„Gehaltenes Versprechen“ – so nannte die radikal-islamische libanesische Hisbollah ihre Operation, die am 12. Juli 2006 mit der Entführung zweier israelischer Soldaten und der Ermordung acht weiterer an der nördlichen Grenze Israels zum Libanon den Libanonkrieg 2006 auslöste.
Die Reaktion Israels folgte prompt und überraschte in ihrem Ausmaß nicht nur die Hisbollah, sondern auch die Weltöffentlichkeit. Mit umfangreichen Luft- und Bodeneinsätzen in weiten Teilen des Libanon wollte Israel die Befreiung der entführten Soldaten herbeiführen und die Hisbollah vernichten oder doch zumindest empfindlich schwächen.
Die Hisbollah wiederum beschoss den Norden Israels mit Raketen.
Der Krieg wurde von Anfang an von den deutschen Medien ausführlich begleitet. Bereits während der militärischen Auseinandersetzungen kam allerdings die Kritik auf, die Medien berichteten einseitig und anti-israelisch.
Der Vorwurf der Einseitigkeit und Parteilichkeit an die Medien wiegt schwer, berührt er doch bedeutende Grundsätze des freiheitlich-demokratischen Mediensystems wie die Norm der Objektivität der Berichterstattung und der daraus resultierenden Trennung von Nachricht und Meinung.
Die Frage, wann es zu einer Verletzung dieser Norm kommt, wird in der Publizistik-Wissenschaft unterschiedlich beantwortet. Zwar besteht Einigkeit, explizite Bewertungen im Nachrichtenteil als unzulässig aufzufassen, aber für Klaus Schönbach findet eine Umgehung der Trennungsnorm auch dann statt, wenn durch Selektion oder Transformation von Informationen bestimmte Ereignisse aufgewertet und andere gänzlich außen vor gelassen werden. Wenn Meinungsbeiträge auf der einen Seite mit Nachrichtenbeiträgen auf der anderen Seite so abgestimmt werden, dass jene Nachrichtenbeiträge, die die Meinungslinie unterstützen, hervorgehoben werden, nennt Schönbach dies "Synchronisation".
Eine Untersuchung der deutschen Printmedien hinsichtlich der Verletzung der Trennungsnorm bei der Berichterstattung über den Libanonkrieg 2006 ist bislang noch nicht durchgeführt worden. In vorliegender Arbeit wird dies im Hinblick auf folgende Fragestellung getan:
Kam es in der Berichterstattung über den Libanonkrieg 2006 zur Synchronisation zwischen Berichterstattung und Kommentierung hinsichtlich der Darstellung der zentralen Konfliktparteien?
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER UNTERSUCHUNG
2.1. Publizistische Vielfalt
2.2. Das Problem der Objektivität der Berichterstattung
2.3. Zur Trennung von Nachricht und Meinung
2.4. Nachrichtenauswahl und Verzerrungen in der Berichterstattung
2.4.1. Nachrichtenauswahl- und Gatekeeper-Forschung. Warum wird ein Ereignis zur Nachricht?
2.4.2. News-Bias-Forschung
2.4.2.1. Verzerrte Berichterstattung und ihre Ursachen
2.4.2.2. Verzerrung der Berichterstattung durch Synchronisation
2.4.2.2.1. Rollenzuschreibungen als Mittel der Synchronisation
2.4.2.2.2. „Opportune Zeugen“ als Mittel der Synchronisation
2.4.2.2.3. „Instrumentelle Aktualisierung“ als Mittel der Synchronisation
2.5. Zusammenfassung
3. MEDIEN UND KRIEG
3.1. Probleme der Kriegsberichterstattung
3.2. Krieg als Thema der (deutschen) Berichterstattung
3.3. Der israelisch-arabische Konflikt und die Medien
3.3.1. Berichterstattung im israelisch-arabischen Konflikt
3.3.2. Entwicklung des Konflikts und seine Begleitung durch die Medien
3.3.2.1. Von der israelischen Staatsgründung zum Sechstagekrieg
3.3.2.2. Sechstagekrieg 1967
3.3.2.3. Jom-Kippur-Krieg 1973
3.3.2.4. Der Weg zum ersten Libanonkrieg 1982 und seine Folgen
3.3.2.5. Aufstand der Palästinenser
3.3.2.6. Der zweite Libanonkrieg 2006
3.4. Zusammenfassung
4. ANLAGE DER UNTERSUCHUNG
4.1. Gegenstand und Methode der Analyse und Untersuchungsziele
4.2. Anwendung der theoretischen Grundlagen auf die Untersuchung
4.3. Medienauswahl
4.4. Forschungsfragen und Hypothesen
4.5. Untersuchungszeitraum
4.6. Operationalisierung und Kategorienbildung
4.7. Validitäts- und Reliabilitätsprüfung
5. ERGEBNISS
5.1. Vorgehensweise zur Überprüfung der Hypothesen
5.2. Rollenbilder
5.2.1. Darstellung Israels
5.2.2. Darstellung der Opfer
5.2.3. Urheber der Täter-Darstellungen
5.2.4. Zusammenfassung
5.3. T hemenauswahl
5.3.1. Thematisierung militärischer Kampfhandlungen
5.3.2. Thematisierung der humanitären Situation
5.3.3. Zusammenfassung
5.4. Bewertungen
5.4.1. Negative Bewertungen und ihre Urheber
5.4.2. Zusammenfassung
5.5. Synchronisation in den drei Zeitungen
6. SCHLUSSBETRACHTUNG
6.1. Berichterstattung und Synchronisation
6.2. Weiterführende Gedanken
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
I Chronologie des Libanonkriegs 2006
II Codeplan
III Codeerläuterungen
IV Berechnung der Reliabilität
V Tabellen und Abbildungen zur Auswertung
VI Karten
Abbildungen
Abb.1 Urheber explizit negativer Bewertungen Israels im Nachrichtenteil der SZ
Abb.2 Urheber explizit positiver Bewertungen der Hisbollah im Nachrichtenteil der taz
Abb.3 Urheber explizit negativer Bewertungen Israels im Nachrichtenteil der taz
Abb.4 Karte des Libanon
Abb.5 Karte Israels
Tabellen
Tab.1 Rollen-Darstellung Israels
Tab.2 Verteilung der Opfer-Rolle
Tab.3 Täter-Rollenzuschreibungen und ihre Urheber
Tab.4 Thematisierung von Militäraktionen
Tab.5 Militärische Kampfhandlungen als zentrales Thema
Tab.6 Thematisierung der humanitären Situation
Tab.7 Humanitäre Situation als zentrales Thema
Tab.8 Objekt explizit negativer Bewertungen
Tab.9 Objekte explizit negativer Bewertungen und ihre Urheber
Tab.10 Israel als Täter (komplett) in der SZ
Tab.11 Israel als Täter (ohne Kategorie „Angreifer“) in der SZ
Tab.12 Urheber der Täter-Zuschreibungen Israels in der SZ
Tab.13 Täter-Rolle Israels in der taz
Tab.14 Verteilung der Opfer-Rolle in der SZ
Tab.15 Verteilung der Opfer-Rolle „Schwacher“ auf die libanesischen Akteure im Kommentarteil der SZ
Tab.16 Verteilung der Opfer-Rolle der israelischen Armee in der taz
Tab.17 Verteilung der Opfer-Rolle in der taz
Tab.18 Verteilung der Opfer-Rolle im Kommentarteil der taz
Tab.19 Urheber der Opfer-Rollen im Kommentarteil der Welt
Tab.20 Urheber der Täter-Rolle im Kommentarteil der taz
Tab.21 Urheber der ausführlichen Täter-Rollen beider Seiten im Kommentarteil der Welt
Tab.22 Urheber der Täter-Rolle im Kommentarteil der Welt
Tab.23 Themenverteilung in der SZ
Tab.24 Thematisierung militärischer Kampfhandlungen in der SZ
Tab.25 Themenverteilung in der taz
Tab.26 Thematisierung militärischer Kampfhandlungen in der taz
Tab.27 Themenverteilung in der Welt
Tab.28 Thematisierung der humanitären Situation in der Welt
Tab.29 Objekte explizit positiver Bewertungen in der SZ
Tab.30 Verteilung der negativen Bewertungen zusammengesetzt aus „explizit negativ“ und „negativ über Rollenzuschreibung“
Tab.31 Objekte explizit positiver Bewertungen in der taz
Tab.32 Bewertungen israelischer Einzelpersonen ohne besondere Prominenz über die israelische Seite im Nachrichtenteil der taz
Tab.33 Objekt und Urheber explizit negativer Bewertungen im Kommentarteil der Welt
Tab.34 Objekte und Urheber explizit positiver Bewertungen im Kommentarteil der Welt
Tab.35 Bewertung der Hisbollah durch libanesische Einzelpersonen ohne besondere Prominenz im Kommentarteil der Welt
Tab.36 Objekt explizit positiver Bewertungen in der Welt
1. EINLEITUNG
„Gehaltenes Versprechen“ – so nannte die radikal-islamische libanesische Hisbollah ihre Operation, die am 12. Juli 2006 mit der Entführung zweier israelischer Soldaten und der Ermordung acht weiterer an der nördlichen Grenze Israels zum Libanon den Libanonkrieg 2006 auslöste.
Die Reaktion Israels folgte prompt und überraschte in ihrem Ausmaß nicht nur die Hisbollah, sondern auch die Weltöffentlichkeit. Mit umfangreichen Luft- und Bodeneinsätzen in weiten Teilen des Libanon wollte Israel die Befreiung der entführten Soldaten herbeiführen und die Hisbollah vernichten oder doch zumindest empfindlich schwächen.
Die Hisbollah wiederum, deren Doktrin auch die Vernichtung Israels beinhaltet, beschoss den Norden Israels mit Raketen.
