Allgemein werden in dieser Arbeit die Einflüsse gesellschaftlicher Ereignisse auf die Einstellungen der Bürger untersucht. Die sogenannte Flüchtlingskrise, die ganz Europa betraf, stellt hier ein prägendes Ereignis dar, dessen Einfluss es zu untersuchen gilt. Hierbei ist Deutschland als eines der Länder, das die meisten Schutzsuchenden in Europa aufgenommen hat, ein geeignetes Fallbeispiel. Im Rahmen einer Panelanalyse können so Wahlpräferenzen und somit Einstellungsveränderungen untersucht werden. Diese Arbeit stellt damit eine retrospektive Untersuchung der Einstellungen der Bürger gegenüber Geflüchteten dar, wodurch kausale Mechanismen sowie gesellschaftliche Veränderungen erfasst werden können, die durch Querschnittanalysen nicht abgebildet werden könnten. Das Ziel dieser Arbeit besteht somit darin, zu untersuchen, wie sehr die Flüchtlingskrise langfristig die Einstellungen von Bürgern gegenüber Schutzsuchenden verändert hat.
Dabei gliedert sich die Arbeit in sieben Abschnitte. Der erste Teil umfasst den theoretischen Rahmen und damit das Fundament für die empirischen Untersuchungen. Hier werden zunächst theoretische Begriffe und Konzepte dargelegt. Im nächsten Schritt werden mögliche Determinanten für Fremdenfeindlichkeit aufgezeigt. Dabei werden zwei in der Sozialforschung weitläufige Ursachen von Fremdenfeindlichkeit aufgegriffen: die Globalisierung und die damit einhergehende (ökonomische) Deprivation sowie der (mangelnde) Kontakt zu Fremdgruppen. (...)
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Terminologien, Theorien und Determinanten fremdenfeindlicher Einstellungen
2.1 Terminologie und Begriffe der Migration
2.2 Determinanten fremdenfeindlicher Einstellungen
2.2.1 Globalisierung als Determinante fur fremdenfeindliche Einstellungen
2.2.2 (Defizitarer) Kontakt als Determinante fremdenfeindlicher Einstellungen
3. Deutsche Migrationspolitik seit den 1990er-Jahren
4. Hypothesen
5. Empirische Entwicklung der Einstellungen gegenuber Migration in Zeiten hoher Zuwanderung
5.1 Forschungsstand
5.2 Vorstellung des Datensatzes
5.3 Operationalisierung
5.4 Methodik
5.5 Korrelationsanalyse mit Spearman's Rho
5.6 Entwicklung der Einstellungen - deskriptiv
5.7 Einfache lineare Regression
5.8 Multiple lineare Regression
6. Hypothesenuberprufung und Interpretation
7. Diskussion und kritische Wurdigung
8. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Spearman's Rho mit Zuzugsvariable
Tabelle 2: Spearman's Rho mit Integrationsvariable
Tabelle 3: Lineare Regression mit Schulabschluss und Ausgangswelle als unabhangige Variable / Referenzgruppe: Abiturienten
Tabelle 4: Lineare Regression mit Altersklasse als unabhangige Variable / Referenzgruppe: U-76-Jahrige
Tabelle 5: Lineare Regression mit Altersklasse als unabhangige Variable / Referenzgruppe: 23-36-Jahrige
Tabelle 6: Lineare Regression mit Einkommensklasse als unabhangige Variable / Referenzgruppe: < 1.500 €
Tabelle 7: Lineare Regression mit Beruf als unabhangige Variable / Referenzgruppe: Arbeiter
Tabelle 8: Lineare Regression mit Stimmabgabe als unabhangige Variable / Referenzgruppe: CDU/CSU-Wahler
Tabelle 9: Lineare Regression mit Stimmabgabe fur das subj. Empfinden als Globalisierungsverlierer oder -gewinner / Referenzgruppe: Globalisierungsverlierer Stufe 1
Tabelle 10: Multiple Regression mit Stimmabgabe und Bildungsabschluss als unabhangige Variablen
Tabelle 11: Multiple Regression mit subjektiver Einschatzung und Parteiwahl als unabhangige Variablen
Tabelle 12: Lineare Regression mit Schulabschluss und Ausgangswelle als unabhangige Variable / Referenzgruppe: ohne Schulabschluss
Tabelle 13: Lineare Regression mit Einkommen als unabhangige Variable / Referenzgruppe: 1.500-2.000€
Tabelle 14: Lineare Regression mit Einkommen als unabhangige Variable / Referenzgruppe: 2.500-5.000€
Tabelle 15: Lineare Regression mit Einkommen als unabhangige Variable / Referenz: >5.000€
Tabelle 16: Haufigkeiten der Berufsgruppen
Tabelle 17: Lineare Regression mit Parteipraferenz als unabhangige Variable / Referenzgruppe: AfD
1. Einleitung
,Wir schaffen das!‘ - mit diesem beruhmten und vielzitierten Leitspruch ermutigte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Bundespressekonferenz im Sommer 2015 die Bevolkerung. Zu dieser Zeit war Europa - vor allem Deutschland - von hohen Zuwanderungszahlen gepragt - die sogenannte Fluchtlingskrise brach aus. Merkel polarisierte mit ihrer pro-migrantischen Haltung und loste europaweit, aber auch national, Kontroversen aus (Fabian 2019: 77). Die offen gefuhrte Fluchtlingspolitik zeigte auf der einen Seite einen groBen Teil der Burger,1 der die Zugewanderten an Bahnhofen und Flughafen solidarisch willkommen hieB. Auf der anderen Seite wuchsen kritische und populistische Stimmen und neue Bewegungen wie Pegida entstanden. Auch die bereits 2013 gegrundete und ursprunglich euroskeptische Partei Alternative fur Deutschland (AfD) wechselte ihren Kurs mit steigender Anzahl der Zuwanderungen nach rechts (Huckebrink 2020). Auch die Proteste und Angriffe gegenuber Migranten wurden lauter, sodass die Regierung sich dazu entschloss, die sogenannte Balkanroute im Marz 2016 zu schlieBen. Die eintreffende Covid-19 Pandemie im Jahr 2019 hat die Zuwanderung von Migranten zusatzlich reduziert (Brucker/Herbert et al. 2020: 8 f.).
