Wir leben in einem Zeitalter des ständigen Wandels in der Gesellschaft, der sich vor allem in der Berufs- und Arbeitswelt zeigt. Diese wird verändert durch den wachsenden, durch die Globalisierung verursachten Konkurrenzdruck, die Internationalisierung der Wirtschaft mit ihren Forderungen nach Effizienzsteigerung und Flexibilität und die Zunahme wissensintensiver Dienstleistungstätigkeiten und technologischer Innovationen.
So sehen sich heutzutage Betriebe, Arbeitnehmer und mit ihnen auch Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung ständig neu gestellten Anforderungen ausgesetzt. Diesen werden sie nur mit einem Zuwachs an individueller Bildung, Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Kreativität gewachsen sein. Aber auch Schule, Bildungs-, Übergangs- und Ausbildungssystem werden zunehmend durch diese Fortschritte beeinflusst und müssen auf die aktuellen Herausforderungen ihrer Zeit reagieren und dabei die Zukunft ihrer Klientel mit in den Blick nehmen. Trotz der großen Wertschätzung, die vor allem das "duale System" im deutschen Berufsbildungssystem genießt, ist es dringend notwendig, dort anzusetzen, wo verstärkt Probleme auftreten, nämlich bei der Integration der nachwachsenden Generation in die Berufswelt. Denn der Anspruch aller Bewerber/-innen, eine berufliche Ausbildung aufzunehmen, wird gegenwärtig
nicht mehr erfüllt. Gerade junge Menschen, vor allem benachteiligte Jugendliche, darunter auch Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in den Startlöchern zu einer beruflichen Karriere stehen, sehen sich diesen kolossalen Hürden gegenüber.[...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Bildung und Berufsbildung in Deutschland
2.1 Das Berufsbildungssystem in Deutschland
2.2 Das "duale System" als "Königsweg"
3 Das "Übergangssystem" in Deutschland – Generation in der Warteschleife
3.1 Definition des "Übergangssystems"
3.2 Struktur des "Übergangssystems"
3.2.1 Institutionelle Strukturen
3.2.2 Institutionelle Verteilungsmechanismen und riskante Hürden
3.2.3 Institutionen im "Übergangssystem"
3.2.4 Definition des "Benachteiligtenbegriffs"
3.2.5 Zielgruppen und deren Probleme
3.3 Die Benachteiligtenförderung – Maßnahmen und Probleme im "Übergangssystem"
3.3.1 Begriff, Ziele und Entwicklung
3.3.2 Fördermaßnahmen
3.3.2.1 Berufsschulische Vorbereitungsmaßnahme (BVJ)
3.3.2.2 Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB)
3.3.2.3 Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ/EQ)
3.4 Von der Schule in den Beruf – Die Krise des "Übergangssystems"
4 Das dänische Bildungs- und Berufsbildungssystem
4.1 Ein Überblick über das dänische Bildungssystem
4.2 Das dänische Berufsbildungssystem
4.2.1 Ein kurzer historischer Abriss
4.2.2 Struktur des Berufsbildungssystems – VET-System
4.2.2.1 Klassische Merkmale der beruflichen Erstausbildung
4.2.2.2 Zahlen und Fakten
4.2.2.3 Akteure der Berufsbildung
4.2.3 Reformpädagogische Bewegungen in Dänemark – Überblick
5 Das "Übergangssystem" in Dänemark
5.1 Struktur des "Übergangssystems"
5.1.1 Produktionsschulen
5.1.2 Berufsgrundausbildung (EGU)
5.2 Probleme des "Übergangssystems"
6 Unterschiede und Gemeinsamkeiten im "Übergangssystem" – Deutschland – Dänemark
6.1 Vergleichskriterien
6.2 Vergleichsbetrachtung
6.2.1 Akzeptanz des "Übergangssystems"
6.2.2 Vergütung
6.2.3 Chancen auf Ausbildung
6.2.4 Optionen und Wege im "Übergangssystem"
6.2.5 Ursachen des "Übergangssystems"
7 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Struktur eines Jahrgangs nach Abschlussarten, 2004
Abb. 2: Trend zur Übergangslösung
Abb. 3: Bildungsorte und Lernwelten in Deutschland
Abb. 4: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems 1995, 2000 und 2004 bis 2006
Abb. 5: Aufbau des dänischen Bildungssystems
Abb. 6: Die Struktur der Berufsausbildung nach der Reform
Abb. 7: Chronik der Reformen und Programme in der beruflichen Bildung in den neunziger Jahren
Abb. 8: Pädagogische Prinzipien einer Produktionsschule
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Problemstellung
„Im Herbst 2006 wurden wieder einmal, wie jedes Jahr, Horrorzahlen über Jugendli- che ohne Ausbildungsplatz bekannt. Etwa 950.000 junge Menschen verließen in diesem Jahr die allgemeinbildenden Schulen; über 700.000 von ihnen werden sich um eine betriebliche Ausbildung bemühen; legt man die Erfahrungswerte der letzten Jahre zugrunde, so werden mehr als 150.000 auf der Strecke bleiben und - wenn sie Glück haben - vorübergehend in staatlichen Überbrückungsmaßnahmen, dem soge- nannten Übergangssystem, landen oder gleich bei Hartz 4 oder, noch schlimmer, Bedarfsgemeinschaften mit ihren Eltern bilden.“[1]
Wir leben in einem Zeitalter des ständigen Wandels in der Gesellschaft, der sich vor allem in der Berufs- und Arbeitswelt zeigt. Diese wird verändert durch den wachsenden, durch die Globalisierung verursachten Konkurrenzdruck, die Internationalisierung der Wirtschaft mit ihren Forderungen nach Effizienzsteigerung und Flexibilität und die Zu- nahme wissensintensiver Dienstleistungstätigkeiten und technologischer Innovationen. So sehen sich heutzutage Betriebe, Arbeitnehmer und mit ihnen auch Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung ständig neu gestellten Anforderungen ausgesetzt. Diesen werden sie nur mit einem Zuwachs an individueller Bildung, Selbst- verantwortung, Eigeninitiative und Kreativität gewachsen sein. Aber auch Schule, Bil- dungs-, Übergangs- und Ausbildungssystem werden zunehmend durch diese Fort- schritte beeinflusst und müssen auf die aktuellen Herausforderungen ihrer Zeit reagieren und dabei die Zukunft ihrer Klientel mit in den Blick nehmen.[2] Trotz der großen Wert- schätzung, die vor allem das "duale System" im deutschen Berufsbildungssystem ge- nießt, ist es dringend notwendig, dort anzusetzen, wo verstärkt Probleme auftreten, nämlich bei der Integration der nachwachsenden Generation in die Berufswelt. Denn der Anspruch aller Bewerber/-innen, eine berufliche Ausbildung aufzunehmen, wird ge- genwärtig nicht mehr erfüllt.[3] Gerade junge Menschen, vor allem benachteiligte Jugend- liche, darunter auch Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in den Startlöchern zu einer beruflichen Karriere stehen, sehen sich diesen kolossalen Hürden gegenüber. Des- halb ist es wichtig, dass bereits vor Beginn der Berufsausbildung der Jugendlichen ver- sucht wird, sich mit den jetzigen Veränderungen auseinanderzusetzen, zukünftige zu antizipieren und sich mit diesen auch weiterzuentwickeln. Das betrifft die Berufsausbil- dung, die im Spannungsfeld zwischen vollzeitschulischer und dualer Ausbildung steht.
