Es gibt immer wieder Hinweise von Theaterwissenschaftlern, Kritikern, Regisseuren oder Schriftstellern, dass das Athener „Kunsttheater“ („Θέατρο Τέχνις“) von Karolos Koun die größte Erscheinung des neuzeitlichen griechischen Theaters ist.1 Auch international erreichte Koun durch seine Inszenierungen antiker Dramen größere Bekanntheit. Heute ist Koun, der 1987 starb, jedoch fast ausschließlich in Griechenland bekannt. Das hat mehrere Gründe. Das neuzeitliche griechische Theater ist selten Gegenstand moderner theaterwissenschaftlicher Untersuchungen. Dies ist begründet in der Tatsache, dass sich das griechische Theater, wie ich es noch im ersten Kapitel ausführen werde, in seiner Entwicklung an den deutschen, französischen, skandinavischen und russischen Vorbildern orientierte und keine eigene Theaterströmung hervorgebracht hat. Auch Koun hat selbst kein theatertheoretisches Werk verfasst, sondern er orientierte sich an denen von Stanislawski und Brecht. So sind seine Inszenierungen, insbesondere die der antiken Dramen zwar international beachtet und mehrfach ausgezeichnet worden2, doch hat sich eine überdurchschnittliche Bekanntheit und Berühmtheit des Regisseurs Koun auf internationaler Ebene nicht entwickelt. Ganz anders sieht dies in Griechenland aus. Hier wird Koun als „Phänomen und kulturelle Ausnahmeerscheinung“3 behandelt. In jedem theatergeschichtlichen Werk Griechenlands wird Koun und sein „Kunsttheater“ explizit behandelt. Die Medien liefern regelmäßig zu Jahrestagen ausführliche Berichterstattungen4. Im Theatermuseum der Stadt Athen ist eine Dauerausstellung von Kouns Regiearbeit in Form von Skizzen, Bühnenbildmodellen, Kostümen und Fotografien zu finden, wie auch eine Sammlung sämtlicher Programmhefte von 1933 bis 1987.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1.DieEntwicklung des Theaters in Griechenlands seit Beginn des 20. Jh.
1.1 Das Ende des 19. Jahrhunderts
1.2 Das 20. Jahrhundert
1.2.1 Der Naturalismus
1.2.2 Christomanos und die „Neue Bühne“
1.2.3 Das königliche Theater
1.2.4 Das Nationaltheater
1.2.5 Die Freie Szene
1.2.6 Diktatur, der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit
2.KarolosKouns Weg zum Theater
3.Das„Kunsttheater“
3.1 Die Gründung
3.2 Die Rolle der Öffentlichkeit
3.2.1 Die Nähe zu Bertolt Brecht
3.3 Der Schauspieler am „Kunsttheater“
3.3.1 Die Nähe zu Wachtangow
3.3.2 Die Nähe zu Konstantin Stanislawski
3.4 Die Rolle des Regisseurs
4.DieÄsthetikKouns
4.1 Volkstümliche Elemente
4.1.1 Musik
4.1.2 Tanz
4.1.3 Nationalcharakter
5.DieEntwicklung des „Kunsttheaters“
6.Inszenierungenantiker Dramen
6.1 Die Verwendung von Masken
6.2 Die Behandlung des Chores
6.3 Aristophanes
6.3.1 „Die Vögel“
6.3.2 „Die Frösche“
6.3.3 „Der Frieden“
6.4 Sophokles „König Ödipus“
7.Inszenierungen fremdsprachlicherDramen
7.1 Naturalistische Phase
7.1.1 Henrik Ibsen
7.1.2 George Bernhard Shaw
7.1.3 Luigi Pirandello
7.2 Realistische Dramen
7.2.1 Anton Tschechow
7.2.2 Tennessee Williams
7.2.3 Thornton Wilder
7.2.4 Eugen O´Neill
7.3 Episches, Absurdes und dokumentarisches Theater
7.3.1 Bertolt Brecht
7.3.2 Eugen Ionesco
7.4 William Shakespeare
8.Inszenierungen zeitgenössischergriechischerDramatik
8.1 Jakobos Kambanellis
8.2 Loula Anagnostaki
8.3 Dimitrios Hatziaslanis
8.4 Dimitrios Kehaidis
9.Resümee
Anhang
Verzeichnis der verwendeten Literatur
Verzeichnis der Abbildungen
Liste der Inszenierungen Kouns am Kunsttheater
Ausgewählte Ereignisse der griechischen Geschichte
Einleitung
Es gibt immer wieder Hinweise von Theaterwissenschaftlern, Kritikern, Regisseuren oder Schriftstellern, dass das Athener „Kunsttheater“ („Θέατρο Τέχνις“) von Karolos Koun die größte Erscheinung des neuzeitlichen griechischen Theaters ist.1 Auch international erreichte Koun durch seine Inszenierungen antiker Dramen größere Bekanntheit. Heute ist Koun, der 1987 starb, jedoch fast ausschließlich in Griechenland bekannt. Das hat mehrere Gründe.
Das neuzeitliche griechische Theater ist selten Gegenstand moderner theaterwissenschaftlicher Untersuchungen. Dies ist begründet in der Tatsache, dass sich das griechische Theater, wie ich es noch im ersten Kapitel ausführen werde, in seiner Entwicklung an den deutschen, französischen, skandinavischen und russischen Vorbildern orientierte und keine eigene Theaterströmung hervorgebracht hat. Auch Koun hat selbst kein theatertheoretisches Werk verfasst, sondern er orientierte sich an denen von Stanislawski und Brecht. So sind seine Inszenierungen, insbesondere die der antiken Dramen zwar international beachtet und mehrfach ausgezeichnet worden2, doch hat sich eine überdurchschnittliche Bekanntheit und Berühmtheit des Regisseurs Koun auf internationaler Ebene nicht entwickelt.