Obwohl die Zuwanderungszahlen seitdem rucklaufig sind, steht Deutschland bis heute vor der Herausforderung, Zuwanderer, Schutzsuchende und die Bevolkerung miteinander in Einklang zu bringen. Die Integration von Migranten auf der einen Seite und die kritischen Stimmen gegenuber Zuwanderung aufseiten der Bevolkerung stellen eine Herausforderung fur Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dar (ebd.). Wie Medien berichten, sind trotz rucklaufiger Zuwanderung und der Covid-19-Pandemie Angriffe auf Schutzsuchende allgegenwartig (Trimborn 2021; ZDF 2021; Speit 2021, Bundesamt fur Verfassungsschutz 2021; Tagesschau 2021).
Damit scheinen die Burger ein generell negatives Bild von Migranten und Schutzsuchenden entwickelt zu haben, das sie auch mit Abklingen der Zuwanderungsquote weiterhin pragen. Hierbei ergibt sich die Frage, inwiefern die sogenannte Fluchtlingskrise die gesellschaftlichen und politischen Einstellungen von Burgern gepragt hat. Wie sehr beeinflusst die Zahl der Zuwanderer die Einstellungen der Burger ihnen gegenuber?
Hat die Zuwanderungszahl tatsachlich einen Einfluss auf die Einstellungen der Burger gegenuber Migranten? Wenn ja, wie sehr verandert auch ein Abklingen der Zuwanderungsquote die Einstellungen der Burger? Wenn nicht, wie lassen sich gesellschaftliche Ereignisse wie die oben aufgefuhrten erklaren? Diese Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden.
Allgemein werden in dieser Arbeit die Einflusse gesellschaftlicher Ereignisse auf die Einstellungen der Burger untersucht. Die sogenannte Fluchtlingskrise, die ganz Europa betraf, stellt hier ein pragendes Ereignis dar, dessen Einfluss es zu untersuchen gilt. Hierbei ist Deutschland als eines der Lander, das die meisten Schutzsuchenden in Europa aufgenommen hat, ein geeignetes Fallbeispiel. Im Rahmen einer Panelanalyse konnen so Wahlpraferenzen und somit Einstellungsveranderungen untersucht werden. Diese Arbeit stellt damit eine retrospektive Untersuchung der Einstellungen der Burger gegenuber Gefluchteten dar, wodurch kausale Mechanismen sowie gesellschaftliche Veranderungen erfasst werden konnen, die durch Querschnittanalysen nicht abgebildet werden konnten. Das Ziel dieser Arbeit besteht somit darin, zu untersuchen, wie sehr die Fluchtlingskrise langfristig die Einstellungen von Burgern gegenuber Schutzsuchenden verandert hat.
Dabei gliedert sich die Arbeit in sieben Abschnitte. Der erste Teil umfasst den theoretischen Rahmen und damit das Fundament fur die empirischen Untersuchungen. Hier werden zunachst theoretische Begriffe und Konzepte dargelegt. Im nachsten Schritt werden mogliche Determinanten fur Fremdenfeindlichkeit aufgezeigt. Dabei werden zwei in der Sozialforschung weitlaufige Ursachen von Fremdenfeindlichkeit aufgegriffen: die Globalisierung und die damit einhergehende (okonomische) Deprivation sowie der (mangelnde) Kontakt zu Fremdgruppen.
Im dritten Abschnitt wird die deutsche Migrationspolitik seit Beginn der 1990er-Jahre beschrieben. Hierdurch soll der fallbezogene Kontext verdeutlicht werden. Zum einen wird damit aufgeschlusselt, dass Deutschland historisch betrachtet immer ein Einwanderungsland war und heute noch ist, zum anderen soll gezeigt werden, dass die jungsten hohen Zuwanderungswellen nicht die einzigen in der Geschichte waren.
Weiterhin wird in diesem Abschnitt erortert, wie die deutsche Politik bereits auf vergangene Zuzugswellen reagiert hat und wie die Burger dies annahmen und darauf reagierten.
Somit kann ein Rahmenverstandnis gegeben werden, von dem ausgehend Hypothesen gebildet werden, die im weiteren Verlauf empirisch angewandt und uberpruft werden.
Im vierten Teil dieser Arbeit werden aus dem gewonnenen Theorieverstandnis Hypothesen herausgebildet. Es wurden vier einschlagige Hypothesen gebildet, die es im empirischen Teil zu untersuchen gilt. Diese dienen als Prufungsbasis fur die Entwicklung der Einstellungen gegenuber Migration.
Der funfte Abschnitt eroffnet den empirischen Teil dieser Arbeit. Hier wird zunachst der aktuelle Forschungsstand aufbereitet und erste Erkenntnisse, aber auch bestehender Forschungsbedarf diskutiert. Im nachsten Schritt erfolgen die Aufbereitung und Vorstellung des genutzten Datensatzes. Mogliche Restriktionen werden daraufhin im dritten Unterpunkt, der Operationalisierung, aufbereitet. SchlieBlich wird im vierten Unterabschnitt die angehende Methodik aufgezeigt und beschrieben. Die Gliederungspunkte 5.5 bis 5.8 enthalten die empirischen Berechnungen. Hierbei werden zunachst Korrelationsanalysen erstellt, um erste Zusammenhange zu erschlieBen. Im Anschluss erfolgt die deskriptive Darstellung der Entwicklungen, um anschlieBend im Rahmen von Regressionsanalysen die Zusammenhange empirisch zu berechnen.