Eine große Herausforderung vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, stellt die Förderung benachteiligter Jugendlicher dar. Besonders für die zahlreichen In- stitutionen, die daran beteiligt sind. „Unter dem Motto ‚Fördern und Fordern’ wird die primäre Ausrichtung an Berufsbildung und Berufsvorbereitung zunehmend durch Druck auf jugendliche Arbeitssuchende ersetzt, jede Form von Erwerbstätigkeit anzunehmen.“[4] Tatsache ist, dass Jugendliche mit guten schulischen und sozialen Prämissen besser auf die Modifikationen des Arbeitsmarktes reagieren können als etwa in der Gesellschaft schlechter Gestellte, wie z.B. die Benachteiligten. Diese Gruppe, die insbesondere an den Schwellen Schule-Berufsausbildung und Berufsausbildung-Beschäftigung steht, hat mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. In der vorliegenden Arbeit wird hauptsächlich auf die Problematik an der ersten Schwelle eingegangen, d.h. auf Jugendliche mit schlechteren Startchancen beim Einstieg in eine Berufsausbildung. Aus dem Leitsatz:
„Ausbildung für alle“[5] rechtfertigt sich das Prinzip der Benachteiligtenförderung. Auch Schülern mit schlechten sprachlichen Leistungen oder aber sogar ohne richtigen Schul- abschluss muss der Einstieg in eine berufliche Karriere ermöglicht werden. Ziel muss es demnach sein, „aus dem schwächeren Bewerber eine für die Wirtschaft attraktive Fach- kraft zu machen.“[6]
Das deutsche Berufsbildungssystem steht vor zahlreichen Problemen. Die Jugendar- beitslosigkeit in Deutschland bewegt sich seit Jahren auf hohem Niveau, damit dehnt sich vor allem der Bereich des Übergangssystems immer weiter aus. Dies führt zu zahl- reichen Problemen sowohl in struktureller Hinsicht als auch bezüglich der Gruppen, die sich in diesem System befinden. Obwohl sich in den Ländern Europas ähnliche Ent- wicklungsstrukturen erkennen lassen, lohnt es sich, einen Blick über die Grenzen zu wagen, um zu schauen, wie unsere Nachbarstaaten diesen sich verändernden Anforde- rungen gegenüberstehen. Besonderes Augenmerk liegt in meiner Arbeit auf unserem Nachbarland Dänemark, das zum Teil als „Musterland für die ′Berufliche Bildung der Zukunft′“[7] bezeichnet wird und im Jahr 1999 sogar mit dem Carl Bertelsmann-Preis "Berufliche Bildung der Zukunft" ausgezeichnet wurde.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse der Strukturen und Probleme der Übergangssysteme für benachteiligte Jugendliche in Deutschland sowie in Dänemark. Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf folgenden Fragestellungen:
Was passiert mit den Jugendlichen, wenn sie die allgemeinbildenden Schulen verlassen, sich mehrfach bewerben und dennoch ohne Ausbildungsplatz dastehen?
Und: In welchem Maße haben sich die Chancen für junge Menschen verschlechtert, eine Ausbildungsstelle zu bekommen?
Zu Beginn der Arbeit wird ein prägnanter Überblick über das deutsche Bildungs- und Berufsbildungssystem gegeben. Danach wird auf die eigentlich zu behandelnde Prob- lematik eingegangen. Nach einer detaillierten Definition des Übergangssystems, in der auch ausführlich auf damit in Zusammenhang stehende weitere wichtige Begriffe wie den "Benachteiligtenbegriff" eingegangen wird, werden einerseits die Institutionen (Ak- teure) des Übergangssystems und zum anderen die Gruppe der benachteiligten Jugend- lichen charakterisiert. Anschließend wird ein kleiner Ausschnitt aus der Fülle von in Deutschland angebotenen Fördermaßnahmen gegeben. Die meines Erachtens wichtigs- ten Fördermaßnahmen sind das BVJ und einige Maßnahmen der Agenturen für Arbeit, wie beispielsweise das EQJ bzw. EQ. In einem abschließenden Kapitel zum Übergangs- system in Deutschland wird auf die Probleme eingegangen, die diese Maßnahmen all- gemein und auf jedes einzelne Individuum bezogen mit sich bringen. Dies umfasst den ersten Teil meiner Arbeit.
