Die vorliegende Arbeit untersucht die Umsetzung eines spezifischen Aspekts des Islamischen Rechts, der Dimma, am konkreten Beispiel des jüdischen Milets im Osmanischen Reich. Dabei soll besonders die Frage beantwortet werden, welche der Regelungen des Dimma-Rechtes in das Miletsystem Eingang fanden. Ebenfalls wird die praktische Umsetzung des Miletrechtes im täglichen Leben zu betrachten sein.
Ein zweiter Teil der Arbeit wird sich mit der jüdische Minderheit in der säkularen Türkei unter den neuen Rahmenbedingungen, der Existenz eines jüdischen Staates Israel, befassen und hierbei das Fortwirken tradierter Strukturen aus der Zeit des Osmanischen Reiches untersuchen.
Dazu wird zuerst der juristische Rahmen anhand der Vorschriften der Dimma und des Miletsystems abgesteckt werden um dann im Folgenden das Leben der Juden unter osmanischer Herrschaft anhand der Aspekte der Rechtsstellung, der Selbstverwaltung und des Wirtschaftsleben zu betrachten. In einem weiteren Kapitel wird der Niedergang der jüdischen Gemeinden im 19. Jahrhundert und die Situation der jüdischen Minderheit in der heutigen Türkei behandelt werden.
Leider ist die zahlreich vorhandene Literatur, besonders die jüngeren Datums, stark tendenziös. Während bei den türkischen Publikationen die jüdischen Flüchtlinge mit „offenen Armen“ (Shaw, 2000: 448) empfangen wurden und Pogrome von den christlichen Minderheiten angestachelt und unter gelegentlicher Beteiligung von Muslimen verübt wurden, sehen viele christliche Autoren alle religiösen Minderheiten als unterdrückt an. Dagegen glauben die jüdischen Autoren eine Verfolgung der jüdische Minderheit seitens der Christen und Muslime zu erkennen. Bei Cohen (2005:22) findet sich zu dieser Frage eine interessante These von «Mythos und Gegenmythos» in der Beschreibung des islamisch – jüdischen Verhältnisses innerhalb der letzten zwanzig Jahre.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Referenzrahmen: Juristische Grundlagen
2.1. Das Dimmasystem im Islamischen Recht
2.2. Das System der osmanischen Milets
3. Die Juden unter osmanischer Herrschaft
3.1. Rechtsstellung
3.2. Selbstverwaltung und Gemeindeorganisation
3.3. Wirtschaftsleben
4. Der Niedergang der jüdischen Gemeinden
5. Die Jüdische Minderheit in der heutigen Türkei
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Das außerordentlichste das große Türkenreich […] Hier stehen die Tore der Freiheit stets offen für die Bewahrung des Judentums“ (Samuel Usque in „Trost für die Unterdrückungen Israels“ zitiert nach Lewis, 2004: 125).
Die Frage nach islamischer Toleranz beziehungsweise Intoleranz wird zurzeit international von verschiedensten politischen und religiösen Stellen mit den unterschiedlichsten Motivationen äußerst emotional diskutiert. Zwischen polarisierenden Vorwürfen einer „dogmatischen Islamophilie“ (Kohlhammer, 2002) einerseits und eines «Kulturimperialismus» andererseits findet sich eine ganze Bandbreite von historischen Missverständnissen und verkürzenden Darstellungen. Vor diesem Hintergrund stellt Cohen (2005: 15) einige wichtige Fragen:
„Ist die heutige islamische Wut gegen Israel, die Vereinigten Staaten und Europa eine alte Erscheinung, die sich bereits im Umgang des Islam mit Juden und Christen feststellen lässt? Handelt es sich um eine Neigung, die so tief in der Geschichte verwurzelt ist, daß ihr Schwinden kaum zu erwarten ist? Oder ist die Feindschaft etwas relativ Neues?“
Vielen europäischen Juden erschienen zu Beginn der Frühen Neuzeit der Islam und besonders das aufblühende Osmanische Reich als Rettung vor Pogromen, Verfolgungen und Vertreibungen. Viele sephardische Juden aus Spanien und Portugal strömten in das Osmanische Reich und vergrößerten damit sowohl die Anzahl als auch das Kapital, die Fähigkeiten und den Einfluss der bereits bestehenden jüdischen Siedlungen.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Umsetzung eines spezifischen Aspekts des Islamischen Rechts, der Dimma, am konkreten Beispiel des jüdischen Milets im Osmanischen Reich. Dabei soll besonders die Frage beantwortet werden, welche der Regelungen des Dimma -Rechtes in das Miletsystem Eingang fanden. Ebenfalls wird die praktische Umsetzung des Miletrechtes im täglichen Leben zu betrachten sein.
