Ziel vorliegender Arbeit ist es, in drei Erzählungen der Dietrichepik, 'Rosengarten', 'Laurin' und 'Eckenlied', Formen der Gewaltregulierung zu beschreiben und zu untersuchen. Der Versuch, anhand der Texte eine veritable Ordnung der Gewalt zu beschreiben, basiert dabei auf einer Modellvorstellung. So lässt sich Gewalt im ritterlichen Kampf sowohl als Dominations- als auch als Güterverhandlung verstehen. Die Kräfte der Gegner richten sich im Sinne gegenseitiger Überbietungsansprüche einerseits auf sich selbst: In geradezu spiegelbildlicher Anordnung macht der eine, was der andere auch tut. Er schlägt zu und fängt dann den kommenden Schlag ab. Es lässt sich hier also von einer Oszillation der Schläge, aber auch von einer gewissen Reziprozität zwischen den Gewaltparteien sprechen. Diese Reziprozität ist jedoch nicht von unbegrenzter Dauer, denn grundsätzlich ist das Handeln der Kontrahenten auf ein systematisches ′Mehr′ im "Geben und Nehmen" gerichtet: Wer mehr Schläge ohne Schaden einstecken kann und gleichzeitig auch mehr Schläge austeilt, hat gute Chancen, seine Ansprüche letztlich durchzusetzen. Der Übergang von Reziprozität in Areziprozität steht also zu erwarten: Einer führt den letzten Schlag, der nicht beantwortet werden kann.
Dennoch geht es im Kampf, so wie er sich etwa im ritterlichen Turnier darstellt, auch immer um ein „begehrtes Drittes“, das sich wiederum nur durch die Dominanz über den Gegner erreichen lässt. Dieses Objekt der Begierde ist grundsätzlich ein knappes und unteilbares Gut, sei es eine schöne vrouwe, ein goldener Ring oder eine wunderbare Waffe. Im Handlungsmodus der Gewalt verhandeln die Kontrahenten ihre gleichzeitigen Verfügungsansprüche auf dieses Gut. Gewalt stellt sich somit doppelt dar: Sie ist sowohl eine Dominations- als auch eine Güterverhandlung.
Der Autor versucht, diese agonalen Beziehungen in den genannten Texten weiter zu untersuchen und näher zu beschreiben. Gleichzeitig macht er Angebote für eine Klassifikation agonaler Basiskonfigurationen. Anhand ausgesuchter Konflikt-Szenen dreier Erzählungen aus dem Korpus der Dietrichepik werden zudem Formen der Gewaltregulierung aufgezeigt und unter folgenden Gesichtspunkten analysiert: Unter welchen Voraussetzungen, in welchem institutionellen Kontext und vor allem durch wen gelingt im Einzelnen Gewaltregulierung? Die abschließenden Untersuchungen problematisieren die Frage nach einer eventuellen "Verdichtung" regulierender Mechanismen im narrativen Raum.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Inhalt und narrativer Aufbau der Erzählungen
1.1 'Rosengarten A'
1.2 'Laurin D'
1.3 'Eckenlied E2'
2 Zu einer Ordnung der Gewalt – Theoretische Vorüberlegungen
2.1 Ein Vorschlag für drei Basiskonfigurationen der Gewalt
2.2 Wenn zwei sich streiten – Der intervenierende Tertius
2.3 Versuch einer Schematisierung
3 Textuntersuchungen
3.1 'Rosengarten A'
3.1.1 Regulierung durch Beschränkung: Die Kämpfe vor Worms
3.1.2 Regulierung durch "Zufall": Sabîns Botenfahrt nach Bern
3.1.3 Regulierung durch Scheingewalt: Ilsâns Ausritt aus dem Kloster
3.2 'Laurin D'
3.2.1 Das Scheitern der Kompensation: Gewalt in Laurîns Rosengarten
3.2.2 Gewalt im dunklen Raum: Die Schlacht im Degenberc
3.3 'Eckenlied E2'
3.3.1 Egge in Gripiar: Der Held zwischen Ausfahrt und Aussendung
3.3.2 Worum kämpfen – warum kämpfen? Egge gegen Dietrich
3.3.3 Gewalt um die Frau. Der Kampf zwischen Dietrich und Vasolt
4 Zusammenfassung
4.1 Inkohärenzen und Paradoxien: Die Rolle der Dame in der Gewalt
4.1.1 Kriemhilt im 'Rosengarten A'
4.1.2 Sîmhilte im 'Laurin D'
4.1.3 Seburk und die Waldfrau im 'Eckenlied E2'
4.2 Rache versus Strafgewalt – Die Rationalisierung der Gewalt
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Dô sprach meister Hiltebrant:
'nu dar, ir degene beide samt!
ir loufent Dietleiben an.
wir süln si niht mê strîten lân.
si sint mit zorne überladen,
si tuont einander grôzen schaden.'[1]
Heftiger Streit hebt sich im Tiroler Rosengarten. Der vürste Dietrich von Bern kämpft gegen seinen Vasallen Dietleip, der den Zwergenkönig Laurîn versteckt hält und gewaltsam gegen den Zugriff des Berners verteidigt. Dieser droht, er töte Dietleip und den Zwergenkönig, so er den Kampf für sich entscheiden könne.[2] Die Auseinandersetzung endet jedoch nicht mit dem Sieg eines der Kontrahenten, sondern in abrupter Deeskalation. Der Berner Ritter Hiltebrant weist seine Gefährten Wolfhart und Witege an, in den Kampf einzugreifen und die Streitenden zu trennen: wir süln si niht mê strîten lân.[3] Die Kämpfer seien so sehr erzürnt, dass sie einander großen Schaden zufügen könnten.[4] Indem sie Dietleip überwältigen, ohne ihn jedoch zu verletzen, beenden Wolfhart und Witege nun den Kampf: Die beiden Kontrahenten sind getrennt und können sogar durch Hiltebrant dazu bewegt werden, Frieden zu schließen.
A priori widerspricht diese Konfliktszenerie in mehrerlei Hinsicht einem landläufigen Erwartungsbild von gewaltsamer ritterlicher Auseinandersetzung. So streiten hier nicht die Repräsentanten befeindeter Gruppen oder Rivalen erbitterter Vendetta, sondern Vertreter eines und desselben Herrschaftsverbandes gegeneinander: Der Lehnsherr Dietrich kämpft gegen den eigenen Vasallen Dietleip. Muss nicht bereits die gewaltsame Auflehnung und Rivalität des ständisch untergeordneten dienestman unweigerlich und nachhaltig die Autorität des Herrn unterminieren? Muss nicht der Landesherr in der Darstellung seiner konkurrenzlosen Gewaltkompetenz verletzte Ehre und Autorität wiederherstellen?
Doch der Konflikt kommt augenfällig nicht durch die ostentative Domination eines Gegners durch den anderen, sondern infolge eines gewaltsamen Fremdeingriffs zum Erliegen: Wolfhart und Witege überwältigen einen Gegner, so dass die Fortsetzung des wechselseitigen Schlagabtausches unmöglich wird. Da Gewalt hier als Interaktion und insofern als bilaterales Handeln stattfindet, muss sie durch das Ausscheiden einer beteiligten Partei zum Erliegen kommen.
Die Auseinandersetzung zwischen Dietrich und Dietleip stellt sich einerseits als Kampf auf Leben und Tod dar, denn Dietrich droht, seinen Gegner im Fall eines Sieges umzubringen. In dieser Form der Gewalt geht es also um die Domination des Kontrahenten, die letztlich sogar in seinem Tod zur Darstellung kommen kann.
