„Ich wünsche mir, als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als ein unberechenbarer Irrer.“ Die Aussage eines von Schizophrenie Betroffenen beschreibt eine häufige Erfahrung, die psychisch kranke Menschen machen. Die Reaktionen der Allgemeinbevölkerung auf Patienten mit psychiatrischen Krankheiten und speziell mit der Diagnose „Schizophrenie“ sind geprägt von dem der Krankheit anhaftenden Stigma. Man schreibt den Betroffenen negative Eigenschaften zu, wie erhöhte Aggressivität, Gefährlichkeit, Unberechenbarkeit und reduzierte Intelligenz, gepaart mit mangelnder Selbstkontrolle und geringer Disziplin. Gesunde begegnen den Kranken deshalb oft mit Unverständnis, Unsicherheit, Ängstlichkeit, Misstrauen und daraus resultierender Ablehnung. Die beschriebenen negativen Eigenschaften werden zu Stereotypen, die Erkrankte etikettieren („die Schizophrenen“). Konsequenz ist eine Herabsetzung ihres sozialen Status und eine daraus resultierende Diskriminierung. Die negative Diskriminierung aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung bedeutet eine erhebliche Reduktion der Lebensqualität für die Betroffenen und stellt einen bedeutenden Hemmfaktor für Therapieerfolge dar, weil die Erkrankten sich zu spät oder gar nicht in psychiatrische Behandlung begeben. Und weiter trifft die Stigmatisierung in unserer Gesellschaft nicht nur Erkrankte, sondern auch ihre Angehörigen und Helfer.
Diese Dissertation beschäftigt sich mit Aufklärungsprojekten für die Allgemeinbevölkerung, aktiven Protesten gegen Diskriminierung und mit Möglichkeiten, wie aktiv die Einstellung und das Verhalten von Zielgruppen (z.B. Schülern und Polizisten) positiv beeinflusst werden kann.
Inhaltsverzeichnis
I EINLEITUNG
I.1 STIGMATISIERUNG UND DISKRIMINIERUNG PSYCHIATRISCHER PATIENTEN IN UNSERER GESELLSCHAFT
I.2 SOZIALPSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSDEFINITIONEN
I.3 HISTORISCHER HINTERGRUND DER STIGMATISIERUNG
I.4 WELTWEITE ANTI-STIGMA KAMPAGNEN IN DER PSYCHIATRIE
I.5 DIE BAYERISCHE ANTI-STIGMA AKTION BASTA
I.5.1 ZIELE, AUFGABEN UND PROJEKTE DER BASTA
I.6 FRAGESTELLUNG
II MATERIAL, METHODEN UND ERGEBNISSE
II.1 LITERATURÜBERSICHT ZIELGRUPPENORIENTIERTER ANTI-STIGMA PROJEKTE
II.1.1 MATERIAL UND METHODIK
II.1.2 ERGEBNISSE
II.2 WELTWEITE RECHERCHE NACH ZIELGRUPPENORIENTIERTEN ANTI-STIGMA PROJEKTEN
II.2.1 MATERIAL UND METHODIK
II.2.2 ERGEBNISSE
II.3 SEMINAR ZUR SENSIBILISIERUNG VON POLIZEIBEAMTEN IM UMGANG MIT PSYCHISCH ERKRANKTEN UND DEREN ANGEHÖRIGEN
II.3.1 PROJEKTPLANUNG UND ZIELE
II.3.2 MATERIAL UND METHODIK
II.3.3 ERGEBNISSE
II.4 DAS LERNPAKET „PSYCHISCH KRANKE“ FÜR SCHULEN
II.4.1 PROJEKTPLANUNG UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
II.4.2 MATERIAL UND METHODIK
II.4.3 ERGEBNISSE
III DISKUSSION
III.1 LITERATURRECHERCHE UND WELTWEITE SUCHE NACH ANTI-STIGMA PROJEKTEN
III.1.1 DISKUSSION DER METHODEN
III.1.2 DISKUSSION DER ERGEBNISSE
III.2 SEMINAR ZUR SENSIBILISIERUNG VON POLIZEIBEAMTEN IM UMGANG MIT PSYCHISCH ERKRANKTEN UND DEREN ANGEHÖRIGEN
III.3 DAS LERNPAKET „PSYCHISCH KRANKE“ FÜR SCHULEN
III.3.1 DISKUSSION DER METHODIK
III.3.2 DISKUSSION DER ERGEBNISSE
III.3.3 LIMITATIONEN DES LERNPAKETS
III.4 SCHLUSSFOLGERUNGEN UND KONSEQUENZEN FÜR ZUKÜNFTIGE PROJEKTE
IV ZUSAMMENFASSUNG
V LITERATURVERZEICHNIS
VI ABBILDUNGSVERZEICHNIS
VII ANHANG
VIII DANKSAGUNG
I Einleitung
I.1 STIGMATISIERUNG UND DISKRIMINIERUNG PSYCHIATRISCHER PATIENTEN IN UNSERER GESELLSCHAFT
„Ich wünsche mir, als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als ein unberechenbarer Irrer.“ Die Aussage eines von Schizophrenie Betroffenen beschreibt eine häufige Erfahrung, die psychisch kranke Menschen machen.
Die Reaktionen der Allgemeinbevölkerung auf Patienten mit psychiatrischen Krankheiten und speziell mit der Diagnose „Schizophrenie“ sind geprägt von dem der Krankheit anhaftenden Stigma. Man schreibt den Betroffenen negative Eigenschaften zu, wie erhöhte Aggressivität, Gefährlichkeit, Unberechenbarkeit und reduzierte Intelligenz, gepaart mit mangelnder Selbstkontrolle und geringer Disziplin. Gesunde begegnen den Kranken deshalb oft mit Unverständnis, Unsicherheit, Än gstlichkeit, Misstrauen und daraus resultierender Ablehnung. Die beschriebenen negativen Eigenschaften werden zu Stereotypen, die Erkrankte etikettieren und es der Allgemeinheit möglich machen, sie bestimmten Kategorien zu zuordnen („die Schizophrenen“). Konsequenz ist eine Herabsetzung ihres sozialen Status und eine daraus resultierende Diskriminierung.
Die negative Diskriminierung aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung bedeutet eine erhebliche Reduktion der Lebensqualität für die Betroffenen und stellt einen bedeutenden Hemmfaktor für Therapieerfolge dar, weil die Erkrankten sich zu spät oder gar nicht in psychiatrische Behandlung begeben.
Aber die Stigmatisierung trifft in unserer Gesellschaft nicht nur Erkrankte, sondern auch ihre Angehörigen und Helfer. Schulze und Angermeyer (53/S.80) untersuchten das Stigma aus Sicht schizophren Erkrankter, ihrer Angehörigen und von Mitarbeitern der psychiatrischen Versorgung. Dabei konnten sie in einer Fokusgruppenstudie vier Dimensionen des Stigmaerlebens feststellen: die interpersonelle Interaktion, die strukturelle Diskriminierung, das Bild psychischer Erkrankungen in der Öffentlichkeit und den erschwerten Zugang zu sozialen Rollen.
Bei der interpersonellen Interaktion wird die Stigmatisierung im Kontext sozialer Beziehungen erlebt. Dies beinhaltet Kontakte zu Verwandten, Freunden, Kollegen, Arbeitgebern, Vermietern und professionellen Helfern. Solche Erfahrungen führen zur Vermeidung und Reduzierung sozialer Kontakte, bis hin zur sozialen Isolation.
