In dieser Arbeit soll zum besseren Verständnis zunächst einmal kurz auf das Bild des Kindes bei Comenius eingegangen werden, worauf ein wiederum knapper Überblick über den Gesamtaufbau sowie die Gestaltung der Einzelkapitel im „Orbis pictus“ folgt. Anschließend soll dann der Frage nachgegangen werden, wie Comenius durch seine Bilder, die im Wechselspiel mit den zugehörigen Texten wirken, bei den Kindern einen Begriff von der ganzen göttlichen Weltordnung zu erzeugen vermag. Dazu ist zunächst zu klären, welcher Bildtradition er dabei folgt bzw. von welcher er sich abzusetzen versucht. Die Illustrationen, mit denen Comenius den Kindern die Gegenstände des naturwissenschaftlich-technischen Bereiches vor Augen führt, stehen zunächst im Zentrum der Untersuchung, woraufhin auch näher beleuchtet werden soll, auf welche Weise er sogar Abstrakta im Bild sichtbar und so den Kindern zugänglich macht. In einer kurzen Schlussbetrachtung wird zuletzt noch der Anschauungsbegriff des Comenius mit dem aus unserer Zeit verglichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführende Worte
2. Comenius’ Bild vom Kind
3. Der Aufbau des „Orbis pictus“
4. Die Bilder im „Orbis pictus“
4.1. Abkehr von der Mnemonik
4.2. Die Bilder zum naturkundlich-technischen Bereich
4.3. Die Darstellung des Unsichtbaren im Bild
5. Schlussbemerkung: Das Anschauungsbild gestern und heute
6. Literaturverzeichnis:
1. Einführende Worte
„Es ist / wie ihr sehet / ein kleines Büchlein: aber gleichwol ein kurzer Begriff der ganzen Welt und der ganzen Sprache / voller Figuren oder Bildungen / Benahmungen und der Dinge Beschreibungen“[1].
So charakterisiert Johann Amos Comenius selbst sein Lehrwerk „Orbis pictus“ aus dem Jahr 1658, das er einerseits als Hilfe zum Lesenlernen, andererseits als Lehrbuch zum Erlernen der lateinischen Sprachen konzipiert hat. Wie in jedem Schulbuch, spiegeln sich auch in ihm wesentliche Tendenzen aus den Denkrichtungen und Weltanschauungen seiner Entstehungszeit. So führte beispielsweise das Aufkommen empirischer Forschung zu einer „Profanwissenschaft, die sich der Erfassung konkreter Tatsachen und Erscheinungen zuwandte“[2]. Ihre Ergebnisse fanden auch in die Schriften des Comenius Eingang. Andererseits zeigen sich bei ihm aber auch weiterhin eine starke Betonung der Religion sowie Darstellungen, die nach wie vor die alte Weltvorstellung repräsentieren. „Comenius kann [demnach] als Vorläufer und Eröffner der Moderne ebenso wie als ihre noch unverarbeitete Kontrastfigur studiert werden“[3].
Außerdem kam es in enger Verbindung mit dem Zugänglichmachen dieser neu gewonnenen Erkenntnisse auch für die unteren Schichten zu einer allmählichen Verdrängung der lateinischen Sprache aus Wissenschaft und Literatur. Auch diese Hinwendung zur muttersprachlichen Literatur findet ihren Niederschlag im „Orbis pictus“.
Gemeinsam ist den pädagogischen Entwürfen dieser Zeit auch die Hinwendung zu den ‚Realien’, im Mittelpunkt des Unterrichts sollen also nicht mehr, wie bisher, die Worte, sondern die Beschäftigung mit den Dingen, das Sachwissen, stehen. So spricht auch Comenius in seinem Vorwort von „[den] Bildungen / […] aller sehbaren Dinge […] in der ganzen Welt“, die er durch sein Büchlein den Kindern näher bringen möchte. Auf welche Weise er dies tut, soll unter anderem Gegenstand dieser Arbeit sein.