Der Konflikt kann andererseits auch als eine Begehrenssituation beschrieben werden: Beide Kontrahenten machen ja deutlich Ansprüche auf den Zwergenkönig geltend, begehren hier also ein knappes Gut oder einen Wert derart, dass sie sogar bereit sind, dieses Verlangen im Vollzug von Gewalt zu stillen. Insofern stellt der Schlagabtausch auch eine Verhandlung dar: Im Handlungsmodus der Gewalt verhandeln die Kontrahenten ihre gleichzeitigen Verfügungsansprüche auf ein knappes und entsprechend begehrtes Gut, den Zwergenkönig. Diese Verhandlung konstituiert sich förmlich über ein wechselseitiges "Geben und Nehmen", Austeilen und Einstecken von Schlägen. Insofern zeigt Gewalt hier "mimetische Qualität", denn die Gegner handeln am Anfang einander gleich.[5] In geradezu spiegelbildlicher Anordnung macht der eine, was der andere auch tut: Er schlägt zu und fängt dann den kommenden Schlag ab. Es lässt sich hier also von einer Oszillation der Schläge, aber auch von einer gewissen Reziprozität zwischen den Gewaltparteien sprechen. Diese Reziprozität ist jedoch nicht von unbegrenzter Dauer, denn grundsätzlich ist das Handeln der Kontrahenten auf ein systematisches 'Mehr' im "Geben und Nehmen" gerichtet: Wer mehr Schläge ohne Schaden einstecken kann und gleichzeitig auch mehr Schläge austeilt, hat gute Chancen, seine Ansprüche letztlich durchzusetzen. Der Übergang von Reziprozität in Areziprozität steht also zu erwarten: Einer führt den letzten Schlag, der nicht beantwortet werden kann.
Doch dieser Übergang ist in vorliegender Kampfszene nicht zu beobachten, denn der Schlagabtausch wird durch eine dritte Partei, die an der Verfügungsverhandlung nicht teilnimmt, beendet. Hiltebrant und seine Gefährten stoppen Gewalt, bevor sie grôzen schaden anrichten kann. Es gibt hier also ein manifestes 'Zuviel' an Gewalt und dabei gleichzeitig einen Tertius, der durch seinen Eingriff die gewaltsame Interaktion, bevor sie in ein solches "Zuviel" zurückfallen kann, zu drosseln vermag. Seine Intervention stellt sich somit dar als Funktion gradueller Regulierung der Gewalt; Hiltebrant könnte somit als Garant von Gewaltregulierung oder als "Gewaltregulierungsinstanz" bezeichnet werden. Im Ablauf des Konfliktes kommt ihm augenfällig eine Schlüsselrolle zu.
Gewalt stellt sich hier zudem doppelt dar: Sie ist sowohl eine Dominations- als auch eine Güterverhandlung. Die Kräfte der Gegner richten sich im Sinne gegenseitiger Überbietungsansprüche einerseits auf sich selbst, im Sinne der Güterverhandlung jedoch auch auf ein 'begehrtes Objekt'. Gewalthandeln erscheint somit als grundsätzlich dreistelliges Verhältnis zwischen zwei Kontrahenten und einem verhandelten 'Objekt der Begierde'.
Ziel der nachfolgenden Betrachtungen ist es einerseits, diese Beziehung weiter zu untersuchen und näher zu beschreiben. Möglicherweise lässt sich hier eine Klassifikation von agonalen Basiskonfigurationen vornehmen, die vor allem die Stellung des begehrten und deshalb umkämpften 'Objektes' im agonalen Gefüge berücksichtigt. In der hier vorliegenden Arbeit sollen zudem anhand ausgesuchter Konflikt-Szenen dreier Erzählungen aus dem Korpus der Dietrichepik – 'Rosengarten A', 'Laurin D' und 'Eckenlied E2' – Formen der Gewaltregulierung aufgezeigt und unter bestimmten Gesichtspunkten analysiert werden: Unter welchen Voraussetzungen, in welchem institutionellen Kontext und vor allem durch wen, welche Vertreter des personalen Inventars, gelingt im Einzelnen Gewaltregulierung? Gibt es – im Hinblick auf die Rollenfunktion des regulierenden Tertius' – möglicherweise ein begrenztes und bestimmbares set an Figuren, die als Träger eben jener Funktion auftreten? Die abschließenden Untersuchungen problematisieren die Frage nach einer eventuellen "Verdichtung" regulierender Mechanismen im narrativen Raum.
1 Inhalt und narrativer Aufbau der Erzählungen
1.1 'Rosengarten A'
Sîvrit wirbt um die schöne Kriemhilt, die Tochter des Wormser Königs Gibeche. Kriemhilt aber, die von den Wundertaten des Helden Dietrichs von Bern gehört hat, sinnt auf einen Vergleich des Werbers mit dem Berner.[6] Die Königstochter bestimmt zwölf Wormser Recken als Hüter ihres Rosengartens, darunter auch ihre Brüder und ihren Vater, und verkündet: Welcher Held auch immer versuche, zusammen mit seinen Rittern in den Garten einzudringen, müsse am Ende unterliegen.[7] Durch Herzog Sabîn lässt sie einen Herausforderungsbrief an Dietrich überbringen. Jeder Recke, der einen Hüter überwinde, erhalte zum Lohn einen Rosenkranz und einen Kuss von der Königstochter, heißt es in dem Brief.[8] Nach Zögern entschließt sich Dietrich zur Heerfahrt nach Worms. Hiltebrant bestimmt jene elf Berner Helden, die neben Dietrich im Rosengarten antreten sollen. Mit sechzigtausend Rittern zieht Dietrich nach Worms, wo der Landesherr Gibeche die Berner ehrenvoll empfängt. Beide Parteien vereinbaren einen Frieden von acht Tagen, in denen die Berner großzügig bewirtet werden. Nach Ablauf der Frist beginnen die Auseinandersetzungen: Sukzessive tritt je ein Kämpferpaar in den Rosengarten, um den Sieger im Agon zu bestimmen.
Die Berner Ritter Heime und Witege zögern, im Garten anzutreten und können erst durch Hiltebrants Vermittlung zum Kampf bewegt werden. Auch Dietrich verweigert den Kampf gegen seinen Gegner Sîvrit. Als Hiltebrant dem Berner einen schweren Schlag ins Gesicht versetzt, wandelt sich seine Zagheit in unbändigen Zorn. Nun will er sich für den erlittenen Schlag an seinem Vasallen rächen. Erst nach dem spottenden Kommentar des Berner Ritters Wolfhart lässt er von Hiltebrant ab und greift jetzt Sîvrit, der schon im Garten wartet, an. Nach längerem Kampf ergreift Sîvrit im Rosengarten schließlich die Flucht vor dem rasenden Berner. In seiner ungestillten Wut will Dietrich jedoch nun alle töten, die sich im Garten befinden. Wiederum greift Hiltebrant ein und "kühlt" den Zorn seines Herrn. Als Sieger fordert Dietrich von Gibeche den Vasalleneid. Kriemhilt möge sich zudem für ihre hochfahrende Feindseligkeit selber strafen: nu trîbet iuwern widertrutz selbe wider în.[9] Mit einem Faustschlag ins eigene Gesicht straft sich die Königstochter.
