Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich dem Glauben und der Religion der Wikinger, die vor allem zwischen dem achten und elften Jahrhundert mit dem Christentum in Berührung kamen. Die Christianisierung Skandinaviens zog sich über mehrere Jahrhunderte hin und selbst heute gibt es in Island oder Norwegen noch Gemeinschaften, die heidnische Kulte ausüben und die alten Götter des Nordens verehren. Es soll daher erörtert werden, wie viele Informationen man aus den vorhandenen Quellen ziehen kann, die Aufschlüsse über die Glaubensvorstellungen der Wikinger geben können und ob diese nachvollziehbar sind oder rein spekulativ. Kann man aufgrund der vorhandenen Quellen und Informationen eine Glaubens- oder Religionsgeschichte der Wikinger aufzeigen? Ist das Heidentum wirklich vom christlichen Glauben verdrängt worden oder konnten sich einige Insignien und Rituale des Heidentums im Christentum manifestieren?
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Begriffserläuterungen
1.1. Religion
1.2. Wikinger
2. Quellenlage / Quellenproblematik
2.1. Archäologische Quellen
2.1.1. Kultplätze
2.2. Runen
2.3. Altnordische Überlieferungen
2.3.1. Edda des Snorri Sturluson
2.3.2. Skaldendichtung
3. Religiöse und gesellschaftliche Grundlagen der Wikinger
3.1. Sippe bzw. Familie der Wikinger
3.2. Menschliches Zusammenleben
3.3. Gesellschaftsordnung
4. Vorchristliche Religion im Norden
4.1. Wikingerzeitliches Weltbild
4.1.1. Entstehung der Welt
4.1.2. Ragnarök
4.1.3. Schicksal
4.2. Götter und Gottheiten
4.2.1. Odin
4.2.2. Thor
4.2.3. Balder
4.2.4. Loki
4.2.5. Freyr und Freyja
4.3. Mythische Wesen und Erscheinungen
4.3.1. Riesen
4.3.2. Alben
4.3.3. Zwerge
4.3.4. Disen
4.3.5. Walküren
4.4. Kulte und Riten der vorchristlichen Wikinger
5. Das Leben nach dem Tod
5.1. Grabformen
5.2. Grabbeigaben
5.2.1. Waffen als Grabbeigabe
5.2.2. Pferdegräber
5.2.3. Bedeutung der Schiffe als Grabbeigabe
5.3. Bestattungsriten
5.4. Totenreiche im wikingischen Heidentum
5.4.1. Walhalla
5.4.2. Hel
5.4.3. Ran
6. Frühe Kontakte mit dem Christentum
6.1. Mögliche Ursachen der wikingischen Expansion
6.2. Frühe Handelszentren in Skandinavien
6.2.1. Haithabu
6.3. Erste Raubzüge
6.4. Wikingische Expansionsvorhaben
7. Der Einzug des Christentums im Norden
7.1. Missionstätigkeiten im Norden
7.2. Missionierungen in Dänemark und Schweden
7.2.1. Ansgar - der Apostel des Nordens
7.3. Integration der Wikinger in England
7.4. Wikinger werden zu Normannen
8. Christianisierung Skandinaviens
8.1. Dänemarks Christianisierung
8.2. Norwegens Christianisierung
8.2.1. Bekehrung Islands
8.3. Schwedens Christianisierung
9. Resümee
Quellen und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise
0. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich dem Glauben und der Religion der Wikinger, die vor allem zwischen dem achten und elften Jahrhundert mit dem Christentum in Berührung kamen. Die Christianisierung Skandinaviens zog sich über mehrere Jahrhunderte hin und selbst heute gibt es in Island oder Norwegen noch Gemeinschaften, die heidnische Kulte ausüben und die alten Götter des Nordens verehren. Es soll daher erörtert werden, wie viele Informationen man aus den vorhandenen Quellen ziehen kann, die Aufschlüsse über die Glaubensvorstellungen der Wikinger geben können und ob diese nachvollziehbar sind oder rein spekulativ. Kann man aufgrund der vorhandenen Quellen und Informationen eine Glaubens- oder Religionsgeschichte der Wikinger aufzeigen? Ist das Heidentum wirklich vom christlichen Glauben verdrängt worden oder konnten sich einige Insignien und Rituale des Heidentums im Christentum manifestieren?
Die ,Religion' oder der ,Glaube' der Wikinger beinhaltet zum einen viele einzelne Elemente und zum anderen ist der Begriff selbst sehr weitläufig, so dass man im Grunde keine genaue Aussage treffen kann, ob die Wikinger ,Religion' als solche überhaupt klassifizierten. Daher werden im ersten Kapitel die Begrifflichkeiten erläutert, bevor es um die Auseinandersetzung mit der Quellenlage und der dahingehenden Quellenproblematik weitergeht. Da es für diese Bevölkerungsgruppe Skandinaviens primär keine schriftlichen Quellen gibt, mit Ausnahme der Runen und bildlichen Darstellungen, muss man vor allem auf archäologische Funde und Sekundärquellen zurückgreifen. Fundstücke der Archäologie zeigen keine zielgerichtete Handlung, sofern Gegenstände nicht absichtlich platziert wurden. Daher sind sie wegen ihres indirekten Beweiswertes zuverlässige historische Quellen. Neben den bereits genannten Quellen erörtere ich noch die altnordischen Überlieferungen, da diese für die nordische Mythologie und eine eventuelle Aufzeigung einer wikingischen Religion unerlässlich sind. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den religiösen und gesellschaftlichen Grundlagen und Strukturen der Wikinger, bevor sich das nachfolgende Kapitel ausführlich mit einer vorchristlichen Religion im Norden auseinandersetzen wird. Dabei gehe ich vor allem auf das wikingerzeitliche Weltbild ein, die Götter in dem polytheistischen Glauben der Wikinger und andere mythische Wesen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten. Das Leben nach dem Tod bildet das fünfte Kapitel, wobei hier vor allem die Grabformen, Grabbeigaben, Bestattungsriten und die verschiedenen Totenreiche im wikingischen Heidentum Aufschlüsse über die Jenseitsvorstellungen der Wikinger bieten sollen. Daran anschließend werden die frühen Kontakte mit dem Christentum behandelt und dargestellt in welcher Art und Weise die Wikinger mit dem christlichen Glauben in Berührung kamen. Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich mit dem Einzug des Christentums im Norden aufgrund verschiedener Missionstätigkeiten und mit der letztlich stattgefundenen Christianisierung der skandinavischen Kernländer, die im Einzelnen näher beleuchtet werden sollen. Dabei richtet sich das Augenmerk nicht im vollen Umfang auf die politischen Auswirkungen, sondern vielmehr auf die Christianisierungsvorhaben der einzelnen Herrscher und deren Erfolg oder Scheitern.
Als Hauptquelle für die nordgermanische Mythologie verwende ich die Edda von Snorri Sturluson, die eine vielseitige Darstellung der Götter und mythischer Wesen bietet, welche für die Wikinger und ihren Glauben von essentieller Wichtigkeit waren. Bei vielen meiner Ausführungen beziehe ich mich auf das Werk von Rudolf Simek „Religion und Mythologie der Germanen“1, das detaillierte Ausführungen zur germanischen Mythologie und Religion der Germanen enthält, sowie auf Birgit und Peter Sawyer mit ihrem Werk „Die Welt der Wikinger“2, das 2002 publiziert wurde und einen ausführlichen Blick auf das Leben und Wirken der Wikinger wirft. Außerdem stütze ich mich vor allem bei der Quellenlage und Quellenproblematik auf den Sammelband „Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme“3 der von Heinrich Beck herausgegeben wurde.
1. Begriffserläuterungen
In der Forschung wird der Begriff der germanischen Religion unterschiedlich aufgefasst und kontrovers diskutiert. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, kann man nicht davon ausgehen, dass die Wikinger die Religion als solche praktizierten. Auch die Bezeichnung Wikinger' ist häufig mit Fragen und Schwierigkeiten verbunden, da sie zum einen in den Quellen nicht als solche bezeichnet werden und zum anderen bei den unterschiedlichen Autoren auch als Germanen, Nordmänner oder Anderes bezeichnet werden. Daher widme ich mich zunächst den einzelnen Begriffsschwierigkeiten, um Verwirrungen vorbeugen zu können und Ungereimtheiten auszuschließen.
