Die Rolle der Ethnologie in der Entwicklungszusammenarbeit sowie ein Plädoyer zur stärkeren Berücksichtung kultureller Themen und für eine direkte Beteiligung von Ethnologen an der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sind Themen, die im deutschsprachigen Raum bereits mehrfach behandelt wurden.Über die Rolle, die Ethnologen in Lateinamerika und in der "Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern" heute, nach ihrer teilweise unglücklichen Beteiligung an staatlichen Integrationsprogrammen, noch übernehmen können und dürfen, ist jedoch noch nicht sehr viel geschrieben worden.
Die Weltbank, als Beispiel einer multilateral agierenden Entwicklungsinstitution, setzt mittlerweile ganz selbstverständlich Ethnologen ein, wenn es darum geht, mit indigenen Völkern in Lateinamerika zusammenzuarbeiten. Sie geht davon aus, dass eine sozialwissenschaftliche Analyse für den Erfolg eines solchen Projekts unumgänglich ist. In der deutschen bilateral agierenden Entwicklungszusammenarbeit hingegen ist die Arbeit von Ethnologen in Entwicklungsprojekten mit indigenen Völkern noch nicht hinreichend institutionalisiert bzw. eine ausführliche Kontextanalyse als unumgänglich eingestuft worden. Ob die Arbeit von Ethnologen in Projekten mit Indigenen von den Vertretern der indigenen Organisationen überhaupt akzeptiert würde, ist in manchen Fällen allerdings fraglich. Es gibt viele kontroverse Meinungen über die Funktionen, die Ethnologen in der "Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern" in Lateinamerika noch einnehmen können. Im Laufe dieser Arbeit werden diese beleuchtet und anhand eigener Erfahrungen der Autorin und im Vergleich mit zwei ausgewählten Entwicklungsprojekten der Weltbank und GTZ einige Empfehlungen darüber abgeben, wie eine "Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern" in Lateinamerika erfolgreich durchgeführt werden könnte.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einleitung
1 Methoden und Quellen
2 Ethnologie und Entwicklungszusammenarbeit
2.1 Entwicklungsethnologie
2.2 Ethnologie der Entwicklung
2.3 Aktionsethnologie
3 Indigene Völker in Lateinamerika: Vom Objekt zum Subjekt
3.1 Klassischer Indigenismus: Hauptziel Integration
3.1.1 Rolle der Ethnologie
3.2 Neoindigenismus: Das neue Konzept des etnodesarrollo
3.2.1 Rolle der Ethnologie
3.3 Indianismus: Was ist indigene Entwicklung?
4 Beispiele der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“
4.1 Entwicklungszusammenarbeit der Weltbank mit indigenen Völkern
4.1.1 Entwicklungsprojekt für indigene Völker in Ecuador
4.1.1.1 Kontext: Politische Organisationen Indigener Völker in Ecuador
4.1.1.2 Geschichte und Aufbau des Projekts
4.1.1.3 Sozialwissenschaftliche Rahmenkonzepte des Projekts
4.1.1.4 Ergebnisse
4.1.1.5 Rolle der Ethnologie im Projekt?
4.2 Deutsche „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“
4.2.1 Projekt zur Stärkung indigener Organisationen im Amazonasbecken
4.2.1.1 Kontext: Politische Organisationen Indigener Völker Amazoniens
4.2.1.2 Geschichte und Aufbau des Projektes
4.2.1.3 Konzeption: Regionaler Ansatz
4.2.1.4 Ergebnisse
4.2.1.5 Rolle der Ethnologie im Projekt?
4.2.2 Eigene Arbeitserfahrung mit der GTZ in Ecuador
4.2.2.1 Meine Rolle als Ethnologin
4.3 Diskussion und Vergleich der Ansätze
5 Ethnologie und „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“
Fazit: Welche (neuen) Rollen kann die Ethnologie übernehmen?
Literaturverzeichnis
Anhang 1 Abkürzungsverzeichnis
Anhang 2: Übersetzung spanischer Zitate
Anhang 3: Übersicht zu Indigenismus-Politiken
Anhang 4: Rahmenkonzept PRODEPINE
Anhang 5: Systematisierung und Auswertung der Interviews
Danksagung
Diese Magisterarbeit wäre ohne die Mithilfe vieler für mich wichtiger Personen nicht entstanden: Ich möchte meinem Vater ganz herzlich für seine moralische und emotionale Unterstützung und seine stetige Ermahnung, nicht den Mut zu verlieren, danken. Auch möchte ich mich bei meinen Kommilitonen bedanken, die mir mit konstruktiver Kritik zur Seite gestanden haben. Darüber hinaus hat mich mein Freund bei der oftmals nicht ganz einfachen Formatierung tatkräftig unterstützt. Wichtig für diese Arbeit waren zudem nicht zuletzt meine sehr offenen und hilfsbereiten Arbeitskollegen in der Komponente für lokale und regionale Wettbewerbsfähigkeit der GTZ in Ecuador, meine Interviewpartner aus der Entwicklungspraxis sowie meine Professoren Frau Prof. Dr. Judith Schlehe und Herr Prof. Dr. Stefan Seitz des ethnologischen Instituts der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ich danke Ihnen allen sehr.
Einleitung
Die Rolle der Ethnologie in der Entwicklungszusammenarbeit sowie ein Plädoyer zur stärkeren Berücksichtung kultureller Themen und für eine direkte Beteiligung von Ethnologen an der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sind Themen, die im deutschsprachigen Raum bereits mehrfach behandelt wurden (Bliss 1996; Kievelitz 1988; Prochnow 1996; Schönhut 1998 etc.). Über die Rolle, die Ethnologen[1] in Lateinamerika und in der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ heute, nach ihrer teilweise unglücklichen Beteiligung an staatlichen Integrationsprogrammen, noch übernehmen können und dürfen, ist jedoch noch nicht sehr viel geschrieben worden.
Die Weltbank, als Beispiel einer multilateral agierenden Entwicklungsinstitution, setzt mittlerweile ganz selbstverständlich Ethnologen ein, wenn es darum geht, mit indigenen Völkern in Lateinamerika zusammenzuarbeiten. Sie geht davon aus, dass eine sozialwissenschaftliche Analyse für den Erfolg eines solchen Projekts unumgänglich ist. In der deutschen bilateral agierenden Entwicklungszusammenarbeit hingegen ist die Arbeit von Ethnologen in Entwicklungsprojekten mit indigenen Völkern noch nicht hinreichend institutionalisiert bzw. eine ausführliche Kontextanalyse als unumgänglich eingestuft worden. Ob die Arbeit von Ethnologen in Projekten mit Indigenen von den Vertretern der indigenen Organisationen überhaupt akzeptiert würde, ist in manchen Fällen allerdings fraglich. Es gibt viele kontroverse Meinungen über die Funktionen, die Ethnologen in der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ in Lateinamerika noch einnehmen können. Im Laufe dieser Arbeit werde ich diese verschiedenen Meinungen und die sich daraus ergebenden Fragen diskutieren.
Eine Magisterarbeit über „indigene Völkern“ in Lateinamerika und die mit ihnen betriebene Entwicklungszusammenarbeit zu schreiben, könnte jedoch von einigen Vertretern des Faches kritisiert werden, da sie den Begriff der „indigenen Völker“ als nicht eindeutig definierbar und mit machtpolitischen Interessen behaftet einstufen (Dove 2006; Kuper 2003). Die Entwicklungen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte haben jedoch zu einer starken Popularisierung der Verwendung des Begriffs der „indigenen Völker“[2] - im lateinamerikanischen Kontext pueblos indígenas[3] - vor allem auf internationaler Ebene, aber auch in Bezug auf politische und wirtschaftliche Aushandlungsprozesse innerhalb der nationalen Grenzen geführt (Dove 2006:191). Zudem haben sich zum einen in Lateinamerika seit Beginn der 1980er Jahre vermehrt politisch sehr aktive indigene Organisationen herausgebildet. Zum anderen hat die internationale Aufmerksamkeit der Weltbank, der ILO[4], der UN[5] und im Zuge dessen vieler weiterer bilateraler und multilateraler Entwicklungsorganisationen bewirkt, dass ethnische Diskurse und die Konstruktion von indigenen Identitäten sehr stark an Bedeutung zugenommen haben (Dove 2006:192). Auf der Ebene der Entwicklungspolitik wurden im Zuge dieser Entwicklungen politische Strategiepapiere verabschiedet, die dabei helfen sollten, negative Effekte der Entwicklungsbemühungen auf die Lebensweise der indigenen Völker zu vermeiden.[6] Diese negativen Effekte, wie z.B. Zwangsumsiedlungen oder diejenigen, die bei Entwicklungsprojekten entstehen können, wenn die jeweilige „Kultur“[7] der „Projektbegünstigten“ nicht respektiert wird, wurden vielfach von Seiten indigener Organisationen, NGOs[8] und auch Ethnologen kritisiert. Diese Kritik und die zunehmende Präsenz indigener politischer Akteure auf internationaler Ebene sowie die Einsicht, dass Entwicklungsprojekte oftmals nicht funktionierten, weil soziale, politische und kulturelle Kontextdaten nicht berücksichtigt wurden, haben dazu geführt, dass Entwicklungsprojekte entworfen wurden und werden, die sich darum bemühen, die „besonderen Bedürfnisse“ der indigenen Völker und ihre Vorstellungen von „Entwicklung“ zu respektieren und sogar zu fördern. Diese starke Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse indigener Völker von Seiten der Entwicklungsinstitutionen erscheint mir als hinreichender Grund dafür, über dieses Thema zu schreiben.
Die von der Entwicklungspolitik[9] verfolgte Praxis, die Indigenen als kollektiv „arm“ zu behandeln, hat jedoch dazu geführt, dass einige Vertreter indigener Organisationen sich vorsätzlich dementsprechend darstellen, um von Entwicklungsprogrammen profitieren zu können (Dove 2006:191; Gabbert 2007:121). „Traditionen“ und „Traditionalität“ werden teilweise im Sinne einer indianistischen Ideologie[10] revitalisiert und als Instrument zur Durchsetzung bestimmter Machtinteressen verwendet (Bräuchler und Widlock 2007:7). Das Konzept der „Indigenität“[11] wurde unter anderem aus diesen Gründen spätestens seit der Streitschrift von Adam Kuper „The Return of the Native“ von Seiten der Ethnologie stark hinterfragt bzw. zum Teil sehr entschieden abgelehnt (Dove 2006; Kuper 2003; Bräuler und Widlok 2007). Dennoch wird de facto im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und nicht zuletzt im Rahmen indigener Organisationen mit den Begriffen der „indigenen Völker“, indigenous peoples und pueblos indígenas gearbeitet, da diese rechtliche Implikationen mit sich bringen, die von den Entwicklungsorganisationen unterstützt werden.[12] Aus diesem Grund erschien es mir sehr wichtig, trotz der Bedenken vieler Vertreter der Ethnologie, den im Sprachgebrauch der deutschen Entwicklungsorganisationen verwendeten Begriff „indigene Völker“ beizubehalten.
