„’Ich kenne niemanden, der nicht dabei ist’, sagt Benjamin Roth, 25. ‚Hundertmal am Tag gehe ich da rein, ganz schlimm’, sagt Carolin Thiele, 25. ‚Fast hätte ich hier eine Freundin gefunden’, sagt Christian Vogt, 27; demnächst trifft er sich mit der nächsten Kandidatin.“(1) Das ist möglich, da sie alle eines gemeinsam haben: Sie sind – wie mittlerweile 4,7 Millionen andere User auch – Mitglied bei StudiVZ(2), Deutschlands Marktführer auf
seinem Gebiet:(3) Während bis Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts
Internet-Communities eher eine mit Computer-Nerds(4) assoziierte Parallelwelt
darstellten, ist es heute für junge Menschen vom Teenager-Alter bis Ende Zwanzig fast schon selbstverständlich, in sozialen Online-Netzwerken mit einander verbunden zu sein und sich anderen zu präsentieren – sei es bei Myspace, Lokalisten, Wer-Kennt-Wen, campusfriends oder eben vor allem bei StudiVZ. Dieses Phänomen beschreibt mindestens zwei soziologisch interessante
Entwicklungen: Zum einen ist es Teil einer Entwicklung hin zur immer
allumfassenderen medialen Ubiquität, für deren Kommunikation mehrfache
Gleichzeitigkeit, lokale Unwichtigkeit und Multimedialität charakteristisch sind.(5) Zum anderen zeigt es die Geschwindigkeit, mit der Moden in der Moderne
aufeinander folgen und sich gegenseitig ablösen. Um die für die moderne Mode charakteristischen Merkmale und Zyklen aufzuzeigen, ist StudiVZ ein sehr passendes Beispiel und Beweisstück. So sollen im Folgenden klassische Theorien der Mode sowie Theorien der Mode in der Moderne vorgestellt werden. Daraufhin wird es nötig sein, das Phänomen StudiVZ genauer unter die Lupe zu nehmen sowie seinen angewachsenen Erfolg und seine ersten Anzeichen des Abstiegs zu beschreiben. Hiernach soll die Synthese gezogen werden, in der StudiVZ als ein Phänomen der modernen Mode identifiziert wird. Im abschließenden Résumée soll nicht nur die erfahrene Erkenntnis zusammengefasst, sondern darüber hinaus auch ein Ausblick gewagt werden: Was kommt nach StudiVZ, wohin entwickeln sich soziale Online-Netzwerke? Diese Hausarbeit konzentriert sich also gänzlich auf die Dimension der Modeerscheinung und lässt die Aspekte des freiwillig gläsernen Menschen und die damit entstehenden sozialen Implikationen vollkommen außen vor.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Theorie
2.1. Definition der Mode
2.2. Die klassische Theorie der Mode
2.3. Die Theorie der modernen Mode
3. Praxis
3.1. Definition und Arten sozialer Online-Netzwerke
3.2. Das soziale Online-Netzwerk StudiVZ
3.2.1. Der Aufstieg von StudiVZ
3.2.2. Das Erfolgsmoment von StudiVZ
3.2.3. Der Abfall von StudiVZ
4. Synthese: StudiVZ als Phänomen Moderner Mode
5. Résumée & Ausblick
6. Quellen
1. Einleitung
„’Ich kenne niemanden, der nicht dabei ist’, sagt Benjamin Roth, 25. ‚Hundertmal am Tag gehe ich da rein, ganz schlimm’, sagt Carolin Thiele, 25. ‚Fast hätte ich hier eine Freundin gefunden’, sagt Christian Vogt, 27; demnächst trifft er sich mit der nächsten Kandidatin.“1
Das ist möglich, da sie alle eines gemeinsam haben: Sie sind – wie mittlerweile 4,7 Millionen andere User auch – Mitglied bei StudiVZ2, Deutschlands Marktführer auf seinem Gebiet:3 Während bis Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts Internet-Communities eher eine mit Computer-Nerds4 assoziierte Parallelwelt darstellten, ist es heute für junge Menschen vom Teenager-Alter bis Ende Zwanzig fast schon selbstverständlich, in sozialen Online-Netzwerken mit einander verbunden zu sein und sich anderen zu präsentieren – sei es bei Myspace, Lokalisten, Wer- Kennt-Wen, campusfriends oder eben vor allem bei StudiVZ.