Um einen ersten Einblick über das Gesamtsystem in Dänemark zu erhalten, beschäftigt sich der zweite Teil meiner Arbeit zunächst explizit mit dem dänischen Bildungs- und Berufsbildungssystem. Nach einem Überblick über das dänische Bildungswesen und einem kurzen geschichtlichen Abriss zur Entwicklung des dänischen Berufsbildungs- systems wird zunächst dessen Struktur näher betrachtet, mit anschließender Darlegung klassischer Merkmale beruflicher Erstausbildung. Im Weiteren wird das dänische Be- rufsbildungssystem von einer statistischen Seite her beleuchtet und mit Zahlen und Fak- ten die jetzige Situation in Dänemark illustriert. Bevor die wichtigsten reformpädagogi- schen Bewegungen behandelt werden, erfolgt eine Charakterisierung der wesentlichen Akteure innerhalb der Berufsbildung. Daraufhin wird das dänische Übergangssystem mit seinen Fördermaßnahmen und den sich daraus resultierenden Schwierigkeiten ana- lysiert. In einem letzten Abschnitt soll ein Vergleich der beiden Länder hinsichtlich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Übergangssystems vorgenommen werden, wo- rin der Fokus meiner Arbeit liegt.
„Angesichts der immer problematischer werdenden Situation im deutschen Übergangs- system liegt die Frage nahe, was Deutschland von […] europäischen Erfolgsmodellen wie den aktivierenden Ansätzen der nordischen Länder [hier Dänemark] zur Förderung von benachteiligten Jugendlichen lernen könn[t]e.“[8]
2 Bildung und Berufsbildung in Deutschland
Das deutsche Bildungssystem, auch als Bildungswesen bezeichnet, umfasst alle Bil- dungs- und Erziehungseinrichtungen, im Detail, das differenzierte Berufsbildungs- und Schulwesen, den Bereich der Weiterbildung sowie die Hochschulen.[9] In Deutschland gibt es aufgrund der Kulturhoheit der 16 Länder, die als Zuständigkeit der Bundesländer ganz besonders für das Schulwesen bezeichnet wird, ein vielfältiges System an schuli- schen und beruflichen Bildungswegen. Im Nachfolgenden soll ein kurzer und nicht der Vollständigkeit entsprechender Abriss über das deutsche Berufsbildungssystem gegeben werden.
2.1 Das Berufsbildungssystem in Deutschland
„Die berufliche Bildung ist in Deutschland traditionell der Bildungsbereich, für den sich die weit überwiegende Mehrheit aller Jugendlichen entscheidet.“[10]
Das Berufsbildungssystem umfasst unterhalb der Hochschulebene und der Weiterbil- dung eine Flut von Angeboten mit diversen Ausbildungszielen und unterschiedlichsten Prinzipien der Organisation.[11] Im aktuellen indikatorengestützten Bericht "Bildung in Deutschland 2008" wird das Berufsbildungssystem in drei große Bereiche aufgefächert. Dabei wird unterschieden zwischen dem "dualen System", das im Folgenden noch näher beleuchtet wird, dem Schulberufssystem, darunter versteht man eine vollzeitschulische Ausbildung in einem anerkannten Beruf, und dem beruflichen Übergangssystem, auf welchem nachfolgend besonderer Augenmerk liegt.[12]
Folgende grundlegende gesellschaftspolitische Entscheidungen bilden die Basis für das Berufsbildungssystem in Deutschland: Es soll gewährleistet werden, dass für alle Schul- abgänger die gleiche Chance auf eine berufliche Ausbildung besteht. Damit dieses hoch gesetzte Ziel auch erreicht werden kann, wurde ein kooperatives Ausbildungssystem implementiert, welches auf dem strategischen Konzept basiert, das mit den Unterneh- men vereinbart wurde. Die Kooperationspartner in diesem Modell sind der öffentliche Sektor (Schulen und Regierung) und der private Sektor, d.h. die Unternehmen, dessen Rolle das Berufsbildungsgesetz (BBiG) als rechtliche Grundlage regelt. Vereinfacht ausgedrückt, setzt sich die Berufsbildung in Deutschland aus zwei Säulen, der berufli- chen Erstausbildung und der beruflichen Weiterbildung zusammen. Die berufliche Erst- ausbildung findet in staatlich anerkannten Ausbildungsberufen statt, die bundesweit auf einheitlichen Standards basieren, und vermittelt die für den Übergang in den Arbeits- markt notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten. Damit ist das Ziel der be- ruflichen Handlungskompetenz heute aus den Ausbildungslehrplänen u.a. gar nicht mehr wegzudenken.[13] Die berufliche Weiterbildung spielt hingegen im Bereich des le- benslangen Lernens eine überragende Rolle, in dem die berufliche Handlungsfähigkeit jedes Einzelnen fortlaufend verbessert werden soll.[14]
2.2 Das "duale System" als "Königsweg"
„Die duale Berufsausbildung stellt in Deutschland eine zentrale Grundlage für die In- novations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie für den sozialen Zusammenhalt dar.“[15]
Auf der unteren Qualifikationsebene der Fachangestellten und Facharbeiter erfolgt die Berufsausbildung in Deutschland größtenteils im "dualen System". Diese Dualität be- zieht sich auf die Ausbildung an zwei Lernorten, d.h. in der Institution Betrieb und aus- bildungsbegleitend in der Institution Berufsschule. In der dualen Ausbildung gibt es 2- jährige bis 3½-jährige Berufsausbildungen. Diese lassen sich durch verschiedene Vor- aussetzungen im Einzelfall auch verkürzen, z.B. als Abiturient, EQJ-Absolvent, Real- schüler.[16] Die Ausbildung im "dualen System" zielt in erster Linie auf eine breit ange- legte berufliche Grundbildung ab. Als weiteres Ziel verfolgt sie die Vermittlung not- wendiger Qualifikationen und Kompetenzen für die Ausübung einer qualifizierten be- ruflichen Tätigkeit, um den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden und da- bei mit den immer schneller werdenden Wandlungsprozessen unserer Zeit Schritt zu halten. Durch einen erfolgreichen Abschluss in einem von derzeit 346 anerkannten Ausbildungsberufen erlangt der Auszubildende eine Befähigung zur Berufsausübung als qualifizierte Fachkraft.[17] Das "duale System" wurde in der Vergangenheit von vielen Seiten als eine der besten Organisationsformen beruflicher Bildung bezeichnet, die Ju- gendlichen und jungen Erwachsenen einen reibungslosen Einstieg in eine Berufsausbil- dung garantiert.