„Bezeichnung für Struktur moderner Industriegesellschaften, in denen eine Vielzahl wirtschaftlicher, religiöser, ethnischer und anderer Gruppen zueinander steht und um gesellschaftlichen Einfluss kämpft...“
„Für die westliche Demokratie ist der Pluralismus die normative gesellschaftliche Ordnungsform. Dabei wird weniger vom Individuum ausgegangen, als von einer Vielzahl frei gebildeter, gesellschaftlicher Interessengruppen, die untereinander konkurrieren und um Einfluss ringen. Der pluralistischen Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass sich dieser Prozess nicht als ungeordneter Kampf, sonder konstruktiv vollzieht. Ziel ist nicht eine utopische Harmonie, sondern das Erreichen eines ausreichenden Gleichgewichtszustands“.
Folglich die theoretische Idee und Konzeption, dass sich das Allgemeinwohl, das sogenannte „bonum commune“ als Ergebnis der sich sowohl differierenden, als auch konkurrierenden Interessen und Anliegen im Idealfall als bestmöglicher Konsens von alleine ergibt. Basierend auf der Vorstellung, dass sich für Allgemeinanliegen, eben das Allgemeinwohl, eher große Gruppierungen gründen und aktivieren lassen, als für kleine Partikularinteressen. Ebenso die Vorstellung, der Staat sei außer Stande a priori zu wissen, was das gewünschte Allgemeinwohl oder die Wohlfahrt definiert und dies auch unvoreingenommen zu verwirklichen. Dementsprechend entwickelte sich die Ansicht der Pluralisten, die Omnikompetenz des Staates sei durch diesen wechselseitigen Interessensaustausch der diversen „pressure groups“ zu substituieren, um damit das übergeordnete Ziel des Allgemeinwohls durch ein „Laisser-faire“ ohne Staat zu erreichen. Wohl kommt dem Staat die Pflicht zu, den Rahmen, also die grundrechtlichen Stützen eines solchen „Nebeneinanderexistierens und –wirkens einer Mehrzahl sozialer Gruppen innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft“ zu garantieren.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
1.1. Definitionen
1.1.1. Pluralismus
1.1.2. Interessengruppen
1.2. Restriktion
2. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG
2.1. DEUTSCHLAND
2.1.1 Otto von Gierke
2.1.2. Carl Schmitt
2.1.3. Ernst Fraenkel
2.2. ENGLAND
2.2.1. Historie
2.2.2. Laski
2.2.2.1. Pluralistischer Sozialismus
2.2.2.2. Einflüsse
2.2.2.3.Theorie
2.2.2.4. Kritische Stimmen
2.3. VEREINIGTE STAATEN
2.3.1. Voraussetzungen
2.3.2. William James
2.3.2.1. Pragmatismus
2.3.2.2.Universelle Pluralismustheorie
2.3.3. Gruppentheorie
3. VERGLEICH
4. HEUTE: AM BEISPIEL DER SCHWEIZ
4.1. Pluralismus in der Politik
4.2. Gesellschaftlicher Pluralismus
5. KRITIK
5.1. Bedingung gleicher Machtverhältnisse
5.2. Allgemeine Interessen
6. FAZIT
1. EINFÜHRUNG
1.1 Definition
1.1.1. Pluralismus
„Bezeichnung für Struktur moderner Industriegesellschaften, in denen eine Vielzahl wirtschaftlicher, religiöser, ethnischer und anderer Gruppen zueinander steht und um gesellschaftlichen Einfluss kämpft...“[1]
„Für die westliche Demokratie ist der Pluralismus die normative gesellschaftliche Ordnungsform. Dabei wird weniger vom Individuum ausgegangen, als von einer Vielzahl frei gebildeter, gesellschaftlicher Interessengruppen, die untereinander konkurrieren und um Einfluss ringen. Der pluralistischen Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass sich dieser Prozess nicht als ungeordneter Kampf, sonder konstruktiv vollzieht. Ziel ist nicht eine utopische Harmonie, sondern das Erreichen eines ausreichenden Gleichgewichtszustands“2.