Dieses Phänomen beschreibt mindestens zwei soziologisch interessante Entwicklungen: Zum einen ist es Teil einer Entwicklung hin zur immer allumfassenderen medialen Ubiquität, für deren Kommunikation mehrfache Gleichzeitigkeit, lokale Unwichtigkeit und Multimedialität charakteristisch sind.5 Zum anderen zeigt es die Geschwindigkeit, mit der Moden in der Moderne aufeinander folgen und sich gegenseitig ablösen.
Um die für die moderne Mode charakteristischen Merkmale und Zyklen aufzuzeigen, ist StudiVZ ein sehr passendes Beispiel und Beweisstück.
So sollen im Folgenden klassische Theorien der Mode sowie Theorien der Mode in der Moderne vorgestellt werden. Daraufhin wird es nötig sein, das Phänomen StudiVZ genauer unter die Lupe zu nehmen sowie seinen angewachsenen Erfolg und seine ersten Anzeichen des Abstiegs zu beschreiben. Hiernach soll die Synthese gezogen werden, in der StudiVZ als ein Phänomen der modernen Mode identifiziert wird.
Im abschließenden Résumée soll nicht nur die erfahrene Erkenntnis zusammengefasst, sondern darüber hinaus auch ein Ausblick gewagt werden: Was kommt nach StudiVZ, wohin entwickeln sich soziale Online-Netzwerke?
Diese Hausarbeit konzentriert sich also gänzlich auf die Dimension der Modeerscheinung und lässt die Aspekte des freiwillig gläsernen Menschen und die damit entstehenden sozialen Implikationen vollkommen außen vor.
2. Theorie
2.1. Definition der Mode
Der Begriff Mode ist ein Lehnwort aus dem Französischen, bedeutet Art und Weise und leitet sich von dem lateinischen Wort modus ab, ebenfalls Art und Weise. Im französischen Sinne beschreibt es die zum Beispiel für einen bestimmten Landstrich oder für ein bestimmtes soziales Milieu besondere Art, beispielsweise zu kochen oder sich zu kleiden.6 Im Deutschen erweitert sich die Lesart um die temporale Dimension: Eine Mode bezeichnet eine als zeitgemäß geltende Art und Weise des Handelns und Denkens – Sitten und Gebräuche, die für eine bestimmte Zeit einem gerade herrschenden Geschmack entsprechen.7 Mode ist ein zyklisches Muster des Wandels in wiederkehrender und sich immer selbst wieder ersetzender Form mit sich jedoch verändernden Inhalten.
Festzuhalten ist, dass es sich bei Mode nicht nur um Kleidungsmode handelt. Mode kann sich auf alle Bereiche des menschlichen Handelns und Denkens beziehen.
Die die Mode beschreibenden Gesetzmäßigkeiten und die davon ausgehenden Einflüsse auf die Gesellschaft haben neben Persönlichkeiten anderer Disziplinen auch viele namhafte Soziologen versucht zu ergründen.8 Doch wird im folgenden Punkt ausschließlich auf die Theorie der Mode Bezug genommen werden, die Georg Simmel 1923 in seinem Band gesammelter Essays, Die philosophische Kultur, veröffentlichte; im darauf folgenden Punkt steht Elena Espositos Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Die Paradoxien der Mode im Vordergrund, ein Buch, in dem sie die verschiedensten Gedanken und Theorien zur Mode in der Moderne zusammengetragen hat.
2.2. Die klassische Theorie der Mode
Ein Phänomen, das sich durch alle Seiten des menschlichen Lebens, des Handelns, Denkens, Fühlens und Erfahrens zieht, und so also das menschliche Dasein grundlegend prägt, ist Dualismus. Es entspricht der Natur des Menschen, sich zwischen zwei gegensätzlichen Polen hin- und hergerissen zu fühlen, und zum Überleben eine Balance zwischen ihnen finden zu müssen: etwa zwischen Schaffensdrang und Rezeptivität, zwischen Bewegung und Ruhe oder zwischen Spontaneität und Planbarkeit.
