Im Zentrum dieser Arbeit steht die Erforschung der CI hinsichtlich der Förderung der individuellen Körperintelligenz.
Über die geschichtliche Verortung der CI wird im ersten Kapitel die Tanzform in den historischen Kontext des Modernen Tanzes eingebunden. Anschließend werden im zweiten Kapitel Merkmale des Begriffes Körperintelligenz herausgearbeitet. Sie geben aufschlussreiche Informationen über die Funktionsweisen des sich bewegenden Körpers und bilden gleichzeitig die Grundlage, auf der die abschließende empirische Studie aufgebaut ist. Die Grundprinzipien der CI werden im dritten Kapitel vorgestellt und mit Hilfe einer theoretischen Gegenüberstellung der Körperintelligenzmerkmale erste theoretische Zusammenhänge formuliert. Über eine empirische Untersuchung werden im vierten Kapitel CI Tänzer aus den Bereichen Freizeit, Pädagogik und Kunst in der Praxis befragt und die Ergebnisse abschließend mit den theoretischen Erkenntnissen ausgewertet und verglichen.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Die Geschichte des Modernen Tanzes
1.1 Die Pionierinnen des Modernen Tanzes
1.1.1 Loїe Fuller
1.1.2 Isadora Duncan
1.1.3 Ruth St. Denis
1.2 Die 2. Generation
1.2.1 Der klassische Modern Dance
1.2.2 Die späte Phase des Modern Dance
1.3 Der Postmodern Dance
1.3.1 Anna Halprin
1.3.2 Judson Dance Theater
1.3.3 Grand Union
1.4 Die Entwicklung der Contact Improvisation
1.4.1 Steve Paxton
1.4.2 Die Entstehung der Contact Improvisation
1.5 Der zeitgenössische Tanz
1.5.1 William Forsythe
1.5.2 Meg Stuart
1.5.3 Xavier le Roy
1.6 Zusammenfassung
2. Die Körperintelligenz
2.1 Die Körperintelligenz in der Literatur
2.2 Körperstrukturen
2.2.1 Der Organismus
2.2.2 Das Skelett
2.2.3 Die Muskulatur
2.2.4 Das Nervensystem
2.2.5 Das Gehirn und das Rückenmark
2.2.6 Die Sinne
Der Sehsinn
Der Tastsinn
Die Tiefensensibilität
Der Gleichgewichtssinn
2.3 Der physiologische Körper
2.3.1 Die natürliche Bewegung
2.3.2 Bewegungsökonomie
2.3.3 Physikalische Kräfte
2.3.4 Bewegungsdynamik
Kraft/Gewichtskraft
Bewegungsfluss
Raum
Körperinnenraum
Körper und Raum
Zeit
2.4 Der lernende Körper
2.4.1 Die frühkindliche Entwicklung
2.4.2 Neue Bewegungen lernen
2.4.3 Das Gedächtnis
2.4.4 Bewegungskoordination
2.4.5 Sensibilisierung
2.5 Zusammenfassung
3. Die Contact Improvisation
3.1 Die Körperintelligenz in der Contact Improvisation
3.1.1 Begriffliche Unterscheidung von Bewusstsein und Bewusstheit
3.1.2 Der Forschungsansatz von Steve Paxton
3.1.3 Körperlich-geistige Befindlichkeitsebenen
3.1.4 Der reagierende Körper
3.1.5 Das Vertrauen in den reagierenden Körper
3.2 Strukturen der Contact Improvisation
3.2.1 Der Kontakt
Der innere Kontakt
Der Kontakt zum Boden
Der Kontakt mit dem Partner
3.2.2 Improvisation in der Contact Improvisation
3.2.3 Das Spiel mit der Gewichtskraft im physikalischen Kraftfeld
Technische Fertigkeiten
3.2.4 Bewegungsfluss
Aktivitätszustände
Zeit und Rhythmus
3.3 Arbeitsweisen
3.3.1 „Jam“ – „Focus Jam“ – „Round Robin“
3.3.2 Analyse einer Unterrichtseinheit
Phase 1 - Eigenständiges Aufwärmen und „Ankommen“ im Körper
Phase 3 - Verfeinerung und Vertiefung
Phase 4 – Partnerarbeit
Phase 5 – Experimentieren
Phase 6 – Reflexion
Phase 7 – Abwärmen
3.3.3 Künstlerische Arbeitsformen
3.4 Vergleichende Betrachtung
3.5 Zusammenfassung
4. Untersuchung der Contact Improvisation in der Praxis
4.1 Überblick
4.2 Befragung
4.3 Planung
4.4 Durchführung
4.4.1 Wahl und Einteilung der befragten Personen
4.4.2 Fragebogenerstellung
4.4.3 Aufarbeitung der Daten
4.5 Auswertung
Auswertung zu den Einleitungsfragen:
Auswertung zur Feinabstimmung sensorischer Wahrnehmung
Auswertung zum physikalischen und physiologischen Körper
Auswertung zu Entwicklungsmuster und Reflexe
Auswertung zum neuromuskulären System
Auswertung zur Sensibilisierung der inneren Wahrnehmung und Bewusstheit
Auswertung zur Körperintelligenz
4.6 Resümee
4.7 Zusammenfassung
5 Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Anhang
0 Einleitung
Die Contact Improvisation (CI) wird als Tanzform heute in unterschiedlichsten Zusammenhängen gelehrt und praktiziert. Mit der wachsenden Zahl an interessierten Menschen und deren Bewegungshintergründen wächst auch die Bandbreite ihrer Forschungsbereiche. Die Offenheit der Tanzform ermöglicht es Menschen mit den Elementen der CI auf verschiedenste Weisen zu arbeiten, sie ihren Interessen nach zu nutzen und sie weiterzuentwickeln.