Im Folgenden soll jedoch zum besseren Verständnis zunächst einmal kurz auf das Bild des Kindes bei Comenius eingegangen werden, worauf ein wiederum knapper Überblick über den Gesamtaufbau sowie die Gestaltung der Einzelkapitel im „Orbis pictus“ folgt. Anschließend soll dann der Frage nachgegangen werden, wie Comenius durch seine Bilder, die im Wechselspiel mit den zugehörigen Texten wirken, bei den Kindern einen Begriff von der ganzen göttlichen Weltordnung zu erzeugen vermag. Dazu ist zunächst zu klären, welcher Bildtradition er dabei folgt bzw. von welcher er sich abzusetzen versucht. Die Illustrationen, mit denen Comenius den Kindern die Gegenstände des naturwissenschaftlich-technischen Bereiches vor Augen führt, stehen zunächst im Zentrum der Untersuchung, woraufhin auch näher beleuchtet werden soll, auf welche Weise er sogar Abstrakta im Bild sichtbar und so den Kindern zugänglich macht. In einer kurzen Schlussbetrachtung wird zuletzt noch der Anschauungsbegriff des Comenius mit dem aus unserer Zeit verglichen.
2. Comenius’ Bild vom Kind
Um die Konzeption des „Orbis pictus“ besser verstehen zu können, erscheint ein kurzer Blick auf das Verständnis, das Comenius vom Kind hatte, hilfreich. In der Pädagogik von Johann Amos Comenius, die unter anderem durch den Pietismus beeinflusst wurde, erscheint auch das Kind erstmals als Ebenbild Gottes, als Gotteskind, das ebenso wie die Erwachsenen eine direkte Beziehung zu Gott hat. Daraus ergibt sich, dass auch die Kindheit als Lebensphase durchaus ernst zu nehmen ist und dass „die Realisierung des Königreichs Gottes auf Erden […] bereits auch die Aufgabe der Kinder als Menschen“[4] ist. Dies ist umso mehr möglich, als den Kindern ein unbefangenes Hindrängen zu Jesus zugeschrieben wird, indem sie sich ohne die Vorbehalte, wie sie die Erwachsenen haben, „auf jenes von Christus wieder geknüpfte Band zu Gott“[5] einlassen.
Aus dieser doch positiv besetzten Naivität ergibt sich zugleich, dass der kindliche Geist „der ankommenden Weisheit […] noch grenzenlos offensteht“[6] und daher bereits in sehr frühen Jahren mit der Bildung des Menschen begonnen werden muss, zumal früh Gelerntes dem Gedächtnis besser eingeprägt bleibt wie spät Gelerntes. Daraus resultiert aber gleichzeitig der Anspruch, dass es auch für Kinder eigene Bücher geben muss, mit deren Hilfe ihnen bereits in jungen Jahren mitgeteilt werden kann, wie die Welt beschaffen ist, und durch die ihnen „Weisheit, Tugend und Frömmigkeit“[7] eingeprägt werden können. Zu diesem Zweck konzipierte Comenius seine Lehrbücher auf einer einfachen, für Kinder leicht zugänglichen Ebene. Speziell der „Orbis pictus“, der in seiner Konzeption als Bilderbuch auch bei der Unterweisung der des Lesens noch nicht mächtigen Vorschulkinder herangezogen werden kann, nimmt in dieser Hinsicht eine besondere Stellung ein. Zur Zeit des Comenius war es nämlich nicht üblich, sich bereits der geistigen Pflege des Kleinkindes zuzuwenden, „erst von dem Augenblick an, in dem es als Schüler auftrat, wandte man ihm das Interesse zu“[8]. Besonders kindgerecht erscheint in diesem Zusammenhang auch Comenius Vorstellung davon, wie Bildung auszusehen habe: Nach seiner Meinung sollte sie nämlich nie unter Zwang geschehen, sondern vielmehr „möglichst leicht, angenehm und gleichsam von sich selbst“[9] vor sich gehen.