1.1. Religion
Das Wort Religion stammt ursprünglich vom lateinischen Wort religio ab und hatte in der römischen Zeit und Kultur verschiedene Bedeutungen. Für die heutige Bedeutung des Wortes ist in erster Linie das Christentum verantwortlich, da es das lateinische Ursprungswort für die eigene Thematik benutzte. Die Religion wird hauptsächlich durch das Christentum verkörpert und daher ist ein Übergang des Wortes zu anderen Arten problematisch. Aus diesem Grund ist es fraglich, ob man aus mittelalterlicher Sicht von Religion sprechen kann und ob sie sich überhaupt in eine weltumfassende, konzeptionelle Kategorie einordnen lässt. Obwohl eine allgemeine Definition von Religion nahezu ausgeschlossen scheint, tendiert die Forschung heutzutage zu einer ausgedehnteren Bedeutung des Begriffes. Dennoch wäre es denkbar, dass man den Begriff ,Religion‘ auf einen bestimmten Kulturkreis zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte projizieren könnte und ihn so als Ausdruck für spirituelle oder übermenschliche Phänomene verstehen könnte. Das würde bedeuten, dass die Religion außer Gottheiten auch andere Wesen wie Ahnen und Schutzgeister beinhalten würde, wie auch Auffassungen und Methoden, die als Magie und Zauberei bezeichnet werden.4
Das generelle Problem mit einer Definition von Religion halte ich kurz, weil es im Grunde ein eigenes Forschungsgebiet darstellt und am Thema dieser Arbeit vorbei gehen würde.
1.2. Wikinger
Wikinger, Normannen und Waräger sind seit Jahrhunderten die Bezeichnung für die Völker Skandinaviens, wobei man heute die nordgermanischen Völker des Frühmittelalters generell als Wikinger bezeichnet. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wanderten in die unterschiedlichsten Richtungen und erschlossen sich neue Siedlungsgebiete. Gruppen von Dänen und Norwegern verschlug es auf die Britischen Inseln, ins Frankenreich und auf die Inseln im Nordatlantik. Die Schweden zog es nach Finnland und ins Baltikum, wie auch nach Osteuropa. Temporär kamen sie über das Schwarze Meer, die Wolga und das Kaspische Meer ins heutige Istanbul, Bagdad und den Kaukasus. Obwohl sie nicht in einem einheitlichen Reich lebten, hatten sie eine ähnliche Lebensweise, Gemeinsamkeiten und eine verbindende Kul-tur.5 Der Ursprung des Begriffs ,Wikinger‘ ist nicht geklärt und wie bereits erwähnt kommt dieser Begriff in zeitgenössischen Quellen weniger vor, außer in Bezug auf Männer, die „a v^king (auf Wiking) fuhren“6, was bedeutete, dass sie die Heimat verließen und auf Raubzüge gingen. Das skandinavische Wort V'ik bedeutet „Bucht“, daher könnte man daraus schließen, dass der Begriff „auf Wiking“ die Orte meint, von welchen die Männer wegsegelten oder dass er sich auf versteckte Buchten bezieht, in denen sie auf ihre Opfer warteten. Eine andere Möglichkeit wäre auch, dass sich v'ik auf Handelsplätze bezieht, die die Männer aufsuchten, da einige als wic (Handelsniederlassungen) bekannt waren.7 Allgemein gesehen ist ,Wikinger‘ ein technischer Begriff, der sich im Grunde erst durch die Literatur und Forschung herausbildete und vor allem im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Bedeutsamkeit erhielt.8
2. Quellenlage / Quellenproblematik
Die Quellenlage für diese Thematik erweist sich als schwierig, da sich die Forschung in vielen Punkten uneinig zeigt. Es gibt unterschiedliche Interpretationen und dieser Umstand spielt bei den Forschungen über die Wikinger eine größere Rolle als bei den meisten Themengebieten der mittelalterlichen Geschichte. Diese Unsicherheit hat mehrere Gründe, wie beispielsweise, dass die Wikinger einen weiten Handlungsspielraum einnahmen und dass die Forschung auf verschiedene Quellen zurückgreifen muss, die auf unterschiedliche Weise und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Es gibt Quellen in den verschiedensten alten Sprachen, wie Altirisch, Altenglisch, Altnorwegisch, Arabisch, in byzantinischem Griechisch und Latein. Sofern Forscher nicht alle diese Sprachen beherrschen, ist man auf Übersetzungen angewiesen, die wiederum Spielraum für Interpretationen zulassen. Darüber hinaus gibt es außer Runeninschriften vor dem 11. Jahrhundert keine schriftlichen Zeugnisse über das Leben und Wirken der Menschen in Skandinavien.9
Die vorchristliche Gesellschaft des Nordens setzte vor allem auf mündliche Überlieferungen und Runeninschriften, die in einem Unterpunkt näher beleuchtet werden.
Die Forschung ist daher auf Quellen angewiesen, die anderenorts in Europa verfasst worden sind. Die Quellenliteratur späterer Zeit umfasst eine große Zahl von Schriften, die sich einerseits mit der heidnischen Religion und andererseits mit der Zeit der Missionierung und Christianisierung beschäftigen. Die verschiedenen Arten von schriftlichen Quellen entstanden vorwiegend im 12. und 13. Jahrhundert und bestehen aus Lebensdarstellungen von Heiligen, Erzählungen, Sagas, liturgischen Büchern sowie aus kirchlichen wie weltlichen Gesetzesschriften.10
Allerdings muss bei den späteren Quellen bemerkt werden, dass die Verfasser dieser Schriften bereits mit der christlichen Religion in Berührung kamen und zumeist auch dem christlichen Glauben angehörten. Daher sind diese Quellen gerade im Bezug auf den Wandel von Heidentum zu Christentum von eingeschränktem historischen Wert und müssen kritisch hinterfragt werden.
Die Autoren Birgit und Peter Sawyer nennen in ihrem Werk „Die Welt der Wikinger“ 11 verschiedene fremde schriftliche Quellen, die Aufschlüsse über die Wikinger jener Zeit liefern. Es sind vor allem Schriften und Chroniken aus dem Frankenreich, England und Irland, die Informationen über die skandinavischen Völker enthalten. Zu bemerken ist aber, dass die Verfasser dieser Informationen zumeist Opfer der Wikinger waren und sie daher keine objektive Sichtweise darstellen. Obwohl mehrfach über die kriegerischen Techniken der Skandinavier und ihre Brauchtümer berichtet wird, gibt es nur zwei Texte, die insbesondere die Verhältnisse dieser Zeit in Skandinavien aufgreifen. Zum einen ist das die um 875 von Rimbert verfasste „ Vita Anska-rii“12 über das Leben und Wirken des heiligen Ansgars, dem Erzbischof von Hamburg-Bremen. Darin sind unter anderen Informationen über Versammlungen, die Angelegenheiten der Könige und die heidnischen Überzeugungen der Nordmänner enthalten. Andererseits gibt es die „ Historiae adversus Paganos (Sieben Bücher der Geschichte gegen die Heiden)“13, welche 417/18 von dem spanischen Priester Paulus Orosius stammt. Allerdings gibt es im Gegensatz zu der englischen Ausführung, welche während der Regierungszeit des angelsächsischen Königs Alfred (871-899) entstand, keine Erwähnungen über Skandinavien. Im 9. Jahrhundert spielten die Wikinger in diesem Gebiet eine große Rolle und daher ließ man Berichte über Skandinavien und dessen Bewohner mit einfließen. Die Informationen darüber beschaffte man sich aus anderen Quellen dieser Zeit. Eine andere wertvolle Quelle, die uns Auskunft über die Wikinger gibt, sind die „ Gesta Hammaburgensis ecclesiae“14 von Adam von Bremen. Es ist selbstredend eine rein christliche Darstellung und zielt vor allem auf die rechtmäßige Führung und Macht des erzbischöflichen Anspruchs über die Kirche in den skandinavischen Gebieten. Man wies allerdings vor kurzem nach, dass die Ausführungen Adams von Bremen das Bild und die Informationen über Skandinavien und dessen Bevölkerung stark pervertieren und seine Aussagen daher sehr kritisch zu betrachten sind.15
Durch die Rezeption von nordischen Texten,Heldensagen und anderer alter Spuren entstand unser modernes Bild von der Religion der Wikinger. Das spärliche Quellenmaterial ergänzte man durch die Überlieferungen Skandinaviens und versuchte so eine allgemeine nordgermanische Religionsgeschichte zu verfassen. Heldensagen und anderer alter Spuren entstand unser modernes Bild von der Religion der Wikinger. Das spärliche Quellenmaterial ergänzte man durch die Überlieferungen Skandinaviens und versuchte so eine allgemeine nordgermanische Religionsgeschichte zu verfassen.