Die strukturelle Diskriminierung wird in Form von Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichten in gesellschaftlichen Strukturen, politischen Entscheidungsprozessen und gesetzlichen Regelungen wahrgenommen. Die suboptimale Situation in der psychiatrischen Versorgung wird durch eine unausgewogene Verteilung von Ressourcen im Gesundheitssystem mit verursacht, was sich in der Qualität der Versorgung psychiatrischer Patienten unvorteilhaft widerspiegelt.
Das Bild psychischer Erkrankungen in der Öffentlichkeit wird geprägt durch die Vorstellung, dass Kranke grundsätzlich zu Gewalttätigkeiten neigen und daher gefährlicher sind als die Normalbevölkerung. Vor allem die Medien werden für die Aufrechterhaltung negativer Stereotypen, das Schüren der Ängste in der Bevölkerung und die Falschdarstellung psychischer Krankheiten durch reißerische Berichterstattung verantwortlich gemacht.
Die Behinderung des Zugangs zu sozialen Rollen wird in Arbeit und Beruf, Familie und Partnerschaft sowie der Wohnungssuche erlebt. Die Erfahrungen in diesen Bereichen werden geprägt durch Misstrauen und Ängste, vermehrte Kritik und die Aberkennung von vorher unter Beweis gestellten Fähigkeiten. Solche konfliktbeladenen Erlebnisse führen zum Verschweigen und Verheimlichen der Krankheit.
Ein Bericht von Christian Horvath, Psychiatrie Erfahrener aus Wien und engagierter Leiter einer Selbsthilfegruppe, geht Hand in Hand mit den Inhalten der Forschung von Schulze und Angermeyer. Zusätzlich zu den obig genannten vier Dimensionen nennt Horvath das Phänomen der Selbststigmatisierung, bei der Betroffene ohne das Zutun Außenstehender sich selbst ausgrenzen. Er beschreibt diese „Eigenstigmatisierung“ als Produkt der medizinischen und gesellschaftlichen Stigmatisierungen, die eine persönliche Färbung besitzen und dadurch tiefer in individuelle Lebenssituationen reichen. Der Betroffene hat in der Eigenstigmatisierung eine „tiefe Wunden schlagende“ negative Bewertung von sich selbst. (26/S.27)
Katschnig beschreibt den Prozess der Selbststigmatisierung als Internalisierung des Stereotyps durch den Betroffenen, der dabei die Rolle des psychisch Kranken und ein negatives und unrealistisches Selbstbild annimmt. Der Vorgang der Identifizierung mit dem Stereotyp durch den Erkrankten, besonders bei langen Aufenthalten in psychiatrischen Einrichtungen, überschneidet sich zum Teil mit dem Phänomen des Hospitalismus. (31/S.16)
„Das Stigma beschädigt die Identität der von psychischer Erkrankung Betroffenen. Entmutigung, Selbstentwertung, sozialer Rückzug können eine `zweite Erkrankung´ bewirken, die mit der ursprünglichen Erkrankung nichts zu tun hat, jedoch die soziale Integration und die Lebensqualität der Betroffenen negativ beeinflusst. Bereits vor etwa einem halben Jahrhundert hat der Soziologe Goffman darauf hingewiesen, dass dem „Stigma-Management“, d.h. der individuellen Bewältigung des Stigmas eine große Bedeutung zukommt. Die Behandlung des Stigmas und seiner persönlichen Folgen muss – als eine wichtige Anti-Stigma Strategie – in der Therapie berücksichtigt werden.“ (37/S.2)
I.2 Sozialpsychologische Grundlagen und Begriffsdefinitionen
„Stereotype sind allgemein definiert als Überzeugungen oder Annahmen über die Eigenschaften und Merkmale einer Gruppe von Personen. Diese beziehen sich entweder auf alle Angehörigen dieser Gruppe oder zumindest auf deren Mehrheit.“ Entscheidend ist dabei der Aspekt der Generalisierung, d.h. die Verallgemeinerung bestimmter Meinungen über typische Zusammenhänge zwischen Personen und deren Eigenschaften. Die Generalisierung trifft alle oder die meisten der Personen, die einer bestimmten sozialen Gruppe oder Kategorie zugeordnet werden. Stereotype müssen also keine Verknüpfung mit Emotionen aufweisen und können auch positiv gefärbt sein, z.B. „Die Deutschen sind ordentlich und fleißig“ oder „Die Italiener sind temperamentvoll“. (21)
Der Begriff des „Vorurteils“ bezeichnet Einstellungen, die ebenfalls allgemein dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich auf alle oder die meisten Personen beziehen, die einer Gruppe oder Kategorie zugeordnet werden. Anders als bei Stereotypen, sind Vorurteile „(a) mit Bewertungen verbundene Überzeugungen und Meinungen über die Eigenschaften und Merkmale bestimmter Personengruppen (...), (b) emotionale Reaktionen in der Beziehung zu bestimmten Personengruppen (z.B. Misstrauen oder Furcht) und (c) daran orientierte Verhaltensdispositionen (z.B. Kontaktvermeidung).“ Über diese Charakteristika von Einstellungen im Allgemeinen und Vorurteilen im Besonderen besteht in der sozialwissenschaftlichen Forschung inzwischen eine weitgehende Übereinkunft. Häufig wird allerdings der Vorurteilsbegriff auf negative und abwertende Einstellungen gegenüber Personengruppen eingegrenzt, was weitestgehend dem alltäglichen Sprachgebrauch entspricht. Durch diese Eingrenzung werden positive Einstellungen, zum Beispiel gegenüber Angehörigen der „Eigengruppe“, automatisch ausgeschlossen, obwohl sie die gleichen Charakteristika aufweisen - allerdings mit jeweils umgekehrten Vorzeichen. (21)
Aus sozialpsychologischer Sicht beschreibt Zimbardo das „Vorurteil“ als diejenige der menschlichen Schwächen, die am zerstörerischsten auf die Würde des Einzelnen und die sozialen Beziehungen unter den Menschen einwirkt. „Vorurteile sind ein Beispiel für eine Fehlentwicklung der subjektiven sozialen Realität und für eine Situation, die lediglich in den Köpfen bestimmter Menschen vorhanden ist und dennoch das Leben anderer beeinträchtigen und zerstören kann.“ Als Vorurteil wird eine erlernte Einstellung gegenüber einem Zielobjekt bezeichnet, bei der Annahmen (Stereotype) und negative Gefühle (Abneigung oder Angst) beteiligt sind, die als Rechtfertigung für diese Meinung dienen. Eine falsche Einstellung wird dann zum Vorurteil, wenn sie auch angesichts angemessener Gegenbeweise gegenüber Änderungen resistent ist. Vorurteilsbeladene Überzeugungen ermöglichen der gesunden Bevölkerung bestimmte Personen voreingenommen zu behandeln, sobald diese einmal einer „Zielgruppen-Schublade“ zugeordnet wurden. Durch das Vorurteil entwickelt sich die Neigung, Mitglieder dieser Zielgruppe auf der Verhaltensebene zu kontrollieren, zu dominieren, zu meiden oder zu eliminieren. (62/S.419)
„Stigma “ ist das griechische Wort für „Stich" oder „Brandmal". Der Begriff des Stigmas ist im allgemeinen Wortsinn ein Zeichen oder eine Markierung der Schande. Dieses „Zeichen“ ermöglicht es der Gesellschaft, bestimmte Einzelpersonen zu Gruppierungen zuzuordnen. In der Soziologie versteht man darunter sichtbare (oder) soziale Merkmale, mit denen Menschen aus der Gruppe der „Normalen" ausgesondert werden. Im psychologischen Kontext beziehen sich Stigma und Stigmatisierung auf die negativen Einstellungen zu einer Person mit psychischen Auffälligkeiten, welche dazu führen, dass die Person als unerwünscht ausgegrenzt wird. (10/S.290)
Was als Stigma gilt, ist von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden. Ein Stigma ist aber immer mit einer Diskriminierung verbunden.