As more and more dancers and nondancers become Contactors and extend the system's limits according to their own ideas, experiences, and desires, one question has begun to face participants: how much can the form change and still be defined as Contact Improvisation?[1]
Im Zentrum dieser Arbeit steht die Erforschung der CI hinsichtlich der Förderung der individuellen Körperintelligenz. Da nur wenig Literatur direkt über dem Begriff Körperintelligenz und den darin enthaltenen Merkmalen zu finden ist, stellt sich gleichzeitig die Herausforderung den Begriff inhaltlich zu bestimmen. Die CI zeigt in ihrer Ausführung verschiedenste Ausformungen und Formate. Um der Tanzform einen fassbaren Rahmen zu geben, begrenzt sich die Arbeit vor allem auf die objektive Wirklichkeit, der physikalischen Welt[2] des Tänzers. Diese Eingrenzung dient gleichzeitig der Vergleichbarkeit der CI mit den Körperintelligenzmerkmalen. So werden Bereiche beispielsweise der Psychologie nur soweit in die Ausarbeitung miteinbezogen, wie sie die elementaren Prinzipien unterstreicht oder erklärt. Sie werden jedoch bewusst nicht weiter ausgeführt, da diese den Forschungsrahmen zu sehr erweitern würden.
Über die geschichtliche Verortung der CI wird im ersten Kapitel die Tanzform in den historischen Kontext des Modernen Tanzes eingebunden. Dieses Wissen dient dem Verständnis nachfolgender Ausführungen, da die Ansätze der ersten Stunde bis heute die elementaren Grundsätze der CI bilden und auf diese Weise die Zusammenhänge, die zu der Entwicklung der CI geführt haben, zeigen. Anschließend werden im zweiten Kapitel Merkmale des Begriffes Körperintelligenz herausgearbeitet. Sie geben aufschlussreiche Informationen über die Funktionsweisen des sich bewegenden Körpers und bilden gleichzeitig die Grundlage, auf der die abschließende empirische Studie aufgebaut ist. Die Grundprinzipien der CI werden im dritten Kapitel vorgestellt und mit Hilfe einer theoretischen Gegenüberstellung der Körperintelligenzmerkmale erste theoretische Zusammenhänge formuliert. Über eine empirische Untersuchung werden im vierten Kapitel CI Tänzer aus den Bereichen Freizeit, Pädagogik und Kunst in der Praxis befragt und die Ergebnisse abschließend mit den theoretischen Erkenntnissen ausgewertet und verglichen.
Ich stelle die These auf, dass die CI einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Körpers in seinem individuellen Bewegungspotential auf der Ebene des intelligenten Körpers leistet. Dieses Potential der CI ist, zu wenig wissenschaftlich erforscht. Daher ist es notwendig, einen ersten Versuch zu wagen, die zugrunde liegenden Zusammenhänge herauszuarbeiten, um die Erfahrungen der Praxis wissenschaftlichen zu untermauern.
In der Arbeit werden Tanz und Bewegung nicht als grundsätzlich voneinander getrennte Elemente angesehen. Unter Bewegung versteht man die Gesamtheit aller Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers. Tanz ist das Ergebnis einer bestimmten Behandlung, die dieses Bewegungsmaterial erfahren hat.[3] D. h. je nach Wahl und Ausarbeitung der Bewegungen, Eingrenzung der Bewegungsaufgaben und der Gestaltung von Raum und Zeit, entsteht eine gewisse Ästhetik der Bewegung, die allgemein als Tanz bezeichnet wird. Im Grunde ist der Tanz jedoch eine Form der Bewegung.
Die Arbeit ist geschlechtsneutral geschrieben. Zur Vereinfachung der Leseart des Textes wurde generell die männliche Ausdrucksweise verwendet.
1 Die Geschichte des Modernen Tanzes
Betrachtet man die Geschichte des Tanzes im Allgemeinen und die des Modernen Tanzes mit ihrer Vielfalt an Techniken, Formen und Stilen im Speziellen, kann man erkennen, dass der tanzende Mensch auch ein Ausdruck seines Zeitgeistes ist.
Im Folgenden werden wichtige geschichtliche Stationen und Persönlichkeiten des Modernen Tanzes behandelt und versucht Beweggründe ihrer tänzerischen Entwicklungen aufzuzeigen. Dabei wird deutlich, welch starke Verbindung zwischen den persönlichen Ansätzen und der Ausarbeitung ihrer tänzerischen Stile besteht. Auf diesem Weg gelingt es, die CI in den historischen Kontext einzuordnen und ihre Verwurzelung sichtbar zu machen.
1.1 Die Pionierinnen des Modernen Tanzes
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit des gesellschaftlichen, technischen und ästhetischen Umbruchs zeigte sich in Europa und den USA erstmals eine bis dahin unbekannte Strömung des Tanzes, die sich in ihrer Darstellungsform stark vom klassischen Ballett unterschied. Naturnahe, freie, authentische Bewegungen wurden barfüßig und in weiten Gewändern getanzt, der Körper wurde zum Ausdrucksmittel des Individuums, ein Symbol des Menschen in seiner Ursprünglichkeit.
Pionierinnen wie Loїe Fuller, Isadora Duncan und Ruth St. Denis gelten heute als Wegbereiterinnen, die durch ihr Talent und ihre Fähigkeiten den Modernen Tanz in der damaligen Gesellschaft etablieren konnten.
1.1.1 Loїe Fuller
Mit ihrem Varietétanz begeisterte die Solistin und Choreographin Loїe Fuller (1862–1928) schon in den 1890ern die Pariser Gesellschaft. Die ursprünglich aus den USA stammende Tänzerin verwandelte mit Hilfe von Licht und Farbeffekten, Stoffen und Objekten die Bühne in ein kinetisches Formspiel.[4] Ihre Tänze hatten keine narrative Struktur, sie tanzte barfüßig und in losen Kleidern, setzte die Freiheit der Bewegung und den Solotanz anstelle von Bewegungscode, Synchronität und Imitation. Oft arbeitete sie mit untrainierten Tänzern, lies deren individuelle Bewegungsqualitäten in die Arbeiten mit einfließen und gab ihnen großen Spielraum im Umgang mit den gesetzten Vorgaben.[5] In den avantgardistischen Pariser Kreisen wurde ihre Arbeit geschätzt, die damalige Geschichtsschreibung des Tanzes hingegen schenkte ihr nicht die verdiente Anerkennung.