Im sechsten Abschnitt werden die Hypothesen uberpruft und die Ergebnisse interpretiert, die anschlieBend im siebten und vorletzten Teil diskutiert und kritisch gewurdigt werden.
SchlieBlich werden im achten Teil dieser Arbeit die Ergebnisse resumiert und mit Blick auf die Zukunft konkludiert.
2. Terminologien, Theorien und Determinanten fremdenfeindlicher Einstellungen
Dieser Abschnitt bildet die theoretische Grundlage fur den nachfolgenden analytischen Teil dieser Arbeit. Er dient dazu, ein grundlegendes Verstandnis uber die Forschungsfrage aufzubauen und notwendiges theoretisches Vorwissen zu vermitteln.
Im ersten Unterkapitel sollen daher Begrifflichkeiten wie Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, aber auch Migration, Einwanderung und Flucht genauer spezifiziert und definiert werden.
Damit soll ein einheitliches Verstandnis uber diese Begriffe gewahrleistet werden. Im zweiten Unterpunkt werden die drei wesentlichen Determinanten fur fremdenfeindliche Einstellungen der Politikforschung behandelt.
Dies ist nicht zuletzt fur das Verstandnis des Entstehens von Fremdenfeindlichkeit notwendig. Aufbauend auf diesen Determinanten sollen schlieBlich im letzten Unterpunkt die Hypothesen aufgestellt werden, die im analytischen Teil empirisch uberpruft werden.
2.1 Terminologie und Begriffe der Migration
Die Begriffe Migration, Fluchtlinge oder Zuwanderer sind zwar im alltaglichen Sprachgebrauch gelaufig, jedoch ist nicht immer klar, ob und wie sich diese Begriffe voneinander abgrenzen. Zur besseren Ubersichtlichkeit sollen sie daher kompakt eingeordnet und theoretisch erfasst werden.
Der Begriff Migration leitet sich aus dem lateinischen migrare ab und beschreibt zunachst einen Ortswechsel. Generell gibt es jedoch keine eindeutige Definition, sondern das Verstandnis variiert oft landerspezifisch im kulturellen, politischen und okonomischen Kontext. Merkmale wie die Uberschreitung politischer bzw. nationaler Grenzen und die Aufenthaltsdauer werden in modernen Definitionen ebenfalls berucksichtigt (Hoesch 2018: 16 f.).
Das Statistische Bundesamt (2021) in Deutschland definiert Migration als die „raumliche Verlegung des Lebensmittelpunktes eines Menschen“ . Bei der internationalen Migration erfolgt die Verlegung des Lebensmittelpunktes uber Staatsgrenzen hinweg. Somit beinhaltet die (internationale) Migration die Zuwanderung in ein neues Land im klassischen Sinne. Damit fallen alle Personen, die in ein neues Land immigrieren, unter den allgemeinen Begriff Zuwanderer bzw. Migranten. Diese sowie Personen, „die entweder selbst nicht mit deutscher Staatsangehorigkeit geboren sind oder bei denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehorigkeit geboren sind“ (Statistisches Bundesamt 2021), bilden die Bevolkerung mit Migrationshintergrund.
Eine spezifische Form von Migranten stellen Fluchtlinge dar, deren Begriff von den Vereinten Nationen in der Genfer Fluchtlingskonvention (GFK) definiert wurde.
So gilt ein Fluchtling de jure als eine Person, die „[...] aus der begrundeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationality, Zugehorigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Uberzeugung sich aufierhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehorigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befurchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“ (Genfer Fluchtlingskonvention 1951 Artikel 1 A Nr. 2). Erfullen Fluchtlinge nicht die engen Kriterien der GFK und sind trotzdem politisch auf der Flucht, z. B. aufgrund von Burgerkriegen, gelten sie als De-facto-Fluchtlinge und sind des subsidiaren Schutzes berechtigt.2
Im Rahmen dieser Arbeit werden Fluchtlinge im erweiterten Sinne betrachtet. Somit fallen nicht nur Personen, die die engen Kriterien der GFK erfullen darunter, sondern auch subsidiar Schutzberechtigte. Insgesamt werden Fluchtlinge dem generellen Sammelbegriff der Migranten bzw. Zuwanderer zugeordnet, die auch aus anderen Motiven als Schutz (z. B. familiare, berufliche oder Bildungszwecke) in ein Land einwandern konnen.
2.2 Determinanten fremdenfeindlicher Einstellungen
Die Grunde fur fremdenfeindliche Einstellungen sind multikausal. Wahrend einerseits die kulturelle Pragung und Wertvorstellungen, mit denen man aufwachst, pragend sind, konnen auch Ereignisse oder eine Veranderung der eigenen soziookonomischen Umstande dazu fuhren, fremdenfeindliche Einstellungen zu entwickeln (Zick, Kupper 2007: 45). Die wesentlichen moglichen Determinanten fur fremdenfeindliche Einstellungen sollen in diesem Abschnitt kompakt erortert werden. Dies dient zum einen dem theoretischen Verstandnis der Ursachen von fremdenfeindlichen Einstellungen, zum anderen bilden einige Determinanten die theoretische Grundlage fur die empirische Analyse im funften Teil dieser Arbeit. Aufgrund der eingeschrankten Datenlage wird es nicht moglich sein, alle Determinanten empirisch zu untersuchen. Dennoch mussen die wesentlichen Ursachen und Einflussfaktoren fremdenfeindlicher Einstellungen angesichts der Thematik und Inhalte dieser Arbeit berucksichtigt werden.
Bei der Erforschung der Ursachen fremdenfeindlicher und xenophober Einstellungen konnen zwei Theorieansatze unterschieden werden: Zum einen Individualansatze, die Fremdenfeindlichkeit durch individuelle Bedingungen und Verhaltensweisen erklaren, und zum anderen Sozialisationsansatze, die gesellschaftliche und soziale Faktoren als Ursachen einbeziehen (Zick, Kupper 2007: 49).
