Das Thema dieser Arbeit ist in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen in den USA
hochaktuell. Dies zeigte sich zum Beispiel im August 2008, als die beiden
Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain beim evangelistischen
Prediger Rick Warren auftraten (vgl. Mink 2008: 2). Dass Politiker in den USA auf ihre
religiöse Standfestigkeit geprüft werden, ist eigentlich erstaunlich für eine säkulare
Gesellschaft, in der Religion grundsätzlich Privatsache ist. Doch ist die Geschichte der
USA geprägt von einem Kampf zwischen religiösen und säkularen Kräften (vgl.
Armstrong 2007: 126). Seitdem gegen Ende der Siebzigerjahre der Baptist Jerry Falwell
mit seiner 'Moral Majority' Ronald Reagan zur Wahl verhalf, ist jedem
Präsidentschaftskandidaten in den USA klar, wie stark der Einfluss der Religion auf die
Politik ist. Die heterogene Moral Majority bündelte religiösfundamentalistische,
neoliberale und militärische Kreise. Diese Koalition war möglich, weil die
Fundamentalisten längst nationalistische Motive in ihr Themenset aufgenommen hatten
(vgl. Armstrong 2007: 309) und weil viele von ihnen in einflussreiche Positionen
aufgestiegen waren (vg. Larsen 2005: 74).
Mit welchen Themen hatten die Fundamentalisten Erfolg? Die Moral Majority vertrat
die Kernthemen des Fundamentalismus – die Ablehnung des säkularen Humanismus
(vgl. Armstrong 2007: 381ff.). "Das durchgehende Thema fundamentalistischer
Gesellschaftskritik ist der moralische Verfall. Ihre Pamphlete und Reden richten sich in
Klagen über den Zerfall der Familie, Ehescheidungen, Ehebruch, Prostitution,
Homosexualität, Pornografie, Geschlechtskrankheiten, Alkoholismus, Glückspiel"
(Riesebrodt 2001: 256). Nancy T. Ammerman spricht von Fundamentalismus, wenn die
folgenden vier Merkmale vorhanden sind: Evangelikalismus, Unfehlbarkeit der Lehre,
Prämillenarismus1 und Separatismus (vgl. Ammerman 1992: 4ff.).
[...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Vorgeschichte
3 Die Blütezeit
4 Separatistischer Fundamentalismus
5 Politischer Fundamentalismus
6 Zusammenfassung und Fazit
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Das Thema dieser Arbeit ist in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen in den USA hochaktuell. Dies zeigte sich zum Beispiel im August 2008, als die beiden Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain beim evangelistischen Prediger Rick Warren auftraten (vgl. Mink 2008: 2). Dass Politiker in den USA auf ihre religiöse Standfestigkeit geprüft werden, ist eigentlich erstaunlich für eine säkulare Gesellschaft, in der Religion grundsätzlich Privatsache ist. Doch ist die Geschichte der USA geprägt von einem Kampf zwischen religiösen und säkularen Kräften (vgl. Armstrong 2007: 126). Seitdem gegen Ende der Siebzigerjahre der Baptist Jerry Falwell mit seiner 'Moral Majority' Ronald Reagan zur Wahl verhalf, ist jedem Präsidentschaftskandidaten in den USA klar, wie stark der Einfluss der Religion auf die Politik ist. Die heterogene Moral Majority bündelte religiösfundamentalistische, neoliberale und militärische Kreise. Diese Koalition war möglich, weil die Fundamentalisten längst nationalistische Motive in ihr Themenset aufgenommen hatten (vgl. Armstrong 2007: 309) und weil viele von ihnen in einflussreiche Positionen aufgestiegen waren (vg. Larsen 2005: 74).
Mit welchen Themen hatten die Fundamentalisten Erfolg? Die Moral Majority vertrat die Kernthemen des Fundamentalismus – die Ablehnung des säkularen Humanismus (vgl. Armstrong 2007: 381ff.). "Das durchgehende Thema fundamentalistischer Gesellschaftskritik ist der moralische Verfall. Ihre Pamphlete und Reden richten sich in Klagen über den Zerfall der Familie, Ehescheidungen, Ehebruch, Prostitution, Homosexualität, Pornografie, Geschlechtskrankheiten, Alkoholismus, Glückspiel" (Riesebrodt 2001: 256). Nancy T. Ammerman spricht von Fundamentalismus, wenn die folgenden vier Merkmale vorhanden sind: Evangelikalismus, Unfehlbarkeit der Lehre, Prämillenarismus[1] und Separatismus (vgl. Ammerman 1992: 4ff.).