[18] Lange Zeit galt in Deutschland eine neun- bis zehnjährige Schulzeit mit anschließender betrieblicher Berufsausbildung als der "Königsweg" von der Schule in die Arbeitswelt. Die jungen Leute, d.h. 60 bis 70 Prozent eines Altersjahrganges, fanden sehr früh Zugang in die Arbeitswelt.[19] „Die Besonderung, die das ‚duale System’ kennzeichnet, eröffnet sich jedoch zuallererst angesichts seiner äußeren Gestalt, die es unverkennbar vom Großteil der anderen europäischen ‚Berufsbildungssysteme’ ab- hebt.“[20] Nach wie vor gilt das "duale System" als das wichtigste Subsystem des Berufs- bildungssystems, aber die „Realität der Gegenwart widerspricht dem, denn die Chancen für junge Menschen, einen betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten, haben sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verschlechtert.“[21] Die fol- gende Grafik verdeutlicht die Zentralität und die Besonderheit, die der dualen Ausbil- dung in Deutschland zugesprochen wird. Sie zeigt den erzielten Ausbildungsstand eines Jahrganges und fasst die verschiedenen Ausbildungsgänge zu einem Gesamtbild zu- sammen. Die Abbildung macht deutlich, dass 52,5 % der Jugendlichen im Jahr 2004 eine duale Ausbildung abgeschlossen haben.[22]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Struktur eines Jahrgangs nach Abschlussarten, 2004
Quelle: vgl. BIBB, 2006, S. 24
Betrachtet man die aktuelle Lage des Ausbildungsmarktes, dann wird deutlich, dass eine mangelhafte oder gar fehlende berufliche Erstausbildung „für viele Betroffene zu einge- schränkten beruflichen Perspektiven mit beträchtlichen gesellschaftlichen Folgekos- ten“[23] führt. Aufgrund dieser Situation hat sich die Bundesregierung zum wesentlichen und berufsbildungspolitischen Ziel gesetzt, allen ausbildungsfähigen Jugendlichen die Chance zu bieten, eine qualifizierte Ausbildung zu absolvieren. Besonders wichtig ist hierbei die Schaffung von sinnvollen Qualifizierungsangeboten.[24] Die aktuellen Zahlen verdeutlichen in erster Linie, dass das "duale System" immer mehr an Bedeutung ver- liert und dass die Zahl derer, die im Übergangssystem landen, immer größer wird. Mit dem Übergangssystem in Deutschland, seinen Chancen und Problemen werde ich mich nun in den nachfolgenden Kapiteln beschäftigen.
3 Das "Übergangssystem" in Deutschland – Generation in der Warteschleife
„Die duale Berufsbildung steckt in der Krise, die Betriebe bieten immer weniger Lehr- stellen an. Vier von zehn Ausbildungswilligen müssen in Übergangsprogramme aus- weichen – vorerst ohne Aussicht auf einen Berufsabschluss.“[25]
Für viele Jugendliche ist das Übergangssystem zur Warteschleife geworden und nur dort, wo den jungen Menschen Brücken zu weiterführender Allgemeinbildung oder zu einer Berufsausbildung gebaut werden, kann es auf lange Sicht hin gerechtfertigt wer- den.[26] Die untenstehende Abbildung zeigt die Entwicklung innerhalb des Berufsbil- dungssystems in den Jahren 1992 – 2006 und verdeutlicht somit, wohin der Trend heute geht.
Abb. 2: Trend zur Übergangslösung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Böckler Impuls, 2007, S. 4
3.1 Definition des "Übergangssystems"
Unter dem Übergangssystem versteht man zunächst den Bereich zwischen Schule und Berufsausbildung, in dem Jugendliche zur Berufsvorbereitung verschiedene Möglich- keiten haben, sich für eine Ausbildung oder Arbeit zu qualifizieren.
Erkenntnisse der Übergangsforschung zeigen die Entstehung eines Übergangssystems zwischen Schule und Berufsausbildung. Auf der einen Seite bahnt es den Nutzern dieses Systems einen individuellen Weg in die Berufsausbildung und zum anderen zeigt die Übergangsforschung allerdings auch, dass einige von ihnen wiederum über sogenannte Warteschleifen vom Ausbildungssystem abgekoppelt sind. Jedoch kommt dem berufli- chen Übergangssystem im kommunalen Handlungsfeld zunehmende Bedeutung zu. Es ist heute neben dem Schulberufssystem und dem dualen Ausbildungssystem ein dritter Bereich an der Schnittstelle zwischen Schule und Beruf, d.h. ein Teilsystem bzw. Sub- system des Berufsbildungssystems[27]. Dieser dritte Bereich enthält arbeitsmarktpolitische und berufsvorbereitende Maßnahmen und dient vor allem Jugendlichen, denen beim Berufsstart Steine in den Weg gelegt werden, zu einer verbesserten beruflichen Einglie- derung.[28] Wesentliche Bereiche des Übergangs von der Schule in das Erwerbssystem werden durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erfasst.[29] Dabei handelt es sich um
„(Aus-)Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss im Sinne des dualen oder des Schulberufssystems führen.“[30] Aufgrund dieser Tatsache spricht man auch vom „System of Schemes“ oder auch vom Maßnahmensystem. Man geht hierbei von einem integrati- ven Bestandteil des bestehenden Übergangssystems aus. In bestimmten Fällen aller- dings wird dieses Maßnahmensystem auch als Parallelsystem interpretiert.[31] Es handelt sich bei diesem Begriff um eine neue Wortschöpfung und „ist eine beschönigende Be- zeichnung für den sozialpolitisch skandalösen Dschungel von 'Maßnahmen', in dem die Jugendlichen seit Jahren geparkt werden oder Warteschleifen drehen, die bei der Nach- frage nach betrieblichen Ausbildungsplätzen leer ausgingen.“[32]
Wie sich erkennen lässt, findet man in der einschlägigen Fachliteratur unterschiedliche Auffassungen zum Begriff des Übergangssystems. Eine geeignete Definition innerhalb dieses Bereichs zu finden ist deshalb sehr schwierig. Meine Arbeit soll sich vordergrün- dig auf einige vollzeitschulischen Maßnahmen und darüber hinaus auf einzelne Maß- nahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA), beziehen, die junge Menschen auffangen, um sie auf einen reibungslosen Übergang in eine Ausbildung vorzubereiten. Diese Maßnahmen sollen den Weg zwischen allgemeinbildendem Schulsystem und berufli- cher Qualifikation überbrücken.