2.1. Archäologische Quellen
Die Archäologie definiert ihre Quellen zur Religion sehr einfach, indem sie erklärt, dass alles mit Religion zu tun hat, was sich nicht einfach oder vollkommen erklären lässt. Detlev Ellmers gibt hierzu in seinem Artikel „Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte“16 als Beispiel einen Schwertfund an. Ein Schwert ist ein einfacher Gegenstand, aber sobald man es als Grabbeigabe findet, sagt es etwas zur Religion aus, denn auf den Verstorbenen wartet statt einem friedlichen Jenseits, ein kriegerisches Weiterleben nach dem Tod. Im Gegensatz zu Philologen und Historikern hat der Archäologie es immer mit primären Quellen zu tun, weil es sich dabei um „direkte materielle Überreste (oder Hinterlassenschaften) religiöser Handlungen“17 handelt. Obwohl die Archäologie genauso wenig über das Nichtmaterielle der Religion eine Aussage treffen kann, wie beispielsweise Tänze, Melodien oder die Glaubensvorstellungen, so hat sie aber aufgrund von Grabbeigaben Anhaltspunkte, welche auf die Aussichten im Jenseits schließen lassen können. Des Weiteren können diese Quellen meist einen genauen räumlichen und zeitlichen Nachweis von bestimmten Vorgängen liefern. Das hat den Vorteil, dass die Archäologie religiöse Handlungen relativ präzise beschreiben kann und verorten kann, ob es sich nicht um eine Vorgeschichte handelt beziehungsweise eine Zeit, in der man noch nicht von Germanen spricht.18 Aufgrund von neuen Methoden kam es in den letzten Jahrzehnten in der Archäologie zu bemerkenswerten Funden. Man untersuchte verschiedene Handelsplätze, die in Überlieferungen erwähnt wurden und kam so zu neuen Entdeckungen. Von entscheidender Bedeutung sind die optimierten Datierungsmethoden, die in der heutigen Forschung eingesetzt werden. Als gutes Beispiel wäre hier die Dendrochronologie zu nennen, mit deren Hilfe man Holz datieren kann. Diese Methode hat einen enormen Nutzen, wenn es um die Datierung von Gebäuden und Kirchen geht. Ebenfalls häufig eingesetzt wird die sogenannte C-14- Methode19, die oftmals Aufschluss über Todesdaten von lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren oder Menschen geben kann. Die Ergebnisse sind dabei allerdings nicht präzise, sondern geben zumeist eine Zeitspanne an, in welcher der Tod eingetreten sein könnte.20
2.1.1. Kultplätze
Einen Großteil der archäologischen Quellen sind Kultplätze, wie Bestattungsplätze und Opferplätze, die für die Forschung von enormer Bedeutung sind. Bestattungsplätze nehmen hierbei zahlenmäßig den vorrangigen Platz ein, da jegliche Form der Bestattung, jeder Grabhügel oder Grabmal einen Bestattungsplatz beglaubigt. Neben den Örtlichkeiten kann man aufgrund der Grabbeigaben inhaltliche Schlüsse ziehen, obwohl es erkennbare Unterschiede bei der Grabausstattung der Toten gab. Dies lässt sich auf die differente Gesellschaft zurückführen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Germanen im Jenseits wohl eine hierarchisch abgestufte Gesellschaft erwarteten. Eine Waffenbeigabe in Männergräbern ist ein eindeutiges Indiz, dass der Tote im Jenseits einen Kampf erwartet. Es ist allerdings zu bemerken, dass es nicht zu jeder Zeit und nicht bei allen germanischen Stämmen Kriegswerkzeug als Grabbeigaben gab. Weitere Grabbeigaben, die auf eine Jenseitshoffnung schließen, sind neben Waffen auch Geschirr, festliche Kleidung und Schmuck. Herausstechende Gräber hatten Pferde, Schiffe oder Wagen als Beigaben, was Auskunft gibt, wie sich die Lebenden den Weg ins Jenseits vorstellten. Diese archäologischen Quellen lassen sich teilweise gut mit schriftlichen Quellen vergleichen, da die diversen Bestattungsformen und Grabbeigaben oft Erwähnung in den Überlieferungen finden. Die schriftlichen Quellen aus dem Mittelalter lassen darauf schließen, dass man heute über die Reise der Wikinger ins Jenseits beziehungsweise nach Walhall Bescheid weiß, da sie oftmals mit Fundstücken aus den Gräbern übereinstimmen. Trotz dieser Tatsache sollte man nicht davon ausgehen, dass es diese „Walhall-Vorstellungen“21 bereits in der römischen Kaiserzeit oder in vorgermanischer Zeit gab. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der alte Kult der Grabbeigaben die Vorstellungen von Walhall mit beeinflusste. Eine weitere Form von Kultplätzen, die sich oftmals mit Bestattungsplätzen überschneiden, sind Opferplätze. Hierbei geht es in erster Linie darum, dass Gegenstände, Tiere oder Menschen mit Absicht und in einem religiösen Zusammenhang an einem bestimmten Platz deponiert wurden. Archäologische Funde ergaben, dass es bei Bestattungen oftmals zu Opferhandlungen kam, wie beispielsweise Pferde, aber man brachte auch Menschenopfer dar. Auf Friedhöfen in Skandinavien, die man in die Wikingerzeit verortete, fand man mehrfach Frauenopfer, die bei hochgestellten männlichen Verstorbenen lagen. Aufgrund der Vielzahl archäologischer Ausgrabungen und Fundstücke in Gräbern und Opferplätzen, kann man davon ausgehen, dass diese Objekte aus einem bestimmten Grund beigelegt wurden und sie in einen religiösen Kontext setzen.22
2.2. Runen
Runen gelten als einzige authentische schriftliche Quelle der Wikinger und widersprechen somit der Auffassung, dass es sich bei den Wikingern um eine schriftlose Gesellschaft handelte. Man fand frühe Runen in verschiedenen Teilen Europas und kann sie daher nicht ausschließlich als ,nordisch' bezeichnen. Es gab Funde in Deutschland, den Niederlanden, England und Mitteleuropa, aber am längsten existierten sie im Norden Europas, wo sie auch die meisten Spuren hinterließen.23 Die Runenschrift gilt als älteste germanische Schrift und entstand vermutlich auf Basis mediterraner Alphabete. Die älteste Runeninschrift fand man in Norwegen auf einer Speerspitze, welche aus dem zweiten Jahrhundert stammte. Ein einheitliches Runenalphabet, bestehend aus 24 Zeichen, entstand wahrscheinlich zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert. Aufgrund der ersten sechs Zeichen der Runenreihe bezeichnete man es als das ältere Futhark. Durch Weiterentwicklungen begann sich das Runenalphabet mit Beginn des achten Jahrhunderts zu verändern und bestand von diesem Zeitpunkt an nur noch aus 16 Zeichen, dem sogenannten jüngeren Futhark. Jedes Zeichen stand nicht nur für einen Laut, sondern hatte auch einen Symbolwert.24
Da sich die Runen nicht für lange Aufzeichnungen eigneten, fand man vorwiegend Runeninschriften auf Steinen, aber auch auf Holz, Metall oder Knochen.25 Sie dienten als Denkmal, zum Gedenken oder als Grabstein. Runensteine sind als Quelle für die Wikingerzeit dahingehend wertvoll, weil sie Aufschluss über „Themen wie Spra- che und Orthographie, Kunst und Dichtung, Personen- und Ortsnamen, Verwandt schaft, Besiedlung, Kommunikationswege, Expeditionen“26 geben können. Sie enthalten allerdings auch wichtige Informationen über die Ausbreitung des christlichen Glaubens unter den Wikingern, weil sie nachweislich auch christliche Botschaften übermittelten.27 Obwohl bereits christianisierte Völker wie Franken und Alemannen keine Runen mehr verwendeten, erlebte diese Schriftform während der Wikingerzeit vor allem im 10. Jahrhundert in Skandinavien eine Hochzeit. Man geht davon aus, dass sogenannte Runenmeister Steine oder andere Gegenstände mit Runen versahen und dies vorwiegend von Privatpersonen in Auftrag gegeben wurden. Meist gedachte man mit den eingemeißelten Runen eines Verstorbenen. Es gab aber auch andere Verwendungsmöglichkeiten, wie das Ausdrücken von Erbschaftsangelegenheiten, das Beklagen eines auf See verschwundenen Familienmitglieds, magische