1.1.2 Isadora Duncan
Erst mit Isadora Duncan (1877-1927), die selbst bei Loїe Fuller in ihrer Company getanzt hatte, wurde eine neue Tanzästhetik anerkannt. Die als Mutter des Modernen Tanzes bezeichnete und in den USA geborene Tänzerin, verlieh dem neuen Tanz sein Gesicht. Im Gegensatz zum klassischen Tanz, der ihrer Meinung nach einen toten Ausdruck[6] vermittelte, waren ihre Tänze geprägt von Expressivität, Subjektivität und Emotionalität. Der Tanz war körperlicher Ausdruck der Seele, der Körper ein empfindsames Instrument. Duncans Kostüme erinnerten an antike Figuren, barfüßig und mit einer Tunika umhüllt. Sie selbst suchte die Inspiration für ihre Bewegungen in der Natur, den Wellen, Bäumen und den Jahreszeiten und verwendete vor allem einfache, natürliche Bewegungen für ihre Umsetzung.[7] Übertragen auf den Tanz bezog dieses Prinzip die Bewegung des gesamten Körpers mit ein, was den Zuschauern ein ganz neues und ungewohntes Körperbild vermittelte. Ihre Blicke waren geschult auf die Betrachtung von klassischen Ballettkörpern mit relativ festem Torso und den weit in den Raum reichenden Armen und Beinen. Sabine Huschka schreibt dazu in ihrem Buch „Moderner Tanz“:
Das Bürgertum war zunächst entsetzt, dann aber mit Blick auf die der Antike entliehenen Körperposen in Duncans Tanz begeistert. Das Niedere der menschlichen Natur fand sich mit einer kulturellen Gebärde versöhnt. Die Natur des Körpers war veredelt.[8]
1.1.3 Ruth St. Denis
Ruth St. Denis (1879-1968) lebte und arbeitete als Tänzerin, Choreographin und Pädagogin hauptsächlich in den USA. Ihr Tanzstil zeichnete sich durch tänzerische Interpretationen orientalischer Formen und ihre darin verarbeiteten spirituellen Visionen aus. Mit ihrem Partner Ted Shawn gründete sie 1915 die erste Denishawn School, in der Klassischer Tanz, Delsarte`sche Ausdruckslehre, Imitationen griechischer und orientalischer Körperposen,[9] sowie die von St. Denis entwickelte „music visualization“ gelehrt wurden.
Die Denishawn Schools wurden die Wiege der kommenden Generation moderner Tänzer. Sie erfuhren hier ein breites Spektrum an Tanz und Bewegung, Aufführungspraxis und eine Ästhetik der Exotik und Extravaganz.
1.2 Die 2. Generation
Der moderne Tanz entwickelte sich in Europa und in den USA mit den Nachfolgern Duncans, Fullers und St. Denis auf ganz unterschiedliche Weise weiter. In Europa und vor allem in Deutschland konnte sich von 1910 an der Ausdruckstanz[10] etablieren. Die Bewegung versiegte jedoch mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges. In den USA prägten in den 20er und 30er Jahren u. a. Martha Graham und Doris Humphrey die Tanztechnik und Tanzästhetik des amerikanischen „Modern Dance“ und in den 50er Jahren war es Merce Cunningham mit seiner als Antithese[11] zum „Modern Dance“ bezeichneten Ästhetik und radikalen Umsetzung, die eine Neuformulierung der Kunstform Tanz provozierte.
1.2.1 Der klassische Modern Dance
Doris Humphrey und Martha Graham zählen zu dem bedeutendsten Choreographinnen und Tänzerinnen, die durch ihr Schaffen dem klassischen amerikanischen „Modern Dance“ zu seiner heutigen Bewegungsästhetik und Tanztechnik verhalfen. Graham und Humphrey waren Schülerinnen der Denishawn School und Tänzerinnen der Denishawn Company gewesen, wendeten sich jedoch davon ab, um an ihren eigenen Visionen zu arbeiten. Der Tänzer und der Tanz sollten das modere, aufstrebende Amerika widerspiegeln und nicht mit einem folkloristisch-heiteren, mystisch durchtränkten Liebreiz die gesellschaftliche Realität verklären.[12] Die aufstrebende Kraft und vitale Dynamik der Bewegung selbst wurde zum ästhetischen Leitbild, kraftvoll, erdig, wirbelnd, rhythmisch und expansiv. Ganz im Gegensatz zu Europa, wo der freie Tanz in all seiner Vielfältigkeit weiter erforscht wurde, arbeiteten sowohl Doris Humphrey als auch Martha Graham an der Ausarbeitung klarer Tanztechniken.
Doris Humphrey beschäftigte sich mit den Prinzipien Halt/ Stabilität (recovery) und Fall/ Labilität (fall). Sie kombinierte in ihren organischen Bewegungsabläufen physikalische und physiologische Prinzipien, um mit Hilfe der Atmung, als einleitendes Prinzip, den fließenden Bewegungsfluss (free flow) des Körpers zu erfahren. Die daraus entstehenden Bewegungsqualitäten des „fall“ und „recovery“ verkörperten für Humphrey die Grenzen menschlicher Existenz - der freie Fall und die stabile Bewegungslosigkeit.