Die Rückkehr der Religion, die oftmals mit dem 11. September 2001 in Verbindung gebracht wird, begann also Ende der Siebzigerjahre – und dies nicht nur in den USA. Im Jahr 1979 rief Ayatollah Khomeini in Iran eine islamische Republik aus. Zugleich griffen bewaffnete Moslems als religiöse Protestaktion gegen die saudische Herrscherfamilie die heilige Moschee in Mekka an (vgl. Küenzlen 1996: 52). Allerdings wurde diese Politisierung der Religion lange in der breiteren Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Die Neunzigerjahre waren noch von der Theorie vom Ende der Geschichte von Francis Fukuyama geprägt[2], und am 11. September kam die totgesagte Geschichte zurück – und mit ihr die politisierte Religion. Aber dies ist ja nicht das Thema dieser Arbeit.[3]
In dieser Arbeit soll die Geschichte und Entstehung des protestantischen Fundamentalismus in den USA untersucht werden. Allerdings ist das ein sehr breites Feld, zumal der Fundamentalismus einerseits heterogen ist, andererseits historisch in verschiedenen Varianten auftritt. Max Deen Larsen definiert als Grundmerkmal des Fundamentalismus einen Manichäismus, der in zwei Ausprägungen auftreten kann: Entweder die Gruppe zieht sich aus einer moralisch verfallenen Welt zurück oder sie nimmt den Kampf gegen das Böse auf (vgl. Larsen 2005: 72). Martin Riesebrodt unterscheidet einen "charismatischen" und "legalistisch-literarischen" Fundamentalismus (vgl. Riesebrodt 2001: 97-105). Diese idealtypische Differenzierung geht auf Max Weber zurück, der weltablehnende und weltzugewandte Religionen unterscheidet (vgl. Weber 1988a: 536f.). Das Modell der Idealtypen dient arbeitsmethodologischen Intentionen und ermöglicht den Vergleich. Die Schwäche besteht darin, dass die Idealtypen nie ganz mit der empirischen Wirklichkeit übereinstimmen.[4]
Diese Arbeit ist nach historischen Kategorien strukturiert: in die Vorgeschichte (die vor allem das spätere 19. Jahrhundert fokussiert, weiter zurück zu gehen, würde den Rahmen der Arbeit sprengen), in die Blütezeit (1900-1925), in die Separation (1925-1960) und die Erstarkung (1960-1979)[5]. Diese historische Struktur bedeutet nicht, dass der Fokus explizit historisch ist. Der religiöse Fundamentalismus wird auch soziologisch betrachtet als eine Konzeption, kollektive und programmatische Identität zu stiften – ein Prozess, der dann einsetzt, wenn traditionale, kollektive Identitäten sich auflösen (vgl. Niethammer 2000: 419). Martin Riesebrodt sagt: "Ideologisch gesehen ist Fundamentalismus nicht blosser Traditionalismus, sondern reflektierter, radikalisierter, manchmal sogar revolutionärer Traditionalismus" (Riesebrodt 1996: 255). Das Geschichtsverständnis von Fundamentalisten ist ambivalent. Es ist tendenziell an Endzeiterwartungen orientiert (vgl. Riesebrodt 2001: 54), zugleich von utopischen Erlösungsvorstellungen geprägt. Wir finden diese Ambivalenz bereits bei den altjüdischen Propheten: "Die Phantasie der Propheten ist gesättigt mit kommenden kriegerischen und teilweise kosmischen Schrecknissen. Dennoch aber, vielmehr: eben deshalb, träumen sie alle von einem kommenden Friedensreich" (Weber 1988b: 336). Es zeigt sich, dass Fundamentalismus eine Semantik der Tradition bedarf. Es kommt das ins Spiel, was Maurice Halbwachs als "Kollektivgedächtnis der religiösen Gruppen" bezeichnet (vgl. Halbwachs 1985: 243-296). Mit solchen kollektiven Erinnerungen und einheitlichen Interpretationen werden religiöse Identitäten konstruiert. Sie bilden einen semantischen Rahmen.