Ganz anders sieht dies in Griechenland aus. Hier wird Koun als „Phänomen und kulturelle Ausnahmeerscheinung“3behandelt. In jedem theatergeschichtlichen Werk Griechenlands wird Koun und sein „Kunsttheater“ explizit behandelt. Die Medien liefern regelmäßig zu Jahrestagen ausführliche Berichterstattungen4. Im Theatermuseum der Stadt Athen ist eine Dauerausstellung von Kouns Regiearbeit in Form von Skizzen, Bühnenbildmodellen, Kostümen und Fotografien zu finden, wie auch eine Sammlung sämtlicher Programmhefte von 1933 bis 1987. Es sind seit den 70er Jahren sechs Bücher (darunter eine Biographie, Erinnerungen von zweier seiner Schauspieler, ein Fotoband und zwei Textsammlungen mit Interviews und Reden) über Karolos Koun erschienen. Zusammenfassend kann man also sagen, dass Koun in Griechenland ein „Star“ der Theaterszene ist.
Die Gründe für den Erwerb dieser Stellung sind folgende:
1. Koun und das „Kunsttheater“ machten avantgardistische Dramen durch ihre Inszenierungen öffentlich bekannt, die von den staatlichen und anderen beruflichen Theatern ignoriert wurden.
2. Die eben angesprochene Bekanntheit dieser, zumeist ausländischen , Dramen in der Öffentlichkeit, basiert auf der besonderen, nämlich einer griechisch- volkstümlichen Interpretation des Regisseurs Koun.
3. Viele junge Theaterschriftsteller Griechenland wurden durch diese Inszenierungen inspiriert und ihre Werke schließlich selbst am „Kunsttheater“ aufgeführt. Damit regte Koun eine sehr produktive Phase des modernen griechischen Dramas an.
Ziel dieser Arbeit ist es, die ideologischen und ästhetischen Prinzipen, die Kouns Arbeit zugrunde liegen, herauszuarbeiten und zu bewerten.
Dabei ergeben sich einige Schwierigkeiten in Bezug auf die Quellenlage. Zum ersten ist die Beurteilung von Kouns Schaffen eine subjektive, aus zweiter Hand, da es nur einen einzigen dokumentarischen Film der Arbeit am „Kunsttheater“ gibt, der allerdings zur Zeit aus urheberrechtlichen Gründen der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung steht. Zum zweiten existiert kein Material über die Arbeit an einem Stück in Form einer mis-en-scenes oder eines theoretischen Texten. Und schließlich behandeln nur wenige Kritiken neben einer ausführlichen Textbesprechung auch die Aspekte der Regiearbeit.
Es ist bekannt, dass Koun zur Einstudierung eines Stückes die Form des Workshops und der Gruppenimprovisation anwandte. Während jedoch andere Regisseure, die diese Technik einsetzten, wie Brook oder Grotowski, ihre Beobachtungen und Ansichten in theoretischen Werken niederschrieben, liegen von Koun keine methodischen Zeugnisse vor.
Dennoch gibt es Material, das eine Aussage über Kouns Regiestil erlaubt. Grundlegend ist dabei ein Vortrag, den er am 17. August 1943 vor der „Gesellschaft der Freunde des Kunsttheaters“ hielt und der den Titel „Die öffentliche Aufgabe und das ästhetische Programm des Kunsttheaters“ trägt. Darüber hinaus sind zahlreiche Stellen in Interviews und ausgewählten Kritiken zu finden, sowie ein dokumentarisches Buch über dreißig Jahre Arbeit am Kunsttheater und einige eher biographische Bücher, die Aufschluss geben.
Zusätzlich waren Programmhefte und Zeitungsartikel sehr hilfreich, die im Archiv des Theatermuseums Athen zu finden sind.5
Zu Beginn möchte ich eine Darstellung der theatergeschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Griechenland geben. Dies hat zum Ziel, Griechenland von den übrigen europäischen Ländern und deren Entwicklungen des Theater abzugrenzen und Defizite sowie Besonderheiten herauszukehren. Hier sind nicht nur die Wurzeln des Interesses an der Volkstradition Kouns zu finden, sondern auch die Gründe für seinen außergewöhnlichen Erfolg.
Im Zweiten Kapitel liegt mit dem „Weg Kouns zum Theater und seinem Schaffen vor 1942“ ein in erster Linie biographischer Teil vor, der auch in Ansätzen die ästhetischen Grundlagen von Kouns Regieanfängen beinhaltet.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Gründung des „Kunsttheaters“ und mit den ästhetischen und ideologischen Prinzipien Kouns. Besonders gehe ich dabei auf die Rolle der Öffentlichkeit, der Schauspieler und der Regie ein und zeige abschließend Kouns Ästhetik auf.
Diese soll in den drei folgenden Teilen belegt werden. Im Vierten Kapitel untersuche ich Kouns Aussagen und Inszenierungskonzepte zum Antiken Drama. Ich gehe dabei auf die Behandlung des Chores und der Maske näher ein und zeige sie an ausgesuchten Beispielen.
Das fünfte Kapitel fasst Kouns Inszenierungen der modernen Theaterautoren zusammen und stellt sie in den Kontext seiner Aussagen zum Theater. Veränderungen im Spielplan werden parallel zu Kouns theaterideologischen Entwicklungen aufgeführt.
Das sechste Kapitel widmet sich schließlich dem modernen griechischen Drama. Ich erkläre Kouns bedeutende Stellung für dessen Entwicklung und gehe ausführlich auf markante Stücke, die durch Koun uraufgeführt wurden, ein.
1. DieEntwicklungdesTheatersin Griechenland seit Beginn des 20. Jahrhunderts
Griechenland war ein sehr kleiner und neuer Staat, als die übrigen Länder Europas die Romantik schon überwunden hatten und die Bühnen mit dem Ruf zur „Wirklichkeit“ zu erneuern versuchten.1 Griechenland war nach vierhundertjähriger Türkenherrschaft zu einem selbstständigen Staat geworden, der sich schnell fortzuentwickeln begann. Doch innen- und weltpolitische Auseinandersetzungen erschwerten den Aufschwung, vor allem den kulturellen oft erheblich.
Die folgende Darstellung der politischen und kulturellen Ereignisse in Griechenland im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert soll nicht nur eine Einleitung in die Geschichte des modernen griechischen Theaters sein. Anhand der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung können die ideologischen und stilistischen Hintergründe von Kouns Arbeit, und besonders der am „Kunsttheater“, sehr gut aufgezeigt werden. Denn Karolos Koun, der nicht wie die meisten Künstler seiner Zeit in Deutschland oder Österreich studierte und sich dort die Inspiration für seine Arbeit holte, schöpfte aus der kulturellen Tradition seines Volkes.