Die Frage, wen man in Lateinamerika als „indigen“ bezeichnen kann, konnte jedoch bis dato nicht eindeutig beantwortet werden.[13] Fast alle heute anerkannten Definitionen beziehen sich nicht mehr nur auf externe Kriterien wie z.B. historische, kulturalistische, strukturelle Kriterien der Sprache, der materiellen Kultur etc. (Mires 1991:13; Stavenhagen 1992:70-73), sondern erkennen gleichzeitig das Recht auf Selbstdefintion an, das heißt, sie arbeiten gleichzeitig mit „emischen“[14] Kategorien. Dies beruht auf der Einsicht, dass Indigene nicht zu beschreibende Objekte sind, sondern handelnde Akteure, die ihre Identität und Kultur selbst bestimmen und verwandeln können (Mires 1991:18). In dieser Arbeit werde ich die folgende Arbeitsdefinition des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) übernehmen, die auf einer Begriffsbestimmung der ständigen Arbeitsgruppe für indigene Völker der UN beruht:
„Demnach verfügen indigene Völker über mindestens eine der folgenden Charakteristika: 1) direkte Nachkommen historischer, vorkolonialer Gesellschaften, 2) nicht dominierender Teil ihrer aktuellen nationalen Gesellschaften, 3) mit besonderem Bezug zu ihrem angestammten Territorium und ihrer ethnischen Identität, 4) bestrebt, ihre kulturelle Eigenart sowie eigene gesellschaftliche Institutionen und Rechtssysteme zu erhalten und zu entwickeln sowie an spätere Generationen weiterzugeben. Der Selbstidentifikation dieser Völker, das heißt das Recht auf individuelle und kollektive Eigenwahrnehmung der Zugehörigkeit zu einer distinkten Gruppe, wird heute grundlegende Bedeutung beigemessen “ (BMZ 2006:5).
Es ist jedoch weder möglich noch sinnvoll, die „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ im Allgemeinen zu behandeln. Ich habe mich, da ich mich sechs Monate in Ecuador aufgehalten habe und dort ebenfalls in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war, dazu entschlossen, diese Arbeit im lateinamerikanischen Kontext zu verorten. Da sich die Literatur und auch der Sprachgebrauch der Entwicklungsorganisationen meist nicht allein auf ein bestimmtes Land oder nur auf Südamerika beziehen, erschien es mir jedoch nicht angebracht, den Titel dahingehend zu verändern.
Im ersten Kapitel werde ich die verschiedenen Methoden erläutern, die ich für diese Magisterarbeit verwendet habe.
Im zweiten Kapitel werde ich auf die Theoriediskussion der Ethnologie und Entwicklungszusammenarbeit eingehen und die verschiedenen Positionen darüber darstellen, ob und in welcher Form sich Ethnologen an der Entwicklungszusammenarbeit beteiligen sollten. Die Meinungen gehen einerseits in Form eines Plädoyers für eine direkte Beteiligung von Ethnologen an der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, andererseits durch die Forderung nach einer strikten Trennung zwischen Entwicklungspraxis und Wissenschaft sowie des weiteren durch die Propagierung der Arbeit von Ethnologen als Fürsprecher für indigene Interessen sehr stark auseinander.
Im dritten Kapitel werde ich auf den historischen und politischen Kontext Lateinamerikas, in dem indigene Völker zu politischen Subjekten geworden sind eingehen. Dafür ist es nötig, die verschiedenen Formen der staatlichen „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ zu beschreiben. Auch werde ich die Rolle, die Ethnologen in diesem Prozess gespielt haben beleuchten.
Im vierten Kapitel werde ich drei konkrete Beispiele der Arbeit der Weltbank und der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) – zwei in Ecuador und eines im südamerikanischen Amazonasgebiet – analysieren. Ich habe mich dabei bewusst für zwei sehr unterschiedliche Organisationen entschieden – eine multilateral arbeitende Entwicklungsbank, die finanzielle Zusammenarbeit leistet und eine bilaterale Durchführungsorganisation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die technische Hilfe leistet – weil ich davon überzeugt bin, dass ihre Bemühungen im Bereich der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ durchaus zu vergleichen sind. Ich werden die Projekte im Sinne einer, im ersten Kapitel beschriebenen, „Ethnologie der Entwicklung“ analysieren und anschließend gegenüberstellen. Ein weiteres Augenmerk werde ich dabei auf die jeweilige Rolle legen, die Ethnologen bzw. ich als Ethnologin in den Projekten übernommen haben.
Im fünften Kapitel werde ich die verschiedenen Meinungen meiner Interviewpartner über die Rolle die Ethnologen in der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ in Lateinamerika einnehmen sollten darstellen und daraufhin abschließend ein Fazit ziehen.
1 Methoden und Quellen
Dieser Magisterarbeit liegen sowohl textbasierte als auch empirische Daten zugrunde. Zum einem habe ich die vorhandene Literatur ausgewertet. Zum anderen sind Informationen aus einem dreimonatigen Praktikum bei der GTZ in Ecuador (Oktober 2006 bis Januar 2007) und die dazugehörige „Teilnehmende Beobachtung“[15] (Beer 2003; Fischer 1998; Knorr 1973) in diese Arbeit mit eingeflossen. Des Weiteren wurden 15 halbstrukturierte „Leitfadeninterviews“ (Schlehe 2003:78f) nach dem Feldaufenthalt durchgeführt, die ebenfalls Verwendung fanden.
In der GTZ habe ich in einem eher wirtschaftlich ausgerichteten Projekt gearbeitet,[16] welches jedoch in einer Region angesiedelt war, die durch einen sehr hohen indigenen Bevölkerungsanteil gekennzeichnet ist. Während meines Aufenthaltes befand sich das Projekt in der Planungsphase, für die ein relativ kurzer Feldaufenthalt in der Provinz Napo, im ecuadorianischen Regenwald geplant war. Die dort erhobenen Daten, die in Form von „Leitfadeninterviews“ in einem interdisziplinär arbeitenden Team durchgeführt wurden, finden zum Teil in dieser Magisterarbeit Verwendung. Ebenso habe ich die Informationen, die ich in Form von informellen Gesprächen und „Problem- bzw. themenzentrierten Interviews“ (Schlehe 2003:78) erhoben habe, im vierten Kapitel verwendet.[17]
Nach meiner Rückkehr wurde mir bewusst, dass die im Feld gesammelten Daten nicht ausreichen würden, um eine Magisterarbeit darauf aufzubauen. Auch war es mir bis dahin nicht gelungen, meine Fragestellung auf ein durchführbares Maß zu beschränken. Deshalb habe ich mich zunächst auf eine weitere Literaturrecherche und Auswertung der bisher gesammelten Literatur konzentriert. Auf dieser Grundlage aufbauend, habe ich erste Themenkomplexe und eine erste Gliederung erstellt. Zu dem Kapitel über die Theorie der Ethnologie und Entwicklungszusammenarbeit (vgl. u.a. Antweiler 1987; Bliss 1994; Ders.1996; Ders. 2001; Gardner 1996; Nolan 2002 etc.) sowie über die theoretischen Herangehensweisen zur „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ im lateinamerikanischen Kontext und über den Mobilisierungsprozess der indigenen Organisationen war es nicht schwierig, eine Fülle von wissenschaftlicher, meist spanischsprachiger oder englischsprachiger Literatur zu finden (vgl. u.a. Arzipe 2000; Bonfil Batalla 1990; Gamio 1966; Medina 2000; Oliva Martínez 2005; Rodríguez 1991; Stavenhagen 1992; Ströbele-Gregor 2004a etc.). Für die Fallbeispiele der Weltbank und der GTZ war es nicht so einfach, wissenschaftlich fundierte Literatur zu erlangen. In Bezug auf das Fallbeispiel des Entwicklungsprojekts zur Entwicklung indigener Völker in Ecuador gab es allerdings einige Ausnahmen (Leon 2003; Lucero 2003; Oliva Martínez 2006; Uquillas 2006). Der Inhalt des dritten Kapitels basiert demnach vielfach auf Internetquellen bzw. inoffiziellen, nicht veröffentlichten Dokumenten der jeweiligen Organisation. Ich habe mich gleichwohl darum bemüht, auch von der Organisation unabhängige Texte zu finden, was nicht immer einfach war.
Nachdem ich mich entschieden hatte, meine Magisterarbeit über die „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ in Lateinamerika zu schreiben, wurde mir bewusst, dass es notwendig sein würde, auch zur „Objektivierung“ meiner Internetdaten weitere Interviews mit „Experten“ auf dem Gebiet bzw. auch mit Indigenen selbst durchzuführen. Da ich mich jedoch bereits wieder in Deutschland befand, habe ich vor allem versucht, durch einen „indirekten Kontakt“ über das Internet halbstrukturierte „Emailinterviews“ (Fischer 1998:74; Schlehe 2003:81) durchzuführen. Um alle wichtigen Themen behandeln zu können, habe ich an fast alle meiner „Respondenten“[18] (Schlehe 2003:78) die gleichen oder nur wenig abgewandelte Fragen geschickt, die leider vielfach als feststehender Fragebogen aufgefasst wurden. Ich habe jedoch in der jeweils dazugehörigen Email betont, dass meine Gesprächspartner nicht dazu gezwungen seien alle Fragen zu beantworten bzw. dazu aufgefordert sei, eigene für sie wichtig erscheinende Aspekte zu erläutern. Dieses Ergebnis hat mir gezeigt, dass - wie Schlehe (2003:79) in ihrem Aufsatz „Formen qualitativer ethnographischer Interviews“ betont - die Offenlegung des Leitfadens dem Gespräch die Dynamik und Flexibilität nimmt und sich das Gegenüber verpflichtet fühlt, die dort aufgenommenen Fragen zu beantworten. Auch habe ich zu viele Fragen gestellt, die für diese Arbeit nicht von Belang waren. Aus diesem Grund habe ich in der Auswertung die für meine Fragestellung wichtigsten Fragen ausgewählt und die Antworten in einer Tabelle schematisch zusammengestellt.[19] Das Kapitel 4.2.1. über meine eigenen Arbeitserfahrungen bei der GTZ und das Kapitel 5 über die Rollen, die die Ethnologie in der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ in Lateinamerika übernehmen kann, basieren zu einem großen Teil auf den ausgewerteten Daten der „Emailinterviews“ und auf meiner eigenen Einschätzung. Den Hintergrund für meine Einschätzung bildet das Literaturstudium.
Die Personen, mit denen ich gesprochen habe, habe ich, soweit es möglich war, anonymisiert. Zusätzlich zu diesen „Emailinterviews“ habe ich vier face-to-face -Interviews durchgeführt, die ebenfalls durch einen Leitfaden unterstützt waren. Diese waren sehr viel offener gestaltet als die „Emailinterviews“. Zur Beschreibung und Bewertung des Fallbeispiels der Entwicklungszusammenarbeit der GTZ zur Stärkung indigener Organisationen im Amazonasgebiet war es zudem notwendig, Informationen aus den Interviews mit der Leiterin der Koordinationsstelle indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK) und einem Mitarbeiter des Klimabündnisses, der ebenfalls mit der Koordinationsorganisation der indigenen Völker Amazoniens (COICA) zusammenarbeitet, zu entnehmen.