Der erste Ansatz konnte beispielsweise Individualtheorien enthalten, die Ursachen fremdenfeindlicher Entwicklung in der fruhkindlichen und psychologischen Entwicklung von Individuen sehen. Hier konnen etwa rechtsextreme Leitbilder in der Kindheit idealisiert worden sein, aber auch Adoleszenzkrisen und familiare Konflikte konnen in fremdenfeindliche Einstellungen munden. Kognitive Fahigkeiten wie Empathie und Flexibilitat konnen zudem Vorurteile gegenuber anderen Gruppen begunstigen. Die Einstellungen des eigenen Umfelds formen zusatzlich die Einstellungen der Individuen (ebd.).
Diese Arbeit konzentriert sich auf den zweiten Ansatz, der auf sozialen und gesellschaftlichen Kontextfaktoren beruht. Hierbei spielt die Neigung der Menschen, andere in Gruppen und Kategorien einzuteilen, eine wesentliche Rolle. Dieser Faktor wird in Abschnitt 2.2.2 genauer erlautert. Dabei gibt es verschiedene Ansatze und Forschungsarbeiten zur Gruppen- und Kontakttheorie, beispielsweise von Pettigrew et al. (2011) oder John Dovidio et al. (2017). In Kapitel 2.2.2 steht die Kontakthypothese von Gordon Allport (1954), dem Pionier dieser Theorie, im Fokus.
Neben der Neigung, andere zu kategorisieren, neigen Menschen zusatzlich dazu, Informationen und Eigenschaften uber andere Gruppen verzerrt wahrzunehmen und beispielsweise negative Eigenschaften zu uberschatzen (ebd.: 45). Weiterhin beeinflusst der gesellschaftliche Umgang mit ethnischen Minderheiten die Einstellung der Menschen gegenuber Fremdgruppen. Medien und politische Akteure transportieren diese gesellschaftlichen Vorstellungen an den einzelnen Menschen weiter. Durch die verzerrte Wahrnehmung von Fremdgruppen konnte so der Anschein knapper Ressourcen erweckt werden und in den Menschen einen Bedrohungseffekt dahingehend hervorrufen, eigene Ressourcen zu verlieren. Dieser Bedrohungseffekt ist vor allem mit Beginn der Globalisierung zunehmend in den Gesellschaften zu beobachten (Wagner, van Dick 2001: 13 f.).
Die Globalisierung als Determinante fur fremdenfeindliche Einstellungen wird in Punkt 2.2.1 dieser Arbeit genauer beleuchtet. Damit konzentriert sich der theoretische Teil dieser Arbeit im Folgenden auf die wahrgenommene Bedrohung um Ressourcen durch Migration und die psychologische Neigung der Menschen, Gruppen zu bilden und andere Menschen in Gruppen einzuteilen.
2.2.1 Globalisierung als Determinante fur fremdenfeindliche Einstellungen
Ein weiterer groBer Einflussfaktor fur die Fremdenfeindlichkeit ist die Globalisierung. Vor allem in den letzten Jahren ist diese rasant vorangeschritten und pragt heutige Gesellschaften. Dabei kommt sie manchen Bevolkerungsgruppen zugute, andere erachten sie wiederum als Bedrohung und stehen ihr nicht offen gegenuber. Es bilden sich die sogenannten Globalisierungsverlierer und -gewinner. In diesem Abschnitt soll die Globalisierung als eine Erklarungskomponente fur die Entwicklung negativer Einstellungen gegenuber Migration diskutiert werden. Dabei wird zunachst der Globalisierungsbegriff erlautert, um anschlieBend die Folgen der Globalisierung anhand einer renommierten Studie aufzubereiten. Da sie eine der wichtigsten Determinanten fur die Entwicklung fremdenfeindlicher Einstellung in der heutigen Zeit ist, konzentriert sich der empirische Teil der vorliegenden Arbeit auf diesen Initiator.
Um den Globalisierungsbegriff kompakt darzustellen, wird zunachst die vielzitierte Definition von Kessler (2016) herangezogen, in der Globalisierung als „Prozesse der Zunahme sowie der geographischen Ausdehnung grenzuberschreitender Interaktion“ (Kessler 2016: 74) beschrieben wird. Globalisierung ist somit ein Prozess zunehmender internationaler Interaktion auf okonomischer, gesellschaftlich-kultureller und politischer Ebene. Damit ist die Globalisierung ein mehrdimensionales und dynamisches Phanomen.
Die okonomische Dimension bildet der wirtschaftliche AuBenhandel sowie internationale Investitionen, die durch die Globalisierung gefordert werden. Die gesellschaftlich-kulturelle Dimension umfasst den Austausch von Personen, verschiedene Akteursgruppen (Sportler, Prominente, Touristen, Einwanderern etc.) und die Medien.
Die Integration hat damit einen wesentlichen Anteil an der Globalisierung und ist somit ein wichtiger Bestandteil fur diese Arbeit. SchlieBlich beinhaltet die politische Dimension jegliche landerubergreifende Interaktion politischer Akteure. Darunter fallen beispielsweise Staatsbesuche, Konferenzen, Verhandlungen sowie Telefonate und der E-Mail-Verkehr (ebd.: 79 f.).
Die Folgen der Globalisierung zeigen sich dabei nicht nur auf der Makroebene international und national, sondern gehen bis in die Individualebene auf den einzelnen Menschen. Hanspeter Kriesi et al. (2008) haben in einer Studie die Globalisierung als mogliche strukturelle Spannungslinie (sogenanntes Cleavage3) betrachtet und dabei untersucht, inwiefern sich die Globalisierung auf Individuen und ihr politisches Verhalten auswirkt (Kriesi et al. 2008: 3 f.).