Es gäbe eine Vielzahl soziologischer Theorien für die Untersuchung des Fundamentalismus. Geeignet erscheint mir unter anderem die Feldtheorie von Pierre Bourdieu, die den Kampf um religiöse Legitimation beschreibt (vgl. Bourdieu 2000: 23-27). Für die Untersuchung der Entstehung von Semantiken, die zur Konstituierung religiöser Identität führen, wäre die Theorie von George Herbert Mead nützlich, die erklärt, wie aus Generalisierungen Identitäten in die Welt kommen (vgl. Mead 1973: 236-243). Bei Emile Durkheim ist das Religiöse ein hypostatisches Abbild des Sozialen und das Totemprinzip nichts anderes als der Klan selbst (vgl. Durkheim 1994: 284). Niklas Luhmann überträgt die funktionalistische Theorie von Emile Durkheim der archaischen Gesellschaft auf die funktional differenzierte (vgl. Luhmann 1998: 634-776). Diese Theorien werden am Rand und punktuell mitbehandelt, zumal sie möglicherweise bei der Transformation eines charismatisch-separatistischen in einen literarisch-legalistisch politischen Fundamentalismus Perspektiven eröffnen, die über eine rein religionshistorische Darstellung hinausgehen.
2 Die Vorgeschichte
Die Genealogie des Fundamentalismus liesse sich zurückverfolgen bis zur Entstehung des Christentums und noch weiter bis zum alten Judentum, da dies die Referenzen sind, die – wie wir unter anderem im Zusammenhang mit der altjüdischen Prophetie bereits gesehen haben – im fundamentalistischen Denken auftauchen. Man könnte die spanische Reconquista, die Kreuzzüge, die Kolonialisierung und Christianisierung der Welt mitbehandeln und selbstverständlich auch die Reformation, die Verbreitung des Calvinismus und des Puritanismus durch englische Siedler in Nordamerika. Aber dies wäre ein allzu grosses Projekt, um es in einer Seminararbeit abzuhandeln. Deshalb beginnen wir unsere historische Aufarbeitung im 19. Jahrhundert.
Im 19. Jahrhundert ist die Geistesgeschichte von starken Umbrüchen geprägt. Ludwig Feuerbach hat den philosophischen Atheismus begründet, Karl Marx die Religion zum Opium des Volkes erklärt, ein Stoff, der Stratifikation erhält und reproduziert. Friedrich Nietzsche hat die Gottgleichheit des Menschen verkündet und Sigmund Freud – ein wenig später – das Religiöse zur Illusion erklärt. Diese philosophischen Verabschiedungen der Religion haben mit dem nachwirkenden Traumata des religiös legitimierten Dreissigjährigen Krieg (1618-1648) zu tun, in dem Millionen von Menschen in Europa ihr Leben verloren. Dieses Ereignis führte zu einem Machtabbau der religiösen Institutionen und Instanzen. Noch dramatischer als die Bibelkritik wirkte auf die religiösen Kräfte die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Dass der Mensch vom Tier abstamme und die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen wurde, dies war und ist unvereinbar mit einem religiös-konservativen Weltbild, das die Schöpfungsgeschichte wörtlich auslegt.
Die Religion musste ihre Monopolstellung einbüssen. Es kam zu dem, was Max Weber als "Entkopplung von Wertsphären" (vgl. Weber 1988a: 541ff.) und Niklas Luhmann als "Ausdifferenzierung von Systemen" (vgl. Luhmann 1993: 259-309) bezeichnen: "Das Religionssystem sieht sich einer gesellschaftsinternen Umwelt gegenüber, die anderen, nichtreligiösen Belangen folgt" (Luhmann 1993: 262). Für die Religion bedeutet dies primär einmal einen Machtverlust.