Nach 34 Tagen beendete schließlich am 14. August ein Waffenstillstand die militärische Auseinandersetzung.
Der Krieg, der nur ein weiteres Kapitel im jahrzehntelangen Nahostkonflikt bildet, wurde von Anfang an von den deutschen Medien ausführlich begleitet. Bereits während der militärischen Auseinandersetzungen kam allerdings die Kritik auf, die Medien berichteten einseitig und anti-israelisch. Eine Anschuldigung, die unter anderem vom Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, gemacht wurde und sich speziell auf ARD und ZDF bezog (DER SPIEGEL 2006: 82).
Gestützt wurde der Vorwurf von einer noch während des Krieges veröffentlichten Studie über die Berichterstattung deutscher Nachrichtensendungen durch Media Tenor mit dem Ergebnis, die israelische Sicht werde in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten benachteiligt (MEDIA TENOR 7.8.2006).
Ein Ergebnis, das auch deshalb überrascht, weil gerade vor dem Hintergrund der besonderen deutsch-israelischen Beziehungen, die in bedeutsamem Maße durch den deutschen Völkermord an den europäischen Juden geprägt sind, eine mediale Rücksicht gegenüber dem jüdischen Staat zu erwarten gewesen wäre.
Der Vorwurf der Einseitigkeit und Parteilichkeit an die Medien wiegt schwer, berührt er doch bedeutende Grundsätze des freiheitlich-demokratischen Mediensystems wie die Norm der Objektivität der Berichterstattung und der daraus resultierenden Trennung von Nachricht und Meinung.
Die Frage, wann es zu einer Verletzung dieser Norm kommt, wird in der Publizistik- Wissenschaft unterschiedlich beantwortet. Zwar besteht Einigkeit, explizite Bewertungen im Nachrichtenteil als unzulässig aufzufassen, aber für Klaus Schönbach findet eine Umgehung der Trennungsnorm auch dann statt, wenn durch Selektion oder Transformation von Informationen bestimmte Ereignisse aufgewertet und andere gänzlich außen vor gelassen werden (SCHÖNBACH 1976: 24f). Wenn Meinungsbeiträge auf der einen Seite mit Nachrichtenbeiträgen auf der anderen Seite so abgestimmt werden, dass jene Nachrichtenbeiträge, die die Meinungslinie unterstützen, hervorgehoben werden, nennt Schönbach dies Synchronisation (ebd.: 9).
Eine Untersuchung der deutschen Printmedien hinsichtlich der Verletzung der Trennungsnorm bei der Berichterstattung über den Libanonkrieg 2006 ist bislang noch nicht durchgeführt worden. In vorliegender Arbeit wird dies im Hinblick auf folgende Fragestellung getan:
Kam es in der Berichterstattung über den Libanonkrieg 2006 zur Synchronisation zwischen Berichterstattung und Kommentierung hinsichtlich der Darstellung der zentralen Konfliktparteien?
Eine Untersuchung des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich kam für ausgewählte schweizerische Medien zu dem Ergebnis, die Berichterstattung hätte sich im Verlauf des Krieges vor allem auf die humanitäre Katastrophe im Libanon konzentriert, weswegen zunehmend Israel und nicht die Hisbollah als Täter im Konflikt dargestellt worden sei (FÖG 8.11.06).
Ausgehend von diesen Forschungsergebnissen zu den schweizerischen Medien und denen der Studie von Media Tenor wird in der vorliegenden Arbeit folgende zentrale These untersucht:
In der Berichterstattung über den Libanonkrieg 2006 kam es dahingehend zur Synchronisation von Kommentierung und Berichterstattung, dass bei der Darstellung der zentralen Konfliktparteien jeweils die israelische Armee, die israelische Politik und Israel generell als Täter und die libanesische Zivilbevölkerung als Opfer dargestellt wurden.
Zur Untersuchung der zentralen Fragestellung und These wird eine quantitative Inhaltsanalyse der drei deutschen Tageszeitungen Die Welt, Süddeutsche Zeitung und tageszeitung durchgeführt. Die Zeitungen wurden auf Grund ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtungen ausgewählt, um einen breiten Überblick über die deutsche Medienlandschaft zu gewährleisten.
Eine quantitative Untersuchung wird vorgenommen, da sie einerseits einen möglichst hohen Grad an Objektivität und Reproduzierbarkeit ermöglichen soll und andererseits aufgrund der quantitativen Erhebung qualitativer Merkmale der Untersuchung durchaus auch eine qualitative Dimension verleiht.
Im Vorfeld der eigenen Analyse werden die theoretischen Grundlagen der Untersuchung, ausgehend von den Normen der publizistischen Vielfalt, der Trennung von Meinung und Nachricht und seiner Umgehung in Form der Synchronisation erläutert und im Kontext der News-Bias-Forschung im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung betrachtet.
Anschließend werden die Zwänge und Schwierigkeiten der Kriegsberichterstattung im Allgemeinen und im Nahostkonflikt im Speziellen erörtert. Dazu wird der Konflikt seit der Gründung des Staates Israel 1948 anhand seiner bedeutendsten militärischen Auseinandersetzungen und ihrer medialen Begleitung dargestellt, um die Entwicklungen in der publizistischen Meinung zu Israel und dem Konflikt zu verfolgen.
Dies geschieht deshalb in so ausführlicher Form, weil in diesem Konflikt die isolierte Betrachtung eines Ereignisses nicht zu einem angemessenen Verständnis des Gesamtkonflikts führt, der sich durch große Komplexität auszeichnet.
Den Erläuterungen zum Nahostkonflikt folgt die Konzeption der empirischen Studie hinsichtlich der forschungsleitenden Fragestellung und These, basierend auf den Ausführungen zu den theoretischen Grundlagen der Untersuchung. Dazu werden aus der forschungsleitenden These einzelne Hypothesen abgeleitet, die nach ihrer Operationalisierung das praktische Grundgerüst der Untersuchung vorgeben.
Bei der Darstellung der Ergebnisse dienen die Hypothesen der Strukturierung und werden mit Hilfe der Untersuchungsergebnisse überprüft.
Da die Hypothesen aus der forschungsleitenden These abgeleitet sind, thematisieren sie nur spezielle Aspekte der These und Fragestellung. In der abschließenden Schlussbetrachtung soll daher neben der paraphrasierenden Wiedergabe der Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit und der kritischen Auseinandersetzung mit der Untersuchung auch eine aus den Überprüfungen der Hypothesen abstrahierte Stellungnahme zur forschungsleitenden These möglich werden.
2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER UNTERSUCHUNG
2.1. Publizistische Vielfalt
Publizistische Vielfalt ist ein zentraler Wert in den Mediensystemen demokratischer Staaten (RONNEBERGER 1978: 224-233). Den Medien kommt in einer Demokratie ein wichtiger Part in der politischen Willensbildung der Bürger zu. Es ist ihre Aufgabe, den Bürger möglichst umfassend über die Geschehnisse in der Welt zu informieren und die Informationen angemessen zu bewerten.
Publizistische Vielfalt kann dabei auf der strukturellen und der inhaltlichen Ebene verwirklicht werden. Eng verknüpft mit der strukturellen Ebene ist die Frage des Außenpluralismus – publizistische Vielfalt findet hier auf Makroebene innerhalb des gesamten publizistischen Angebots statt. Dabei ist weniger das einzelne Medium als solches entscheidend, als vielmehr das Mediensystem als Ganzes und die Betrachtung, inwiefern dieses der Aufgabe der vielfältigen und umfassenden Information nachkommt (DONSBACH 1996: 343f).
Auf der inhaltlichen Ebene und dem damit verbundenen Binnenpluralismus befindet sich hingegen die Mikroebene der einzelnen Medien im Fokus der Aufmerksamkeit. Aus dieser Perspektive ist die Vielfalt der Darstellung von Ereignissen, Informationen und Stellungnahmen aus Sicht unterschiedlicher fachlicher und weltanschaulicher Standorte und Interessenlagen innerhalb eines Mediums von Bedeutung (ebd.: 344).
Diesen beiden grundsätzlichen Ansätzen folgend, lässt sich nach Donsbach et al. publizistische Vielfalt auf vier Ebenen des Mediensystems verwirklichen:
- durch die publizistischen Aussagen in unterschiedlichen Medienarten eines Mediensystems
- durch die publizistischen Aussagen innerhalb eines Medientyps
- durch publizistische Aussagen innerhalb eines einzelnen Mediums
- durch Vielfalt innerhalb des journalistischen Beitrags (ebd.)
Die ersten beiden Ebenen beschreiben dabei Umsetzungsmöglichkeiten der publizistischen Vielfalt im Sinne der Außenpluralität und die letzten beiden im Sinne der Binnenpluralität.
Ronneberger präzisiert hierzu, welche Bereiche publizistische Vielfalt umschließt: Sie bezieht sich auf alle Formen publizistischer Aussagen, insbesondere Nachrichten- und Meinungsformen und betrifft nicht nur die Registrierung von Ereignissen, sondern auch Stellungnahmen dazu. Dies impliziert eine möglichst vielseitige Betrachtung der Ereignisse von unterschiedlichen Standpunkten und Perspektiven, was die Heranziehung unterschiedlicher Quellen notwendig macht. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, möglichst viele Informationen ohne Rücksicht auf ihren Inhalt zu veröffentlichen, sondern möglichst unterschiedliche und kontroverse Informationen (RONNEBERGER 1978: 227f).
Publizistische Vielfalt auf der Ebene des Binnenpluralismus, also innerhalb eines Mediums, lässt sich laut Donsbach et al. unter anderem auch daran messen, ob die Berichterstattung eines Mediums seiner Kommentarlinie angepasst wird, wodurch indirekt eine Legitimation der Kommentarlinie erreicht werden kann (DONSBACH 1996: 350). Das entspricht der von Klaus Schönbach beschriebenen Synchronisation, die die theoretische Grundlage der vorliegenden Untersuchung bildet.