2 Ethnologie und Entwicklungszusammenarbeit
Seit Beginn der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit[20] bzw. der Einrichtung entsprechender Hilfsprogramme besteht eine heftige Diskussion sowohl in den europäischen Ländern als auch in den USA und Lateinamerika darüber, ob es ethnisch vertretbar ist, dass Ethnologen direkt daran teilnehmen oder sich lieber davon fern halten sollten (Swantz 1985:24). Im Gegensatz zur US-amerikanischen Cultural Anthropology[21] und der lateinamerikanischen Antropología Social hat die deutsche Ethnologie keine ausgeprägte Tradition im Hinblick auf eine praktisch angewandte Entwicklungsethnologie (Prochnow 1996:1; Poeschke et. al. 1992:4; Schönhuth 1998:12).[22] Der Grund für die unzureichende Tradition der Entwicklungsethnologie im deutschsprachigen Raum wird zum Teil einer in Deutschland eher historischen bzw. theoretischeren Ausrichtung des Faches nach den Weltkriegen gegeben (Prochnow 1996:6). Es sei zudem versäumt worden, nach 1945 eine auf die Entwicklungspraxis abgestimmte angewandte Ethnologie auszubilden, die mit der entstehenden Entwicklungspolitik hätte kooperieren können (Ebd.). In der US-amerikanischen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit und in der von der US-Tradition geprägten Weltbankgruppe, anders als in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, in der nur wenige Ethnologen vertreten sind, haben Ethnologen weitgehend Fuß gefasst. Die Zahl der langfristig angestellten Ethnologen hat sich in diesen Institutionen seit den 1970er Jahren stark erhöht und belief sich in der Weltbank 1995 bereits auf 50 bis 60 fest angestellte Ethnologen, die in einer eigenen Abteilung für soziale Entwicklung arbeiteten (Cernea 1995:4). Auch die amerikanische Entwicklungsorganisation USAID hatte in den 1990er Jahren bereits 65 Ethnologen fest angestellt (Nolan 2002:72).
In Deutschland wird der Entwicklungszusammenarbeit als ethnologischem Forschungsgegenstand erst seit Anfang der 1980er Jahre eine größere Bedeutung beigemessen (Poeschke et. al. 1992:4f; Schönhuth 1998:12). In den 1970er Jahren wurden erste deskriptive Werke über entwicklungspolitische Fragestellungen verfasst. Zu einer angewandten Forschung kam es aber erst in den 1980er Jahren, angefangen mit der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) 1981 in Münster. Später kam es zu einer Reihe von Publikationen, wovon die meisten als kurze Beiträge in Zeitschriften erschienen (Prochnow 1996:9).[23] Eine der wenigen konzeptionellen Arbeiten stammt von U. Kievelitz: „Kultur, Entwicklung und die Rolle der Ethnologie“, in der er versucht die Bedeutung von ethnologischen Kenntnissen für die Entwicklungszusammenarbeit zu verdeutlichen (Kievelitz 1988).
Auch in der deutschen Entwicklungspolitik kam es erst in den 1980er Jahren zu einer offiziellen Forderung nach stärkerer Berücksichtigung sozio-kultureller Rahmenbedingungen der Entwicklungsprojekte. Ausschlaggebend waren vor allem einige Querschnittsanalysen des BMZ, die ergeben hatten, dass ein Großteil der rein wirtschaftlichen Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gescheitert waren (Schönhuth 1998:14; Bliss 1994:238). Ebenso zeigte eine Studie von Conrad Kottak von 1985 zur Analyse von 57 Projekten und ihrer kulturellen „Kompatibilität“, dass rein wirtschaftliche Projekte oftmals scheiterten, da sie die kulturellen Gegebenheiten nicht genug berücksichtigten. Kottak fand heraus, dass Projekte vor allem dann erfolgreich waren, wenn die vorhandenen Informationen über die verschiedenen Kulturen gesammelt, analysiert und verglichen wurden, wenn einzuführende „Innovationen“ den existierenden sozio-kulturellen Strukturen angepasst und auf sie abgestimmt wurden sowie „traditionelle“[24] Werte, Normen und Organisationsformen genutzt und nicht pauschal als entwicklungshemmend verworfen wurden (Cernea 1995:12; Kottak 2000:103; Monreal 1999:12; Viola 2000:22):
„Los proyectos exitosos respetaban los patrones de cultura local o, al menos, no se oponían a ellos. [...] Muchos de los proyectos exitosos incorporaban prácticas culturales y estructuras sociales indígenas” (Kottak 2000:106) (1).[25]
Zudem sollte in der Entwicklungszusammenarbeit darauf geachtet werden, nicht zu starke Innovationen einzuführen, da diese im Sinne der Evolutionstheorie von A. S. Romer von 1960 sehr wahrscheinlich zurückgewiesen werden würden. Das heißt, von den Projektleitern wird eine gewisse Sensibilität gefordert, „kulturelle Grenzen“ und gleichzeitig ihr Innovationspotential zu erkennen. Dem entsprechend schreibt Kottak:
„Aunque la gente quiere algunos cambios, son su cultura tradicional y las pequeñas preocupaciones cotidianas las que proveen los motivos para modificar su conducta. Sus valores conductuales no son los abstractos «valores de los planificadores» [...]. Más bien tienen objetivos específicos [...], objetivos como mantener los rendimientos de un campo de arroz, acumular recursos para una ceremonia, conseguir que un niño acabe sus estudios en la escuela o pagar los impuestos” (Kottak 2000:106) (2).
Viele „Entwicklungsexperten“ sind mittlerweile davon überzeugt, dass eine sozio-kulturelle Analyse unausweichlich ist, um ein Projekt erfolgreich durchzuführen (Cernea 1995:9; Deruyttere2001:8). Nolan bestätigt diese Meinung in folgendem Zitat:
“The local cultural context within which a development project is situated can be ignored, in other words, and often is. But it will not go away unless the people do. Cultures are flexible, resilient, and able to change, but they are also remarkably enduring. As fifty years of development experience has shown, development efforts that fit with their surroundings will work, whereas those that disregard salient aspects of context will usually fail, sooner or later. The question then becomes one of how context can be incorporated into development practice” (Nolan 2002:25).
Diese Aufgabe könnten Ethnologen aufgrund ihrer Ausbildung übernehmen, und auch die Evaluation der Projekte sollte von Sozialwissenschaftlern[26] begleitet werden. Ethnologen sollen demnach nicht nur als Datensammler und passive Helfer im Projektdesign gesehen werden, sondern aktiv an der Gestaltung des induzierten Wandels teilnehmen (Cernea 1995:11). Problematisch hierbei ist, dass die Ethnologie eigentlich lange Feldforschungsaufenthalte benötigt und nur in einem relativ beschränkten regionalen Rahmen tätig werden könnte (Green 2003:13). Entwicklungsinstitutionen wie z.B. die GTZ verlangen jedoch, dass die auf Zeit angestellten „Berater“ in einem interdisziplinären Team arbeiten, auch überregional und in relativ kurzer Zeit von ca. zwei Wochen einen konstruktiven Beitrag für die Durchführung des Projektes leisten (Gardner 1996:130-132).[27] Diese Diskrepanz muss von angewandten Ethnologen gekonnt überwunden werden.
Von Seiten der deutschen Entwicklungsorganisationen ist die Skepsis gegenüber der Beschäftigung von Ethnologen zumindest in der deutschen praktischen Entwicklungszusammenarbeit sehr groß.[28] Oftmals gehen die Erwartungen über den Beitrag eines Ethnologen in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit sowohl zwischen den Ethnologen selbst als auch zwischen Ethnologen und Entwicklungsorganisationen stark auseinander (Schönhuth 1998:15; Bliss 1994:251). Immerhin stellte Schönhuth in der Zeit von 1993 bis 1998 einen geringen Anstieg von 3 auf 5 % der Beschäftigung von Ethnologen bei der GTZ fest. Ethnologen wurden in den 1990er Jahren vor allem als „kulturelle Übersetzer“ in Gutachterteams eingesetzt. Sie wurden zu Experten für so genannte „Zielgruppenaspekte“[29] (Schönhuth 1998:33f). Indigene Völker wurden zum Teil als „Zielgruppe“[30] für die Entwicklungszusammenarbeit gesehen. Ethnologische Gutachter haben daraufhin auch im Bereich der „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ gearbeitet.[31] Anders als in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit arbeiten seit Anfang der 1990er Jahre in der Weltbank im Bereich der Förderung indigener Organisationen vor allem Sozialwissenschaftler und insbesondere Ethnologen. Sie arbeiten nicht nur als zeitlich limitierte Berater, sondern zum Teil sogar als Projektleiter (Interview Ethnologe Weltbank).[32]
Institutionell verankert wurden die Gedanken der deutschen „Entwicklungsethnologie“ in der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsethnologie (AGEE),[33] die 1985 bei einer Tagung der DGV ins Leben gerufen wurde (Prochnow 1996:10). Diese stieß zunächst auf große Skepsis unter dem Berufsstand der Ethnologen. Einer der Gründe hierfür war die Befürchtung, dass Ethnologen, die in der EZ tätig würden, in Abhängigkeit von ihren Auftraggebern geraten könnten. Zudem wurde von einigen Kritikern die Notwendigkeit einer Trennung zwischen Wissenschaft und Politik betont und darauf hingewiesen, dass Ethnologen, die sich an der EZ beteiligen, zur Aufrechterhaltung ausbeuterischer postkolonialer Verhältnisse beitrügen (Schönhuth 1998:12-16).[34]
Innerhalb der Debatte um die Rolle der Ethnologie in der Entwicklungszusammenarbeit spiegeln sich drei verschiedene Herangehensweisen von Ethnologen wider, auf die Praktiken der Entwicklungszusammenarbeit in unterschiedlicher Art Einfluss zu nehmen. Ich werde in dieser Arbeit der Einteilung von Martina Prochnow (1996) in „Entwicklungsethnologie“, „Ethnologie der Entwicklung“ und „Aktionsethnologie“, lgen, da diese in der Literatur vielfach übernommen wurde.[35]
2.1 Entwicklungsethnologie
Die „Entwicklungsethnologie“ fordert eine Verknüpfung von staatlicher Entwicklungszusammenarbeit und Ethnologie (Prochnow 1996:21). Sie soll eine „[…] von Sachkenntnis getragene Eingriffspolitik ohne schädigende Folgen […]“ sein (Prochnow 1996:22). Zwei der prominentesten Vertreter der deutschen „Entwicklungsethnologie“ sind Frank Bliss und Uwe Kievelitz. Wichtige Vertreter der amerikanischen „Entwicklungsethnologie“ sind Michael M. Cernea, einer der ersten Ethnologe Weltbankn und Riall Nolan (Cernea 1995; Nolan 2002). Sie sind der Meinung, dass eine sinnvolle und erfolgreiche Entwicklungspolitik, im Sinne von Empfänger und Geber, nur unter der Berücksichtigung des Aspekts der „Kultur“ möglich ist (Ebd.). Um die ethnologische Konzeption von Kultur Bestandteil aller Ebenen der Entwicklungszusammenarbeit werden zu lassen, müsste eine personelle Verankerung von Ethnologen, z.B. im Bereich der Administration, gewährleistet sein. Höhere Beamten haben jedoch zumindest in den deutschen staatlichen Entwicklungsinstitutionen meistens keine „kulturspezifische“ Ausbildungen genossen, sind Volkswissenschaftler oder Juristen, die „nur mit gesundem Menschenverstand“ versuchen, kulturelle Zusammenhänge zu verstehen (Prochnow 1996:27). Auch meine Interviewpartner für die deutsche Entwicklungspraxis bestätigten, dass in der Zusammenarbeit mit indigenen Organisationen viele Landschaftsplaner, Ingenieure, Ökonomen etc. arbeiten und weniger Ethnologen oder andere Sozialwissenschaftler. Es wurde mir sogar von einem Mitarbeiter der GTZ in Ecuador mitgeteilt, dass es zwar sinnvoll sei, Ethnologen in der Planungsphase eines Projektes mit indigenen Völkern einzubeziehen, da dies dem „traditionellen“ Forschungsgebiet der Ethnologie entspräche. Wenn es sich jedoch um ein Projekt handle, das nicht direkt indigene Völker beeinflusse, sei eine Einbeziehung von Ethnologen überflüssig (Interview Ökonom GTZ 1).[36] Dies und auch die, wie es anscheinend oft geschieht, „nebenbei“ erledigte „Kulturanalyse“, die etwa von Ingenieuren oder Volkswirtschaftlern während der Planung eines Projektes durchgeführt wird, stößt bei einem Entwicklungsethnologen wie Frank Bliss auf herbe Kritik:
„Daß die kulturelle „Übersetzertätigkeit“ in aller Regel nicht nebenbei von einem traditionellen Experten oder Gutachter zu leisten ist, dürfte selbstverständlich sein, obwohl in der deutschen Entwicklungsverwaltung immer noch die Meinung vertreten wird, ein Brunneningenieur könne wohl auch die kulturellen „Randfragen“ mitbearbeiten“ (Bliss 1994:247).