Verwünschungen oder offizielle Angelegenheiten.28 Viele Runensteine tragen auch ornamentale Verzierungen oder inhaltlich wichtige Bildnisse, wie beispielsweise der aus dem 10. Jahrhundert stammende Runenstein aus Jelling. Auf einer Seite erzählt er über Harald Blauzahns Einführung des Christentums in Dänemark, auf der nächsten Seite erkennt man einen ornamentalen Drachen und auf der dritten Seite ist Christus am Kreuz abgebildet. Über 80 Prozent der Runeninschriften in Skandinavien sind in der Wikingerzeit zu verorten, wobei die Anzahl der Runensteine und Runeninschriften in den verschiedenen Gebieten stark variiert.29
[Die Abb. 1+2 wurden aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt.]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.3. Altnordische Überlieferungen
Die Wikinger hatten keine Kultur der Schriftlichkeit, denn ihre Kenntnis über „Bräuche, soziale Beziehungen, Verwandtschaft, handwerkliches Können, Geschichte, Lebenskunst, Vorstellungen über Leben und Tod, die Schöpfung und den Jüngsten Tag“30 gaben sie mündlich wieder. Sie führten diese Mündlichkeit neben der aufkommenden, durch christlichen Einfluss wachsenden, Schriftlichkeit weiter. Daher müssen frühe schriftliche Quellen kritisch gesehen werden, da sich die mündliche und schriftliche Kultur sehr wahrscheinlich gegenseitig beeinflusste. Die heutige Forschung ist sich über diese Überlieferungen, die man teilweise erst im 12. Jahrhundert verschriftlichte, und ihren historischen Wert uneinig. Die mündliche Weitergabe von Informationen unterlag im Laufe der Zeit den veränderten Umständen und man pass- te die Lieder, Sagas und Gesetze dementsprechend an. Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung waren es gegenwärtige, zeitgenössische Berichte und man bewahrte keine alten und vergessenen Quellen. Des Weiteren waren die mittelalterlichen Autoren starken Einflüssen aus Europa ausgesetzt, die wiederum diese Werke beeinflussten. Einige Gelehrte sind der Auffassung, dass man in diesen frühen skandinavischen Schriften keine regionalen Überlieferungen finden kann, sondern dass es lediglich Quellen sind, die Aufschlüsse über die Ansichten und Gesinnungen des 13. und 14. Jahrhunderts geben können. Andere Forscher hoffen nach wie vor gewisse Anforderungen für die Bestimmung einer gewissen Tradition zu finden.31 Bei den frühen nordischen Texten, wie den altnordischen Sagas und skaldischen Gedichten kann man keine exakte Unterscheidung zwischen Fiktion und Geschichte treffen, da vermutlich etwas von beiden in ihnen steckt. Besonderen Einfluss und vermehrte Glaubwürdigkeit erlangten die mittelalterlichen Texte „Gesta Danorum“32 von Saxo Grammaticus und die „Heimskringla“33 von Snorri Sturluson, die ein Konvolut von Königssagen darstellt.34 Die Gesta Danorum umfasst insgesamt 16 Bände, die der Erzbischof von Lund in Auftrag gab. Saxo Grammaticus beschreibt in neun Bänden die sagenmäßige Vorzeit Dänemarks und berichtet über die nationalen Heldensagen. Die nachfolgenden Bände beinhalten die Zeiten von König Harald Blâtand, der als erster König das Land vereinte, bis zur Herrschaft Waldemars des Großen. Der Autor greift dabei auf viele antike und mittelalterliche Autoren, Chroniken, Gesetzessammlungen und Annalen zurück. Allerdings muss auch bei dieser Quelle beachtet werden, dass sämtliche Berichte und Informationen aus der Hand eines christlichen Au- tors stammen und heldenhaft idealisiert sind.35
Nach wie vor gelten aber in der Forschung auch die Ältere und Jüngere Edda sowie die Skaldendichtung als ein beeindruckendes Zeugnis für die germanische Religion und Mythologie. Die einzige Quelle, die ein Gesamtbild der heidnischen Göttervorstellungen hervorbringt, ist die Edda des Snorri Sturluson. Obwohl die Informationen über die nordische und germanische Mythologie enorm sind, können die Inhalte nicht ohne jede Kritik übernommen werden. Ein kritischer Punkt ist, dass die Texte vermutlich erst im 13. Jahrhundert entstanden und somit von den tatsächlichen Vorkomm- nissen und religiösen Gegebenheiten der Wikinger zeitlich gesehen weit entfernt waren. Ein weiterer Punkt der beachtet werden muss, ist, dass die Autoren beziehungsweise Sammler dieser Texte bereits dem christlichen Glauben angehörten und man daher auch von einer christlichen Prägung der Texte ausgehen muss. Außerdem kommt hinzu, dass sich die Quellen im Grunde nur im nordgermanischen Raum beziehungsweise Skandinavien verbreiteten. Das lässt sich durch den Umstand erklären, dass man die Werke auf Island niederschrieb. Vor allem aus diesem Grund und auch dem Hintergrund, dass die Datierung der Texte frühestens auf das 10. Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert, also dem Wikingerzeitalter einzuschränken ist, sind diese Texte auch als eine Primärquelle für die Religion der Wikinger zu sehen. Die Auseinandersetzung mit der Religion der Wikinger, wie auch mit der Mythologie, sind sehr wahrscheinlich auf ein traditionelles Interesse zurückzuführen. Daraus resultierend ergeben sich nicht nur eine Sammlung von alten erhaltenen Handschriften, sondern dass man jene auch neu aufarbeitete.36
Der „Codex-Regius“37 ist die Haupthandschrift zu den Edda-Texten und befindet sich seit 1971 im Handschrifteninstitut zu Reykjav^k in Island. Zur Entstehung ist sich die Forschung nach wie vor nicht einig, aber man datiert die Handschrift ungefähr auf das Jahr 1270. Dr. Manfred Stange38 führt in seinem Nachwort einer bearbeiteten Ausgabe der Edda zur Entstehungsgeschichte an, dass es kleinere Sammlungen von Liedergruppen gab, bevor es zu einer großen Sammlung kam, die wiederrum als Vorlage für den Codex Regius galt oder eventuell schon selbst der Codex Regius war. Des Weiteren präsentiert er drei weitere Entstehungsthesen zur Edda: A. Heusler (1923) geht von einem stufenweisen Vorgehen aus, bei welchem die einzelnen Lieder in Heften zusammengefasst werden. E. Wesen (1945) vertritt hingegen die Ansicht, dass Snorri Sturluson eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der EddaTexte spielte, weil er bereits im Jahr 1220 viele Lieder zitierte, obwohl der Codex Regius erst um das Jahr 1270 datiert wurde. G. Lindbald (1954-1980) ist hingegen der Auffassung, dass es zwei Sammlungen gab. Einerseits wurden die einzelnen Lieder zum Götterliederteil des Codex Regius und andererseits gab es den Heldenliederteil, der von Beginn an als Liederzyklus geplant war.39
Für das vorliegende Thema, die Religion der Wikinger und das Heidentum, lassen sich auch noch weitere schriftliche Zeugnisse heranziehen, wie etwa die Skaldendichtung, die bereits erwähnten Runeninschriften oder vereinzelte Hinweise in späteren Rechtsschriften. Dennoch können diese Quellen den eddischen Texten nicht den ersten Rang streitig machen und sind vielfach nur als Zusatz oder als eine Erläuterung anzusehen.40
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich vorwiegend mit der Edda des Snorri Sturluson auseinandersetzen, da er vor allem die Götterwelt der Germanen beschreibt und sein Wissen über nordische Mythologie und Kosmogonie zusammenfasst.