Die Frage, ob innerhalb eines Mediums eine Anpassung von Berichterstattung und Kommentar generell oder auch nur zu einem bestimmten Thema stattfindet, betrifft damit nicht nur die journalistische Trennungsnorm von Nachricht und Meinung, sondern auch die publizistische Vielfalt insgesamt. Diese ist in einer demokratischen Gesellschaft, die eine umfassend informierte Bevölkerung zur aktiven Teilnahme am demokratischen Prozess benötigt, von besonderer Bedeutung, da ein Großteil der Informationen nur über die Massenmedien zugänglich ist.
2.2. Das Problem der Objektivität der Berichterstattung
„Da die öffentliche Kommunikation stets von den Gefühlen und Haltungen der Berichtenden abhängt, ist Objektivität im Bereich der Publizistik ausgeschlossen.“ (KOSZYK/PRUYS 1970: 263).
Während Objektivität einerseits als eines der hehren Ziele des Journalismus und Indikator für die Qualität journalistischer Arbeit angesehen wird, das teilweise auch gesetzlich fixiert1 und im Pressekodex vermerkt ist, ist sie andererseits, zumindest dem oben zitierten Eintrag im Wörterbuch zur Publizistik folgend, überhaupt nicht erreichbar.
Dabei muss beachtet werden, dass sich Objektivität auf verschiedene Ebenen beziehen kann. Mit dem Begriff verbindet sich erstens ein theoretisches Problem, zweitens eine professionelle Norm und drittens eine politische Forderung, wobei die drei Ebenen nicht unabhängig voneinander existieren (SCHULZ 2000: 333).
In den Sozialwissenschaften hat die Diskussion um die theoretische Ebene des Objektivitätsideals zu erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen geführt, die unter dem Namen „Werturteilsstreit“ bekannt geworden sind. Dabei wurde neben der Frage, ob eine objektive Berichterstattung überhaupt möglich ist, auch diskutiert, inwiefern sich in der Darstellung Fakten von wertenden Erklärungen und Einordnungen trennen lassen (SCHMIDT/WEISCHENBERG 1994: 225f).
Hintergrund der Differenzen sind unterschiedliche Ansichten über das Verhältnis von Massenmedien und Realität, die grundsätzlich zwei Richtungen zugeordnet werden können – der „ptolemäischen“ positivistischen und der „kopernikanischen“ konstruktivistischen Auffassung.
Erstere unterstellt einen prinzipiellen Gegensatz von Massenmedien und Gesellschaft, wobei es Aufgabe der Massenmedien ist, die Realität widerzuspiegeln und ein möglichst genaues Abbild der Welt anzubieten. Massenmedien stellen dabei lediglich passive Vermittler dar (SCHULZ 1989: 140f).
Dementsprechend werden das Ideal und Realisierbarkeit publizistischer Objektivität grundsätzlich bejaht.
Dem gegenüber steht die konstruktivistische Auffassung, die nicht von einem Gegensatz zwischen Massenmedien und Gesellschaft ausgeht, sondern in den Medien stattdessen einen integralen Bestandteil der Gesellschaft sieht. Daher werden die Medien auch nicht als bloße passive Vermittler einer unabhängig von Gesellschaft und Medien existenten Wirklichkeit angesehen, sondern als aktives Element im sozialen Prozess begriffen, die für die Vorstellung von Wirklichkeit konstituierend sind (ebd.: 141f). Massenmedien bilden Wirklichkeit demnach nicht nur ab, sondern sie konstruieren sie erst und an dieser konstruierten Realität richten Menschen wiederum ihr Handeln aus.
Wünschbarkeit und Realisierbarkeit publizistischer Objektivität werden, was die Umsetzbarkeit betrifft, äußerst kritisch gesehen, auch wenn ihre Wünschbarkeit teilweise durchaus anerkannt wird (SAXER 1974: 207). Objektivität ist dabei eine intersubjektive Vereinbarung über die Art der Wirklichkeitskonstruktion, die vom Journalismus erwartet werden kann (SCHMIDT/WEISCHENBERG 1994: 228).
Unabhängig davon, dass in der Forschung umstritten ist, ob Objektivität überhaupt erreichbar ist, besteht doch der zielgerichtete Anspruch der Objektivität an die Massenmedien, der sich allerdings empirisch weder eindeutig verifizieren noch falsifizieren lässt. Diese Norm führt zu professionellen Handlungsanleitungen. Objektivität wird dann umschrieben mit Begriffen wie Sachgerechtigkeit (Richtigkeit und Relevanz) und Unparteilichkeit (Ausgewogenheit, Fairness und Neutralität) (SCHULZ 2000: 333). Daraus resultiert idealerweise das, was Dovifat als „nicht ,objektiv wahr’ [...], wohl aber, subjektiv wahrhaftig’“ (DOVIFAT 1976 [1937]: 83), bezeichnet.
Gaye Tuchman, die das Objektivitätsideal entmythologisiert hat und es lediglich als Arbeitsanleitung für Journalisten betrachtet, nennt fünf journalistische Methoden, die dem Objektivitätsanspruch der Medien zugrunde liegen:
- Präsentation der widerstreitenden Möglichkeiten zu einem Thema
- Präsentation stützender Fakten zu den Aussagen
- Gezielter Einsatz von Anführungszeichen
- Strukturierung der Information in einer bestimmten Anordnung
- Formale Trennung von Nachricht und Meinung (SCHMIDT/WEISCHENBERG 1994: 227f)
Siegfried Schmidt et al. sehen insbesondere in Tuchmans letztem Punkt, der formalen Trennung von Nachricht und Meinung, ein wesentliches Merkmal der objektiven Berichterstattung (ebd.: 234). Medien, die Nachricht und Meinung nicht trennen, sind demnach auch nicht objektiv.
Auf der Ebene der politischen Forderung hat der Begriff „Objektivität“ vor allem eine instrumentelle, strategische Funktion. Sie dient dazu, die Auswahl der Nachrichten im Sinne partikularer Interessen zu beeinflussen, um das gesellschaftliche Gefüge im eigenen Sinne zu verändern oder zu konservieren (SCHULZ 2000: 334).
Obwohl in der Wissenschaft die Ansichten darüber, ob Objektivität in der Berichterstattung möglich ist, und was sie tatsächlich ausmacht, auseinander gehen, führen vermeintlich wahrgenommene Verstöße gegen das Objektivitätsprinzip schnell zu Kritik an den Massenmedien. Dabei wird vor allem der Begriff der „Ausgewogenheit“ als Synonym für Objektivität verwendet.
2.3. Zur Trennung von Nachricht und Meinung
Ausgehend von den Erfahrungen des Missbrauchs der Massenmedien durch die Nationalsozialisten betrachteten es die westlichen Alliierten, insbesondere die USA, nach Ende des 2.Weltkriegs als ihre Aufgabe, in Deutschland einen neuen Pressetyp zu installieren, der den Idealen der eigenen Massenmedien nahe stand. Als wichtigen Bestandteil definierte Harold Hurwitz:
„Von einer großen amerikanischen Zeitung wird die strikte Trennung von Berichterstattung und Kommentar verlangt. Man geht davon aus, die wichtigste Funktion der Zeitung bestehe darin, den Leser mit allen Tatsachen vertraut zu machen, so daß er sich selbst eine Meinung bilden kann.“ (HURWITZ 1972: 40)
Entsprechend dem Anspruch, möglichst objektiv und umfassend zu informieren, sollte durch die Trennung von Nachricht und Meinung die Beeinflussung des Rezipienten minimiert werden. Medienberichterstattung in Deutschland hat seit 1945 das Ziel, möglichst leidenschaftslos und sachlich über das politische Weltgeschehen zu berichten. Die Trennungsnorm hat sich in der Mediengesetzgebung zum Beispiel in den Rundfunkgesetzen der Landesmedienanstalten niedergeschlagen.2
Und obwohl sie in den Landespressegesetzen nicht ausdrücklich gesetzlich verankert ist, gilt sie auch hier gleichsam als Norm.
Emil Dovifat nennt die Trennungsnorm einen „Grundsatz der demokratischen Nachrichtenarbeit“ (DOVIFAT 1976 [1937]: 172) und Saxer sieht in ihr die Möglichkeit, publizistische Subjektivität in Richtung „reduktiver Subjektivität“ (SAXER 1974: 232f) zu disziplinieren und so zumindest zu minimieren.
Trotz der offenbaren Bedeutung, die der Trennungsnorm zukommt, gibt es bezüglich der Frage, was „Meinung“ ist und wie diese gemacht wird, keine einheitliche Auffassung. Dementsprechend kann ein Verstoß gegen die Trennungsnorm nicht eindeutig festgestellt werden. Denn obwohl sich das Gebot der Abgrenzung von Berichterstattung und Kommentar explizit nur auf offene Wertungen und Urteile in der Berichterstattung bezieht, ist unklar, ob damit die Möglichkeiten der unbeeinflussten Berichterstattung bereits ausgeschöpft sind. Klaus Schönbach fragt dazu: „Genügt ein sachlicher, ,wertfreier’ Stil der Berichterstattung, um sagen zu können, Nachricht und Meinung seien in ihr getrennt?“ (SCHÖNBACH 1977: 24).
Für Schönbach findet eine Umgehung der Trennungsnorm auch dann statt, wenn durch Selektion oder Transformation von Informationen, bestimmte Ereignisse aufgewertet und andere gänzlich außen vor gelassen werden. Denn auch dabei sei der Zweck der Trennungsnorm umgangen, der die bewusste Veränderung von Information zur Nahelegung einer bestimmten Schlussfolgerung untersagt (ebd.:24f).