Ein zweiter Teil der Arbeit wird sich mit der jüdische Minderheit in der säkularen Türkei unter den neuen Rahmenbedingungen, der Existenz eines jüdischen Staates Israel, befassen und hierbei das Fortwirken tradierter Strukturen aus der Zeit des Osmanischen Reiches untersuchen.
Dazu wird zuerst der juristische Rahmen anhand der Vorschriften der Dimma und des Miletsystems abgesteckt werden um dann im Folgenden das Leben der Juden unter osmanischer Herrschaft anhand der Aspekte der Rechtsstellung, der Selbstverwaltung und des Wirtschaftsleben zu betrachten. In einem weiteren Kapitel wird der Niedergang der jüdischen Gemeinden im 19. Jahrhundert[1] und die Situation der jüdischen Minderheit in der heutigen Türkei behandelt werden.
Leider ist die zahlreich vorhandene Literatur, besonders die jüngeren Datums, stark tendenziös. Während bei den türkischen Publikationen die jüdischen Flüchtlinge mit „offenen Armen“ (Shaw, 2000: 448) empfangen wurden und Pogrome von den christlichen Minderheiten angestachelt und unter gelegentlicher Beteiligung von Muslimen verübt wurden, sehen viele christliche Autoren alle religiösen Minderheiten als unterdrückt an. Dagegen glauben die jüdischen Autoren eine Verfolgung der jüdische Minderheit seitens der Christen und Muslime zu erkennen. Bei Cohen (2005:22) findet sich zu dieser Frage eine interessante These von «Mythos und Gegenmythos» in der Beschreibung des islamisch – jüdischen Verhältnisses innerhalb der letzten zwanzig Jahre.[2]
2. Referenzrahmen: Juristische Grundlagen
Grundsätzlich muss Szyska (2004: 51) folgend darauf verwiesen werden, dass dem Islamischen Recht die juristische Figur des „Ausländers“ fremd ist. Vor der Ausbreitung des Islam waren die Bewohner der arabischen Halbinsel nicht national, sondern nach Stämmen organisiert. Erst die islamische Idee der Umma ersetzte eine familiäre Loyalität durch eine religiöse, wobei nicht territoriale Einheit oder Volksgruppe, sondern einzig der gemeinsame islamische Glaube im Vordergrund standen. Auch Cohen (2005: 117f.) verweist darauf, dass, im Gegensatz zu Europa, die Heterogenität der Gemeinschaften quasi konstituierend für die islamischen Gebiete gewesen sei. Eine Einteilung der Menschen in Muslime und Nichtmuslime liegt daher zwingend auf der Hand. Die logische Folge ist eine Abgenzung des Dimmi als juristische Figur gegen den Muslim auf der einen und den harbi und beziehungsweise die musta´min auf der anderen Seite (Cahen, 1965: 227).