3.2 Struktur des "Übergangssystems"
3.2.1 Institutionelle Strukturen
Die Schule, die duale und schulische Berufsausbildung, die Berufsberatung, die Berufs- vorbereitung in der Berufsschule (BVJ), der Arbeitsmarkt und das Beschäftigungssys- tem und schließlich auch die Jugendsozialarbeit werden als die wichtigsten Instanzen des Übergangssystems angesehen. Die Struktur des deutschen Übergangssystems weist im europäischen Vergleich auf drei besonders zentrale Merkmale hin. Sie kennzeichnen das Übergangssystem als ein stark differenziertes, standardisiertes und institutionalisier- tes System. Diese drei Merkmale zeigen sich vor allem am dreigliedrigen Schulsystem, d.h. ab der Grundschule, und an der flächendeckenden und zentralstaatlichen Organisa- tion der Berufsberatung, die neben Beratungsfunktionen auch über einen Vermittlungs- auftrag verfügt. Zusätzlich zeigen sich diese drei Merkmale aber auch an einer standar- disierten Berufsausbildung mit mehr als 400 regulierten Ausbildungsgängen. Die stan- dardisierte Berufsausbildung ist mit Sicherheit der einzige nicht-akademische Zugang in eine qualifizierte Beschäftigung. Als letzter Punkt sind noch die differenzierten Maß- nahmen für Jugendliche zu nennen, die beim Übergang in eine Erwerbsarbeit starke Probleme aufweisen.[33] Ein weiteres Merkmal des Übergangssystems ist, „dass sich die Zuständigkeit einzelner Akteure immer nur auf Ausschnitte des Übergangsgeschehens bezieht.“[34]
Die Einbettung des Übergangssystems in die Struktur des Bildungs- und Berufsbil- dungssystems, d.h. in die Gesamtstruktur des Bildungswesens, soll die nachstehende Abbildung noch stärker verdeutlichen.
Abb. 3: Bildungsorte und Lernwelten in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2008, S. 28
3.2.2 Institutionelle Verteilungsmechanismen und riskante Hürden
Die institutionellen Strukturen sind mit Risiken verbunden, auf die an dieser Stelle nä- her eingegangen werden soll. Der „Institutionalisierungsgrad hat dem deutschen Über- gangssystem im europäischen Vergleich lange eine besondere Stabilität verliehen, so- wohl in bezug auf das Qualifikationsniveau als auch in bezug auf niedrigere Jugendar- beitslosigkeitsquoten“[35]. Doch diese Quoten haben sich in den letzten Jahren sehr stark zum Schlechteren hin verändert, denn die Zahlen der Jugendlichen Arbeitslosen steigen immer mehr an. Aber auch Standardisierung und Differenzierung haben eine besondere Bedeutung, denn sie verfügen über eine hohe Zahl an formalen Selektionsmechanismen, die Zugang zu den unterschiedlichsten Erwerbspositionen regeln.[36] Dies sind „institutio- nelle Hürden, die für viele junge Frauen und Männer Risiken bergen – in bezug auf die Umsetzung ihrer subjektiven Lebensentwürfe und zunehmend, ganz aus dem Über- gangssystem herauszufallen.“[37]
Die selektive und hierarchische Struktur des dreigliedrigen Schulsystems ist als eine der ersten Hürden im Übergangssystem zu nennen. Grundlegend dafür sind vor allem die Selektion zu einem sehr frühen Zeitpunkt und überdies die nur geringe oder gar fehlen- de Möglichkeit eines späteren Wechsels. Ein weiteres Risiko birgt das Berufsbildungs- system mit nicht gleichberechtigten Zugangschancen für alle. Grund dafür ist die Hie- rarchisierung in unterschiedliche Bereiche und zwar nach Region, Geschlecht, Ethnizi- tät und Bildung. Dies wirkt vor allem auf dem Gebiet des verschärften Wettbewerbs und der Ausbildungsstellenknappheit zunehmend ausgrenzend. Hierunter fallen bei- spielsweise regionalspezifische Strukturschwächen, Verdrängung von Hauptschülern, Zugangsschwierigkeiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und von weibli- chen Jugendlichen, trotz durchschnittlich besserer Schulabschlüsse.[38] Zwar sind Jugend- liche mit Migrationshintergrund oft sehr durchsetzungsstark und hoch motiviert, aber sie haben immer wieder mit diskriminierenden Einstellungen und Widerständen zu kämpfen.[39]
Als nächstes hat die Berufsberatung als Bindeglied zwischen Schule und Berufsbildung eine überaus wichtige Steuerungsfunktion. Diese Funktion schlägt sich in ihrem Ver- mittlungsauftrag nieder, der das Zustandekommen von Ausbildungsverhältnissen zur Aufgabe hat. Hier liegt jedoch ein gewisses Risiko: Zum einen in der Gewährleistung von Beratung für subjektive Lebensentwürfe, was eine quantitative Überforderung der Agentur für Arbeit mit sich bringt. Zum anderen, dass alle Bewerber mit den noch offe- nen Ausbildungsstellen versorgt werden. Es entsteht ein immenser Druck dadurch, dass Jugendliche gezwungen sind, Stellen auf dem Ausbildungsmarkt anzunehmen, die zu- künftig individuell jedoch keine sinnvolle Perspektive bieten. Darüber hinaus müssen auch diejenigen, die keine Ausbildungsstelle finden, entsprechend versorgt werden, und zwar mit geeigneten Maßnahmen im Sinne des Benachteiligtenprinzips, wie z.B. BVJ.[40] Auf diese Problematik wird in den nächsten Kapiteln noch ausführlicher eingegangen.