Martha Graham war schon als Solistin in der Denishawn Company bekannt für ihren expressiven schweren Tanzstil, der auch als perkussiv, winklig und scharf akzentuiert beschrieben wurde. Für sie war der Tanz eine absolute Größe, der selbst Inhalt seines Wissens war. Mit dieser Überzeugung erforschte sie den Tanz und entwickelte eine Tanztechnik, die sich aus zwei Bewegungsprinzipien zusammensetzt, „contraction“ und „release“. Die „contraction“ wurde, unterstützt von der Atmung, durch muskuläre Impulse im Beckenraum initiiert. Das „release“ stellte die muskuläre Gegenspannung dar, die den Körper wieder mit gleich bleibender Kraft und Dynamik in Streckung oder in eine überstreckte Spannung brachte. Die technische Ausführung der Bewegung lies einen gebundenen Bewegungsfluss (bound flow) durch den gespannten Körper entstehen, wirkte verzerrt, verwrungen und erinnerte an dramatische Bilder von Schmerz und Extase.[13]
Gleich einer lodernden und erstickenden Wut ballen die Tanzkörper eine kondensierte Kraft in sich, welche aus ihrem Beckenraum heraus in die angespannten Glieder fährt.[14]
1.2.2 Die späte Phase des Modern Dance
Merce Cunningham tanzte von 1939 – 1945 in der Martha Graham Company und gab noch während dieser Zeit mit dem Musikerkollegen John Cage sein erstes Solo. 1953 gründete er die Merce Cunningham Dance Company (MCDC) in der er bis heute noch als Choreograph arbeitet. Cunninghams Tanzkonzerte verarbeiteten radikal neue Ideen. Für ihn konnte jede Bewegung potenziell als Tanzmaterial genutzt werden, jeder Vorgang und jede Handlung konnte eine mögliche kompositorische Methode sein und jedes Körperteil in seinem vollen Bewegungsumfang genutzt werden. Er verwendete dabei neben klassischen Körperfiguren auch Alltagsbewegungen und dezentralisierte den Raum, indem er jeden Bereich gleichberechtigt behandelte. Der Bühnenraum wurde somit nicht mehr für den Blick des Betrachters gestaltet, sondern in seiner Gesamtheit als Handlungsraum genutzt. Er experimentierte mit Zeit und choreographierte Stücke beispielsweise mit einer zuvor herausgearbeiteten individuellen Körperzeit der Tänzer.[15] Cunningham erforschte unterschiedlichste kompositorische Verfahren und verwendete den Zufall als Prinzip. Hierfür entwarf er komplexe Systeme mit Körper-, Raum- und Zeitkategorien, die per Münzwurf die Konstellation der Bewegungen festgelegte.[16] Inspiriert vom I Ching, dem Buch der Wandlungen, choreographierte Cunningham in Zusammenarbeit mit Cage Stücke in denen Musik, Licht und Tanz als gleichberechtigte, eigenständige Medien nebeneinander agierten.[17]
Die Stückbeschreibung von Cunninghams “Variation V” zeigt einige charakteristische Elemente seiner Arbeit:
Three couples simultaneously engage in different activities during a moment in Merce Cunningham's "Variations V" (1965) creating a multifocused composition. This dance was made more complex by film projections on stage (by Stan VanDerBeek) which interspersed television images (by Nam June Paik) with images of the dancers, and by a sound score (by John Cage) generated by amplifying the sounds of the dancers' feet on the floor. As in many of Cunningham's works, the actions are a mixture of "dancerly" and "pedestrian," or tasklike, movements; at one point in this piece, Cunningham rode a bicycle around the stage.[18]
Der Tanz war für ihn Bewegung, nicht mehr und nicht weniger. So befreite er den Tanz von seiner sozialen, expressiven und dramatischen Bedeutsamkeit und lies ihn zu einem formal-ästhetischen Schauspiel werden.
There's no thinking involved in my choreography. I work alone for a couple of hours every morning in the studio. I just try things out. And my eye catches something in the mirror, or the body catches something that looks interesting; and then I work on that [...] I don't work through images or ideas - I work through the body.[19]
Was für manchen Betrachter als Provokation verstanden wurde, war für die jungen Künstler der 60er Jahre eine Quelle der Inspiration. Sie erforschten auf ihre Art die neuen Ansätze weiter und reizten sie in Form von Performances, Happenings, Action Painting, freien Improvisationen und formalen Tänzen aus. So wie sich der Moderne Tanz durch die Pionierinnen aus den starren Strukturen des klassischen Tanzes befreit hatte, löste Merce Cunningham mit seiner Arbeit den Modernen Tanz aus den Strukturen des klassischen „Modern Dance“ seiner Zeit heraus[20] und eröffnete auf diese Weise neue Wege für eine kommende Tänzergeneration.
1.3 Der Postmodern Dance
If ballet had the foot in satin slippers, concealing the surface of the body and its workly strength behind a covering that stood for soft, graceful femininity, and if modern dance brazenly bared the foot to symbolically secure its contact with the earth, the muse of post-modernism wears sneakers, symbolizing nothing, providing the speed and lightness of pointe shoes but also comfort, maintaining a cool, human distance from the earth while keeping the feet firmly on the ground.[21]
Yvonne Rainer gebrauchte in einem Interview 1975 erstmals den Begriff „Postmodern Dance“, um eine neue Strömung zu beschreiben,[22] die in den 60er und 70er Jahren ein radikal neues Tanzverständnis formte. Neben den Cunningham Studios im Gebäude des Living Theaters in New York waren es die Workshops von Anna Halprin an der Westküste, die zu fruchtbaren Geburtsstätten neuer Ideen wurden. Junge Tänzer erforschten hier die Grenzen von Kunst und Alltag. In diesem experimentellen Klima formten sich die Tanzkonzerte des Judson Dance Theaters und bildete sich das Tänzerkollektiv Grand Union.
1.3.1 Anna Halprin
Anna Halprin hatte Anatomie, Kinesiologie und Improvisation bei Margarete H`Doubler studiert und wie die meisten Tänzer ihrer Zeit die klassischen „Modern Dance“ Techniken, wie die Graham-, oder Humphrey-Technik gelernt. Halprin beschäftigte sich seit den 50er Jahren mit verschiedenen Improvisationstechniken und entwickelte ausgefeilte Herangehensweisen wie Spielstrukturen, die durch ihr Regelwerk und ihre Aufgabenstellung Bewegungsfelder mit klaren Grenzen entstehen liessen, in denen man neues Bewegungsmaterial finden oder bekanntes in seiner Tiefe weiter erforschen konnte.[23]
The more limits you set on yourself, the more you are required to objectivy. The more you limit yourself you have to push the edges out to get at more material.[24]
Trisha Brown und Yvonne Rainer, die später in New York der ersten Generation Postmoderner Tänzer angehörten, studierten bei ihr an der Westküste. Anna Halprin gründete 1955 den San Fransisco Dancer`s Workshop und 1978 das Tamalpa Institut[25] in denen sie heute noch unterrichtet.