Es wird auch von anderen Ethnologen verlangt, dass Ethnologen sowohl bei der Identifizierung, Planung, Durchführung und Evaluierung als auch bei der Formulierung entwicklungspolitischer Normen, Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte einbezogen werden (Prochnow 1996:27). Die angewandte „Entwicklungsethnologie“ besitzt die Instrumente, um den kulturellen Kontext eines Projektes zu verstehen und diesen in die Planung und Aktionen zur beidseitigen Zufriedenheit mit einzubauen. Der amerikanische Entwicklungsethnologe Riall Nolan sieht in der Berufsgruppe der Ethnologen die idealen Entwicklungspraktiker, da diese eher an den Menschen als an den Zielen von Entwicklungsprojekten interessiert seien und nicht dazu tendieren zu generalisieren. Ethnologen seien sich über die kulturell konstruierten Annahmen von Entwicklungsplanern bewusst und wüssten, dass ihre Vorstellungen für die Begünstigten des Projektes unter Umständen sehr exotisch und anders sein können. Zudem seien sie es gewohnt zuzuhören und könnten somit, zumindest theoretisch, relativ genau die Bedürfnisse der „Zielgruppen“ erfassen. Ethnologen seien demnach imstande aufzudecken, welche Aspekte der lokalen Kultur nicht mit der Planung eines Projektes aus „westlicher“[37] Sicht übereinstimmen würden und warum (Nolan 2002:26; O. Skar 1985:7).
„Entwicklungsethnologen“ können, so die Vertreter der „Entwicklungsethnologie“, zudem projektrelevante ethnologische Konzepte, wie das der interkulturellen Kommunikation, der Ethnizität,[38] des Ethnozentrismus,[39] des Holismus[40] und des Kulturrelativismus[41] für ihre Analysen verwenden (Prochnow 1996:27; Antweiler 1987:46; Kievelitz 1988:260). Zudem verfügen viele von ihnen über einen speziellen Zugang zur Kultur und nicht zu unterschätzende Sprachkenntnisse und können somit die Bedürfnisse der „Zielgruppe“ durch ihr kulturelles Wissen ermitteln (Prochnow 1996:27; Antweiler 1987:41). O.Skar spricht demzufolge davon, dass:
„As anthropologists in development we have a unique task. Perhaps more than any other member of a project team we have the potential of introducing to a project the kind of understanding which may ensure real participation from the local population” (O. Skar 1985:6).
Dieser sehr positiven Beschreibung der Partizipationsmöglichkeiten von Ethnologen in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit ist zum einen entgegenzuhalten, dass Ethnologen nicht grundsätzlich ein Entwicklungsprojekt erfolgreicher machen und dass sie bereits in der Vergangenheit zumindest im lateinamerikanischen Kontext eine sehr gewichtige und zum Teil sehr zweifelhafte Rolle in der staatlichen „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ eingenommen haben.[42] Abgesehen davon muss man sich fragen, ob Ethnologen überhaupt direkt in Entwicklungsprojekten arbeiten sollten und inwiefern die nunmehr in wissenschaftlichen Kreisen erarbeiteten ethischen Grundsätze mit der Entwicklungspraxis[43] vereinbar sind. Ethnologen kamen z.B., zumindest in der Weltbank, in Projekten zum Einsatz, in denen indigene Völker großen Staudammprojekten etc. weichen mussten und Ethnologen dabei die Rolle hatten, diese von der Richtigkeit dieser Projekte zu überzeugen (Medina 2000:74; Nolan 2002:75). So schreibt Medina:
„El trabajo del antropólogo será el de realizar investigaciones etnográficas y desarrollar una labor de convencimiento entre las comunidades que habrán de ser desalojadas para permitir las gigantescas obras hidráulicas” (Medina H. 2000:74) (3).
Dem entsprechend kann man nur die Frage wiederholen, die sich Marja-Liisa Schwantz bereits 1985 stellte
“[…] can an anthropologist pursue the goals and principles of his/her discipline and at the same time co-operate with development agencies?” (Swantz: 1985:28).
Diese Frage ist natürlich nicht einfach zu beantworten und es ist auch nicht Ziel dieser Arbeit eine solch generelle Frage zu beantworten. Dennoch werde ich im vierten Kapitel versuchen zumindest für den lateinamerikanischen Kontext eine mögliche Antwort zu bieten.
2.2 Ethnologie der Entwicklung
Ethnologen, welche die Richtung der „Ethnologie der Entwicklung“ vertreten, fordern nur eine indirekte Einflussnahme auf die Entwicklungspolitik sowie eine klare Trennung von Wissenschaft und Politik. Sie warnen vor dem Verlust der wissenschaftlichen Integrität von Ethnologen, für den Fall dass diese ihr Wissen an Entwicklungsagenturen verkaufen und sich somit auf die kritische Auseinandersetzung mit Entwicklungsprojekten, sowie Werten und Normen der Entwicklungshilfe beschränken (Prochnow 1996:28). Eine ganze Reihe von Publikationen beschäftigt sich einzig mit der Kritik an Begriffen wie Entwicklung und „Dritte Welt“ etc. Sie entlarven diese als Entwicklungsdiskurse,[44] die zwar immer wieder kosmetisch verändert werden, aber noch immer einen kolonialen Anspruch erheben (Escobar 1991; 1995; Esteva 2000; Gardner 1996; Monreal 1999; Viola 2000; u.a.).[45] Der jeweilige Entwicklungsdiskurs bietet dabei die Rechtfertigung für eine „Entwicklung“, die von außen angestoßen wird und eine eigene Definition des Problems beinhaltet, die nicht unbedingt jener der vom Projekt Begünstigten entspricht (Gow 2002:3). „Ethnologen der Entwicklung“ versuchen somit ethnozentrische Entwicklungsvorstellungen der eigenen Gesellschaft, die in der Entwicklungspraxis zum Tragen kommen, bewusst zu machen, ohne selbst in die entwicklungspolitische Praxis einzugreifen (Prochnow 1996:28f). Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass es durchaus nicht nur eine Stimme und einen Entwicklungsdiskurs gibt, sondern dass mehrere Entwicklungsdiskurse nebeneinander bestehen. Diese alternativen Entwicklungsansätze haben mittlerweile vor allem in Lateinamerika an Einfluss gewonnen, auch wenn die herkömmlichen Entwicklungsdiskurse noch immer machtvoller erscheinen (Grillo 1997:22).[46] Da es für diese Arbeit notwendig ist mit dem Konzept der „Entwicklung“ zu arbeiten übernehme ich die Definition von González Pazos in seinem Aufsatz „Cooperación Internacional con los pueblos indígenas“: Demnach ist „Entwicklung“ als integraler Veränderungsprozess zu verstehen, der die politischen, sozialen und ökonomischen Identitäten eines jeden Volkes respektieren sollte und durch Solidarität, Gerechtigkeit, Gleichheit und Respekt gegenüber den individuellen und kollektiven Menschenrechten ausgezeichnet ist (González Pazos 2006:207).
Eine weitere wichtige Aufgabe der „Ethnologie der Entwicklung“ ist die Kritik an der Art der Durchführung von Projekten und der häufig darin begriffenen Nichtberücksichtigung kultureller und sozialer Elemente (Gardner 1996:62ff). Diese Art der „Ethnologie der Entwicklung“, das heißt eine von außen kritische Betrachtung der Projekte, wird im Kapitel 4 in Bezug auf das Projekt zur Entwicklung indigener Völker in Ecuador der Weltbank, hinsichtlich des Projektes zur Stärkung indigener Organisationen im Amazonasgebiet der GTZ und auf das von mir begleitete Projekt zur Förderung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit in der Provinz Napo angewandt werden.
2.3 Aktionsethnologie
Die „Aktionsethnologie“ hat es sich zum Ziel gesetzt, das Leben benachteiligter Gruppen, wie z.B. das der indigenen Völker in Lateinamerika, die nicht der power arena angehören, zu verbessern, ohne, wie die „Entwicklungsethnologie“, mit den Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit zu kooperieren. Sie will die selbstbestimmte Entscheidung dieser Gruppen fördern, indem sie eine nicht richtungsgebende Beratung durchführt, die verschiedene Wahlmöglichkeiten zur Problembewältigung aufzeigt. Die Gruppe bestimmt selbst, welche Defizite bestehen und welche Lösungsansätze verwirklicht werden sollen (Prochnow 1996:29f). In Lateinamerika haben Ethnologen dabei z.B. in den 1970er Jahren versucht, indigene Völker in der Durchsetzung ihrer Rechte und in Bezug auf ihre „selbstbestimmte Entwicklung“ zu unterstützen (Gardner 1996:46-48). Für die „Aktionsethnologie“ ist es sehr wichtig, die vorhandenen Interessengegensätze innerhalb der „Dritten Welt“ zu berücksichtigen, da in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Lokal- und Untergruppen, Randgruppen und Minderheiten oftmals nicht erreicht werden. Antweiler sieht deshalb in der Aktionsethologie einen ergänzenden Ansatz für die „Entwicklungsethnologie“, da für sie diese Gruppen die Auftraggeber stellen (Prochnow 1996:30f; Antweiler 1987:41). Diese Richtung wurde in Lateinamerika vor allem von Bonfil Batalla, Stavenhagen u.a. vertreten, die das regionalspezifische Konzept des etnodesarrollo,[47] das eine selbstbestimmte Entwicklung indigener Völker in Lateinamerika ermöglichen sollte, in den 1960er und 1970er Jahren entwickelten (Alverson 1990:4; Esteva 2000:70; Mires 1991:206; Willis 2005:123).