Es soll zugleich aufgezeigt werden wie in einem politisch sehr unruhigen Land, sich eine moderne Theaterlandschaft zu entwickeln begann, die lange den Anschluss an das westliche Europa suchte. Zu diesem Anschluss hat Kouns „Kunsttheater“ entscheidend beigetragen.
Um die in den nächsten Kapiteln dargestellte Arbeitsweise von Koun und seinem Theater, sowie dessen Erfolg zu hinterleuchten, bedarf es einer Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungsschritte, die das Theater in Griechenland im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gemacht hat.
1.1 DasEnde des 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert ist in Griechenland vor allem durch die Herausbildung eines nationalen Bewusstseins gekennzeichnet. Athen, das bis in die 30er Jahre nicht mehr als ein „staubiges Dorf“2 war, wurde zur Hauptstadt gewählt und wuchs rasant schnell zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum heran. Die Kultur orientierte sich zunächst sehr stark an der antiken Klassik, um über die antiken Wurzeln wieder zu einer eigenen kulturellen Identität zu finden.
Ein Hindernis für die neugriechische Literatur und besonders für das Theater stellte neben den politischen Unruhen die Sprache dar. Im Unterschied zur gesprochenen Volkssprache „Dimotikí“ , war in der Literatur und auf dem Theater die Hochsprache „ Katharévussa“ vorherrschend.3 Erst ab 1917 und ganz offiziell 1975 wurde „Dimotikí“ als Literatur- und Staatssprache anerkannt. Das breite Publikum, aus dem Arbeiter- und Bauernmilieu, fand zu Katharévussa keinen Zugang.
Daher erklärt sich der Erfolg von leichter Unterhaltung, die nicht nur die Volksprache nutzte, sondern auch den Volssinn traf. 1894 erschien eine neue Theaterform in der Athener Szene, die ein buntes Spektakel einführte und eine neue theatralische Atmosphäre schuf: das Athener Kabarett ("Athinaiki Epitheorissis"). Es umfasste Musik, Lyrik, Lieder, Tanz und am meisten Lebendigkeit und Heiterkeit. Die Texte verspotteten die politischen, sozialen, religiösen oder sittlichen Situationen dieser Zeit und wurden von Schauspielern gespielt, die auf diese Rollen spezialisiert waren. Diese waren hauptsächlich von Kabarettschauen in Paris und London beeinflusst und wurden erfolgreich dem griechischen Publikum angepasst.
Ende des 19. Jahrhunderts machten sich die ersten beruflichen Theatertruppen sich in der griechischen Szene bekannt. Sie präsentierten französische Theaterstücke (Varietee oder Farcen). Junge, unbekannte Schriftsteller führten neue Theatergestalten und Konzepte in die griechische Theaterproduktion ein, die eine neue Epoche einweihten. Dimitrios Vernardakis, Dimitrios Koromilas, Angelos Vlachos, Spyridon Peressiades, um einige zu erwähnen, wurden durch ihre tragischen Theaterstücke und komischen oder dramatischen Idyllen populär.
Diese sehr beliebte Dramengattung wurde „Komidylle“ genannt und während der nächsten zehn Jahre oft gespielt. Sie ist eine komödiantisches Drama mit eingefügten Liedern. Diese Theaterform entstand zweifellos aus dem Bestreben, sich von der Romantik zu entfernen und dem alltäglichen Leben näher zu kommen.
Ihre Helden sind Menschen aus dem Volk, die Sprache Prosa und Dimotiki, das Genre- und Folkloreelement spielt eine wichtige Rolle, während gleichzeitig der Naturalismus klar zutage tritt. „ Man kann auch sagen, dass das Komidyllion die Gesellschaft auf die neuen sozialistischen Ideen vorbereitete, indem es zeigte, dass Menschen aus dem Volk ebenso edle Ideale und echte Gefühle haben wie Aristokraten.“4Die modernistische, realistische Tendenz der Generation von 1880 übte seinen wohltuenden Einfluss auch auf die Theaterinszenierungen aus.
Diese beim Volk so beliebte, lebendige „Komidylle“ hielt sich nicht lange. Da die Handlung von feststehenden Typen getragen wurde, gab es keine Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Kern der Stücke war vor allem der Dialekt und die wiederkehrende Situationskomik. Ab 1896 verschwindet sie allmählich von den Bühnen.
Trotz dieser kurzen Blüte ist das Komidyllion besonders erwähnenswert, weil bereits hier etwas gezeigt wird, was bis heute in Griechenlands moderner Kultur eine entscheidende Rolle spielt: die Verbindung von Kunst mit der volkseigenen Kultur. Für Karolos Koun ist dies später eine Maxime seiner Arbeit.
1.2 Das20. Jahrhundert
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts modernisierte sich langsam aber sicher das politische und damit auch das kulturelle Leben. Während der frühen Herrschaft König Georgs I. stieg die Unzufriedenheit mit der personalistischen und im wesentlichen ziellosen Ausübung der Politik.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach Jahren voll politischer Unsicherheit, wurde Eleftherios Veniselos an die Spitze des Kabinetts gesetzt. Er erneuerte das Unterrichtswesen und die Staatsorganisation. Seine Politik führte 1912 zu den Balkankriegen, die dem griechischen Staat die neuen Provinzen Makedonien, Epirus, die ägäischen Inseln und Kreta einbrachten und den Charakter des bislang kleinen Staates grundlegend änderten.
Während des ersten Weltkrieges spaltete sich Griechenland in die liberale Partei Veniselos, die sich den Alliierten anschlossen, und der zu Deutschland stehenden Gruppe des Königs Konstantin. Er musste schließlich zu Gunsten seines Sohnes abdanken, kehrte jedoch 1920 auf den Thron zurück. Während dieser Zeit gab es immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen mit den Türken im Norden Griechenlands, die das griechische Heer weit bis nach Kleinasien vordringen ließen.
