Der Verfasser befasst sich mit den Schlagworten der Werbeaktivitäten von den großen Gesetzlichen Krankenkassen, die nicht wirklich ernst zu nehmen sind. Es geht bei den Werbeaktionen nur um den Ausbau von Mitgliedschaften. Der Verfasser versucht die Schlagworte mit Substanz zu unterfüttern. Für die eigentlichen Aufgaben zahlen die Kassen gemeinsame Vergütungen für einheitlich definierte Leistungen. Auch die persönlichen Beratungsangebote sind nach Meinung des Verfassers nicht recht glaubhaft, denn bei der Kassenmitarbeiterschaft lässt die Fachqualität sehr zu wünschen übrig. Auch die Zuzahlungskriterien sind in der Öffentlichkeit immer noch weitgehend unbekannt.
Werbungen statt Aufklärung für GKV-Versicherte
Unangenehme Überraschungen für Versicherte sind an der Tagesordnung
Günter Steffen, Lemwerder
Die Gesetzliche Krankenversicherung ist bekannt für Schlagworte in ihrer Werbung:
Hervorragende Leistungen Bester Service Persönliche Beratung Individuelle Tarife
Dabei sind die Leistungen für alle gesetzlich Versicherten im Sozialgesetzbuch Fünf einheitlich definiert und werden von den Ärzten/Zahnärzten und Therapeuten durch fachliches Wissen und Kompetenz ausgeführt. Alle Krankenkassen zahlen gemeinsam eine so genannte Gesamtvergütung zur Bildung der Honorartöpfe bei der Kassenärztlichen-/zahnärztlichen Vereinigung ein. Für die Honorierung der vielen unterschiedlichen Vertragsärzte/Kassenärzte gilt ein gesetzlich vorgeschriebener Bewertungsmaßstab und wird von den Kassenärztlichen- /zahnärztlichen Vereinigungen durch Punktwerte, in Abstimmung mit den Kassenverbänden, ergänzt. Daneben werden von den Krankenkassen -überwiegend identische- “Hausarztzentrierte Versorgungen” angeboten, d.h., der Versicherte verpflichtet sich, immer erst den bestimmten Hausarzt zu konsultieren und darf nur mit Überweisung von diesem Fachärzte (Ausnahme Augenarzt und Frauenarzt) aufsuchen. Dafür erhalten diese bestimmten Hausärzte eine gesonderte Vergütung von der Krankenkasse. Die Leistungen der Ärzte unterscheiden sich übrigens ganz wesentlich für gesetzliche Versicherte und privat Versicherte. Für die gesetzlich Versicherten teilt die Kassenärztliche Vereinigung den Honorartopf der zu zahlenden Leistungen auf. Für privat Versicherte erstatten die Privatkassen die ärztlichen Leistungen auf der Grundlage einer Gebührenordnung mittels Vorlage der Arztrechnung. Nach der Rechnungsprüfung vom Versicherten und von der Privatkasse erhält der behandelnde Arzt ein erheblich höheres Honorar.
Die Honorarbeträge reichen vielen Vertragsärzten (Kassenärzten) nicht aus. Aus diesen Gründen verkaufen sie ihren Patienten privat zu zahlende individuelle Gesundheitsleistungen! (IGEL). Vor allem Frauenärzte, Augenärzte und Zahnärzte wollen den Patienten zusätzliche Dienstleistungen verkaufen. Interessant ist dabei die Begründung des niedergelassenen Arztes, die er für die Privatleistung anbietet: Nicht die Notwendigkeit der diagnostischen Leistung, sondern vielmehr die Aussage, die er macht. “Ihre” Krankenkasse zahlt die Leistung nicht mehr. In den meisten Fällen traut sich aus verständlichen Gründen der Patient nicht, zu fragen, ob denn ein bestimmter Verdacht für diese gesonderte private Leistung vorliegt! (Wenn ein bestimmter Verdacht durch den Arzt vorliegt, ist er verpflichtet, diese Leistung mit der KV abzurechnen).
Die stationären medizinischen/pflegerischen Leistungen bestimmen die dort verantwortlichen Ärzte in Abstimmung mit den Landesbehörden. Die Vergütungsentrichtung von der Krankenkasse erfolgt aufgrund eines Fallpauschalen-Kataloges, der für alle gesetzlichen Krankenkassen gilt. Die Werbebotschaft der Krankenkasse mit dem Vokabular “der hervorragenden Leistung” ist wirklich unangebracht und hat mit der Krankenkasse überhaupt nichts zu tun.