Karl-Hermann Flach zieht daraus den Schluss, eine absolute Trennung von Nachricht und Meinung sei überhaupt nicht möglich. Sie sei vielmehr höchstens ein berufsethisches Ziel des Journalisten. Die Ursachen dafür sieht er in den zahlreichen Möglichkeiten subjektiver Einflussnahme, denen eine Nachricht ausgesetzt sei, bis sie tatsächlich publiziert werde. Dies beginne beim Journalisten, der die erste Fassung schreibt und ende beim Formulieren der Überschrift (FLACH 1967: 31).
Die Frage, ob eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Berichterstattung und Kommentierung möglich ist, wird daher in der Wissenschaft kritisch betrachtet. Das Einfließen von Kommentierungen in die Berichterstattung, ob unbeabsichtigt oder unumgänglich, widerspricht trotz allem den Grundsätzen der demokratischen Publizistik und kann zu Verzerrungen in der Berichterstattung führen und zu dem, was Dovifat als
„Nachrichtenpolitik“ bezeichnet – der bewussten Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Verbreitung bestimmter Nachrichtengruppen oder Zurückhaltung anderer Nachrichtengruppen (DOVIFAT 1976 [1937]: 87).
2.4. Nachrichtenauswahl und Verzerrungen in der Berichterstattung
2.4.1. Nachrichtenauswahl- und Gatekeeper-Forschung. Warum wird ein Ereignis zur Nachricht?
Die Frage, warum manche Ereignisse durch die Medien publiziert werden und andere nicht, wird in der Nachrichtenauswahlforschung von unterschiedlichen Standpunkten aus erforscht.
Die Gatekeeper-Forschung nimmt den Kommunikator als Ausgangspunkt der Untersuchungen, der durch seine Selektionsentscheidungen bestimmt, was zur Nachricht wird und was nicht. Er fungiert dabei ähnlich einem „Torwächter“, der nur bestimmte Nachrichten zur Veröffentlichung durchlässt.
Die Eigenschaften des Journalisten beziehungsweise der jeweiligen Medienorganisation, die Einfluss auf diese Selektionsentscheidungen haben, stehen dabei im Fokus der Untersuchung. Der Grund für Selektionsentscheidungen ist demnach im Kommunikator selbst begründet.
Dem gegenüber sieht die Nachrichtenwert-Theorie die Ursache für die journalistische Entscheidung, welche Ereignisse zur Nachricht werden und welche nicht, und wie die zur Nachricht gewordenen Ereignisse formell dargestellt werden, in den Eigenschaften der Ereignisse selbst. Diese werden Nachrichtenfaktoren genannt.
Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge, die das Konzept der Nachrichtenfaktoren systematisierten und differenzierten und einen Faktorenkatalog mit zwölf Eigenschaften ausarbeiteten, zählten zum Beispiel Negativität des Ereignisses dazu. Je negativer ein Ereignis sei, umso eher berichteten die Massenmedien darüber (STAAB 1990: 62).
In der konstruktivistischen Auffassung begründen die Nachrichtenfaktoren selbst allerdings nicht den Nachrichtenwert, da für die Selektionsentscheidung des Journalisten nicht die Tatsache relevant sei, dass ein Ereignis einen bestimmten Nachrichtenfaktor enthält, sondern, ob der Journalist dies als relevantes Selektionskriterium betrachte (KEPPLINGER 1998: 20).
2.4.2. News-Bias-Forschung
2.4.2.1. Verzerrte Berichterstattung und ihre Ursachen
Zwischen diesen beiden unterschiedlichen Forschungsansätzen, der Nachrichtenauswahl- und Gatekeeper-Forschung und ihren Fokussen auf den Kommunikator beziehungsweise auf das Ereignis steht die News-Bias-Forschung. Ziel der Untersuchungen, die dieser Forschungsrichtung zugeordnet werden können, ist es, die Ursachen für vorhandene Unausgewogenheiten in der Berichterstattung zu ermitteln.
Die Analysen dazu setzen teilweise an unterschiedlichen Punkten an und befassen sich mit den Medieninhalten ebenso wie mit den Eigenschaften der Kommunikatoren. Der Schwerpunkt liegt zum Beispiel darauf zu ermitteln, inwiefern politische Ansichten von Journalisten die Nachrichtenauswahl beeinflussen. Methodisch lassen sich die Untersuchungen zwischen experimentellen Studien und Inhaltsanalysen, zum Teil in Verbindung mit Befragungen, unterscheiden (KUNZCIK/ZIPFEL 2001: 266).
Experimentelle Studien zeigten dabei, dass politische Einstellungen von Journalisten einen Einfluss auf die Berichterstattung haben können. Kerrick et al. ermittelten, dass Journalistik-Studenten, die für ein Blatt schreiben sollten, deren redaktionelle Linie ihnen bekannt war, besonders viele Argumente auswählten, die diese Linie stützten, insbesondere wenn sie nicht ihrer eigenen entsprach. War den Studenten die redaktionelle Linie unbekannt, wurden vornehmlich die eigene Linie unterstützende Aspekte ausgewählt (KERRICK 1964: 207-215).
Thomas E. Patterson und Wolfgang Donsbach stellten in einer international vergleichenden experimentellen Studie fest, dass die persönliche Meinung von Journalisten zu einem Konflikt Einfluss darauf hat, wie hoch sie den Nachrichtenwert von Meldungen zum Konflikt einschätzten, wie sie diese platzieren würden, und ob sie weitere Zeugen zur einen oder anderen Konfliktsicht hinzuziehen würden. Diese Tendenz war bei deutschen Journalisten ausgeprägter als bei ihren britischen und amerikanischen Kollegen (KUNZCIK/ZIPFEL 2001: 268).
Auf inhaltsanalytischer Ebene ist es ebenfalls möglich, verzerrende journalistische Einflüsse auf die Berichterstattung zu lokalisieren.
Malcolm W. Klein und Nathan Maccoby wiesen auf diese Art Einseitigkeiten der Zeitungsberichterstattung über Wahlkämpfe und politische Konflikte nach (KLEIN/MACCOBY 1954: 285-296).
Weitere Inhaltsanalysen, die Bias aufzeigten, beschäftigten sich unter anderem mit Nachrichten über Angehörige bestimmter soziodemographischer Gruppen (MARTINDALE 1985: 321-328) und über Kriminalfälle (GERBNER 1964: 495-508).
Da aus konstruktivistischer Perspektive die zentralen Merkmale von Ereignissen nicht wertfrei festzulegen sind, erscheinen medienspezifische subjektive Eigenheiten aus dieser Perspektive auch nicht als Verzerrungen von Realität (HAGEN 1992: 445).
Daher befassten sich Biasstudien, die ab den 1970er Jahren diesem Ansatz folgten, weniger damit, Bias nachzuweisen, als vielmehr die Konstruktionsprinzipien von Bias aufzudecken. Dabei wurden auch systematische Einflüsse, die auf Nachrichten in verschiedenen Medientypen wirken, thematisiert (ebd.: 445). So erklärte Klaus Schönbach die in seiner Studie festgestellte Synchronisation von Kommentar und Meinung mit der Kleingruppensoziologie und soziologischen Zwängen, denen Journalisten in ihren Redaktionen ausgesetzt seien (SCHÖNBACH 1976: 68-87).
2.4.2.2. Verzerrung der Berichterstattung durch Synchronisation
Kernpunkt der Betrachtungen zur Synchronisation ist die Untersuchung von Publikationen hinsichtlich der Einhaltung der Trennungsnorm von Nachricht und Meinung.
Für Klaus Schönbach ist Synchronisation dabei die gleichsinnige Vermischung von Nachricht und Meinung. Sie findet demnach in einem Medium statt, wenn Meinungsbeiträge auf der einen Seite mit Nachrichtenbeiträgen auf der anderen Seite so abgestimmt werden, dass jene Nachrichtenbeiträge, die die Meinungslinie unterstützen, durch Selektion oder prominente Platzierung hervorgehoben werden (SCHÖNBACH 1977: 9).
Schönbach interpretiert damit die formulierte Trennungsnorm nicht nur als Verbot der offenen Wertungen und Urteile in der Berichterstattung, sondern auch der bewussten Veränderung der Information mit dem Ziel, dem Rezipienten bestimmte Schlussfolgerungen nahe zu legen. Außer der offenen Meinungsäußerung ist dies für Schönbach auch durch die subtileren Mittel der Selektion und Transformation von Informationen realisierbar (ebd: 24).
Otto Groth formulierte dazu bereits in den 1920er Jahren:
„Es kann [...] die Zeitung auch durch die bloße Nachricht das Urteil des Lesers zu bilden und in die gewünschte Richtung zu drängen versuchen. Davon, welche Nachrichten die Zeitung bringt und nicht bringt, was sie unterstreicht oder abmildert, hängt außerordentlich viel für die öffentliche Meinung ab.“ (GROTH 1928: 735)
Soll die Norm der Trennung von Nachricht und Meinung erfüllt sein, so muss für Schönbach auch die unbewusste Information, die durch Selektion, Platzierung und ähnliche Techniken entsteht, kanalisiert werden. Er fordert: „Keine bewusste Verzerrung der Berichterstattung im Sinne der im Kommentar geäußerten Meinung.“ (SCHÖNBACH 1977: 26). Damit meint Schönbach ein Verbot der von Emil Dovifat formulierten
„Nachrichtenpolitik“ (DOVIFAT 1976 [1937]: 139).