Folglich die theoretische Idee und Konzeption, dass sich das Allgemeinwohl, das sogenannte „bonum commune“ als Ergebnis der sich sowohl differierenden, als auch konkurrierenden Interessen und Anliegen im Idealfall als bestmöglicher Konsens von alleine ergibt. Basierend auf der Vorstellung, dass sich für Allgemeinanliegen, eben das Allgemeinwohl, eher große Gruppierungen gründen und aktivieren lassen, als für kleine Partikularinteressen. Ebenso die Vorstellung, der Staat sei außer Stande a priori zu wissen, was das gewünschte Allgemeinwohl oder die Wohlfahrt definiert und dies auch unvoreingenommen zu verwirklichen. Dementsprechend entwickelte sich die Ansicht der Pluralisten, die Omnikompetenz des Staates sei durch diesen wechselseitigen Interessensaustausch der diversen „pressure groups“ zu substituieren, um damit das übergeordnete Ziel des Allgemeinwohls durch ein „Laisser-faire“ ohne Staat zu erreichen. Wohl kommt dem Staat die Pflicht zu, den Rahmen, also die grundrechtlichen Stützen eines solchen „Nebeneinanderexistierens und –wirkens einer Mehrzahl sozialer Gruppen innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft“3 zu garantieren.
1.1.2. Interessengruppen
„In Anlehnung an Alemann können Interessengruppen unterteilt werden nach Wirtschaftsbereich und Arbeitswelt, im sozialen Bereich, im Bereich Freizeit und Erholung, im Bereich Kultur, Religion und Wissenschaft sowie im gesellschaftlichen Querschnittsvergleich (z.b. ideelle und gesellschaftspolitische Vereinigungen)“.4
Die Pluralismustheorie zeichnet sich heute zusammenfassend durch folgende Eigenschaften und Forderungen aus:
1. Gesellschaftliche Differenzierung führt zu Vielfalt gesellschaftlicher Interessen
2. Kein a-priori-Gemeinwohl
3. Offenheit des politischen Prozesses
4. Ermutigung breiter politischer Partizipation
5. Toleranz gegenüber unterschiedlichen Weltanschauungen und Wertsystemen
6. Minderheitenschutz
7. Freiheitssicherung durch Konkurrenz verschiedener Gruppen
Pluralismus begegnet uns heute in allen Bereichen des alltäglichen Lebens. Weltanschauliche Vielfalt und Widersprüchlichkeit existieren in der Kultur, bei den Medien, der Politik und schlussendlich im gewöhnlichen sozialen Umfeld jeder einzelnen Person. Pluralismus demzufolge sowohl ein „gesellschaftlicher Tatbestand, folglich ein Grundmerkmal liberal-demokratischer Ordnung westlicher Prägung, als auch die Konzeption mehrerer politischer Theoretiker“5. Auf der einen Seite also als realexistierende Situation in der Praxis und auf der anderen als theoretisches Konstrukt in der Geisteswissenschaft.
1.2. Restriktion
Bei wissenschaftlicher Betrachtung erkennt man auch hier, Pluralismus kann man nicht nur aus soziologischer Sicht betrachten. Interdependenzen zwischen einzelnen soziologischen Fragestellungen und dazu auch zwischen verschiedensten Disziplinen der Wissenschaften sind daher auch in diesem Gebiet unvermeidbar. Einschränkend möchten wir hingegen schon zu Beginn unserer Arbeit vorwegnehmen, dass wir im Folgenden nur auf den soziologischen und politischen Pluralismus eingehen werden. Der alles umfassende Bereich des Pluralismus würde sonst schlicht den Rahmen dieser Arbeit um ein weites sprengen.
2.GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG
Nun werden wir genauer im Einzelnen auf die diversen Strömungen in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten eingehen, welche mit ihren Ideen und Konzeptionen die Pluralismustheorie begründeten und welche bis in die Gegenwart weitergeführt wurden. Theoriegeschichtlich entstand die Pluralismusbewegung aus einer Kritik und daraus abgeleiteten Verneinung eines monistischen, also totalitären Staates zu Beginn unseres Jahrhunderts. Im Gegensatz zur monistischen Staatsdoktrin Hegels und zum „contrât social“ von Rousseau. Nach Rousseau
„kann es darum nicht Ziel der Gesetzgebung sein, ein Gleichgewicht, beziehungsweise einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Gesellschaft herauszuarbeiten, sondern es komme darauf an, mit Hilfe der Vernunft und unter Teilnahme aller vernünftigen Bürger die Wahrheit für das Gemeinwesen zu verwirklichen. Diese Wahrheit ist wie die Souveränität unteilbar, die „volonté générale“ kann nicht das Ergebnis eines Meinungskampfes und einer Auseinandersetzung sein, sie ergibt sich auf Grund richtiger Einsicht“6.