Von einem “besten Service” der Krankenkasse kann man sicher auch dann nicht reden, wenn viele Versicherte nicht darüber aufgeklärt sind, welche Leistungen aus eigener Tasche zu zahlen sind. Die Palette von Zuzahlungen beginnt am Quartalsbeginn mit 10 Euro Praxisgebühr. Geht der Versicherte direkt zum Facharzt, bezahlt er dort diesen Betrag. Lässt er sich keine Überweisung an weitere Fachärzte (incl. Hausarzt) ausstellen, zahlt er die Praxisgebühr doppelt im Quartal.
Muss der Versicherte ins Krankenhaus oder zur Reha, zahlt er aus eigener Tasche 10 Euro pro Aufenthaltstag. Bei Heilmitteln (z.B. Krankengymnastik, Massagen, Sprachheilkunde etc.) und der häuslichen Krankenpflege beträgt die Zuzahlung 10% der tatsächlichen Kosten plus 10 Euro je Arzt-Verordnung. Auf Zuzahlungsauflagen bei Verordnungen notwendiger Medikamente gehe ich noch ein.
Von namhaften gesetzlichen Krankenkassen wird in Werbeaktivitäten auch die “persönliche Beratung” besonders hervorgehoben. Dieses besondere Beratungsangebot basiert auf ohnehin völlig selbstverständlichen Pflichten gegenüber ihren Versicherten, in der Geschäftsstelle telefonisch oder persönlich Auskünfte über Regularien im Verwaltungsablauf für gesonderte Kann-Leistungsgewährungen zu erteilen. Es ist bedenkenswert, die vielen tausend Geschäftsstellen einmal daraufhin zu untersuchen, wie Rentabilität und Inkompetenz des Personals mit den hohen Verwaltungskosten im Einklang st]ehen. Selbst Verbraucherzentralen fallen auf Werbeschlagworte der Krankenkassen, also Angebote der unterschiedlichen Qualität in der medizinischen Versorgung für chronisch kranke Menschen, herein. Die Angebotspalette spezieller Versorgungsmodelle in Zusammenarbeit mit den Ärztenetzen zur Verbesserung der Abstimmung einer Behandlung steht sehr oft nur auf dem Papier. Jeder Hausarzt -vorausgesetzt, er bekommt ein ausreichendes Honorar für die Sicherstellung von Folgebehandlungen dieser Patienten- erledigt diese im Interesse des Patienten und in fachlicher Verantwortung. Im Augenblick propagiert eine Krankenkasse, Sorge dafür zu tragen, dass eine lange Wartezeit für einen Arzttermin für den Versicherten nicht stattfinden muss, weil die Kasse sicherstellt, verkürzte Terminvereinbarungen zu erledigen. In Wirklichkeit aber wird ein externes Dienstleistungsunternehmen von der Krankenkasse damit beauftragt! In diesen Tagen macht auch eine große Krankenkasse darauf aufmerksam, dass über 1500 Fälle in letzter Zeit bekannt wurden, in denen Versicherte keine Behandlung von einem aufgesuchten Arzt erhielten. (Verweigerung wegen des fehlenden Geldes. Hintergrund: Auswirkungen der neuen Ärztehonorare seit Anfang 2009). Soweit zum angeblich “guten” Service!
Auch die vierte Werbeaussage der Krankenkasse - “Individuelle Tarife”- ist nicht ganz ernst zu nehmen. Der gesetzlich Versicherte kann heute, schlicht gesagt, private Zusatzleistungen dort zukaufen! Zum Beispiel die Absicherung höherer Zahnersatzleistungen, alternativer Heilmethoden,Tarife für den Selbstbehalt oder zur Kostenerstattung (Zahlung der Rechnung in Vorleistung). Die gesetzliche Krankenkasse hat für derartige individuelle Tarife einen Vertrag mit einer privaten Gesellschaft geschlossen! Es werden noch einige weitere Wahlmöglichkeiten erhöhter Absicherungen angeboten, welche absolut nichts mit der eigentlichen Mitgliedschaft und dem Beitrag innerhalb des vom Gesetzgeber beschlossenen Gesundheitsfonds von einheitlich 15,5%, ab 1.7.09 sind es 14,9%, zu tun haben. (Aus wahltaktischen Gründen wird die Beitragshöhe für den Gesundheitsfonds, der ab Anfang des Jahres wirksam ist, abgesenkt und durch Steuermittel aufgefüllt).
