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Beginnen möchte ich die Arbeit mit einer Kurzanalyse formaler
Charakteristika, die dazu dienen soll, gemeinsam mit den inhaltlichen
Besonderheiten, die aufgewühlt gespannte und zugleich spannungsreiche
Grundstimmung der Ballade näher zu bestimmen und die Mittel zu
veranschaulichen, mit welchen eben diese Atmosphäre erzeugt wird. Der
zweite Teil der Arbeit soll den Motiven der Doppelgängerin sowie des
Spiegelbildes gewidmet sein. Um die zahlreichen Funktionen und Aspekte der
Doppelgängererscheinung vor Augen zu führen, erweist es sich als Einstieg sinnvoll, das Spiegelmotiv in die Betrachtungen einzubeziehen, zumal es im
Werk Droste-Hülshoffs wiederkehrende Verwendung findet und im Fall des
Fräuleins von Rodenschild die Gestaltung der Doppelgängerin bedingt. Zur
Erläuterung des Spiegelmotivs, auf das im Text explizit referiert wird, werde ich
zur Veranschaulichung ein weiteres Gedicht Droste-Hülshoffs, Das Spiegelbild,
in meine Überlegungen einbeziehen, um danach mit einem kurzen Diskurs auf
Jacques Lacans psychoanalytische Deutung des „Spiegelstadiums“ die
theoretischen Grundlagen zum Verständnis der Doppelgängerin als zweites
Ich des Fräuleins zu legen. Der dritte Teil ist noch einmal der dialektischen
Grundstruktur der Ballade gewidmet, die nicht mehr von formaler Seite,
sondern nun von inhaltlich sowie sprachlich-stilistischer Perspektive aus als
weitere Voraussetzung für die Doppelgängerin betrachtet werden soll. Im
vierten Teil folgt schließlich die Untersuchung der Doppelgängergestalt und ihr
Verhältnis zum lyrischen Ich, die Reaktionen und Veränderungen, die sie im
Fräulein auslöst sowie die finale Konsequenz, die aus der Begegnung
resultiert.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Formale Analyse der Ballade
3. Inhaltliche Analyse der Ballade
3.1. Das Spiegelmotiv als Basis für das Doppelgängermotiv
3.2. Jacques Lacans Theorie des „Spiegelstadiums“
3.3. Die Vorbereitung der Doppelgängererscheinung durch die dialektische Grundstruktur des Gedichts
3.4. Die Doppelgängerin und das lyrische Ich
4. Schlussbemerkungen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Was gleitet entlang da am Treppengeländ?
Hab’ ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?
Das sind meine Glieder, - welch ein Geblend’!
Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,
Das ist mein Strich über Stirn und Locken! –
Weh, bin ich toll, oder nahet mein End’?[1]
Der vorangestellte Auszug aus Annette von Droste-Hülshoffs Das Fräulein von Rodenschild veranschaulicht und verknüpft zwei der Leitmotive der Schauerballade, welche im Winter des Jahres 1840 entstand; das Spiegelmotiv sowie das Motiv des Doppelgängers. Nach Beendigung einer ersten Version der Ballade sollte es vier weitere Jahre dauern, bis die Autorin die endgültige Druckvorlage an ihren geliebten Freund und Ratgeber Levin Schücking sandte und das Gedicht nicht länger anonym, sondern mit Autornennung in ihrem Gedichte -Band von 1844 veröffentlichen ließ. Bereits der Vorabdruck im Malerischen und romantischen Westphalen 1841 stieß auf positive Resonanz, allerdings sehr zögerliche, was Droste-Hülshoff möglicherweise dazu veranlasste, weitere Streichungen, Korrekturen oder Umstellungen innerhalb des Gedichts vorzunehmen, bis es nicht nur Kritikern oder literarisch interessierten Freunden, sondern auch ihr selbst gelungen schien. Trotz der Zurücknahme drastischerer Formulierungen zu Gunsten impliziteren Vokabulars, sind es die eben benannten Motive, die die Schauerballade dominieren, weswegen sie im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollen.