1.3.2 Judson Dance Theater
Die Brutstätte für die Umwälzung und radikale Neudefinition von Tanz bildete sich in den 60er Jahren im besonderen durch den Choreographie Unterricht des Musikers Robert Ellis Dunn. Der Pianist, Begleiter und Komponist Robert Ellis Dunn (1928 – 1996) unterrichtete erstmals 1960 in den Studios von Merce Cunningham Kompositionsklassen. Er war wie viele seiner Zeit inspiriert vom fernöstlichen Buddhismus und dem Taoismus, sowie dem Bauhaus und Philosophen wie Heidegger und Sartre.[26] Sein Unterrichtsstil war gekennzeichnet von räumlichen und zeitlichen Vorgaben, die die Studenten in kompositorischen Lösungswegen umsetzen sollten. Dabei wurde das Ergebnis nicht kritisiert, sondern vielmehr auf einer formalen Ebene diskutiert und hinterfragt. Auf diese Weise lernten die Studenten ihre eigene Logik zu erkennen und diese weiter zu erforschen.
In Erinnerung an die Unterrichtsstunden beschreibt Paxton:
Dunn himself managed to do something that I've admired ever since. He taught us ideas almost by neglecting us, by mentioning things but tending to disappear at the same time, leaving with a smile. It was rather Zen-like, because how can you teach something that is in a constant state of mutation? What do you teach? He taught forms - Cage forms, Satie forms, basically musical ideas.[27]
Unter den Schülern seiner ersten Kurse waren unter anderem Steve Paxton, Yvonne Rainer, Simon Forti, Trisha Brown und David Gordon. Die meisten Tänzer hatten bis zu dem Zeitpunkt nur in hierarchisch strukturierten Tanz- und Kompositionsklassen vorgegebene Ästhetiken erlernt. In den Klassen von Dunn erlebten sie, oft zum ersten Mal, eine Arbeitsweise, in der sie als gestaltende, handelnde Persönlichkeit herausgefordert und ernst genommen wurden. Zwei Jahre nach Beginn der Lehrtätigkeit von Dunn entschloss sich eine Gruppe junger Choreographen ihre Arbeiten zu präsentieren. Am 6. Juli 1962 fand das erste Concert of Dance # 1 in der Judson Memorial Church in New York statt. 300 Zuschauer erlebten an diesem Abend in drei Stunden 23 Tänze von 14 Choreographen, die sich mit Bewegungsqualitäten, Atmosphären und ästhetischen Fragen auseinandersetzten. Yvonne Rainer erinnert sich:
[...] I remember Fred Herko on roller skates; I remember John Herbert McDowell with a red sock and mirror; I remember Deborah Hay hobbling around with something around her knees; I remember doing my own Ordinary Dance; I remember being in Steve Paxton's Proxy with [lighting designer] Jennifer Tipton [...] Here we could present things more frequently, more informally, and more cheaply, and - most important of all- more cooperatively.[28]
Weitere Konzerte folgten. Insgesamt 16 Konzerte wurden bis 1964 an verschiedenen Orten gegeben. Mit dem Judson Dance Theater und den darin gezeigten Arbeiten entwickelte sich die Grundlage für die Ästhetik des „Postmodern Dance“. Der Zufall, die Enthierarchisierung von Bewegungen, die mediale Vielfalt und konzeptionellen, formalen und physikalischen Fragestellungen an den Tanz, weiteten das Verständnis für den Begriff Tanz weit über seine bis dahin bekannten Grenzen hinaus aus. Die Künstler erkannten nun im Tanz ein bearbeitbares Material, welches sich von der Subjektivität der Betrachtung gelöst hatte.[29] Der Choreograph wurde zum Kritiker seines Werkes und eröffnete dem Betrachter andere Wege den Körper, die Bewegung und den Tanz zu betrachten, zu hinterfragen und zu analysieren.
1.3.3 Grand Union
No to spectacle no to virtuosity no to transformations and magic and ‘make-believe no to the glamour and transcendency of the star image no to the heroic no to the anti-heroic no to trash imagery no to involvement of performer or spectator no to style no to camp no to seduction of spectator by the wiles of the performer no to eccentricity no tomoving or being moved.[30]
Das 1965 „No-Pamphlet“ verfasste Yvonne Rainer als Postskript zur Beschreibung des Stücks „Parts of Some Sextets“ und grenzte sich damit klar vom klassischen „Modern Dance“ Genre ab. Diese Worte verwiesen auch auf die Haltung der Avantgarde des „Postmodern Dance“, die wie Sabine Huschka es beschreibt eine fundamentale Reduktion der Tanzkunst bar jeglicher ästhetischen Ummantelung[31] forderte und damit zu einer Öffnung kreativer und ästhetischer Grenzen führen wollte.
Die Grand Union war eine der Gruppen, die sich dieser Aufgabe in Form von freien Gruppenimprovisationen gestellt hatte. Entstanden war die Gruppe von Tänzern und Choreographen aus einem Projekt von Yvonne Rainer, dem „Conscious Project Altered Daily“ (CP – AD), dass 1970 im Whitney Museum aufgeführt worden war. In dem Stück waren verschiedene Phasen eines choreographischen Prozesses nebeneinander gesetzt und beleuchtet[32] worden, indem die Tänzer neben vorgefertigtem Bewegungsmaterial neues Material während der Performance erlernen oder erproben und frei über ihre Zusammenstellung verfügten konnten. Inspiriert von den Ergebnissen des Projektes entschieden sich die Tänzer als Tänzerkollektiv an diesen Ideen weiterzuarbeiten. Insgesamt bestand die ursprüngliche Gruppe aus neun Personen zu denen Yvonne Rainer, Steve Paxton, Trisha Brown, Douglas Dunn, David Gordon, Barbara Lloyd Dilley, Nancy Green Lewis, Becky Arnold und Lincoln Scott gehörten. Bezeichnend für die Arbeit der Grand Union war die Erforschung von freier Improvisation als Aufführungspraxis und einer demokratischen Handlungsfähigkeit der Mitglieder im Prozess des Choreographierens. Jeder Tänzer hatte seine eigene Theorie, seinen Stil und seine eigenen Fragen an das Projekt. Neben dem Medium Tanz wurde mit Sprache und Stimme experimentiert und verschiedenste Kostüme, Musikstile und alltägliche Gegenstände in die Performance mit eingearbeitet. Eine Aufführung verstand das Kollektiv als performativen Arbeitsprozess, ohne ein Ergebnis vorauszusetzen oder zu erwarten.