Kennzeichnend für das im 'Rosengarten A' inszenierte Konfliktgefüge ist eine, so lässt sich resümieren, komplexe Überlagerungsstruktur: Nach dem Willen Kriemhilts soll sich Sîvrit mit Dietrich, dessen heroische Fama das Heldentum des Niederländers zu übertreffen droht, im Kampf messen.[10] Unter zwei vermeintlich Besten muss also der tatsächlich Beste ermittelt werden. Nach der Basisregel des Brautwerbungsschemas, der zufolge "[...] in einem gegebenen Weltausschnitt stets nur der beste Mann und die schönste Frau zusammengehören",[11] müsste dem Sieger dieses Vergleichs – jenem also, der sich nun als tatsächlich Bester zeige – auch Kriemhilt, diu keiserlîche meit, zustehen. Eine solche Konstellation räumt also auch dem Berner potenziell die Möglichkeit eines Werbungserfolges ein. Der Konflikt stellt sich vor diesem Hintergrund als Werbervergleich dar. Für den angestrebten exklusiven Vergleich zwischen Dietrich und Sîvrit formuliert Kriemhilt jedoch eine allgemeine Herausforderung:
Si sprach: 'der dâ durchvüere alliu wîtiu lant,
man vünde keinen künec, der dâ wære sô hôchgenant,
und kæme er in die rôsen selbe zwelfter sîner man,
ich spriche ez sicherlîche, im müeste misselingen dran.'[12]
Ein Hiatus zwischen Zweck und Mittel lässt sich hier in doppelter Hinsicht beschreiben: Um eines exklusiven agonalen Vergleichs zwischen den Helden willen, organisiert die Königstochter einerseits ein Kräftemessen zwischen zwölf Repräsentanten des Berner und Wormser Herrschaftsverbandes, worin der Werbervergleich freilich eingebettet ist. Im Sinne dieser Herausforderung stehen sich im Rosengarten also nicht nur zwei Helden, sondern auch zwei Herrschaftsverbände, repräsentiert durch zwölf ihrer herausragendsten Ritter, gegenüber.
Die Herausforderung ist andererseits nicht ausschließlich an den Berner Herrschaftsverband, sondern allgemein adressiert: man vünde keinen künec, der dâ wære sô hôchgenant.[13] Jeder König ist theoretisch herausgefordert, den Kampf zu wagen. Eine lange Folge von Konfrontationen mit fremden Herrschaftsverbänden wäre somit denkbar. Durch die Ausschließlichkeit des informellen Transfers – nur ein König, Dietrich, wird durch den Boten Sabîn informiert – resultiert die allgemeine Herausforderung schließlich allein in eine einzige bilaterale Konfrontationssituation. Unter einer Vielzahl von möglichen Handlungsalternativen entfaltet der Text eine einzige. Es zeigt sich hier eine Erzählstrategie, die Peter Strohschneider bereits am Text des 'Nibelungenliedes' beschreibt und als "Poetologie der abgewiesenen Alternative" bezeichnet: "In erstaunlicher Dichte hält die Erzählung immer wieder alternative Optionen präsent, die sie gerade nicht aktualisiert. Erzählt wird nicht nur, was erzählt wird, sondern – wie näherhin zu zeigen wäre – gewissermaßen auch das, was nicht erzählt wird. Das aber hieße, daß dieser narrative Text nicht nur – wie jeder – eine Selektionsstruktur sei, daß er sich vielmehr als solche zeige."[14]
Kriemhilt überschreitet, da König Gibeche die ihm zustehenden Eingriffs- und Beschränkungsrechte nicht wahrnimmt, ihren legitimen Handlungs- und Wirkungsbereich. Dietrich macht Gibeche auf die hôchvart der Königstochter aufmerksam: Daz si gein edeln recken ist sô gar betrogen! warumbe lât ir den willen ir? warzuo hât ir si gezogen?[15] Kriemhilt aggregiert, indem sie die Auswahl und Prüfung des Werbers als Aufgaben für sich beansprucht, Funktionen des Brautvaters.[16] Den komplementären Funktionsverlust Gibeches kritisiert Dietrich schließlich als schändlich: des smæhet ir alle künege.[17] Die Königstochter handelt, in dem sie den Konflikt schürt, entgegen ihrer eigentlichen Rollenfunktion als höfische Dame, die sie zum eigentlichen Garanten friedlicher Verkehrsformen am Hof macht: "Deswegen kann sie als die eigentliche Trägerin höfischer zuht angesehen werden. Und deswegen gilt sie als besonders geeignet, den Mann zu höfischer Vollkommenheit zu erziehen. [...] Die vollwertige, kompetente Herrschaftsausübung bedarf deshalb notwendigerweise der angemessenen, vom ganzen Hof anerkannten Herrin. Sie erfüllt, indem sie zur Affektdämpfung anregt, sozusagen eine dem männlichen Herrscher komplementäre Funktion."[18] Nach seinem Sieg bestraft Dietrich die Königstochter entsprechend: Sie muss sich, um die anmaßende Provokation zu sühnen, selber schlagen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Heerfahrt der Berner also auch als "Strafexpedition" zur Kompensation eines durch Kriemhilts illegitimen Eingriff gestörten Ordnungsgefüges.[19]
Drei unterschiedliche Konfliktsituationen überlagern sich damit im 'Rosengarten A'. In dem von Kriemhilt initiierten Werbervergleich stehen sich Dietrich und Sîvrit gegenüber. Die allgemeine Herausforderung bedingt hingegen die Konfrontation der Herrschaftsverbände, Bern und Worms, die durch ihre zwölf 'Besten' im Rosengarten repräsentiert werden. Im Rahmen einer Berner "Strafexpedition" tritt schließlich Dietrich der hochfahrenden und anmaßenden Kriemhilt gegenüber. Der Werbervergleich mündet in den Sieg Dietrichs, die Konfrontation der Herrschaftsverbände in die Unterwerfung der Wormser, der Berner Rache-Auszug letztlich in die Selbstbestrafung Kriemhilts.[20]
1.2 'Laurin D'
Der Zwergenkönig Laurîn, Herrscher über alliu wildiu lant,[21] raubt Sîmilte, die Schwester Dietleips von Stîrmarke. Dietleip, der zwar das Verschwinden seiner Schwester bemerkt, die Gründe dafür jedoch nicht kennt, klagt Hiltebrant sein Leid. Die Ritter machen sich auf den Weg nach Bern. Auf halber Strecke treffen sie einen Wilden, der ihnen von der Unbesiegbarkeit des Zwergenkönigs Laurîns und von dessen Rosengarten kündet. Wer immer versuche, in den Garten einzudringen, müsse dem Zwergen zur Strafe einen Fuß und eine Hand als Pfand lassen. Nach ihrer Ankunft in Bern ruhen die Ritter ein halbes Jahr am Hof Dietrichs. Eines Tages preist Witege den unvergleichlichen Heldenmut seines Herrn. Doch Hiltebrant schränkt das Lob ein: Dietrich habe noch nie gegen den mächtigen Laurîn gekämpft, der selbst noch unbesiegt ist. Gelänge es dem Berner jedoch, Laurîn zu schlagen, müsste sein Ruhm unübertroffen sein. Dietrich, der die Rede vernimmt, bricht mit seinem Vasallen Witege unverzüglich zum Rosengarten auf. Witege zertritt nach der Ankunft alle Rosen. Der Zwergenkönig erscheint daraufhin und fordert von den Eindringlingen Fuß und Hand. Dietrich bietet dem Zwerg, um den angedrohten Gewaltakt zu vermeiden, große Reichtümer.
Witege missachtet jedoch die Bemühungen Dietrichs und greift Laurîn an, unterliegt allerdings im Kampf. Dietrich tritt nun selber gegen den Zwergenkönig an, der sich erfolgreich zur Wehr setzt. Hiltebrant, der inzwischen mit den Gefährten Dietleip, Witege und Wolfhart den Rosengarten erreicht hat, rät Dietrich, den magischen Gürtel des Zwergenkönigs zu zerschlagen. Auf diese Weise kann der Berner Laurîn überwältigen. Zornig will er ihn sogar erschlagen, da berichtet der Zwerg, er habe Sîmhilte in seiner Macht: Dietleip als ihr Bruder möge deshalb den Berner davon abhalten, ihn, Laurîn, zu erschlagen. Der Stirære kann Dietrich jedoch nicht umstimmen und so kämpfen beide schließlich um den Zwerg. Erst Hiltebrants Intervention beendet den Konflikt und versöhnt Dietrich, Dietleip und Laurîn.[22]
Die Berner folgen nun der Einladung Laurîns in den Degenberc, wo sie während des Festes jedoch vom verräterischen Gastgeber betäubt werden. Dieser lässt sie in den Kerker werfen. Mit Sîmhiltes Hilfe können sie sich jedoch befreien, besiegen in der Folge die Zwerge und Riesen. Mit dem gefangenen Laurîn und der befreiten Sîmhilte kehren die Berner heim.
