In der vorliegenden Arbeit werde ich untersuchen, ob sich die klassische Modernisierungstheorie nach Lipset für die Erklärung von Demokratisierung eignet. Als Fallbeispiel dafür habe ich die Republik Korea gewählt. Für das zugrunde liegende Verständnis werde ich daher zunächst die klassische Modernisierungstheorie und deren Kriterien nach Lipset ausführlich aufzeigen und erläutern. Anschließend werde ich die Entwicklung der Republik Korea (im Folgenden: Südkorea) darlegen, um schließlich die Theorie auf das Land anwenden zu können. Im letzten Abschnitt greife ich die Fragestellung dieser Arbeit erneut auf und ziehe ein Fazit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Annahme: Die Modernisierungstheorie nach Lipset
3. Entwicklung Südkoreas: vom autoritären Militärstaat zur Demokratie
3.1. Das Militär als Entwicklungsvorantreiber
3.2. Demokratisierung Südkoreas
4. Anwendung der Modernisierungstheorie auf Südkorea
4.1. Überprüfung des Kriteriums Wohlstand
4.2. Überprüfung des Kriteriums Bildung
4.3. Überprüfung des Kriteriums Industrialisierung
4.4. Überprüfung des Kriteriums Urbanisierung
5. Südkorea als Vorzeigeland der Modernisierungstheorie?
Fazit und Schlussbetrachtungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Südkorea – kaum ein anderes Land hat es in solch kurzer Zeit geschafft, sich von einem armen Agrarland zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt zu entwickeln. Die Geschichte Südkoreas weist jedoch viele Diskrepanzen auf: Es ist ein Land, das von jahrelangen Besetzungen und einer brutalen Militärautokratie geprägt wurde. Es ist aber auch ein Land, das sich selbst aufgebaut hat und zu einem freien demokratischen Wirtschaftspartner aufwuchs, der für Deutschland gar nicht mehr weg zu denken ist. Doch welche Faktoren haben Südkorea beeinflusst? Was genau bringt ein Land wie Südkorea zur Demokratie?
Seymour Martin Lipset, ein US-Amerikanischer Politikwissenschaftler und Soziologe, beschäftigte sich vor rund 60 Jahren mit genau diesen Fragen und entwickelte daraufhin die Modernisierungstheorie, die bis heute noch große Wichtigkeit trägt. Mit der Modernisierungstheorie legte er einen Grundstein in der System- und Transformationsforschung. Mit seiner Modernisierungstheorie formulierte er die fundamentale Erfolgsbedingung der Demokratisierung: Eine hohe sozioökomische Entwicklung (Merkel 2010: 70).
In der vorliegenden Arbeit werde ich untersuchen, ob sich die klassische Modernisierungstheorie nach Lipset für die Erklärung von Demokratisierung eignet. Als Fallbeispiel dafür habe ich die Republik Korea gewählt. Für das zugrunde liegende Verständnis werde ich daher zunächst die klassische Modernisierungstheorie und deren Kriterien nach Lipset ausführlich aufzeigen und erläutern. Anschließend werde ich die Entwicklung der Republik Korea (im Folgenden: Südkorea) darlegen, um schließlich die Theorie auf das Land anwenden zu können. Im letzten Abschnitt greife ich die Fragestellung dieser Arbeit erneut auf und ziehe ein Fazit. Um den Rahmen dieser Arbeit zu wahren, hält sich diese Arbeit lediglich im Rahmen der klassische Modernisierungstheorie nach Lipset und sieht von Verzweigungen der weiteren System- und Modernisierungsansätze anderer Theoretiker ab.