Schließlich machte das Desaster des griechischen Heeres in Kleinasien vom September 19225 der Zeit der Expansion und des Fortschrittes ein Ende. Der darauf folgende Bevölkerungsaustausch von 1.500.000 Griechen, die seit Jahrtausenden in Kleinasien ansässig waren, und ihre Ansiedlung innerhalb der Grenzen Griechenlands , brachte eine große ethnologische Veränderung mit sich, aber auch eine gesellschaftliche Umordnung. Die „Kleinasiatische Katastrophe“ prägte die Geisteshaltung der Intellektuellen dieser Zeit entscheidend. „ Es sollte viele Jahrzehnte dauern, bevor die Flüchtlinge gesellschaftlich integriert werden konnten. Ihre große Zahl überschwemmte den Arbeitsmarkt und sie waren gezwungen, sich durchzuschlagen und ein armseliges Leben am Rande der großen Städte zu führen.“6 Einige brachten aber auch etwas Kapital mit und erwirkten neue Dynamik in der Wirtschaftsentwicklung. Die eingewanderten Künstler leisteten einen einmaligen Beitrag zum kulturellen Leben des Landes.
Für die Entwicklung des Theaterlebens bedeutete diese Zeit einen Aufschwung, doch während der gesamten Zeit der Monarchie hatten Theaterensembles immer wieder mit staatlichen Repressalien zu kämpfen. Staatskritik war verboten und so wurde häufig eine zu offenkundig kritische Inszenierung verboten. Auf der anderen Seite wurden staatskonforme Theater von der Krone unterstützt.
1.2.1 Der Naturalismus
Im 20. Jh. fing eine neue Epoche für das griechische Theater an. Einflüsse kamen aus dem nord-westlichen Europa (Norwegen, Schweden, Deutschland). Henrik Ibsens Naturalismus wurde Vorbild für das sogenannte Bourgeoisdrama ("Astikon Drama"), das von Grigorios Xenopoulos, Spyros Melas, Pandelis Chorn und Dimitris Bogris repräsentiert wurde.
Dieser neue Einfluss und die nunmehr bewusste Pflege der literarischen Dimotiki im Theaterschrifttum, sind die Faktoren, die die Erneuerungsversuche auf dem Gebiet des Theaters in den letzten zehn Jahren des neunzehnten und den ersten des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmten.
Der Naturalismus wurde in Griechenland vor allem durch drei Männer eingeführt: den Dramatiker Jannis Kambyssis, den Schriftsteller Gregor Xenopoulos und der Dramatiker und Theaterpraktiker Constantin Christomanos. Kambyssis Dramen waren stark von Gerhart Hauptmann und dem deutschen Naturalismus beeinflusst. Sein Stil war poetisch und individuell und er gilt als der Begründer eines „poetischen Realismus“ in Griechenland. Koun inszenierte einige seiner Dramen am „Kunsttheater“.
Xenopoulos schrieb viele Romane und zahlreiche Dramen, die von Ibsen und dem französischen Boulevardtheater geprägt sind. Er ist auch der Begründer der Theaterkritik in Griechenland.
Christomanos hatte in Wien studiert und lernte dort nicht nur den Naturalismus Ibsens und Hauptmanns kennen, sondern auch die Inszenierungsweise der Wiener Volksbühne und der Operette.
1.2.2 Christomanos und die Neue Bühne
Christomanos schrieb ebenfalls mehrere Dramen. Seine Bedeutung liegt allerdings vielmehr auf dem Gebiet der Theaterpraxis.
1901 versammelte er acht bedeutende Literaten Athens im antiken Dionysostheater und las eine Proklamation vor, in der er eine Erneuerung der dramatischen Dichtung und der Bühnenkunst in Griechenland forderte. Das Ergebnis war die Gründung eines neuen Theaters, der „ Neuen Bühne“, deren Leiter Christomános war. Nicht nur die starke Persönlichkeit und der Wunsch nach einer Neuerung auf dem Theatergebiet, der in einer Theaterneugründung mündete erinnern später an Karolos Koun, sondern auch der Ausdruck Christomanos Überzeugung in seiner 1901 gehaltenen Rede: „... Deshalb glaube ich, dass, wenn wir alle zusammen an einen Traum denken, dieser Traum Wirklichkeit werden könnte. Dieser Traum ist das Aufleben der dramatischen Dichtung und der szenischen Kunst in Griechenland.“7
Ebenso wie Koun engagierte er junge, noch unbekannte Künstler, die er in naturalistischer Darstellungsweise unterrichtete. Er brachte den Schauspielern bei, ihre Mimik und ihren Körper vollständig einzusetzen und verbannte den Pathos von der Bühne.
Ähnlich wie Koun war er Theaterleiter, Dramaturg, Lehrer, Regisseur, Schauspieler sowie Bühnen- und Kostümbildner in einer Person. Christomanos kann also mit Recht als ein geistiger Vater Karolos Kouns bezeichnet werden.
1.2.3 Das Königliche Theater
In den selben Jahren gab es neben der „ Neuen Bühne“ auch das neugegründete „Königliche Theater“ (1901 – 1908), das in seiner Art konservativer sowohl in der Wahl der Stücke wie auch in der Inszenierung der Werke war. Als sein Leiter engagierte König Georg I. den in Wien studierten Schauspieler Thomas Ikonomou. Dieser brachte somit nahezu die gleichen Einflüsse wie sein Konkurrent Christomanos mit. Er blieb allerdings einer deutsch-österreichischen Inszenierungsweise verhaftet und versuchte nicht sie an einen griechischen Ethos anzupassen. Thomas Ikonomou war der erste professionelle Regisseur Griechenlands, doch erst ab den 20er Jahren etablierte sich dieser neue Beruf.
„Nicht einmal gebildete Kritiker wussten damals Bescheid über die Rolle des Regisseurs im Theaterleben und deshalb konnten sie diese erste Regietätigkeit von Ikonomou auch nicht gerecht beurteilen.“8 Koun sollte später die Rolle des Regisseurs verändern, indem er sich als Teil einer Gemeinschaftsarbeit ansah.
Die beiden Bühnen gaben dem griechischen Theater wichtige Impulse und begünstigten die Entdeckung begabter Darsteller wie z.B. der beiden großen Schauspielerinnen Marika Kotopouli und Kyveli, die in den folgenden Jahrzehnten im Mittelpunkt der Theaterbewegung standen. Während seiner Zeit an der „Volksbühne“ Ende der 30er Jahre arbeitete Koun mit Marika Kotopouli zusammen. Auch die Produktion von Dramentexten wurde durch diese Bewegung begünstigt. Zum einen nahm die Anzahl der Autoren zu, zum anderen verbesserte sich auch die literarische Qualität der Texte. Bedeutende Dramatiker dieser Zeit sind Palamás, Pandelís Horn und Spyros Melás.
