Diese Arbeit soll eine klare Unterscheidung zwischen "gesundem" und "krankem" Narzissmus herauskristallisieren. Es stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten pädagogischen Handelns es im Umgang mit Narzissmus gibt. Hierzu wird zunächst die Bedeutung des Urvertrauens als Grundlage für eine förderliche Entwicklung erklärt, gefolgt von einer verkürzten Darstellung des Phasenmodells der psychischen Geburt nach Margret S. Mahler. Im Anschluss daran wird die mythologische Darstellung von „Narziss und Echo“ auf ihre heutige Bedeutung geprüft, gefolgt von einer Skizzierung des Weges von der Selbstakzeptanz hin zu einer pathologischen Störung sowie der klinisch relevanten Typen narzisstischer Verhaltensweisen und der symptomatischen Darstellung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach dem DSM-V. Nach diversen Erklärungsansätzen aus tiefenpsychologischer - und lerntheoretischer Betrachtung wechselt der Fokus von der generationsübergreifenden Perspektive auf die pädagogische Bedeutung in der stationären Kinder- und Jugendarbeit und in der Schule. Hier wird zunächst der kindliche Narzissmus von der Pathologie abgegrenzt und anschließend auf gruppendynamische Prozesse in den genannten Institutionen hingewiesen. Daraus ergeben sich pädagogische Konsequenzen, deren Anspruch es sein muss, die narzisstischen Größenbilder und idealisierten Vorbilder der Klienten als einen differenzierten und nicht integrierten Teil ihres Selbst anzuerkennen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Die frühkindliche Entwicklung
2.1 Das Urvertrauen nach Sigmund Freud
2.2 Die psychische Geburt nach Margret S. Mahler
3 Mythos Narziss
3.1 Narziss und Echo
3.2 Deutungen des Mythos
4 Von der Selbstakzeptanz zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung
5 Subtypen narzisstischer Verhaltensweisen
5.1 Hoch funktionaler (exhibitionistischer) Typus
5.2 Grandios-maligner - und vulnerabler Typus
5.2.1 Grandios-maligner (offener) Typus
5.2.2 Vulnerabler (verdeckter) Typus
5.2.3 Zusammenfassung
5.3 Kommunaler Narzissmus
6 Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
7 Erklärungsansätze
7.1 Narzissmus als individuell-genetischer Aspekt nach Sigmund Freud
7.2 Alfred Adler - Minderwertigkeitsgefühl und Geltungsstreben
7.3 Karen Horney - Sicherheit und Selbstvertrauen
7.4 Narzissmus nach Otto F. Kernberg
7.5 Narzissmus nach Heinz Kohut
7.6 Beziehungsstörungen nach Michael Winterhoff
7.6.1 Beziehungsstörung der gleichberechtigten Partnerschaft
7.6.2 Narzisstische Bedürfnisse der Eltern
7.6.3 Symbiotische Beziehungsstörung
7.7 Narzisstisches Verhalten durch operante Konditionierung
7.7.1 Zuviel des Lobes
7.7.2 Ablehnende Eltern
7.7.3 Soziale Medien
8 Kindlicher Narzissmus vs. pathologisch narzisstische Störung
9 Gruppendynamische Bedeutung für die Pädagogik
9.1 Lern- und Leistungsbereich
9.2 Probleme im Sozialverhalten
9.2.1 Probleme gegenüber pädagogischen Bezugspersonen
9.2.2 Probleme mit anderen Gruppenmitgliedern
9.2.3 Auseinandersetzung mit den Generationen „Z“ und „Alpha“
9.3 Pädagogisches Handeln
9.3.1 Empathie
9.3.2 Containing und Holding
9.3.3 Pädagogischer Umgang mit projektiven Identifizierungen
9.3.4 Pädagogischer Umgang mit Medien
10 Fazit
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
- DSM = Diagnostic and Statistical manual of Mental disorders (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen)
- ICD = International Classification of Diseases (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten)
- NPS = Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: Normaler Narzissmus und normale Selbstwertregulierung (eigene Darstellung orientiert an Kernberg, P.F.)
- Abb. 2: Pathologischer Narzissmus und pathologische Selbstwertregulierung (eigene Darstellung orientiert an Kernberg, P.F.)
- Abb. 3: Projektive Identifizierung (orientiert an der Grafik und den Aussagen von Dunja Voos)
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Gegenüberstellung des vulnerablen - und grandiosen Typus
1 Einleitung
Der Begriff Narzisst wird in der Gesellschaft rücksichtslos selbstbezogenen Personen zugeschrieben.1 Dabei ist Narzissmus nicht zwangsläufig negativ konnotiert. In der stationären Kinder- und Jugendhilfe als auch in der Schule sind Pädagogen gefordert, das Selbstwertgefühl ihrer Klienten zu stärken. Voraussetzung ist jedoch, die Differenzierung von einer pathologischen Selbstbezogenheit zu kennen, die sich von einem normalen Selbstwertgefühl u.a. dahingehend unterscheidet, kaum Empathie und Rücksichtnahme für andere Personen zu zeigen. Dies sei hier nochmals eindringlich betont, da der Stempel des Narzissmus von der Gesellschaft zu schnell aufgetragen wird, obwohl die eigentliche Bedeutung der Begrifflichkeit oftmals nicht bekannt ist und somit selbstbewusste Personen, die nicht gleich „Narzissten“ sein müssen, falsch und stigmatisierend verurteilt werden.