2.3.1. Edda des Snorri Sturluson
Snorri Sturluson ist vermutlich der bekannteste und wichtigste Autor Islands. Er lebte von 1179 bis 1241 in Island und gehörte zu einer der einflussreichsten Familien von Island. Traditionsgemäß schickte man Snorri als Ziehsohn nach Oddi im Süden von Island, wo er neben der abendländisch-christlichen Bildung auch die lateinische Schrift lernte sowie das Wissen über die nationalen isländischen Überlieferungen. Er hinterließ viele aussagekräftige Werke für die Wikingerzeit, wie die Heimskringla, eine Geschichte von Norwegens Königen.41 Obwohl seine Edda heutzutage oftmals als Handbuch für die heidnische Götterlehre Verwendung findet, war sie ursprünglich als Leitfaden für die Skaldendichtung gedacht. Die Skaldendichtung verlangte eine sehr komplexe und kodierte Schreibweise, indem man versuchte alle Begriffe zu verschlüsseln, aber durch diesen Stil auch visuell deutliche Bilder erschuf. Für diese Art der Dichtkunst verwendete man vielfach die heidnisch-nordische Mythologie.42 Die Snorra-Edda ist in drei Bücher gegliedert, beginnend mit der Gylfaginning (Gylfis Täuschung), was heidnische Mythenerzählungen sind. Im Anschluss folgen eine Anleitung und Beschreibung zur die Verwendung der Kenningar in den Skaldskaparmal (Lehre von der Skaldendichtung). Das Ende bildet das Hattatal (Verzeichnis der Versformen). Eingeleitet werden die drei Teile von einem, komplett in Prosa geschriebenen Prolog, der das christliche Weltbild mit der Schöpfungslehre und der biblischen Frühgeschichte veranschaulichen soll.43
Während in den Götterliedern der Älteren Edda die Thematik nur kurz angesprochen wird, beschreibt Snorri Sturluson die nordische Götterwelt viel prägnanter. Die einzelnen Göttern, andere mythische Wesen und ihre Funktionen werden in einem nachfolgenden Kapitel ausführlicher behandelt werden.
2.3.2. Skaldendichtung
Wie bereits erwähnt, kann man bei den eddischen Texten ihre Herkunft, wie auch ihre Datierung nicht genau bestimmen. Bei der Skaldendichtung sind Namen des Autors und Gründe zur Entstehung der Texte meistens bekannt. Es handelt sich vielfach um Lobpreisungen oder Anklagen eines Herrschers. Skalden benutzten komplizierte Versformen, eine Vielzahl von Synonymen und umschrieben zudem verschiedene Begriffe.44 Die Skaldendichtung stellt eine andere bedeutende religionsgeschichtliche Quelle dar, da ihre Entstehung in die Zeit reicht, wo man das Heidentum noch wirklich lebte. Im Gegensatz zur Edda des Snorri Sturluson, die im hochmittelalterlichen und bereits christlich geprägten Island des 13. Jahrhunderts entstand, ist die Skaldendichtung authentischer zu sehen. Dennoch ergeben sich auch hier Probleme bei der Wertbestimmung der Quelle, die kurz aufgeführt werden müssen. Zum einen handelt es sich um schriftliche Zeugnisse aus dem 10. Jahrhundert, die schätzungsweise mit Schwierigkeiten bei der Überlieferung zu kämpfen hatten. Viele Gedichte lassen sich gut datieren, weil sie geschichtlich bezeugten Herrschern gewidmet sind oder diese darin vorkommen. Allerdings treten Probleme auf, wenn es sich um Personen handelt, die nicht historisch belegbar sind und auch die Verfasser nicht bezeugt sind. Ein anderer Punkt, der diese Quelle kritisch betrachten lässt, ist, dass die meisten Dichtungen aus der Zeit der Konfrontation zwischen Christentum und Heidentum stammen. Die Einwirkung des Christentums auf das Heidentum meint damit allerdings keine Vermischung der beiden Glaubensvorstellungen, sondern eher eine Entwicklung von religiösen Vorstellungen und Reaktionen, die als Abwehrhaltung gegen das Christentum gesehen werden können. Heidnische Symbole oder Gebräuche könnten dadurch als Gegenstück zu christlichen Phänomenen verwendet worden sein. Ein weiterer Faktor für eine quellenkritische Sicht auf die Skaldendichtung ist der Umstand, dass es sich dabei um „kein direktes religiöses Zeugnis“45 handelt und es gewissermaßen sekundäre Quellen sind, die religiöse und mythologische Inhalte für ihre Anschauungen und Pläne verwendeten. Dieser Hintergrund hatte zur Folge, dass es zu einer gewissen Selektion der Inhalte, wie auch des Publikums kam, da es sich vorwiegend um Lobpreisungen von Herrschern handelte und man diese an den Fürsten- oder Königshöfen vortrug. Somit waren höchstwahrscheinlich ganze Bevölkerungsschichten des religiösen Lebens ausgeschlossen.46 Allerdings muss letztlich bemerkt werden, dass trotz der vielen quellenkritischen Probleme die Skaldendichtung dennoch einen bedeutenden Wert aufzeigt. Die Texte enthalten Informationen über das zeitgenössische heidnische Gedankengut der Wikingerzeit und geben Einblicke in die Darstellungsweisen der Götter und Göttinnen.
3. Religiöse und gesellschaftliche Grundlagen der Wikinger
Wenn man heute von Wikinger spricht, hat man automatisch ein stereotypisches Bild von raubenden Barbaren vor Augen. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass dieses kriegerische Auftreten nur ein Teilbereich im Leben eines Wikingers war. Um das Wesen und den Glauben der Wikinger verstehen zu wollen, muss man einen Versuch unternehmen, die Grundlagen ihres Daseins zu rekonstruieren.
Wikinger dachten im Gegensatz zum modernen Menschen nicht daran, dass das Leben aus Zufällen und der Aneinanderreihung von Gegebenheiten besteht. Jeder Mensch bezog seine individuelle Kraft und war damit auch an seine Veranlagung gebunden.47
Bereits vor den Wikingereinfällen in Europa im neunten Jahrhundert war Skandinavien größtenteils unter Königen vereint. Um die Wikinger zu verstehen und ihre Ge- sellschaftsstrukturen nachvollziehen zu können, muss man sich die Konstellationen kurz betrachten und darf dabei nicht an die heutigen Staatsgrenzen denken. Die Grenzen waren im neunten Jahrhundert verschwommener und verschoben sich durch verschiedene Umstände immer wieder. Skandinavien bestand aus vielen Provinzen, sogenannten land, die von einem König oder jarl regiert wurden. Allerdings änderte sich diese Struktur mit der Zeit, als die zentralistische Monarchie an Stärke und Macht gewann und sich einzelne Nationalstaaten herausbildeten. Schweden blieb während der Wikingerzeit agrarisch und hatte keine großen Zentren, wie es sie beispielsweise in Dänemark gab. Die Uppsala-Dynastie stärkte die königliche Herrschaft und konnte um das Jahr 1000 alle Provinzen vereinen. Es folgte eine Ausdehnung der Bevölkerung nach Finnland und Russland, was zur Folge hatte, dass auch die Staatseinnahmen stiegen. Das Herrschaftsgebiet von Dänemark wuchs um das Jahr 900 bereits stetig an und reichte bis zur Elbe. Wie auch in Schweden konnte der Königstitel vererbt oder gewählt werden. Allerdings war die Macht des Staates in Dänemark zentralistischer und hatte die Unterstützung des Militärs. Besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die Franken und Sachsen ließen Politik, Wirtschaft und Militär wachsen. Im Gegensatz zu den anderen skandinavischen Ländern konnte sich Norwegen aufgrund der topographischen Lage während der Wikingerzeit nicht wirklich vereinen. In Südnorwegen regierte ein Herrschergeschlecht, welche schwedische Abstammung war. Daher führten und verwalteten sich die meisten Provinzen unabhängig. Im späten neunten Jahrhundert schaffte es König Harald Harfagri (Schönhaar) diese zu besiegen und sein Haus behielt den Königstitel bis zum Ende der Wikingerzeit.48
3.1. Sippe bzw. Familie der Wikinger
Eine weit verbreitete These, die allerdings nicht nachweisbar ist, besteht aus der Annahme, dass sich die skandinavische Gesellschaft auf Sippen gründete. Man schlussfolgert diesen Umstand aus Interpretationen der Landschaftsrechte, da sich eine solche Gesellschaft in ihrer Endzeit widerspiegeln würde.49