Der Komplex verordnungsfähiger, zuzahlungspflichtiger und zuzahlungsfreier Arzneimittel sowie die Ausstellung der Privatrezepte ist für den Normalbürger, der gesetzlich versichert ist, nicht mehr nachvollziehbar.
Der Dschungel gesetzlicher Regelungen ist wohl auch teilweise Absicht und liegt im Interesse der Pharmaindustrie. Gleichzeitig erkennt man aber auch die Hilflosigkeit unserer Gesundheitspolitiker, die sich von den Lobbyisten über den Tisch ziehen lassen. Die Verantwortung der Politik wurde zu einem wesentlichen Teil auf das Gremium “Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen” abgeschoben. Interessant ist dabei folgender Hinweis: Der Ausschuss bestimmt in Wirklichkeit die “nicht verschreibungspflichtigen” Arzneimittel. (Würden für bestimmte Indikationen Kostenübernahmen erlaubt, stünde weniger Geld für die Selbstverwaltungen der Ärzteschaft bzw. der Krankenkassen zur Verteilung zur Verfügung)! Einigt sich dieser Ausschuss auf Festbeträge, so brauchen die Versicherten keine Zuzahlungen zu leisten. Für nicht “verordnungsfähige Arzneimittel” leisten die Krankenkassen keine Kostenübernahme, hier zahlt der Patient alles aus eigener Tasche. Verordnet der behandelnde Arzt ein Medikament, welches verordnungsfähig/zuzahlungspflichtig ist, dann zahlt der Kassenpatient 10% des Abgabepreises, mindestens aber 5 Euro und höchstens 10 Euro pro Mittel.
Der Kritiker meiner Ausführungen könnte mich daran erinnern, dass es für finanzschwache Bürger eine Belastungsgrenze gibt. Sie beträgt normalerweise 2% vom jährlichen Bruttoeinkommen, für chronisch Kranke 1% vom Jahreseinkommen. Für den arbeitenden Bürger oder Rentner sind es utopische Grenzen, um zur Zuzahlungsbefreiung zu gelangen.
Zum Abschluss meiner Ausführungen sei noch auf ein besonderes Ärgernis für den Beitragszahler hingewiesen:
Die vier herausgestellten Kriterien der Krankenkassen sind Grundlage für groß angelegte Werbemaßnahmen zu Mitgliederabwerbungen bei der Konkurrenz-Kasse innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen, die alle den einheitlichen Beitragssatz abfordern. Ausschließlich dafür werden tausende von Mitarbeitern eingesetzt, die einige hundert Millionen Euro aus dem Beitragsaufkommen jährlich verbrennen. In den letzten Monaten haben erhebliche Umstrukturierungen in bundesweiten Krankenkassen stattgefunden, um den “Vertrieb” (Mitgliederabwerbungen) aus dem normalen Geschäftsbetrieb der elementaren Kassenaufgaben herauszulösen und - selbstverständlich zu Lasten der Beiträge- zu verselbständigen. Im Falle der nicht mehr ausreichenden Beiträge und der nach der Bundestagswahl vom einzelnen Mitglied zu erhebenden Zusatzbeiträge (bis zu 1% seines Brutto-Einkommens) werden Fusionen der Krankenkassen untereinander zunehmen und kleinere Krankenkassen vom Markt verschwinden. Das Ziel der augenblicklich auf vollen Touren laufenden und groß angelegten Abwerbungsmaßnahmen sind Machtzuwächse und Ausbau von Positionen innerhalb der Großkassen. Die Politik lässt sie gewähren. Durchschauen kann es ein Normalbürger sowieso nicht mehr.
Wenn der interessierte Leser noch weitere Aufklärungen wünscht, kann er sich per E-Mail mit mir in Verbindung setzen. Meine Adresse ist unter www.guenter-steffen.de zu ersehen.
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- Citar trabajo
- Günter Steffen (Autor), 2009, Werbungen statt Aufklärung für GKV-Versicherte, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123692