Während Stereotype also hauptsächlich generalisierte Überzeugungen und verallgemeinerte Meinungen darstellen, bedeuten Vorurteile darüber hinaus auch allgemeine Bewertungen, gefühlsmäßige Reaktionen und Verhaltensdispositionen. Unter „Diskriminierung“ wird nun die konkrete Handlung und Verhaltensweise gegenüber Personen mit einem entsprechenden Stigma verstanden. Die Verhaltensweise orientiert sich daran, ob die Personen zu einer bestimmten Gruppen dazugehören (z.B. „die Schizophrenen“). Zu solchen Handlungen im Zuge der Diskriminierung zählen zum Beispiel Benachteiligungen beim Zugang zu begehrten Arbeitsplätzen, Wohnungen und Bildungsinstitutionen, die Verweigerung bestimmter Rechte und politischer Beteiligungsmöglichkeiten, aber auch gewalttätige Angriffe oder eher subtile Formen der Kontaktvermeidung gegenüber Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit oder Zuschreibung zu einer bestimmten Gruppe. (62/S.421)
Stereotype, Stigmata und Diskriminierungen sind folglich voneinander abhängig und miteinander verknüpft. Laut Schulze und Angermeyer (53/S.79) beginnt der Stigmatisierungsprozess mit der Wahrnehmung und Benennung eines Unterschieds. In der Folge wird das vergebene Etikett, wie beispielsweise die Diagnose „Schizophrenie“, mit negativen, kulturell geprägten und aus Vorurteilen entstammenden Eigenschaften verbunden. Die negativen Stereotype dienen wiederum als Rechtfertigung, um die etikettierten Personen aus der Allgemeinheit herauszulösen: sie werden zu einer Kategorie zusammengefasst (z.B. „die Schizophrenen“) und die Betroffenen erfahren in der Konsequenz eine Herabsetzung ihres sozialen Status und Diskriminierung. (53/S.79)
Finzen (17/S.316) zitiert zu diesem Thema den amerikanischen Soziologen Erwin Goffmann, der sich in seinem viel gerühmten Buch „Stigma. Notes on the Management of spoiled identity“ mit dem Stigmakonzept der „sozialen und personalen Identität“ innerhalb der sozialen Gemeinschaft beschäftigt. Dabei stellt Goffmann fest, dass wir Menschen bestimmte Vorstellungen davon haben, wie sich unsere Mitmenschen verhalten, wie sie leben und sein sollen. Ob bewusst oder unbewusst stützen wir uns - nach einem ersten Blick auf einen Fremden - auf spontane Einschätzungen bezüglich seiner Kategorie, Eigenschaften und seiner „sozialen Identität“ und entwickeln eine Erwartungshaltung bezüglich dieser Person. Laut Goffmann antizipiert der Mensch Charaktereigenschaften und Merkmale seines Gegenübers nach kürzester Zeit, wobei diese Antizipation dann zu Anforderungen und „normativen Erwartungen“ werden. Goffmann bezeichnet diese Erwartungen als „virtuale soziale Identität“. Im Gegensatz dazu steht die „aktuale soziale Identität“ mit den Eigenschaften und Merkmalen, die der Mensch tatsächlich besitzt. Anspruch und Wirklichkeit unterscheiden sich voneinander, was leider sozialer sowie soziologischer Alltag ist. (17/S.317)
Des weiteren trennt Goffmann drei Stigmatypen: Stigma durch angeborene Merkmale, Stigma durch Krankheit oder durch Minderheitenzugehörigkeit. Personen mit angeborenen Stigmata lernen von Kindesbeinen an, mit der Behinderung und Reaktionen der Umwelt auf diese Behinderung umzugehen. Kommt es zur „Beschädigung der Identität“ im Laufe der Entwicklung, dann waren die Vorurteile der „Normalen“ bis dahin ein Teil seiner eigenen Identifizierung. Der Mensch hat bis zu diesem Zeitpunkt selbst zwischen den „Normalen“ (zu denen er gehörte) und den „Stigmatisierten“ unterschieden und findet sich nun in einer Situation wieder, in der er „die Seiten gewechselt hat“. Ein besonderes Problem wird nun die neue Identifizierung sein und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird er „eine Missbilligung seiner selbst entwickeln“. Mit dieser Situation sehen sich psychisch Kranke konfrontiert, und das um so mehr, je stärker sie im alltäglichen Leben zurückgewiesen, geächtet, ausgeschlossen oder verhöhnt werden. Laut Finzen wird auf diese Weise das Stigma zu einer „zweiten Krankheit“, die ebenso belastend wie die Erste sein kann und ein großes Hindernis für Therapie und Gesundung darstellt. (17/S.317)
I.3 Historischer Hintergrund der Stigmatisierung
Die Vergangenheit der Psychiatrie hat unter Umständen einen wesentlichen Anteil an der Art und Weise der heute vorherrschenden Stigmatisierung. Mythen und Überlieferungen von menschenverachtenden Behandlungsmethoden sowie der Unheilbarkeit und Unberechenbarkeit psychisch Kranker sind in den derzeit anzutreffenden Vorurteilen verankert.
Im Mittelalter kam es zur inhumanen Verwahrung psychisch Kranker in Gefängnissen oder gar zu ihrer Verfolgung als Hexen bzw. Hexenmeister durch die Inquisition. (40/S.18) Unruhige und aggressive Kranke wurden vor die Stadttore und dort in dafür aufgestellte Holzkisten gesperrt. (34/S.150) Im 17. und 18. Jahrhundert wurden psychisch Kranke zusammen mit Behinderten, Armen, Landstreichern und Prostituierten als „Asoziale“ in verschiedenen Zuchthäusern untergebracht. Dort waren sie oft angekettet, wurden geprügelt und erfuhren keine Behandlung durch Ärzte. (40/S.18)
Wilhelm Griesinger (1817-1868) setzte sich als erster deutscher Psychiater für die gewaltfreie Behandlung psychiatrischer Patienten ein. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren trotz einiger Ausnahmen Zwang und Gewalt bei der Behandlung und Unterbringung psychisch Kranker an der Tagesordnung. Schläge mit Ruten, Stöcken und Peitschen gehörten ebenso zu den üblichen Maßnahmen, wie Drehstühle, Sturzbäder mit kaltem Wasser, Zwangsstehen oder das Einreiben der Kopfhaut mit Brechweinstein, wodurch sich schmerzhafte Geschwüre bildeten. Griesinger setzte sich ebenfalls für Stadtasyle ein und seine Bemühungen zeigten Früchte in Form von Universitätskliniken, die psychiatrische Patienten nach seinem Vorbild behandelten.
(34/S.154)
Diese Errungenschaften und Fortschritte wurden durch den ersten Weltkrieg und den Nationalsozialismus stark zurückgeworfen. Im Zuge der Euthanasie und Eugenik wurden bis 1945 mehr als 150.000 psychisch Kranke vergiftet, vergast oder durch „Hungerkuren“ ermordet.
(34/S.158)
Die Betonung der negativen Elemente der Geschichte der Psychiatrie bis 1945 soll aufzeigen, mit welchen Informationen und Überlieferungen die Allgemeinbevölkerung bis vor nicht allzu langer Zeit versorgt wurde. Die hinreichend bekannte Vergangenheit der Psychiatrie könnte das tief verankerte Misstrauen und die vorherrschenden Vorurteile gegenüber den psychiatrischen Einrichtungen, den Psychiatern, deren Behandlungsmethoden und damit unweigerlich verknüpft, den psychiatrischen Patienten, mit erklären.