Nicht eine Überlagerung je unterschiedlicher Konfliktkonstellationen und ihre erzähltechnische Verknüpfung und Lösung in einer agonalen Szenerie, wie im Fall des 'Rosengarten A', sondern die handlungslogische "Abkopplung" der Konflikte vom handlungsinitiierenden Moment lässt sich in der Erzählung des 'Laurin D' beschreiben. Die Entführung Sîmhiltes durch Laurîn, der anschließende Aufbruch Dietleips und Hiltebrants nach Bern münden nicht – wie in der Logik der narrativen Zusammenhänge zu erwarten wäre – in eine helfe -Handlung Dietrichs zur Suche nach der Dame, sondern vorerst in Stagnation: Die Recken verweilen in Bern. Das Motiv des heldischen verligen, jener manifesten Verhaltensdefizienz des Ritters in der Joie de la curt, die in Hartmanns 'Erec' zur Krise des Artushelden führt, ist hier deutlich präsent.[23] Wie im 'Erec' folgt auch hier auf die Passivität die Krise des Helden: Dietrichs Anspruch auf den Status heroischer Idealität steht durch Hiltebrants Kritik in Frage.[24] Da Laurîns Fama diejenige Dietrichs zu überstrahlen droht, muss der Berner die Konfrontation suchen, will er seinen heldischen Status wahren.[25] Dietrichs Ausfahrt zum Rosengarten, wo er schließlich auf Laurîn treffen soll, steht also nicht im Zeichen der Befreiung Sîmhiltes, sondern der obligaten Verteidigung seiner heldischen Fama. Die Restitution der durch Sîmhiltes Absenz gestörten Ordnung ist weder initiierendes Moment noch Konsequenz dieser sich anbahnenden Konfrontation. Die narratio organisiert den Weg in den erwartbaren Konflikt über eine andere Kausalitätskette als jene, die durch die Handlungsinitiation, den Raub der Dame, evoziert wird.[26]
Dietrich und Witege wissen bei ihrer Ankunft im Rosengarten nicht einmal um die Absenz Sîmhiltes. Vor dem Sieg des Berners bildet der Rosengarten somit einen Raum abgestuften Wissens: Laurîn weiß naturgemäß um die Absenz Sîmhiltes in der Berner Welt, kennt auch die causa jener Absenz. Hiltebrant und Dietleip wissen allein um die Absenz der Dame, nicht aber die Ursache, während Dietrich gemeinhin die unwissende Instanz verkörpert. Erst im Sieg über Laurîn stehen factum und causa für alle Handelnden gleichermaßen im Raum der Evidenz, denn der Zwergenkönig unterrichtet die Anwesenden über den Verbleib Sîmhiltes, um sich zu retten.[27]
Nicht die Evidenz der Vorgänge führt in die Konfrontation der Welten, sondern die Konfrontation der Welten führt zur Evidenz der Vorgänge. Der Rosengarten bildet in zweierlei Hinsicht eine zone de transition: Die Berner treten hier aus dem Dunkel der Ungewissheit in das Licht des Wissens. Die Helden überschreiten im Durchgang durch die goldenen Pforten zudem die Grenze der höfischen Welt und treten in die magische Anderwelt der Zwerge und Riesen ein,[28] die sie in der Folge bis zum Degenberc durchfahren werden.
Im Berg bittet Sîmhilte ihren Bruder Dietleip, sie aus den Händen Laurîns zu befreien. Die folgende Konfrontation zwischen den Berner Helden und den Zwergen des Berges steht wiederum nicht im Motivationszusammenhang der Befreiung. Wiederum organisiert die Erzählung einen alternativen, von der vermeintlichen Handlungsinitiation abgekoppelten Weg in den Konflikt. Die Berner Helden kämpfen, um die erlittene Schmach zu tilgen, die ihnen der verräterische Laurîn bereitete, indem er sie betäubte und in den Kerker sperrte.[29]
Nach dem Sieg der Berner über den verräterischen Gastgeber kann auch Sîmhilte den Berg verlassen. Dieser Handlungsweg folgt, so konstatiert auch Joachim Heinzle, dem "Schema der verräterischen Einladung".[30] Heinzles Beobachtung in der älteren Vulgat-Fassung des 'Laurin D', die Befreiung der Dame ergebe sich am Schluss "eher beiläufig von selbst", trifft auch auf den Text des 'Laurin D' zu.[31]
Der Aufbau des Textes ist deutlich gekennzeichnet durch eine narrative Dopplungsstruktur: Zweimal tritt Dietrich in den Kampf gegen Laurîn, zweimal geht der Berner als Sieger aus der Auseinandersetzung hervor. Beide agonale Szenerien münden jeweils in einen durch verschiedene institutionelle Sicherungsmechanismen garantierten vride. So leisten die Kämpfer des Rosengartens auf Hiltebrants Vermittlung einen Schwur auf zukünftigen Gewaltverzicht im Bund gegenseitiger Freundschaft;[32] im höfischen Fest im Degenberc gelangt der vride zur Darstellung. Doch die Pazifizierung erweist sich als trügerisch, das Fest im Degenberc nur scheinbar als Repräsentation neu gewonnener geselleschaft. Die im Schein des magischen Steines sichtbaren Formen der festlichen Vergemeinschaftung korrespondieren nicht mit dem in der Heimlichkeit der Kemenate bekundeten Vergeltungsanspruchs Laurîns. Die falsche Repräsentation von Friede und Verständigung mündet geradewegs in die zweite Auseinandersetzung, in der wiederum die Berner dominieren. Ein zweites Mal hebt sich das höfisches Fest: Am Hofe Biterolfs feiern die Berner ihren Sieg über Laurîn. Der doppelte Handlungskreis schließt sich, wenn die Berner den Ort der Entführung – und somit des Handlungsausgangs – erreichen, Sîmhilte wieder in die höfischen Welt reintegriert wird:
die herren kâmen, alsô man seit,
vil schiere ze der linde breit,
dâ der kleine Laurîn
stal von êrste daz megetîn.[33]
Formen solcher narrativen Wiederholungen hat die mediävistische Forschung in der Artusromanhandlung nachgewiesen und als Schema des "doppelten Cursus" beschrieben: "Der strukturelle Sinn der Romanhandlung erfüllt sich im Gedanken des doppelten Weges. Der Held, ausgezogen, um sich 'einen Namen zu machen', erobert sich mit der Gewinnung der Frau und in ritterlicher Tat die êre und den Glanz der Welt. Artus nimmt ihn unter den Seinen auf; er erfüllt den Anspruch, den die Institution stellt. Blitzartig brechen Schuld, Schulderkenntnis oder Beschuldigung über den Erhobenen herab, und auf einem zweiten Wege 'des longues études', sinnerfüllter 'aventiure' und tiefgreifenden Selbstverständnisses muß das Verlorene – Frau, Herrschaft und Heil – noch einmal erworben werden, nun zu immerwährendem Besitz."[34] Auf Einflüsse der höfischen Erzähltradition im 'Laurin' weist auch Joachim Heinzle hin: "Das literarhistorische Interesse des Textes liegt in seiner Qualität als Austragungsfeld der Spannung zwischen höfischen und nicht-höfischen Traditionen, zu der ihn seine gattungsmäßig hybride Stellung disponieren mußte."[35]. Ähnliche Beobachtungen macht auch Paulus B. Wessels: "Hier berühren sich die Anschauungen des höfischen Romans auf das engste mit denen der heroischen Epik."[36]
1.3 'Eckenlied E2'
Ausgangsort der Handlung ist Köln, hœbstat des Landes Gripiar.[37] Zwischen den Riesen Egge, Vasolt und Ebenrot hebt sich ein Disput um die Frage, ob dem Berner Recken Dietrich heldische Fama rechtmäßig zustehe oder nicht. Egge will den Berner herausfordern, um sein eigenes Ansehen zu erhöhen.[38] Drei Königinnen hören von Egges Vorhaben. Die ranghöchste unter ihnen, Seburk, bittet Egge, den Berner lebendig an ihren Hof nach Jochgrim zu bringen. Sie schenkt dem Riesen die unzerstörbare Rüstung des Königs Ortnits, zudem Schwert, Helm und einen neuen Schild. Nach erfolgreicher Ausfahrt könne er unter den drei Königinnen eine zur Frau erwählen.