Diese knappe Darstellung der wissenschaftlichen Diskussion über den Gegenstand der Ethnologie und Entwicklungszusammenarbeit soll als Basis für das Verständnis der weiteren Arbeit gesehen werden. Die Frage, ob Ethnologen direkt an der staatlichen „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern“ teilnehmen sollten, wird in Lateinamerika bereits seit sehr langer Zeit gestellt. Vertreter unseres Faches traten zum Teil als Vermittler und Unterstützer staatlicher Integrationsprogramme auf Andere bemühten sich in den 1970er Jahren als Fürsprecher der indigenen Gemeinden deren Rechte durchzusetzen. Indigene Völker wurden dabei zunächst als Objekt der ethnologischen Wissenschaft und der staatlichen sowie nichtstaatlichen Entwicklungsprojekte gesehen. Im Zuge des Entstehens indigener Organisationen und ihrer lautstarken Forderungen sind sie jedoch mittlerweile zum Subjekt ihrer eigenen Entwicklung geworden.
3 Indigene Völker in Lateinamerika: Vom Objekt zum Subjekt
Demographische Angaben über die Anzahl der Indigenen variieren sehr stark, indigene Organisationen geben meist höhere Schätzwerte als die offiziellen Zensusdaten an. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass meist die „weiße“ oder „mestizische“ Mehrheitsgesellschaft[48] daran interessiert ist, diese Zahl niedrig zu halten.[49] Es ist gleichwohl während der 1990er Jahre eine große Zunahme der indigenen Bevölkerung festgestellt worden, was zum Teil damit zusammenhängen könnte, dass es mittlerweile bestimmte Vorteile mit sich bringt, sich als „indigen“ zu bezeichnen, wie z.B. die verfassungsmäßig festgelegte Möglichkeit, Landrechte zu erwerben. Die Definitionen und Selbstbezeichnungen variieren in großem Maße. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass zwischen 8-12%, also zwischen 40 und 50 Millionen Personen der lateinamerikanischen Bevölkerung einer indigenen Gruppe angehören. Diese bilden etwa 400 verschiedene ethnische Gruppen und Völker, in denen zwischen 700 und 917 verschiedene indigene Sprachen gesprochen werden (GTZ/KIVLAK 2004 b:6; Ewen 1995:115; Inwent 2005:9; Ströbele-Gregor 2004 a:1; Stavenhagen 1992:66). Die Länder mit dem größten Anteil indigener Bevölkerungsgruppen sind Bolivien, Guatemala, Peru und Ecuador. In Mexiko leben anteilsmäßig auf die Gesamtgesellschaft bezogen zwar weniger Indigene als in den vorher genannten Ländern, diese bilden dennoch die Mehrheit der indigenen Bevölkerung in ganz Lateinamerika (Inwent 2005: 8; Stavenhagen 1992:64; Ströbele-Gregor 2004 a:1). Auch heute noch lebt der Großteil der indigenen Völker auf dem Land, aber viele leben auch zunehmend temporär oder permanent in den Städten, weshalb Entwicklungsprojekte auch diese in den Städten lebenden indígenas berücksichtigen sollte (Ströbele-Gregor 2004 a:1).
Karte: Indigene Völker in Südamerika
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Barié 2004
Seit den 1980er Jahren traten indigene Völker in Lateinamerika als politische Akteure, die sich im Sinne neuer ethnisch organisierter politischer Subjekte als Völker (pueblos) und Nationalitäten (nacionalidades) etc. definieren, ins Rampenlicht. Auf internationaler Ebene haben sie dadurch einige wichtige Veränderungen erreicht und teilweise auf nationaler Ebene eingeleitete Reformen und Verfassungsänderungen[50] mit beeinflusst (BMZ 2006:9; Stavenhagen 1997b:17; Speiser 2004:30; Ströbele-Gregor 2004 a:1). Auch während der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit gab es eine Art indigenen Widerstand, der jedoch nicht auf der indigenen bzw. ethnischen Identität beruhte, sondern sich vor allem auf das wirtschaftliche Ausbeutungsverhältnis bezog. Erst in den 1960er Jahren kam es zur Gründung ethnisch basierter Organisationen im Amazonastiefland; im Hochland wurde der ethnische Aspekt erst in den 1970er Jahren stärker betont. Vorher organisierten sich die indígenas in politisch links ausgerichteten Bauernorganisationen (Stroebele-Gregor 2004 b:164). Der Legitimationsverlust der linken Parteien und eine zunehmende Tendenz, Konflikte weltweit immer stärker in ethnischen, nationalistischen und religiösen Legitimationsdiskursen zu begründen, führte auch in Lateinamerika zu einer Bedeutungszunahme der ethnisch-politischen Organisationen, ihrer Konstruktion von indigener Identität und von „Ethnizität“ als Legitimationsargument für ihre sozialen, kulturellen und politischen Forderungen (Dove 2006:192). Diese Verbände haben in einigen Ländern wie z.B. Bolivien und Ecuador einen beträchtlichen Mobilisierungsgrad erreicht (Ströbele-Gregor 2004a:20). Die bestehenden indigenen Organisationen sind sehr vielfältig und übernehmen die unterschiedlichsten Aufgaben wie z.B. die reine politische Repräsentation, aber auch die Durchführung von sozialen Entwicklungsprojekten etc. Es bestehen Organisationen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, wobei die Koordinationsorganisation der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens (COICA[51] ) eine der ersten international anerkannten indigenen Organisationen darstellt (BMZ 2006:10; Stavenhagen 1997 a:63; Ströbele-Gregor 2004a:20). Vertreter indigener Organisationen sind mittlerweile weitgehend zu Subjekten ihrer eigenen Entwicklung[52] geworden, was sie zum Teil der internationalen Unterstützung[53] und den Veränderungen auf nationaler Ebene zu verdanken haben (BMZ 2006:12f; Oliva Martínez 2005:250-255; Ströbele-Gregor 2004 a:20). Jorge Uquillas bestätigt dies in folgendem Zitat:
“The increasing participation of indigenous peoples in politics has been closely related to the emerging international standards of indigenous rights and sustainable development” (Uquillas 2006:16).
Bereits in den 1970er Jahren wurde den Belangen indigener Völker, vor allem denen der Tieflandindianer, wie z.B. den im Amazonasbecken lebenden Indigenen, vermehrt internationale Aufmerksamkeit geschenkt. Ausdruck fand diese zunächst in der ersten Konferenz von Barbados 1971, die vor allem von Ethnologen und Kritikern des bis dahin vorherrschenden Integrationsgedankens[54] besucht wurde. Die im Zuge dieser Konferenz verabschiedete Deklaration verfolgte das Ziel, das Recht indigener Völker, sich selbst zu organisieren und sich nach ihren eigenen kulturellen Eigenheiten zu verhalten, zu verteidigen. Gleichzeitig sollten die Staaten sich dazu verpflichten, dieses Recht zu garantieren und ihnen gleiche Behandlung sowohl im wirtschaftlichen, sozialen als auch in gesundheitlichen Bereich zukommen zu lassen. Auch sollte gewährleistet sein, dass sie nicht mehr Opfer von Ausbeutungsprozessen würden. 1977 kam es zu einer weiteren Konferenz in Barbados, auf der ähnlich viele indigene Vertreter aus aller Welt anwesend waren wie Ethnologen. Diese indigenen Vertreter haben danach zahlreiche eigene Konferenzen organisiert, auf denen sie ihre eigenen „indianistischen Diskurse“[55] weiterentwickelten. Es kam daraufhin zu einer international geführten Diskussion über den oftmals negativen Einfluss von Entwicklungsinstitutionen auf die Lebensumstände von indigenen Völkern (Alcina Franch 1990:13; Oliva Martínez 2005:200; Speiser 2004:29; Ströbele-Gregor 2004 a:5).
Das bis heute noch immer wichtigste rechtliche Instrument auf internationaler Ebene zur Durchsetzung indigener Rechtsansprüche, z.B. zur Durchsetzung von Selbstbestimmungsrechten, eigenen Entwicklungsprioritäten, Territorialrechten etc. und zum Erhalt politischer, sozialer und wirtschaftlicher Systeme indigener Völker, ist die ILO-Konvention 169[56] von 1989, die die auf Integration ausgerichtete ILO-Konvention 107[57] von 1957 ablöste. Die Konvention hat dazu beigetragen dass viele Staaten, die sie ratifiziert haben, auch ihre Indigenismus-Politiken[58] verändert haben. Auch Staaten, die nicht ratifiziert haben, wurden durch die Konvention in der Gestaltung ihrer Politik mit indigenen Völkern beeinflusst (Klima-Bündnis 2004:3; Oliva Martínez 2005: 233; Ströbele-Gregor:7; Speiser 2004:31).
Auf der UN-Ebene kam es in der vierten Entwicklungsdekade[59] (1991-2000) zu einem umfassenden Paradigmenwechsel, weg vom modernisierungstheoretischen und unidirektionalen Fortschrittsgedanken hin zur nachhaltigen und sozialen Entwicklung[60] sowie einer stärkeren Betonung der wichtigen Bedeutung kultureller Aspekte für eine nachhaltige Entwicklung (Bliss 2000:89; Deruyttere 2001: 8; Oliva Martínez 2005: 206; Rew 1997:83; Stavenhagen 1986:76). Erst durch diesen Wandel konnten die so genannten „Zielgruppen“[61] und ihre sozio-kulturellen Potentiale in den Blick geraten, und als Reaktion auf diesen Paradigmenwechsel hat z.B. das deutsche Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterschiedliche sektorübergreifende Konzepte,[62] wie z.B. das Partizipationskonzept verabschiedet, die eine „nachhaltige Entwicklung“ ermöglichen sollen (Speiser 2004:29). Eine wichtige Rolle spielten hierbei ebenfalls die Gedenkfeierlichkeiten zur Erinnerung an die vor 500 Jahren stattgefundene Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier (1992), die von vielen indigenen Völkern Lateinamerikas im Sinne ihres Mottos „500 Jahre Widerstand“ mit gestaltet wurden. Als Reaktion darauf und auf die Ausrufung der ersten UN-Dekade für indigene Völker von 1995 bis 2004 wurde unter anderem das Konzept zur Zusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika von 1996 vom BMZ[63] und sehr viele weitere entsprechende Konzepte von bilateralen und multilateralen Organisationen, wie z.B. der EU 1998, Spanien 1997[64] etc., verabschiedet (AECI 1998; BMZ 1999; Oliva Martínez 2006: 362-368; Speiser 2004:29; Ströbele-Greogor 2004 c). Diese sind zum Teil bereits evaluiert und überarbeitet bzw. neu verabschiedet worden. Die Weltbank hatte als erste multilaterale Entwicklungsorganisation bereits 1982 eine Richtlinie zur Zusammenarbeit mit indigenen Völkern erarbeitet, um negative Effekte von großen Projekten zu verhindern. Diese wurde Ende der 1980er evaluiert und 1991 und 2005 verändert (BMZ 1999:6; Weltbank 1991; 2005). Diese Konzepte versuchen, einerseits die negativen Effekte der Entwicklungszusammenarbeit auf indigene Völker zu minimieren und sie im besten Fall im Sinne eines „freien, frühzeitigen und informierten Konsens“ (prior informed consent) an den Entwicklungsvorhaben zu beteiligen (BMZ 2006:15; Speiser 2004:42).[65]
Trotz dieser Erfolge haben sich die realen Lebensbedingungen der indigenen Völker kaum verbessert und ihre Interessen werden nach wie vor nur zu einem geringen Teil berücksichtigt (Ströbele-Gregor 2004 a:1). Der Großteil der noch immer vielfach auf dem Land befindlichen indígenas lebt laut einer Weltbankstudie für den Zeitraum 1995-2004 in extremer Armut und verdient weniger als einen Dollar pro Tag.[66] Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Bestimmung der Armutsgrenze nicht nur auf dem geringen Einkommen basiert, sondern auch auf sozialen Kriterien, wie z.B. dem Zugang zu Schulbildung oder Krediten etc.. Auch ist darauf hinzuweisen, dass sich viele der indigenen Völker nach ihrem subjektiven Empfinden nicht als „arm“ einstufen würden (Hall 2005 2f; Speiser 2004:43; Ströbele-Gregor 2004a:8). Dennoch ist aufgrund dieser „negativen“ Situation eine Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der indigenen Völker zu rechtfertigen, insbesondere, da z.B. im Zuge der Vorbereitungen des Projekts zur Entwicklung indigener Völker in Ecuador von der Weltbank, auf welches in Kapitel 4.1 vertiefend eingegangen wird, festgestellt wurde, dass generelle Armutsbekämpfungsprogramme die „besondere Situation“ der indigenen Völker nicht verbessert haben.