Aber auch diagnostische und theoretische Konzepte der Psychiatrielehre könnten zum Stigmatisierungsprozess beigetragen haben. Katschnig (31) beleuchtete die Wege der Stigmatisierung in seinem Aufsatz über die stigmarelevanten historischen Wurzeln unter dem Blickwinkel der Schizophreniekonzepte Kraepelins, Bleulers und Schneiders.
„Der deutsche Psychiater Emil Kraepelin (1856 – 1926) begründete die Systematik psychischer Erkrankungen auf der Basis der Beobachtungen des Gesamtverlaufs und beschrieb als Erster die Krankheitsdefinition der späteren „Schizophrenie“.“ Auf ihn geht die Zweiteilung der großen Psychosen zurück, die er in das „manisch-depressive Irresein“ und die „Dementia präcox“ einteilte, die sich bis heute als roter Faden (mit inhaltlichen Veränderungen) in den psychiatrischen Klassifikationsschemata erhalten hat. Kraepelin beschrieb mit der „Dementia präcox“ eine Erkrankung, die bei einer Gruppe von jugendlichen Patienten auftrat, die unter geistigem Schwächezustand, Halluzinationen und Wahnideen litten und nicht mehr gesund wurden. Er sah hier eine Analogie zur unheilbaren senilen Demenz, die „vorzeitig“ im Leben auftrat, aber für Kraepelin genauso unheilbar war wie die senile Demenz selbst. Auch wenn Kraepelins Begriff der „Dementia präcox“ obsolet ist und auch wenn durch die Forschung klar belegt ist, dass nur ein Bruchteil der Patienten „chronisch“ erkrankt bleibt, ist die Idee „einmal schizophren, immer schizophren“, also Kraepelins Vorstellung der Chronizität und Progredienz, noch weit verbreitet. „Und die Eigenschaft der Unheilbarkeit haftet dann jedem an, der einmal die Diagnose „Schizophrenie“ erhalten hat.“ (31/S.13)
Der Begriff „Schizophrenie“ wurde von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857 – 1939) geprägt, der sich ausdrücklich auf die psychopathologischen Erscheinungen und nicht auf den Verlauf bezog. Ein Anliegen Bleulers war es, die Idee der Chronizität durch die neue Bezeichnung aufzuheben. Mit „Schizophrenie“ meinte Bleuler nicht „gespaltene Persönlichkeit“, sondern „die Auflockerung der inneren Zusammenhänge der seelischen Vorgänge“. Leider hat, laut Katschnig, der Begriff ein Eigenleben entwickelt und in der Öffentlichkeit eine andere als die von Bleuler zugedachte Bedeutung erhalten. „Zumindest seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat das Wort `einen unpassenden Sinn´, in Form einer zweiten Bedeutung erhalten (Pfeifer 1995): neben der genannten fachlichen Definition der `Auflockerung der seelischen Zusammenhänge´ nämlich die Laienbedeutung der `Zwiespältigkeit´ und `Widersprüchlichkeit´, die man gut dokumentiert in der Zeitung findet (Hoffmann-Richter 2001). Seit damals wirkt diese bildungssprachliche Alltagsverwendung unbarmherzig auf die Kranken zurück, denen man unterstellt, sie hätten zwei oder auch mehrere Persönlichkeiten. Robert Louis Stevensons Roman `Dr. Jekyll and Mr. Hyde´ ist der allgemein bekannte Prototyp für diese `gespaltene Persönlichkeit´ – in diesem Fall einmal Helfer der Menschheit, dann wieder mordende Bestie.“ (31/S.14)
Eine völlige Kehrtwendung vollzog Ende der 30er Jahre der deutsche Psychiater Kurt Schneider (1887 – 1967), bei dem Halluzinationen und Wahnideen im Zentrum der Diagnostik standen. Es war ihm ein Anliegen, dem Praktiker im Alltag ein einfach anzuwendendes diagnostisches Instrumentarium zur Verfügung zu stellen. Er teilte die Krankheitssymptome in Krankheitszeichen ersten und zweiten Ranges ein, wobei die Liste der psychotischen Symptome des ersten Ranges von jedem Laien wohl sofort als „verrückt“ eingestuft werden. Da gerade diese Symptome (wie z.B. Wahnideen und Halluzinationen) vom Diagnosesystem als essentiell angesehen werden – obwohl es dafür keine Begründung außer der einfacheren diagnostischen Handhabbarkeit gibt – tragen sie leider zum Stigmatisierungsprozess bei. (31/S.15)
Katschnig fasste das Vorausgeschickte überspitzt in einem Absatz zusammen (31/S.16): das öffentliche Stereotyp einer an Schizophrenie erkrankten Person besteht in der Annahme, dass die Krankheit unheilbar ist (Kraepelin), dass der Betroffene plötzlich jemand ganz anderer (vielleicht gefährlicher) sein kann, weil er an einer „Persönlichkeitsspaltung“ leidet (falsch verstandenes Schizophreniekonzept Bleulers), und dass er ein „Verrückter“ mit Wahnideen und Halluzinationen ist (Schneider).
I.4 Weltweite Anti-Stigma Kampagnen in der Psychiatr ie
Vorurteile und Stigmata verhindern eine adäquate Versorgung für psychisch Erkrankte, was die Heilungschancen nachhaltig beeinträchtigt. Sie behindern das „Hilfesuchverhalten“ (die Kontaktaufnahme mit einer adäquaten psychiatrischen Versorgungseinrichtung in Krisenfällen) (18/S.269), eine Früherkennung und somit eine frühzeitige Behandlung (2/S.327), sie beeinflussen die „Compliance“ in der Therapie (3/S.358) und erhöhen damit folglich die Rückfallrate.
Die World Health Organisation (WHO) publizierte 2001 Ergebnisse, die in diesem Zusammenhang auf eine mögliche globale Stigmatisierung hinweisen könnten. Der Bericht zeigte umfassend, dass psychische Krankheiten in den meisten Ländern der Welt nicht ernst genommen werden. Ungefähr ein Zehntel aller Erwachsenen waren zum Publikationszeitpunkt weltweit von psychischen Erkrankungen betroffen. Die staatlichen, medizinischen, versorgungstechnischen und finanziellen Reaktionen auf diese Entwicklung waren bislang allerdings international gering. Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit wurde eine weitreichende Unterstützung zur Bekämpfung und Behandlung psychischer Krankheiten nach wie vor vernachlässigt.
Im Gegensatz zu diesen Daten zeigte der Bericht der WHO allerdings auch, dass sich die heute existierenden Versorgungssysteme im psychiatrischen Sektor in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt haben und ein Viertel dieser Systeme allein in den letzten fünf Jahren entstanden war. Auch wenn derzeit die weltweite Übernahme der Verantwortung für psychische Krankheiten im Gesamtbild noch zu gering ist, lassen diese Ergebnisse vermuten, dass die Wichtigkeit der Bekämpfung psychischer Krankheiten und die Ausbildung notwendiger Versorgungssysteme vermehrt anerkannt wird. (60/S.609)
Dieser Prozess könnte in Zusammenhang mit den weltweit initiierten Anti-Stigma Kampagnen stehen. Sowohl der Weltverband für Psychiatrie (World Psychiatric Association, WPA) als auch die WHO und vereinzelte nationale Bewegungen (z.B. Psychoseseminare, Selbsthilfegruppen u.a.) haben es sich zur Aufgabe gemacht, Vorurteile und Diskriminierung gezielt zu bekämpfen.
