Die Diskursanalyse unterscheidet sich von anderen Methoden der Textanalyse, da sie keine Textanalyse im eigentlichen Sinne liefern kann und will. Das liegt daran, dass sie Texte nicht als einzelne Texte wahrnehmen kann, sondern nur als Ansammlung von sprachlichen beziehungsweise schriftlichen Äußerungen. Vielmehr sieht sie es als ihre Aufgabe die historischen Rahmenbedingungen der Textentstehung zu hinterfragen.1 Die Diskursanalyse liefert demnach keine textinterne Interpretation, sondern sie leistet eine Offenlegung der
„außertextlichen Konstitutionsbedingungen der Literatur“2 vor dem Hintergrund von Ausschließungs- und Verknappungsprozeduren und -mechanismen von diskursiver Ordnung und deren Auswirkungen auf die Entstehung von Texten und deren Interpretation.3
1 Vgl. Kittler, Friedrich A.: Diskursanalyse. In: David E. Wellbery (Hrsg.): Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili. München 31993. S. 24 – 38. S. 24.
2 Kafitz, Dieter: Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis. Würzburg 2007. S. 87.
3 Vgl. Ebd. S. 87.
Diskursanalyse – Ein Versuch. Von Frank Mages
Die Diskursanalyse unterscheidet sich von anderen Methoden der Textanalyse, da sie keine Textanalyse im eigentlichen Sinne liefern kann und will. Das liegt daran, dass sie Texte nicht als einzelne Texte wahrnehmen kann, sondern nur als Ansammlung von sprachlichen beziehungsweise schriftlichen Äußerungen. Vielmehr sieht sie es als ihre Aufgabe die historischen Rahmenbedingungen der Textentstehung zu hinterfragen.1 Die Diskursanalyse liefert demnach keine textinterne Interpretation, sondern sie leistet eine Offenlegung der „außertextlichen Konstitutionsbedingungen der Literatur“2 vor dem Hintergrund von Ausschließungs- und Verknappungsprozeduren und -mechanismen von diskursiver Ordnung und deren Auswirkungen auf die Entstehung von Texten und deren Interpretation.3
Grundlegend für die Diskursanalyse ist der Diskursbegriff Michel Foucaults. Der Diskurs selbst ist zuerst nicht mehr als eine Reihe oder Ansammlung von Aussagen über ein bestimmtes Thema.
Foucault behauptet nun, dass schon vor der Entstehung eines Diskurses dieser durch vorbewusste und vorrationale Mechanismen und Prozeduren „zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird.“4 Der Diskurs ist damit nicht eine freie und willkürliche Ansammlung und Aneinanderreihung von Aussagen, sondern jede Aussage wird im Diskurs nach bestimmten Prozeduren strukturiert und muss sich gleichzeitig bestimmten Regeln unterwerfen, um überhaupt in den Diskurs einzutreten.5 Dadurch wird verhindert, dass der Diskurs seine eigentliche Gefahr und Unberechenbarkeit behält.6
Im Folgenden sollen zuerst die externen Ausschließungs- und Verknappungsprozeduren betrachtet werden, die für die literarische Diskursanalyse entscheidend sind, da sich diese am zu interpretierenden Text selbst nachweisen lassen.
Als die Prozeduren der externen Ausschließung bezeichnet Foucault das Verbot und die Gegenüberstellung von Vernunft und Wahnsinn, beziehungsweise von dem „Wahren“ und dem „Falschen“7.
Das Verbot, das den Diskurs trifft, fundiert nicht in direkten und ausgesprochenen Gesetzen. Es ist vielmehr vorbewusst allgemein akzeptiert und sozial verankert. Es ist internalisiert. Für die Analyse von Texten bedeutet das, dass der Autor des Textes immer an die diskursiven Verbote seiner Gegenwart gebunden ist. Diese diskursive Befangenheit zu erkennen, ist allerdings ausschließlich im historischen Rückblick möglich.8
Das Verbot bzw. das Tabu lässt sich im besonders deutlich in der Rede über Sexualität beobachten. Der Diskurs kontrolliert und selektiert die Aussagen über die Darstellung des Sexuellen. In Theodor Fontanes Roman „Irrungen und Wirrungen“ verschwindet der sexuelle Akt zwischen den Protagonisten Botho und Lene sogar zwischen einem Kapitelübergang. Der letzte Satz des zwölften Kapitels lautet: „Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloss, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf.“9 Das Erzählen im nächsten Kapitel setzt erst wieder am nächsten Tag ein. Einerseits durch das Schließen der Augen Lenes und andererseits durch den Zeitsprung und die dadurch entstandene Lücke wird das Sexuelle „übersehen“ und zwischen den Kapiteln versteckt. Weiter bewahrt das Augenschließen Lenes und die damit verbundene Verschiebung des Sinnlich-Sexuellen ins Dunkel sie vor dem Ruf eines „leichten Mädchens“. Darin spiegelt sich das Tabu des sexuellen Diskurses im 19. Jahrhunderts im Text Fontanes wieder. Auch die Reise des Paares von der Stadt in die Natur, um alleine zu sein, ist als eine Flucht vor der „Diskriminierung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs“10 zu verstehen.11
Die Ausschließungsprozedur der Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn lässt sich auf die Kennzeichnung der Opposition „vernünftig“ und „unvernünftig“, beziehungsweise „natürlich“ und „unnatürlich“ und in einigen Fällen auf „wahr“ und „falsch“ übertragen. Dabei ist vor allem die Verschiebung der Grenzziehung zwischen den beiden Oppositionen, die sich durchaus ändern kann, da sie nach Foucault „geschichtlich konstituiert“12 sind, für die literarische Analyse interessant. Angewendet auf den Roman Fontanes, lässt sich eine derartige Opposition im Sprachstil der Akteure nachweisen. Das einfache Sprechen der Lene gilt – im Gegensatz zu den Konversationen der höheren Schichten, die als „unnatürlich“ dargestellt werden – als „natürlich“.13 Dazu schreibt Kafitz folgendes:
[...]
1 Vgl. Kittler, Friedrich A.: Diskursanalyse. In: David E. Wellbery (Hrsg.): Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili. München 31993. S. 24 – 38. S. 24.
2 Kafitz, Dieter: Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis. Würzburg 2007. S. 87.
3 Vgl. Ebd. S. 87.
4 Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 92003. S. 11.
5 Vgl. Baasner, Rainer: Methoden und Modell der Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Berlin 1996. S. 130.
6 Vgl. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. S. 11.
7 Vgl. Ebd. S. 11f.
8 Vgl. Kafitz, Dieter: Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis. S. 90.
9 Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. In: Walter Keitel (Hrsg.): Theodor Fontane. Sämtliche Werke. Band 2. Darmstadt 1962. S. 319 – 475. S. 387.
10 Kafitz, Dieter: Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis. S. 91.
11 Vgl. Ebd. S. 90f.
12 Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. S. 14.
13 Vgl. Kafitz, Dieter: Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis. S. 94f.
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- Frank Mages (Autor), 2008, Diskursanalyse - Ein Versuch, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124215