Die Autoren fokussieren sich dabei auf den migrantischen Aspekt der Globalisierung und betrachten die Wahlpraferenzen in westeuropaischen Staaten. Sie nehmen an, dass die Globalisierung als Integration neue strukturelle Spannungslinien hervorruft und diese auch von den Burgerinnen und Burger wahrgenommen werden. Die Menschen ordnen sich selbst als Gewinner oder Verlierer der Globalisierung ein und auBern das durch ihr Wahlverhalten, mit der Konsequenz, dass auch die Parteienlandschaft darauf reagiert und sich verandert. Dadurch sind neue rechtspopulistische Parteien entstanden, die auch vermehrt durch die Burger in vielen europaischen Staaten gewahlt werden (vgl. Kriesi et al. 2008).
Kriesi et al. (2008) haben fur ihre Studie die Globalisierungsverlierer und -gewinner anhand ihrer soziookonomischen Eigenschaften charakterisiert und eingeordnet. Dabei zeichnen sich die Verlierer der Globalisierung generell dadurch aus, dass ihre Chancen und Lebensmoglichkeiten bisher durch nationale Grenzen geschutzt waren. Dazu gehoren Beschaftigte und Selbststandige in traditionell geschutzten Sektoren sowie niedrig qualifizierte Arbeiter und Menschen, die sich stark mit ihrer nationalen Gemeinschaft identifizieren, Migration ablehnen und dazu tendieren, Parteien im rechten Spektrum zu wahlen.
Die Gewinner der Globalisierung zeigen das gegensatzliche Bild. Dazu gehoren beispielsweise Unternehmer und qualifizierte Beschaftigte, die im internationalen Wettbewerb stehen, sowie Burgerinnen und Burger, die weltoffen eingestellt sind und in der Globalisierung neue Chancen und Moglichkeiten sehen (ebd.: 8). Die Fremdenfeindlichkeit der Burger aufgrund der Globalisierung geht somit auf die Empfindung relativer okonomischer Deprivation und dem neu wahrgenommenen Wettbewerb zwischen den Gruppen zuruck (vgl. Sherif / Sherif 1969; Gurr 1970).
Die Globalisierung und ihre Folgen konnen daher eine Determinante fur fremdenfeindliche Einstellungen bilden. Anhand des Konzepts von Globalisierungsverlierern und -gewinnern kann im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, inwieweit sich fremdenfeindliche Einstellungen innerhalb dieser Bevolkerungsgruppen entwickelt haben. Fuhlen sich Globalisierungsverlierer durch die steigende Migration bedroht, ist es wahrscheinlicher, dass sie fremdenfeindliche Einstellungen entwickeln oder dass sich diese verstarken. Wie sich die Migration auf die Einstellungen von Globalisierungsverlierern ausgewirkt hat, soll im Rahmen dieser Arbeit genauer untersucht werden.
2.2.2 (Defizitarer) Kontakt als Determinante fremdenfeindlicher Einstellungen
Neben der Globalisierung, die fur einige Bevolkerungsgruppen eine Bedrohung darstellen und dadurch fremdenfeindliche Einstellung begunstigen kann, gibt es noch andere Faktoren, die hierfur eine Rolle spielen konnen. Obwohl sich die Arbeit im empirischen Teil auf Globalisierungsverlierer und -gewinner als Bevolkerungsgruppe konzentriert, gilt es auch andere Determinanten, die fremdenfeindliche Einstellungen begunstigen konnten, zumindest theoretisch einzubeziehen. Damit kann ein zusatzliches Verstandnis der Entstehung fremdenfeindlicher Einstellungen bei erhohter Zuwanderung vermittelt werden.
In diesem Kontext entwickelte Gordon Allport als Pionier im Jahr 1954 die Kontakthypothese, mit der bis heute in den Sozialwissenschaften vielseitig geforscht wird. Die Hypothese besagt, dass zwischenmenschlicher Kontakt innerhalb verschiedener Gruppen Vorurteile abbauen kann (Allport 1954: 267 ff.).
Diese These wird oft im Zusammenhang mit rassistischen Vorurteilen betrachtet, wobei Kontakteffekte zwischen Einheimischen und marginalisierten Gruppen untersucht werden (vgl. Dollase 2001; Friedrichs et al. 2019; Dixon et al. 2005). Nach Allport kann der Kontakt somit einen groBen Einfluss auf die Fremdenfeindlichkeit haben.
Allport betrachtet Vorurteile und Kategorisierungen zunachst als naturlich gegebenen Denkprozess. Sie werden zum einen automatisch und unbewusst gebildet, um Denkprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen, zum anderen werden sie in den sogenannten Wir-Gruppen durch Gesellschaft und Umfeld zusatzlich anerzogen. Allport geht dabei von zwei bestehenden Gruppenkonstellationen aus: den Wir- und den Fremdgruppen. Die Wir-Gruppe beschreibt er als eine Menge von Menschen, die sich als Kollektiv mit gemeinsamen Lebensweisen, Regeln, Uberzeugungen, Charakteristika sowie auch Feinden betrachten. Diese Gruppen bilden Vorurteile gegenuber Fremdgruppen aus, um die Bindung des eigenen Kollektivs zu starken. Durch personliche und gesellschaftliche Strukturen werden Vorurteile gegenuber bestimmten Gruppen noch weiter bestarkt, wodurch beispielsweise rassistische Denkmuster von klein auf indoktriniert werden konnen (Allport 1954: 30 f., 55, 509).
Diese Vorurteile gegenuber den Fremdgruppen lassen sich durch zwischenmenschlichen Kontakt reduzieren. Hierbei ist jedoch wichtig zu unterscheiden, um welche Art von Kontakt es sich handelt und welche Bedingungen vorherrschen. Allport beschreibt in seinem Werk vier Voraussetzungen dafur (Allport 1954: 267 ff.):
1) Vorurteile konnen durch den Kontakt im Anstreben gemeinsamer Ziele verringert werden.
