Dies soll Gegenstand dieser Hausarbeit sein: was bedeutet »kulturelle Identität« im Kontext der interkulturellen Pädagogik und in der Migrationspolitik? Gibt es sie wirklich und wenn ja, wird diese aufgestempelt, besitzt man sie einfach oder wählt man sich seine Identität selbst? Liegt ihr eine Kontinuität oder Kohärenz inne oder ist sie veränderbar je nach Zeit und Ort? Bevor ich mich jedoch diesen und ähnlichen Fragen widme wäre es von Nutzen, würden wir uns einige der diversen theoretischen Erklärungen, die bezüglich des Begriffs der Identität gemacht worden sind, genauer anschauen. Im darauf folgenden Teil werde ich dann versuchen auf zu zeigen, wie der Begriff mit Pluralität im Sinne von Kulturvielfalt zusammenspielt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erläuterung des Begriffs der Identität
2.1. Personale Identität: Notwendigkeit der Identitätsarbeit in der Moderne – Kohärenz und Kontinuität versus Ambivalenz, Ambiguität und Differenz
2.2. Kollektive Identität: Soziales Konstrukt oder Realität?
3. Hybride Kulturen und Identitäten – Pluralität in der Einwanderungsgesellschaft
3.1. Hybride Kulturen
3.2. Hybride Identitäten
4. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bevor ich im SS 08 an der Universität Bielefeld das Seminar mit dem Titel „Identität – Ein Schlüsselkonzept der Interkulturellen Pädagogik“ besuchte, gebrauchte ich den Begriff der Identität eher unreflektiert, als ein umgangssprachliches Wort, das in vielen Situationen selbstverständlich benutzt wird. Mir war durchaus bewusst, dass man mit dem Begriff dazu in der Lage war, viele verschiedene Dinge zu beschreiben; Identität war etwas wie Merkmal, Persönlichkeit, das was eine Person ausmacht, ihre Sprache, ihre Herkunft, das wofür sie steht, ihre Ansichten und Auffassungen, ihre Hobbys, ihre religiöse, ethnische, geschlechtliche Identität eben, das, woran sie glaubt, das worin sie sich heimisch fühlt usw. Angesichts dieses breiten Bedeutungsspektrums hätte es mir eigentlich bewusst sein sollen, dass eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Begriff durchaus möglich ist, doch sah ich bis Beginn des Seminars keinen Anlass dazu, mich mit ihm auf theoretischer Ebene genauer auseinander zu setzen. Erst im Laufe des Seminars und je mehr Literatur ich zu diesem Thema las wurde mir dessen Komplexität und Diffusität bewusst. Umso schwieriger erschien es mir, diese Hausarbeit auf einen bestimmten Rahmen zu begrenzen, ja den Ausschnitt, den dieser Rahmen zeigen soll erst einmal fest zu legen. Schließlich gibt es Unmengen von Herangehensweisen, Meinungen, theoretischen Abhandlungen und Inbeziehungsetzungen zu anderen Aspekten, wie Geschlechterforschung, Migrationspädagogik oder Interkulturelle Pädagogik und auch gerade für die Soziologie ist der Begriff der Identität von Belang. Letzten Endes kam mir eine Frage in den Sinn, mit der ich früher als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters – ich lebte acht Jahre in der Türkei - des öfteren konfrontiert worden war: „Wo fühlst du dich zu Hause, wo gefällt es dir besser?“. Ich verspürte immer die vermeintliche Notwendigkeit, mich für eines von beiden Ländern entscheiden zu müssen, die Fragestellung gab dies ja auch stets vor. Immer versuchte ich einen Ausgleich zu finden aber letztendlich antwortete ich, wurde mir die Frage in der Türkei gestellt mit „Deutschland“, wurde sie mir in Deutschland gestellt fühlte ich mich wiederum eher türkisch. Ich wusste, ich hatte etwas von beidem, ich hatte in beiden Ländern gelebt und kannte deren »schönen«sowie »unangenehmeren« Seiten. Eigentlich war es jedoch immer so, dass ich die „deutsche Ordnung“ vermisste, wenn ich in der Türkei lebte, hielt ich mich in Deutschland auf suchte ich die „Lässigkeit“ und „Offenheit“ der Menschen aus den südlicheren Gefilden. Erst seit meinem Auslandsstudium in Istanbul, vor dessen Beginn ich befürchtete, dem Istanbuler Alltagsleben nach soviel Jahren, die ich für mein Studium nun wieder in Deutschland verbracht hatte, nicht gewappnet zu sein, weiß ich, dass ich mich nicht auf irgendeine „Heimat“ beschränken kann. Ich bin hier und da zu Hause und auch nicht. Ich habe gelernt, mich nicht unbedingt mit irgendeinem Ort verbunden zu fühlen, dies hat Vorals auch Nachteile, doch diese Kompetenz ist eine aus meiner »Hybridität« oder »Transkulturalität« rührende Notwendigkeit, um mit der Situation der Pluralität in mir und um mich herum umgehen zu können.