Egge bezweifelt, dass sich der Berner kampflos nach Jochgrim führen lasse. Auf Seburks Ross verzichtend, macht er sich zu Fuß auf den Weg. Ein Einsiedler im Wald und Hiltebrant in Bern weisen dem Riesen den Weg. Egge muss den gefährlichen Zentauren besiegen, trifft daraufhin den Ritter Helfrich von Lune, der in einem vorausgegangenen Kampf gegen Dietrich schwer verwundet wurde. Helfrich gibt wiederum Auskunft über den richtigen Weg zum Berner. Im dunklen Wald treffen Dietrich und Egge schließlich aufeinander, ihre Rüstungen leuchten im Dunkel der Nacht alsam ain bræhendú sunne.[39]
Wie sehr der Riese ihn auch lockt und reizt: Dietrich verweigert den Kampf. Weder um der guten Rüstung des Riesen, noch um hoher Damen willen mag er kämpfen. Erst als Egge Gott anruft – das mich got húte velle und kum ze helfe dir –[40] greift Dietrich zum Schwert, kann den Riesen schließlich überwältigen. Im Glauben, er habe seinen Gegner getötet, bricht Dietrich in Klage aus, um dann die gute Rüstung des vermeintlich Toten anzulegen. Egge kommt jedoch noch einmal zu Bewusstsein und bittet, der Berner möge ihm den Kopf abschlagen, durch aller vrouwen ere.[41] Dietrich führt unter Selbstanklagen den Todesstreich und bricht dann nach Jochgrim auf. Auf dem Weg trifft er Babehilt, die Dame vom Brunnen. Sie bestreicht seine Wunden mit heilender Salbe und sagt ihm schwere Kämpfe voraus. Immer werde er jedoch als Sieger hervorgehen. Tatsächlich kann der Berner kurz darauf den Riesen Vasolt überwinden, rettet eine Dame aus seinen Fängen. Mit Vasolt, der sich ihm als Vasall ergibt, reitet der Held weiter, tötet auf der Fahrt nacheinander den Höhlenwächter Eggenot, Egges Mutter Birkhilt und deren Tochter Uodelgart.
Mitten in der Szene, in der Dietrich gegen Uodelgart kämpft, endet der Text der Fassung E2, Fortsetzungen bieten die Fassungen E7 und e5.[42] In vorliegender Arbeit beschränke ich mich jedoch auf den Text nach E2, da er für meine Untersuchung bereits eine ausreichende Grundlage bietet.
Zwei Handlungsteile lassen sich in der Erzählung deutlich unterscheiden. Protagonist des ersten Teils ist der Riese Egge, der ausreitet, gegen den Helden Dietrich im Kampf anzutreten. Im Sieg Dietrichs über seinen Herausforderer ändert sich die Konstellation grundlegend und Dietrich wird nun zum zentralen Handlungsträger: Gegenstand des zweiten Handlungsteils ist die gefährliche Heldenfahrt des Berners nach Jochgrim. Wie in der Erzählung des 'Laurin D' kann hier eine narrative Dopplungsstruktur beschrieben werden, die jedoch – und darin unterscheiden sich beide Erzählungen grundlegend – durch einen Protagonistenwechsel als Zäsur zwischen den Handlungsteilen gekennzeichnet ist: Der heldische Repräsentant der höfischen Welt tritt als Handlungsträger an die Stelle des Riesen aus der magischen Anderwelt.[43]
In ihren Handlungsstationen ähneln die Wege, die Egge und Dietrich in der Erzählung durchlaufen, der aventiure -Fahrt des arturischen Helden.[44] Begegnungen mit romantypischen Helfer-Instanzen sind in der Erzählung ebenso angelegt, wie Kämpfe mit gefährlichen und monströsen aventiure -Gegnern: Der Einsiedler im Wald, Hiltebrant und Ritter Helfrich von Lune – bereits im Namen scheint sich die Rollenfunktion zu konkretisieren – weisen Egge den Weg. Vor seiner Begegnung mit Dietrich muss er den Zentauren besiegen. Babehilt, die Dame vom Brunnen, und die verfolgte Jungfrau heilen Dietrich nach schweren Kämpfen. Schließlich muss der Berner die gewalttätigen und monströsen Frauen Birkhilt und Uodelgart besiegen. Vasolt zeigt sich als ambivalente Figur, er begegnet dem Berner als gefährlicher Gegner mit übernatürlicher Kraft,[45] als wissender aber auch hinterlistiger Helfer.[46] Einige aventiuren der Helden erweisen sich zudem als helfe -Handlungen. So verspricht Egge dem Ritter Helfrich: ich riche dich an im sa.[47] Dietrich schützt die Jungfrau im Walde vor Vasolts Gewalt.
2 Zu einer Ordnung der Gewalt – Theoretische Vorüberlegungen
2.1 Ein Vorschlag für drei Basiskonfigurationen der Gewalt
Die Ritter fechten im Rosengarten um 'Kranz und Kuss' Kriemhilts; Dietrich und Dietleip streiten um den Zwergenkönig Laurîn; Egge kämpft gegen Dietrich um höchstes heldisches Ansehen: In diesen Gewaltszenen der Epen konstituiert sich Gewalt um ein 'Objekt der Begierde', das zwar an den Sieg geknüpft, aber diesem nicht gleichbedeutend ist. Der Sieg ist vielmehr Bedingung der Möglichkeit, das begehrte Objekt zu erreichen und zu vereinnahmen. Entsprechend der Art und Ausgangsposition dieses umkämpften Gutes lassen sich drei Basiskonfigurationen der Gewalt in den Erzählungen beschreiben.
A Agonale Konkurrenz
Und gesigent die zwelve den in dem garten an,
rôsen ze eime kranze gît man ie dem man,
ein helsen und ein küssen von der jungen künegîn,
und muoz vor allen recken iemer getiuret sîn.[48]
Rosenkranz und Kuss sind jene Güter, um die im Rosengarten gestritten wird. Allein Kriemhilt verfügt über die 'begehrten Objekte', nur sie verteilt sie an die Sieger der Reihenkämpfe. Sie monopolisiert und verwaltet damit im agonalen Raum des Rosengartens die Repräsentationen eines "symbolischen Kapitals": Ehre.[49] In ihrer Position kann sie, so zeigt sich, steuernd in die agonalen Abläufe eingreifen, kann die Kämpfe durch "Ausschüttung" des Kapitals frühzeitig beenden:
Dô kam diu küneginne in einer kurzen zît
und gevriste ir bruoder sînen jungen lîp.