2) Die Angehorigen beider Gruppen haben den gleichen Status und sehen die andere Gruppe nicht als untergeordnet.
3) Die Mitglieder der Gruppen arbeiten kooperativ.
4) Institutionelle Unterstutzung, beispielsweise durch offentliche Einrichtungen, Gesetze und Sitten.
Der Kontakt mit Fremdgruppen kann somit, je nach Art und Weise, (rassistische) Vorurteile reduzieren.
Im Kontext dieser Arbeit konnte so theoretisch erklart werden, warum einheimische Burger in Deutschland Vorurteile und negative Einstellungen gegenuber Zuwanderungsgruppen entwickeln.
Vor allem defizitare institutionelle und gesellschaftliche Strukturen konnen hierbei groBen Einfluss auf die Einstellungen der Menschen haben. Gesetzgebungen, Ausfuhrungsbestimmungen, aber auch interkulturelle Bildungskonzepte konnten hier treibende Krafte fur die Entwicklung der Einstellungen deutscher Burger sein. Dies empirisch zu erfassen, ist jedoch auBerst komplex und die Datenlage dazu ist defizitar. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit der Kontakt als wichtige Determinante fur fremdenfeindliche Einstellungen in diesem Abschnitt zwar theoretisch erwahnt, empirisch jedoch nicht weiter analysiert.
Wie die Migrationspolitik in der Vergangenheit von der Regierung gestaltet wurde, soll im nachsten Abschnitt erortert werden.
3. Deutsche Migrationspolitik seit den 1990er-Jahren
Deutschland zahlt seit Ende des Zweiten Weltkrieges und dem darauffolgenden Wiederaufbau des Landes zu einem der beliebtesten Einwanderungsziele Europas. Politische Ereignisse wie die Jugoslawien-Kriege in den 1990er-Jahren, die turkisch- kurdischen Konflikte sowie der sogenannte ,Arabische Fruhling‘ in den 2010er-Jahren sorgten zusatzlich fur hohe Migrationszuzuge weltweit. Insgesamt zahlte das Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge (BAMF) im Zeitraum von 1991 bis 2015 knapp 25 Millionen hinzugezogene Menschen in Deutschland (BAMF 2015: 28).
Wie die Bundesrepublik in Phasen hoher Zuwanderung politisch reagierte und welche Gesetze erlassen oder geandert wurden, soll in diesem Abschnitt dargestellt werden. Angesetzt wird hier bei der ersten groBeren Einwanderungsperiode in den 1990er- Jahren seit der Wiedervereinigung.
Ging die Migration nach der sogenannten Gastarbeiterzuwanderung in den 1970er- Jahren zunachst zuruck, erreichte sie im Jahr 1990 mit rund 400.000 asylsuchenden Menschen einen neuen Hochststand.4 Diese neue Migrationswelle resultierte aus mehreren parallel laufenden politischen Ereignissen.
Der Mauerfall und die darauffolgende Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland losten groBe Wanderungsstrome von Ost nach West aus. Zudem veranlassten die Burgerkriege im damaligen Jugoslawien sowie im kurdisch besiedelten Teil der Turkei Hunderttausende Menschen zur Flucht aus der Heimat nach Deutschland und in andere Lander (vgl. Seifert 2012; Velling 1996: 378).
Wahrend die Anzahl der Asylbewerber in Deutschland stieg, verbreitete sich eine xenophobe Haltung im Land, die sich durch fremdenfeindliche und gewalttatige Anschlage auBerte: Asylsuchende Menschen wurden mit Steinen beworfen, Fluchtlingsunterkunfte wurden belagert und in Brand gesetzt und migrantische Familien wurden angegriffen (Seifert 2012).
Wenngleich nur 4,3 Prozent der Asylantrage anerkannt wurden, gerat die damalige Regierung unter zunehmenden Druck, auf die gewalttatigen Aktionen reagieren zu mussen. So einigte sich der Bundestag auf den sogenannten ,Asylkompromiss‘, der am 1. Juli 1993 rechtskraftig wurde, und definierte Artikel 16 des Grundgesetzes neu. Dabei wurde die bestehende Regelung uber das Asylrecht mit einem zusatzlichen Artikel 16a versehen - und damit gleichzeitig eingeschrankt (Seifert 2012; Hoesch 2018: 257 f.).
Mit der Neuregelung des Asylrechts wurden neue Regelungen fur die Einreise uber Drittstaaten, sichere Herkunftsstaaten sowie fur den Flughafentransit bestimmt. Alle Menschen, die uber einen Drittstaat oder einen sicheren Herkunftsstaat einreisten, erhielten fortan kein Asyl mehr. Als sichere Drittstaaten wurden alle Staaten eingestuft, in denen die Genfer Fluchtlingskonvention greift. Darunter fallen alle Nachbarstaaten Deutschlands. Ein sicherer Herkunftsstaat wird als Staat definiert, in dem keine politische Verfolgung stattfindet. Dies wird durch den Gesetzgeber auf Grundlage von Lageberichten des Auswartigen Amtes eingeschatzt und entschieden.
Fur den Transitbereich am Flughafen wurde ein beschleunigtes Asylverfahren eingefuhrt, wodurch die Asylbewerber bis zu 19 Tage lang zur Uberprufung ihres Antrages am Flughafen festgehalten werden konnten. Dadurch konnten Einreisen verweigert werden (BPB 2013).
