„Es gibt […] ein Land, das einen Kommissar für Justiz und Freiheit rund um die Uhr beschäftigen müsste. Ein Land, das fleißig einen demokratischen Grundsatz nach dem anderen dekonstruiert: Italien.“
Das schreibt Friedrich Christian Delius im März letzten Jahres in der Zeit. Sein Artikel befasst sich mit dem Phänomen Berlusconi und seinen Auswirkungen auf die Europäische Union. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen Berlusconi im Hinblick auf die Situation und den Status der italienischen Judikative. Sie versucht aufzuzeigen, wie die sagenhafte Karriere des „Self-Made-Mannes“ sowie seine scheinbare juristische Unantastbarkeit in der Geschichte, vor allem aber in der Kultur und den Traditionen Italiens begründet liegen. Es soll untersucht werden, inwiefern ein nicht funktionierendes Rechtssystem die Hauptverantwortung für die beispiellose Machtanhäufung in den Händen Berlusconis trägt. Und es geht darum, gute nachbarstaatliche Freundschaft von blinder Glorifizierung zu unterscheiden, zugunsten der Grundwerte, auf denen sich die europäische Staatengemeinschaft aufbaut.
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Inhaltsangabe
1. Einleitung
2. Die italienische Justiz der 70er, 80er und 90er Jahre
2.1 Italienische Kultur und Verhaltensweisen
2.2 Lichtbli>Ermittlungsrichter Falcone und Borsellino
3. Der Skandal um die FreimaurerlogePropaganda Due
4. Medien in Italien: Organisation, Struktur, gesetzlicher Rahmen
5. Silvio Berlusconi: vom Unternehmer zum Ministerpräsidenten
5.1 Das Berlusconi – Imperium
5.2 Die Forza Italia
5.3 Berlusconi und die Justiz
6. Schlussbetrachtung
7. Bibliographie
1. Einleitung
„Es gibt […] ein Land, das einen Kommissar für Justiz und Freiheit rund um die Uhr beschäftigen müsste. Ein Land, das fleißig einen demokratischen Grundsatz nach dem anderen dekonstruiert: Italien.“
Das schreibt Friedrich Christian Delius im März letzten Jahres in derZeit. Sein Artikel befasst sich mit dem Phänomen Berlusconi und seinen Auswirkungen auf die Europäische Union. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen Berlusconi im Hinblick auf die Situation und den Status der italienischen Judikative. Sie versucht aufzuzeigen, wie die sagenhafte Karriere des „Self-Made-Mannes“ sowie seine scheinbare juristische Unantastbarkeit in der Geschichte, vor allem aber in der Kultur und den Traditionen Italiens begründet liegen. Es soll untersucht werden, inwiefern ein nicht funktionierendes Rechtssystem die Hauptverantwortung für die beispiellose Machtanhäufung in den Händen Berlusconis trägt. Und es geht darum, gute nachbarstaatliche Freundschaft von blinder Glorifizierung zu unterscheiden, zugunsten der Grundwerte, auf denen sich die europäische Staatengemeinschaft aufbaut.