Auf gleiche Art und Weise ist der Mensch in seiner Selbstverortung getrieben zwischen dem Verlangen nach Anpassung, Verschmelzung mit der Gesellschaft sowie dem Wunsch nach individuellem Hervortreten. Ebenso verhält es sich mit dem Drang nach Veränderung, der gleichzeitig einhergeht mit der Sehnsucht nach Beständigkeit.
Der Funktion der Mode liegen auf ähnliche Weise zwei Strömungen zu Grunde, die zur Existenz von Mode in einer Gesellschaft wesentlich sind. Zum einen möchte sie Inklusion schaffen, zum anderen Exklusivität. Auf der einen Seite manifestiert sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, der das Folgen der Mode durch den Mitgliedern gegebene Ressourcen möglich ist. Auf diesem Wege grenzt sie auf der anderen Seite so auch diejenigen aus, die der Mode nicht folgen – sei es aus Unwissenheit, aus Überzeugung oder aus Mangel an Ressourcen. Das jeweilige Objekt der Mode erfüllt jedoch keinen eigenen Zweck; warum ein Objekt modisch wird und ein anderes nicht, lässt sich rational nicht ergründen, denn das Objekt an sich – wäre es nicht in Mode – verschafft seinem Träger9 keinen Mehrwert. 10 Auch der Mode zu entfliehen ist unmöglich, sie ist allumfassend, denn bewusste Unmodernität folgt der Mode ebenfalls, bloß mit umgekehrten Vorzeichen.11
In diesem Sinne beschreibt Simmel Mode als ein Instrument der schichtspezifischen Differenzierung: Eine Mode entsteht in der Oberschicht, um sich von der Normalität der unteren Schichten abzugrenzen. Die unteren Schichten greifen diese Mode auf und versuchen so, zur jeweils höheren Schicht aufzuschließen; dieses Phänomen wird Trickle-Down12 genannt. Sobald die jeweilige Mode der oberen Schicht von der jeweils unteren Schicht in breitem Maße nachgeahmt wird, verliert die Mode für die obere Schicht ihren Reiz und neue Trends müssen entstehen, um sich erneut von der breiten Masse abzuheben.13 So erlegen sich alle Schichten den Zwang des ständigen Wandels auf, obwohl stetige Veränderung wider der Natur sowohl der oberen als auch der unteren Schichten ist: Nach Simmel sind niedere Schichten schwer beweglich und als große Masse in einheitlichen Entwicklungen langsam. Höhere Schichten dagegen sind in ihren Einstellungen eher konservativ, wittern sie in der Veränderung doch auch immer einen Wechsel, der mit einem Verlust ihrer Stellung einhergehen könnte.14
Dieser Antagonismus lässt sich nicht nur in der gesamtgesellschaftlichen Dimension identifizieren, sondern spiegelt sich gleichermaßen auf der Mikroebene wieder: Mode auf der einen Seite als Schutz der Persönlichkeit und auf der anderen Seite als Bedrohung der Individualität.
Das Mitgehen mit einer Mode ermöglicht dem Individuum das Abtauchen in einem Kollektiv, was das gute Gefühl des Dazugehörens verspüren lässt. Dadurch hebt sich das Individuum vom Niederen und Normalen ab und vermeidet so das schamhafte Gefühl, Außenseiter zu sein.15 Das veranschaulicht, warum die kuriosesten Objekte modisch werden können, und erinnert sehr an Die Logik des kollektiven Handelns16 von Mancur Lloyd Olson:
„Als Element einer Masse macht das Individuum Unzähliges mit, was ihm, wenn es ihm in der Isolierung zugemutet würde, unüberwindliche Widerstände erwecken würde.“17
Das Komplizierte liegt darin, dass das Abgrenzen vom Normalen und gleichzeitige Dazugehören-Wollen zum Exklusiven nur solange funktioniert, wie die Mode noch nicht allgemein verbreitet, aber dennoch schon in ihrer Auffälligkeit als etwas Erstrebenswertes zu identifizieren ist. Dies lässt sich durch die Polarität des Neidens und Gönnens verdeutlichen: Eine Mode funktioniert nur und ist nur solange Mode, wie eine Balance besteht zwischen denen, die die Träger einer Mode beneiden und den Trägern der Mode selbst, die anderen die Nachahmung gönnen. Das Kunststück des Modebewussten besteht also darin, auf dem Weg, den die anderen gehen werden, ihnen bereits ein Stück voraus zu sein.18
Für die Mode selbst bedeutet das, dass der ihr innewohnende Ausbreitungsdrang sich zu einer fatalen Tendenz entwickelt:
„Das Wesen der Mode besteht darin, daß immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchgedrungen ist, d.h. sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, [...] bezeichnet man es nicht mehr als Mode.“19
Der Verlauf einer Modeerscheinung beschreibt also eine umgekehrt u-förmige Kurve in einem Koordinatensystem, dessen Horizontale die zeitliche Achse und dessen Vertikale das Ausmaß der Ausbreitung der Mode veranschaulicht. Außerdem unterteilt sich eine Modeerscheinung in drei Phasen: 1) eine neue Mode entsteht, 2) die Mode verbreitet sich, 3) die Mode erreicht Übersättigung und verliert ihr Modedasein somit wieder. Noch während der dritten Phase wird sie von der ersten Phase einer neuen Modeerscheinung überlagert. Das Beständige liegt in ständiger Erneuerung. Dies ist gleichbedeutend damit, dass nicht mehr in der Mode befindliche Objekte ehemaliger Moden zwingend keinen Träger mehr fänden.