Beginnen möchte ich die Arbeit mit einer Kurzanalyse formaler Charakteristika, die dazu dienen soll, gemeinsam mit den inhaltlichen Besonderheiten, die aufgewühlt gespannte und zugleich spannungsreiche Grundstimmung der Ballade näher zu bestimmen und die Mittel zu veranschaulichen, mit welchen eben diese Atmosphäre erzeugt wird. Der zweite Teil der Arbeit soll den Motiven der Doppelgängerin sowie des Spiegelbildes gewidmet sein. Um die zahlreichen Funktionen und Aspekte der Doppelgängererscheinung vor Augen zu führen, erweist es sich als Einstieg sinnvoll, das Spiegelmotiv in die Betrachtungen einzubeziehen, zumal es im Werk Droste-Hülshoffs wiederkehrende Verwendung findet und im Fall des Fräuleins von Rodenschild die Gestaltung der Doppelgängerin bedingt. Zur Erläuterung des Spiegelmotivs, auf das im Text explizit referiert wird, werde ich zur Veranschaulichung ein weiteres Gedicht Droste-Hülshoffs, Das Spiegelbild, in meine Überlegungen einbeziehen, um danach mit einem kurzen Diskurs auf Jacques Lacans psychoanalytische Deutung des „Spiegelstadiums“ die theoretischen Grundlagen zum Verständnis der Doppelgängerin als zweites Ich des Fräuleins zu legen. Der dritte Teil ist noch einmal der dialektischen Grundstruktur der Ballade gewidmet, die nicht mehr von formaler Seite, sondern nun von inhaltlich sowie sprachlich-stilistischer Perspektive aus als weitere Voraussetzung für die Doppelgängerin betrachtet werden soll. Im vierten Teil folgt schließlich die Untersuchung der Doppelgängergestalt und ihr Verhältnis zum lyrischen Ich, die Reaktionen und Veränderungen, die sie im Fräulein auslöst sowie die finale Konsequenz, die aus der Begegnung resultiert.
Selbstverständlich hat Das Fräulein von Rodenschild in seiner Rezeptionsgeschichte schon viele Interpretationen erfahren. Nicht zuletzt mit Beginn der feministischen Literaturtheorie wurde das lyrische Ich als grenzüberschreitend und emanzipiert verstanden. Andere Droste-Forscher hingegen wollten die Ballade als autobiographische Lebensbeichte der Autorin lesen, die unter dem Druck gesellschaftlicher und religiöser Forderungen ebenso wie ganz eigenen Ansprüchen zusammenbricht. Wieder andere Literaturwissenschaftler konzentrierten sich auf das Schauer- und Schauderhafte der Ballade und zeigen die Nähe Annette von Droste-Hülshoffs Lyrik zu Gothic Novels oder der Graveyard Poetry. Auch die Interpretation der Doppelgängerin als Symbol für leibliche Bedürfnisse, die vereinzelt sogar als homoerotisch gedeutet werden, ist in der Droste-Forschung durchaus gängig. Ganz besonders dieser letzte Standpunkt soll in die Überlegungen dieser Arbeit einfließen.