ûf satzte's Amelolte ein rôsenkrenzelîn.
ein helsen und ein küssen gap ime diu künegin.[50]
Was kennzeichnet diese Konstellation? Verschiedenen Sperrmechanismen – hier ist es Kriemhilts Alleinverfügung: nur sie kann 'Kuss und Kranz' verteilen – verhindern, dass einer der Antagonisten bereits vor dem Kampf das 'begehrte Objekt' rechtmäßig sein Eigen nennen oder bereits Verfügungsgewalt geltend machen kann. Dennoch steht das 'Objekt' zur Disposition, kann aber, da es unteilbar ist, nur durch einen Gegner besessen werden. Die Gegner stehen sich im simultanen Versuch, den schmalen Pfad zum 'begehrten Objekt' zu durchschreiten, gegenseitig im Weg. Die gewaltsamen Verhandlungen des bilateralen Begehrens sind also in diesem Sinne Zugangsverhandlungen: Die Parteien konkurrieren im Modus der Gewalt um den Zugang zum 'Objekt der Begierde'. Die hier beschriebene Konfiguration soll vor diesem Hintergrund als agonale Konkurrenz bezeichnet werden.
B Appropriationsgewalt
ich bite dich, lieber vürste hêre,
daz du gedenkest an diu mære:
ergrîfest du künec Laurîn,
sô ahte mir daz vingerlîn.[51]
Hiltebrant bittet Dietrich im Degenberc, gegen den Zwergenkönig zu kämpfen und diesem, sollte der Berner den Kampf für sich entscheiden können, einen magischen Ring abzunehmen. Der Ring also stellt in dieser Situation das 'Objekt der Begierde' dar, das in einer Verhandlung zur Disposition steht. Im Unterschied zur Konfiguration der agonalen Konkurrenz verfügt hier vor und in dem Moment der Gewaltinitiation ein Antagonist über das 'begehrte Objekt': Laurîn hält vor Dietrichs Angriff den goldenen Ring in Besitz. Die Anstrengungen seines Gegners richten sich darauf, ihm dieses Gut aus den Händen zu reißen, es sich mit Gewalt anzueignen, das heißt Appropriation vermittels Agonalität durchzusetzen. So ließe sich hier von einer Konfiguration der Appropriations- beziehungsweise Usurpationsgewalt sprechen. Der Gegner, der das ihm eigene begehrte Gut zu konservieren sucht, wehrt sich gegen die beabsichtigte Usurpation mit Defensivgewalt.
B1 Aggregationsgewalt
und mœht ich dem gesigen an,
des het ich grosser ere dan,
den ich slueg zwelf swache man.[52]
Egge reitet aus, um im Sieg über Dietrich höchste Ehre zu erwerben: Der Berner ist Träger höchster Fama, er ist vollekommen gar an fùrsteclichen eren.[53] Eben jenen Glanz heldischer Vollkommenheit, jene Qualität höchster Fama will der Riese dem Berner streitig machen, denn es ist mir hút und iemer lait, das man niht in den landen das beste von mir sait.[54] Wiederum verfügt einer der Antagonisten vor der erwartbaren Auseinandersetzung über das 'begehrte Gut', das sich jedoch hier nicht als Objekt oder Person, sondern Qualität und Funktion darstellt: Egge begehrt den Heldenstatus Dietrichs. Das Gut "haftet" somit förmlich am Körper des Gegners. Seine Vereinnahmung kommt letztlich einem Aggregationsakt gleich: Egge würde, sollte er über den Berner siegen, dessen Qualität höchsten Heldentums, die dem Berner anhaftende Fama zu Eigen machen. Solche Aggregationsgewalt stellt eine Sonderform der Appropriationsgewalt dar, denn wiederum befindet sich, wie bereits angesprochen, das 'begehrte Gut' vor dem agonalen Akt bei einem Gegner, der auch in diesem Fall Defensivgewalt zum Schutz seiner "Besitzansprüche" auf jenes ihm ursprünglich zugeordnete Gut anwendet.
B2 Restitutionsgewalt
die herren kâmen, alsô man seit,
vil schiere ze der linden breit,
dâ der kleine Laurîn
stal von êrste daz megetîn.[55]
Die Befreiung Sîmhiltes aus der Gewalt Laurîns stellt nicht nur einen Akt der Appropriation durch die Berner dar, sondern auch einen der Restitution. Durch die Rückführung Sîmhiltes an den Hof Biterolfs wird, wie bereits dargelegt, jene Ordnung wiederhergestellt, die durch Laurîns Eingriff und Entführung gestört wurde. Der Vereinnahmung des 'begehrten Objektes' durch eine agonale Partei ging ein gegenläufiger Appropriationsakt durch eine zweite Partei voraus. Die Heimführung Sîmhiltes durch Dietrich stellt sich als retour -Akt der vorausgegangenen Entführung durch Laurîn dar. Entsprechend dieser rückführenden beziehungsweise wiederherstellenden Funktion soll hier von Restitutionsgewalt die Rede sein. Gerade Straf- und Rachegewalt stellen Formen der Restitutionsgewalt dar, da sie grundsätzlich in "Umkehrung" beziehungsweise zur "Spiegelung" einer Missetat und insofern als ein die gestörte Ordnung wiederherstellender Akt vollzogen werden.[56]
C Regulierungsgewalt
' [...]
Bestât ir in niht balde, ich mache iuch ungesunt.'
'wie wilt du ez ane grîfen?' 'daz tuon ich dir kunt.'
her Hiltebrant der alte sîne vûst hêt ûf gehaben:
dô wart von dem alten der vürste in sînen munt geslagen.[57]
Hiltebrant schlägt seinen Herrn Dietrich, der sich weigert, gegen Sîvrit zu kämpfen. Augenfällig sprengt Hiltebrants Schlag die Standeskonventionen und die institutionellen Grenzen "akzeptabler" Gewalt: Formen agonalen Handelns konstituieren sich hier im genuin pazifizierten Bereich des geschlossenen Herrschaftsverbandes; der Dominationsakt, den der Schlag Hiltebrants darstellt, bedroht zudem die im vasallitischen Eid fixierten Machtverhältnisse, wo der Lehnsmann der Gewalt des Lehnsherrn untersteht. Im weiteren Verlauf der Szene wird jedoch deutlich, dass Hiltebrants Gewalthandeln nicht auf Domination gerichtet ist: Den Schlägen des wutentbrannten Berners setzt der Waffenmeister nichts entgegen. Augenfällig überschreitet Dietrich durch den Schlag seines Vasallen die Schwelle agonaler Entfesselung, er überwindet seine unangemessene Haltung vehementer Gewaltverweigerung und tritt schließlich zum Kampf gegen Sîvrit an.
Mit anderen Worten: Hiltebrant entfesselt durch Gewalt, die augenfällig nicht per se auf Schädigung des Gegners gerichtet ist, das Gewalthandeln Dietrichs. Gewalt konstituiert sich also scheinbar um der Gewalt willen: Referierend auf die Terminologie von Catherine Blons-Pierre könnte man hier von einer 'violence pour la violence' sprechen.[58] Solche Gewalt hat steuernde beziehungsweise regulierende Funktion, könnte deshalb als Regulierungsgewalt bezeichnet werden.[59] Sie tritt, so bereits eine erste Hypothese, in den Epen sowohl als Entfesselungs- oder als Drosselungsgewalt auf. In vorliegender Szene entfesselt Hiltebrant agonales Handeln, im Tiroler Rosengarten, wenn Witege und Wolfhart auf sein Geheiß in den Kampf Dietrichs gegen Dietleip eingreifen, drosselt er sie.
Rekurrierend auf die hier entwickelten Konfigurationen der Gewalt sollen nachfolgend Gewaltinszenierungen in den Epen untersucht werden. Im folgenden Abschnitt versuche ich jedoch vorerst, jene Instanzen zu beschreiben, die im Gewalthandeln zweier Parteien steuernde beziehungsweise regulierende Funktionen erfüllen können.