Dies widerspiegelt eine monistische Staatsauffassung im Gegensatz zum Pluralismus.
In starker Anlehnung an die Entwicklung der ökonomischen Theorie der „unsichtbaren Hand“ (the invisible hand) von Smith am Ende des 19. Jahrhunderts, der Lehre der wirtschaftlichen Harmonie, wurde die These der politischen Harmonie aufgestellt. Smith erstellte die Theorie vom Wettbewerb der Individuen, welche besagt, dass durch ein egoistisches Verhalten, bei welchem jeder versucht, seinen eigenen Nutzen oder Gewinn zu optimieren, es automatisch zu einem Maximum an Wohlfahrt kommen muss. Diese „Laisser-Faire“-Doktrin aus der Ökonomie wurde in eine politische „Laisser-Faire“-Theorie (Laisser-Faire-Pluralismus) übertragen. Man ging von einem Wettbewerb der Gruppen aus, welcher durch einen „unsichtbaren“ Selbstregulierungsmechanismus zu einem Optimum des Allgemeinwohls, wie auch der Politik führe.
Im einen Fall die Ideologisierung der marktwirschaftlichen, im anderen die der politischen Selbststeuerung.
2.1. DEUTSCHLAND
2.1.1. Otto von Gierke
Die Geburtsstunde des Pluralismus in Deutschland wird allgemein auf die Veröffentlichung der Genossenschaftslehre des Berliner Juristen Otto von Gierke in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts festgelegt. Sein Werk war ein Zeichen einer sich verändernden politischen Situation. Denn in starker Anlehnung an die Veränderungen in Frankreich, entwickelte sich auch in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert die staatliche Förderung von Verbänden (z.b. Handelskammern), welche die Ursache hatte, dass ab 1870 verstärkt unabhängige Verbände den politischen Raum betraten, wobei diese nicht von allen Seiten die gleiche Anerkennung und Einbindung fanden.
Hauptproblem für Gierke war die „Spannung zwischen Einheit und Freiheit“ zu überwinden. Die harmonische Einheit des Staates, die von Rousseau propagiert wurde, hielt den Pluralismus, folglich die Vielzahl von Interessen und Weltanschauungen für unfähig, das Allgemeinwohl zu bilden, da es durch den Wettstreit der diversen Interessen und Ansichten zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu einem „Lähmen“ (Paralysieren) des Staates führen würde. Die Forderung nach individueller Freiheit hingegen schreit förmlich nach der Möglichkeit, sich in Gruppen für gemeinsame Interessen zu verbinden. Die Freiheit dementsprechend als Voraussetzung für eine Gesellschaftsordnung mit pluralistischem Charakter. Mit diesem Interessensgegensatz konfrontiert, verfasste Gierke die Genossenschaftsidee. Die Vorstellung war, dass der „Staat den Vereinen und Gemeinden homogen“ sei. Ziel sei es, den „Staat in die bürgerliche Gesellschaft zurückzuverlegen“ und er wies in der Genossenschaftstheorie den engeren „Gemeinwesen und Genossenschaften“ die Aufgabe zu, die „große und umfassende Staatseinheit mit einer tätigen und bürgerlichen Freiheit mit der Selbstverwaltung zu vereinen“. „Mit ihrer Befürwortung der Korporation und ihrer rechtlichen Einbindung des Individuums zielte die Lehre ab auf juristische Durchgliederung der Staatseinheit“7. Demzufolge der liberal demokratische Aufbau der Verfassung als ordnungspolitischer Rahmen für die Möglichkeit eines nach pluralistischem Vorbild im Wettstreit gefundenen Konsenses.