Schönbach unterscheidet zwei Ebenen, auf denen es zur Vermischung von Kommentierung und Berichterstattung kommen kann: 1.) Die explizite Form ist dadurch gekennzeichnet, dass im Nachrichtenteil ausdrücklich wertende Formulierungen oder Begriffe zu finden sind. 2.) Die implizite Form der Vermischung führt durch eine einseitige Aufmachung beziehungsweise Auswahl zur Verzerrung. Der Rezipient kann diese implizite Form der Verzerrung und Vermischung von Kommentierung und Berichterstattung als solche nur dadurch erkennen, dass er die Berichterstattung mit der Realität vergleicht (SCHÖNBACH 1977: 26f). Wenn diese Realität in der Berichterstattung maßstabsgerecht wiedergegeben wird, ist die Berichterstattung für ihn objektiv.
Schönbach macht vier idealtypische Berichterstattungstypen aus.
1.) Der Nachrichtenteil enthält objektiv ausgewählte Argumente und zeigt keine
Übereinstimmung mit der Kommentierung.
2.) Der Nachrichtenteil enthält einseitig ausgewählte Argumente und zeigt keine
Übereinstimmung mit der Kommentierung.
3.) Der Nachrichtenteil enthält objektiv ausgewählte Argumente und stimmt mit der Kommentierung überein.
4.) Der Nachrichtenteil enthält einseitig ausgewählte Argumente und stimmt mit der Kommentierung überein (ebd.: 49).
Der letzte dieser vier Berichterstattungstypen entspricht Schönbachs Definition von Synchronisation.
Die von Schönbach 1977 durchgeführte Studie zur Synchronisation hatte ihren Schwerpunkt vor allem auf der Untersuchung der Trennungsnorm und ihrer Umgehung durch die Mittel der impliziten Form der Vermischung – in der Untersuchung waren dies die einseitige Platzierung, Hervorhebung und Selektion. Diese sollte durch Gegenüberstellung „idealer“ normgerechter Berichterstattung und „realer“ Berichterstattung ermittelt werden. Die Untersuchung selbst war explorativ angelegt und erfasste neben deutschen überregionalen und regionalen Qualitäts- und Boulevardzeitungen auch periodische politische Sendungen von ARD und ZDF und regionalen Hörfunksendern (ebd.: 36ff).3
Gegenstand der Untersuchung war die Berichterstattung über das zum damaligen Zeitpunkt häufig thematisierte Berlin-Problem, womit die Frage nach dem Status Westberlins und politisch-diplomatische Verhandlungen in diesem Zusammenhang gemeint sind (ebd.: 33f).
Schönbach erhob neben äußerlichen Merkmalen der Artikel wie Stilform und Platzierung auch häufige und kontroverse Argumente in der Berichterstattung zum untersuchten Berlin-Problem, die er Themen und Unterthemen zuordnete (ebd.: 42-48).
Neben der expliziten Form der Vermischung von Berichterstattung und Kommentar machte Schönbach die implizite Form an zwei Punkten fest: Gleichsinnigkeit und Einseitigkeit. Gleichsinnigkeit definierte er als Parallelität von Meinungs- und Nachrichtenteil. Zur Erfassung dieser untersuchte Schönbach, wie häufig die unterschiedlichen Argumente jeweils im Meinungs- und Nachrichtenteil der einzelnen betrachteten Medien genannt wurden. Er ordnete die Argumente zwei sich thematisch gegenüberstehenden Gruppen zu – Argumente der Regierung und Argumente der Opposition und ermittelte, in welchem Verhältnis die einzelnen Zeitungen im Nachrichtenteil Argumente der einen Seite denen der anderen gegenüberstellen, und ob ein Zusammenhang mit dem Verhältnis im Kommentierungsteil besteht (ebd.: 54-60).
Einseitigkeit untersuchte Schönbach, indem er die Argumente zum Berlin-Problem, die in Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, FAZ und Welt genannt wurden, als Standard setzte, an denen er die anderen Medien maß. Diese vier Zeitungen wählte er aus, da sie als Qualitätszeitungen gelten, das politische Spektrum gut abdeckten und Schönbach daher eine weitgehende Abdeckung aller möglichen Argumente zum Thema erwartete (ebd.: 61ff). „Ausgewogenheit“ bedeutete dementsprechend die maßstabgerechte Wiedergabe von Informationen, wie sie die vier Zeitungen anbieten (ebd.: 64).
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Formen der expliziten Vermischung von Nachricht und Kommentar in jedem der untersuchten Medien auftraten. In der FAZ, die als Qualitätszeitung sogar den Maßstab für andere Medien vorgab, sei Synchronisation im Vergleich zu den weiteren Publikationen überproportional häufig vorgekommen (ebd.: 73).4
Synchronisation im Sinne der Abstimmung der Argumentauswahl in Berichterstattung und Kommentierung habe sich als grundsätzliche Tendenz in wenigen der untersuchten Medien gezeigt (ebd.: 117).5
Wenn auch so gut wie nie sämtliche Argumente zum Thema Berlin mit der Kommentierung verknüpft worden seien, so sei dies bei Teilen der Berichterstattung durchaus der Fall gewesen. Dies habe sich vor allem bei der Darstellung und Übernahme der Argumentationen von Regierung und Opposition gezeigt (ebd.: 110f).
Schönbach zog dabei das Fazit: „Massenmedien synchronisieren partiell.“ (ebd.: 111).
Die meisten folgenden Studien zur Synchronisation schließen sich Schönbachs Untersuchungsansatz auf der Ebene der Auswahl der Argumente an.
Hans-Jürgen Weiß und Andrejs Gramatins führten eine qualitative Inhaltsanalyse über die Berichterstattung zur Einführung des Satellitenfernsehens in Deutschland in der deutschen Tagespresse durch. Zwar zeigten die Ergebnisse, dass es in der Regel nicht zu einer Verletzung der Trennungsnorm gekommen sei, aber eine teilweise Umgehung dieser Norm sei mittels der impliziten Kommentierung im Nachrichtenteil, besonders durch die Nachrichtensprache trotzdem feststellbar gewesen (GRAMATINS/WEIß 1985: 581-594).
In einer ebenfalls von Hans-Jürgen Weiß durchgeführten Studie zur Wahlkampfberichterstattung und –kommentierung in Fernsehen und Tagespresse zum Bundestagswahlkampf 1980 wurde untersucht, ob eine Synchronisation zwischen der parteipolitischen Tendenz eines Mediums, die dem Kommentarteil zu entnehmen sei, und der Auswahl parteibezogener Informationen im Rahmen der Nachrichtengebung statt findet. Im Rahmen der Studie wurden bei zwei Tageszeitungen Hinweise auf aktive Synchronisation von Berichterstattung und Kommentierung ermittelt (WEIß 1982: 275).
Christiane Eilders führte ebenfalls eine Studie zur Synchronisation durch und untersuchte dabei fünf große deutsche Zeitungen. Sie erweiterte Schönbachs Konzentration auf die einseitige Selektion von Argumenten als Indikator für Synchronisation auf die Auswahl von Themen allgemein – „Issue selection in editorials can thus complement and support the relevance assigned to issues in news section“ (EILDERS 1999: 303).
In Anlehnung an das Salience-Modell der Politikwissenschaft6 vermutete Eilders, dass sich publizistische Medien verschiedener politischer Ausrichtung eher über die Auswahl ihrer spezifischen Themen positionieren als über die speziellen Meinungen zu unterschiedlichen Themen (ebd.: 306).
Der Fokus verschob sich dabei von der Frage, ob die Medien objektiv und umfassend berichteten, zu der Frage, ob zwischen Berichterstattung und Kommentar dahingehend eine Abstimmung stattfindet, dass die Themen der Kommentare sich den Themen der Nachrichten anpassen. Anders gefragt: Werden in den Kommentaren lediglich die wichtigsten Themen der Nachrichten kommentiert oder werden auch Themen auf die Agenda gesetzt, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht im Zentrum des medialen und politischen Interesses stehen? (ebd.: 307).
Dadurch wird nicht so sehr die Problematik berührt, ob Synchronisation zu einer weniger objektiven oder umfassenden Berichterstattung führt, als vielmehr die Frage, ob die Medien zur Passivität neigen und es unterlassen, wenig beachtete aber deshalb nicht notwendigerweise unwichtige Themen auf die Agenda zu setzen, was in Kommentaren möglich wäre (ebd.).
Eilders ermittelte einen hohen Synchronisationsgrad hinsichtlich des prozentualen Anteils der verschiedenen Themen an der Gesamtberichterstattung im Nachrichten- und Kommentierungsteil, wobei sich die untersuchten Medien untereinander nur geringfügig unterschieden. Hinweise auf das Salience-Modell zeigten sich in den Untersuchungsergebnisse hingegen nicht, da die Medien sich in der Themenauswahl offensichtlich mehr aneinander orientierten als an ihrer eigenen politischen Ausrichtung (ebd.: 317f).
2.4.2.2.1. Rollenzuschreibungen als Mittel der Synchronisation
Der Bergriff Rolle ist nicht eindeutig definiert. Eine Rolle kann sich ebenso auf einen Part in einem Theaterstück beziehen wie auf eine Stellung innerhalb eines sozialen Gefüges.
Hans Paul Bahrdt definiert Rollen als Bündel an Verhaltenserwartungen, die eine Bezugsgruppe an die Inhaber bestimmter Positionen (z.B. „Politische Exekutive“) heranträgt (BAHRDT 1984: 67).
Robert Merton betrachtet damit übereinstimmend den sozialen Status einer Person immer verbunden mit einer Vielzahl von Rollen, die der soziale Status impliziert (MERTON 1968: 42).
Ralf Dahrendorf sieht in ihnen quasi-objektive Positionen, die vom Einzelnen prinzipiell unabhängig sind und deren besonderer Inhalt von der Gesellschaft bestimmt und verändert wird (DAHRENDORF 1964: 27). Auf die Berichterstattung bezogen bedeutet dies, dass auch die Medien an der Vermittlung sozialer Rollen beteiligt sind.