1.4 Die Entwicklung der Contact Improvisation
Contact Improvisation (CI) wurde zum ersten Mal unter diesem Namen 1972 in der John Weber Gallery in New York City performt. Die Besucher der John Weber Gallery beschauten eine ungewöhnliche Darbietung, was sie sahen waren übereinander rollende, fallende, springende und sich im Körperkontakt befindende Tanzduette.
1.4.1 Steve Paxton
Steve Paxton, Initiator der Contact Improvisation (CI), wuchs in Tuscon Arizona auf, besuchte die High School und lernte dort Gymnastik und die Graham Technik kennen. Mit 19 studierte er an der Academy of Modern Dance in Connecticut, in der Lehrer wie Graham, Limόn, Humphrey und Cunningham unterrichteten. Paxton tanzte bald darauf in der José Limόn Company und lernte unter anderem Yvonne Rainer, Trisha Brown und Simone Forti kennen. Er besuchte die Kurse von Robert Ellis Dunn, war Mitorganisator und Tänzer des Judson Dance Theater. 1961 wurde Paxton in die Merce Cunningham Dance Company eingeladen und war dort bis 1964 als Tänzer engagiert.
Nach der Lösung von der Company beschäftigte sich Paxton mit Machtstrukturen im Tanz. Innerhalb der Tanzwelt war die Hierarchie zwischen dem anordnenden Choreographen und den ausführenden Tänzern eine gängige Praxis.
I began looking for ways to initiate a dance and cause movement to arise among people I was interested in seeing move, [...] but without me being a figure whom they copied or who controlled them verbally or through suggestion.[33]
Paxton suchte darüber hinaus nach Verbindungen zwischen Tanz- und Nicht-Tanzbewegungen und erkannte im Gehen eine besondere Bewegungsform, welche der Mensch täglich vollzog, ganz nach seiner individuellen Art.
Wenn man sich einmal gründlich mit den ganz gewöhnlichen Bewegungen befasst und diese rein physisch betrachtet, dann merkt man, dass das Gehen eine ihrer Grundformen darstellt und dass der Tanz lediglich eine Variation davon ist.[34]
Paxton spielte in seinen Stücken mit der vermeintlichen Normalität des alltäglichen Ganges, reizte den Betrachter mit typischen Bewegungen und kristallisierte auf diese Weise kulturelle Grundzüge des Normalen heraus. Sally Banes schrieb in ihrer Analyse zu Paxtons Stück „Flat“:
(The walk) It is a relaxed, comfortable, yet correct, and not at all sloppy, American white middle-class male walk. The movements of dressing and undressing, sitting down and getting up are all done in the same nonchalant, unhurried, unexceptional, efficient way.[35]
1969 performte er in Yvonne Rainers Stück CP – CD und wurde 1970 Mitglied des Tänzerkollektives Grand Union. In dieser Zeit beschäftigte sich Paxton auch mit der japanischen Kampfsportkunst Aikido, experimentierte mit Roll- und Falltechniken, Partnerübungen, dem totalen Bewegungsstillstand und dem Gleichgewichtsverlust. 1972 erforschte er eine neuartige Form des Tanzes, die erstmals unter dem Namen Contact Improvisation performt wurde. In den folgenden Jahren entwickelte Paxton die CI weiter und lehrte und performte sie im In- und Ausland.
1.4.2 Die Entstehung der Contact Improvisation
Den Grundstein für die Contact Improvisation legte im Frühjahr 1972 das Stück „Magnesium“, welches die Abschlusspräsentation eines Workshops Steve Paxtons im Oberlin College war. Auf mehreren Ringermatten bewegten sich 11 Männer taumelnd und rollend umher, prallten aufeinander, fielen zu Boden, standen wieder auf und taumelten weiter. Sie hatten keine Ausrichtung zum Publikum, die meisten Bewegungen wurden unkontrolliert ausgeführt, dabei war der Focus nach innen gerichtet.[36] Magnesium endete mit einem fünfminütigen Stehen. Der Stand ermöglichte den Tänzern in einer meditativen Haltung den Erfahrungen ihrer Körper nachzuspüren,[37] aber auch dem Publikum durch den Kontrast der Bewegungsdynamik die Bandbreite möglicher Bewegungen zu vermitteln. Im Sommer 1972 führte Paxton seine Forschungen mit Studenten fort. Nach einer Woche des Experimentierens in einem Loft in New York City wurden die Ergebnisse in der John Weber Gallery gezeigt. Unter den Tänzern waren unter anderem Lisa Nelson, Nancy Stark Smith, Daniel Lepkoff und Curt Sidall.
Während der Forschungswoche stellte Paxton strikte Regeln auf, die die Tänzer unterstützten den Focus auf den physikalischen Elementen der Bewegung zu behalten. Paxton war sich bewusst, dass Körperkontakt Gefühle wie Scham oder Sinnlichkeit auslösen konnten und versuchte durch die Reglementierung sozialer Verhaltensweisen diese soweit als möglich auszuschalten, um sich mit dem physischen Phänomen konzentriert auseinanderzusetzen. Mit Hilfe von Filmaufnahmen, betrachteten sie stundenlang die Experimente und versuchten Gesetzmäßigkeiten der Bewegungen herauszufiltern. Paxton sah im spielerischen Experimentieren mit den physikalischen Kräften in Verbindung mit dem Körperkontakt gleichberechtigter Körper[38] einen neue Art des Tanzes, die nicht durch Assoziationen oder äußere Formen entstand, sondern allein durch die Berührungsinformationen der Körper und der körperlichen Reaktionen auf diese Impulse.[39]
Es begann sich ein neues räumliches und zeitliches Denken zu entwickeln. Eine Sequenz wurde nicht mehr durch ihre Erscheinung, sondern durch Berührung bestimmt.[40]
„You come. We`ll show you what we do“ – unter diesem Titel tourte die Gruppe 1973 an der Westküste entlang, 1975 gründeten sie unter dem Namen ReUnion, die erste reine CI Kompanie. Durch das Konzept eines offenen und freien Bewegungsexperiments verbreitete sich die CI schnell und fand viele Nachahmer, nicht immer zur Freude der Begründer. Als man von ersten Unfällen hörte, überlegte sich die ReUnion die CI schützen zu lassen. In einem ersten Rundschreiben, dem „Newsletter“, waren Bedingungen aufgelistet, unter denen die CI nur unterrichtet werden durfte. Bald darauf revidierte die ReUnion jedoch in dem von Nancy Stark Smith verfassten zweiten „Newsletter“ diese Forderungen wieder. Sie schrieb darin:
Instead of being policemen, we have decided to put our energies behind fostering communication between all those doing contact encourage those less experienced to continue working out but hold off teaching for a while. She added, It feels a lot better this way.[41]
Von da an wurden „Newsletter“ als Kommunikationsplattform für Entdeckungen, Gedanken und Erfahrungen genutzt. 1976 wandelten sie sich in die Zeitschrift „Contact Quaterly“. Heute werden neben Artikeln zum Thema CI auch andere artverwandte Themen in der Zeitschrift gedruckt wie Bilder, Gedichte, Buchtipps, Termine zu Workshops, Touren und Kontaktadressen wichtiger Lehrer.