2.1.2. Carl Schmitt
Das Aufkommen von immer pluralistischeren Gesellschaften in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts war auch in Deutschland spürbar. Das deutliche Anwachsen von sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Gruppen, die stärkeren Einfluss auf den Staat gewannen, verlangte eine Schwächung der staatlichen Souveränität. In England und den Vereinigten Staaten wurden verschiedentlich Theorien und Konzeptionen vorgetragen, wie die neue Situation angegangen werden sollte. In der Weimarer Republik hatte man diese Ideen nicht aufgenommen, trotz einer augenscheinlich pluralistischeren Gesellschaftsordnung. Im Gegensatz zu den neuen Pluralismustheorien, welche den Staat als „Verwalter“ der diversen Interessen sahen, entwickelte Carl Schmitt eine Verfassungslehre, die „eine verstärkte Betonung der Idee des Staates als alles umspannender, die gesellschaftlichen Interessen autoritativ regulierender Einheit8 “ proklamierte. Für Schmitt war die Konzeption des Pluralismus ein rotes Tuch, welches die Einheit und Autorität des Staates gefährde. Er negierte heftig, dass überhaupt zwischen den verschiedensten Interessenorganisationen eine politische Harmonie im Sinne einer staatlichen Einheit zu Stande käme. Er propagierte einen souveränen, ja totalen Staat, der die diversen Ziele und Interessen der unterschiedlichen Gruppen mit staatlicher Gewalt unter seinen Willen bringt. (Waren dies schon etwa die ersten Zeichen einer sich anbahnenden nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland?)
2.1.3. Ernst Fraenkel
Zur selben Zeit lebte Ernst Fraenkel, der wohl bedeutendste Pluralismustheoretiker Deutschlands. Er war während der Weimarer Zeit Syndikus (Rechtsbeistand) des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, emigrierte 1938 in die USA und kehrte 1951 nach Berlin zurück und starb 1975.
Fraenkel lehnte stark die monistische Demokratiekonzeption (Identitätstheorie) von Rousseau ab, welche von einem vorgegebenen Gemeinwohl ausging. Für Fraenkel symbolisierte Rousseau den „Apostel des Anti-Pluralismus“, da „nach der Identitätstheorie Abweichungen vom allgemeinen Willen als verderblich und häretisch angesehen“ werden9. Schon 1927 veröffentlichte er eine Schrift mit dem Namen „Zur Soziologie der Klassenjustiz“, welche eine strikte Gesetzesbindung der Justiz propagierte, um das Proletariat zu schützen. Andere Arbeiten, zum Teil unter Pseudonym veröffentlicht, behandeln das nationalsozialistische Regime Deutschlands.
Die wohl wichtigste Schaffensphase Fraenkels war in der Nachkriegszeit. Er fungierte als Mittelsmann zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, indem er die dortigen Ideen der Pluralismus-Harmonie übernahm und sie hier unter zunehmender Anerkennung publik machte. Mit der Veröffentlichung seines Werkes „Deutschland und die westlichen Demokratien“ im Jahre 1964 hat Fraenkel den Begriff des Neo-Pluralismus eingeführt und geprägt. Er erweiterte dabei seine früheren Arbeiten über die „dialektische Demokratie“, welche er während der Weimarer Republik geschaffen hatte Das wesentliche Element des Neo-Pluralismus gründete in der „autonomen Organisierbarkeit sozialer Interessen und der Bildung des Gemeinwohls als Resultante aus dem Konflikt der organisierten Gruppen, soweit diese bei ihrer Auseinandersetzung sozial akzeptierte und rechtlich normierte Verhaltensregeln einhalten10“.
[...]
[1] Reinhold: Soziologie-Lexikon, 3.Auflage
2 www.geschichte.hu-berlin.de/ifg
3 Fischer Lexikon, (1957): Staat & Politik
4 Schäfers, Zapf, (1998): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands
5 Bernsdorf, (1968/69): Wörterbuch der Soziologie
6 Fischer Lexikon, (1957): Staat & Politik
7 Pipers Wörterbuch zur Politik, (1985): Politikwissenschaft
8 Fischer Lexikon, (1957): Staat und Politik
9 Jesse, (1981): Literaturführer: Parlamentarische Demokratie, S. 34 f.
10 Pipers Wörterbuch zur Politik, (1985): Politikwissenschaft
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