2. Formale Analyse der Ballade
Das Fräulein von Rodenschild konstituiert sich aus 15 Strophen mit jeweils sieben Verszeilen. Das Reimschema bleibt von der ersten bis zur letzten Strophe gleich; jede Strophe setzt mit einem Kreuzreim (abab-Form) ein und mündet dann in einen umarmenden Reim (bccb-Folge). Zwar wird diesem Schema konsequent gefolgt, doch erweisen sich einige Reime als unrein, was in Fällen wie Schlag – gemach (Vers 78/80), auch – Aug’ (Vers 85/87), fliegt – siecht (Vers 99/101) auf die dialektale Prägung der Autorin zurückgeführt werden kann. Weitere Beispiele für unreine Reime finden sich unter anderem bei Lücke – Blicke (Vers 33/34), verscheucht – streicht (Vers 58/60) und steigt – gebeugt (Vers 81/84). Doch nicht nur die Reimstruktur gibt vor einheitlicher zu sein, als sie tatsächlich ist, auch das Metrum der Ballade, ein vierhebiger Jambus, wird beispielsweise direkt zu Beginn in den ersten beiden Verszeilen aufgebrochen. Bereits diese Besonderheit, formal weder eindeutig regelmäßig noch unregelmäßig zu sein, verweist implizit auf den Inhalt der Ballade und stützt selbigen. Die formale Strenge, die an einigen Stellen durchkreuzt wird, ist somit als Metapher für das psychische Dilemma des lyrischen Ichs zu lesen, das ebenfalls im Konflikt zwischen unnachgiebiger gesellschaftlicher Normstarre einerseits und individueller Freiheit andererseits gefangen ist. Auch bei den Kadenzen des Gedichts ist der Versuch zu erkennen, eine Regelmäßigkeit im Wechsel von männlichen (m) und weiblichen (w) Endungen zu kreieren, wobei sich die Kadenzen dem Reimschema annähern. So wird das Muster mmmmwwm oft durch den Wegfall des auslautenden Vokals erreicht; Beispiele sind Hausgesind’ (Vers 24), Treppengeländ (Vers 37), Geblend’ (Vers 39), Seit’ (Vers 53) oder Aug’ (Vers 87).
Das Klima der inneren und äußeren Aufgewühltheit manifestiert sich überdies in den vorherrschenden Wortarten des Gedichts. Nomen bzw. Nominalisierungen von Verben sind am häufigsten zu finden, gefolgt von Verben überwiegend in Präsens und Aktiv. Adjektive sind in Relation dazu deutlich seltener vertreten. Was diese Gewichtung unterstreicht ist, dass es um den Ausdruck von Bewegung geht, sei es in Form von innerlicher Bewegt heit oder tatsächlicher lokaler Bewegung der Protagonistin, die ihrer Doppelgängerin und dabei im weiteren Sinne sich selbst folgt. Im Lexikon der Ballade lassen sich semantische Felder eruieren, die besonders den Sinneswahrnehmungen des Sehens (dunkel, Lampe, Flämmchen, dunstig, matter, tiefdunkel, Elfenlicht, um nur einige zu nennen) und des Hörens (horcht, summt, Gesang, Schrei, schwellende, hört, lautlos, Rauschen, lauschen etc.) zugeordnet werden können. Sowohl das visuelle als auch das auditive Ergründen erweisen sich als die beiden Erkenntniswege, die dem lyrischen Ich vorrangig zur Verfügung stehen und mit deren Hilfe es seine Doppelgängerin stellen möchte, die dem lyrischen Ich allerdings auch Streiche zu spielen scheinen.
Ein anderer formaler Aspekt, der die inhaltliche Unruhe widerspiegelt, ist die Syntax; der Wechsel der Erzählperspektive geht ebenfalls mit einem Wandel innerhalb der Satzstruktur einher. Exemplarisch hierfür sei die erste Strophe genannt. Wo das lyrische Ich zu Wort kommt, entweder im inneren Monolog der ersten beiden Verse (Sind denn so schwül die Nächt’ im April? / Oder ist so siedend jungfräulich Blut?), der den Leser mit Gedanken und Überlegungen des lyrischen Ichs vertraut macht, oder gesteigert in direkter Rede („O will es denn nimmer und nimmer tagen! / O will denn nicht endlich die Stunde schlagen! Ich wache, und selbst der Seiger ruht!