Die folgende Ausarbeitung soll daher eine klare Unterscheidung zwischen „gesundem“ und „krankem“ Narzissmus herauskristallisieren. Hierzu wird zunächst die Bedeutung des Urvertrauens als Grundlage für eine förderliche Entwicklung erklärt, gefolgt von einer verkürzten Darstellung des Phasenmodells der psychischen Geburt nach Margret S. Mahler. Im Anschluss daran wird die mythologische Darstellung von „Narziss und Echo“ auf ihre heutige Bedeutung geprüft, gefolgt von einer Skizzierung des Weges von der Selbstakzeptanz hin zu einer pathologischen Störung sowie der klinisch relevanten Typen narzisstischer Verhaltensweisen und der symptomatischen Darstellung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach dem DSM-V. Nach diversen Erklärungsansätzen aus tiefenpsychologischer - und lerntheoretischer Betrachtung wechselt der Fokus von der generationsübergreifenden Perspektive auf die pädagogische Bedeutung in der stationären Kinder- und Jugendarbeit und in der Schule. Hier wird zunächst der kindliche Narzissmus von der Pathologie abgegrenzt und anschließend auf gruppendynamische Prozesse in den genannten Institutionen hingewiesen. Daraus ergeben sich pädagogische Konsequenzen, deren Anspruch es sein muss, die narzisstischen Größenbilder und idealisierten Vorbilder der Klienten als einen differenzierten und nicht integrierten Teil ihres Selbst anzuerkennen. Es stellt sich daher für mich die Frage, welche Möglichkeiten pädagogisches Handeln zur Erreichung dieser Zielsetzung hat, die im abschließenden Fazit, neben anderen Erkenntnissen aus dieser Ausarbeitung reflektiert werden.
Zur besseren Lesbarkeit werde ich die männliche Schreibweise verwenden, beziehe aber natürlich auch die weiblichen Personen mit ein. Zudem werde ich wortgetreue Zitate in kursiver Schrift kennzeichnen und sie folglich auch nicht einer grammatikalischen Korrektur unterziehen oder die Rechtschreibung verbessern.
2 Die frühkindliche Entwicklung
Bevor sich der pathologischen Betrachtung des Narzissmus zugewandt wird, soll dieses Kapitel eine Übersicht über „normale“ Abläufe der frühkindlichen Entwicklung geben. Hierbei spielt die Bildung von Urvertrauen eine herausragende Rolle. Das Urvertrauen bildet die Grundlage, das Gefühl der Sicherheit auch dann beizubehalten, wenn sich das Kind langsam aus der totalen Abhängigkeit zu seinen Bezugspersonen löst.
2.1 Das Urvertrauen nach Sigmund Freud
In der oralen Phase (Geburt bis etwa 1 Jahr), erkunden Bays ihre Umgebung mit dem Mund, da sie hierüber ihre Bedürfnisse (wie Hunger) beispielsweise beim Stillen durch die Mutter befriedigen. Das Baby erlebt die Mutter als wichtigste Bezugsperson, so dass sich bei entsprechender Bedürfnisbefriedigung ein Urvertrauen herausbilden kann.
Ist die Mutter-Kind-Beziehung beispielsweise durch eine mangelnde Nahrungsversorgung gestört, kann das Baby kein Urvertrauen bilden und hat wahrscheinlich im weiteren Lebensverlauf starke Selbstzweifel und ein erhöhtes Misstrauen anderen gegenüber2, da es schon sehr früh gelernt hat, dass seine Bedürfnisse nicht in dem Maße gestillt wurden, wie es einer förderlichen Entwicklung entsprechen müsste.3
2.2 Die psychische Geburt nach Margret S. Mahler
Der Zustand des Neugeborenen als völlig hilfloses Wesen begründet die mehrere Jahre andauernde Abhängigkeit zur Mutter und zu weiteren Bezugspersonen. Der Wachstumsprozess ist somit vor allem gekennzeichnet durch eine sukzessive Loslösung aus der symbiotischen Mutter-Kind-Beziehung, in der sich das Kind als eigenständiges Wesen, abgegrenztvon anderen Personen, erlebt.4 Das 6 Phasen-Modell wird nun im Folgenden näher beschrieben, beginnend mit zwei Vorläufern symbiotischer Phasen (Punkte 1-2) um dann zu den Phasen des Loslösungsprozesses (Punkte 3-6) zu gelangen:
1. Normale autistische Phase:
Der Säugling zeigt sich gegenüber Außenreizen scheinbar unbeeindruckt. Ist er hungrig, äußert er dies durch Schreien und Weinen, die der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung dienen. Er ist jedoch noch unfähig, die Mutter als Vermittlerin seiner Bedürfnisbefriedigung zu erkennen,5 da er noch nicht zwischen ihr und sich selbst unterscheiden kann. Der Säugling befindet sich in einem Zustand halluzinatorischer Desorientierung in der ausschließlich seine Bedürfnisbefriedigung relevant ist.6 Es folgt die zweite Vorläuferphase:
2. Symbiotische Phase
Diese Phase ist geprägt von der „Fusion mit der Mutter“ 7 und insbesondere der illusorischen Vorstellung8 „einer gemeinsamen Grenze der beiden in Wirklichkeit physisch getrennten Individuen.“ 9 Von einer optimalen Symbiose ist dann auszugehen, wenn die Mutter beispielsweise beim Stillen das Kind anschaut, mit ihm spricht oder ihm etwas vorsingt. Die kindlichen Bedürfnisse werden von der Mutter erkannt und befriedigt.10 (Entwicklung von kindlichem Urvertrauen). Es folgt nun die erste der vier Hauptphasen des Loslösungsprozesses:
3. Differenzierung und Entwicklung des Körperschemas:
Mit 4-5 Monaten erreicht die symbiotische Beziehung ihren Zenit. Hiernach beginnen die ersten Versuche des Kindes sich zu lösen. Es zieht die Mutter an den Haaren oder an den Ohren, steckt ihr Essen in den Mund oder „stemmt“ die Mutter von sich weg, um sie besser sehen zu können. Vom 7.-8. Monat beginnt das Baby zwischen sich und der Mutter zu unterscheiden und zeigt Interesse an Gegenständen, die nicht zur Mutter gehören wie die getragene Brille oder die glänzende Kette. Zudem vergleicht es unbekannte mit bekannten Gesichtern.11 Diese Phase entwickelt sich kontinuierlich und differenzierter weiter.