3. Der Aufbau des „Orbis pictus“
Als Bilderbuch diente der „Orbis pictus“ des Comenius nicht nur dazu, das Erlernen der lateinischen Sprache zu erleichtern, sondern ebenso die sprachliche Ausbildung der Kinder in der Muttersprache zu fördern. Auf Titelseite, Leitspruch und das Vorwort an den Leser folgt ein aus 150 Kapiteln bestehendes „bebildertes Kompendium der Welt“[10], dem wiederum eine kurze Invitatio vorangeht. Dieser Hauptteil „stellt Gottes Schöpfung als kosmische Weltordnung dar“[11], beginnend mit Gott und wiederum zulaufend auf das jüngste Gericht. Dazwischen erscheinen Ausführungen zu allen Bereichen der Welt und des menschlichen Lebens: Erde, Himmel, die Elemente, Pflanzen, Tiere und der Mensch, die menschlichen Berufe und Künste sowie die Tugenden und das gesellschaftliche Zusammenleben. „Der Aufbau des Orbis pictus zeigt deutlich das Bemühen, den harmonischen Aufbau der Welt, wie er nach Comenius’ pansophischen Schriften erscheint, nachzuzeichnen“[12].
Die einzelnen Lernabschnitte sind alle ähnlich aufgebaut: Sie nehmen jeweils den Platz einer Doppelseite ein, mit Ausnahme des Kapitels über das Christentum, das vier Seiten für sich beansprucht. Auf der linken Seite findet sich zunächst eine Überschrift, die den Oberbegriff des zu behandelnden Themas lateinisch und deutsch nennt. Darauf folgt ein Holzschnitt, in dem die verschiedenen zu sehenden Einzelheiten mit Ziffern versehen sind, welche anschließend in einem kurzen Text näher erläutert werden. Auch diese Erläuterungen der Holzschnitte sind zweisprachig in Latein und Deutsch wiedergegeben. Durch dieses Nebeneinander von Latein und Muttersprache soll zum einen die sprachliche Ausbildung der Kinder in der Muttersprache gefördert, zum anderen das Lesenlernen erleichtert werden, sowie auch das Erlernen des Lateinischen leichter fallen. Wenn auch alle Kapitel des „Orbis pictus“ in ähnlicher Weise aufgebaut sind, verhindern doch die abwechslungsreichen Bilder sowie die kurzen und prägnanten Erläuterungstexte den Eindruck der Eintönigkeit.
4. Die Bilder im „Orbis pictus“
4.1. Abkehr von der Mnemonik
Eine sehr beliebte Methode, um Wissen dauerhaft im Gedächtnis zu verankern, war zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Mnemonik, bei der mit Hilfe mnemonischer Schemata[13] „Sachverhalte in eine bildhafte Vorstellung [umgesetzt] und […] durch Anweisung eines bestimmten Platzes in einem bildhaften Gefüge fest im Gedächtnis [verwurzelt werden]“[14]. Ihre Anfänge reichen dabei bis in die Antike zurück, bereits bei Aristoteles, Cicero oder Quintilian finden sich Anklänge an dieses Merksystem, bei dem es gilt, die zu merkenden Gegenstände in Bilder zu verwandeln und sie an bestimmten Örtlichkeiten (loci) anzuordnen, „die man in der Vorstellung vor Augen sieht“[15]. Die Bilder können innerhalb der Orte dann beliebig ausgewechselt werden. Auf diese Weise soll das spätere Abrufen der gemerkten Inhalte wesentlich erleichtert werden. „In der Mnemonik wird jedem X ein Y zugeordnet und das eine wird damit […] zum Signifikanten des anderen“[16]. Diese Zuordnung erfolgt jedoch willkürlich, so dass sie zunächst nur von ihrem Urheber entschlüsselt werden kann. Um allgemeine Gültigkeit zu erlangen, müssen diese Codes auch anderen einsichtig und zugänglich gemacht werden.
Auch im Mittelalter finden sich weitere Quellen der Mnemonik, wobei in methodischer Hinsicht beispielsweise Kartenspiele, Schachfiguren oder Würfel als spielerische Hilfsmittel herangezogen wurden. Als wichtige Vertreter der Mnemonik in dieser Zeit seien stellvertretend Thomas Murner, Jakobus Publicius oder Petrus Ravennas genannt.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts jedoch wird diese Memoriertechnik durch ihr Ausarten in Spielerei und ‚Charlatanerie’ ad absurdum geführt, „großsprecherische Autoren machten aus ihr eine Geheimwissenschaft“[17], unter ihnen Lambert Thomas Schenckel. Zwar fand die Mnemonik durch ihn große Verbreitung und erfreute sich großer Beliebtheit, wurde jedoch Opfer der wissenschaftlichen Verflachung und entfernte sich von ihrer früheren Anschaulichkeit.