Rollen sind mit Verhaltenserwartungen, die an die Träger der Rolle herangetragen werden, verbunden. Auf diese Verhaltenserwartungen kann für Bertram Scheufele wiederum über Äußerungen geschlossen werden, die in den Medien entweder vom Journalisten oder von Dritten gemacht werden. Umgekehrt könne aber auch über Attribute und Handlungen auf Rollen geschlossen werden, was bedeutet, dass sich diese durch Merkmale, Etikettierungen und Handlungen von Akteuren, wie sie über die Medien transportiert werden, übermitteln ließen (SCHEUFELE 2005: 354).
Mit den Rollen gehen häufig auch Attribute oder Handlungen einher, die eine Eigenwertigkeit haben. Scheufele nennt sie „Rollen-Konnotierung“. So beurteilten die meisten Menschen einen „Kriegstreiber“ beispielsweise negativ (ebd.: 354).
Rollen entstehen und wirken in den Medien also in zwei Richtungen. Sie werden zum einen quasi induktiv aus der Vermittlung bestimmter Attribute, Handlungen und Äußerungen übermittelt. Auf der anderen Seite sind mit den Rollen deduktiv wiederum Attribute und Handlungen verbunden – die Verhaltenserwartungen.
Scheufele untersuchte, inwiefern durch Rollenzuschreibungen Kriege legitimiert werden. Dabei unterschied er nicht zwischen den Zuschreibungen im Nachrichten- beziehungsweise Kommentarteil des Mediums. Scheufele betrachtete vielmehr eine mögliche Konsonanz zwischen den Rollenzuschreibungen, wie sie im politischen Diskurs gemacht wurden und jenen, die von Seiten der Medien erfolgt sind. Seine These war dabei, dass Medien unterschiedlicher politischer Ausrichtung jenen Rollenzuschreibungen folgten, wie sie von „ihren“ politischen Vertretern gemacht würden. Das wurde teilweise bestätigt (ebd.: 366).
Genauso, wie es zu einer Angleichung der Rollenzuschreibungen zwischen Politik und Medien kommen kann, was für Scheufele in den Bereich der News-Bias-Forschung fällt (ebd.: 356), ist auch eine Angleichung der Rollenzuschreibung innerhalb eines Mediums auf der Ebene des Kommentar- beziehungsweise Nachrichtenteils möglich. Das entspräche Synchronisation. Auch wenn dieser Zusammenhang bislang noch nicht hergestellt und untersucht wurde, ist es denkbar, dass über Rollenzuschreibungen im meinungsbetonten und im tatsachenbetonten Teil der Medien Synchronisation stattfindet.
2.4.2.2.2. „Opportune Zeugen“ als Mittel der Synchronisation
Lutz Hagen versuchte in seiner Studie zur Zeitungsberichterstattung über die Volkszählungsdiskussion, Konstruktionsmechanismen von News-Bias aufzudecken, indem er den Zusammenhang zwischen von Journalisten geäußerten Argumenten in der Berichterstattung und denen anderer Kommunikatoren untersuchte (HAGEN 1992: 444- 460).
Dazu analysierte er auf der Ebene der einzelnen Argumente fünf große deutsche Tageszeitungen, die das gesamte politische Spektrum abdecken.
Die Argumente wurden auf einer fünfstufigen Skala ordinal erfasst, ob sie für oder gegen die Volkszählung gerichtet sind, sowie der Kommunikator, von dem das betreffende Argument stammte. Dabei wurde sowohl die Person als auch die Gruppe, der diese Person angehört, codiert (ebd.: 446f).
Die redaktionelle Linie der einzelnen Zeitungen zum Thema ermittelte Hagen über den Indikator der Meinungsäußerungen der Journalisten im Nachrichtenteil und nicht – wie meistens üblich – über Aussagen in den Meinungsbeiträgen. Hagen begründet dies damit, dass die explizite Vermischung von Nachricht und Meinung Symptom eines meinungsfreudigen, interpretativen Nachrichtenstils sei, das die Berichterstattung der untersuchten Tageszeitungen kennzeichne (ebd.: 447).
Hagen wies in der Untersuchung einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen der Argumentrichtung von Journalisten und anderen Kommunikatoren nach. Für diese gleichgerichtete Argumentation untersuchte er des Weiteren zwei unterschiedliche mögliche Konstruktionsprinzipien von Bias:
- Argumente wurden bevorzugt veröffentlicht, wenn ihre Richtung der redaktionellen Linie der Zeitung entsprach – unabhängig von ihrem Kommunikator.
- Argumente bestimmter Kommunikatoren (Gruppen oder Personen), die auf der Linie der Zeitung lagen, wurden bevorzugt veröffentlicht – unabhängig von der Richtung einzelner Argumente (ebd.: 449).
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass beide Prinzipien charakteristisch für die Berichterstattung zur Volkszählung waren. Die Richtung der Argumente, die die Zeitungen veröffentlichten, war stark von der redaktionellen Linie beeinflusst. Bias wurde dabei vor allem dadurch konstruiert, dass die Zeitungen mehr Argumente von solchen Gruppen und Personen veröffentlichten, die im Sinne ihrer redaktionellen Linien argumentierten. Hagen bezeichnet diese als opportune Zeugen. Allerdings sind die einzelnen Argumente der Kommunikatoren nicht systematisch danach ausgewählt worden, ob sie eine bestimmte Richtung hatten. Zwar zitierten die verschiedenen Zeitungen häufiger solche Kommunikatoren, die in ihrer Meinungsrichtung der redaktionellen Linie nahe standen, und benutzten diese Kommunikatoren ebenfalls als opportune Zeugen, aber innerhalb der Aussagen der Kommunikatoren fand kaum eine Selektion statt (ebd.: 455f).
Dass Journalisten gerne opportune Zeugen heranziehen, haben Stanley Rothman und Robert S. Lichter auch für die USA gezeigt. Sie untersuchten, warum in den USA die öffentliche Unterstützung für Kernenergie immer weiter sank. Offensichtlich glaubte die Bevölkerung, auch Wissenschaftler stünden der Kernenergie eher ablehnend gegenüber, da die Nuklearenergieskeptiker unter ihnen bereitwilliger ihre Meinung in allgemeinen Zeitungen veröffentlichten als die Befürworter, die aber deutlich in der Überzahl waren. Da Journalisten sich Umfragen zufolge ebenfalls eher zu den Skeptikern zählten, ist es möglich, dass sie die Wissenschaftler als opportune Zeugen zur Unterstützung ihrer eigenen Ansicht nutzten (ROTHMAN/LICHTER 1982: 47-52).
Die Ursachen für die Ergebnisse könnten darin liegen, dass Journalisten auf der einen Seite bemüht sind, die Berichterstattung möglichst objektiv und realitätsnah umzusetzen, dies auf der anderen Seite aber entsprechend der konstruktivistischen Auffassung gar nicht möglich ist. Daher orientierten sie sich an den in Kapitel 2.2 diskutierten Handlungsanweisungen von Tuchman, um so schwer verifizierbare Aussagen als Fakten erscheinen zu lassen, da sie als Äußerungen glaubwürdiger Personen veröffentlicht werden (ebd.: 456).
John Hartley erklärt die Funktion von Zitaten so:
„In other words, they function very similar to the way spoken dialogue functions in a novel: it advances the narrative, but it seems to be ’privileged’ by not being simply the voice or opinion of the author.“ (HARTLEY 1982: 109).
Der Journalist fungiert durch seine Auswahl dessen, was und wen er zitiert, ähnlich dem im Gatekeeper-Ansatz beschriebenen „Türsteher“, der vor allem jene Personen hereinlässt, die sich im Sinne der Zeitung äußern. Gleichzeitig kann die Übereinstimmung mit der redaktionellen Linie als Nachrichtenfaktor der Konsonanz interpretiert werden. Der Nachrichtenwert hinge demnach nicht von der Aussage des Kommunikators als solche ab, sondern von der Übereinstimmung der vorgebrachten Argumente mit der redaktionellen Linie (HAGEN 1992: 456).
Auch Schönbach vermutete, die Übereinstimmung mit der redaktionellen Linie sei eines der Kriterien, die Journalisten bei Auswahl und Aufmachung von Meldungen bestimmten. Dies gefährde allerdings die geforderte Vielfalt und Vollständigkeit der Berichterstattung (SCHÖNBACH 1976: 69).
Die Zitierung von Dritten kann also dazu dienen, die gebotene Norm der Trennung von Berichterstattung und Kommentierung zu beachten, da die Äußerungen, so subjektiv und parteiisch sie in ihrem Charakter auch sein mögen, nicht vom Journalisten selbst stammen und damit formell keine Verletzung der Trennungsnorm vorliegt. Wie Hagens Studie allerdings zeigte, können gerade aus diesem Grund Zeugen zu opportunen Zeugen werden, da es so möglich ist, die redaktionelle Linie der Zeitung indirekt in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Die Ergebnisse der Studie von Hagen haben gezeigt, dass die Zeitungen von dieser Möglichkeit offensichtlich Gebrauch machen.
Damit können opportune Zeugen teilhabend an einer Synchronisation von Nachricht und Meinung sein, indem über die gezielte Auswahl von zitierten Personen in der Berichterstattung eine Angleichung an die Kommentarlinie erreicht wird.
2.4.2.2.3. „Instrumentelle Aktualisierung“ als Mittel der Synchronisation
Eine weitere Erklärung für das Phänomen der opportunen Zeugen ergibt sich, wenn Journalisten das tun, was Hans Mathias Kepplinger als instrumentelle Aktualisierung bezeichnet hat (KEPPLINGER 1989: 199-220).