4. Das Üben
Mit 9 Monaten beginnen die Kinder zu krabbeln.12 Sie entfernen sich eigenständig von der Mutter und erforschen u.a. Spielzeug, bleiben jedoch in Sichtweite zu ihr. Das Kind entdeckt immer mehr, dass es sein Interesse von der Mutter und anderen „lebenden“ Objekten auch auf Gegenstände richten kann und erspürt diese zunehmend mit Mund und Händen. Zwischendurch brauchen Babys die mütterliche Nähe als „emotionale Rückversicherung“ (Anm. d. Verf.), zur der sie dann wieder zurückkrabbeln und Körperkontakt suchen, um sich dann wieder von ihr zu entfernen und weiter auf „Entdeckungsreise“ zu gehen.13
5. Die Wiederannäherung
Mit ungefähr 16 Monaten14 kann das Kind sicher laufen. Es wird ihm bewusst, dass es eine eigene Person ist, die sich von der Mutter distanzieren kann. Es hat dadurch große Trennungsängste und befindet sich daher oftmals in der Nähe zur Mutter. Häufig wird „Fangen“ gespielt, indem das Kind vor der Mutter wegläuft und sich dann darüber freut, von ihr „erwischt“ und anschließend hoch auf den Arm genommen zu werden. Mit etwa 2 Jahren erkennt das Kind jedoch, dass die Mutter auch eigene Interessen verfolgt. Dies will es anfangs nicht akzeptieren und übt durch Schreien, Weinen und Klammern emotionalen Druck aus. Diesen Wendepunkt bezeichnet Mahler als „Wiederannäherungskrise“, indem der verbalen Kommunikation eine immer bedeutendere Rolle zukommt.15 (Beispiel einer typischen mütterlichen Aussage: „Mama kommt ja gleich wieder, Oma passt ja auf dich auf.“). In der abwesenden Zeit wollen die Kinder wissen, wo die Mutter ist („Wann kommt Mama wieder?“), können aber auch (mit dem entsprechend entwickelten Urvertrauen; Anm. d. Verf.) tief in ein Spiel versunken sein, wenn andere wichtige Bezugspersonen in der Nähe des Kindes sind. So kann die Trennung langsam anerkannt und Trost und Ablenkung u.a. bei den Großeltern gefunden werden.
6. Konsolidierung der Individualität und Beginn der emotionalen Objektkonstanz
Laut Mahler ist bei einem Kind erst ab drei Jahren16 das Bild von der Mutter verinnerlicht. (innere Repräsentanz), d. h. die Vorstellungen von der Mutter, wie sie aussieht, wie sie sich anfühlt etc. Das innere Bild von der Mutter hilft dem Kind auch einmal längere Trennungsphasen von ihr auszuhalten.17
Mahler macht in ihrem linear verlaufenden Modell sehr deutlich, dass regressive Schritte, wie sie in der Wiederannäherungsphase beschrieben werden, den Autonomiestrebungen des Kindes nicht entgegenstehen.18
Nachdem im vorangegangenen Kapitel einzelne Phasen einer förderlichen frühkindlichen Entwicklung vorgestellt wurden, bezieht sich nun der Fokus auf davon abweichende narzisstische Verhaltensauffälligkeiten, die bereits in der mythologischen Darstellung von „Narziss und Echo“ zu finden sind.
3 Mythos Narziss
Vom mythischen Narziss erzählen unterschiedliche Werke, von denen die Geschichte von Ovids „Narziss und Echo“ die wohl bekannteste darstellt.19 Im Folgenden wird diese Version des römischen Dichters (43-17 vor Christus) aus seinen Metamorphosen (Buch III, Vers 339-510) verkürzt wiedergegeben.20
3.1 Narziss und Echo
Der Flussgott Cephisus schloss die Nymphe Liriope in seinen Wellen ein und vergewaltigte sie. Als Narziss geboren wurde, fragte Liriope den Seher Tiresias, ob ihr Sohn ein hohes Alter erlangen würde. Er erwähnte, dass dies nur dann einträfe, würde Narziss sich niemals selbst kennenlernen. Narziss wuchs zu einem schönen Jüngling heran, den viele Mädchen und Jünglinge begehrten, ihm aber ein derartiger Stolz innewohnte, dass niemand ihn berühren konnte.
Als Narziss auf der Jagd war, erblickte die Nymphe Echo ihn und verliebte sich. Echo, die wegen ihrer Geschwätzigkeit von Juno dahingehend bestraft wurde, nicht mehr verständlich zu sprechen und nur noch von gehörten Worten die letzten wiedergeben konnte, folgte ihm weiter und je mehr sie auf seinen Spuren wandelte, wuchs auch ihre Liebe zu ihm. Sie konnte ihre Gefühle aber nicht in Worte fassen. Als Narziss sich verirrte rief er: `Ist jemand hier?`, worauf Echo nur mit `hier` antworten konnte. Narziss erwiderte : `Komm!` Doch niemand kam und Narziss fragte: `Was fliehst du vor mir?` und forderte: `Lass uns hier zusammenkommen.` Somit trat Echo aus dem Wald heraus, um ihre Arme um Narziss zu legen. Dieser entwich jedoch ihren Umarmungen und betonte, lieber sterben zu wollen, als ihr zu gehören. Vor Scham zog sich Echo in die Wälder zurück und versteckte sich in Höhlen. Liebesschmerz und Kummer verzehrten ihren Leib. Ihre Knochen wurden zu Stein und nur ihre Stimme blieb. Sie wurde seitdem nicht mehr gesehen aber ihre Stimme war noch zu hören.
So wie Echo erging es auch einem von Narziss zurückgewiesenen Mann, der den Himmel darum bat, Narziss solle in der Liebe auch nicht das bekommen, was er würde begehren. Die Göttin Rhamnusia, die Ungerechtigkeiten mit Rache und Groll strafte, erfüllte ihm seine Gebete.