2.1. Das Dimmasystem im Islamischen Recht
Nachdem versucht worden war die jüdischen Stämme von Medina für eine Konversion zum Islam zu gewinnen, die diesbezüglichen Bemühungen jedoch scheiterten, wurden diese Stämme zunächst bekämpft und vertrieben. Als sich der islamische Herrschaftsbereich über die Arabische Halbinsel auszubreiten begann, wurde es notwendig, Regelungen für den Umgang mit nichtmuslimischen Untertanen zu treffen. Regelungen, für den Umgang mit andersgläubigen Minoritäten und Majoritäten stellten keineswegs einen islamischen Sonderweg dar, sondern waren bereits unter den Römern und im Byzantinischen Reich üblich.[3]
Als Präzedenzfälle für das Dimma -Recht galten die Verträge, welche der Prophet selbst mit den Juden der Oase Ḥaybar und den Christen von Nağrān geschlossen hatte.[4]
Die Koranstelle, welche meist zu Fragen des Umgangs mit den ahl al-kitāb herangezogen wird, lautet: „Kämpft gegen diejenigen, denen die Schrift gegeben, […] bis sie bezahlen die ğizya can yadin wa-hum ṣaġirūn“.[5] (Sure 9,29 nach Cohen, 2005: 71)[6]
Khoury (1980: 139) gibt an, dass den Anhängern der «Buchreligionen» ein Dimma -Abkommen nicht verweigert werden durfte, sofern die entsprechenden Voraussetzungen – Unterwerfung unter islamische Vorherrschaft und die Entrichtung der Ğizya - vorlagen.
Cohen (2005: 83 und 114f.) verweist darauf, dass gerade durch die Zahlung der Ğizya, durch welche die Dimmis zu Subjekten des Islamischen Rechts wurden, eine geregelte und beständige Sicherheit entstand, welche Juden im christlichen Europa nicht besaßen. Seiner Ansicht nach zielten die Vorschriften nicht auf eine Ausgrenzung, sondern dienten dazu, den Dimmis eine „festgelegte und geschützte Nische innerhalb der Hierarchie der islamischen Gemeinschaft“ zu schaffen. Wobei Nagel (2001: 71) darauf verweist das die Duldung der älteren Offenbarungsreligionen unter muslimischer Vorherrschaft darauf zielte, dass diese als Vertreter einer überholten Religionsgemeinschaft mit der Zeit ihren «Fehler» einsehen und langsam aussterben würden.[7]
Einmal geschlossen, war ein solches Abkommen grundsätzlich unbefristet und ging von einer Generation auf die nächste über, auch wenn es theoretisch jederzeit von muslimischer Seite gekündigt werden konnte. (Khoury, 1980: 142)
Cahen definiert Dimma ebenfalls in diesem Sinne als
„indefinitely renewed contract through which the Muslim community accords hospitality and protection to members of other revealed religions, on condition of their acknowledging the domination of Islam”. (Cahen, 1965)
Bestimmungen über die genauen Regelungen des Vertrages waren jedoch weder durch den Koran noch durch die Präzedenzfälle festgelegt. Jeder Dimma -Vertrag war entsprechend von den Rahmenbedingungen, Kampf oder «freiwillige» Kapitulation, und dem Verhandlungsgeschick der betreffenden Gruppen abhängig. Von der Höhe der Kopfsteuer bis zu speziellen Regelungen über Kleidungs-, Wohn- und Selbstverwaltungsvorschriften war fast alles verhandelbar. Erst mit dem «Pakt des Omar»[8] oder Nagel folgend den «cumarschen Bedingungen» (aš-šurūṭ al-cumarīja) erhielt das Dimma -Recht seine charakteristische Gestalt. (Cohen, 2005: 70 sowie Nagel 2001: 98)
Cahen (1965: 227) nennt eine interessante militärhistorische Erklärung für einige der Einschränkungen, denen die Dimmis unterworfen waren, indem er darauf hinweist, dass es sich zuerst um besiegte Stämme und Volksgruppen handelte und die militärische Logik gebot, Bestimmungen zu treffen, die diese von den vertrauenswürdigen Muslimen unterscheidbar machten. Damit sollte, so Cahens Argument, eventueller Spionage oder Sabotage vorgebeugt werden. Gleichermaßen ließe sich so das Verbot für Dimmis, Waffen zu tragen, erklären. Meist jedoch handelte es sich schlicht um eine Festschreibung des status quo, gerade was die Kleidungsvorschriften anging, durch die die Dimmis gehalten waren, ihre traditionelle Tracht weiter zu tragen.