Kepplinger vermutet, dass Journalisten in der Berichterstattung über Konflikte Meldungen, die die eigene Konfliktsicht stützen, einen höheren Nachrichtenwert zusprechen als jenen, die ihrer eigenen Konfliktsicht widersprechen (ebd.: 207).
Wenn Journalisten nun eine Gegebenheit, die objektiv in einem Zusammenhang mit dem zentralen Konfliktgegenstand steht oder subjektiv so wahrgenommen wird (subjektive Instrumentalisierung), in den Vordergrund der Berichterstattung rücken, so liegt für Kepplinger ein Fall von instrumenteller Aktualisierung vor. Entscheidend ist dabei nicht, ob die Darstellung korrekt ist, sondern ob sie der anderen Seite des Konfliktes schadet (ebd.: 205).
Ursächlich für das Vorhandensein der instrumentellen Aktualisierung kann der Versuch von Politikern, Parteien oder anderen Konfliktteilnehmern sein, die Massenmedien in ihrem Sinne zu instrumentalisieren, indem sie ihnen gezielt Informationen zuspielen, die ihnen nützlich sind oder schädlich für den Gegner.
Zum anderen können aber auch die Massenmedien die Konfliktteilnehmer instrumentalisieren, indem sie bevorzugt jene zu Wort kommen lassen, die ihrer eigenen Sichtweise Ausdruck verleihen (ebd.: 207). Dies entspricht den von Hagen thematisierten opportunen Zeugen.
Kepplinger führte dazu ein Fragebogenexperiment durch, bei dem die Meinungen von Journalisten zu drei Konflikten ermittelt und zu acht mit diesen Konflikten zusammen hängenden Meldungen erhoben wurden. Die Journalisten sollten angeben, welchen Nachrichtenwert sie den Meldungen zusprachen und für welche Konfliktseite sie ihrer Meinung nach sprachen.
Es stellte sich heraus, dass fast die Hälfte der Journalisten (45%) das bewusste Hochspielen, aber nur 16 Prozent das bewusste Herunterspielen von Informationen für mehr oder weniger vertretbar hielten (ebd.: 209).
Zusätzlich dazu machte Kepplinger 1984 eine umfassende Inhaltsanalyse in deutschen Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften sowie Hör- und Fernsehfunk zu ihrer Berichterstattung über den Mittelamerika-Konflikt. Kepplinger ermittelte einen etwa zehnmal so hohen Anteil werthaltiger Aussagen in Meldungen im Vergleich zu Kommentaren (ebd.: 211).
Die wertenden Aussagen klassifizierte er hinsichtlich ihrer Tendenz fünfstufig von sehr positiv für die USA bis sehr positiv für Nicaragua. Dann ermittelte er die Tendenzen in den Kommentaren und Meldungen, wobei er erstere als Indikator für die Redaktionslinie nutzte. Kepplinger ermittelte, dass die meisten Redaktionen Meldungen instrumentell aktualisierten. Zeitungen mit entgegen gesetzten redaktionellen Linien unterschieden sich dabei allerdings nicht grundsätzlich in ihren Bewertungsrichtungen, da alle Konfliktteilnehmer von allen Medien vornehmlich negativ charakterisiert worden seien, sondern hinsichtlich der Intensität der Negativdarstellung (ebd.: 211ff).
Dabei zeigte sich eine generelle Konzentration auf die negativen Aspekte der stärker abgelehnten Seite, der keine Konzentration auf die positiven Aspekte der anderen Seite entsprach (ebd.: 217).
Entsprechend dem Nachrichtenfaktorenkatalog von Galtung und Ruge besitzen negativ bewertete Gegebenheiten einen höheren Nachrichtenwert als positive Informationen und verfügen gleichzeitig in einem publizistischen Konflikt über eine höhere Glaubwürdigkeit, weil sie nicht im Verdacht der Beschönigung stehen. Daher ist das Verbreiten negativer Informationen über die gegnerische Seite in Konflikten für die instrumentelle Aktualisierung aussichtsreicher, als positive Informationen über die eigene Seite zu verbreiten (KEPPLINGER 1989: 207).
Dem Nachrichtenfaktorenkatalog von Galtung und Ruge hat Klaus Schönbach noch das Merkmal der Übereinstimmung mit der redaktionellen Linie als Nachrichtenfaktor hinzugefügt (SCHÖNBACH 1976: 69), was mit Kepplingers Konzept der instrumentellen Aktualisierung gut in Zusammenhang zu bringen ist. Eine Zeitung, deren redaktionelle Linie in einem Konflikt der einen Konfliktseite zuspricht, wird demnach eher geneigt sein, Ereignisse zu publizieren, die diese Linie stützen. In Verbindung mit der von Galtung und Ruge formulierten Verzerrungshypothese, wonach bei einem Ereignis, das einmal zur Nachricht geworden ist, jene Aspekte besonders herausgestellt werden, die den Nachrichtenwert bestimmen (KUNCZIK/ZIPFEL 2001: 249), lässt sich die instrumentelle Aktualisierung als Hochspielen der Ereignisse erklären, die der eigenen redaktionellen Linie entsprechen und aus diesem Grund Nachrichtenwert besitzen.
2.5. Zusammenfassung
In der Publizistikwissenschaft gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die sich mit den Fragen der publizistischen Vielfalt, Objektivität, Nachrichtenauswahl und Nachrichtenverzerrungen beschäftigen. Dabei berühren manche der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen philosophische Grundsätze wie die Frage, was eigentlich Realität ist und ob und wie sie sich abbilden lässt. Die Auffassungen dazu lassen sich zumeist zwei Denkschulen zuordnen: der positivistischen, die von einer Trennung von Massenmedien und Gesellschaft und der damit verbundenen Abbildbarkeit der Realität ausgeht, und der konstruktivistischen, die dies im Prinzip verneint, da Gesellschaft und Massenmedien nicht unabhängig voneinander existierten, sondern wechselseitig aufeinander einwirkten. Verbunden mit diesen unterschiedlichen Ansätzen wird auch die Umsetzbarkeit der journalistischen Norm der Objektivität verschieden betrachtet. Während Positivisten sie prinzipiell für möglich halten, lehnen Konstruktivisten sie tendenziell ab.
Davon unabhängig existieren allerdings Normen und Vorstellungen bezüglich des Charakters der publizistischen Arbeit. Neben der Objektivität gehört dazu auch die Trennung von Nachricht und Meinung, wobei eine Verletzung der Trennungsnorm auch die Objektivität der Berichterstattung in Frage stellt.
Eine Umgehung der Trennungsnorm kann neben der expliziten Form durch Bewertungen im Nachrichtenteil auch auf implizitem Wege geschehen. Klaus Schönbach sieht in der Angleichung von Nachricht und Meinung, wie sie mit der gezielten Selektion und Platzierung von Nachrichten geschehen kann, ebenfalls eine Verletzung der Trennungsnorm, die er Synchronisation nennt. Weitere Möglichkeiten der Synchronisation durch Themenauswahl, Rollenzuschreibungen und das Zitieren Dritter sind ebenfalls denkbar und bilden zusammen mit den Bewertungen als Synchronisationsebene das theoretische Grundgerüst der vorliegenden Arbeit.
3. MEDIEN UND KRIEG
3.1. Probleme der Kriegsberichterstattung
Kriege besitzen einen großen Nachrichtenwert, da sie über viele Eigenschaften verfügen, die als Nachrichtenfaktoren bezeichnet werden. Das macht sie für die Medien interessant. Kriege, zumal jene im so genannten „Kommunikationszeitalter“, sind allerdings so stark durch Kommunikation geprägt, dass sie sich nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld abspielen, sondern auch an der Informationsfront statt finden, wie Hansjürgen Koschwitz bemerkt:
„Der Waffengang selbst stellt nur eine, obschon wesentliche Seite des umfassenden Konfliktgeschehens dar, daneben erhält dessen publizistisch-propagandistische Dimension immer größeres Gewicht, letztlich ist ‚die Feder mächtiger als das Schwert’ geworden.“ (KOSCHWITZ 1984: 343).
Die Medien werden für die Kriegsakteure selbst immer bedeutender und können das Kriegsgeschehen entscheidend beeinflussen. Zum einen erhöhen Kriege den Informationsbedarf und besser Informierte haben im Kriegsgeschehen Vorteile, da sie möglicherweise dadurch erfolgreicher kämpfen oder fliehen können. Zum anderen kann die politische Legitimation kriegsentscheidend sein, die in demokratischen Gesellschaften in der Regel im öffentlichen Diskurs stattfindet. Daher haben Kriege entscheidend dazu beigetragen, Propagandatechniken und Methoden der Öffentlichkeitsarbeit weiter zu entwickeln (EILDERS/HAGEN 2005: 205f).
Die einleitend ausgeführten grundsätzlichen Fragen der Möglichkeit objektiver Darstellung von Ereignissen verschärfen sich in der Kriegsberichterstattung durch die teilweise aufwändigen Versuche der Kriegsparteien, die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dies kann durch Propaganda, Desinformation oder Zensur geschehen.
Propaganda umfasst nach Stefan Schallenberger alle Strategien zur politischen Sinnstiftung, zur Meinungs- und zur Wahrnehmungslenkung (SCHALLENBERGER 1999: 63). Die Propaganda hat dabei zum Ziel, durch psychologische Mittel den
Kampfeswillen der Gegner zu schwächen und den der eigenen Truppen sowie deren Zusammenhalt zu stärken (HARTWIG 1999: 24).
Die Methoden sind dabei vielfältig und reichen von der Verbreitung von Gerüchten und der Fälschung von Informationen bis zur Diffamierung und Entmenschlichung des Gegners (ebd.: 38).