2.2 Wenn zwei sich streiten – Der intervenierende Tertius
In der Erzählung des 'Rosengarten A' greifen sowohl Kriemhilt als auch Hiltebrant regulierend in die Kampfabläufe ein. Kriemhilt vermag das Gewalthandeln im Rosengarten zu drosseln, indem sie 'Kuss und Kranz', die begehrten Symbole des Sieges, an die Kämpfer verteilt. Auf diese Weise beendet sie die strîte zwischen Dietleip und Walther,[60] Amelolt und Gunther, letztlich auch Hiltebrant und Gibeche, noch bevor die Auseinandersetzungen einen blutigen Ausgang nehmen können:[61]
Kriemhilt diu küneginne diu stuont ûf zehant:
'durch aller vrouwen êre, getriuwer Hiltebrant,
nu enslaht mir niht ze tôde den lieben vater mîn.'
dô sprach Hiltebrant der alte: 'wâ ist denne mîn krenzelîn?'
Ein krenzelîn von rôsen gap ime diu schœne meit [...].[62]
Kriemhilt kann also auf das agonale Handeln beider Streitparteien Einfluss nehmen, kann dem Ablauf der Gewalt in beiden Konfliktlagern Einhalt gebieten und verfügt somit über bilaterale "Zugriffsrechte".
Im Unterschied zu Kriemhilt kann Hiltebrant nur das Gewalthandeln einer einzigen Konfliktpartei beeinflussen. Er entfesselt und drosselt Dietrichs Gewalthandeln, tritt bei den Kampfverweigerungen Witeges und Heimes vermittelnd auf, so dass beide schließlich doch in den Agon treten. Die Beschränkung seiner Regulierungsverfügung auf eine – nämlich seine eigene – Gewaltpartei zeigt sich auch während des Kampfes Dietleips gegen Walther. Um die Auseinandersetzung, in der keiner der beiden Recken die Oberhand gewinnen kann, zu beenden, wendet sich Hiltebrant an Kriemhilt: Sie möge dem Streit Einhalt gebieten. Kriemhilt jedoch muss ihn um Rat fragen, wie sie die Recken scheiden könne.[63] Es zeigt sich hier eine spiegelbildliche Konstellation: Hiltebrant kennt die Mechanismen der Regulierung, verfügt jedoch nicht über die Machtmittel, sie auf beide Gewaltparteien anzuwenden. Kriemhilt verfügt über die nötigen Machtmittel, kennt jedoch nicht die Regulierungsmechanismen. Hiltebrant verkörpert den Rollentypus des Wissenden, der umfassenden sapentia schlechthin: Er weiß nicht nur, was Repräsentanten seines eigenen sondern auch eines gegnerischen Herrschaftsverbandes tun müssen, damit etwas Vorhersehbares passiert. Seine in diesem Sinne globale sapentia kontrastiert jedoch mit den lokal beschränkten Zugriffsrechten, die ihm eignen. Hiltebrant muss Allianzen mit Trägern globaler Zugriffsrechte eingehen, um seinen begrenzten Interventionsradius zu überschreiten. Zwischen zwei verschieden Typen von Regulierungsinstanzen ließe sich somit differenzieren:
A Der Kriemhilt-Typus ist den Antagonisten systematisch übergeordnet: Er hat bilaterale Zugriffsrechte auf die agonalen Abläufe, das heißt er kann in das Gewalthandeln aller Streitparteien regulierend eingreifen. Ich schlage vor, Figuren, die in solch umfassender Weise Gewalt und Gewaltabläufe beeinflussen, 'globale Regulierungsinstanzen' zu nennen.[64]
B Der Hiltebrant-Typus besitzt weitaus limitiertere Zugriffsrechte: Er vermag auf das Gewalthandeln allein einer agonalen Partei regulierenden Einfluss zu nehmen und soll deshalb im Folgenden als 'lokale Regulierungsinstanz' bezeichnet werden.
2.3 Versuch einer Schematisierung
Catherine Blons-Pierre unterscheidet in ihren Analysen zum Artusroman Ysaye le triste drei Formen des Gewalthandelns: "[...] la violence réflexive, qui s'exerce d'un individu sur lui-même, la violence unilatérale qui consiste en l'exercice de la violence d'un individu sur un autre, mais sans que ce dernier soi lui-même violent, et la violence réciproque, dans laquelle les parties en présence commettent conjointement les unes contre les autres des actes violents."[65]
Autoaggression, unilaterale und reziproke Gewalt – jede dieser Konstellationen kommt in den hier behandelten Erzählungen vor. Im Rosengarten handelt Kriemhilt autoaggressiv, wenn sie sich zur Selbstbestrafung mit der Faust in den Mund schlägt: dô sluoc sich diu küneginne mit der viuste in ir munt.[66] Von unilateraler Gewalt lässt sich bei Hiltebrants Schlag gegen Dietrich sprechen, durch den der Berner in Zorn gerät und seinerseits unilaterale Gewalt – denn Hiltebrant schlägt nicht zurück – gegen seinen Vasallen entfesselt.[67] Den größten Anteil hat jedoch reziprokes Gewalthandeln. Die Rosengartenkämpfe, Egges strîte mit Dietrich, die Auseinandersetzung zwischen Laurîn und Wolfhart sind Fälle solchen bilateralen Gewalthandelns.
Gewalt konstituiert sich in den Erzählungen, so meine Hypothese, immer um ein 'begehrtes Objekt', das heißt die Antagonisten handeln stets gewalttätig im Hinblick auf etwas Bestimmtes: Sie entfesseln Gewalt um eines attraktiven Gegenstandes, einer herausragenden Reputation oder einer geliebten Person willen. Gewalt ist prinzipiell nur ein Modus – neben anderen vorstellbaren –, in dem die zur Disposition stehende Zuordnung verhandelt und geklärt werden kann. Solche Gewalt erweist sich damit als Alternativ- oder Kompensationshandeln: Weil die Konfliktparteien ihre Ansprüche auf ein potenziell knappes symbolisches Kapital nicht harmonisieren oder im Modus sicherer Verhandlung regeln können, müssen sie Gewalt anwenden. Gewalt ist in diesem Sinne auch eine "Inkompetenzkompensationskompetenz".[68]
Blons-Pierre spricht in ihren Untersuchungen von dem 'enjeu' der Gewalt, das dem 'begehrten Objekt' weitgehend zu entsprechen scheint: "L'enjeu, lui, signifie étymologiquement ce qui est en jeu, ce pourquoi on exerce la violence. Il apparaît comme un élément important dans l'étude de la violence, car il est rare que l'on exerce la violence pour rien, et même, lorsque tel est le cas, l'enjeu existe encore, il s'agit de la violence pour la violence."[69] Blons-Pierre geht davon aus, dass Gewalt nur in seltenen Fällen zum Selbstzweck entfesselt werde. Selbst dann gebe es jedoch noch einen 'enjeu', das heißt einen "Spieleinsatz" der Gewalt. Es sei eben Gewalt um der Gewalt willen. Die These lässt sich meines Erachtens weiter radikalisieren: Eine reine 'violence pour la violence' als Gewalt zum Selbstzweck liegt im Grunde nie vor. Das Gewalthandeln beider Interaktionsteilnehmer richtet sich immer auf etwas Drittes, sei es eben auf die Ostentation eigener Gewaltkompetenz, die Domination des anderen, die Kompensation einer Defizienz etc., wo ein manifestes 'enjeu' nur eben schwer zu bezeichnen ist, da es nicht dinglich ist.
Analog zum vasallitischen Bund kann auch die bilaterale Gewaltverhandlung als eine Reziprozitätsbeziehung mit doppeltem Bindungsmechanismus dargestellt werden: Wie im Lehnswesen stehen die Parteien der Gewalt sowohl in einer persönlichen, als auch in einer sachenrechtlichen Beziehung. Wird die persönliche Bezogenheit im Lehnsvertrag im Gestus der immixtio manuum, der Repräsentation gegenseitiger triuwe, sichtbar, tritt sie in der Gewaltverhandlung in Gestalt des "Gebens und Nehmens" von Schlägen hervor. Konkretisiert sich die sachenrechtliche Beziehung zwischen Herr und Vasall durch die Vergabe des beneficium,[70] kommt sie im Konflikt im doppelten Begehren eines knappen Gutes oder Wertes durch beide Gewaltparteien zum Tragen. Analog zur Lehnsvergabe resultiert die Gewaltaktion in einen Gütertransfer: in die Akquisition des 'begehrten Objektes' durch eine beteiligte Partei. Es lässt sich also – angesichts dieser Analogie – von einem veritablen beneficium der Gewalt sprechen.