Lediglich Burgerkriegsfluchtlinge waren von dieser Regelung ausgenommen - diese konnten vorubergehend in Deutschland aufgenommen werden. Weiterhin wurde „das Asylbewerberleistungsgesetz eingefuhrt, das die Leistungsanspruche von Asylbewerber_innen erheblich reduzierte und unter Sozialhilfeniveau senkte, Sach- statt Geldleistungen und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkunften einfuhrte“ (Hoesch 2018: 257 f). Durch die ergriffenen MaBnahmen wurde die Zahl der Zuwanderung insgesamt reduziert und unterschritt im Jahr 1996 erstmals wieder die Millionenmarke (BAMF 2015: 30).
Zu Beginn der 2000er-Jahre fand ein Diskurswechsel im Umgang mit der Zuwanderung in Deutschland statt: Die damalige rot-grune Koalition betonte die Bedeutung und die Notwendigkeit von Zuwanderern. Dies sei vor allem aufgrund des zu erwartenden Fachkraftemangels sowie des demografischen Wandels notwendig. So wurde im Jahr 2000 das Staatsangehorigkeitsrecht reformiert und ermoglichte fortan eine erleichterte Erlangung der deutschen Staatsburgerschaft fur migrantische Kinder. Im gleichen Jahr startete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schroder die sogenannte CeBit-Initiative und ermoglichte IT-Fachkraften aus dem Ausland, nach Deutschland einzuwandern. Die Initiative, die bis zum Jahr 2004 lief, gewahrte 13.000 auslandischen Fachkraften eine solche „Greencard“ (Stuwe 2016: 29).
Vor allem das Bundestagswahljahr 2005 sorgte fur eine Veranderung der deutschen Migrationspolitik. Die neue Koalition aus Union und SPD erkannte erstmals Deutschland als Einwanderungsland an und strebte eine Reformierung der bisherigen Migrationspolitik an. Dies wurde vor allem durch die Verabschiedung des neuen Aufenthaltsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsburgern und Auslandern nennt) gekennzeichnet, das noch im gleichen Jahr eingefuhrt wurde und das bis dato geltende Auslandergesetz von 1965/1990 abloste. Das neue Gesetz, das nur fur Drittstaatangehorige gilt, beinhaltete nicht nur Regelungen zur starkeren Steuerung weiterer Zuwanderung, erstmals wurde auch die Integration als politisches Ziel gesetzlich integriert und definiert. So wurde ein nationaler Integrationsplan entwickelt, der unter anderem neue Sprach- und Integrationskurse fur Zuwanderer beinhaltete. Mit § 44 des AufenthG haben auslandische Burger erstmals einen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an Integrationskursen. Bestimmte Zuwanderungsgruppen sind sogar zur Teilnahme verpflichtet (§ 44a AufenthG; Butterwegge 2007; Stuwe 2016: 37).
Weiterhin wurden burokratische Erleichterungen vorgenommen: Die bisherigen vielzahligen Aufenthaltstitel fur den legalen Aufenthalt von Nichtdeutschen wurden auf zwei heruntergebrochen. So gliedern sich seitdem die Aufenthaltstitel lediglich in die befristete, zweckgebundene „Aufenthaltserlaubnis“5 und die unbefristete „Niederlassungserlaubnis“ auf, die zu einer Einburgerung fuhren kann (Stuwe 2016: 34 ff.). Im Jahr 2007 wurde das Zuwanderungsgesetz reformiert und um weitere EU- Richtlinien sowie integrationspolitische Regelungen erganzt (ebd.).
Auch die Zuwanderung und der Aufenthalt von EU-Burgern wurden im Zuge des Zuwanderungsgesetzes neu geregelt. Das Zuwanderungsgesetz resultiert hierbei aus der EU-Richtlinie von April 2004, in der sich die EU-Mitgliedsstaaten zur nationalen Kodifikation verpflichteten. Das Freizugigkeitsgesetz erlaubt seitdem EU-Burgern die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland aus verschiedenen Zwecken, z. B. als Arbeitnehmer, als Empfanger von Dienstleistungen oder auch unter der Bedingung, dass der Lebensunterhalt und eine Krankenversicherung eigenstandig gesichert werden konnen (ebd.: 37 f.).
Mit Beginn des Arabischen Fruhlings im Jahr 2011 kam es zu zahlreichen Konflikten im Nahen Osten und in Nordafrika. Dies zwang Millionen von Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Vor allem das Jahr 2015 war kennzeichnend fur den rapiden Anstieg von Schutzsuchenden weltweit. Bis zum Ende dieses Jahres stieg die Zahl von Fluchtlingen weltweit auf einen neuen Rekord von 65,3 Millionen (UNHCR 2017).
Zu den groBten Konflikten des Arabischen Fruhlings zahlte der Syrien-Konflikt. In dem politisch instabilen Staat herrschten schon seit Jahrzehnten Konflikte zwischen der Regierung und Opposition sowie islamistischen Terrororganisationen. Vorwurfe gegen den amtierenden Prasidenten Baschar al-Assad, korrupt zu sein, Menschen zu foltern und das Land zu zerstoren, wurden lauter, sodass Oppositionsgruppen und islamistische Milizen starker werden konnten. Hierbei war es vor allem der sogenannte Islamische Staat (ISIS oder IS), eine terroristische Organisation, die weite Teile von Syrien, aber auch des Iraks kontrollierte.
Im Jahr 2016 machten die syrischen Schutzsuchenden mit 4,9 Millionen die groBte Fluchtlingsbevolkerung weltweit aus (UNHCR 2016; Humud et al. 2016: 1; Wieland 2020).
Zu dieser Zeit besetzten auBerdem die Taliban in Afghanistan mehrere Regionen und lieBen die dort seit den 1980er-Jahren bereits andauernden Burgerkriege und Konflikte neu aufflammen. Insgesamt befinden sich aus diesem Grund 2,7 Millionen Menschen aus Afghanistan auf der Flucht und beziffern damit die zweitgroBte Fluchtlingsbevolkerung nach den Syrern.