Die Strategie der Desinformation bewirkt vor allem in Verbindung mit der Zensur und angesichts des starken Konkurrenzdrucks der Medien untereinander, eine zuweilen kritiklose Übernahme von irreführender und beeinflusster Information, da die Zeit zur ausführlichen Recherche fehlt (ebd.: 53f).
Neben dem Versuch der Manipulation der Informationen, die Journalisten erhalten, stehen auch immer die Bemühungen, bestimmte Informationen durch Zensur gar nicht erst zu den Journalisten vordringen zu lassen.
Stefan Hartwig unterscheidet zwischen direkter und indirekter Zensur. Als direkte Zensur bezeichnet er die Kontrolle und Selektion von Bild- und Tonmaterial der Journalisten durch Zensoren, die bewusste Zurückhaltung von Information und die absichtliche Versperrung des Zugangs zum Kriegsgebiet. Indirekte Zensur liegt vor, wenn von beteiligten Militärs Bild- und Textmaterial zur Verfügung gestellt, ausgewählte Informationen auf Pressekonferenzen lanciert und vorteilhafte Aspekte von politischen oder militärischen Verantwortlichen propagiert werden (ebd.: 11ff).
Eine verstärkte direkte Zensur in Form verknappter Informationen begünstigt dabei die Übernahme der Informationen, die den Journalisten im Rahmen der indirekten Zensur bereitgestellt werden (ebd.: 12).
Das Verhältnis von direkter und indirekter Zensur ist im geschichtlichen Verlauf nicht konstant und die Strategien der Kriegsparteien, wie mit den Medien umgegangen werden sollte, sind Veränderungen unterworfen.
So verfolgten das US-Militär und mit ihm andere westliche Militärs nach dem Vietnam- Krieg die Maxime, Journalisten möglichst vom Kriegsgeschehen auszuschließen. Nach den Anschlägen des 11.September 2001 wurde sie allerdings zugunsten des Konzepts, Medien aktiv mit Informationen im eigenen Sinn zu versorgen, aufgegeben. Diese Politik fand ihren Höhepunkt schließlich darin, Kriegsberichterstatter in Truppeneinheiten „einzubetten“ („embedding“) (DOMINOWSKI 2004: 59).
Versuche der am Krieg beteiligten Parteien, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, sind in Kriegen seit jeher üblich, da die Akteure, wie bereits beschrieben, ein großes Interesse an einer ihnen genehmen Berichterstattung haben, weswegen Manipulation,
Inszenierung, gezielte Desinformation und Zensur zum üblichen Repertoire wahrscheinlich aller Krieg führenden Parteien gehören.
Die Auseinandersetzung mit Kriegsberichterstattung führt somit auch zu der Frage, inwieweit die Berichterstattung Produkt der Zensur- und Manipulationspolitik ist. Sie kann nicht abschließend beantwortet werden, da die besonderen situativen Zwänge, denen Journalisten in Kriegen ausgesetzt sind, bislang empirisch zu wenig erforscht sind und Erkenntnisse sich häufig auf Reportagen von Kriegskorrespondenten beschränken, die bislang allerdings noch nicht komparativ analysiert worden sind (LÖFFELHOLZ 2004: 41f).
3.2. Kriege als Thema der (deutschen) Berichterstattung
Neben der großen Aufmerksamkeit, die Medien und Kriegsakteure sich gegenseitig zukommen lassen, hat auch die Wissenschaft das Thema für sich entdeckt, so dass weltweit eine kaum mehr zu erfassende Vielzahl an Studien zur Berichterstattung über verschiedene Kriege vorhanden ist.
Die mehrheitlich in Form von Inhaltsanalysen durchgeführten Untersuchungen orientieren sich dabei am Weltgeschehen und steigen durch stark beachtete Kriege quantitativ an. Schwerpunkt der meisten Studien ist dabei die Frage, wie Medien durch die Art der Darstellung des Kriegsgeschehens Kriege legitimieren oder delegitimieren und diese beurteilen.
So untersuchten Christiane Eilders und Albrecht Lüter den öffentlichen Diskurs über den Kosovo-Krieg in Kommentaren von Tageszeitungen und stellten fest, dass das eigentliche Kriegsgeschehen einen vergleichsweise geringen Raum der Berichterstattung einnahm, während überwiegend die Politik Deutschlands und der Bündnispartner thematisiert worden sei. Die von der Politik vorgegebene Linie zum Kriegseinsatz fand sich den Ergebnissen folgend im Mediendiskurs fast vollständig wieder (EILDERS/LÜTER 2002: 103-122).
Evelyn Bytzek stellte analog dazu für den Kosovo-Krieg zumindest anfangs ein „Rally round the flag“ der deutschen Medienberichterstattung fest (BYTZEK 2005: 369-388).
Medien aus Ländern, die nicht direkt am Konflikt beteiligt sind, berichteten einer Studie von Nohrstedt et al. zufolge hingegen weitgehend problematisierender, als jene beteiligter Länder (NOHRSTEDT 2000: 383-404).
Udo Michael Krüger untersuchte die Darstellung des Irak-Kriegs 2003 im deutschen Fernsehen und erhob unter anderem, welche Darstellungsformen in der Berichterstattung verwendet wurden, welche Themen die Berichterstattung bestimmten, und welche Einstellung zur Glaubwürdigkeit ihrer Quellen die Journalisten zeigten (KRÜGER 2003: 398-413).
Krüger sieht in den Untersuchungsergebnissen unter anderem Hinweise auf eine neue Qualität des Kriegsjournalismus, da Journalisten ihren Quellen häufig mit Skepsis begegneten. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten berichteten dabei umfangreicher. Außerdem gingen sie häufiger als die privaten Sender über die faktische Wiedergabe des Kriegsgeschehens hinaus und nähmen den politischen Kontext des Krieges in den Blick (ebd.: 412f).
Weitere häufige Untersuchungsthemen sind Fragen der Parteilichkeit und Oberflächlichkeit der Berichterstattung, bedingt durch die Vereinfachung der Darstellung auf einzelne Kriegsepisoden, die die komplexen Zusammenhänge nur unzureichend darstellten (EILDERS/LÜTER 2002: 208).
An dieser Stelle wird eine Studie zur Kriegsberichterstattung ausführlicher vorgestellt, da sich die in dieser Arbeit durchgeführte Untersuchung teilweise an ihr orientiert.
Sie stammt von Bertram Scheufele, der explorativ die Berichterstattung in Spiegel und Focus über den Kosovo-Krieg untersucht hat (SCHEUFELE 2005: 352-368).
Dabei war die Frage zentral, wie die beiden Nachrichtenmagazine über Rollenzuschreibung den Krieg begründeten, und ob sie eher Zustimmung oder Ablehnung für den NATO- und Bundeswehreinsatz vermittelten.
Dazu unterschied er zwei Untersuchungsebenen. Sie basieren auf der Idee, dass die politisch Regierenden ihre Politik vor dem Volk begründen müssen und der Zustimmung des Volkes für ihre Politik bedürfen. Diese beiden Bedingungen könnten mit Hilfe der Medien realisiert werden (ebd.: 352).
Dementsprechend erfasste Scheufele auf der Begründungsebene Problemdefinitionen und Lösungsvorschläge aus der Politik. Medien könnten diese legitimieren, indem sie von Politikern gemachte Rollenzuschreibungen für Schuldige und Betroffene adaptierten oder den Politikern selbst Rollen zuschrieben. Im Fall der Untersuchung Scheufeles fände diese Legitimierung zum Beispiel statt, wenn die Medien die Definition der Bundesregierung übernähmen und Serben ebenfalls als „Kriegsverbrecher“ darstellten (ebd.: 355).
Auf der Zustimmungsebene legitimierten Medien politische Entscheidungen, wenn sie über Zustimmung dafür berichteten (ebd.: 355).
Codiereinheit der Untersuchung war der Akteur. Pro Akteursnennung konnten bis zu drei Rollen codiert werden, deren Urheber, Kontext und Richtung jeweils erfasst wurden. Eine Rollenzuschreibung lag immer dann vor, wenn der Beitrag einer Verhaltensweise, einem Attribut oder einer Bezeichnung aus der für die jeweilige Rolle im Codebuch erfassten Definition entsprach (ebd.: 357).
Rollen lassen sich nach ihrer Konnotation klassifizieren. Als positiv wurden alle Rollen eingeordnet, die sich auf Handlungen bezogen, die gemeinhin als positiv angesehen werden, das positive Pendant einer negativen Rolle sind oder Aspekte betreffen, die aus negativen Handlungen Dritter resultieren - zum Beispiel „Leidender“. Analog wurden Rollen als negativ eingeordnet. Bei nicht eindeutigen Zuordnungen galt die Rolle als indifferent (ebd.: 360).
Dies entspricht der Tendenz, im Sprachgebrauch polarisierende Stereotype, die sich im Extremfall als Feindbilder äußern können, durch die Verwendung semantischer Gegensatzpaare (tapfer-feige, gut-böse etc.) auszudrücken (INTERKOM 1993: 113).
Grundtenor der Forschungshypothesen war, dass die Medien dem mehrheitlichen politischen Tenor folgend, Serben als Aggressoren und Kosovaren als Opfer darstellten, was durch die Untersuchung tendenziell bestätigt wurde (SCHEUFELE 2005: 366).
Die Zuschreibung dieser Rollenbilder durch die Medien stellte demnach einen Mechanismus zur Legitimierung des Krieges dar. Scheufele wendet allerdings ein, dass dies auch über Themen, Bewertungen oder Argumente geschehen kann (ebd.: 367).
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- Quote paper
- M.A, Hannah Bloch (Author), 2008, Hochgerüstete High-Tech-Armee gegen ziellose Guerilla-Truppe?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122177
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