An einem anstrengenden Tag ließ sich Narziss nämlich an einer klaren Uferquelle nieder, die wie Silber schien und bislang unberührt war. Als er seinen Durst stillen wollte, da wuchs ein Begehren in ihm, gegenüber seinem Spiegelbild. `Nichts ahnend begehrt er sich selbst, empfindet und erregt Wohlgefallen, wirbt und wird umworben, entzündet Liebesglut und wird zugleich von ihr verzehrt.` Narziss hatte sich schließlich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. `Ich bin es selbst! (…) Liebe zu mir selbst verbrennt mich, ich selbst entzünde die Liebesflammen, die ich erleide.` Von Schmerz gepeinigt über die Ausweglosigkeit seiner Situation gab sich Narziss den Tränen hin, die sein Spiegelbild im Wasser trübten. Als das Wasser sich wieder beruhigte und er hineinsah, ertrug er den erneuten Anblick nicht und er schwand dahin, von Liebe ausgezehrt. Als Echo den sterbenden Narziss erblickte, wurde sie trotz ihres Grolls von Schmerz erfüllt und sprach seine letzten Worte: `Lebe wohl!` An der Stelle, an der der Jüngling entschwand, wuchs eine Blume, safrangelb in der Mitte umhüllt von weißen Blüten – Eine Narzisse.21
3.2 Deutungen des Mythos
Eine Zusammenfassung der vorangegangenen Darstellung zeigt, dass die Eigenliebe als negativ bewertet wird. Die Protagonisten Narziss und Echo durchlaufen ähnliche psychologische Zustände, jedoch mit völlig entgegengesetzten Zielen.22 Narziss versucht, sich unter Ausschluss von anderen Menschen selbst zu lieben, während Echo ihre Eigenständigkeit für Narziss aufgibt. Beide Versuche scheitern jedoch und führen zu Tod und Erstarrung, da die nötige Nähe-Distanz-Regulation nicht bewältigt werden kann. Auf menschliche Beziehungen übertragen, grenzt der eine den anderen völlig aus, der wiederum fokussiert auf sein Gegenüber ist. Menschen, die nur nachsprechen, was andere ihnen sagen (Echo), wird im Regelfall keinerlei Beachtung gewidmet (Narziss)23 und sie gelten als „Schreckgespenst einer total vergesellschafteten Persönlichkeit“ 24. Es zeigen sich somit zwei widersprüchliche Gesichter zur Verdeutlichung des „doppelten“ Charakters des Narzissmus. Zum einen die Fremdbezogenheit durch Selbstabwertung und Objektaufwertung der mythischen Echo versus der Selbstbezogenheit durch Selbstaufwertung und Objektabwertung des mythischen Narziss25, unfähig, „Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen.“26 Er findet Befriedigung in einer Illusion27, bis ihn die reale Erkenntnis seiner selbst überwältigt28 „und nur noch Schrecken, Verzweiflung, Leiden, Sinnlosigkeit und Leere übrig bleiben.“ 29 Einer Persönlichkeit `abseits vom Wege` 30 ohne Zuwendungsfähigkeit und Empathie, sondern zurückweisend und verletzend,31 gleichzeitig aber eine Überlebensstrategie aus Angst vor Trennung, Zurückweisung, Lieblosigkeit und Verlassenheit.32 Zwei Extreme menschlichen Verhaltens, Narzissmus und Echoismus, deren Einseitigkeit die gesellschaftliche Lebensunfähigkeit des Menschen bedeuten würde. Kurz gesagt: Ein erfülltes Leben funktioniert nicht in reiner Abhängigkeit und auch nicht in absoluter Selbstbezogenheit. Handlungsflexibilität im Spannungsverhältnis dieser Pole33 fördert hingegen die menschliche Entwicklung und Entfaltung.34 Im Mythos führt die Orientierung an diesen Extremen zur Verfestigung in nicht-menschliche Formen.35 Im Alltag würde dies zur Handlungsunfähigkeit, sozialer Regression oder wirkungsloser Expansion führen.36
In der Deutung des Mythos wurde bereits auf einige zwischenmenschliche Differenzen der heutigen Zeit hingewiesen (u.a. Selbst- vs. Fremdbezogenheit, Abwehrmechanismen und mangelnde Empathie), die sich im nun folgenden Kapitel, auf dem Weg von der Selbstakzeptanz hin zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, wiederfinden.
4 Von der Selbstakzeptanz zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Unsere Zeit ist geprägt durch das Streben nach Erfolg und forciert ein Konkurrenzdenken untereinander, in dem der Stärkste gewinnt. So verwundert es nicht, dass dadurch Neid und Missgunst auf andere entstehen, die einem „in die Quere kommen können“ und dieser Umgang Parallelen zum Begriff des Narzissmus aufweist.37 Dieser Begriff erfuhr besonders in der jüngsten Vergangenheit eine aktuelle und vor allem negative Konnotation. Demnach werden gesunde Persönlichkeitsmerkmale zur Selbstwertstärkung häufig nicht mehr vom krankhaften Narzissmus unterschieden, sondern oftmals zu Unrecht „in einen Topf“ unter dem Oberbegriff „Narzissmus“ geworfen. Ein gesundes Selbstwertgefühl ist jedoch in vielerlei Hinsicht stabilisierend.38 Otto F. Kernberg erwähnte hierzu in einem Interview aus dem Jahr 2017 folgendes (sinngemäß):
Menschen mit einem gesunden Maß an Narzissmus können das Leben genießen Sie haben ein Gefühl innerer Einheit in zentralen Bereichen des Lebens wie Liebe, Beruf, Kreativität, soziale Beziehungen und Sexualität. Sie erfreuen sich des interaktionellen Austausches gegenseitiger Wertschätzung. Für das Wohlbefinden jedes Einzelnen sei es enorm wichtig, seine affektiven Impulse ausleben zu können. Für Kernberg ist eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit sogar förderlich39 für einen „gesunden“ Narzissmus.40
Menschen mit dieser Selbstakzeptanz sind sich ihrer selbst bewusst, begegnen anderen freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig und auch hilfreich. Menschen mit narzisstischen Verhaltensweisen legen jedoch ihren Fokus darauf, als überlegen und großartig, sogar unnahbar dazustehen. Sie stellen sich ausschließlich in den Vordergrund mit ihren Ideen und Erfolgen und zeigen wenig Interesse für andere Menschen, was bis zu einer offenen Geringschätzung reichen kann. Zudem empfinden sie andere Menschen als Bedrohung, aus Angst davor, ihre Unzulänglichkeiten und Schwächen könnten bloßgestellt werden. Durch ihr labiles Selbstwertgefühl sind sie schnell gekränkt, kaum fähig zu verzeihen und nachtragend. Sie reagieren auf empfundene Demütigungen nicht selten mit feindseligen Racheimpulsen. Bei Menschen ohne narzisstische Tendenzen41 würden „bei zu wenig Anerkennung und Zuwendung eher eine resigniertdeprimierte Einstellung, zumindest aber Unsicherheit und Angst“ 42, vorherrschen. Die Person mit narzisstischen Verhaltensweisen hingegen wehrt sich aktiv mit aller Macht gegen die Gefahr der Wertlosigkeit43 und nutzt unter anderem folgende Stabilisierungsstrategien, die sich jedoch auf Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Beruf etc. negativ auswirken können:
- Er versucht aus der Masse herauszuragen, seine eigene Wichtigkeit,
seine Leistungen und Talente hervorzuheben, ist eingespannt in Fantasien
grenzenloser Übertreibungen nach Macht, Erfolg, Glanz usw. Er fordert
übermäßige Bewunderung ein und pflegt ein naives Anspruchsdenken (im
Sinne eines ausschließlich nehmenden Charakters; Anm. d. Verf.).