Die WPA hat 1996 unter dem Namen „open the doors“ ein weltweites Programm gegen Stigma und Diskriminierung schizophren erkrankter Menschen ins Leben gerufen. Da kaum ein anderes seelisches Leiden Gegenstand so vieler Fehldeutungen, Mythen und Vorurteile ist, wurde der Fokus der Kampagne auf die Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis gelegt. Ziel dieses Programms ist es, durch spezifische Maßnahmen in der Bevölkerung und in besonderen Zielgruppen, Wissen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen gegenüber schizophren Kranker zu verändern. Soziale Beeinträchtigungen der Betroffenen sollen auf diese Weise vermindert und ihre Reintegration in die Gesellschaft erleichtert werden. Hauptanliegen des Programms ist, die Lebensqualität der an Schizophrenie Leidenden zu verbessern und ihre Genesung damit zu unterstützen.
Gaebel et al. (20/S.295) berichteten von 27 nationalen Organisationen, die sich derzeit unter dem Dachverband der WPA in Anti-Stigma Kampagnen formieren. In Hamburg wurde 1999 der Startschuss für das nationale Programm in Deutschland gegeben. Zur Durchführung des Programms wurde der Verein „open the doors“ mit Hauptsitz in Düsseldorf gegründet, der in bestimmten Bereichen Koordinationsfunktion für Aktivitäten in den lokalen Projektzentren übernimmt. In mehreren Städten der Bundesrepublik agieren seither Aktionsgruppen, die sich an den Zielen des weltweiten Programms orientieren und sich verschiedenen Projekten, Veranstaltungen und Aktionen der Entdiskriminierung und Entstigmatisierung psychiatrischer Erkrankungen widmen.
Stigmata zu verändern ist ein langer Prozess, insofern wurde geplant, das Programm über mehrere Jahrzehnte voranzutreiben. Dieser Ansatz soll den Skeptikern entgegenwirken, die den Bemühungen der Anti-Stigma Kampagne kritisch gegenüberstehen. Ullrich Meise, äußerte sich hierzu: „Würde sich die Anti-Stigma Arbeit ausschließlich auf den Zeitraum der Kampagne begrenzen, würden jene Kritiker recht behalten, die beklagen, dass wichtige Themen oftmals nur von Kurzlebigkeit und luftiger Zeitgeistigkeit geprägt sind. Würde die Kampagne den Anspruch erheben, nur durch die Aufklärung der breiten Öffentlichkeit Überzeugungen in der Gesellschaft nachhaltig verändern zu können, hätten jene recht, die dies als utopisch erachten und die Aktivitäten äußerst kritisch beurteilen würden. Die destigmatisierenden Aktivitäten sollen über viele Jahre fortgeführt werden und es ist in erster Linie notwendig, ausreichend Mitstreiter dafür zu gewinnen. Daher richtet sich die Anti-Stigma Kampagne nicht nur an die Allgemeinbevölkerung, sondern vor allem an Gruppen, die als Schlüsselpersonen für die angestrebten Einstellungsveränderungen wichtig sind. Die `Kampagne´ dient dazu, Aufmerksamkeit zu wecken. Sie ist ein erster Schritt, dem langfristig angelegte Aktivitäten folgen müssen.“ (37/S.1)
I.5 Die Bayerische Anti-Stigma Aktion BASTA
Die Bayerische Anti-Stigma Aktion ist ein Beispiel für die oben erwähnten deutschen Projektzentren als Teil des weltweiten Programms der WPA und hat seinen Sitz in München. In der trialogischen Zusammensetzung der Mitarbeiter der BASTA finden sich Angehörige, Betroffene und professionelle Helfer (Psychologen, Psychiater, Ärzte, u.a.).
Die 10 - 15 aktiven Mitglieder der BASTA halten im Abstand von zwei Monaten Versammlungen ab, arbeiten lokal an der Planung und Durchführung von Projekten und beteiligen sich überregional, gemeinsam mit anderen Aktionsgruppen in Deutschland (Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen, Ärzten, Pflegekräften, Sozialarbeitern, Journalisten etc.) an verschiedenen Anti- Stigma Aktionen.
I.5.1 Ziele, Aufgaben und Projekte der BASTA
In Anlehnung an die Zielsetzung der weltweiten WPA-Kampagne ließen sich folgende Schwerpunkte für die Arbeit der BASTA formulieren:
- Aufklärung der Öffentlichkeit über psychische Krankheiten durch lokale und überregionale Veranstaltungen und Medienarbeit.
- Aktive Einflussnahme auf Einstellungen und Verhalten definierter Zielgruppen in Form von speziell entwickelten Projekten (z.B. Schüler und Polizeibeamte).
- Proteste gegen Diskriminierungen mit Hilfe eines internetbasierten Stigma-Alarm Netzwerks (SANE) organisieren und sie dadurch stoppen.
- Initiation von Begegnungen der Bevölkerung mit psychisch erkrankten Menschen, um Vorurteile abzubauen und Diskriminierungen zu verhindern.
Im Sinne einer primären Prävention soll im Rahmen eines Schulprojektes die Ausbildung von Stereotypen und Vorurteilen verhindert werden. Als sekundäre Prävention betreibt die Aktionsgruppe Aufklärungsarbeit für die Allgemeinbevölkerung mittels Plakataktionen, Benefiz- und Informationsveranstaltungen (u.a.) und unterstützt Journalisten bei Recherchen zu psychiatrisch orientierten Themen. Zu einer Art sekundärer Prävention soll auch ein Seminar zur Sensibilisierung von Polizeibeamten beitragen, die häufig in konfliktreichen und schwierigen Situationen Kontakt mit Betroffenen und deren Angehörigen haben.
Zur Organisation aktiver Protestarbeit betreibt BASTA ein internetbasiertes Stigma-Alarm Netzwerk (SANE), das als schnelles und einfaches Medium zur Aufdeckung und Bekämpfung von Stigmatisierungsfällen dient. Bearbeitet werden beispielsweise reißerische Falschdarstellungen in den Medien oder stigmatisierende Werbemaßnahmen von Firmen.
Die beiden zielgruppenorientierten Anti-Stigma Projekte für Polizeibeamte und SchülerInnen waren Gegenstand des empirischen Anteils der vorliegenden Promotionsarbeit.
Polizeibeamte wurden früher bereits für Anti-Stigma Interventionen als Zielgruppe ausgewählt und die Ergebnisse in Publikationen beschrieben. So wählte Pinfold et al. (47/S.338) Polizeibeamte als Zielgruppe, da diese berufsbedingt häufig Kontakt mit akut psychisch kranken Menschen haben, gleichzeitig aber wenig Ausbildung bezüglich psychiatrischer Krankheiten erhalten. Laut Pinfold wurde dies in mehreren Berichten und Studien beschrieben (14/S.100,33/S.629). Weiterhin berichteten Patch und Arrigo (43/S.24) über „Rekordzahlen“ an Kontakten von Beamten mit psychisch Kranken, wofür als vorrangige Ursache die Deinstitutionalisierung in den 70er und 80er Jahren verantwortlich gemacht wurde. Ein weiterer Aspekt ist die speziell bei Polizeibeamten beschriebene negative Einstellung gegenüber psychisch Kranken (24/S.112). Godschalx et al. berichteten 1984 über das Vorurteil der „Unberechenbarkeit“, das als Ursache für diese negativen Einstellungen eingeschätzt und einem Informationsdefizit auf dem Gebiet der psychischen Krankheiten zugeschrieben wurde. Zusätzliche Studien zeigten, dass viele Polizeibeamte von den psychisch Erkrankten, auf die sie im Dienstalltag treffen, ein gewalttätiges und abnormes Verhalten erwarten (22/S.665). Wieder andere Untersuchungen beschrieben das Verhalten von jungen Beamten gegenüber psychisch Erkrankten sogar als „grob“ (22/S.665). Polizeibeamte erscheinen deshalb als wichtige Zielgruppe für ein Seminar zur Sensibilisierung gegenüber psychisch Kranken. Ausserdem sind bislang keine Untersuchungen an Polizisten zu diesem Thema innerhalb des deutschsprachigen Raumes veröffentlicht worden.