Lewis verweist auf die rationale Seite der «Toleranz» gegen andere Offenbarungsreligionen. Er zitiert einen Brief des Kalifen Omar I an einen seiner Gouverneure:
„Weder Du noch die Muslime an Deiner Seite sollten die Ungläubigen als Kriegsbeute behandeln und sie (als Sklaven) verteilen… […] Die Muslime unserer Tage werden sich zeit ihres Lebens (von der Arbeit) dieser Leute ernähren, und nach unserem und ihrem Tod wird für unsere Söhne das gleiche getan von ihren Söhnen und so fort, denn sie sind Sklaven des Volkes der Gläubigen, solange die Religion des Islam vorherrschen wird. Deshalb erlege ihnen eine Kopfsteuer auf und versklave sie nicht […]“ (Lewis, 2004: 37)
[...]
[1] Bei den Zeitangaben handelt es sich immer um Jahrhunderte nach Christus.
[2] Grob gefasst, geht er davon aus, dass die sephardischen Juden in der «Erinnerungskultur» des Staates Israel, welche durch die Erfahrungen der aschkenasischen Juden im 19. und 20. Jahrhundert sehr auf Europa und speziell auf die Shoa fixiert sind, keine Rolle spielen und dass von deren Seite daher versucht wird, am Idealbild des toleranten Vielvölkerstaates während des Osmanischen Reichs zu rütteln.
[3] Es bestehen große Gemeinsamkeiten zwischen Dimma –Recht und christlichem Recht: Juden galten auch im christlichen Europa als religio licita (gesetzlich erlaubte Religion) und wurden in einem Collegium zusammengefasst, damit sie „gemäß den Gesetzen ihrer Vorfahren“ leben konnten. (Cohen, 2005: 48) Es finden sich identische Bestimmungen wie für die Dimmis z.B. die Demut gegenüber den Christen, keine Synagogenneubauten, jedoch den Erhalt der alten, Verbot der Mischehen, Verbot des Waffentragens, Verbot der Haltung christlicher Sklaven, Verbot der Apostasie getaufter Juden. (Cohen, 2005: 50ff.)
[4] Gerade in dem Vertrag, den der Prophet mit den Juden von Khaybar nach eineinhalb Monaten Kämpfen schloss, erkennt Lewis den locus classicus für alle folgenden juristischen Fragen zum Umgang mit besiegten, nichtmuslimischen Untertanen eines muslimischen Staates. (Lewis, 2004: 20)
[5] Gerade der letzte Teil wurde unter den islamischen Rechtsgelehrten viel und ausgiebig diskutiert. Die strenge Auslegung der Formulierung can yadin übersetzte diese als «aus der Hand» und verstand dementsprechend darunter die Vorschrift, den Dimmi bei der Zahlung durch einen Schlag in den Nacken an seine Minderwertigkeit zu erinnern, während eine mildere Auslegung der Formulierung «entsprechend seinem finanziellen Vermögen» übersetzte. (Cohen, 2005: 71)
[6] In der Koranausgabe des Metzler Verlages (Goldschmidt, 2005: 152) wurde die entsprechende Stelle folgendermaßen übersetzt: „Bekämpfet die an Gott nicht glauben und an den jüngsten Tag, die nicht heilig halten was Gott geheiligt hat und sein Gesandter, und nicht anerkennen die Religion der Wahrheit, von denen, die die Schrift empfingen, bis sie Tribut aus der Hand zahlen und gering sind.“
[7] Auch hier findet sich wieder eine Parallele zur christlichen Dogmatik welche, nach Augustinus, den Juden unter christlicher Herrschaft die gottgegebene Aufgabe zuwies Zeugen des Siegeszuges der Lehren Jesu zu werden.
[8] Eine genaue Beschreibung der Rechte und Pflichten sowohl der Dimmis als auch der Muslime findet sich bei Khoury (1980: 140-142). Bei Nagel (2001: 98f.) findet sich eine Übersetzung der aš-šurūṭ al-cumarīja.
- Arbeit zitieren
- M.A. Michael Rohschürmann (Autor:in), 2008, "Die Tore der Freiheit" - Die Dhimma-Politik am Beispiel des jüdischen Milets im Osmanischen Reich und deren Auswirkungen auf die heutigen türkischen Juden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124102
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