- Der Mensch mit narzisstischen Auffälligkeiten ist stark
leistungsorientiert. Er zeigt enormen Ehrgeiz darin, seine besonderen
Fähigkeiten und Kompetenzen vorzuweisen und wirkt somit selbstsicher,
klug und fleißig.44 Die Anerkennung führt jedoch dazu, die Defizite und Grenzen seiner Konkurrenten anzuprangern.45 Da er nicht bereit ist, seinen Wissensvorsprung zu teilen46, werden andere „klein gehalten“ und die eigene Selbsterhöhung wird betont.47
Diese folgenschweren Wesenszüge betonen eine verstärkte Kränkbarkeit und Neidgefühle anderen gegenüber, gefolgt von selbstzweifelnder Niedergeschlagenheit und Angstgefühlen, doch nicht einzigartig zu sein. Nach außen hin wird dies jedoch unter Aktivierung aller mobilisierender Kräfte geleugnet. Narzissten erhalten dadurch die Fassade der Großartigkeit aufrecht, um somit anderen und auch sich selbst ihre Zerbrechlichkeit nicht einzugestehen. Diese Personen nehmen sich auf der einen Seite als zu wenig akzeptiert wahr, versuchen jedoch andererseits ihr brüchiges Selbstbild durch eine überzogene Selbstdarstellung zu festigen. Da dieses Verhalten wiederum von anderen nicht akzeptiert wird, gelangen sie in einen Teufelskreis und drohen sich der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu nähern. Dies wird besonders ersichtlich, da sie im übertriebenen Maße ihre Bedeutung und ihre Fähigkeiten prahlerisch darstellen, um ihr immer geringeres Selbstwertgefühl zu stabilisieren.48 Das Umfeld reagiert daraufhin nicht nur mit Rückzug dahingehend, sich die andauernden Selbstinszenierungen nicht mehr anhören zu wollen, sondern auch mit abwertenden Kommentaren, teils ironischer Art, wie: „Ja, ja, du bist der Allergrößte.“ Letztendlich kann es zur kompletten Distanzierung kommen, sollte die Person ihr Verhalten nicht ändern. Wird der narzisstischen Person also bewusst, nicht mehr ernstgenommen oder belächelt zu werden, sondern „nur als Durchschnittstyp“ angesehen zu werden, kann sie nicht, anders als „normale Menschen“, daraus lernen, sondern intensiviert ihre Bestrebungen nach Anerkennung, was letztendlich zu quälenden Angststörungen oder Depressionen, bis hin zur Selbsttötung49 reichen und sogar zum „`Sensations- Suizid` 50 führen kann , also einer Selbsttötung, die vor allem das spektakuläre (und damit andere bloßstellende oder `abstrafende`) Moment in den Vordergrund stellt.“ 51
Nachdem in diesem Kapitel der Weg in eine narzisstische Persönlichkeitsstörung skizziert wurde, widmet sich das nachfolgende Kapitel den 3 Subtypen narzisstischer Verhaltensmuster, die in der klinischen Psychologie bzw. Psychiatrie vorrangig differenziert werden.52
5 Subtypen narzisstischer Verhaltensweisen
Wie bereits erwähnt, beleuchtet dieses Kapitel die klinisch relevanten Verhaltensmuster. In der neueren Diskussion wird ein vierter Typus erwähnt, der ergänzend zu den 3 bereits bekannten Subtypen beschrieben wird.53
5.1 Hoch funktionaler (exhibitionistischer) Typus
Menschen mit hochfunktionalem Typus sind oftmals im Berufs- und Privatleben gut integriert. Obwohl sie beruflich erfolgreich sind, finden sie selten eine kontinuierliche Befriedigung im Beruf. Im Privatleben fällt es ihnen schwer, soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten. In der Regel spüren sie keinen Leidensdruck, verursachen diesen jedoch in ihrem Umfeld. Arroganz und ein übertrieben zur Schau getragenes Selbstwertgefühl sind bezeichnend. Bei Menschen mit diesem Typus ist jedoch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr Narzissmus dazu dient, ein eher geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren, indem sie sich als überragend darstellen.54 Sie sind tatsächlich von sich überzeugt.
5.2 Grandios-maligner - und vulnerabler Typus
Dieses Unterkapitel stellt die häufigsten Typen55 einander gegenüber, die zudem auch als (meines Erachtens fälschlicherweise) „männlicher“ und „weiblicher“ Narzissmus56 tituliert werden. Ich verzichte hier jedoch auf die geschlechtsspezifische Unterscheidung, da ich in meinem Arbeitsfeld ausschließlich mit männlichen Kindern und Jugendlichen arbeite. Zunächst werden der grandiose - und vulnerable Typus separat vorgestellt und dann Gemeinsamkeiten beschrieben. Zur Verdeutlichung werden die beiden Typen tabellarisch in ihren Unterschiedlichkeiten gegenübergestellt, woraus sich pädagogische Herausforderungen ergeben.