2. Die italienische Justiz in den 70er, 80er und 90er Jahren
2.1 Italienische Kultur und Verhaltensweisen
Um die Justizlandschaft der siebziger und achtziger Jahre in Italien sachgemäß verorten zu können, bedarf es eines kurzen Exkurses in die Welt der nationalen kulturellen Vorstellungen und Denkweisen des italienischen Volkes. Traditionell ist ein eher schlechtes Verhältnis zum Staat und allen staatlichen Institutionen, also auch der Justiz, zu verzeichnen. Bereits die Forscher Gabriel Almond und Sidney Verba konstatierten: „A large portion of the population tends to view the political system as an alien, exploitaitve force“ (zitiert nach Almond, Gabriel A./Verba, Sidney: Newbury Park/CA, S. 40). Andere Quellen beschreiben das italienische Volk als tendenziell „politikverdrossen“ und geneigt, lieber von einem schwachen als einem starken Staat regiert zu werden; dies sei unter anderem den langen Fremdherrschaften im Laufe der Zeit und der damit nie erfolgten Identifizierung mit dem Staat geschuldet (Grasmück, Damian: FFM 2005, S. 35). Ein weiteres Problem sei das in Italien zum politischen Tagesgeschäft zählende Klientel- und Patronagesystem, das über die Jahre zum festen Bestandteil der Parteiarbeit geworden sei und die besondere Sorge der Politiker um ihre Heimatregionen und Familien beinhalte, für deren Wohl dann politische Händel abgeschlossen würden. Hierbei sieht Grasmück die stärkste Prägung in der Democrazia Cristiana, die vor allem den Süden Italiens beeinflusste. Außerdem ist diese katholisch geprägte Partei Bestandteil eines weiteren Problempunktes, der allerdings über die Jahre an Schärfe einbüßte: gemeint sind die „Subkulturen“ Katholizismus und Kommunismus, die sich in Italien seit den fünfziger Jahren wie zwei feindliche Heere entgegentraten. Parteipolitisch schlug sich dieser Gegensatz in genannter Democrazia Cristiana sowie dem Partito Comunista Italiana nieder, die ihre ideologische Ausrichtung über die ganze Zeit hinweg gerade in Form von Vereinsarbeit zu verankern wussten und die Bevölkerung so in klar umgrenzte Milieus verorteten. Jedoch sei seit Ende der siebziger Jahre kein zu vorher vergleichbarer Einfluss mehr vorhanden (Grasmück: S. 36ff).
2.2 Lichtbli>Ermittlungsrichter Falcone und Borsellino
Kultur und Tradition bestimmen in Italien einen wesentlichen Teil des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Nicht anders war und ist das im Bereich Justiz, in dem gerade sich die unterschiedlichen traditionellen und modernen Auffassungen von Rechtsstaatlichkeit, Republik und Demokratie treffen und aneinander aufreiben. Schon immer war ein gewisser Widerstand gegen die Arbeit der Richter und Staatsanwälte vorhanden, der sich durch die Skandale und Morde der siebziger und achtziger Jahre noch verstärkte. Und das, obwohl gerade die Geschehnisse dieser Jahre dazu geeignet gewesen wären, das Bild der italienischen Justiz in der Bevölkerung zu verändern. Dies jedoch scheiterte auch am Justizwesen selbst: Charakteristika der ersten Republikphase waren eine hochgradig ineffiziente Verwaltung sowie äußerst langwierige Verfahren; Gründe dafür findet Michael Orlandini zur Genüge: ein mangelndes Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung, mangelnde Attraktivität sowie die Gefahren durch die Mafia führten unter anderem zu stagnierenden Nachwuchszahlen; ferner sei die Verteilung der Bezirke nicht nur ein geographisches, sondern auch ein die Prozessdauer beeinflussendes Problem gewesen (Orlandini, Michael: FFM, 2001, S. 138ff). Bereits in den sechziger Jahren hatte die Justiz mit politischem Widerstand umgehen müssen; hier muss auf die Arbeit der Untersuchungs- und Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino eingegangen werden, die das Bild des Justizwesens vor allem in den achtziger Jahren prägten wie niemand sonst. Sie stammten beide aus Palermo, der Mafia- Hochburg im Süden Italiens, und verschrieben sich beide dem Kampf gegen die „ehrenwerte Gesellschaft“. Durch die Überschneidung zweier Fälle, an denen sie arbeiteten, wurde Ende der Siebziger der Grundstein für den „Anti-Mafia-Verbund“ gelegt, der 1983 nach der Ermordung des Richters Chinnici eingerichtet wurde und der sich ausschließlich auf das organisierte Verbrechen konzentrierte. Durch die Wahl Craxis zum Premierminister im selben Jahr verbesserte sich die technische Ausstattung der Justizbehörden erheblich, was eine erfolgreichere Arbeit zur Folge hatte (ebd. S. 141). Außerdem wurde zu dieser Zeit erstmals auf die Kronzeugenregelung zurückgegriffen, die dazu führte, entscheidende Informationen über die Struktur und die Arbeit der Mafia zu erhalten; in Folge konnten die beiden Richter den so genannten „Maxi-Prozess“ vorbereiten, in dessen Verlauf über 300 Mafiaangehörige verurteilt wurden und der sich bis 1987 hinzog. 1981 erzielte man einen weiteren Erfolg durch die Aufdeckung der Geheimloge Propaganda Due, auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird.