Dies soll Gegenstand dieser Hausarbeit sein: was bedeutet »kulturelle Identität« im Kontext der interkulturellen Pädagogik und in der Migrationspolitik? Gibt es sie wirklich und wenn ja, wird diese aufgestempelt, besitzt man sie einfach oder wählt man sich seine Identität selbst? Liegt ihr eine Kontinuität oder Kohärenz inne oder ist sie veränderbar je nach Zeit und Ort? Bevor ich mich jedoch diesen und ähnlichen Fragen widme wäre es von Nutzen, würden wir uns einige der diversen theoretischen Erklärungen, die bezüglich des Begriffs der Identität gemacht worden sind, genauer anschauen. Im darauf folgenden Teil werde ich dann versuchen auf zu zeigen, wie der Begriff mit Pluralität im Sinne von Kulturvielfalt zusammenspielt.
2. Erläuterung des Begriffs der Identität
Das Fremdwörterbuch der Duden liefert zwei Bedeutungen für den Begriff der Identität. Erstens ist es die „vollkommene Gleichheit od. Übereinstimmung (in Bezug auf Dinge od. Personen); Wesensgleichheit; das Existieren von jmdm., etwas als ein Bestimmtes, Individuelles, Unverwechselbares;“, zweitens „(Psychol.) die als »Selbst« erlebte innere Einheit der Person“1. Wie es zu dieser erlebten inneren Einheit einer Person kommt, werden wir in der folgenden sich rund um den Begriff der Identität ansiedelnden und diesen wissenschaftlich zu analysieren versuchenden theoretischen Begriffslandschaft, die ich versuchen werde zu erläutern, deutlicher erkennen.
2.1 Personale Identität: Notwendigkeit der Identitätsarbeit in der Moderne – Kohärenz und Kontinuität versus Ambivalenz, Ambiguität und Differenz
Wagner zitiert die Sozialwissenschaften, wenn er schreibt, personale Identität bezeichne „[...] das Bewußtsein eines Menschen von seiner eigenen Kontinuität über die Zeit hinweg und die Vorstellung einer gewissen Kohä- renz seiner Person“2. Dabei muss beachtet werden, dass Kontinuität und Kohärenz, deren Vorhandensein dem Individuum ein gewisses Maß an psychischer und sozialer Sicherheit bietet, keinesfalls für die Dauer eines Lebens gegeben sind3, insbesondere nicht in der Moderne. Der moderne Mensch wird mit Beginn der Neuzeit und dem Zeitalter der Aufklärung zunehmend mit komplexer werdenden sozialen Strukturen konfrontiert, in denen er sich, auf seiner Vernunft beruhend, zurecht finden muss. Er wird vermehrt von vorhandenen kulturellen Regelwerken und Normen gelöst und auf sich selbst gestellt. Ich möchte hier nicht weiter auf den geschichtlichen Hintergrund dieser Entwicklung eingehen, doch im Zuge dieser Reform, die viele Realitätsansprüche nicht mehr gelten lies und Wahrheit als relatives Element in das private Leben jedes einzelnen Menschen verdrängte entstand eine Fülle von Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. Dies war gewissermaßen obligtorisch, denn vorgegebene Linien, Klassen und Stände lösten sich fortwährend auf oder verloren an Bedeutung wie z.B. die Großfamilie, der Adel oder die Kirche, um nur einige zu nennen. Mit dem Verschwinden eines richtungsweisenden Milieus wurde das Individuum also auf sich alleine gestellt und musste lernen, sich zu bemühen, seine eigene Wahrheit zu finden. Dieser Prozess wird auch als Identitätsarbeit bezeichnet4. Auf Grund der vielen Einflüsse jedoch ist wie oben beschrieben keine Garantie für eine lebenslängliche Kontinuität und Kohä- renz mehr gegeben. Als Adeliger etwa musste man zu frühen Zeiten nicht fürchten, seinen Status zu verlieren mit dem bestimmte Privilegien verbunden