Diese Einführung in die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes bietet eine nähere Betrachtung des ersten Paragraphen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794. Fichte beansprucht mit seiner Wissenschaftslehre nicht weniger als eine Letztbegründung allen Wissens zu leisten, und entfaltet zu diesem Zwecke eine Egologie, die das transzendentalphilosophische Programm Immanuel Kants fortführt. Jene Egologie ist keine Metaphysik des Subjekts, sondern der Versuch, mehrere Formen der Selbstbezüglichkeit des Ichs miteinander zu verknüpfen.
Die Wissenschaftslehre und damit auch die Begründung menschlichen Wissens ankern bei Fichte im absoluten Ich. Dieses ist kein personelles, konkretes Ich, sondern reine Selbstbezüglichkeit, verstanden als unbestimmte und mit sich selbst identische Tätigkeit. Jene Tätigkeit bezeichnet Fichte als Tathandlung. Absolutes Ich und Tathandlung sind Prinzipien des Selbstbewusstseins. Fichte war der Ansicht, dass sich Selbstbewusstsein und Ich nur dann konsistent denken lassen, wenn jene Prinzipien mitbedacht würden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 3
2. Historischer Rückblick ... 4
3. Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre ... 6
4. Der erste Grundsatz ... 6
4.1 Propädeutik ... 8
4.1.1 Der Satz der Identität ... 9
4.1.2 Noesis und Noema ... 10
4.2 Tathandlung und absolutes Ich ... 13
5. Fazit ... 15
6. Literaturverzeichnis ... 16
1. Einleitung
Johann Gottlieb Fichte ist nicht nur einer der bedeutendsten Vertreter des Deutschen Idealismus. Sein Hauptwerk, die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), ist zudem eines der wirkmächtigsten Werke der nachkantischen Philosophie und wurde vom Autor mehrmals neu verfasst, da die Schrift dem Jenaer Universitätsprofessoren zu Lebzeiten immer wieder den Vorwurf des Atheismus einbrachte.
Fichte beansprucht mit seiner Wissenschaftslehre nicht weniger als eine Letztbegründung allen Wissens zu leisten und entfaltet zu diesem Zwecke eine Egologie, die das transzendentalphilosophische Programm Immanuel Kants fortführt. Jene Egologie ist keine Metaphysik des Subjekts, sondern der Versuch, mehrere Formen der Selbstbezüglichkeit des Ichs miteinander zu verknüpfen. Der Nachvollzug der Gedanken Fichtes gestaltet sich dabei nicht immer einfach, vermied er schließlich durch sein ganzes Werk hindurch eine feste Terminologie, um seine Leser zum Mitdenken anzuregen.
Die Wissenschaftslehre und damit auch die Begründung menschlichen Wissens ankern bei Fichte im „absoluten Ich“. Dieses ist kein personelles, konkretes Ich, sondern reine Selbstbezüglichkeit, verstanden als unbestimmte und mit sich selbst identische Tätigkeit. Diese Tätigkeit bezeichnet Fichte als „Tathandlung“. Absolutes Ich und Tathandlung sind Prinzipien des Selbstbewusstseins. Fichte war der Ansicht, dass sich Selbstbewusstsein und Ich nur dann konsistent denken lassen, wenn jene Prinzipien mitbedacht würden.
Im Folgenden wird der erste Grundsatz Fichtes, welcher im ersten Paragraphen des ersten Teils der Wissenschaftslehre expliziert wird, ausgeleuchtet. Dieser erste, schlechthin unbedingte Grundsatz soll die Möglichkeit von Wissen überhaupt begründen, kann jedoch selbst nicht bewiesen werden, da er als oberster Grundsatz notwendig unbestimmt bleiben muss. Fichte muss also deduktiv vorgehen, wenn er die Denknotwendigkeit der „gleichursprünglichen Strukturganzheit“ (Heidegger) des mit sich selbst identischen Ichs beweisen will. [1]
2. Historischer Rückblick
Zu Beginn seiner Ausführungen über den ersten Grundsatz stellt Fichte fest, dass der Satz aufgrund seiner Eigenschaften als absolut-erster und unbedingter Satz unbeweisbar und unbestimmbar ist (11/FW I, 91). Dies wirft die Fragen auf, warum ein philosophisches System zum einen überhaupt auf einen absoluten Grundsatz zu stellen und zum anderen was unter dem Begriff des „absoluten Grundsatzes“ überhaupt zu verstehen sei. Peter Baumanns bemerkt, dass Fichte beide Fragen durch die Programmschrift und die Aenesidemus-Rezension als beantwortet voraussetzt.[2] Um die Entwicklung der Gedanken Fichtes seit seiner Beschäftigung mit Kant jedoch nachzuvollziehen und einen roten Faden zu finden, lohnt sich ein Blick auf die philosophischen Bestrebungen seiner Zeitgenossen.