2. Theoretische Annahme: Die Modernisierungstheorie nach Lipset
Seymour Martin Lipset legte als Begründer der sozioökonomischen Funktionstheorie einen Meilenstein in der Demokratieforschung. Anhand der Strukturtheorie von Talcott Parsons entwickelte Lipset seine Modernisierungstheorie. Sein zentraler Grundgedanke lautet „ [T]he more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy“(Lipset 1959: 75) und manifestiert sich in vielen seiner Werke (Lipset 1959, 1981 [1960], 1983). Es heißt, dass mit zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung des Landes, die Wahrscheinlichkeit auf eine dauerhaft bestehende Demokratie wächst. So erklärt er in „Some social requisites of democracy; Economic development and political legitimacy“, dass eine intelligent partizipative Politik nur in einer großteilig wohlhabenden Gesellschaft möglich ist, in der nur wenige Bürger in relativer Armut leben (Lipset 1959: 75). Kausal lässt sich diese Aussage folgendermaßen darstellen: Entwickelt sich die Wirtschaft, so steigt auch das Bildungsniveau in der Gesellschaft, was wiederum zu einer demokratischeren politischen Kultur führt (Merkel 2010: 72). Laut Merkel entwickeln „die Bürger […] tolerantere und gemäßigtere Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte, die zu einem rationaleren und zurückhaltenderen Politikstil der Regierenden gegenüber oppositionellen Tendenzen führen“ (Merkel 2010: 72). Außerdem wird durch die ökonomische Modernisierung bzw. durch die höheren Einkommen, der gesellschaftliche Klassenkampf entschärft (Merkel 2010: 72). Bildung und Wohlstand sind somit einer der wichtigsten Komponenten für eine sozioökonomische Entwicklung. Hinzu kommen noch zwei weitere Faktoren: Die Urbanisierung und die Industrialisierung (Lipset 1959: 75).
Nach Lipset sind Wirtschaftswachstum und ein hoher sozioökonomischer Entwicklungsstand grundlegende (aber weder hinreichende, noch notwendige1 ) Ursachen für erfolgreiche Demokratisierung. Zumindest erhöht sich damit signifikant die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein nichtdemokratisches Land in ein demokratisches Land transformiert. Analog dazu ist gesellschaftliche Armut einer der größten Hindernisse auf dem Weg zur Demokratisierung (Merkel 2010: 73). Auch in der Realität hat sich Lipsets Annahme häufig als standhaft erwiesen. Für seine Hypothese erstellt Lipset empirische Tests, in denen er Mittelwerte verschiedener Indizes ökonomischer Entwicklung (Industrialisierung, Wohlstand, Urbanisierung und Bildung) mit Gruppen von Systemen, die „mehr“ und „weniger demokratisch“ sind, vergleicht2. Zahlreiche empirische Überprüfungen und Statistiken zeigen die Korrelation zwischen einer sozioökonomischen Entwicklung und einer demokratischen politischen Kultur3. Zahlreiche Länderbeispiele befestigen Lipsets Theorie, darunter auch die Halbinsel Südkorea. Das Land schaffte es durch eine Umstrukturierung der Ökonomie zu einer Systemtransformation. Wie es genau zum Systemwechsel kam, wird im Folgenden Abschnitt explizit erläutert. Dazu werden die wesentlichen Ereignisse in der Geschichte Südkoreas aufgezeigt und erläutert.
3. Entwicklung Südkoreas: vom autoritären Militärstaat zur Demokratie
Südkorea hat eine wechselhafte Entwicklung hinter sich. Die kleine Halbinsel, die quasi von Japan und China umringt wird, musste immer wieder gegen Erschütterungen, Veränderungen und Besitzansprüche anderer Völker ankommen. Eine der größten Kontroverse war die Annexion Südkoreas durch die japanische Kolonialmacht im Jahr 1910 (Croissant 2003: 226). Durch die Annektierung gewann Japan fast vollständige Autonomie über Korea. Gegen den Willen der Koreaner intendierte Nippon, der damalige Hepburn, eine vollständige Assimilation und die Integrierung eines eigenen ökonomischen Systems (Schneidewind 2013: 36). Damit spitzte sich die Situation immer weiter zu: Zahlreiche Studenten, Politiker, Arbeiter und Unternehmer verloren bei Demonstrationen und Widerständen ihr Leben (Schneidewind 2013: 37). Erst mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Niederlage Japans konnte die Assimilation gestoppt werden. Die damaligen Siegermächte, Amerika und die Sowjetunion, besetzten und spalteten Korea (Croissant 2003: 226). Seither bildeten sich zwei verschiedene Territorien, mit der autoritär-sozialistischen Seite im Norden und einer autoritär-kapitalistischen Hälfte im Süden. Im Jahr 1948 gründeten sich offiziell die zwei bis heute anerkannten Staaten: Die Republik Korea auf der südlichen Seite unter den Staatspräsidenten Rhee Syng-man und die Demokratische Volksrepublik Korea auf der nördlichen Seite. Damit zogen sich die USA und die Sowjetunion zurück und hinterließen ein Kampffeld für die gespaltene Nation. Der Koreakrieg brach aus und war der Anfang einer langen, wenn auch alternierenden, Entwicklungsgeschichte für Südkorea.