Auch SchülerInnen und Jugendliche waren schon häufig die Zielgruppe destigmatisierender Interventionen (8/S.402,16/S.469,39/S.340,41/S.215,46/S.1102,48/S.342,49/S.1022,54/S.142,61/S.253). Das überzeugendste Argument für diese Zielgruppe liegt in der noch geringen Ausprägung der Vorurteile bei jungen Menschen, sodass ein Anti-Stigma Projekt im doppelten Sinne „präventiv“ wirken kann. Zum einen kann negativen Einstellungen entgegenwirkt werden, schon bevor sie entstehen und zum anderen sind Jugendliche „potentielle Patienten von morgen“, bei denen durch Aufklärung und Information eine Früherkennung psychischer Krankheiten gefördert werden kann. Da Einstellungen im wesentlichen in der Jugend geformt werden, erscheint es sinnvoll, mit der Information über psychische Krankheiten bereits in der Schule zu beginnen (39/S.345) .
Um die weiter unten näher beschriebenen Pilotprojekte zu entwickeln, zu planen und durchzuführen, konnte der Kontakt zu Betroffenen und Angehörigen im Rahmen der BASTA genutzt werden. In beiden Projekten sollten bereits bekannte Maßnahmen und Strategien umgesetzt und neue Ideen zur Entstigmatisierung verwirklicht werden. Die Ergebnisse der Pilotreihen werden unter II.3 und II.4 vorgestellt und diskutiert.
I.6 Fragestellung
Da das Problem der Stigmatisierung im Bereich Psychiatrie bekannt und ausreichend untersucht ist, soll in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf die Anti-Stigma Projekte gelegt werden, die zu einem Abbau bzw. einer Reduktion dieser Stigmatisierung führen. Diese Promotionsarbeit ist eine Bestandsaufnahme und Analyse von bereits durchgeführten Anti- Stigma Interventionen. Aufbauend auf den dabei gewonnen Erkenntnissen sollten für die Zielgruppen SchülerInnen bzw. Polizeibeamte Interventionsstrategien entwickelt und in Pilotstudien erprobt werden.
Im Detail wurden folgende Fragen untersucht:
- Welche Publikationen zum Thema „zielgruppenorientierte Anti-Stigma Projekte“ sind verfügbar und welche Ergebnisse wurden darin präsentiert?
- Welche zielgruppenorientierten Anti-Stigma Projekte und Aktionen werden weltweit von Gruppierungen durchgeführt? Werden diese Interventionen evaluiert und wenn ja, welche Resultate können verzeichnet werden und wurden diese publiziert?
- Ist ein Seminar „Sensibilisierung gegenüber psychisch Erkrankten“ bei Polizeibeamten erfolgversprechend und wird ein solches Seminar von den Beamten befürwortet?
- Lässt sich bei SchülerInnen eine Einstellungsveränderung und Wissenserweiterung bezüglich psychischer Krankheiten und psychisch Erkrankten durch ein Anti-Stigma Lernpaket bewirken? Wenn ja, sind diese Veränderungen anhaltend?
II Material, Methoden und Ergebnisse
Um die einzelnen Methoden und Ergebnisse zu den vier Hauptkapiteln in dieser Arbeit (II.1 – II.4) besser überblicken zu können, wurden jeweils Methoden und Ergebnisse eines Hauptkapitels zusammenhängend dargestellt.
II.1 Literaturübersicht zielgruppenorientierter Anti-Stigma Projekte
Seit einigen Jahren werden Untersuchungen zur Einstellung der Allgemeinbevölkerung und unterschiedlichster Gruppierungen gegenüber psychiatrischen Patienten bzw. Schizophrenie Kranker in verschiedenen Varianten vorgestellt. In diversen Publikationen konnten Ergebnisse über diese Untersuchungen veröffentlicht werden (29/S.39,30/S.77,45/S.437,57/S.245). Dass Psychiatrie Erfahrene sowohl in westlichen als auch östlichen Gesellschaften stigmatisiert werden (19/S.278,44/S.269) ist hinreichend bekannt. Weiterhin wurde berichtet, dass Sie in vielen Lebensbereichen unter den negativen Effekten des Stigmas leiden, wie beispielsweise den reduzierten Möglichkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitsuche (42/S.89), sowie der Belastung durch vermehrt depressive Symptome (36/S.155).
Vorurteile in verschiedenen Bevölkerungsschichten und Kulturkreisen wurden ausführlich untersucht, weshalb an dieser Stelle ein Schwerpunkt auf Projekte gelegt werden soll, die Interventionen zum Abbau dieser Vorurteile beinhalten. Im Folgenden wird die Literaturrecherche nach Anti-Stigma Projekten beschrieben.
II.1.1 Material und Methodik
Die Literaturrecherche wurde anhand der in Tabelle 20 (im Anhang) genannten Suchwörter („key words“) in der Suchmaschine „Pubmed von Medline“ durchgeführt. Zusätzlich wurde nach Arbeiten bekannter Autoren dieses Interessensgebietes recherchiert. Die Namen der in diese Suche eingeschlossenen Autoren wurden dem Band für „Abstracts“ des ersten internationalen Anti-Stigma Kongresses („Together against Stigma“) in Leipzig vom 2. bis 4. September 2001 entnommen. Die Auswahl der Autoren erfolgte anhand ihrer „Abstracts“, in denen von vergangenen Interventionen bzw. von zukünftig geplanten Projekten berichtet wurde. Bekannte Autoren von Anti-Stigma Aktionen wurden ebenfalls in die Literaturrecherche integriert.
Sofern ein zielgruppenorientiertes Projekt (Definition s.u.) durch obig genannte „key words“ gefunden wurde, erfolgte eine weiterführende Suche in der Datenbank von Medline mit der dafür vorgesehenen Schaltfläche „related links“.
Die in den recherchierten Publikationen aufgelistete Sekundärliteratur über Anti-Stigma Projekte wurde zusätzlich in die Literaturübersicht aufgenommen. Zu den Suchergebnissen wurden die Publikationen der eigenen weltweiten Umfrage nach Anti-Stigma Projekten (siehe II.2 Weltweite Recherche bei WHO, WPA, nationalen Psychiatriegesellschaften u.a.) hinzugefügt.
II.1.2 Ergebnisse
Insgesamt wurden mit dem beschriebenen Verfahren 722 Veröffentlichungen in „Pubmed von Medline“ angezeigt, wovon 38 als zielgruppenorientierte Anti-Stigma Projekte bzw. Interventionen identifiziert werden konnten.
Folgende Kriterien mussten für eine Aufnahme in die Literaturübersicht erfüllt sein: Es wurde (a) eine klar umschriebene Zielgruppe genannt, (b) es wurde eine Intervention beschrieben, die auf eine Einstellungsverbesserung (o.ä.) der Zielgruppe gegenüber psychisch Erkrankten abzielte, (c) das Projekt wurde evaluiert, die Ergebnisse dargestellt und (d) die Publikation wurde in englisch- oder deutschsprachigen Zeitschriften veröffentlicht, welche in „Pubmed von Medline“, der Bayerischen Staatsbibliothek München oder Online-Datenbanken als Volltext verfügbar waren.