[...]
1 Dworschak, Manfred: Wer mit Wem?, DER SPIEGEL, Nr. 52/2007, S. 132
2 Der Name generiert sich als Abkürzung für Studierenden-Verzeichnis in Anlehnung an Vorlesungsverzeichnis oder Studierendensekretariat
3 vgl.: Winckler, Lars: Studenten sabotieren StudiVZ, in: WeltOnline, 20.01.2008 (http://www.welt.de/wams_print/article1575401/Studenten_sabotieren_StudiVZ.html)
4 Mit dem Terminus „Computer-Nerd“ werden im Allgemeinen computerinteressierte und -fixierte, meist junge Männer beschrieben. Laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung ist „Nerd“ ein Akronym für „Non Emotional Responding Dude“ (vgl. Casati, Rebecca: Geist und Klick, in: sueddeutsche.de, 30.04.2006 (http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/852/74778/))
5 vgl.: Thimm, Caja: Mediale Ubiquität und soziale Kommunikation, in: Thiedeke, Udo (Hg.): Soziologie des Cyberspace. Medien, Strukturen und Semantiken. Wiesbaden 2004, S. 52f.
6 vgl.: o.V.: Hachette Dictionaire. Édtion illustrée, Paris 2003, S. 1051
7 vgl.: o.V.: Duden. 21. Auflage, Mannheim 1996, S.499
8 Hier sind v. a. zu nennen: Pierre Bordieu mit Die neuen Kleider der Bourgeoisie von 1975 und Theodor W. Adorno mit der Dialektik der Aufklärung von 1947, die der Mode ein eigenes Kapitel widmet.
9 Der Begriff Träger soll hier und im Folgenden im Sinne von Tragen einer Eigenschaft, eines Objektes verstanden werden und nicht zwingend auf das Tragen eines Kleidungsstücks beschränkt bleiben. Ebenso soll der Modebewusste im Wortsinn verstanden werden: Derjenige, der um eine Mode weiß und ihr folgt.
10 vgl.: Simmel, Georg: Die philosophische Kultur: Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne; gesammelte Essais. Berlin 1983 [zuerst 1923], S. 39 ff.
11 vgl.: ebenda, S. 50
12 Der Terminus Trickle-Down – englisch für: heruntertropfen – soll veranschaulichen, dass Moden von der Oberschicht auf niedere ausbreiten, heruntertropfen. Eigentlich wurde der Begriff von Adam Smith geprägt und stammt aus einer Ökonomietheorie, die besagt, dass der Wohlstand reicher Bevölkerungsschichten und Länder zu ärmeren heruntersickert.
13 vgl.: ebenda, S. 43
14 vgl.: ebenda, S. 59
15 vgl.: ebenda, S. 40
16 siehe: Olson, Mancur Lloyd: The logic of collective action: public goods and the theory of groups. Cambridge, Mass. 1965
17 Simmel, Georg: a.a.O., S. 55
18 vgl.: ebenda, S. 48 f.
19 ebenba, S. 46
- Citation du texte
- Tilman Scheipers (Auteur), 2008, Moderne Mode StudiVZ, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123029
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