Die Erneuerungsbewegungen kamen nicht nur von wissenschaftlicher Seite, sondern sie entstanden auch innerhalb der religiösen Welt. Im Zuge der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung wurde die Bibel – vor allem in Deutschland – zunehmend textkritisch gelesen. "Visions and miracles were recounted in modern terms" (Ammerman 1992: 11). Diese Entwicklung fand auch in den USA statt. In den 1890er-Jahren wurde in zahlreichen protestantischen Instituten die Bibel neu gelesen (vgl. Ammerman 1992: 13). Andere protestantische Institute wurden säkularisiert; so zum Beispiel das Institute of Protesant Social Research, aus dem der Soziologe und Journalist Robert E. Park die 'Chicago School' entwickelte, die mit Methoden wie der teilnehmenden Beobachtung das Stadtleben erforschte (vgl. Christmann 2007: 95-104). Die konservativen Christen gerieten mit ihren Ansichten in Erklärungsnotstand. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es besonders im Nordosten der USA zu Modernisierungs-, Industrialisierungs- und Einwanderungsschüben aus nichtprotestantischen Gesellschaften (katholische Italiener und Iren, als atheistisch geltende Deutsche, Juden aus der Ukraine und Russland). Diese gesellschaftlichen Umwälzungen blieben nicht ohne Folgen.
Im späteren 19. Jahrhundert entstand der Prämillennarismus, dessen Vertreter glauben, dass Jesus vor Beginn des tausendjährigen Reiches auf die Erde zurückkehren werde. Dies könne jederzeit geschehen. Karen Armstrong sieht den Prämillennarismus als Rachefantasie: "Die Erwählten stellten sich vor, wie sie vom Himmel aus auf das Heulten und Zähneknirschen herabblicken, die ihre Glaubensgemeinschaft ausgegrenzt und ihren Glauben verspottet, ignoriert und lächerlich gemacht hatten und jetzt – zu spät – ihren fatalen Irrtum erkannten" (Armstrong 2007: 204). Armstrong weist auch darauf hin, dass der Prämillennarismus eigentlich modern war – auch wegen der Buchstabentreue und der demokratischen Ausrichtung. "Alle Christen, so ungebildet sie sein mochten, konnten die Wahrheit erkennen, die unmissverständlich in der Bibel stand" (Armstrong 2007: 205). Diese Bewegung ist geprägt von wörtlichen Auslegungen der Bibel und Antiritualismus. Alles Rituelle ist ein Ausdruck für leeren Konformismus. "Man verwirft nicht nur irrelevante Rituale, sondern das Ritual als solches, man sieht den höchsten Wert in der Innerlichkeit des Erlebens und lehnt dessen normierte Ausdruckform ab, bevorzugt die intuitiven und spontan zugänglichen Formen der Erkenntnis und revoltiert gegen die Vorreiterrolle der Institutionen […]" (Douglas 2004: 36).
[...]
[1] Der Prämillennarismus geht wie der Dispensationalismus davon aus, dass die Geschichte in sieben Phasen aufgeteilt ist, in denen Gott anders mit den Menschen umgeht: 1) Unschuld: Bis zum Sünden-
fall, 2) Bewusstsein: Sündenfall bis Noah, 3) menschliche Herrschaft: Noah bis Abraham, 4) Versprechen: Abraham bis Moses, 5) Gesetz: Moses bis Christus, 6) Gnade: Zeitalter der Kirche und 7) Königreich: Millennium, das mit dem Herkommen von Jesus Christus beginnt (vgl. Bowker 2003: 245).
[2] Francis Fukuyama vertritt die These, dass die Demokratie nach dem Fall des eisernen Vorhangs daran ist, ihren globalen Siegeszug zu vollenden – und es als Folge zu einem Ende der Geschichte kommt, zu einem 'ewigen Frieden', wie ihn Immanuel Kant beschrieb (vgl. Fukuyama: 1992). Samuel Huntington antwortet ihm – in Anlehnung an Oswald Spengler: "Gesellschaften, die annehmen, dass ihre Geschichte zu Ende sei, sind jedoch für gewöhnlich Gesellschaften, deren Geschichte bald im Niedergang begriffen sein wird" (Huntington 1998: 495).
[3] Dazu mehr in meiner BA-Arbeit (vgl. Müller 2007: 50-54).
[4] So treten zum Beispiel auch Vertreter des politischen Fundamentalismus charismatisch auf – wie etwa die TV-Prediger Jim Bakker und Pat Robertson.
[5] Diese Einteilung stammt zumindest zum Teil von Karen Armstrong (vgl. Armstrong 2007).
- Citar trabajo
- Francis Müller (Autor), 2008, Der protestantische Fundamentalismus in den USA, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124261
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