“, Vers 5ff.), finden sich Fragen oder Ausrufe. Der beschreibende Kommentar des Erzählers hingegen schildert die Vorgänge, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Aussagesätzen: Sie schließt die Wimper, sie liegt so still, / Und horcht des Herzens pochender Flut (Vers 3f.). Sowohl das Schwanken zwischen Frage und Ausruf als auch die hypotaktischen, mitunter elliptischen Satzkonstruktionen unterstreichen die dialektische Grundbewegung der Ballade. Ferner ist neben der idiosynkratischen Zeichensetzung, wie zum Beispiel in der gesamten zweiten Strophe, in welcher Ausrufe, Aufzählungen, Parenthesen und Fragen der wörtlichen Rede des Fräuleins angepasst wurden, das formal-stilistische Mittel der Wiederholung durchgängig in der Ballade zu finden, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen. Als anaphorischer Versbeginn wie zum Beispiel in O will – O will (Vers 5f.), Nun – Nachtwandlern – Nun - Nun (Vers 50ff., 54f. und 61ff.), Das Fräulein – Das Fräulein (Vers 43f.), Das gleiche – Das gleiche (Vers 89f.), oder als Parallelismus unter anderem in so schwül – so siedend (Vers 1f.), dunkel die Nacht – schaurig der Wind (Vers 22), sie lauscht – sie neigt (Vers 79), es schwillt – es steigt (Vers 81). Überdies kommt es sehr häufig bei Adjektiven zu einer Mehrfachnennung in einer Zeile, um ihren Effekt zu potenzieren. Beispiele sind nimmer und nimme r (Vers 5), leise öffnend das Fenster, leise (Vers 19), matter, matter (Vers 63), leise tritt sie, leise (Vers 68) und Sacht, sacht (Vers 73). Die Wiederholungen versinnbildlichen abermals die Fülle der Gedanken, externen Eindrücke und Empfindungen, die auf das lyrische Ich einstürzen und die es zu verarbeiten sucht.
Zum Abschluss der formalen Kurzanalyse sei an dieser Stelle knapp auf die Gattungszugehörigkeit eingegangen, also eine Kategorie, die sich sowohl formal als auch inhaltlich definiert. Dass das Fräulein von Rodenschild zu den Balladen, genauer gesagt den Schauerballaden Droste-Hülshoffs gehört, ist unbestritten. Kategorisiert man eine Ballade in nuce als diejenige literarische Form, in der sich Lyrik, Epik und Dramatik vereinen, so lassen sich auch im Fräulein von Rodenschild Aspekte aller drei Gattungen finden. Als lyrische Elemente wären die erwähnte Strophengliederung, das Reimschema, die rhythmische Gestaltung und die bildhafte Sprache zu nennen, auf die ich im Hauptteil näher eingehen werde. Die Epik manifestiert sich unter anderem im eben geschilderten Wechsel der Erzählpositionen, der syntaktischen Struktur und inhaltlich nicht zuletzt durch das narrative Element, den Anspruch etwas zu erzählen, ganz gleich ob wahr oder fantastisch. Der dramatische Charakter tritt in besonderem Maße in der formal-inhaltlichen Struktur zu Tage, womit die Brücke zum nächsten Teil dieser Arbeit geschlagen werden soll. Auch im Fräulein von Rodenschild lassen sich die von Gustav Freytag bestimmten Handlungsteile eines Dramas wieder erkennen. Als Exposition dient die Situierung des Handlung, zeitlich sowie räumlich. Danach folgt die steigende Handlung mit dem erregenden Moment des ersten Erblickens der Doppelgängerin durch das lyrische Ich. Im weiteren Verlauf kommt es zur Verfolgung der Doppelgängerin, was seine Klimax in der Konfrontation beider Frauengestalten erfährt. Danach fällt die Handlung mit der Annäherung des lyrischen Ichs und seines alter ego und mündet im Dénouement, in welchem die Doppelgängerin entschwindet und das lyrische Ich stigmatisiert zurück bleibt.
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[1] Annette von Droste-Hülshoff: Das Fräulein von Rodenschild. Vers 37-42.
- Citation du texte
- Claudia Wannack (Auteur), 2007, „Weh, bin ich toll, oder nahet mein End’?“ - Zum Doppelgänger- und Spiegelbildmotiv in Annette von Droste-Hülshoffs Ballade "Das Fräulein von Rodenschild", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122170
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