Das Bedürfnis nach unmittelbarer Berührung mit dem Publikum, das vor allem beim Berufstheater besteht, führt auch die Bühnenautoren zu Kompromissen und Konzessionen. So haben Satiren und Komödien sehr oft eine deutliche Anspielung auf das Athener Leben. Der Fortschritt der folgenden Generation von Autoren wie Loula Anagnostaki besteht in der konsequenten Weiterführung dieses Bezugs zum griechischen Alltag und seine Ausweitung auf tragische Stücke.
Nach der Stilllegung der „Neuen Bühne“ 1906 und der „Königlichen Bühne“ 1908 wurde in sporadischen Versuchen jedes Mal eine Wende und eine Erneuerung gefordert: Die „ Gesellschaft für das griechische Theater“ 1919, das Amateurensemble des „ Athener Konservatoriums“ 1918 – 1924, die „Theaterschule“ 1924, Melás „ Theater der Kunst“ 1925 - 1928, „ Die freie Bühne“ 1929. Es handelte sich hierbei jedoch meistens um konzeptionslose Inszenierungen, um einen Hauptdarsteller ohne Regieanweisungen, mit völlig improvisierten Bühnenbildern.
Ende 1923 wurde der Thron gestürzt und die Republik ausgerufen. Aber die politischen Unruhen dauerten noch bis 1935 als König Georg II. wieder ins Land geholt wurde.1936 rief General Joannis Metaxas die Diktatur aus, und während dieser innenpolitischen Situation wurde Griechenland durch den Angriff von Italien in den Zweiten Weltkrieg hereingezogen. Diktatur und Krieg wirkten sich negativ auf das kulturelle Leben aus. Die Theater litten unter finanziellen Sorgen und waren durch staatliche Zensur stark beschränkt in ihrer Spielplangestaltung. Die Menschen hatten angesichts der Kriegsstimmung wenig Lust und vielmehr auch kein Geld, um ins Theater zu gehen.
1.2.4 Das Nationaltheater
Mit der Gründung des Nationaltheaters 1932 beginnt im Theaterleben ein neuer Zeitabschnitt. Der erste Regisseur des Nationaltheaters und seine Hauptstütze in den Anfängen war Phótos Polítis. Die Gründung belebte die Theaterkultur und strahlte auch auf die Vorstellungen der freien Szene aus.
Politis war neben seiner Regietätigkeit auch als Kritiker tätig. In seinen Aufsätzen beschreibt er die Theaterszenen Athens der 30er Jahre: „Das griechische Publikum hat kein tieferes künstlerisches Empfinden [...] Wir haben keine eigenen Thesen [...] Deshalb haben wir nicht die Kraft, uns zu empören oder etwas mit wahrer Begeisterung aufzunehmen [...] Wie sieht die griechische Schauspielkunst aus? Es ist auffallend, dass jedem unserer Schauspieler persönlich das tiefere Gefühl des künstlerischen Schaffens fehlt. Unsere Darsteller studieren sich selbst nicht. [...] Gewöhnlich hängen sie sich an spezielle Ausrufe und Gebärden und so wiederholen sie sich dauernd und geben ihrem Spiel keinen Stil, sondern nur Monotonie [...] Die tiefere Ursache dieses Verhaltens ist, dass unsere Schauspieler den Kern der Darstellungskunst nicht kennen. Man hat sie nicht gelehrt, was sie von sich selbst verlangen müssen [...] Sie interessieren sich gewöhnlich nicht für die szenische Interpretation eines Charakters, sondern vielmehr für ihre eigene szenische Erscheinung.“9Politis spricht hier die Problematik der fehlenden Theaterausbildung in Griechenland an.
Nach dem frühen Tod seines künstlerischen Leiters Phótos Polítis wurde das Theater von seinem Schüler D. Rondíris auf der selben Linie weitergeführt, aber nach und nach machte sich eine gewisse Stagnation und das Fehlen echten schöpferischen Geistes bemerkbar.
1.2.5 Die Freie Szene
Das freie Theater hatte den Ehrgeiz, mit der Qualität der Inszenierungen des Nationaltheaters zu konkurrieren. Die beiden lebenslänglichen Rivalinnen Kotopúli und Kyvéli arbeiteten jetzt zusammen unter der Regie von Spyros Melás. Gleichzeitig gab es aber auch neue, avantgardistische Strömungen.
Nach einigen Konventionellen Aufführungen von Aristophanes im „ Kollegio Athinón“ bringt Károlos Koun in der neugegründeten „ Volksbühne“ eine beachtenswerte Inszenierung der „Erophili“ 1934 heraus, mit stark folkloristischem Charakter.
Die Dramatik dieser Jahre beschäftigt sich zumeist mit historischen Themen. Im allgemeinen können wir von einem poetischen Theater sprechen, da sich die Werke abgesehen von ihren Themen durch ihren gepflegten Stil auszeichneten. Zum poetischen Theater gehören auch die Tragödien A. Mátsas, in denen es durchweg um antike Themen geht und die einen Versuch darstellen, die alten Mythen zu erneuern und die Ausdrucksmittel der antiken Tragödie (besonders der Chöre) mit der Ästhetik der heutigen Sprache der Lyrik in Einklang zu bringen.
1.2.6 Diktatur, der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit
König Georg II. hatte zwölf Jahre im Exil in England verbracht und bestieg 1935 zum zweiten Mal den Thron. Offenbar einer Politik der Aussöhnung zugeneigt, ließ er neue Wahlen abhalten. Die beiden politischen Hauptlager, die „Volkspartei“ und die „Liberale Partei“, gerieten erneut in eine Sackgasse. Als der Premierminister im April 1936 verstarb, setzte der König den General Ionnis Metaxas als dessen Nachfolger ein.
