Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im wesentlichen mit zwei Themenkomplexen: Wie entstehen die menschlichen Bedürfnisse - vor allem die, die über die bloße Existenzsicherung hinausgehen? Und welche Folgen hat die umfassende Befriedigung dieser Bedürfnisse für den Einzelnen und die Gesellschaft? Ich versuche also einen Bogen zu spannen von der Ursache der modernen Konsumgesellschaft hin zu ihren Konsequenzen. Aufgrund der Kürze dieser Arbeit bleibt die eigentliche Produktion der Konsumgüter, und damit die technisch-organisatorische Grundlage unberücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
3. Die Entstehung der Bedürfnisse
3.1 Bedürfnisse, welche durch den Besitz anderer verursacht werden
3.2 Die Werbung
4. Folgen des Überflusses für den Einzelnen und die Gesellschaft
4.1 Konsum und Individuum
4.2 Konsum und Mangel
4.3 Konsum und Umwelt
4.4 Das Ende des Mangels
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im Wesentlichen mit zwei Themenkomplexen: Wie entstehen die menschlichen Bedürfnisse - vor allem die, die über die bloße Existenzsicherung hinausgehen? Und welche Folgen hat die umfassende Befriedigung dieser Bedürfnisse für den Einzelnen und die Gesellschaft? Ich versuche also einen Bogen zu spannen von der Ursache der modernen Konsumgesellschaft hin zu ihren Konsequenzen. Aufgrund der Kürze dieser Arbeit bleibt die eigentliche Produktion der Konsumgüter, und damit die technisch-organisatorische Grundlage unberücksichtigt. Gleiches gilt für das Verhältnis von Konsum und technologischer Innovation - also die Frage: was wird konsumiert, und welche Rückwirkung hat das auf den Konsumenten? Man denke hier nur an das weite Feld der modernen Kommunikationsmittel.
Zum besseren Verständnis der folgenden Erörterung schien es mir angebracht, dieser einige begriffliche Klärungen voranzustellen. Im Anschluß werden in den Kapiteln drei und vier die oben genannten Fragen behandelt. Die Ergebnisse der Arbeit finden sich dann in einem Fazit noch einmal knapp zusammenfaßt. Den Abschluß bildet die Liste der verwendeten Literatur.
2. Begriffsklärung
Unter Konsum sei der Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen durch private Haushalte und den Staat verstanden. Da allerdings der staatliche Konsum in weit geringerem Maße durch Werbung beeinflußt wird (allenfalls im Sinne von Lobbyismus), möchte ich mich im Folgenden auf den privaten Konsum konzentrieren. Eine Konsumgesellschaft zeichnet sich durch den hohen Stellenwert aus, der dem Konsum im Bewußtsein der Mehrheit eingeräumt wird.
Wird mehr produziert und konsumiert, als es den wahren materiellen Bedürfnissen der Menschen entspricht, kann man von einer Gesellschaft im Überfluß sprechen. Hier knüpfen sich unmittelbar zwei Fragen an: Trifft das auf unsere heutige Gesellschaft zu? Und wie können künstliche von echten Bedürfnissen unterschieden werden?
Alle Maßnahmen, die direkt oder indirekt[1] den Absatz bestimmter Produkte sichern oder erweitern sollen, indem sie sich an bisherige oder potentielle Kunden wenden, werden unter dem Begriff Werbung zusammengefaßt. Dieser weite Rahmen schließt auch Öffentlichkeitsarbeit/PR und Maßnahmen zur Verkaufsförderung mit ein.
Bedürfnisse sind Mangelerscheinungen, die Wünsche auslösen; verbunden mit entsprechender Kaufkraft werden sie zu ökonomisch relevantem Bedarf. Zu ihrer genaueren Bestimmung sind vielfältige Unterscheidungen denkbar:
a) In die vier Kategorien Grundbedürfnisse (Ernährung, Kleidung, Wohnung), verfeinerte Bedürfnisse (verbesserte Grundversorgung, daher nicht nur Ersatz von verbrauchten Gütern, sondern ihre qualitative Aufwertung, etwa schmackhafteres Essen[2]), erweiterte Bedürfnisse (Freizeitgestaltung, Sozialprestige, Kultur) sowie künstliche oder falsche Bedürfnisse (also solche, die durch Werbung hervorgerufen werden).
b) Materielle, soziale und geistige Bedürfnisse; dabei ist allerdings zu beachten, daß beispielsweise das soziale Bedürfnis nach Prestige oder das geistige nach Orientierung auch mit Hilfe von materiellem Konsum befriedigt werden können. In solchen Fällen wird letzteres zum Sekundärbedürfnis.