Ausgeschlossen wurden Publikationen, die sich mit Einstellungsuntersuchungen im Sinne von Meinungsumfragen beschäftigten bzw. die vor 1975 veröffentlicht worden waren.
Eine Übersicht der eingeschlossenen Anti-Stigma Projekte zeigt die alphabetisch geordnete Tabelle 1. Darin werden die Ziel-, Vergleichs- und Kontrollgruppen sowie deren Fallzahlen genannt. Die unterschiedlichen Evaluationsdesigns und deren Evaluationsinhalte (Interessensbereiche der Fragebögen) werden kurz aufgeführt. Ausserdem wird dargestellt, ob das Projekt eine „Begegnung mit Psychiatrie Erfahrenen“ beinhaltet oder nicht.
Eine Zusammenfassung der einzelnen Ergebnisse könnte aufgrund der heterogenen Daten nicht ohne wesentliche Informationsverluste sowie einer Verfälschung der Resultate erfolgen, weshalb die Autorin an dieser Stelle auf die entsprechenden Originalveröffentlichungen verweist.
Weitere Erläuterungen und Details (zu Ziel-, Vergleichs- bzw. Kontrollgruppen und Messinstrumenten/Skalen), Ergänzungen zur Legende sowie Auszüge der Ergebnisse, der in Tabelle 1 aufgeführten Publikationen, können in der Tabelle 21 im Anhang nachgelesen werden.
Folgende Seiten im Querformat:
Tabelle 1: publizierte Anti-Stigma Projekte mit deren Ziel-, Vergleichs- und Kontrollgruppen, Evaluationsschemata und –inhalte (alphabet. geordnet)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Legende und Abkürzungsverzeichnis (gültig für die gesamte Liste und die Tabelle 21 im Anhang):
Jahr A = Erscheinungsjahr; Beg. mit PE B = Begegnung mit Psychiatrie Erfahrenen; PE = Psychiatrie Erfahrene/psychiatrische Patienten; T o = präinterventionelle Evaluation; T 1 = postinterventionelle Evaluation; T 2 = postinterventionelle Evaluation nach einem oder mehr Monaten; ZG = Zielgruppe; VG = Vergleichsgruppe (andere Intervention als die untersuchte Anti-Stigma Intervention); KG = Kontrollgruppe (wird in keiner Form in die Intervention eingeschlossen); FB = Fragebogen; FB * = vom Autor entwickelter Fragebogen; Stereotype# = Stereotype gegenüber psychischen Krankheiten bzw. PE; s.D. = soziale Distanz zu PE; Vb = Verbesserung; Vs = Verschlechterung;
II.1.2.1 Zwei Beispiele der Literaturrecherche
Im Folgenden werden zwei Interventionen aus oben genannten Beispielen herausgegriffen und im Detail besprochen. Am Interessantesten erscheinen Projekte mit ausgeprägten Einstellungsverbesserungen bzw. –verschlechterungen. Deshalb fiel die Wahl auf eine deutsche Studie (6) mit Zeichen der „Einstellungsverschlechterung“ sowie auf eine methodisch bemerkenswerte Arbeit aus Pakistan (49), welche zu einer „Einstellungsverbesserung“ führte.
Baumann et al. (6) veröffentlichten eine Intervention für die Allgemeinbevölkerung, in welcher Auswirkungen eines Spielfilms auf Wissen, Einstellungen und soziale Distanz gegenüber Schizophreniekranken vorgestellt wurden. Im Kinofilm „Das weisse Rauschen“ wird die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der nach Drogenkonsum an paranoid- halluzinatorischer Schizophrenie erkrankt. Im Vordergrund des Films steht das akute psychotische Erleben des Protagonisten, das auch durch den Einsatz spezieller technischer Mittel eindringlich dargestellt wird. Anfang des Jahres 2002 wurde dieser Film in einem Düsseldorfer Kino - mit anschließender Podiumsdiskussion - vor 200 Zuschauern uraufgeführt. 113 Zuschauer konnten in die Auswertung eingehen. Die Datenerhebung erfolgte über einen Fragebogen, der direkt vor und nach der Aufführung an das Publikum ausgeteilt wurde. Die Evaluation erfasste demographische Daten, Informationen zu vorausgegangenem Kontakt des Teilnehmers mit schizophren erkrankten Menschen, sowie Fragen zu „stereotypen Einstellungen“, „Wissen“ und „sozialer Distanz gegenüber Schizophreniekranken“. Die letztgenannten beiden Skalen wurden bereits von Projektpartnern des Anti-Stigma Programms der WPA „open the doors“ in Kanada eingesetzt und die Skala „stereotype Einstellungen“ wurde in Anlehnung an einen Schweizer Fragebogen entwickelt (Literaturhinweis: Lauber C. et al., 2000).
Die statistische Auswertung zeigte eine deutliche Beeinflussung des Spielfilms „Das weisse Rauschen“ in allen drei Skalen: die Diskrepanz auf der Wissensskala zwischen den Auffassungen über Schizophrenie im Publikum und nach Expertenurteil vergrößerte sich (p<0,05 bei 6 der 10 Items), negative Stereotype wurden verstärkt (keine Angabe des Signifikanzniveaus) und auch die soziale Distanz gegenüber Personen mit der Diagnose Schizophrenie vergrößerte sich (keine Angabe des Signifikanzniveaus).
In der Schlussfolgerung fasste die Autorin die Resultate zusammen und kam zu dem Schluss, dass der Film ungünstige Auswirkungen auf die Einstellungen gegenüber schizophren erkrankten Menschen hatte. Es zeigte sich, dass Veranstaltungen wie dieser Filmabend in erster Linie ein Publikum ansprechen, das bereits für das Thema Schizophrenie sensibilisiert ist (58% des Publikums hatten bereits Kontakt mit schizophreniekranken Menschen) und dass die Wirkung des Films nicht in die Richtung geht, wie sie im Sinne einer Reduktion der Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch Erkrankter wünschenswert wäre. Eine positivere Wirkung könnte vermutlich erzielt werden, wenn die Darstellung mehr auf Themen der Lebensbewältigung nach der psychotischen Krise bzw. Perspektiven der Wiedereingliederung und Rehabilitation ausgerichtet wäre. Zu diskutieren bleibt dann allerdings, ob solche Themen in Spielfilmen umsetzbar sind und an ein breites Publikum adressiert werden können.
Rahman et al. (49) veröffentlichte 1998 Ergebnisse einer kontrolliert-randomisierten Studie, die in Rawalpindi/Pakistan durchgeführt wurde. Bereits 1986 startete dort ein „Mental Health Programme“, durch das Ärzte in Diagnostik und Therapie psychischer Krankheiten trainiert wurden und sozialpsychiatrische Einrichtungen geschaffen werden konnten. Die Anzahl behandelter oder hilfesuchender Betroffener stieg in Folge dessen allerdings nicht wesentlich an. Daraufhin wurde ein Schulprojekt entwickelt, mit dem Ziel sowohl die Aufmerksamkeit und das Wissen gegenüber psychischen Erkrankungen zu erhöhen, als auch Vorurteile über und Einstellungen von psychisch Kranken zu verbessern. Mit dieser Intervention sollten nicht nur SchülerInnen sondern auch deren soziales Umfeld erreicht und evaluiert werden.