Die letzte Hürde des Übergangssystems, die in diesem Zusammenhang noch zu nennen ist, sind die verschiedenen Angebote und Maßnahmen der Jugendsozialarbeit. Ihre Auf- gabe besteht darin, „die VerliererInnen im Wettbewerb um Ausbildungsstellen fit zu machen, um sie erneut ins Rennen zu schicken, und nicht, alternative Übergänge am "dualen System" vorbei anzubieten.“[41] Des Weiteren unterscheiden sich die Angebote der Jugendsozialarbeit innerhalb dieses Bereichs „und führen so zu einer weiteren Se- lektion zwischen denen, die sich noch Hoffnungen auf den ersten Arbeitsmarkt machen können und denen, für die Maßnahmekarrieren vorprogrammiert sind.“[42]
Trotz all dieser Risiken ist es wichtig, die Struktur des Übergangssystems als Gesamt- zusammenhang anzusehen. Hierbei soll dem "dualen System" nach wie vor eine Mono- polstellung zugeschrieben werden.[43]
3.2.3 Institutionen im "Übergangssystem"
Im Folgenden wird der Begriff Akteure verwendet, unter dem die Institutionen des Übergangssystems verstanden werden sollen.
Die Vielzahl der am Übergangssystem zentral beteiligten Akteure ist unter anderem ein Kennzeichen für das hohe Maß an Unübersichtlichkeit dieses Systems. Diese Unüber- sichtlichkeit gilt auch für deren Zuständigkeitsbereiche.[44] Aufgabe ist es, ausreichend Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote für das Übergangssystem hervorzubrin- gen. Zu den zentralen Akteuren zählen in Deutschland allgemein- und berufsbildende Schulen, die BA, die Jugendhilfeträger, bestehend aus der Jugendsozialarbeit bzw. der Jugendberufshilfe, die Bildungsträger und der Grundsicherungsträger (ARGE).[45]
Die allgemein- und berufsbildenden Schulen sind die erste Institution, die an der Schwelle von der Schule in die Ausbildung eine wichtige Rolle spielt. Die beruflichen Schulen bilden zum Teil eigene Klassen, wie z.B. BVJ-Klassen oder/und BGJ-Klassen für die sich im Übergangssystem befindenden Jugendlichen. Diese werden unter dem Begriff grundlegende Schulformen der beruflichen Schulen zusammengefasst.[46]
Die BA ist der zentrale Verteiler für die bei den Bildungsträgern angebotenen, unter- schiedlichen berufsvorbereitenden Maßnahmen wie EQJ, BvB, VOH, Jobstart 25 und noch vielen anderen. Die Hauptaufgabe der BA besteht vor allem darin, die Jugendli- chen mittels individueller Berufsberatung bei der Wahl geeigneter Berufsvorberei- tungsmaßnahmen zu unterstützen.
Die Jugendhilfeträger, beispielsweise die Jugendsozialarbeit, ist dafür zuständig, hilfe- bedürftigen Jugendlichen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, ihnen konkrete Qualifi- zierungs-, Unterstützungs- und Wohnangebote an der Schwelle von der Schule zum Beruf darzulegen und darüber hinaus Sozialarbeit, besonders in Schulen, in denen es am nötigsten ist, zu leisten. Doch aufgrund der nur sehr geringen Mittel hat diese Institution im Übergangsystem eine eher weniger starke Position gegenüber allen anderen Akteu- ren.[47] Bildungsträger wie z.B. bfz, Kolping-Bildungswerk, Euroschulen usw. sind nichtstaatliche und somit eigenständige Einrichtungen, die ebenfalls am Übergangssys- tem beteiligt sind. Deren Aufgabe ist es, überwiegend die ausgeschriebenen Maßnah- men der örtlichen Agenturen für Arbeit durchzuführen. Dabei werden sie mit Geldern der Agenturen für Arbeit unterstützt.
Als letzte Institution ist die Arbeitsgemeinschaft der Grundsicherung (ARGE) zu nen- nen, die sich aus den örtlichen Agenturen für Arbeit, der Stadtverwaltung bzw. der Kreisverwaltung zusammenschließt, um notbedürftigen Menschen zu helfen, wie z.B. Arbeitslosen und damit auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die keine Ausbil- dung finden. Auch hier werden bestimmte Maßnahmen zur Förderung Benachteiligter eingesetzt.
Aufgabe aller Akteure ist es, vordergründig miteinander zu kooperieren, um in erster Linie den „Jugendlichen den Weg von der Schule in und durch die Berufsausbildung zu bahnen“[48] und um vor allem auf diesem Weg einen Beitrag zum Übergangssystem leis- ten zu können. Ziele, wie eine bessere Integration der Jugendlichen, vorteilhafte Über- gänge oder aber auch eine geringere Belastung der öffentlichen Kassen, können nur dann erreicht werden, wenn alle am Übergangsgeschehen beteiligten Akteure an einem Strang ziehen und die Kooperation verbessert und systematisiert wird.