waren, über die man von Geburt an verfügte. Ein Arbeiter eines Kohlebergwerks jedoch ist permament mit der Schließung des Geschäfts gefährdet und mit der Gefahr, arbeitslos zu werden konfrontiert; ein Bruch in seinem Lebenslauf, ein Bruch der Kontinuität. Allerdings gilt dieses Phänomen nicht nur für sozio-ökonomische Umstellungen. Columbus hat bis zu seinem Tod an der Überzeugung festgehalten, keinen neuen Kontinent entdeckt zu haben aber für die Kirche war es ungeheuer schwierig zu akzeptieren, dass sich die Erde nicht im Zentrum unseres Systems befindet. Verbissenheit kann nur bis zu einem bestimmten Grad die Scheuklappen aufrechterhalten. Doch während sich bei den positiven Wissenschaften die Vielfalt der potenziellen Wahrheiten noch in Grenzen hält gibt es im alltäglichen Leben noch viel mehr an Mehrdeutigkeit. Wie ist es, als gläubiger Muslime in einer von westlichen Werten geprägten Welt voll und ganz seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen? Wie geht er mit den ihn konfrontierenden Versuchungen um, wo er doch teilhaben möchte an dem gesellschaftlichen Leben eben dieser Welt? Er wird Kompromisse eingehen müssen, und dafür, dass er dies macht, gibt es eine Fülle an Beispielen. Jedoch wird auch der ethnozentrische Wahrheitsanspruch der ihn aufnehmenden Gesellschaft ins Wanken gebracht5. Ideen, Überzeugungen, Auffassungen und kulturelle Werte enden nicht mehr an staatlichen Grenzen, sie gehen ineinander über und dies spiegelt sich auch auf individueller Ebene wider.
Schließlich wird erkenntlich, dass das Individuum in der Geschichte weder das Verlangen noch die Möglichkeit besaß, aktiv an seiner Identität zu arbeiten6. Bis ins frühe 20. Jahrhundert stellte sich die Frage der Herausbildung einer personalen Identität zumindest für die Sozialwissenschaften nicht7. Man ging davon aus, dass das Individuum sozial determiniert sei. Es war quasi ohnmächtig gegenüber der Gesellschaft, in deren Situationen und Gegebenheiten es sich formte. Dieser Ansicht zufolge konnte beispielsweise ein Bauernjunge des 17. Jahrhunderts nichts dafür, als solcher geboren zu sein und stellte sich ihm die Möglichkeit zu einem höheren Schulabschluss, so war dies stets den äußeren Umständen zu verdanken, wie einer Adoption in eine wohlhabendere Familie nach dem Tod seiner Eltern. Heute, da das Individuum von kulturellen Zwängen befreit ist - zumindest in einem nie dagewesenen Maße - hat der Mensch die Möglichkeit, eine Art »Identitätspatchwork« zu gestalten. Amartya Sen beschreibt ganz deutlich, dass man gegenwärtig viel mehr als nur über eine oder zwei Identitäten verfügt. Sich selbst charakterisiert er als „[...] Asiaten, Bürger Indiens, Bengalen mit bangladeshischen Vorfahren, Einwohner der Vereinigten Staaten oder Englands, Ökonomen, Dilettanten auf philosophischem Gebiet, Autor, Sanskriten, entschiedenen Anhänger des Laizismus und der Demokratie, Mann, Feministen, Heterosexuellen, Verfechter der Rechte von Schwulen und Lesben, Menschen mit einem areligiösen Lebensstil und hinduistischer Vorgeschichte, Nicht-Bramahnen und Ungläubigen, was das Leben nach dem Tode [...] angeht“8. Welche dieser vielen Teilidentitäten für Sen von Belangen ist, ist abhängig vom jeweiligen Kontext in welchem er sich bewegt. Besuche ich eine Kunstausstellung steht meine Teilidentität des Hobbyilustrators im Vordergrund und meine Identität als deutsch-türkischer Staatsbürger trägt in diesem Rahmen weniger Relevanz.