Dieser setzte am 4. August 1936 wesentliche Artikel der Verfassung außer Kraft, unter dem Vorwand einen Streik der Kommunisten zu verhindern. Dies war der Beginn einer faschistischen, an Hitler angelehnten, Diktatur. Überraschend setzte sich der ultrakonservative Metaxas für die Volkssprache „Dimotiki“ ein. „Er gab die erste systematische Grammatik der Dimotiki in Auftrag, bezeichnenderweise in dem Glauben, dass grammatische Regeln den aus seiner Sicht ungehemmten Individualismus der Griechen eindämmen könnten“10 Wie bereits griechische Diktatoren vor ihm, war es eines seiner großen Ziele, seinen ungebärdigen Landsleuten Disziplin beizubringen. Er schuf mit Hilfe eines effizienten Polizeiapparates ein Klima der Furcht und neutralisierte damit die Gefahr aktiven Widerstandes.
Im September 1939 wurde Griechenland von Italien angegriffen und so in den Zweiten Weltkrieg verwickelt, obwohl Metaxas auf deutsche Vermittlung hoffte und britische Hilfe als Hitlersympathisant ablehnte. 1941 starb er und wurde durch einen neuen Premierminister ersetzt, der ein Gegner des Metaxasregimes war.
Während der sieben Jahre der Diktatur war das Theater oft das geeignete Mittel, um einen gewissen geistigen Widerstand zu leisten und Protest auszudrücken. Neue Ensembles wurden gegründet, die Werke griechischer und ausländischer Autoren aufführten.
Anfang Juni 1941 befand sich ganz Griechenland unter einer deutsch-italienisch- bulgarischen Besetzung. Athen und Thessaloniki, die Zentren des kulturellen Lebens, waren von den Deutschen besetzt, die ein hartes Regime führten. Durch ihre Plünderung der landwirtschaftlichen Ressourcen kam es im Winter zu einer verheerenden Hungersnot. Die Bevölkerung führte einen täglichen Kampf ums Überleben: „Die Not der Stadtbewohner war so entsetzlich, dass die britische Regierung ihre Blockade aufhob; das rote Kreuz importierte und verteilte Nahrungsmittel. Das Leben blieb für die große Mehrheit hart.“11 Es gab zu dieser Zeit zahlreiche kommunistische und linke Widerstandsgruppen, unter denen es zu großen Spannungen kam. Die Unruhen waren also überall.
Im Oktober 1944 zogen die Deutschen aus Griechenland ab, doch die neue Regierung unter Georgios Papandreeou hatte mit den innenpolitischen Schwierigkeiten durch die Partisanenverbände zu kämpfen. Im Dezember kam es zu Straßenschlachten im Zentrum Athens. 1946 fanden schließlich Neuwahlen statt, die ersten nach dem Krieg, bei der die rechtsgerichtete Volkspartei gewann. Der Ausgang der Wahlen mündete in einem Bürgerkrieg, der bis August 1949 andauerte.
Das Theater der Nachkriegszeit wurde hauptsächlich von der Komödie beherrscht. Das Publikum konnte sich so einige Stunden von den chaotischen und schwierigen Zuständen der Nachkriegszeit erholen. Insbesondere von der Farcekomödie, die zwei unterhaltsame Stunden im Theater versprach. Diese typisch griechische Komödie brachte typisch griechische Gestalten, allerdings ohne psychologische Durchleuchtung oder Problematisierung auf die Bühne.
Die meisten der jüngeren Schriftsteller waren vom absurden Theater beeinflusst. Auf dem Gebiet der Inszenierungen stand das Nationaltheater weiterhin im Mittelpunkt und versuchte, sich auf die Aufführung klassischer griechischer Stücke zu spezialisieren, die im Rahmen von Festivals im antiken Theater von Epidaurus und im Herodes- Attikus Theater in Athen gezeigt wurden.
Für eine kurze Zeit wurde auch Károlos Koun neben anderen jungen Regisseuren dort beschäftigt.
Das Gründungsjahr des „Kunsttheaters“ von Karolos Koun 1942 ist wie oben beschrieben ein Jahr der Besatzungszeit und des Schreckens, trotzdem wurden zahlreiche Theater gegründet, ein Ausdruck für den Anbruch einer neuen Generation unter den Theaterschaffenden.„ In einer Zeit, in der die Gründung von Theatern, Organisationen, Gesellschaften und Vereinen eine alltägliche Angelegenheit darstellt, kann die Tatsache der Gründung irgendeines Theaters im Jahre 1942 keinen nennenswerten Eindruck machen. Andererseits gewinnt aber in einer Zeit, in der diese tägliche Neugründung von Theatern hierzulande in keiner Weise das schwierige Problem ihres Überlebens und Fortbestehen löst, die Tatsache des nunmehr langjährigen Bestehens jenes Theaters besondere Bedeutung.“12
2.KarolosKounsWegzum Theater
Karolos Koun wurde am 13. September 19081in Proissa in Kleinasien geboren. Im Alter von sechs Jahren zog er nach Konstantinopel. Sein Vater, Errikos Koun, war deutscher Abstammung, während seine Mutter, Melpomeni Papadopoulou, ihre Wurzeln im griechischen Epirus Gebirge hatte. Weder die Eltern noch jemand aus ihren Familien war künstlerisch tätig.
Koun besuchte die amerikanische Schule Istanbuls, wo er erste Berührungen mit dem Theater hatte. Hier wurde er zum ersten Mal Mitglied einer Theatergruppe und probiert sich mit anderen Schülern aus.
1927 verließ er Istanbul und zog nach Paris, um an der Sorbonne Ästhetik zu studieren. Zwei Jahre später kehrte er nach Griechenland zurück und lebte in Athen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Karolos Koun als Student 1926
In den folgenden neun Jahren arbeitete er als Lehrer für englische Literatur und Sprache am College Athen (Κολέγιο αθίνον). In dieser Zeit organisierte er mit Schülern des College Theateraufführungen von Aristophanes, Shakespeare und anderen klassischen Autoren.
Er führte nicht nur Regie, sondern entwarf auch die Bühnenbilder und Kostüme. Diese waren provisorischer Art, da die finanziellen Mittel fehlten. Die Bühne wurde aus Material des Fundus der Schule gebaut und die Kostüme, die aus einfachem Stoff genäht waren, waren Leihgaben der professionellen Theater.
Die Lehre des Antiken Theaters und besonders die Komödien des Aristophanes beschäftigten Koun schon von seiner ersten Inszenierung am Athener Kollege an. Zur Aufführung wurden auch Stücke von Eurpides wie „Plutos“2, und „Der Kyklop“ ausgewählt.