5.2.1 Grandios-maligner (offener) Typus
Menschen vom offenen Typus unterscheiden sich gravierend gegenüber dem hochfunktionalen durch ihre deutlich reduzierte Anpassungsfähigkeit an soziale Situationen und durch starken Empathiemangel.5758 Sie zeigen zudem ein überhöhtes Selbstbild. Ihr arrogantes Verhalten und ihre Selbstbezogenheit lassen sie die Reaktionen anderer Menschen teilweise gar nicht wahrnehmen.59 Auf fehlende Anerkennung ihrer Person reagieren sie jedoch häufig mit Wutausbrüchen bis hin zu starken aggressiven Verhaltensweisen.60 In Behandlungssituationen wird bei Menschen des grandiosen Typus die Reaktion des Therapeuten kaum wahrgenommen.61 Er dient lediglich dazu, dem Patienten in seiner Selbstbezogenheit zuzuhören und ihn dabei nicht zu unterbrechen.62 Der Therapeut erfährt somit von Seiten des Patienten eine Entwertung,63 die jedoch umgekehrt „in der Gegenübertragung 64 Insuffizienzgefühle, Selbstzweifel, Langeweile, Hilflosigkeit, Entwertung des Patienten oder Ärger“ 65 bei diesem auslösen kann. Dies kann beim Klienten dadurch entstehen, dass er den Therapeuten zuvor zum Zuhörer degradiert hat, der jedoch nun, nach Beendigung seiner Ausführungen, gefälligst Stellung beziehen soll. Äußert sich der Therapeut nun beispielsweise wider den Erwartungen des Klienten, kann er von ihm dadurch entwertet werden, nur als Zuschauer und Zuhörer geeignet zu sein. Der Klient glaubt womöglich, die Zeit sinnlos mit einem „nicht würdigen“ Gegenüber verbracht zu haben. Dieses Verhalten lässt sich auch in der pädagogischen Arbeit wiederfinden („Du hörst mir ja doch nicht zu.“ oder „Ihr versteht mich einfach nicht.“, sind klassische Beispiele aus der vollstationären Betreuung, die natürlich aber auch bei Kindern und Jugendlichen ohne narzisstische Tendenzen zu finden sind.).
5.2.2 Vulnerabler (verdeckter) Typus
Personen mit verdecktem Typus zeigen oberflächlich betrachtet keine Selbstidealisierung und keine erhöhte Anspruchshaltung. Vielmehr erwecken sie den Eindruck einer zurückhaltenden und unsicheren Person. Im Inneren haben sie jedoch ausgedehnte narzisstische Fantasien und zeigen wenig Empathie für andere Menschen. Auf Kritik und Misserfolge reagieren sie mit Wut auf andere Menschen, die sie möglicherweise mit Abwertung strafen oder von denen sie sich zurückziehen. Im Vergleich zum grandiosen Typus sind sie deutlich labiler und haben einen starken Leidensdruck. Häufig zeigen sie Ängste und Schamgefühle und sind anfälliger für Depressionen.66 Hier ein Fallbeispiel:
Melissa, 15 Jahre, kommt aus einem strengen Elternhaus, welches ihr das Gefühl vermittelt, dass nur Leistung und der „schöne Schein“ zählen und sie nur dann auch Anerkennung zu erwarten hätte. Zudem wurde sie oft mit ihrer 2 Jahre älteren Schwester Lina verglichen. Mit ihr wurde auch vor anderen Leuten angegeben, wie gut doch ihre Leistungen in der Schule seien und ihr musikalisches Talent betont und was für ein hübsches Kind die Eltern doch hätten. Melissa und Lina besuchen dieselbe Schule. Auch dort erfährt Melissa, wie beliebt ihre ältere Schwester ist und man sich gar nicht vorstellen kann, dass beide miteinander verwandt sind. Lina ist ihrer Schwester auch keine Hilfe, da sie es sichtlich genießt auf der Sonnenseite zu stehen und nicht wie „meine kleine Schwester“ ein unscheinbares „Mauerblümchen“ zu sein. Melissa flüchtet sich in ihre Bücher, deren Inhalte sich häufig um mächtige Schönheiten drehen. Sie beginnt selbst ihre Geschichten zu schreiben, in der sie sich so darstellen kann, wie sie sein möchte: Als eine große Kriegerin von Schönheit und Mächten geradezu verwöhnt.
Sie möchte gar nicht mehr zur Schule gehen, hat aber Angst davor, ihren Eltern den eigentlichen Grund dafür zu nennen, die ihr wahrscheinlich sowieso nicht glauben würden, da Lina ja so perfekt ist. Sie flüchtet sich immer mehr in ihre Bücher und Geschichten und beginnt damit ihre literarischen Figuren nachzuzeichnen, wie sie in ihrer Darstellung aussehen. Die Schulleistungen nehmen stark ab, was daran liegt, dass Schule für Melissa nur negativ behaftet ist, sie ihre aufgebaute Fantasiewelt jedoch nach ihren eigenen paradiesischen Vorstellungen gestalten kann.