1.5 Der zeitgenössische Tanz
Seit den 70er Jahren entwickelte sich vor allem in Europa der New Dance[42] als Weiterentwicklung des demokratischen Gedankens im Tanz. Die Arbeiten ab den 80er Jahren werden dem zeitgenössischen Tanz zugeordnet. Die Pluralität angewendeter Mittel, die Reflexion aufgeworfener Fragen des „Postmodern Dance“ und die Entwicklung eigener künstlerischer Handschriften kennzeichnen den zeitgenössischen Tanz heute. Exemplarisch ausgewählte Choreographen wie William Forsythe, Meg Stuart und Xavier Le Roy geben dabei Einblicke in die zeitgenössische Verarbeitung postmoderner Ansätze.[43]
1.5.1 William Forsythe
Der US-amerikanische Tänzer William Forsythe siedelte in den 70er Jahren nach Deutschland um und machte sich bald durch seine Arbeiten als Choreograph des Stuttgarter Balletts in Europa einen Namen. Von 1984 an leitete er als Direktor 20 Jahre das Frankfurter Ballett und choreographierte wegweisende zeitgenössische Werke. Nachdem 2004 das Ballett Frankfurt aufgelöst wurde, formierte Forsythe seine eigene Company.[44] Forsythe, der selbst eine rein klassische Ballettausbildung genossen hatte, öffnete sich früh den Methoden des zeitgenössischen Tanzes und nutzte die Errungenschaften für seine Arbeiten. Damit verhalf Forsythe zweier, seit Anbeginn des Modernen Tanzes, widerstrebender Tanzrichtungen zu einer harmonisierenden Symbiose.
Forsythe verwendete verschiedenen Ansätze des späten „Modern Dance“ und des „Postmodern Dance“ und arbeitete diese weiter aus. Einige markante Ansätze werden hier kurz zusammengetragen:
Die Enthierarchisierung des Körpers und seiner Teile
Für Forsythe kann jedes Körperteil ein vorübergehendes Initiationszentrum von Bewegung sein. Bei diesem polyzentrischen Körperkonzept löst sich der Körper in einen Organismus multipler Initiationszentren auf und von Forsythe als „operative unity“ bezeichnet wird.[45]
Improvisation und Zufall in der Choreographie
Forsythe betrachtet ein Tanzstück nicht als ein fertiges Produkt, sondern als einen sich in der Aufführung formenden Prozess (work in progress). Dafür entwickelt er komplexe Bedingungssysteme, die während der Aufführung eine bewegliche Struktur zwischen festen Regeln und freier Improvisation schaffen.[46]
Die Auseinandersetzung mit dem körperlichen Eigensinn
Forsythe fordert durch Strategien, wie das Provozieren von geplanten „Unfällen“ die Bewegungsintelligenz des reagierenden Körpers heraus, bricht dabei automatisiertes Bewegungsvokabular auf und gelangt auf diese Weise zu neuartigen Bewegungen.[47]
Das Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters
Mittels der Kontinuität fließender Körperbewegungen, extremer Geschwindigkeiten und fremdartige Körperformungen erschafft Forsythe veränderte Wahrnehmungsordnungen, die sich an den Grenzen kinästhetischer Wahrnehmung bewegen.[48]
Für William Forsythe ist letztendlich aber der klassisch ausgebildete Tänzerkörper die Grundlage seiner Werke.
1.5.2 Meg Stuart
Meg Stuart studierte Tanz mit Schwerpunkt Release Technik und Contact Improvisation an der New York University. In den 80er Jahren zeigte sie ihre ersten Choreographien in New York und feierte auf dem Tanzfestival Klapstuk in Leuven mit ihrem Stück „Disfigure Study“[49] ihren ersten großen Erfolg in Europa. Stuart initiierte 1996 das Kooperationsprojekt „Crash Landing“, eine Performance Reihe, die sich zur Aufgabe machte, die Improvisation im Tanz neu zu beleuchten. In diesem Projekt zog sich Stuart als Choreographin zurück, provozierte aber durch die Zusammenstellung der Künstler und ihrer z. T. widerstrebenden Ansätzen eine künstlerische Auseinandersetzung.
Steve Paxton trat innerhalb einer der Aufführungen mit Louise Lecavalier, Tänzerin von La La La Human Steps, auf, die Wooster-Group-Schauspielerin Kate Valk mit Benoit Lachambre, und bei anderer Gelegenheit der schillernde Kanadier Jose Navas mit der analytischen Vera Mantero….[50]
[...]
[1] Benbow-Pfalzgraf Taryn: International dictionary of modern dance. Detroit: St James 1998, S. 68-69.
[2] Vgl. Nitsch Jürgen R., Munzert Jörn: Handlungstheoretische Aspekte des Techniktrainings Ansätze zu einem integrativen Modell. In: Nitsch Jürgen R., Neumaier August, De Marées, Mester Joachim: Techniktraining. 1. Aufl., Köln: Karl Hofmann 1997. S. 118.
[3] Vgl. Yannai Zwi: Eine Schrift für freie Bewegung. Machschawoth, IBM-Gesellschaft, Tel-Aviv. In: Hetz Amos: Movement Studies. Unveröffentl. Pressespiegel. S. 39.
[4] Vgl. Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. Hamburg: Rowohlt 2002, S. 95.