Sowohl die Programmhefte, als auch die Reaktion der Zuschauer geben Aufschluss über diese ersten Inszenierungsversuche, bei denen Koun eine völlig andere Auslegung der antiken Dramen vornimmt als das „Landestheater“ (Εθνικό θεατρό) oder ein anderes der großen privaten Ensembles. Er interpretierte sie neuzeitlich, „als ein untrennbares Stück der griechischen Tradition, die für das öffentliche Bewusstsein am Leben erhalten werden muss. Es war eine Übersetzung des antiken Theaters.“3 Die Aktualität erreichte er durch die Einführung von theatralen Elementen, die aus dem neuzeitlichen griechischen Leben stammten. Seine Methode war nicht neu und in Europa bereits seit einem Jahrzehnt angewandt, in Griechenland war er damit ein Vorreiter.
In den „Vögeln“, seiner ersten Regiearbeit 1932 am, sind die Quelle seiner Inspiration die attischen Töpfereien, mit deutlich folkloristischen Bezügen in Anspielung auf das tatsächliche politische Geschehen. Die Figuren der Vögel bekamen Flügel aufgesetzt in der Form wie sie in volkstümlichen Bildern dargestellt waren. „In einer Szene hielt der Gott eine Ansprache im Stil Hitlers.“4
Von der Inszenierung des „Plutos“ ist folgende Skizze von Koun erhalten, allerdings kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob sie für diejenige am Athener Kolleg 1933 oder für die an der „Volksbühne“ 1935 gemacht wurde. Daraus lässt sich bereits schließen, dass die beiden Inszenierungen sich, zumindest in Bezug auf Bühne und Kostüme, ähnelten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Kouns Entwurf für „Plutos“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Vorstellung des „Plutos“ von Aristophanes, College Athen, 1933
In der oben abgebildeten Inszenierung verwendete er Masken, die das Gesicht vollständig bedeckten und Anlehnung an die antiken Theatermasken hatten. Mit ihren überzeichneten schwarzen Bärten und Augenbrauen erinnern sie an die Schattenfiguren aus dem Karagiosistheater und damit an den griechischen Kleinbürger oder Bauer der Neuzeit. Die Nähe zu den Figuren des griechischen Schattentheaters sind auch deutlich in Kouns Kostüm- und Bühnenbildentwurf, Abbildung 1, zu erkennen.
Durch die Maske schafft er im „Plutos“ einen Bezug zur Aktualität des antiken Stoffes, der das Problem des Reichtums und der Armut und Ihre Einflüsse auf das menschliche Leben behandelt. Die Inszenierung war somit eine Kritik an aktuellen sozialen und politischen Missständen.
Systemkritik durch das Theater, besonders anhand der antiken Dramen, war in Athen der 30er Jahre etwas Neues und unter diesem Aspekt ist auch die große öffentliche Aufmerksamkeit zu verstehen, die die Aufführung auf sich zog.
Weitere Inszenierungen waren, neben „Plutos“, „Die Frösche“ und „Die Vögel“ von Aristophanes, „ Der Cyklop“ von Euripides und „Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare.5„Diese Inszenierungen waren nur dem Anschein nach amateurhaft. In Wirklichkeit waren sie in jeder Richtung revolutionär und wurden von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen. Sowohl die Darstellung wie auch die Kostüme, alles durch die Studenten organisiert, hinterließen einen bleibenden Eindruck bei den Kritikern und den Zuschauern.“6
Parallel zu seiner Tätigkeit als Lehrer und Leiter der Theatergruppe des Kollegs wurde Koun 1934 Mitglied der „Volksbühne“ („λαική σκηνή“), wo er sowohl als Regisseur wie auch als Schauspieler wirkte. Hier arbeitet er mit den Bühnenbildnern Jannis Tsarouchis und Dionisos Levaris7 und mit Schauspielern, die an der privaten Schule des Theaters ausgebildet wurden, zusammen.
Seine erste professionelle Regiearbeit ist 1934„ Erofili“ von Kortatsis. Im Programmheft äußert er sich zum ersten Mal über die Verbindung von Volk und Theater, hier allerdings noch im Namen des Ensembles des „Volkstheaters“: „Wir glauben, dass jedes Volk nur etwas erschaffen und hervorbringen kann, wenn es Kenntnis hat von seinen traditionellen Wurzeln. Mit diesem Glauben führen wir die Volksbühne, mit Mitgliedern, die Kinder des Volkes sind, die aus unserer Mitte stammen, und die den Rhythmus unserer Sprache beherrschen.
Wir sind keine ausgebildeten Schauspieler, aber Typen, die die griechische Seele widerspiegeln.
Wir haben uns für ein griechisches Stück entschieden, das unsere Seele besser nach außen tragen kann als ein nichtgriechisches Drama. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir geeigneter sind, dieses Stück zu inszenieren, als eine andere europäische Bühne.
Zum Schluss möchten wir noch ein Wort über die Kunst des Theaters sagen. Das Theater, wie auch alle anderen Künste, hat nicht den Zweck, Mitgefühl zu erzeugen, weil es unserem Leben so nahe ist. Es ist eine Form der Kunst, die nach unserem Verständnis und nicht nach unserer Lebenssituation beurteilt werden soll.“8
Er spricht sich für einen naturalistischen Schauspielstil aus, vor allem in Bezug auf die Sprache. Der pathetische Vortragsstil wird von Koun und seinen Mitstreitern abgelehnt. Ebenso kritisiert er die übliche Darstellungsweise der Schauspieler, die mit großen Gesten arbeiten, aber ihren Figuren keine Tiefe geben. Er fordert eine natürliche, volksnahe Darstellung.
Doch er verpflichtet sich nicht dem Naturalismus, sondern eher einem epischen Theater im Sinne Brechts. Diese, bereits 1934 geforderten, ästhetischen Prinzipen, werden zu Grundsätzen seiner Regiearbeit. Er festigt sie und baut sie weiter aus in seinem „Manifest“9, dass er anlässlich der Gründung des „Kunsttheaters“ vorträgt.
An der Volksbühne inszeniert er im Dezember 1934 Euripides „Alkestis“ und erneut Aristophanes „Plutos“ 1935. Bühne und Kostüm werden von Diamantis Diamantopoulos10entworfen. Seine Entwürfe sind für die griechischen Bühnenbildner seiner Zeit sehr modern und weit entwickelt, da er westeuropäische Ströme mit Eindrücken aus Griechenland verband.