Die Behandlung der indigenen Völker in Lateinamerika durch staatliche Entwicklungsinstitutionen war für sie nicht immer vorteilhaft und hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Auch haben Ethnologen zum Teil eine sehr gewichtige und aus heutiger Sicht sehr zweifelhafte, durchaus „entwicklungsethnologische“ Rolle in diesem Zusammenhang eingenommen. Um die historischen Entwicklungen und die Veränderungen auf politischer Ebene, aber auch im Kreise der ethnologischen Wissenschaft, sowie die teilweise sehr starke Ablehnung indigener Organisationen gegenüber der Zusammenarbeit mit Vertretern dieses Faches verstehen zu können, werde ich im Folgenden die verschiedenen Entwicklungsparadigmen seit der denkwürdigen Konferenz von Páztcuaro/Mexiko 1940, der Geburtstunde des offiziellen, klassischen Indigenismus, nachzeichnen.
Dabei können diese Entwicklungen in vier Phasen eingeteilt werden. In der ersten Phase des klassischen Indigenismus von 1940-1955 wurde versucht, das Ziel der Integration in die Mehrheitsgesellschaft vor allem durch Bildungs- und Alphabetisierungsprogramme zu erreichen. In der Zeit zwischen 1955-1975 wurde vor allem versucht, die Anbautechniken der indígenas durch technische Hilfe in Gemeindeentwicklungsprojekten zu „modernisieren“. Nachdem in den 1970er Jahren klar wurde, dass durch die indigenistischen Bemühungen keine Verbesserung, sondern eher eine Verschlechterung der Lebenssituation der indigenen Bevölkerung erreicht worden war, begannen die Indigenen, ihre alten Anbauweisen und Organisationsformen zu revitalisieren und als Alternative für vorhergehende Entwicklungsprojekte zu präsentieren. Diese Entwicklung wurde von den Theoretikern des Neoindigenismus (dritte Phase) aufgenommen, und man ging nun davon ausgegangen, dass diese „traditionellen“ Elemente ein großes Potential für die „indigene Entwicklung“ hätten, was zu einer neuen Aufwertung der indigenen Kultur im Konzept des etnodesarrollo führte. Aus der Unterstützung der Theoretiker des Neoindigenismus haben indigene Intellektuelle ihre indianistischen Forderungen ab den 1980er Jahren (vierte Phase) abgeleitet, die letztendlich eine „selbstbestimmte und autonome Entwicklung“ der indigenen Gemeinden postulieren und damit die indigenen Völker zum „Subjekt“ ihrer Entwicklung gemacht haben (Arze Quintanilla 1990:21-29; Stavenhagen 1997 a:62).
3.1 Klassischer Indigenismus: Hauptziel Integration
Schon seit der Eroberung durch die Spanier und Portugiesen wurde die indigene Bevölkerung ausgegrenzt und marginalisiert oder im Gegenteil zwangsintegriert und assimiliert.[67] Während dieser Zeit bestand eine strikte Trennung zwischen den Gruppen innerhalb des Kolonialstaates, die nach als ethnisch empfundenen Gesichtspunkten eingeteilt wurden (Europäer, Kreolen, Indianer und Schwarze). Diese tiefe Spaltung innerhalb der Kolonialgesellschaft spiegelte sich in den Konstrukten der „Republik der Spanier“ und der „Republik der Indios “ wieder (Ströbele-Gregor 2004 a:2). Bis zur Unabhängigkeit lebten die indios zum Teil relativ autonom und konnten ihre politischen, sozialen und rechtlichen Vorstellungen innerhalb ihrer Gemeinden umsetzen. Nach der Unabhängigkeit wurden die indígenas zwar formell als Bürger anerkannt, aber aufgrund dessen gleichzeitig ihrer Sonderrechte entledigt und weiterhin ausgebeutet. Eine staatlich gelenkte Integrationspolitik, wie Mitte des 20. Jahrhunderts gab es jedoch zu dieser Zeit nicht (Kuppe 2002:106).
Der klassische „integrationistische“ Indigenismus bzw. die nordamerikanische Tradition der Entwicklungssoziologie wurde von Nordamerika auf Mexiko und von dort auf ganz Lateinamerika übertragen (Gabbert 2007:114f): In den 1930-er Jahren fing die US-amerikanische Regierung an, sich für die indigene Bevölkerung in ihrem Land zu interessieren. Diese befand sich, so wurde festgestellt, in einer Situation der Armut und Marginalisierung, die durch indigenistische Politiken verbessert werden sollte. Diese Politikansätze waren von vornherein stark mit der Tradition einer angewandten Ethnologie verbunden. Es wurde das Department of Indian Affairs gegründet, welches von dem Kulturanthropologen John Collier als Hochkommissar geleitet wurde. Von dieser Institution aus wurden Bande mit mexikanischen Beamten geschlossen, die letztendlich während des ersten Indigenistenkongresses 1940 in Pátzcuaro zur Gründung des Interamerikanischen Indigenisteninstituts (III) geführt haben. Das III sollte die unterschiedlichen nationalen Bemühungen zur „Verbesserung“ der sozialen Lage, in der sich die indigene Bevölkerung befand, koordinieren (Medina 2000:71; Stavenhagen 1997 a:62). Der seitdem betriebene offizielle Indigenismus beschreibt eine:
„[…] Politik, die darauf gerichtet war, die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerungen des Kontinents zu verbessern, vornehmlich durch Maßnahmen, die darauf abzielten, diese zu assimilieren oder in die sog. Nationale Mehrheitsgesellschaft zu integrieren“ (Stavenhagen 1997b:16).
Wie bereits oben angedeutet, wurde diese Politik international von der ILO-Konvention 107 „über den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Staaten“ unterstützt (Kuppe 2002:110).
Die Bemühungen und theoretischen Überlegungen des integrationistischen Indigenismus hatten durchaus positive Absichten. Zwei Zeitzeugen geben einen Einblick in das Denkschema der damaligen Theoretiker: Manuel Gamio, Sozialanthropologe und einer der Hauptvertreter des klassischen Indigenismus (Alcina Franch 1990:11; Medina 2000:69; Mires 1991:14), war der Meinung, dass es die Aufgabe des III sei, die Bedürfnisse und biologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse der indigenen Gruppen, die auf der niedrigsten Stufe der Evolution „[…] vor sich hin vegetierten […]“, zu befriedigen und ihnen somit eine „[…] Behandlung zur sozialen Verbesserung […]“ angedeihen zu lassen (Gamio 1966:3). Agusto Beteta, ein weiterer Vertreter des klassischen Indigenismus, beschrieb die indigenen Gesellschaften als Bauerngesellschaften, deren Anbauweisen und Arbeitsweisen etc. sehr ineffektiv seien. Eine Ansammlung vieler indígenas sei als Hemmnis für den gewünschten Fortschritt zu sehen, auch wenn er den „Wert“ der Indigenen ihrer „billige Arbeitskraft“ sah. Er geht so weit, die Indigenen mit einem „unvollkommenen“ Auto zu vergleichen, das weder Räder noch einen Fahrer hat (Beteta 1947:166). Seiner Meinung nach sollten die indígenas ihre Bereitschaft zur „[…] Überwindung der rückständigen Kultur […]“ zeigen (Ebd.:168).
„Dieses Entwicklungsparadigma ging [also][68] davon aus, daß die Integration in die nationale Gesellschaft im ureigensten Interesse der indigenen Völker selbst liege“ (Deruytterre 1997:46).
„Entwicklung“, im Sinne der Modernisierungstheorie, wurde als Möglichkeit gesehen aus der „indigenen Kondition“ auszubrechen (Esteva 2000:69f).
Das Ziel der Integration basierte demnach auf der theoretischen Überlegung, dass die indigenen Völker politisch, ökonomisch und kulturell marginalisiert seien, weshalb es notwendig sei, diese in das moderne Leben zu integrieren und sie in Begünstigte des Prozesses der „fortschrittlichen Entwicklung“ zu verwandeln (Oliva Martínez 2005:174f). Es wurde verallgemeinernd von dem „indigenen Problem“ gesprochen, und die indigene Bevölkerung wurde zum Teil schlechthin als „Problemgruppe“ dargestellt (Viola 2000:20). Dabei gab es verschiedene Erklärungsansätze für die als sehr „negativ“ empfundene so genannte „Rückständigkeit“ der Indigenen (Stavenhagen 1997a:62).
Die kulturalistische Erklärung des „indigenen Problems“, so Stavenhagen, habe sich auf den kulturellen Unterschied, der die indigenen Gemeinden von der nationalen Kultur (mestizische Mehrheitsgesellschaft) unterscheidet, konzentriert (Stavenhagen 1992:87). Indigene Kulturen seien als kulturelle Verirrung verstanden worden, die von der gewünschten Norm abwichen. Die indigene Bevölkerung sei als marginalisiert und nicht integriert wahrgenommen worden, was auf ihre kulturell unterlege politische, soziale und wirtschaftliche Organisation zurückzuführen sei. „Das Indigene“ wurde dabei gleichgesetzt mit dem „Traditionellen“, „Archaischen“, „Kleinen“, „Einfachen“, „Lokalen“ und „Primitiven“, wobei die nationalen Kulturen für „Fortschritt“, „Entwicklung“, „Modernität“ und „Zivilisation“ standen. Ziel des Indigenismus war es, durch einen Prozess der „Akulturation“ soziale Veränderungen zu erreichen, die die Indigenen nach und nach in Mestizen verwandeln sollten. Es wurde von ihnen verlangt, dem Imperativ der sozialen Integration zu folgen (Stavenhagen 1992:88). Die indigenen Kulturen sollten nach der Meinung Manuel Gamios jedoch weder vollständig eliminiert noch vollständig erneuert und von indigenen Elementen „gesäubert“ werden, da beides fatale Folgen für die Personen, denen die indigenistische Politik zu helfen versuchte, hätte (Gamio 1966:13). Zudem sei es eine Tatsache, dass beide - sowohl die indigenen als auch die nicht-indigenen Kulturen - ihre „Vor- und Nachteile“ hätten. Die indigenen Kulturen seien naturverbunden, spontan und pittoresk. Sie hätten sich über Millionen von Jahren hinweg unter dem Einfluss ihrer Umwelt entwickelt. Aber genau diese Umwelt habe nicht zu einer „Entwicklung“ moderner Mittel geführt, die für die heutige moderne Welt von Nöten seien. Die Mittel, die die indigenen Kulturen hervorgebracht hätten, seien nicht in der Lage, die Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu befriedigen. Ein Beispiel hierfür seien die „primitiven“ Techniken und „fehlerhaften“ Werkzeuge, deren Gebrauch den wirtschaftlichen Fortschritt verhindert hätte. Diese Situation sei durch die Einführung moderner Produktionstechniken zu „korrigieren“ (Gamio 1966:13f). Gamio sieht dennoch in den indigenen Kulturen, mit ihren, seiner Meinung nach, schönen Traditionen und hochwertigen ethnischen Manifestationen - anders als die „negativen“ Elemente der nicht-indigenen Kulturen wie z.B. der Individualismus - die unverfälschte Basis fast aller lateinamerikanischen Nationalkulturen. Weitere „negative“ Elemente der nicht-indigenen Kulturen seien politische Korruption, Drogen, Alkohol, Entfernung von der Natur etc.. „Positive“ Elemente, wie die als sehr fortschrittlich eingestufte Wissenschaft überwiegen seiner Meinung nach jedoch die „negativen“ Elemente. Gamio war von der Idee einer Vermischung, der jeweils „positiven“ Elemente der beiden Kulturen hin zu einer Einheitskultur (mestizaje) fasziniert (Gamio 1966:14f).