[...]
[1] Comenius, Johann Amos: Orbis sensualium pictus. Faksimiledruck der Ausgabe von 1658. Mit einem Nachwort von Heiner Höfener. Dortmund: Karl Hitzegrad 1978. Vortrag. An den Leser. Alle weiteren folgenden Verweise und Zitate beziehen sich ebenfalls auf diese Ausgabe und werden nicht gesondert zitiert.
[2] Alt, Robert: Herkunft und Bedeutung des Orbis Pictus. Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrbuchs. Berlin: Akademie-Verlag 1970. S. 9.
[3] Scheuerl, Hans: Johann Amos Comenius (1592-1670). In: Klassiker der Pädagogik. Erster Band. Von Erasmus von Rotterdam bis Herbert Spencer. Hrsg. von Hans Scheuerl. München: C.H. Beck 1979. S. 68.
[4] Schaller, Klaus: Das Kind in der Pädagogik des J.A. Comenius (1592-1670). In: Das Kind in Pietismus und Aufklärung. Beiträge des Internationalen Symposions vom 12.-15. November 1997 in den Franckeschen Stiftungen zu Halle. Hrsg. von Josef N. Neumann und Udo Sträter. Tübingen: Verlag der Frankeschen Stiftungen Halle im Max-Niemeyer-Verlag 2000. S. 24.
[5] Ebd. S. 23.
[6] Hornstein, Herbert: Weisheit und Bildung. Studien zur Bildungslehre des Comenius. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1968. S. 179.
[7] Schaller, K.: Das Kind in der Pädagogik des J.A. Comenius. S. 19.
[8] Geissler, Heinrich: Comenius und die Sprache. Heidelberg: Quelle & Meyer 1959 (=Pädagogische Forschungen Bd. 10). S. 77.
[9] Comenius, Johann Amos: Große Unterrichtslehre. Mit einer Einleitung: J. Comenius, sein Leben und Wirken. Einleitung, Übersetzung und Kommentar. Von Dr. Gustav Adolf Lindner. Wien/Leipzig: Verlag von U. Pichlers Witwe und Sohn 1902. S. 67.
[10] Hornstein, Herbert: Die Dinge sehen, wie sie aus sich selber sind. Überlegungen zum Orbis pictus des Comenius. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 1997 (=Comenius-Reden und -Beiträge; Bd. 1). S. 9.
[11] Kormann, Dieter: Der Anschauungsbegriff bei Comenius, Basedow und Hartwig im Blick auf die anschauungsbezogenen methodischen Anforderungen im heutigen Fach Kunst. Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Lang 1992 (= Europäische Hochschulschriften: Reihe 11, Pädagogik; Bd. 496). S. 19.
[12] Brüggemann, Theodor (Hrsg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 2 von 1570-1750. Stuttgart: Metzler 1991. c. 434.
[13] Vgl. zu diesem Kapitel:
Strasser, Gerhard F.: Emblematik und Mnemonik der Frühen Neuzeit im Zusammenspiel: Johannes Buno und Johann Justus Winckelmann. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2000 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung Bd. 36). S. 13-38.
[14] Alt, Robert: Herkunft und Bedeutung des Orbis Pictus. S.22f.
[15] Strasser, Gerhard F.: Emblematik und Mnemonik der Frühen Neuzeit im Zusammenspiel. S. 14.
[16] Kocher, Ursula: Imagines und picturae. Wissensorganisation durch Emblematik und Mnemonik. In: Topik und Tradition. Prozesse der Neuordnung von Wissensüberlieferungen des 13. bis 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Thomas Frank, Ursula Kocher und Ulrike Tarnow. Göttingen: V&R unipress 2007 (= Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, Bd. 1). S. 44.
[17] Schaller, Klaus: Die Pädagogik des Johann Amos Comenius und die Anfänge des pädagogischen Realismus im 17. Jahrhundert. Heidelberg: Quelle und Meyer 1962 (= Pädagogische Forschungen Bd. 21). S. 330.
- Citation du texte
- Julia Hohm (Auteur), 2008, Überlegungen zum Bild-Text-Verhältnis im "Orbis pictus" des Johann Amos Comenius, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122803
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