Wenngleich die meisten Menschen ihren Schutz auBerhalb Europas suchten (86 Prozent der Fluchtlinge haben in Landern mit niedrigen bis mittleren Einkommen Schutz gesucht), stand auch Europa vor der neuen Herausforderung, 1,5 Millionen Fluchtlinge aufzunehmen. Hierbei sorgte ursprunglich das sogenannte Dublin-Verfahren6 fur die Verteilung ankommender Asylsuchender in Europa.
Das Abkommen, das im Marz 2003 in Kraft getreten war, scheiterte jedoch angesichts der Uberlastung der europaischen Erstankunftslander, die hohe Anzahl an Asylsuchenden aufzunehmen, geschweige denn zu registrieren. Aus diesem Grund entschied sich Bundeskanzlerin Angela Merkel entgegen den Regelungen, aus den Nachbarlandern kommende Fluchtlinge aufzunehmen (UNHCR 2016; Zehfuss 2021: 173).
Damit war Deutschland im Jahr 2015 das Land unter den europaischen Industrienationen, das die groBte Anzahl an Asylsuchenden aufnahm. Insgesamt zogen 2,14 Millionen Menschen in diesem Jahr hinzu, davon etwa 475.000 Asylsuchende. Dies entsprach einem Anstieg um 135 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und markierte bis dato den Hochstwert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950 (UNHCR 2016, BAMF 2015: 9).
Die Entscheidung Merkels, die Grenzen fur Gefluchtete zu offnen, spaltete die Meinung der Bevolkerung. Auf der einen Seite wurden Bilder von applaudierenden Menschenmassen vor den Bahnhofen deutscher GroBstadte zum Symbol der ,Willkommenskultur‘.
Die im Kontrast zu anderen europaischen Regierungsvertretern positive Haltung gegenuber Schutzsuchenden fand bei einem groBen Teil der deutschen Bevolkerung positiven Anklang. Auf der anderen Seite musste sich die Bundeskanzlerin auch negativer Kritik stellen, mit der Aufnahme einer so hohen Anzahl an Migranten uberfordert zu sein. Mit dem beruhmten Leitsatz ,Wir schaffen das!‘ appellierte Merkel an die Burger, sich keine Sorgen zu machen, wahrend gleichzeitig die Angst vor Uberfremdung und Uberlastung bei einzelnen Bevolkerungsgruppen anstieg (Zehfuss 2021: 173).
Auf diese Angst reagierte vor allem die zu diesem Zeitpunkt konservative und euroskeptische Partei Alternative fur Deutschland (im Folgenden AfD), die im Jahr 2013 gegrundet worden war. Wahrend ihr inhaltlicher Schwerpunkt zuvor vor allem in der Kritik an der Europaischen Union lag, wechselte die Partei mit Beginn der Fluchtlingskrise ihren Kurs zu einer negativen Einstellung gegenuber Migration und Merkels ,Willkommenskultur‘. Damit war die AfD zu dieser Zeit die einzige Partei, die eine rechtskonservative, populistische Linie fuhr und viele Burger, vor allem im Osten Deutschlands, damit erreichte (ebd.: 174 f.).
Die Zahl der Asylantragsteller erreichte im Jahr 2016 einen neuen Hochstwert von 722.370. Insgesamt wanderten rund 1,9 Millionen Menschen in Deutschland ein. Auch die Bundesregierung reagierte nun auf den unkontrollierten Zugang von Migranten und einigte sich Anfang Marz 2016 mit der EU auf eine SchlieBung der Balkanroute. Noch im gleichen Monat beschlossen die EU-Mitgliedstaaten mit der Turkei ein Abkommen uber die Ruckfuhrung von Migranten aus Drittstaaten (BAMF 2016/2017: 15, 103).
Die beschlossenen MaBnahmen zeigten im darauffolgenden Jahr 2017 Wirkung: Die Asylantrage sanken rapide auf 198.317. Die Zuzuge insgesamt sanken nur leicht von knapp 1,9 Millionen auf 1,5 Millionen Menschen. Die Unzufriedenheit der Einheimischen spiegelte sich in der Bundestagswahl im gleichen Jahr wider: Die Koalition aus SPD und Union hatte zwar weiterhin eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, verlor aber einen erheblichen Stimmenanteil von acht Prozent (Union) und funf Prozent (SPD). Drittstarkste Kraft mit groBtem Zuwachs wurde hingegen die AfD mit 12,6 Prozent (8 Prozent Zuwachs), die mit ihrer anti-migrantischen Leitlinie viele Wahler umstimmen konnten (Bundeswahlleiter 2017).
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1 In dieser Arbeit wird aus Grunden der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Dabei bezieht sich diese Form immer gleichermaBen auf weibliche und mannliche Personen.
2 Zu den spezifischen Fluchtlingskategorien siehe Hoesch 2017: 24.
3 Mehr zum Cleavage-Begriff, siehe Lipset / Rokkan (1967) und Bartolini / Mair (1990).
4 Zuwanderungen aus weiteren Grunden wie Erwerbs- oder Bildungszwecken sind hier nicht mit einkalkuliert. Insgesamt betrug die Zuwanderung im Jahr 1990 rund eine Million Menschen. Fur die genauen Zu- und Abwanderungen von 1991 bis 2015 in Deutschland, siehe BAMF 2015: 30.
5 Mogliche Zwecke des Aufenthalts konnen Ausbildung (§§ 16 und 17 AufenthG), Erwerbstatigkeit (§§ 18 bis 21 AufenthG), volkerrechtliche, humanitare oder politische (§§ 22 bis 26 AufenthG) sowie familiare Grunde (§§ 27 bis 36 AufenthG) sein.
6 Mehr zum Dublin-Verfahren siehe BAMF 2019.
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- Marina Athanail (Autor), 2022, Wie verändern sich die Einstellungen gegenüber Migranten in Zeiten hoher Zuwanderung?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1239997
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