Im Laufe der neunziger Jahre hatten Falcone und Borsellino sowie alle anderen Richter und Justizangehörige fortdauernd mit Schwierigkeiten und Hürden zu kämpfen, die ihnen seitens der Politik wie Steine in den Weg gelegt wurden. Insgesamt kann man von einer Instrumentalisierung der Justiz durch die Politik unter Craxi sprechen (ebd. S. 146). Das Ende seiner Amtszeit fiel zusammen mit einem für die Justiz schwerwiegenden Ereignis: ein Fernsehmoderator war in den Verdacht geraten, mit der Mafia zusammen zu arbeiten; dies brachte die italienische Öffentlichkeit sehr auf und gipfelte in einem Volksentscheid, der die juristische Macht stark einschränkte. Ein weiteres Problem stellte ein Berufungsgericht dar, an dem ein bestimmter Richter namens Carnevale regelmäßig gegen Mafiamitglieder verhängte Urteile wieder aufhob und so die Arbeit der Gruppe um Falcone behinderte; 1991 trat Carnevale angesichts drohender strafrechtlicher Verfolgung von seinem Amt zurück. Dies geschah in einem neuerlichen Schwung öffentlicher Unterstützung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, der unter Giulio Andreotti als Regierungschef weite Teile des Landes erfasste und Falcone als Direktor für Strafsachen ins Justizministerium einziehen ließ. In dieser Position war es ihm möglich, die Arbeit des Anti-Mafia-Verbundes auf das ganze Land auszudehnen. Nach der Ermordung eines Unternehmers im gleichen Jahr, der sich geweigert hatte, der Mafia Schutzgeld zu bezahlen, wurden neue Planstellen an Gerichten und in Polizeibehörden geschaffen und über die Einrichtung eines Hilfsfonds für Opfer von Schutzgelderpressungen nachgedacht; außerdem wurde die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes dahingehend geändert, dass Berufungsverfahren sich nicht mehr wie bisher an einem Gericht konzentrierten, sondern automatisch an alle Gerichte verteilt wurden (ebd. S. 149). 1992 kam es zur bislang größten Krise des Regierungssystems und zu Neuwahlen, nachdem ein Mitglied der sozialistischen Partei wegen Korruption verhaftet wurde und Andreotti zurücktrat; noch vor Beginn des Wahlkampfes wurde der „Verbindungsmann“ Andreottis zur „Cosa Nostra“ ermordet. Die tatsächliche Tiefe der Verstrickung des ehemaligen Regierungschefs in die Belange der Mafia konnte erst später bewiesen werden und führte zur Aufhebung seiner Immunität sowie zu zwei Prozessen, die letztlich jedoch erfolglos blieben.
Nach den 1992 erfolgten Neuwahlen herrschte ein „politisches Vakuum“, in das hinein die größte Niederlage der italienischen Justiz der letzten Jahre fiel: die Ermordung Giovanni Falcones im Mai des Jahres und zwei Monate später die Ermordung Paolo Borsellinos. Beide Morde wurden von der Mafia verübt, und beide Verbrechen konnten letztendlich aufgeklärt werden, was für einen Wandel in der Justizpolitik von Vorteil war. Trotzdem verlor Italien die beiden zähesten und mutigsten Kämpfer gegen das organisierte Verbrechen, die es je hatte.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich in den neunziger Jahren in der Beurteilung und Unterstützung der italienischen Justiz viel verändert hat. Dennoch müssen nach wie vor Defizite konstatiert werden. Die größte Errungenschaft ist jedoch laut Orlandini die Überschreitung zweier Grenzen: zum einen die öffentliche Feststellung der Mafia als einer geheimen Organisation mit festen Strukturen und Hierarchien,Vordringen in die geheimen Netzwerke von Mafia und Politik seitens der Justiz, das mit ein Grund war für den Zusammenbruch des politischen Systems Anfang der Neunziger (ebd. S. 154).
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