Demzufolge war die Sippe für den nordgermanischen Menschen die Kraftquelle aus der er seine Energie schöpfte. Dabei ist die Sippe aber nicht mit der Familie im ei- gentlichen Sinn gleichzusetzen, sondern besteht auch über Generationen hinweg und ist als eine Einheit zu sehen, aus der einzelne Menschen hervortreten. Jeder Mensch ist an seine Sippe gebunden, was auch bedeutet, dass er seiner Bestimmung oder seinem Schicksal nicht entkommen kann. Jedes Mitglied übernahm die Werte und Normen der Sippe, wie auch die besonderen Fähigkeiten, mit welchen jede Sippe ausgestattet war, wie beispielsweise Mut, dichterisches Talent oder Klugheit. Mit diesen Eigenschaften ausgestattet, war es jedem Mitglied auch möglich das Ansehen der Sippe, wie auch die Ehre zu steigern. Eng verwoben mit der Sippe und ihren Werten ist die Ehre der Familie. Der Begriff der Ehre bestimmt die Gesetze, nach denen man in der Sippe lebte und zu handeln hatte. Jedes einzelne Mitglied einer Sippe musste stetig an der Ehre arbeiten, denn durch Nichtstun konnte sie schrumpfen und mit ihr verkleinerte sich auch das Ansehen einer ganzen Familie. Die Geburt und der Tod stellten bei dieser Lebensart keine Endpunkte dar, sondern waren vielmehr bedeutende Ereignisse im Leben der Sippe. Die Geburt eines Kindes war zugleich eine Vermehrung an Kraft und Ehre und der Tod eines Mitglieds stellte gleichzeitig einen Verlust dar. Aufgrund dessen, dass man die Sippe aber als eine Einheit führte und durch die früheren Generationen für die Lebenden Kraft und Ehre angesammelt hatte, verschwanden die Toten nicht aus den Sippenreihen. Die frühen Wikinger sahen den Tod nicht als etwas Endgültiges an, sondern dachten vielmehr, dass der Verstorbene nun ein schwächeres Leben führte und in Verbindung mit den mystischen Kräften stand.50 Bei diesen Ausführungen handelt es sich allerdings, wie bereits erwähnt, nur um eine Theorie, die nicht mit Quellen belegt werden kann. Denn wenn es solche Art der Sippen gab, hätte dies bedeutet, dass man von einer gewissen Abstammungslinie ausging und man in der Erbfolge der väterlichen Linie folgte. Frauen hätten ihre Sippe verlassen müssen, um sich der Sippe ihres Mannes anzuschließen. Daraus kann man schlussfolgern, dass sie keinen Erbanspruch hatten, was bedeutet hätte, dass die Sippen früher oder später ihr Land verloren hätten. Die einzigen Zeugnisse zu Familienverhältnissen sind Runeninschriften, die annehmen lassen, dass es sich vorwiegend um Kernfamilien handelte, da die Inschriften meist von nahen Verwandtschaftsverhältnissen sprechen. Außerdem weisen Runensteine auch nach, dass sich Frauen nicht von ihren Familien abwandten, sobald sie heirateten. Man geht davon aus, dass Frauen ebenso einen Anteil am Eigentum hatten wie die Ehemänner. Zu dieser Überlegung kam man, da viele Witwen Aufträge erteilten Gedenksteine für verstorbene Ehemänner aufzustellen. Sie waren für die familiäre Wirtschaft verantwortlich, was unter anderen die Verwaltung von Gütern beinhaltete und die Obsorge für alle Mitmenschen im Haushalt.51 Gemäß diesen Ausführungen können wir die Sippe als ein ungebrochenes Kollektiv der Lebenden und Toten verstehen. Man war miteinander verbunden, aber die einzelnen Glieder waren dennoch nicht dazu verpflichtet, sich gegenseitig zu helfen, denn das hätte einen Rechtsanspruch bedeutet. Allerdings war ihr Naturell so ausgelegt, dass man gar nicht anders konnte. Man hielt treu zueinander, was wiederrum den Frieden innerhalb der Sippe wahrte. Jedes einzelne Mitglied war sich dessen bewusst, dass seine Verfehlungen die ganze Sippe betrafen. Der Begriff der Blutrache gehörte auch in dieses Sippengebilde. Mit Blutrache sollte die Ehre des Toten und somit der gesamten Sippengemeinschaft wieder hergestellt werden.52
Im Allgemeinen ist sich die Forschung allerdings einig, dass die Großfamilien die sozialen Kernzentren der Wikingergesellschaft im Frühmittelalter bildeten und wichtige Elemente für die Wikingerflotten, als auch für die Entstehung der einzelnen National- 53 staaten waren.53
3.2. Menschliches Zusammenleben
Verschiedene Quellen wie Sagas oder Runen geben Auskunft über die zwischenmenschlichen Beziehungen während der Wikingerzeit. Diese Zeugnisse berichten, dass es Eheschließungen gab und man die Ehen monogam führte. Zum genauen Umstand der Ehe gibt es keine Quellen, allerdings geht man davon aus, dass eine Ehe durch einen Vertrag zwischen den Familien zustande kam und die Eheleute kein großes Mitspracherecht hatten. Einen solchen Ehekontrakt schlossen vor allem reiche Familien, da es durchaus vorkam, dass die Eltern die Kinder überlebten und sich dadurch das Vermögen der Familien verschob. Für einen Mann war es auch möglich, sich mehrere Frauen zu nehmen, allerdings erkannte die damalige Gesellschaft nur eine Ehefrau an. Daher ist das Konkubinat eine weitere Form des menschlichen Zusammenlebens in der Wikingerzeit. Dabei handelte es sich um eine dauerhafte Be- ziehung zwischen einem Mann und einer Frau ohne rechtliche Verbindlichkeiten. Kinder aus solchen Beziehungen konnten auch als Erben eingesetzt werden, sofern sie der Mann als legitim anerkannte. Diese Praxis wendete eine Vielzahl von Herrschern im 11. und 12. Jahrhundert an. Auf diese Art und Weise konnte der Mann auf eine Vielzahl von männlichen Erben hoffen. Man vermutet, dass diese Form des Zusammenlebens auch in den unteren sozialen Schichten vorherrschend war und die Gesellschaft es nicht als unangemessen ansah. Runensteine geben bis heute auch Auskunft über gewisse rechtliche Grundlagen. So zeigte sich, dass Frauen beziehungsweise Töchter gegenüber Söhnen beim Erbrecht benachteiligt waren. Allerdings kann man dabei nicht von einer ganzheitlich skandinavischen Regelung sprechen, da die Forschung drastische Unterschiede aufgezeigt hat. So konnten Frauen in Dänemark, Norwegen und in manchen Gebieten von Südschweden weit weniger erben als anderswo in Skandinavien. Im Gegensatz dazu war das Erbrecht in Uppland für beide Geschlechter gleichwertig.54
Es ist davon auszugehen, dass sich das Zusammenleben der Wikinger nicht groß von den menschlichen Beziehungen im restlichen Europa unterschied.
Generell waren die Eheschließungen im Frühmittelalter nur ein rein weltlicher Akt und wie in Skandinavien war es in Europa üblich, dass eine Eheschließung durch einen Vertrag zwischen beiden Sippen der zukünftigen Eheleute zustande kam. Der Grundgedanke warum eine Eheschließung vollzogen wird, war vorwiegend der Aspekt des Erbes, dessen Aufgabe es war ein konstantes Vermögen, Ruhm und Ehre sicherzustellen und den nachfolgenden Kindern eine Stellung zu ermöglichen, die Wenigstens die der Ahnen entsprach. Daher waren vor allem Männer erbberechtigt, hatten zugleich allerdings auch die Aufgabe ihre Kinder wieder gut zu verheiraten. Zu solchen Zwecken schlossen die verschiedenen Sippen die bereits erwähnten Verträge oder Vereinbarungen miteinander. Verhandlungen diesbezüglich führte man strategisch aus und konnte dadurch eine eventuelle Verarmung ausschließen, die vor allem bei einer ländlichen Gesellschaft drohte, sollte die Ehe scheitern. Durch einen solchen vorehelichen Vertrag hätte man Entschädigungsansprüche geltend machen können.55 Eine besondere Rolle bei der Auswahl einer geeigneten Ehefrau spielte dabei ihr sozialer Stand, wie auch ihr Alter im Hinblick auf die Gebärfähigkeit. Am häufigsten war wohl die Form der Muntehe anzutreffen. Dabei unterstand die Frau ihrem Mann in allen Belangen. Vor einer Heirat war der Munt zumeist der Vater oder der Vormund der Frau und nach der Eheschließung ging diese Herrschaftsgewalt auf den Ehemann über. Es bedeutete, dass der Mann die Rechts- und Strafgewalt über die Frau innehatte. Für die Gesellschaft des Frühmittelalters war dies die vorherrschende Form des Lebens einer Frau in Europa.56 Eine religiöse Einbettung der Ehe entwickelte sich im Norden und Süden erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts. Man schloss die Ehe nun nicht mehr im häuslichen Umfeld, sondern verlagerte das Ritual vor und in eine Kirche.57
Ob es bei den Wikingern ebenfalls diese Vorherrschaft des Mannes über die Frau gab, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Aufgrund der Tatsache, dass die katholische Kirche im christlichen Europa sehr viel Einfluss auf die Ehe und ihre Werte nahm, ist davon auszugehen, dass es bei den Wikingern eine andere Art von Ehe gab. Denn die Frauen bei den Wikingern waren oft wochen- oder monatelang allein mit der Familie, dem Haushalt, dem Hof und hatten sich um alles zu kümmern. Das könnte den Schluss zulassen, dass die Frauen in Skandinavien während der Wikingerzeit mehr Rechte und mehr Mitsprache hatten, als Frauen im restlichen Europa. Vermutlich änderte sich dieser Umstand mit der Einführung des Christentums, da die Kirche eindeutige Regeln und Schemata für die Familie und die Gesellschaft vorgab.