Der Philosoph Carl Leonhard Reinhold entwickelte in seiner Elementarphilosophie eine Theorie der Vorstellung zum Zwecke der Festigung der kantischen Transzendentalphilosophie. Hatte Kant zwar verschiedene Wissensquellen und menschliche Vollzüge postuliert, so fehlte Reinholds Ansicht nach eine gemeinsame Wurzel des Verschiedenen, eine gemeinsame Gattung.[3] Dafür sollte eine Tatsache gefunden werden, die niemand leugnen könne, die schlechthin unbestreitbar sei. Reinhold wählt die Tatsache, dass wir Vorstellungen haben. Zu einer Vorstellung gehörten erstens die Vorstellung als Vollzugsakt selbst, zweitens das Subjekt, welches vorstelle und drittens das vorgestellte Objekt. Im Bewusstsein seien alle drei Elemente aufeinander bezogen und dennoch verschieden.[4] Reinhold hatte diese seiner Meinung nach unbestreitbare Tatsache nun als Grundsatz formuliert. Er lautet: „Im Bewusstseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen.“[5]
Was jedoch als Aussage evident ist, ist nicht deswegen gleich ein Grundsatz: Der Skeptiker und Lehrer Schopenhauers, Gottlob Ernst Schulze, der ehemals ein Mitschüler Fichtes in Schulpforta war, kritisierte in seiner anonym erschienen Schrift Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosphie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik (1792) die Thesen Reinholds derart vernichtend, „dass Fichte die Elementarphilosophie Reinholds hinsichtlich ihres fundamentalistischen Anspruchs als widerlegt ansah.“[6] Schulze kritisierte, dass der Satz des Bewusstseins nicht unmittelbar evident und zu voraussetzungsreich sei. Was „unterscheiden“, „beziehen“ und „vorstellen“ bedeutet, sei bei aller Evidenz des Satzes nicht unmittelbar einleuchtend.
Ein weiterer Kritikpunkt Schulzes, so J.-P. Mittmann, lautet, dass Reinhold dem Dogmatismus verfalle, indem er vom Denken auf die reale Beschaffenheit der Dinge schließt.[7] Darüber hinaus ziele der Grundsatz Reinholds nur auf die theoretische Vernunft, bleibe aber hinsichtlich des praktischen Wollens völlig unbestimmt, da er sich nur auf die theoretische Tätigkeit des Bewusstseins bezieht und den aktiv handelnden Willen vernachlässigt.[8]
Fichte wird schließlich von einem Gedanken ergriffen, von dem er meint, dass er aller Kritik standhält und ein System der Wissenschaft fundieren kann: Es ist die Subjektivität, die es als gemeinsame Wurzel von theoretischer und praktischer Vernunft allein vermag, derartiges Wissen hervorzubringen, das dem Anspruch der Wahrheit – d.h. die kohärente Übereinstimmung von Vorstellung und Vorgestelltem – gänzlich entspricht. Die Rede ist vom Selbstbewusstsein. Das Ich erkennt sich als erzeugt durch sich selber, wenn es sich im Selbstbewusstsein als Ich begreift. Denkendes Ich, Denkakt und gedachtes Ich sind eins. Ausgehend von dieser Erkenntnis will Fichte nun ein philosophisches System entwickeln, welches sämtliches Wissen begründet und wodurch die Philosophie selbst zur Wissenschaft wird.
Damit verfolgt Fichte einen anderen Ansatz als Kant, der seine beiden Erkenntnisquellen Sinnlichkeit und Verstand nicht aus der Einheit des Selbstbewusstseins ableitete, sondern diese als „unhintergehbar gegeben“[9] voraussetzte.
[1] Vgl. Rainer Schäfer, Johann Gottlieb Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794, Darnstadt 2006, 35.
[2] Vgl. Peter Baumanns, J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 62f.
[3] Vgl. Rainer Schäfer, Johann Gottlieb Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794, 9.
[4] Vgl. Wilhelm G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte. Eine Einführung, Berlin 2014, 15.
[5] Carl Leonhard Reinhold, Über das Fundament des philosophischen Wissens (1791), Hrsg. W.H. Schrader, Hamburg 1978, 78.
[6] Rainer Schäfer, Johann Gottlieb Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794, 10.
[7] Jörg-Peter Mittmann, Das Prinzip der Selbstgewißheit. Fichte und die Entwicklung der nachkantischen Grundsatzphilosophie , Bodenheim 1993, 42.
[8] Rainer Schäfer, Johann Gottlieb Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794, 10.
[9] Ebd., 11.
- Arbeit zitieren
- Davy Mühlenbein (Autor:in), 2021, Tathandlung und absolutes Ich bei Fichte. Eine Untersuchung des ersten Paragraphen der "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" (1794), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1224791
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