c) Der britische Ökonom John Maynard Keynes[3] differenzierte zwischen absoluten Bedürfnissen - also solchen, die wir in jedem Fall haben und die begrenzt sind - und relativen Bedürfnissen, die maßgeblich von unserer jeweiligen Gesellschaft beeinflußt sind und nahezu unbegrenzt sein können. D.h. wir wollen mehr besitzen als unser Nachbar, oder, wie es John Kenneth Galbraith formuliert hat: „Der Verbrauch des einen wird zum Bedürfnis des anderen.“[4] Ähnlich relativ sah auch Karl Marx den Unterschied zwischen „notwendigen Konsumtionsmitteln“ und „Luxus-Konsumtionsmitteln“[5] ; was beide Kategorien beinhalten, ist immer abhängig von der gesellschaftlichen und historischen Situation: „Unsre Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; wir messen sie nicht an den Gegenständen ihrer Befriedigung. Weil sie gesellschaftlicher Natur sind, sind sie relativer Natur.“[6] Allerdings - und hier folge ich Marx ausdrücklich nicht - subsummiert er unter Luxus-Konsumtionsmitteln nur die, welche ausschließlich von der Klasse der Kapitalisten verbraucht werden.
Im Folgenden werde ich zwischen absoluten Grundbedürfnissen und relativen, historisch und gesellschaftlich bedingten, nahezu unbegrenzten Bedürfnissen unterscheiden.
3. Die Entstehung der Bedürfnisse
In den heutigen westlichen Gesellschaften sind die absoluten Grundbedürfnisse praktisch vollständig befriedigt. Diese allgemeine wirtschaftliche Sicherheit hat darüber hinaus auch dazu geführt, daß dem Verlangen nach einer gewissen Gleichheit innerhalb der Gesellschaft weniger Aufmerksamkeit gewidmet wird. Somit sind soziale Spannungen und Konflikte bedeutend entschärft worden.[7]
Da sich aber, wie ich oben festgestellt habe, die menschlichen Bedürfnisse nicht mit der physischen Reproduktion erschöpfen, ergeben sich nun neue Ziele und Motive des wirtschaftlichen Handelns. Diese gründen sich im wesentlichen auf zwei Ursachen: Den Wunsch, die Güter anderer selbst ebenfalls zu besitzen, und die Beeinflussung durch Werbung.
3.1 Bedürfnisse, welche durch den Besitz anderer verursacht werden
Ein Mensch kann nur das begehren, was er kennt. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob die Wünsche bewußt oder unbewußt wirken; entscheidend ist nur, daß wir Dinge wahrnehmen und sie daher als mögliche Wünsche im Gedächtnis abspeichern. Der technische Fortschritt und der weltweite Güteraustausch haben eine Vielzahl neuer Produkte überhaupt erst ermöglicht. Die moderne Industrie versetzt uns in die Lage, jene Güter auch so billig und in so großer Zahl herzustellen, daß sie für nahezu Jedermann erschwinglich sind. Und die Medien sorgen dafür, daß wir diese Produkte auch wahrnehmen. Persönliche Kontakte üben eine ähnliche Funktion aus. Gerade sie ermöglichen unmittelbare Vergleiche: Wer hat das neuere Spielzeug? Wer das teurere Auto? Wer das schönere Kleid?
In jedem Fall aber gilt: Ich will das, was andere besitzen, um so zu sein wie sie. Und ich will das, was andere nicht besitzen, um besser zu sein. Welche Auswirkungen sich daraus für den Einzelnen und die Gesellschaft ergeben, werde ich in Kapitel vier näher untersuchen.
Der Umfang der möglichen und tatsächlichen Bedürfnisse hat also seit Beginn der Industrialisierung erheblich zugenommen. Ob allerdings auch ihre subjektive Intensität zugenommen hat, scheint fraglich. Denn wenn sie auch nur gleich bleiben würde, warum besteht dann die Notwendigkeit, allein in Deutschland jedes Jahr ca. 30 Mrd. Euro in die Erhaltung und Schaffung von Bedürfnissen zu investieren?[8] Warum brauchen wir Werbung?