3.2.4 Definition des "Benachteiligtenbegriffs"
Nachdem nun ein Überblick zur allgemeinen Struktur des Übergangssystems geschaffen wurde, ist es wichtig, die Zielgruppen, die dieses System erfasst, näher zu beschreiben. Nun soll ein Versuch vorgenommen werden, den Begriff der Benachteiligung zunächst einmal zu definieren. Wie sich noch herausstellen wird, ist dies jedoch keine leichte Aufgabe.
„Der Benachteiligtenbegriff wurde in der berufspädagogischen Diskussion mit der Ein- richtung des Benachteiligtenprogramms 1980 eingeführt.“[49] Die früher noch sehr geläu- figen Begriffe, wie Jungarbeiter, Ungelernte und Randgruppen, hat dieser neue Begriff weitgehend abgelöst. Kritisch ist unter anderem auch zu betrachten, dass dieser Begriff den jeweiligen Gegenstandsbereich ungenau und unvollständig erfasst.[50] An dieser Stel- le ist festzuhalten, dass unter dem Begriff Benachteiligte die Jugendlichen gefasst wer- den, die über noch keine reguläre Berufsausbildung, d.h. eine Ausbildung im "dualen System" verfügen.[51] Jedoch ist dieser Begriff in der erziehungswissenschaftlichen Dis- kussion noch sehr umstritten, zudem verhältnismäßig undurchsichtig, aber auch zum Teil diskriminierend.[52] Grund dafür ist die in der Literatur nicht einheitlich verwendete Bedeutung, denn es hat den Anschein, dass verschiedene Autoren den Begriff jeweils unterschiedlich auffassen und eine eindeutige Begriffsbestimmung im pädagogischen Kontext fehlt. Damit werden in der Berufspädagogik für diese bestimmte Gruppe von Personen Synonyme wie Benachteiligte, Zielgruppe mit besonderem Förderbedarf, Randgruppe, Problemgruppe usw. verwendet. Schließlich muss zwischen sozialer Be- nachteiligung einerseits und Marktbenachteiligung andererseits differenziert werden, die aktuell in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft analysiert und diskutiert werden, und zwar im Zeichen sozialer und beruflicher Ausgrenzung. Im Vordergrund dieser Diskus- sionen steht die hohe Jugendarbeitslosigkeit.[53]
Die vorliegende Arbeit befasst sich überwiegend mit folgender Definition von Benach- teiligung: Benachteiligte Jugendliche sind junge Menschen, die an der ersten Schwelle, d.h. dem Übergang von Schule zur Berufsausbildung stehen und aus unterschiedlichsten Gründen benachteiligt sein können.
Je nach individueller Lage, können folgende Merkmale zu Benachteiligung führen:
- „soziale Faktoren wie die soziale Schicht, die Nationalität, die regionale Her- kunft, die Religion oder das Geschlecht,
- individuelle Faktoren wie psychische und physische Beeinträchtigungen, Ver- haltensauffälligkeiten oder Lern- und Leistungsschwierigkeiten sowie
- Marktbenachteiligungen, die durch die konjunkturelle Lage, strukturelle Ein- flussfaktoren und regionale Inhomogenitäten des Bildungssystems verursacht werden.“[54]
Damit sind diese Personen förderbedürftig. In den Geschäftsanweisungen der BA wird dies nach SGB III folgendermaßen definiert: „Förderbedürftig sind lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Auszubildende, die wegen der in ihrer Person liegenden Grün- den ohne die Förderung […] eine Berufsausbildung nicht beginnen, fortsetzen, erfolg- reich beenden können“[55].
Im nächsten Abschnitt sollen die Personenkreise näher untersucht werden, die in unse- rer Gesellschaft keine Gleichberechtigung erfahren, d.h. in gewissen Dingen nicht gleich behandelt werden und somit als benachteiligt gelten. Folgende Gruppen zählen hierunter.
3.2.5 Zielgruppen und deren Probleme
An dieser Stelle soll geklärt werden, welche Personengruppen sich im Übergangssystem befinden. Man konzentriert sich dabei auf eine weit gefasste Zielgruppe, die sogenann- ten benachteiligten Jugendlichen. „In der Bundesrepublik Deutschland haben wir uns an den Begriff 'benachteiligte Jugendliche' in der Fachsprache der Jugendhilfe, Jugendso- zialarbeit und Jugendberufshilfe gewöhnt.“[56] Diese Personengruppe taucht auch in der Rechtswissenschaft auf, und zwar im Bereich des Sozialrechts, d.h. im Kinder- und Ju- gendhilfegesetz (SGB VIII) und im Arbeitsförderungsrecht (SGB III).[57]
Welche Gruppen zählen nun zu den Benachteiligten? Man unterscheidet hierbei zwi- schen Drop-outs, Lernbeeinträchtigten, Mädchen und Frauen, Migranten, d.h. Jugendli- che mit Migrationshintergrund, Marktbenachteiligten, sozial Benachteiligten, Menschen mit Behinderungen, Rehabilitanden. Bei den Rehabilitanden handelt es sich um Perso- nen, die durch einen Unfall o.ä. von der Arbeitswelt ausgeschlossen waren und bei de- nen durch umfassende Maßnahmen, beispielsweise durch die BA, versucht wird, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern bzw. wiederherzustellen. Aber auch Altbe- werber, d.h. diejenigen, die bereits im Vorjahr erfolglos einen Ausbildungsplatz gesucht haben, und junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung gehören zu der Gruppe der Benachteiligten. Drop-outs ist ein aus dem Englischen stammender Begriff, unter dem diejenigen verstanden werden, die die Schule oder irgendeinen Ausbildungs- gang ohne Abschluss verlassen haben oder auch vorzeitig die Schule abbrechen und die deshalb auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können.[58] Das sind in Deutschland ca. 8% der Bevölkerung zwischen 15 und 17 Jahren. Dies hat gravierende Folgen für die Resozialisierung der Jugendlichen in die Gesellschaft.[59] Innerhalb der Gruppe der Drop- outs scheinen die Pflichtschüler, d.h. diejenigen, die noch schulpflichtig sind, das größte Problem zu sein. Wer keinen Schulabschluss und damit ein Minimum an Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen vorweisen kann, was nach wie vor und verstärkt durch unsere heutige Leistungsgesellschaft abverlangt wird, hat schlechtere Chancen, ins Ar- beitsleben integriert zu werden.