3.3. Gesellschaftsordnung
Die aussagekräftigsten Quellen über die skandinavische Gesellschaft im Mittelalter erhalten wir durch Sagas und Rechte, die im 12. und 13. Jahrhundert entstanden.58 An oberster Stelle der Wikingergesellschaft standen die Könige, die von der Bevölkerung zumeist gewählt wurden. Sie waren für die Verwaltung und den Schutz ihrer Herrschaftsgebiete und Untertanen zuständig und hatten zudem die Oberhoheit über den Staatsschatz, die königlichen Ländereien mit dem gesamten Viehbestand. Den Hauptteil ihrer Einnahmen verdankten sie dem Handel, den sie kontrollierten sowie den Plünderungen und Eroberungen.59 Obwohl es bereits im sechsten Jahrhundert Aufzeichnungen von Prokop60 und Jordanes61 aus Byzanz gab, die behaupteten, dass es eine Vielzahl an Königen in Skandinavien gab, begegneten fränkische Missionare und Abgesandte erst im achten und neunten Jahrhundert den Königen von 62 Dänemark.62 Regionale Führer, sogenannte jarls, unterstützten den König bei der Verwaltung und bildeten nach dem König die Gesellschaftsschicht. Die nächste Stufe fand man eher in der lokalen Verwaltung. Es waren vorwiegend Männer, die kleinere regionale Gebiete entweder selbstständig oder für den König oder einen jarl regierten. Die Bezeichnungen für diese Männer variierten in den skandinavischen Ländern. So nannte man sie in Dänemark und Schweden landsmenn, die von niederen Beamten, den styr&smen unterstützt wurden, in Schweden waren es sogenannte hirds- men und in Norwegen bezeichnete man sie als hersir. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen stellten diese Führer dem König Schiffe und Männer zur Verfügung oder wurden selbst zu militärischen Kommandeuren.63 Im neunten Jahrhundert gab es vorwiegend bestimmte Oberhäupter, die über ein gewisses Gebiet herrschten. Diese Territorien waren unter ihren Anhängern aufgeteilt und man kämpfte auch immer wieder um Gebietserweiterungen untereinander. Diese Organisationsstruktur exportierte man im neunten Jahrhundert nach Island, wo sie noch zweihundert Jahre lang anhielt.64 Unter dieser Gesellschaftsschicht befanden sich die Grundbesitzer, die man in manchen skandinavischen Gebieten auch als lendr maâr bezeichnete. S^slumaör waren andere lokale Führer, die der König ernannte und die die herrschaftlichen Güter leiteten. Den Großteil der Wikingergesellschaft bildeten allerdings die freien Bauern, die man bondi nannte. Sie hatten größtenteils ihre eigenen Höfe und oft sehr große Familien. Zu der der bondi gehörten neben den Bauern mit ihren Pächtern auch Handwerker. Im Gegensatz zu den Bauern in Europa waren die bondi freie Männer.65
Die vielen regionalen Gemeinschaften regelten ihre Obliegenheiten eigenständig und hielten in regelmäßigen Abständen Versammlungen ab. Darin regelten sie sowohl religiöse, soziale als auch rechtliche und politische Angelegenheiten. An diesen Treffen nahmen freie Männer teil, aber die Oberherrschaft hatten zumeist die einzelnen Führer der Gemeinschaft. Aufgrund von rivalisierenden Spannungen untereinander waren solche Führerschaften unbeständig und konnten durch Unfähigkeit, Sturz oder Tod beendet werden. Sogenannte Oberherrschaften gab es vor allem an ausgedehnten Verkehrsverbindungen oder Kommunikationswegen. Aus diesem Grund waren die ältesten Oberherren in den skandinavischen Ländern die Könige Dänemarks, da sie bereits im frühen neunten Jahrhundert durch ihre Schiffe die Küsten kontrollier- ten.66
Die unterste Schicht in der Gesellschaft bestand aus Sklaven, die man auf Raubzügen gefangen nahm. Sie machten ebenfalls einen signifikanten Teil der Bevölkerung aus und kamen zum Großteil aus Russland, Deutschland oder Nordwesteuropa.67
4. Vorchristliche Religion im Norden
Bei der Betrachtung des nordischen Heidentums muss man sich mit einigen Problemen auseinandersetzen, da es sich geographisch und auch zeitlich nicht genau einschränken lässt. Geht man von den ersten heidnischen Riten aus finden wir die frühesten Belege beziehungsweise Beschreibungen bei Tacitus in seiner Germania im ersten Jahrhundert nach Christus und die spätesten lieferte uns Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert. Wie bereits bei der Quellenlage und ihrer Problematik erwähnt, muss man mit diesen Quellen vorsichtig umgehen, da es sich bei allen schriftlichen Zeugnissen nicht um Primärquellen handelt.68
Der Charakter des religiösen Glaubens der vorchristlichen Wikinger war zum größten Teil von den Widrigkeiten der nordischen Landschaft beeinflusst, wie auch durch die Anwesenheit ihrer Ahnen, welche in unzähligen Hügelgräbern in Skandinavien lagen. Vor der Christianisierung erreichten die Menschen Skandinaviens ihr traditionelles Streben nach Nähe zu ihren Vorfahren durch die Kombination von verschiedenen Anreizen, wie Naturbeobachtungen oder fremden Kulturen, denen sie auf ihren Seefahrten begegneten. Der Lebensstil, wie auch ihre religiösen Ansichten änderten sich im achten und neunten Jahrhundert und passten sich den Gegebenheiten der Zeit und den Wanderungen an.69 Die Götter des Heidentums verehrte man in Skandinavien, wie auch bei anderen germanischen Völkern nahezu auf die gleiche Art und Weise. Diesen Umstand kann man besonders gut an Ortsnamen erkennen, denn bestimmten Göttern huldigte man auch an bestimmten Orten. So ist Thor beispielsweise überall in Skandinavien vertreten und Odin vor allem in Dänemark und Schweden. Die Kenntnisse, die wir heute über die Götter und Mythen besitzen, beruhen, wie bereits erwähnt, fast ausschließlich auf den isländischen Handschriften des 13. Jahrhunderts.70 Im ersten Buch der Snorra-Edda, der Gylfaginning, wird am ausführlichsten über die Mythen der nordischen Götterwelt geschrieben und ist daher nach wie vor von großem Wert. In diesem Buch wird erzählt, wie der Schwedenkönig Gylfi den Versuch unternimmt, den Asen ihre Weisheit zu entlocken. Er verkleidet sich und schleicht sich so nach Walhall, wo er drei Persönlichkeiten Fragen über die verschiedenen Mythen stellt. Am Ende dieser Handlung wird alles als Illusion dargestellt, da die Asen die Verkleidung erkannt haben.71
Viele Mythen erfasste man auch als bildliche Darstellungen, die meistens genauer datiert werden können und man sieht an ihnen auch eine gewisse Entwicklung oder Veränderung der Geschichten. Sehr verbreitet waren Bildnisse von Thor mit der Weltenschlange, da man diese sowohl in Uppland, Norwegen als auch in Cumberland auf Steinreliefs findet.72
In den Überlieferungen besaßen die Götter menschliche Züge und daher ist anzunehmen, dass ihre damaligen Gläubigen sich mit ihnen auf eine gewisse Art und Weise identifizierten. Sie hatten genauso wie auch Menschen ihre Stärken und Schwächen, was sie für die Menschen jener Zeit greifbarer machte.