Wie in Abbildung 4 zu sehen, ist diese Inszenierung der griechischen ländlichen Atmosphäre angepasst. Die Szene spielt auf einem Platz (πλατία), wie er überall in den griechischen Dörfern oder Städten zu finden ist. Die Kostüme sind teils volkloristisch und teils byzantinischen Malereien entnommen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 Vorstellung von „Alkestis“, 1934 in der „Volksbühne“
Auf dem Spielplan der „Volksbühne“ standen neben den antiken Dramen, vor allem ältere griechische Dramen des 17. und 18. Jh., sowie Shakespeare und Molière. Im Programmheft zu „Alkestis“ 1934 schreibt Koun über die an der „Volksbühne“ gezeigten Stü>wollen nur ausgewählte Stücke spielen. Und zwar solche, die dem mittelalterlichen Theater und der commedia del arte nahe stehen, ebenso der Figur des Karagiosis, der unser Volk repräsentiert. Chor, Musik und Tanz sind wichtige Bestandteile unserer Arbeit.“11
Die „Volksbühne“ konnte durch diese Innovationen im Spielplan noch bis 1936 überleben, doch dann musste sie wegen finanzieller Schwierigkeiten schließen.
1939 wurde Koun nicht weiter als Lehrer am Kolleg Athen beschäftigt, da er zuviel Zeit mit seinen Regietätigkeiten an Theatern der freien Szene verbrachte.
„Durchschlagend“12wurde die Aufführung des „Kirschgarten“ von Tschechow 1939 im Odeon. Sie war zugleich die erste Arbeit am „ Freien Theater“ (ελεύθερο θέατρο). Bis 1941 arbeitete er dort zusammen mit der berühmten Schauspielerin Marika Kotopouli.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5 Karolos Koun 1948 in Athen
Mittlerweile war auch die professionelle Szene auf den talentierten Koun aufmerksam geworden. 1950 wurde er zum ersten Mal vom „Landestheater“ eingeladen, eine Inszenierung zu leiten. Es folgten vier weitere Produktionen bis 1953, darunter „ Onkel Wanja“ und „Drei Schwestern“ von Tschechow.
[...]
1 So beurteilt beispielsweise Theodoros Chatzipantazis in Braunecks Theaterlexikon das „Kunsttheater“ als „ die bedeuternste griechische Theatereinrichtung“, Brauneck ( Hrsg.): Theaterlexikon, Seite 1049. Karolos Koun wird, um ein weiteres Beispiel zu nennen, von Helmut Flashar als „prominentester griechischer Theatermann überhaupt“ betitelt, Flashar: Inszenierung der Antike, Seite 213.
2 Koun war mit seinem Theater seit den 60er Jahren auf den großen internationalen Festivals wie „ Theater der Nationen“ eingeladen und erhielt dort mehrfach Preise für seine Inszenierungen. Außerdem hat das „Kunsttheater“ mehrfach Tourneen durch Europa unternommen.
3 Patrizia Kokoris in „Εκκυκλήµα“, Ausgabe 21, 1989
4 Z. B. die Sonderbeilage der Zeitung „Τα Νέα“. Zudem wird jährlich an seinem Todestag ein kurzer Film über Koun und die Geschichte des Kunsttheaters, aufgenommen vom Schauspieler Koujoumzis, im griechischen Fernsehen gezeigt.
5 Hellenic Centre for theatrical research, Theatre Museum, Akadimias 50, Athen, Griechenland
1 M. A. Mavrikou: Griechenland. In:. Hürlimann, M. (Hg.): Das Atlantisbuch des Theaters. Zürich: Atlantis Verlag, 1966.Seite 574
2Clogg ( 1997), S. 70
3 Die zwei Sprachtypen unterscheiden sich in allen Punkten der Sprachstruktur: Vokabular, Syntax, Phonetik und Formenlehre. Die Diglossie nahm ihren Anfang mit der Bewegung des Attizismus und setzte sich durch die ganze tausendjährige Geschichte der byzantinischen Epoche fort.
4 Ebd.:. S. 577
5 1922 starteten die türkischen Truppen eine militärische Großoffensive. Es kam zu einem Massaker an 30.000 griechischen und armenischen Christen in der Stadt Smyrna. Bei einem folgenden Großbrand wurde nahezu die ganze Stadt zerstört, die bis dahin ein bedeutendes Zentrum christlicher Griechen in Kleinasien war.
6 Clogg ( 1997), S.131
7 M. A. Mavrikou: „Griechenland“ in: Hürlimann, M. (Hg.): Das Atlantisbuch des Theaters. Zürich: Atlantis Verlag, 1966. Seite 583
8 M. A. Mavrikou: „Griechenland“ in: Hürlimann, M. (Hg.): Das Atlantisbuch des Theaters. Zürich: Atlantis Verlag, 1966. Seite 8
9M. A. Mavrikou: „Griechenland“ in: Hürlimann, M. (Hg.): Das Atlantisbuch des Theaters. Zürich: Atlantis Verlag, 1966. Seite 590
10 Clogg ( 1997), S. 147
11 Ebd..: S. 156
12Tzirilakis ( 1987), Seite 17
1 Biographische Daten aus :Pilichos ( 1987) , Seite 13
2 Die Aufführungen am Kollegio Athinon sind aufgeführt in A. Kontogiorgis: Das Bühnenbild des griechischen Theaters 1930- 1960.Athen, 2000, Seite 95
3 Kontogiorgis (2000), S. 96
4 Ebd.: S. 96
5 http://www.haef.gr/american/theatre vom 20.11.2003
6 http://www.haef.gr/american/theatre vom 20.11.2003
7 Kontogiorgis (2000), S. 98
8 Programmheft „Erofili“, Seite 1, 22.8.1934
9 Koun ( 1981), S. 10
10 Kontogiorgis (2000), S. 103
11 K. Koun im Programmheft zu „Alkestis“, 1934. Seite 1
12 Pilichos (1987), S. 22
- Quote paper
- Magister Artium Jennifer Moos (Author), 2004, Der griechische Theaterregisseur Karolos Koun, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122632
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.