3.1. Das Militär als Entwicklungsvorantreiber
Der Koreakrieg, der 1950 begann und seit 1953 offiziell immer noch (da es nie einen Friedensvertrag gab) mit einem Waffenstillstand andauert, hinterließ eine ideologisch gespaltene Gesellschaft und ein wirtschaftlich zerstörtes Land. Nachdem der 38. Breitengrad als offizielle Landesgrenze eingerichtet wurde, war die Halbinsel vollständig getrennt (Schneidewind 2013:42). Rhee, der damalig amtierende Staatspräsident, kümmerte sich wenig um die katastrophale Wirtschaftslage im Land, vielmehr versuchte er sein autoritäres Regime zunehmend ideologisch zu legitimieren (Croissant 2003: 226). Das Volk realisierte die Korruption und Manipulation der Wahlen und die Rücktrittsforderungen gegenüber Rhee wurden immer lauter. Der Wunsch nach einer liberalen Demokratie wurde stärker und die „Diskrepanz zwischen demokratischer Rhetorik und autoritärer Wirklichkeit“ (Croissant 2003: 226) immer größer. Es kam zu Massenprotesten und Demonstrationen, bei denen sich vor allem Studierende, Intellektuelle und die städtischen Mittelschicht beteiligten, bis sich schließlich Rhee zum Rücktritt bereit erklärte (Croissant 2003: 226, Schneidewind 2013: 43).
Es folgten rasch freie demokratische Wahlen und eine zweite, eher parlamentarische, Regierung im Jahr 1960 unter dem Präsidenten Yun Po Sun trat in Kraft. Diese zeigte jedoch ebenfalls wenig Wirkung im wirtschaftlichen System Südkoreas. Die Kriminalität stieg, Rebellen, Demonstrationen und Schwarzmarkthändler machten sich breit und das Land versank im Chaos (Schneidewind 2013: 44). Die Labilität des Landes machte sich das Militär zu Nutze und putschte nach nur 10 Monaten unter General Park Chun-hee die Regierung (Croissant 2003: 226). Es folgte eine dritte Republik, die das Ziel einer Modernisierung des Landes von Oben hatte. Unter der Scheindemokratie4 und der militärischen Wirklichkeit wurde Park aktiv und mobilisierte in seiner fast zwei Jahrzehnte langen Regierungszeit wieder das Land.
Er kümmerte sich sowohl um die Außenpolitik, indem er die Beziehungen zu Japan und den USA (wieder) stabilisierte, als auch um die Wirtschaft im Inland, indem er das Verwaltungsapparat umstellte, Arbeitskräfte entließ und einstellte, und die Bürokratie umstrukturierte. Man sprach von einem „Bürokratischen Autoritarismus“ (Schneidewind 2013: 45, Köllner 2005: 57).
[...]
1 Nach Merkel ist die Beziehung zwischen ökonomischer Modernisierung und Demokratie kausal, aber nicht monokausal. Vielmehr sieht er die ökonomische Modernisierung als eine fundamentale Voraussetzung dafür, autokratischen Regime herauszufordern und demokratisierungswillige Akteure zu stärken (siehe dazu Merkel 2010: 73)
2 Mehr dazu in: Lipset 1959: 73ff.
3 Siehe dazu beispielsweise Carles Boix 2011: 809-828, Carles Boix 2003: 517-549, Merkel 2010: 70ff.
4 Beispielsweise hielt sich weiterhin der Präsident im Amt und es gab weiterhin (manipulierte) Wahlen
- Quote paper
- Anonymous,, 2015, Führt wirtschaftliche Entwicklung zur gelungenen Demokratisierung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1240221
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