Vier Schulen wurden nach bestimmten Kriterien ausgewählt und noch vor einem ersten Besuch randomisiert und entweder in Ziel- oder Kontrollgruppe zugewiesen. Es konnten 50 SchülerInnen sowohl in die Zielgruppe als auch in die Kontrollgruppe aufgenommen werden. Des weiteren wurden pro SchülerIn aus beiden Gruppen jeweils ein Elternteil, ein/e FreundIn und ein/e NachbarIn (welche allesamt nicht „direkt“ am Schulprojekt teilnahmen) in die Untersuchung eingeschlossen. Die Intervention umfasste ein viermonatiges Programm, das Folgendes beinhaltete:
- kurze Unterrichtseinheiten für LehrerInnen bzgl. gängiger psychiatrischer Krankheitsbilder,
- die Vorgabe der Themenwahl in bestimmten Unterrichtsstunden (z.B. in Aufsätzen, bei der jährlichen Ansprache, bei Malwettbewerben, in Theateraufführungen u.a.) die in Zusammenarbeit mit dem „Mental Health Programme“–Team (einem Psychiater, einem Psychologen und einem Sozialarbeiter) geplant und durchgeführt wurden,
- Plakataktionen zum Thema psychische Krankheiten und
- täglich kurze Vorträge der Lehrer.
Die Datenerhebung erfolgte über einen eigens dafür erstellten Fragebogen aus 19 Items, bestehend aus fünf Fragen zu allgemeinen „Gesundheitsfragen“ und 14 Wissens- und Einstellungsfragen zu psychiatrischen Patienten und Krankheiten. Die Evaluation erfolgte vor und nach der Intervention und wurde an alle Ziel- und Kontrollgruppen ausgegeben.
In der Datenanalyse wurde deutlich, dass die Teilnehmer der Zielgruppe, also SchülerInnen, Eltern, Freunde und Nachbarn im Vergleich mit der Kontrollgruppe eine hochsignifikante Verbesserung zeigten. Die SchülerInnen steigerten ihre Resultate von der präzur postinterventionellen Untersuchung um 90% bei 13 von 19 Items. Die Kontrollgruppe konnte erwartungsgemäß nur unwesentliche Verbesserungen aufweisen.
Zusammenfassend stellte der Autor fest, dass die Intervention den gewünschten Erfolg erzielt hatte, und zwar nicht nur bei den jungen Menschen der Zielgruppe sondern durch sie auch in deren sozialem Umfeld. Schlussfolgernd regt er dazu an, Schulprojekte in Zusammenarbeit mit Pädagogen und psychiatrischen Versorgungseinrichtungen näher in Betracht zu ziehen, sofern es auf den Sektoren Wissenserweiterung und Einstellungsverbesserung Bedarf geben sollte.
II.1.2.2 Zielgruppen der Interventionen
Innerhalb der 38 Interventionen wurden sieben verschiedene Zielgruppen genannt (vgl. Abbildung 1). Die Anti-Stigma Projekte waren jeweils genau einer Zielgruppe zugeordnet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung der Zielgruppen innerhalb der publizierten Anti-Stigma Projekte
Die „Begegnungen der Zielgruppe mit psychisch erkrankten Menschen“ wurde in 27 (71%) von 38 Projekten beschrieben.
II.1.2.3 Messinstrumente und Skalen
Interessant erschien weiterhin die Betrachtung der zur Projektevaluation verwendeten Skalen und Messinstrumente. In den 39 genannten Projekten wurden insgesamt 83 unterschiedliche Fragebögen verwendet. Nur wenige Skalen (N=20) wurden in validierter und getesteter Originalfassung eingesetzt.
Die folgende Übersicht (siehe Tabelle 2) fasst die Messinstrumente in Originalfassung zusammen, nennt kurz deren Evaluationsinhalt (z.B. soziale Distanz) und wie häufig diese insgesamt in den beschriebenen Anti-Stigma Projekten benutzt wurden.
Tabelle 2: Liste der Messinstrumente in Originalfassung mit Evaluationsinhalten und Literaturangaben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
13 Fragebögen wurden von den Autoren leicht abgeändert genutzt, was in den meisten Fällen mit „Fragebogen in Anlehnung an die Skala von >Namen des Autors<“ beschrieben wurde. Grundlagen für diese modifizierten Messinstrumente waren Fragebögen von: Angermeyer MC (1997), Borinstein AM (1992), Huxley P (1993), Jackson D (1974), Lauber C (2000), Phelan J (1995), Phillips DL (1963), Reisenzein RA (1986), Taylor M & Dear M (1981), Wada S (1984), Weiner B (1988) und Skalen aus dem WPA-Programm (WPA, 1998 und 2000) bzgl. Einstellungen und Wissen gegenüber psychischen Krankheiten und psychiatrischen Patienten sowie sozialer Distanz.
Die meisten Messinstrumente (N=50) für die beschriebenen Interventionen wurden von den Projektleitern neu entwickelt.
II.2 Weltweite Recherche nach zielgruppenorientierten Anti- Stigma Projekten
Zusätzlich zur oben geschilderten Literaturrecherche in „Pubmed von Medline“ nach bereits publizierten Projekten im Anti-Stigma Bereich, wurde auch noch auf einem zweiten Weg nach Anti-Stigma Projekten gesucht. Hierfür wurden unterschiedliche Institutionen und Vereinigungen angeschrieben, damit auch noch unveröffentlichte bzw. nicht evaluierte Projekte in die Betrachtungen eingeschlossen werden konnten.
II.2.1 Material und Methodik
Zur Datenerhebung wurde ein Fragebogen mit zehn Elementen entwickelt, der sich aus geschlossenen und offenen Fragen zusammensetzte (siehe Anlage 1/ deutsche Version). Inhaltlich wurden mit dem Fragebogen zum Einen Basisinformationen zu den einzelnen Organisationen (Standort, Name, Kontaktmöglichkeiten, Gründungsdatum, Mitarbeiteranzahl und Finanzierungsarten der Organisation/Kampagne) und zum Anderen Informationen über zielgruppenspezifische Projekte und deren Ergebnisse gesammelt.
Der ausgesandte Fragebogen wurde in deutsch und englisch verfasst und sowohl per Post an die Adressaten verschickt als auch in zweisprachiger Form als Online-Version im Internet verfügbar gemacht. Der Online-Fragebogen wurde von UFOiu Internet Service (www.ufoiu.net) in der Programmiersprache PHP entwickelt und auf dem firmeneigenen Webserver implementiert. Über ein Web-Frontend in Form mehrerer HTML-Formulare fand die Interaktion mit dem Benutzer statt. Ein Script fasste die Eingaben der einzelnen Formulare in einer Textdatei zusammen und kodierte die Informationen in einer EMail, welche der Autorin zugesandt wurde. Der Online-Fragebogen war für alle gängigen Browser und Betriebssysteme zugängig und kompatibel.
Für diese Internetversion war eine Form der Zugangsbeschränkung notwendig. Alle TeilnehmerInnen erhielten deshalb im Anschreiben ein Passwort und einen Benutzernamen (antistigma = Passwort = Benutzername), wobei jedem Empfänger dieselben Codeworte genannt wurden. Dies war nötig, um einerseits außenstehenden Internetnutzern den Zugang zur Website zu verwehren, andererseits aber den Erstadressaten zu ermöglichen, den Fragebogen an andere ihnen bekannte Anti-Stigma Gruppen weiterzuleiten (Schneeballsystem). Im Anschreiben (siehe Anlage 2/ deutsche Version) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Weiterleitung des Fragebogens an andere Anti-Stigma Projektzentren erwünscht ist. Zusätzlich wurde zur Motivation der Adressaten in dem Begleitschreiben angekündigt, dass eine Liste aller an der Umfrage teilnehmenden Organisationen auf der Homepage der Bayerischen Anti-Stigma Aktion veröffentlicht wird (siehe Tabelle 22 im Anhang).
[...]
- Citar trabajo
- Dr. med. Kerstin Wundsam-Gollwitzer (Autor), 2004, Anti-Stigma Projekte in der Psychiatrie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123079
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