich die Sprache ent-wickeln.
In der Regel sollte ein Kind bis zum Alter von sechs Jahren – dem Ende der Vorschulzeit – die Muttersprache weitgehend beherrschen, wobei Abwei-chungen bis zu einem halben Jahr durchaus möglich erscheinen, da nicht vergessen werden darf, dass jedes Kind in seiner Entwicklung individuell ist.
„Die sprachliche Leistung eines durchschnittlichen Kindes ist einerseits von der Art der sprachlichen Vorbilder, andererseits von der Genauigkeit der Auffas-sung des Gehörten bestimmt. […] Einzelkinder und Kinder alter Eltern sind anderen Kindern sprachlich voraus. […] Die Entwicklung sprachlicher Leis-tungen […] weicht von der Altersnorm ab. Da die physiologische Sprachent-wicklung nicht in fest begrenzten Stufen, sondern fließend verläuft, kann erst von einer Sprachentwicklungsverzögerung bzw. -störung gesprochen werden, wenn eine sprachliche Stufe im Gegensatz zur überwiegenden Mehrzahl gleich-altriger Kinder noch nicht erreicht ist“ (Wirth, 1994, S. 171 ff.).
Die nun nachfolgenden Sprach(entwicklungs-)störungen basieren auf Beein-trächtigungen des Spracherwerbsprozesses. Sie können alle Bereiche des Sprachsystems betreffen: das Lautsystem (Phonologie), den Wortschatz (Semantik), die Grammatik (Syntax) und allgemein die Kommunikationsfähig-keit (Pragmatik). Solche Störungen zeigen sich sowohl beim Verstehen und Sprechen, als auch in kommunikativen Situationen oder der Entwicklung von schriftsprachlichen Fertigkeiten, d.h. in allen expressiven und rezeptiven Moda-litäten.
3 Sprachstörungen
Unter Sprachstörungen werden alle Beeinträchtigungen der (kindlichen) Sprachentwicklung und des Sprachverhaltens verstanden, wobei es sich hier empfiehlt, die zentralen Sprach- bzw. Sprechstörungen, verursacht durch hirnorganische – in Verbindung mit sensomotorischen – Störungen, die sowohl vor als auch nach dem Abschluss des Spracherwerbs auftreten können, noch-mals abzugrenzen.
Je nach Schweregrad werden Sprachentwicklungsverzögerungen (SEV), Sprachentwicklungsstörungen (SES) und Sprachentwicklungsbehinderungen (SEB) unterschieden. Ich denke, dass sich an dieser Stelle eine Unterteilung der kindlichen Sprachstörungen in:
1. Störungen der Aussprache und Lautbildung – einzelne oder mehrere Laute werden falsch oder gar nicht gebildet (Alalie, Dysarthrie, Stammeln),
2. Störungen des Redeflusses – die Sprache ist im Regelfall gut verständlich, in bestimmten, meist psychisch belastenden Situationen vermag der Be-treffende sie jedoch nicht in der normalen Redeform anzuwenden (Stottern),
3. Störungen des Stimmklangs – der Klang (Aphonie, Dysphonie, Rhinolalie) oder das Volumen der Stimme sind gegenüber der üblichen Sprechweise verändert,
4. Störungen des Sprachaufbaus und der Sprache allgemein – die Sprech-fähigkeit bzw. das Sprachverständnis gehen völlig (Aphasie, Mutismus) oder teilweise (Dysphasie) verloren, es kann zum Verlust der Fähigkeit zu korrekter Satzbildung kommen (Agrammatismus) (Eberle, 1989, S.358)[7] empfiehlt.
Spezialisierte Testverfahren in der Diagnostik bei Sprachauffälligkeiten kommen aber erst dann zum Einsatz, wenn vorab allen voran Hörstörungen und hirn-organische Erkrankungen und/ oder Ursachen im sozialen, kulturellen oder emotionalen Bereich ausgeschlossen werden konnten.
[...]
[1] vgl. dazu: Der Tagesspiegel, 13.09.2003; Der Tagesspiegel, 22.04.2004; Die Tageszeitung, 19.02.2007.
[2] Sprache soll hier als System von Lauten (Phonologie), Wörtern (Morphologie) und Regeln für die Bildung von Sätzen (Syntax) verstanden werden, das am erfolgreichsten als verbale Kom-munikationsform des Menschen benutzt wird, neben nonverbalen Kommunikationsformen wie z.B. der Körpersprache, um sich mit anderen zu verständigen.
[3] „die Entwicklung der Fähigkeit, die Beziehungen sprachlicher Zeichen untereinander richtig zu gebrauchen, damit nicht-sprachliche Realitäten zutreffend zum Ausdruck zu bringen und diese Fähigkeit in kommunikativen Situationen angemessen zu verwenden (syntaktische, seman-tische und pragmatische Dimension der Sprache)“ (Eberle, 1989, S. 357).
[4] Vgl. hierzu Wirth, G., 1994, S. 37-88.
[5] „[…] auch als Echosprache bezeichnetes wörtliches oder leicht abgewandeltes, meist mecha-nisches Nachsprechen von Gehörtem“ (Eberle, 1989, S. 111).
[6] Sprachförderndes Verhalten der Eltern: Herstellen und Beibehalten des Blickkontaktes während eines Gespräches, zuhören und aussprechen lassen, Sprache anregen, aber nicht (vehement) nachsprechen lassen.
[7] Vgl. hierzu: Wirth, G., 1994, S.171-644.
- Citar trabajo
- André Lach (Autor), Nils Freund (Autor), Thomas Lemme (Autor), 2008, Sprach- und Sprechschwierigkeiten bei Kindern und Jugendlichen , Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124348
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