In der Bezugsarbeit versuchen Klienten mit vulnerablen Tendenzen, Anzeichen für Verletzungen durch den Pädagogen zu finden. Sie kontrollieren beim Gegenüber u. a. die Körperhaltung, Mimik, Sprache und Betonung auf mögliche Kränkungen. Wird dies von der professionellen Person erkannt, kann diese in der Gegenübertragung unter Druck geraten, den Klienten dahingehend rücksichtsvoller zu behandeln, indem sie bestimmte Formulierungen und Verhaltensweisen verbessert. Werden die empfundenen Kränkungen jedoch nicht wahrgenommen, werden unausgesprochene Missverständnisse die Kommunikation stören.67
5.2.3 Zusammenfassung
Beiden Verhaltensmustern ist gemein, andere Menschen auszubeuten und zu glauben ihnen stünde aufgrund ihrer Besonderheit mehr als anderen zu.68 Der grandiose - als auch der vulnerable Typus stellen Professionen im therapeutischen als auch im pädagogischen Setting vor große Herausforderungen.69 Viele Menschen mit grandiosen Tendenzen wechseln zwischen grandiosem - und vulnerablem Typus. Sie suchen, vor allem nach enormen Niederschlägen wie z.B. beruflichen Misserfolgen, Therapieangebote auf, wenn ihr nun vorherrschendes vulnerables Selbst vom grandiosen Selbst nicht mehr aufgefangen werden kann. Menschen vom vulnerablen Typus hingegen weisen seltener ein grandioses Erscheinungsbild auf; d.h. sie wechseln nicht zwischen den Typen.70 Heinz Kohut schlägt vor, dem Schutz der Klientel eine möglichst hohe Bedeutung zukommen zu lassen,71 auf die im Kapitel 9 näher eingegangen wird.
Mit der folgenden tabellarischen Übersicht werden die zuvor benannten vulnerablen - und grandiosen Typen exemplarisch anhand einiger Gegensätzlichkeiten gegenübergestellt. Die aufgeführten Punkte basieren auf den vorangegangenen Erläuterungen aus Kapitel 5.2.1 und 5.2.2.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Gegenüberstellung des vulnerablen - und grandiosen Typus72
Aus dieser Übersicht ist die deutliche Unterscheidung besonders gut ersichtlich und weckt ein Bewusstsein dafür, dass der vulnerable Typus in der therapeutischen - als auch in der pädagogischen Arbeit schwerer zu erkennen ist. Hierbei wäre eine ausführliche Anamnese zur Aufdeckung eines verdeckten Typus, sowie eine ergänzende psychologische Anbindung hilfreich. Dies setzt jedoch besonders bei den pädagogischen Mitarbeitern voraus, die aufgeführten Symptome zu erkennen, um dann weitere Schritte einzuleiten. Zu den bereits genannten Typen gesellt sich in der neueren Diskussion ein weiterer Typus hinzu, der immer mehr Beachtung erfährt und im folgenden Kapitel erläutert wird.
5.3 Kommunaler Narzissmus
Betroffene Personen zeigen ein übertriebenes Ausmaß aufopfernden Verhaltens in der Gesellschaft, in dem sie beispielsweise viele Aufgaben übernehmen, sei es als Vertretung des Schulelternrats, Vorstand im dörflichen Heimatverein etc. mit der Intention zu zeigen wie einzigartig, hilfsbereit (und scheinbar unentbehrlich; Anm. d. Verf.) sie sind.73
Nachdem nun unterschiedliche Subtypen vorgestellt wurden, geht es im nächsten Kapitel um die Klassifizierung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Hierzu sind im ICD-10 und im DSM-V diverse Kriterien zur Diagnostik einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung aufgeführt.
6 Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist ein eigenständiges Krankheitsbild nach der DSM Klassifikation74, während sie im ICD-10 unter „Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen“ (F60.8) nur als Unterpunkt der „Spezifischen Persönlichkeitsstörungen“ (F60) ohne weitere Erläuterungen genannt wird.75 Im Folgenden wird sich daher ausschließlich auf die Kriterien im DSM–5 bezogen.
Dem DSM zufolge wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung als tiefgreifendes Muster von Großartigkeit (in Verhalten und Fantasie) einem Mangels an Empathie und dem Bedürfnisses nach Bewunderung verstanden. Der Beginn äußert sich im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in unterschiedlichen Situationen. Zur Diagnostik einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssen nach DSM mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein:76
(1) hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (übertreibt
z. B. die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende
Leistungen als überlegen anerkannt zu werden),
(2) ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe,
(3) glaubt von sich, `besonders` und einzigartig zu sein und nur von
anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen)
verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können,
(4) verlangt nach übermäßiger Bewunderung,
(5) legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. übertriebene
Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches
Eingehen auf die eigenen Erwartungen,
(6) ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d. h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen,
(7) zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht willens, die Gefühle
und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu
identifizieren,
(8) ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie,
(9) zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen. 77
[...]
1 Vgl. Stimmer (1987), S. 13
2 Vgl. Wunder (2017)
3 Erikson stellt dem Vertrauen das Misstrauen gegenüber. (vgl. Adam-Lauer (c); o.J., S. 43) Misstrauen in gesundem Maße entsteht, wenn die Mutter mal nicht für das Kind da sein kann, weil sie beispielsweise einer beruflichen Tätigkeit nachgehen muss. Das Kind wird jedoch von weiteren wichtigen Bezugspersonen (z.B. Vater und Großeltern) nicht allein gelassen. Hierdurch lernt das Kind nicht nur Vertrauen aufzubauen, sondern auch Misstrauen gegenüber befremdlichen Situationen und unbekannten Personen. (vgl. Oerter/ Montada (1995), S. 64; zit. nach Adam-Lauer (c); o.J., S. 43)
4 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 13
5 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 59 f.
6 Vgl. Ferenzi (1913)
7 Mahler et al.; o.J., S. 63
8 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 63
9 Mahler et al.; o.J., S. 63 f.
10 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 64
11 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 72 ff.
12 Vgl. Adam-Lauer (a); o.J., S. 8
13 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 87 ff.
14 Vgl. Adam-Lauer (a); o. J., S. 8
15 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 101 ff.
16 Vgl. Mahler (1965), S. 161-169; zit. nach Mahler et al.; o.J., S. 143
17 Vgl. Mahler et al.; o.J., S. 143
18 Vgl. Stimmer (1987), S. 122
19 Vgl. Stimmer (1987), S. 21
20 Vgl. Bierhoff; Herner (2009), S. 21
21 Vgl. Orlowsky & Orlowsky (1992), S. 71-76 (Übersetzungen von Prahl & Fetting) und vgl. Renger (1999), S. 45-53; zit. nach Bierhoff; Herner (2009), S. 21 ff. (Wörtliche Zitate sind im Kapitel 2.1 mit `…` und kursiv gekennzeichnet und wurden aus der genannten Literatur entnommen).