[5] Vgl. Banes Sally: Terpichore in Sneakers. Boston: Houghtin Mifflin Company 1980, S. 1ff.
[6] Vgl. Duncan Isadora: Tanz der Zukunft (The Dance of the Future). Leipzig 1903, S. 31. In: Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. Hamburg: Rowohlt 2002, S. 96.
[7] Vgl. Banes Sally: Terpichore in Sneakers. Boston: Houghtin Mifflin Company 1980, S. 2.
[8] Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. Hamburg: Rowohlt 2002, S. 10.
[9] Vgl. Huschka Sabine: Ebd., S. 118.
[10] In der Arbeit wird nicht tiefer auf den Ausdruckstanz eingegangen, da die Tanzform nicht direkt im Zusammenhang mit der Contact Improvisation steht und eine Ausführung den Rahmen der Arbeit übersteigen würde.
[11] Vgl. Benbow-Pfalzgraf Taryn: International dictionary of modern dance. Detroit: St James 1998, S. 158.
[12] Vgl. Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. S. 200.
[13] Vgl. Banes Sally: Terpichore in Sneakers. S. 5.
[14] Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. S. 222-223.
[15] Vgl. Lampert Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung. Bielefeld: Transcript 2005, S. 58.
[16] Vgl. Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. S. 222ff.
[17] Vgl. Banes Sally: Democracy`s body. Judson Theater, 1962 – 1964. Durham/London: Duke University Press 1993, S. xvi.
[18] Novack Cythia J.: Sharing the Dance. Contact Improvisation and American Culture. Madison: Universíty of Wisconsin Press 1990, S. 27.
[19] Tomkin Calvin: The Bride and the Bachelors. New York: Viking Press 1965, S. 246-247. In: Novack Cythia J.: Sharing the Dance. Contact Improvisation and American Culture. Madison: Universíty of Wisconsin Press 1990, S. 26.
[20] Vgl. Benbow-Pfalzgraf Taryn: International dictionary of modern dance. Detroit: St James 1998, S. 155-160.
[21] Banes Sally: Terpichore in Sneakers. Boston: Houghtin Mifflin Company 1980, S. 18.
[22] Vgl. Benbow-Pfalzgraf Taryn: International dictionary of modern dance. S. 640.
[23] Vgl. Lampert Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung. Bielefeld: Transcript 2005, S. 59-61.
[24] Halprin Anna: After Improv. Contact Quaterly Fall 1987, Northampton 1987, S.11-12. In: Lampert Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung. Bielefeld: Transcript 2005, S. 60.
[25] Vgl. http://www.annahalprin.org/about_bio.html, 2.04.2008, 15.00.
[26] Vgl. Banes Sally: Democracy`s body. Judson Theater, 1962 – 1964. Durham/London: Duke University Press 1993, S. 4.
[27] Banes Sally: Democracy`s body. Judson Theater, 1962 – 1964. Durham/London: Duke University Press 1993, S. 10.
[28] Banes Sally: Terpichore in Sneakers. Boston: Houghtin Mifflin Company 1980, S. 12.
[29] Vgl. Lampert Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung. Bielefeld: Transcript 2005, S.67.
[30] Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. Hamburg: Rowohlt 2002, S. 247.
[31] Vgl. Huschka Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien. S. 247
[32] Vgl. Banes Sally: Terpichore in Sneakers. S. 204.
[33] Banes Sally: Democracy`s body. Judson Theater, 1962 – 1964. Durham/London: Duke University Press 1993, S. 58.
[34] Paxton Steve: Chaos und Ordnung. An den Grenzen der Improvisation. Ballett international/ tanz aktuell: 11/94, S.21-26.
[35] Banes Sally: Writing Dancing in the Age of Postmodernism. Hanover: Wesleyan Univ. Press 1994, S. 229-231.
[36] Vgl. Novack Cythia J.: Sharing the Dance. Contact Improvisation and American Culture. Madison: University of Wisconsin Press 1990, S. 61
[37] Vgl. Paxton Steve: Fall after Newton. Vol. 13, 1988. In: Contact Quaterly `s: Contact Improvisation Sourcebook. Collected writings and graphics from Contact Quaterly dance journal 1975 – 1992. Northampton: Special Editions 1997, S. 144.
[38] Mit „gleichberechtigte Körper“ ist hier gemeint, dass es keinen Unterschied zwischen Geschlechtern, Körpergrößen und Können in Sinne von gut und schlecht, hässlich und schön, möglich und unmöglich gibt.
[39] Vgl. Lampert Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung. Bielefeld: Transcript 2005, S. 155.
[40] Paxton Steve: Improvisation. Im Gespräch mit Lisa Nelson. In: Ballett International/ Tanz Aktuell 5/99, Berlin 1999, S. 31.
[41] Novack Cythia J.: Sharing the Dance. Contact Improvisation and American Culture. Madison: Universíty of Wisconsin Press 1990, S. 81.
[42] Der New Dance wird hier der Vollständigkeit wegen Erwähnung, kann aber durch den begrenzten Rahmen nicht weiter ausgeführt werden.
[43] Vgl. Lampert Friederike: Tanzimprovisation. S. 75-91.
[44] Vgl. http://www.theforsythecompany.de/forsythe.html, 8.04.08, 15.15.
[45] Vgl. Berger Christiane: Körper denken in Bewegung. Zur Wahrnehmung tänzerischen Sinns bei William Forsythe und Saburo Teshigawara. Brandstetter G., Klein G. (Hrsg.) , Bielefeld: Transcript 2006, S. 64-66.
[46] Vgl. Berger Christiane: Körper denken in Bewegung. S. 43-44.
[47] Vgl. Berger Christiane: Körper denken in Bewegung. S. 55-56.
[48] Vgl. Berger Christiane: Körper denken in Bewegung. S. 116-130.
[49] Vgl. http://www.goethe.de/kue/tut/cho/cho/sz/stu/deindex.htm, 8.04.08, 20.45.
[50] Ploebst Helmut: no wind no word. Neue Choreographie in der Gesellschaft des Spektakels. München: Kieser 2001, S. 20-21.
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- Dipl. Kultur und Medien Pädagogin Marion Glöggler (Author), 2008, Contact Improvisation im Spannungsfeld zwischen Tanzkunst und Alltagsbewegung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123791
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