Lernbeeinträchtigte Jugendliche haben Schwierigkeiten bei der Erbringung von alters- gemäßen Lernleistungen und sind in der Entwicklung von durchschnittlichen Fähigkei- ten und Fertigkeiten gestört. Lernbeeinträchtigungen sind zum Teil auf psychische, phy- sische und soziale Ursachen zurückzuführen und entstehen meist dort, wo auf die Lern- leistungen des Individuums keinerlei Rücksicht genommen wird und wo nach Lehrmus- tern, die einem gewissen Standard unterliegen, gelehrt wird. Demzufolge findet diese Art von Benachteiligung meist in der Schule statt.
Auch in Bezug auf das jeweilige Geschlecht kann in Ausnahmefällen Benachteiligung vorliegen. So sind die Chancen von jungen Frauen und Mädchen, trotz der meist besse- ren Abschlüsse auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geringer als die auf der männ- lichen Seite. Besonders junge Frauen mit Kind, die noch keine Ausbildung vorweisen können oder solche, die nach dem Erziehungsurlaub, seit 2004 als Elternzeit bezeichnet, die wieder in den Beruf zurückkehren wollen, fallen darunter.[60]
Eine weitere Benachteiligtengruppe stellen die Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar. Hierbei muss unterschieden werden zwischen überwiegend Jugendlichen türkischer Herkunft und den nicht in Deutschland geborenen Aussiedlerkindern und –jugendli- chen.[61] In der Literatur gibt es aber verschiedene Ansichten, welche Personen unter die- sen Begriff zu fassen sind.[62] In dieser Arbeit wird darauf jedoch nicht ausführlich einge- gangen.
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[1] Haenisch, 2008, S. 1.
[2] Vgl. Leiprecht/Kerber, 2005, S. 7.
[3] Vgl. Odenwald, 2008, S. 1.
[4] Pohl/Walther, 2006, S. 36.
[5] BMBF, 2005, S. 22.
[6] Schulz, 2003, S. 31.
[7] Schmid/Liebig, 2002, S. 25.
[8] Pohl/Walther, 2006, S. 35.
[9] Vgl. Schanz, 2006, S. 6.
[10] Hippach-Schneider/Krause/Woll, 2007, S. 100.
[11] Vgl. Wieck, 2007, S. 119.
[12] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2008, S. 95.
[13] Vgl. Schwadorf, 2003, S. 59.
[14] Vgl. Hippach-Schneider/Krause/Woll, 2007, S. 100.
[15] Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), 2008, S. 14.
[16] Vgl. Schanz, 2006, S. 38.
[17] Vgl. Hippach-Schneider/Krause/Woll, 2007, S. 34.
[18] Vgl. Neß, 2007, S. 13.
[19] Vgl. Braun, 2007, S. 1.
[20] Deißinger, 1998, S. 4.
[21] Neß, 2007, S. 13.
[22] Vgl. Hippach-Schneider/Krause/Woll, 2007, S. 25.
[23] Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), 2008, S. 14.
[24] Vgl. ebenda, S. 14.
[25] Böckler Impuls, 2007, S. 4.
[26] Vgl. Catenhusen, 2007, S. 6.
[27] Vgl. Stuckstätte, 2007, S. 305.
[28] Vgl. Dahme/Kühnlein, 2008, o. S.
[29] Vgl. Dietrich, 2003, S. 4.
[30] Neß, 2007, S. 65.
[31] Vgl. Dietrich, 2003, S. 4.
[32] Stomporowski, 2007, S. i.
[33] Vgl. Stauber/Walther, 2000, S. 17-19.
[34] Braun, 2007, S. 3.
[35] Stauber/Walther, 2000, S. 19.
[36] Vgl. ebenda, S. 19.
[37] Ebenda, S. 19.
[38] Vgl. Krüger, 1991, S. 14.
[39] Vgl. Jung/Schubert, 2008, S. 30.
[40] Vgl. Stauber/Walther, 2000, S. 20.
[41] Ebenda, S. 21.
[42] Ebenda, S. 21.
[43] Vgl. ebenda, S. 22.
[44] Vgl. Braun/Lex, 2005, S. 5.
[45] Vgl. Stuckstätte, 2007, S. 306.
[46] Vgl. Pahl, 2007, S. 15.
[47] Vgl. Braun/Lex, 2005, S. 5.
[48] Braun, 2007, S. 3.
[49] Biermann/Rützel, 1999, S. 13.
[50] Vgl. Bojanowski/Eckardt/Ratschinski, 2005, S. 11.
[51] Vgl. Fülbier/Münchmeier, 2002, S. 709.
[52] Vgl. Biermann/Rützel, 1999, S. 13
[53] Vgl. Bohlinger, 2004, S. 230-233.
[54] Vgl. Bohlinger, 2004, S. 232.
[55] Vgl. SGB III, § 242.
[56] Fülbier, 2003, S. 1.
[57] Vgl. ebenda, S. 1.
[58] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2006, S. 4.
[59] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2008, S. 88.
[60] Vgl. Paulsen, 2006, S. 14 ff.
[61] Vgl. Gaupp/Lex/Reißig, 2008, S. 27-28.
[62] Vgl. Diefenbach, 2007, S. 19-20.
- Arbeit zitieren
- Dipl.-Hdl. Erna Müller (Autor:in), 2008, "Übergangssysteme" für benachteiligte Jugendliche im Vergleich. Strukturen und Probleme in Deutschland und Dänemark, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123623
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