Es handelt sich bei der personalen Identität um ein Konstrukt, dass in Folge synchroner und diachroner Differenzerfahrungen den Menschen auf Grund der in der Moderne zum Vorschein getretenen Phänomen einer komplexer gewordenen, pluralen sozialen Umwelt ein höchstmaß an Bereicherungsmöglichkeiten bezüglich der Identitätsgestaltung bietet. Andererseits fordert ihre in der Moderne wesentlich gewordene Form den Mensch dahingehend, dass er viel häufiger mit Krisenerfahrungen zu tun hat9. Somit erscheint eine frühkindliche Erziehung, die sich mit diesem Problem auseinandersetzt und dem Individuum Kompetenzen bezüglich des Umgangs mit komplexen Strukturen in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt vermittelt, zunehmend notwendiger. Ich werde später darauf zurückkommen, wenn ich versuchen werde zu erklären, welche Bedeutung dies für eine interkulturelle Erziehung haben kann.
2.2 Kollektive Identität: Soziales Konstrukt oder Realität?
Im folgenden werde ich mich dem Begriff der kollektiven Identität widmen. Gerade wenn wir über interkulturelle Erziehung sprechen, erlangt er eine besondere Bedeutung, denn nicht selten werden ganzen Gruppen wie Muslimen, Türken, Afro-Amerikanern, Bayern, Friesen oder auch, um sich von ethno-kulturellen Beispielen zu entfernen, im Rahmen der Hochschule Studierenden verschiedener Fakultäten bestimmte Eigenschaften und Merkmale zugeschrieben. Auch wenn hiermit kaum eine schlechte Absicht einhergeht, entstehen in Folge dessen häufig stereotype Bilder mit denen die jeweiligen Gruppen dann indentifiziert werden. Leider werden diese in den seltensten Fällen der Wahrheit gerecht. Deutsche trinken Bier, Türken essen kein Schweinefleisch, Pädagogen tragen stets Sandalen usw.10 Häufig werden religiös motivierte Handlungen statt mit religiösen Gruppen mit solchen in Verbindung gesetzt, die über ihre ethnische, staatsbürgerschaftliche oder territoriale Herkunft her beschrieben werden. Es werden eben unvergleichbare Konstanten miteinander in Beziehung gesetzt.
[...]
1 Duden, das Fremdwörterbuch: hrsg. von der Dudenred. [Red. Bearb. Ursula Kraif ...], 9., aktualisierte Aufl. . - Mannheim [u.a.] : Dudenverl. , 2007 . - 1104 S.
2 Wagner, Peter (1998): Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion über Identität. In: Assmann, Aleida (Hg.): Identitäten. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 45
3 „Der Identitätsbegriff sowie die diesen Begriff erläuternden Unterbegriffe Kohärenz und Kontinuität bezeichnen allein die interne Stimmigkeit und Dauer einer Form oder Struktur [...]“ Straub, Jürgen (1998): Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In: Assmann, Aleida (Hg.): Identitäten. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 88
4 Vgl. Ebd.: S. 73-104
5 Die Interkulturelle Pädagogik hat sich inzwischen von der Auffassung getrennt, Integration funktioniere nur unidirektional.
6 Reiste man in die Vergangenheit, um ihm diese Option zu bieten würde man wohl alles andere als Ernst genommen werden. Die Art wie Ridley Scott Balian von Ibelins (Orlando Bloom) Vorstellung von einer gerechteren Welt, in der alle gleich sind darstellt, ist in Anbetracht der Epoche, in der der Spielfilm Königreich der Himmel angesiedelt ist, genau so unglaubwürdig.
7 Vgl. Wagner, Peter (1998): Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion über Identität. In: Assmann, Aleida (Hg.): Identitäten. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 44-72. Auch wenn erste Individualisierungserscheinungen bereits im 16. Jh. auftreteten, sind sie in ihrer Quantität für die Sozialwissenschaften zunächst nicht von Bedeutung.
8 Sen, Amartya (2007): Die Identitätsfalle: Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: Beck, S. 33 f.
9 Vgl. Erikson, Erik H.: Der vollständige Lebenszyklus / Erik H. Erikson . - 1. Aufl. . - Frankfurt am Main : Suhrkamp , 1988 . - 143 S.
10 Ich kenne einige Beispiele, die den besagten »Normen« nicht zuzuordnen sind.
- Quote paper
- Kerem Karasu (Author), 2008, Identität im Zeitalter kultureller Pluralität und Hybridität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123833
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