[...]
[1] In dieser Magisterarbeit spreche ich von den „Ethnologen“ und verstehe darunter sowohl männliche als auch weibliche Vertreter des Faches Ethnologie. Auch andere von mir verwendete „männliche“ Formen - z.B. der Gesprächspartner - verstehe ich als „neutral“ bzw. als „weibliche“ Vertreter einschließend.
[2] Im Laufe dieser Arbeit werde ich die Begriffe „indigene Völker“, „Indigene“ und den im lateinamerikanischen Raum von den Indigenen selbst verwendeten Begriff der indígenas synonym verwenden.
[3] Bei diesem spanischen Begriff für „indigene Völker“ handelt es sich sowohl um eine Fremd- als auch eine Eigenbezeichnung. In Ecuador wurden in der Verfassung von 1998 die ethnischen Organisationsformen als pueblos und nacionalidades (Nationalitäten) anerkannt. Siehe hierzu Kapitel 3.1.
[4] International Labour Organization.
[5] United Nations.
[6] Siehe Kapitel 3.
[7] Der Meinung Greens, Harris und Vivelos folgend verstehe ich Kultur als dynamisches Konzept. Kultur beschreibt demnach die Gesamtheit der „Lebensweisen“ eines Volkes und funktioniert gleichzeitig als Anpassungsmechanismus, der die Gesamtheit aller Arten und Weisen einer Gesellschaft und ihre Beziehung zur Umwelt und sich selbst organisiert. Kultur ist demnach kein Attribut der Menschen, die dieses besitzen, sondern es handelt sich um ein Projekt, das von den Menschen bearbeitet und konstruiert wird. Kultur ist ständig Veränderungen unterworfen und von der geschichtlichen Entwicklung der Gruppe abhängig. Der Mechanismus der Enkulturation, das heißt der Prozess, über den bestehende Handlungsmechanismen gelernt werden, beschreibt dabei die gleichzeitig zum Wandel bestehende Kontinuität einer Kultur (Green 2003: 6; Harris 1989:23; Vivelo 1995:50f).
[8] Nongovernmental Organization.
[9] Damit meine ich sowohl die entwicklungspolitischen Bemühungen innerhalb der lateinamerikanischen Länder als auch diejenigen internationaler Organisationen wie der Weltbank etc..
[10] Siehe Kapitel 3.3.
[11] Den Begriff der „Indigenität“ bzw. den englischen Begriff der indigeneity habe ich von Michael Dove (2006) bzw. Bräuchler und Widlock (2007) übernommen.
[12] Siehe hierzu das Buch: „Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit“ (GTZ/KIVLAK 2004 a)
[13] Ich möchte hier nicht die verschiedenen Definitionen und die Diskussion über die jeweiligen Gültigkeiten wiederholen. Dafür verweise ich auf: Dove 2006; Oliva Matrínez 2005 etc.
[14] Im Wörterbuch der Völkerkunde wird eine „emische“ Kategorie wie folgt definiert: „Als emisch werden solche Merkmale und Konzepte bezeichnet, die in der untersuchten Kultur bedeutungsunterscheidend wirken bzw. nur für diese eine spezifische Bedeutung haben […]“ (Hirschberg 1999:92). Es handelt sich demnach um eine so genannte „Innenansicht“.
[15] Natürlich kann diese Art der „Teilnehmenden Beobachtung“ nicht mit der klassischen Methode der Ethnologie aufgewogen werden, da ich mich nur relativ kurz im Feld aufgehalten habe und somit kaum die erste explorative Phase überschreiten konnte. Dennoch konnte ich, aufgrund meines Aufenthaltes, einen Einblick in die Arbeit der GTZ in Ecuador und insbesondere in die Arbeit mit indigenen Völkern in einem nicht speziell auf sie zugeschnittenen Projekt erlangen.
[16] Siehe Kapitel 5.
[17] Ich habe mich stets als Ethnologiestudentin vorgestellt und verdeutlicht, dass ich die in den Gesprächen gewonnen Daten in meiner Arbeit bei der GTZ und auch später in der Magisterarbeit verwenden würde. Diese Offenheit hat in keinem Fall zu einer Zurückhaltung von Seiten meiner Gesprächspartner geführt.
[18] Es ist mir meistens nicht möglich gewesen, mehrfach mit den jeweiligen Interviewpartnern in Kontakt zu treten, weshalb ich hier den eher „passiv“ klingenden Begriff der „Respondenten“ verwende.
[19] Die Auswertungstabelle befindet sich im Anhang.
[20] Ich werde fortan den Begriff Entwicklungszusammenarbeit verwenden, der den alten, einseitig wirkenden Begriff der Entwicklungshilfe ersetzt. Dabei verstehe ich unter Entwicklungszusammenarbeit eine Kooperation zwischen Partner(-länder)n.
[21] In dieser Magisterarbeit spreche ich nahezu ausnahmslos von Ethnologie und der Arbeit von Ethnologen, auch im lateinamerikanischen Kontext. Es ist mir bewusst, dass die Ausrichtungen dieses Faches und die Bezeichnungen in den verschiedenen Ländern sowie zwischen den Kontinenten variieren. Auch ist mir bewusst, dass das Verständnis über das, was in den verschiedenen Studiengängen im Bereich der Cultural Anthropology bzw. Antropología Social gelernt werden sollte über das der deutschsprachigen Ethnologie hinaus geht, dennoch habe ich mich aus Gründen der Praktikabilität dazu entschieden, diese Begriffe als Synonyme Ethnologie zu verstehen.
[22] Gemeint ist hierbei zum einen die Teilnahme von amerikanischen Ethnologen am Camelot-Projekt, bei dem diese sich mit Kenntnissen über die japanische Kultur indirekt an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten und zum anderen die von US-amerikanischen und lateinamerikanischen Ethnologen unterstützten Gemeinschaftsentwicklungsprojekte der Misión Andina im Andenraum, bei denen versucht wurde, den Indigenen eine „effizientere“ Wirtschaftsweise beizubringen (Oliva Martínez 2005:187).
[23] Vergleiche hierzu auch die Bände 1-3 der „Ethnologischen Beiträge zur Entwicklungspolitik“.
[24] Mir ist bewusst, dass der Begriff der „Tradition“ und der „traditionellen“ Werte im Sinne eines statischen Kulturbegriffes verstanden werden kann. Dennoch ist auf der Basis des in der Fußnote zum Begriff der Kultur (siehe Einleitung) beschriebenen Prozesses der „Enkulturation“, eine, wenn auch wandelbare, Konstruktion von Kontinuität anzunehmen. „Traditionen“ werden hierbei zwar im Sinne geschichtlicher Kontinuität verstanden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht ebenfalls stets Produkt der kontinuierlich stattfindenden Konstruktions- und Re-Konstruktionsprozesse innerhalb der indigenen Gemeinden sind. Vielfach findet ein Rückgriff auf „Traditionen“ statt, um bestimmte politische oder auch wirtschaftliche Ansprüche durchzusetzen bzw. zu rechtfertigen (Bräuchler und Widlock 2007:7).
[25] Spanische Zitate werden im Anhang 2 übersetzt.
[26] Ich übernehme hier die Meinung von Cernea (1995), dass nicht nur Ethnologen sinnvoll in Entwicklungsprojekten eingesetzt werden können, sondern etwa auch Soziologen. Diese sollten ergänzend tätig werden. Es ist jedoch offensichtlich, dass ein Agraringenieur nicht die gleiche Arbeit in der Analyse der sozialen und kulturellen Gegebenheiten leisten kann, wie ein Ethnologe, Soziologe oder Politologe.
[27] Das neue Programm zur Förderung indigener Organisationen in Lateinamerika arbeitet in drei thematischen Netzwerken und in der gesamten Region Lateinamerikas. Wenn bei der Konzeption dieses Programms Ethnologen tätig wurden, dann mussten sie sich überregional auskennen und teilweise zu Verallgemeinerungen greifen, die dem Fach der Ethnologie im Grunde fremd sind.
[28] Grundsätzliche Vorurteile gegenüber Ethnologen in der Entwicklungszusammenarbeit können bei Schönhuth 1998 auf Seite 14 nachgelesen werden.
[29] Ursprünglich war dies militärischer Begriff, der jedoch von der Entwicklungszusammenarbeit aufgenommen wurde (Bliss 2000).
[30] Es bestand lange Zeit eine Tendenz der Entwicklungsinstitutionen und Regierungen, „Entwicklungsobjekte“, ausgehend von sozialen Kategorien wie z.B. die der „Zielgruppe“ der indigenen Völker, homogenisierend zu konstruieren und zur Lösung „des Problems“ standardisierte Instrumente zu verwenden. Diese „Projektgruppen“ bzw. „Zielgruppen“ sind nicht unbedingt historisch bzw. natürlich gewachsenen Gruppen, sondern zum großen Teil werden sie von außen konstruiert (Grillo 1997:20). Das heißt, die Entstehung der neuen indigenen politischen Organisationen ist auch Ergebnis der Anforderungen der Entwicklungspolitik.
[31] Eine meiner Interviewpartnerinnen war Ethnologin und gleichzeitig Gutachterin für die GTZ und auch für die Weltbank, insbesondere im Bereich der zweisprachigen und interkulturellen Erziehung indigener Völker.
[32] Das Projekt, welches ich unter Punkt 3.1.1 analysieren werde, ist von Sozialwissenschaftlern (sowohl Ethnologen als auch Soziologen) geleitet worden.
[33] Für weitere Informationen möchte ich auf die Homepage der AGEE verweisen: http://www.entwicklungsethnologie.de/
[34] Arturo Escobar ist ein wichtiger Vertreter des Standpunktes, dass Ethnologen nicht direkt an der Entwicklungszusammenarbeit mitwirken sollten, da sie dadurch nur alte und auch neue hegemoniale und kolonialisierende Entwicklungsdiskurse bestätigen würden (1991; 1995).