4.1. Wikingerzeitliches Weltbild
Das Wissen über das heidnische Weltbild beruht hauptsächlich auf den EddaLiedern, die vor der Snorra-Edda entstanden, da diese bereits unter christlichem Einfluss stand. Allerdings erscheint auch bei älteren Edda-Überlieferungen das Problem einer gewissen Verbindung zum Christentum, was man mit einem Defizit der zielge- 73 rechten Weltentstehungslehre innerhalb des Heidentums erklären könnte.73 Im vorchristlichen Glauben dachten die Menschen im Zentrum der Welt zu leben und hatten ein festes Bild von der Welt mit all ihren mythischen Zügen. Die Götter lebten in Asgard und eine Regenbogenbrücke, genannt Bifröst verband sie mit Midgard, der Welt der Menschen. Utgard erstreckte sich um beide Welten herum und war die Heimat der Riesen.74 In der Mitte von Asgard stand die Weltesche, Yggdrasil, deren Wurzeln die gesamte Welt umfassten. Die Quelle an der die Esche stand, nannte man Urös Brunnen, da sie gemeinsam mit ihren Schwestern Veröandi und Skuld den Baum bewachte und über das Schicksal eines jeden entschieden. Das Schicksal bildeten sie auf Hölzern ab oder spannen und webten es. Snorri Sturluson entwarf ein heidnisches Weltbild, das man sich als Kreis vorstellen konnte. Dementsprechend lebten die Götter im Zentrum und die Riesen, die das Böse darstellten, beförderte man an den äußeren Rand. Die Entfernung der Menschen zu gewissen Dingen, wie das Meer, Berge oder Wälder stellte stets einen Wechsel von Sicherheit zur Gefahr dar. Die Menschen dachten zu dieser Zeit an viele verschiedene Mächte, aber die Feindschaft zwischen Göttern und Riesen beherrschte die heidnische Kosmologie. In der Auseinandersetzung zwischen diesen Parteien entstand schließlich die Welt und wird auch der Grund ihres Untergangs sein. Ein weiterer wichtiger Faktor in der nor disch heidnischen Weltanschauung spielte die Zeit.75
[...]
1 Rudolf Simek, Religion und Mythologie der Germanen, Darmstadt 2003.
2 Birgit und Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger (Reihe: Die Deutschen und das europäische Mittelalter), Berlin 2002.
3 Heinrich Beck/Detlev Ellmers/Kurt Schier (Hg.), Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 5), Berlin/New York 1992.
4 Vgl. Anders Hultgârt, s.v. Religion. In: Heinrich Beck (Hg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 24, Berlin/New York 2003, S. 429-430.
5 Vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, Frankfurt/New York 2006, S.13.
6 Colleen Batey/Helen Clarke/R.I. Page/Neil S. Price, Die Wikinger, München 1994, S. 39.
7 Vgl. Colleen Batey/Helen Clarke/R.I. Page/Neil S. Price, Die Wikinger, München 1994, S. 39.
8 Vgl. Stefan Brink, Gesellschaft und Kultur. In: Michaela Helmbrecht (Hg.), Wikinger!. Begleitbuch zur Erlebnisausstellung Wikinger! Im Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim, Rosenheim 2016, S. 80.
9 Vgl. Peter Sawyer, Die Wikinger. Geschichte und Kultur eines Seefahrervolkes, Stuttgart 2000, S. 5.
10 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, Berlin 2002, S. 23.
11 Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, Berlin 2002.
12 Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 26.
13 Ebd., S. 26.
14 Ebd., S. 27.
15 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 25-27.
16 Detlev Ellmers, Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte. In: Heinrich Beck/Detlev Ellmers/Kurt Schier (Hg.), Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme, Berlin/New York 1992, S. 95-117.
17 Ebd., S. 96.
18 Vgl. ebd., S. 95-96.
19 = Radiokarbondatierung oder Radiokohlenstoffdatierung; Methode zur radiometrischen Datierung kohlenstoffhaltiger, vor allem organischer Materialien.
20 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 43-46.
21 Detlev Ellmers, Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte, S. 100.
22 Vgl. Detelv Ellmers, Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte, S. 97101.
23 Vgl. Colleen Batey/Helen Clarke/R.I. Page/Neil S. Price, Die Wikinger, München 1994, S. 101.
24 Vgl. Rudolf Simek, Runen. In: LMA, Bd. 7, München 1995, Sp. 1098-1099.
25 Vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, Frankfurt/Main 2006, S. 140.
26 Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 29.
27 Vgl. ebd., S. 28-29.
28 Vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, S. 141-143.
29 Vgl. Rudolf Simek, Runen. In: LMA, Bd. 7, München 1995, Sp. 1100-1101.
30 Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 31.
31 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 31-32.
32 Lars Lönnroth, Die Wikinger in Geschichte und Legende. In: Peter Sawyer (Hg.), Die Wikinger. Geschichte und Kultur eines Seefahrervolkes, Hamburg 2008, S 237.
33 Ebd., S. 237.
34 Vgl. ebd., S. 235-237.
35 Vgl. Volz, Ruprecht, Saxo Grammaticus. In: LMA, Bd. 7, München 1995, Sp. 1422-1423.
36 Vgl. Arnulf Krause, Die Götterlieder der älteren Edda (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18 426), Stuttgart 2006, S. 241-242.
37 Manfred Stange (Hg.), Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen, Wiesbaden 2004, S. 362.
38 Manfred Stange (Hg.), Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen, Wiesbaden 2004.
39 Vgl. Manfred Stange, Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen, S. 362.
40 Vgl. Arnulf Krause, Die Götterlieder der älteren Edda (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18 426), S. 241-242.
41 Vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, 156-157.
42 Vgl. Rudolf Simek, Die Edda (Beck'schen Reihe 2419), München 2007, S. 20.
43 Vgl. Rudolf Simek, Die Edda (Beckschen Reihe 2419), S. 22-25.
44 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 41; vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, S.162.
45 Edith Marold, Die Skaldendichtung als Quelle der Religionsgeschichte. In: Heinrich Beck (Hg.), Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme, S. 689.
46 Vgl. ebd., S. 685-689.
47 Vgl. Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte. Religion der Nordgermanen, Bd. 2, Ber- lin/Leipzig 1937, S. 75-76.
48 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger. Geschichte, Eroberungen, Kultur. Wien 2009, S. 16-17.
49 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 86-87.
50Vgl. Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte, S. 76-79.
51 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 85-88.
52 Vgl. Hans-Jürg Braun, Das Jenseits. Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Zürich 1996, S. 180-181.
53 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger, S. 18-19.
54 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 88-90.
55 Vgl. Georges Duby, Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter, Berlin 1989, S. 13-14.
56 Vgl. Hans-Werner Goetz, Frauenbild und weibliche Lebensgestaltung im fränkischen Reich. In: Hans-Werner Goetz (Hg.), Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter, Köln/Weimar/Wien 1991, S. 9-15.
57 Vgl. Georges Duby, Die Frau ohne Stimme, S. 25.
58 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 75.
59 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger, S. 20.
60 = frühbyzantinischer Geschichtsschreiber des 6. Jahrhunderts
61 = römischer u. gotischer Geschichtsschreiber und Gelehrter des 6. Jahrhunderts
62 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 75.
63 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger, S. 20-21.
64 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 76-77.
65 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger, S. 21.
66 Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 77-78.
67 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger. Geschichte, Eroberungen, Kultur, S. 20-21.
68 Vgl. Christine E. Fell, Götter und Heroen der nordischen Welt. In: David M. Wilson (Hg.), Kulturen im Norden. Die Welt der Germanen, Kelten und Slawen 400-1100 n. Chr. München 1980, S. 15.
69 Vgl. Angus Konstam, Die Wikinger, S.26.
70 Vgl. Birgit und Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 94.
71 Vgl. Rudolf Simek, Die Edda, S. 29.
72 Vgl. Birgit und Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger, S. 94.
73 Vgl. Rudolf Simek, Religion und Mythen der Germanen, S. 173-174.
74 Vgl. Arnulf Krause, Die Welt der Wikinger, S. 41.
75 Vgl. Preben Meulengracht Sørensen, Alte und neue Religion. In: Peter Sawyer (Hg.), Die Wikinger. Geschichte und Kultur eines Seefahrervolkes, Hamburg 2008, S. 220-221.
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