3.2 Die Werbung
Um die Funktion der Werbung in unserer Gesellschaft zu verstehen, erscheint es mir hilfreich, zunächst ihre Methoden festzuhalten. Diese sind etwa (selektive) Informationen über Produkteigenschaften und Neuerungen (denn auch hier gilt: was ich nicht kenne, kann ich nicht wollen). Daneben hat sie die Aufgabe, durch Schaffung von Prägnanz und permanent wiederholtes Auftreten ein Produkt von ähnlichen abzuheben; gelingt das, ist eine „Marke“ etabliert. Das geschieht vor allem mit Hilfe von psychologisch durchdachten Mitteln. „Werbung bietet [...] den Kunden neben den realen Produkteigenschaften und den damit verbundenen individuellen Problemlösungen auch emotionalen Mehrwert“ - so definiert die Werbebranche selbst das erhoffte Ergebnis ihrer Bemühungen.[9]
Wenn aber ein so großer Aufwand betrieben wird, fällt es schwer zu glauben, daß die Werbung nur a priori bestehende Bedürfnisse konkretisiere: „Die Werbung schafft nicht neue Bedürfnisstrukturen, sie gestaltet auch nicht bestehende um, sie formt angelegte nur aus.“[10] Denn was beworben wird, sind selten konkrete Produkte mit klar erkennbarem Nutzwert. Vielmehr handelt es sich um ein Image, ein käufliches Charakterattribut oder eine Atmosphäre, ein Lebensgefühl. Der „emotionale Mehrwert“ ist damit nicht an ein bestimmtes Produkt gebunden - genau genommen ist er überhaupt nicht an (käufliche) Produkte gebunden.[11]
Warum nun sollen Dinge konsumiert werden, wenn deren Nutzen auch anders realisiert werden kann? Oder anders formuliert: Warum materielle Sekundärbedürfnisse anstatt sozialer oder geistiger Primärbedürfnisse befriedigen? Man muß sich klar machen, daß für Güter des wirklich existentiellen Bedarfs kaum geworben wird: „Einem Menschen, der nichts zu essen hat, braucht man nicht erst zu sagen, daß er ein Bedürfnis nach Nahrung hat. Solange er Hunger verspürt, ist er immun gegen die Einflüsse sämtlicher Reklametrommeln der Welt. Werbung wirkt nur auf Menschen, die der physischen Not so weit entrückt sind, daß sie nicht mehr wissen, was sie sich noch wünschen sollen. Nur in diesem Stadium lassen sie sich etwas aufschwatzen.“[12] Es gibt also einen Punkt in der Entwicklung der Produktivkräfte, ab dem die hergestellten Produkte nicht mehr automatisch eine bestimmte Nachfrage befriedigen. Diese muß vielmehr künstlich geschaffen werden: eben durch Werbung. Wenn das zutrifft, liegt der Sinn des Produzierens aber nicht mehr in der Befriedigung von Bedürfnissen, sondern in der Sicherung der Produktion selbst; die Relation von Mittel und Zweck hat sich also vertauscht. Die Werbung, d.h. die Bedarfsschöpfung, spielt in diesem System eine ganz entscheidende Rolle: „Man produziert also Werbemittel, um das Bedürfnis nach Produkten, die unser bedürfen, zu produzieren; damit wir, diese Produkte liquidierend, den Weitergang der Produktion dieser Produkte gewährleisten.“[13] Während eine natürliche Produktionskette vom Bedarf ausgeht und über die Produktion zum Konsum gelangt, ist im künstlichen Produktionskreislauf die Produktion der Impuls, der über Werbung zu Konsum und damit gesteigerter Produktion führt. Selbstverständlich wird der Produktionsakt auch in der natürlichen Produktionskette wiederholt; als Impuls dient dann aber der sich selbst reproduzierende Bedarf; beispielsweise verspürt man jeden Tag Hunger.
[...]
[1] Indirekte Maßnahmen sind solche, die das allgemeine Image eines Unternehmens bzw. einer Marke verbessern.
[2] Darauf begründet sich u.a. die sogenannte „Wegwerfgesellschaft“, in der funktionstüchtige Güter durch qualitativ bessere ersetzt und damit überflüssig werden.
[3] Keynes, Lord John Maynard: Essays in Persuasion. New York 1963, S. 49f.
[4] Galbraith, John Kenneth: Gesellschaft im Überfluß. München, Zürich 1959, S. 170.
[5] Marx, Karl: Das Kapital II. MEW 24, S. 402.
[6] Marx, Karl: Lohnarbeit und Kapital. MEW 6, S. 412.
[7] Das ändert auch die derzeitige Tendenz zum Abbau des Sozialstaates (noch) nicht grundlegend.
[8] Vgl. http://www.interverband.com/u-img/184/1_Aktuelle_Werbekonjunktur_2005.htm 2.7.2005 Weltweit betragen die Ausgaben der Wirtschaft für Werbung knapp 500 Milliarden Dollar pro Jahr. Damit haben sie sich seit 1960 nahezu verzehnfacht. Vgl. http://www.welthungerhilfe.de/WHHDE/aktuelles/infografiken/index.html 21.7.2005
[9] http://www.interverband.com/u-img/184/7_Werbender_Markt.htm 2.7.2005
[10] Frank, Willi: Volkswirtschaft. Lehre und Wirklichkeit. Rinteln 1973, S. 44.
[11] Ein sicher nicht ganz unerheblicher Teil des heutigen Konsums ist auf das Phänomen des Einkaufserlebnisses zurückzuführen: entscheidend ist dabei nicht mehr das erworbene Produkt, sondern der Akt des Kaufens selbst als Unterhaltung und Freizeitgestaltung.
[12] Galbraith, S. 173f.
[13] Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen, Band II. Zürich 1984, S. 16.
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- Axel Weipert (Author), 2009, Ursachen und Folgen der modernen Konsumgesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122088
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