[35] Eine weitere Einteilung nimmt Michael Schönhuth in seinem Artikel: Entwicklungsethnologie in Deutschland vor. Er teilt die Entwicklungsethnologie in die 1) politisch-normative Position, die 2) akademisch-wertfreie Position und die 3) pragmatisch-berufsorientierte Position ein (1998:16f).
[36] Aus meiner Sicht ist eine ethnologische bzw. sozialwissenschaftliche Analyse immer sinnvoll. Auch wenn mit „nicht indigenen“ Personen zusammengearbeitet wird, kann man nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass diese nicht ebenfalls kulturelle Dynamiken aufweisen, die denen der Projektplaner nicht entsprechen.
[37] Aus „emischer“ Sichtweise nicht indigene Elemente.
[38] Ethnizität wird im Wörterbuch der Ethnologie wie folgt definiert: „Ethnizität bezeichnet den Prozess der kulturellen Differenzierung von Bevölkerungsgruppen in Form der Selbst- und Fremdzuschreibung […]“ (Hirschberg 1999:100).
[39] Ethnozentrismus beschreibt die Wahrnehmung der eigenen Gruppe als Zentrum aller Dinge. Von dieser Konstruktion einer „Wir-Gruppe“ ausgehend, distanzieren sich die Mitglieder dieser Gruppe von anderen fremden Gruppen und werten diese gleichzeitig im Vergleich mit der eigenen Gruppe ab (Hirschberg 1999:112).
[40] Holismus, also eine ganzheitliche Betrachtungsweise, ist ein sehr wichtiges Konzept der Ethnologie, da es oft nicht ersichtlich ist, warum die untersuchte Bevölkerung bestimmte wirtschaftliche Entscheidungen trifft, wenn man nicht weitere Aspekte der Kultur berücksichtigt (Nolan 2002:14).
[41] Kulturrelativismus ist eines der wichtigen Konzepte der Ethnologie. Die Ethnologie versucht im Sinne eines Kulturrelativismus normative Betrachtungsweisen von Kultur zu vermeiden und diese wertneutral zu beschreiben. In vielen EZ-Projekten wird über die Kultur der „Zielgruppe“ abwertend gesprochen. In Napo sprachen sowohl die EZ-Experten als auch die Anwohner Napos und sogar die politischen Amtsträger der indigenen Organisationen von einer fehlenden „Sparkultur“ der Kichwa, die dazu führe, dass viele der wirtschaftlichen Projekte gescheitert seien. Auch fehlende Sprachkenntnisse wurden bemängelt. Durch die Annahme, dass ein kulturelles Element wie die „fehlende Sparkultur“ und fehlende Sprachkenntnisse zum Scheitern eines Projektes beitragen, werden kulturelle Eigenheiten der Kichwa abgewertet.
[42] Siehe hierzu Kapitel 2.1.
[43] Ethische Richtlinien der AGEE sind in Bliss (1996) nachzulesen.
[44] Viele der Autoren, wie Arturo Escobar orientieren sich am theoretischen Rahmen der Diskursanalyse in Anlehnung an Foucault (1972) (Escobar 1995:216). Einfach erklärt, legt ein Diskurs über Entwicklung die angemessenen und legitimen Arten der Entwicklungspraxis und der Art und Weise, wie über Entwicklung gesprochen und gedacht werden sollte, fest (Grillo 1997:12).
[45] Arturo Escobar ist der Meinung, dass der Entwicklungsdiskurs im Sinne der Modernisierungstheorie von 1945-55 nie wirklich abgelöst wurde und sich stattdessen nur nach und nach an die Umstände angepasst hätte (Escobar 1995:42) Katy Gardner hingegen ist der Meinung, dass Escobar zu pessimistisch sei (Gardner 1996:103f).
[46] Eine tiefgehende Diskursanalyse kann an dieser Stelle nicht geleistet werden.
[47] Ich werde in dieser Arbeit das ursprünglich spanische Wort etnodesarrollo benutzen, welches zwar ins Englische übersetzt wurde (ethnodevelopment), aber aus dem lateinamerikanischen Kontext entstammt. Eine Übersetzung ins Deutsche würde den Sinn des Wortes verfälschen. Eine nähere Erläuterung dieses Konzepts wird in Punkt 2.2 erfolgen.
[48] Mit dem Begriff „Mehrheitsgesellschaft“ ist nicht notwendigerweise eine Mehrheit gemeint. Es handelt sich vielmehr um den Teil der Gesellschaft, der die größte politische und wirtschaftliche Macht innehat. Dies sind meist die so genannten „Mestizen“ oder cholos, die sich als Mischlinge zwischen den Europäern und den Indigenen sehen bzw. die Nachkommen der „Weißen“.
[49] In Ecuador z.B. liegen die Schätzungen des indigenen Anteils an der ecuadorianischen Gesellschaft zwischen 10% durch den nationalen Zensus, 30% durch die Weltbank und 40-45% durch die größte nationale Indigenenorganisation CONAIE und das Interamerikanische Institut für Indigenismus (Instituto Interamericano Indigenista) (Niewkoop 2000:6).
[50] In insgesamt 9 lateinamerikanischen Ländern (Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guatemala, Kolumbien, Nicaragua, Panama, Paraguay und Venezuela) wurde der multiethnische und plurikulturelle Charakter des Staates verfassungsrechtlich verankert (Speiser 2004:30). Diese Verfassungsänderungen sind im Zusammenhang mit der Re-Demokratisierungswelle in Lateinamerika und als Resultat der Bemühungen der indigenen Organisationen zu sehen (Stavenhagen 1997 b:17). Ausführlichere Informationen zu den jeweiligen Verfassungsänderungen finden sich in Barié (2004).
[51] Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica
[52] Eine Definition dieser „eigenen Entwicklung“ ist relativ schwierig, da kaum konkrete Vorschläge zu finden sind und da es zudem sehr viele Meinungen darüber gibt, was diese Art von „alternativer Entwicklung“ bedeuten könnte.
[53] Leider kann an dieser Stelle keine ausgedehnte Diskussion der internationalen Instrumente zur Unterstützung indigener Völker in der Durchsetzung ihrer Rechte stattfinden. Dafür verweise ich auf die weiterführende Literatur: Anaya 1992; Ders. 2005; Dreher 1995; García-Lozano 2001; Oliva Martínez 2005; Mariño Menéndez y Oliva Martínez 2004; Speiser 2004; Stavenhagen 2006.
[54] Gemeint ist damit das bis in die 1970er Jahre hinein vorherrschende Paradigma des klassischen Indigenismus, dessen Ziel es war, die indigene Bevölkerung in die moderne Nationalgesellschaft zu integrieren. Ausführliche Beschreibungen finden sich in Punkt 2.1.
[55] Als „indianistisch“ werden diejenigen Diskurse verstanden, die nicht von nicht Indigenen über indigene Völker erarbeitet wurden, sondern von den indigenen Vertretern selbst stammen. Eine ausführliche Beschreibung findet sich in Kapitel 2.3.
[56] Ausführliche Bezeichnung: Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern. Die offizielle Übersetzung der Konvention ist auf folgender Seite nachzulesen: http://www.ilo.org/public/english/indigenous/standard/german.pdf
[57] Ausführliche Bezeichnung: Konvention zum Schutz und zur Integration indigener und anderer in Stämmen und stammesähnlichen Gemeinschaften lebender Bevölkerungsgruppen. Das offizielle Dokument ist in englischer Sprache auf folgender Seite nachzulesen: http://www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/convde.pl?C107.
[58] Staatliche Herangehensweisen zur Zusammenarbeit mit indigenen Völkern. Die verschiedenen Ansätze können in den folgenden Kapiteln 2.1. und 2.2. nachgelesen werden.
[59] Der Begriff Entwicklungsdekade wird im Rahmen der internationalen Entwicklungspolitik verwendet. Er beschreibt einen Zeitraum von zehn Jahren (eine Dekade), in denen bestimmte von der UNO formulierte Ziele erreicht werden sollen. Diese Ziele waren sehr unterschiedlich. In der vierten Entwicklungsdekade wurde vor allem das Thema der „Nachhaltigkeit“ bearbeitet. Das offizielle Dokument zur vierten Entwicklungsdekade, auf englischer Sprache findet sich auf folgender Homepage: http://daccessdds.un.org/doc/RESOLUTION/GEN/NR0/565/88/IMG/NR056588.pdf?OpenElement.
[60] „Nachhaltige Entwicklung“ definiert Sergio Carmona Maya (1998) als ein System der Entwicklung, das die aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, sich dafür der natürlichen Ressourcen bedient, ohne diese vollständig zu verbrauchen und damit die zukünftigen Generationen ihrer Überlebensbasis zu berauben. Er untersucht aus ethnologischer Perspektive die verschiedenen kulturell konstruierten Formen der „Nachhaltigkeit“.
[61] Es ist wichtig zu vermerken, dass indigene Organisationen, wie sie heute bestehen nicht als Zielgruppen, sondern als eigenständige politische Akteure wahrgenommen werden sollten. Sie selbst sehen sich als eigenständige politische Akteure (2004:189; Köpsell Speiser 2004:42).
[62] Konzepte des BMZ sind politische Strategiepapiere, die für die jeweiligen Projektvorhaben berücksichtigt werden müssen. Dabei müssen sektorübergreifende Konzepte, anders als sektorspezifische Konzepte, zumindest theoretisch für alle EZ-Vorhaben berücksichtigt werden (Bliss 2000:34).
[63] Dieses wurde bereits evaluiert und 2006 als „Konzept zur Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik“ in einer neunen Fassung vom BMZ (2006) veröffentlicht. Eine Handreichung (GTZ/KIVLAK 2007), die zum Zeitpunkt meiner Recherchen noch nicht veröffentlich war, soll den Mitarbeitern der deutschen Durchführungsorganisationen eine Anleitung geben, wie verfahren werden soll, um indigenen Belange in die Arbeit effektiv einbeziehen zu können.
[64] Auch das spanische Ministerium für äußere Angelegenheiten und Entwicklung hat seine Strategie zur Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern überarbeitet (Ministerio de Asuntos Exteriores y de Cooperación 2007).
[65] Auf die zahlreichen Evaluationen der verschiedenen Konzepte, vor allem die zu den Konzepten des BMZ und der Weltbank können an dieser Stelle leider nicht ausgewertet werden. Aus diesem Grund verweise ich auf folgende weiterführende Literatur: Griffiths 2000; GTZ/KIVLAK 2004 b; 2004 c; 2003; Muños 1994; OED 2003 a; 2003 b; Patrinos and Skoufias 2007; Shalton and Partidge 1999; Shelton 1993; 2003; Ströbele-Gregor 2004 c; Swartz, y Uquillas 1997).
[66] Diese Definition von Armut ist durchaus kritisch zu sehen.
[67] Siehe im Anhang eine Übersicht von Kuppe 2002, in der die verschiedenen Herangehensweisen in der Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, angefangen mit der Kolonialzeit, dargestellt werden.
[68] Wort wurde vom Autor eingefügt.
- Arbeit zitieren
- Magistra Artium Catharina Köhler (Autor:in), 2007, Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123705
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