22 Vgl. Bierhoff; Herner (2009), S. 24 f.
23 Vgl. Stimmer (1987), S. 28
24 Stimmer (1987), S. 28
25 Vgl. Bierhoff; Herner (2009), S. 27
26 Stimmer (1987), S. 31
27 Vgl. Ovid (1981), S. 71; zit. nach Stimmer (1987), S. 31
28 Vgl. Stimmer (1987), S. 31 f.
29 Stimmer (1987), S. 32
30 Ovid (1981), S. 69; zit. nach Stimmer (1987), S. 32
31 Vgl. Stimmer (1987), S. 32
32 Vgl. Sugerman (1978), S. 27; zit. nach Stimmer (1987), S. 32
33 Vgl. Stimmer (1987), S. 33
34 Vgl. Bühl (1982), S. 225 f.; zit. nach Stimmer (1982), S. 33
35 Vgl. Stimmer (1987), S. 33; ergänzend dazu: vgl. Hunger (1974), S. 265; Ranke-Graves (1960), Bd. 1, S. 261; Spotnitz und Resnikoff (1954), S. 176 ff.; Wieseler (1856)
36 Vgl. Stimmer (1987), S. 33
37 Vgl. Faust; o.J., S. 6
38 Vgl. Lammers (2019a), S. 20
39 Eine gewisse Abhängigkeit schafft auch gleichzeitig ein Vertrauen, dass man füreinander da ist und fördert die Sicherheit auch bei Fehlern „aufgefangen“ zu werden.
40 Vgl. Mayr (2017)
41 Vgl. Faust; o.J., S. 6 ff.
42 Faust; o.J., S. 8
43 Vgl. Faust; o.J., S. 8
44 Vgl. Faust (2013), S. 106 ff.
45 Vgl. Faust; o.J., S. 9
46 Vgl. Faust (2013), S. 107
47 Vgl. Faust; o.J., S. 9
48 Vgl. Faust (2013), S. 107 f.
49 Vgl. Faust; o.J., S. 10
50 Faust, o.J., S. 42 (hierzu: vgl. Goertz (2015) und vgl. Lutz (2015) zum Suizid des Germanwings-Piloten Andreas L., der über hundert Passagiere mit in den Tod flog)
51 Faust, o.J., S. 42
52 Vgl. Russ et al. (2008), S. 1473-1481; zit. nach Lammers (2019a), S. 21
53 Vgl. Gebauer et al. (2012), S. 854-878; zit. nach Lammers (2019a), S. 22
54 Vgl. Lammers (2019a), S. 22
55 Vgl. Pincus; Lukowitsky (2010), S. 421-446; zit. nach Lammers (2019a), S. 22
56 Vgl. Wardetzki (2019), S. 69 ff.
57 maligne = bösartig (Lexikon-Institut-Bertelsmann (2005), S. 309) Der maligne Narzissmus zeichnet sich durch antisoziale, aggressive und paranoide Elemente aus, bei der die Über-Ich Funktion nicht vollständig ausfällt. (vgl. Clarkin; Yeomans; Kernberg (2008), S. 22); zit. nach Bierhoff; Herner (2009), S. 57) Unter dem offenen Typus wird hier verstanden, dass dieser Typus deutlich erkennbar ist, da er Kriterien des DSM-V aufzeigt.
58 Vgl. Lammers (2019a), S. 22
59 Vgl. Pincus; Lukowitsky (2010), S. 421-446; zit. nach Busmann; Euler (2019), S. 33
60 Vgl. Lammers (2019a), S. 22
61 Vgl. Busmann; Euler (2019), S. 33
62 Vgl. Gabbard (2019), S. 697
63 Vgl. Busmann; Euler (2019), S. 33
64 Übertragung bedeutet beispielsweise, dass das Kind seine Erzieherin als sehr gutherzig, mitfühlend usw. empfindet. Diese Empfindungen erinnern das Kind an ihre fürsorgliche Mutter. Also die kindlichen Gefühle von der Mutter werden auf die Erzieherin übertragen. Die Erzieherin nimmt diese Empfindungen des Kindes wahr (und vergleicht diese mit Gefühlen für ihre Tochter) und überträgt dies wiederum auf das Kind. Dies ist dann die Gegenübertragung. Hierbei besteht die Gefahr die professionelle Distanz zu verlieren, was in diesem Beispiel dazu führen kann, das beschriebene Kind bevorzugt zu behandeln.
65 Busmann; Euler (2019), S. 33
66 Vgl. Lammers (2019b), S. 19-28; zit. nach Lammers (2019a), S.22
67 Vgl. Gabbard (2006); zit. nach Busmann; Euler (2019), S. 33 f.
68 Vgl. Bierhoff; Herner (2009), S. 74
69 Vgl. Ronningstam (2017), S. 3; zit. nach Busmann; Euler (2019), S. 34
70 Vgl. Lammers (2019a), S. 22
71 Vgl. Hartmann (2006) und vgl. Gabbard (2006); zit. nach Busmann; Euler (2019), S. 34
72 Vgl. Lammers (2019a), S. 22; vgl. Hartmann (2018), S. 30 (modifiziert nach Gabbard (1989, S. 527-532 und 2006, S. 693-702) und vgl. Wardetzki (1990); zit. nach Wardetzki (2019), S. 70
73 Vgl. Gebauer et al. (2012), S. 854-878; zit. nach Lammers (2019a), S. 22
74 Vgl. Hartkamp et al. (2002), S. 213-233; zit. nach Bierhoff; Herner (2009), S. 80
75 Vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2021)
76 Vgl. Falkai; Wittchen (2015); zit. nach Hartmann (2018), S. 34
77 Falkai; Wittchen (2015); zit. nach Hartmann (2018), S. 34
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.