Die Beziehung der Antagonisten kann zudem wesentlich durch die Intervention lokaler beziehungsweise globaler Regulierungsinstanz bestimmt sein. Auch eine lokale, die, anders als eine globale Regulierungsinstanz, nur das agonale Handeln einer Gewaltpartei beeinflussen kann, wirkt mittelbar auf das Gesamtsystem, das heißt den Handlungsmodus beider Parteien: Hiltebrants Schlag entfesselt nicht nur unilaterales Gewalthandeln des Berners, sondern in der Folge reziprokes Gewalthandeln zwischen dem Berner und Sîvrit. Indirekt beeinflusst diese Regulierungsleistung also den Handlungsmodus jener agonalen Partei, auf die direkter regulierender Zugriff nicht möglich ist.
Zwischen Regulierungsinstanz und beneficium können wechselseitige Verbindungen großer Komplexität bestehen. Das zeigt etwa das Beispiel Kriemhilts im Rosengarten: Die Königstochter, die hier als globale Regulierungsinstanz agiert, kontrolliert exklusiv das verhandelte beneficium, 'Kuss und Kranz'. Einerseits stellt sie also das 'Objekt der Begierde' – das untrennbar an ihren eigenen Körper gekoppelt ist – zur Disposition und kreiert auf diese Weise erst eine Begehrlichkeits- und Konkurrenzsituation. Ihre systematisch erhöhte Position über den agonalen Parteien basiert andererseits genau auf jenem monopolisierten beneficium. Der Glanz der schönen Dame fällt auf das beneficium, ist in diesem geradezu präsent, das beneficium"scheint" wiederum auf die Dame zurück, verschafft ihr Gewalt über die Gewalt.
[...]
[1] Laurin D (jüngere Vulgatversion): v. 1125-1130. Hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe und Zählung von Georg Holz: Laurin und der kleine Rosengarten. Hrsg. von Georg Holz. Halle a. S. 1897, S. 96-182.
[2] mac ich nu gewinnen dich, // sô muost du und Laurîn // beide hie des tôdes sîn (Laurin: v. 1096-1098).
[3] Laurin: v.
[4] si sint mit zorne überladen, // si tuont einander grôzen schaden (Laurin: v. 1129-1130).
[5] Vgl. zur Mimesis der Gewalt: René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Frankfurt a.M. 1999, v.a. S. 211-247.
[6] Die Erzählung des Rosengarten zu Worms, Version A, ist hier und im Folgenden zitiert nach: Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms. Hrsg. von Georg Holz. Halle a.S. 1893 (Nachdruck 1982), S. 1-67, hier: si gedâhte ir manege liste, diu keiserlîche meit, // wie si ze samene bræhte die zwêne küenen man, // durch daz man sæhe, von welhem daz beste würde getân. (Rosengarten: v. 4,2-4).
[7] ich spriche ez sicherlîche, im müeste misselingen dran (Rosengarten: v. 10,4).
[8] Rosengarten: v. 53.
[9] Rosengarten: v. 369,2.
[10] Rosengarten: v. 4,4.
[11] Peter Strohschneider: Einfache Regeln – Komplexe Strukturen. Ein strukturanalytisches Experiment zum 'Nibelungenlied'. In: Wolfgang Harms und Jan-Dirk Müller (Hgg.): Mediävistische Komparatistik. FS Franz Josef Worstbrock. Stuttgart/ Leipzig 1997, S. 43-75; Zitat S. 43. –Vgl. zur Notwendigkeit der "Ebenburt" des mächtigen Brautwerbers und der schönen Königstochter: Christian Schmid-Cadalbert: Der Ortnit AW als Brautwerbungsdichtung. Ein Beitrag zum Verständnis mittelhochdeutscher Schemaliteratur. Bern 1985, S. 88 f. – Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Peter Czerwinski: Das Nibelungenlied. Widersprüche höfischer Gewaltregulierung. In: Winfried Frey, Walter Raitz, Dieter Seitz et al. (Hgg.): Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Bd. 1: Adel und Hof. Opladen 1985, S. 49-87, S. 55: "Nur der schönste Körper ist dem stärksten Körper sozial angemessen [...]".
[12] Rosengarten: v. 10.
[13] Rosengarten: v. 10,2.
[14] Strohschneider 1997, S. 73.
[15] Rosengarten: v. 174,1 f.
[16] So kennzeichnet etwa Rita Zimmermann die Prüfung des Werbers als genuine Aufgabe des Brautvaters: Vgl. Zimmermann 1993, S. 41: "Auch der Werber muß seinerseits der Frau an Rang, êre und guot 'geziemen' bzw. ihr gemäß sein, um die Brautsippe die Vorteile, die die Ehe mit sich bringen soll, zu sichern, und dementsprechend genau muß hier vom Brautvater geprüft werden." – Vgl. auch Michael Schröter: "Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe...". Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1985, S. 381: "An welche Gruppen ein Mann sich und seine Kinder, und zwar insbesondere seine Töchter, durch eine Heirat anzuknüpfen vermag, definiert ganz wesentlich seinen sozialen Status." Zur Verallgemeinerung des Vaterrechts in Gesellschaften, "in denen die politische Macht die anderen Organisationsformen in den Hintergrund drängt" und zur Rolle der Frau als "Tauschobjekt [...] zwischen zwei Gruppen von Männern" schreibt Claude Lévi-Strauss. Kriemhilts Selbstbestimmung greift störend in die Struktur der Transaktion zwischen Männergruppen ein, das Vaterrecht scheint durch ihre Herausforderung suspendiert: Vgl. Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. Frankfurt a.M. 1993, v.a. S. 189-193.
[17] Rosengarten: v. 176,2.
[18] Zimmermann 1993, S. 31 f.
[19] Vgl. zur "Motivdopplung von Strafexpedition und Aventiureausfahrt" im 'Rosengarten A': Karl Heinz Ihlenburg: Zum "Antihöfischen" im Rosengarten A. In: Studien zur Literatur des Spätmittelalters. Hrsg. von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Greifswald 1986, S. 41-52.
[20] Rosengarten: v. 369,2.
[21] Laurin: v. 44.
[22] Vgl. die 'Einleitung' dieser Arbeit zum Ablauf der regulierenden Intervention Hiltebrants.
[23] Vgl. zum Motiv des verligen Erecs etwa: Hilkert Weddige: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 1992, S. 198. – Vgl. weiterhin: Silvia Ranawake: verligen und versitzen: das Versäumnis des Helden und die Sünde der Trägheit in den Artusromanen Hartmanns von Aue. In: Martin H. Jones and Roy Wisbey (Hgg.): Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an international symposium. Cambridge 1993, S. 19-35. – Vgl. außerdem David N. Yeandle: Schame in the works of Hartmann von Aue. In: Volker Honemann (Hg.): German narrative literature of the twelfth and thirteenth centuries. Festschrift Roy Wisbey. Tübingen 1994, S. 193-228.
[24] Witege lobt seinen Herrn, in den dem Berner so zugesprochenen Qualitäten ist deutlich die Motivik arturischer Idealität präsent: Dô sprach Witege Wielandes sun: // wir sîn an dem helde daz gewon, // daz nieman in dem lande // lebet ân alle schande // alsô der herre Dietrich. // man vint ouch niergen sîn gelîch, // der alsô grôziu dinc hât getân. // man sol in prîsen vür alle man.' (Laurin: v. 259-266)
[25] Vgl. zur Notwendigkeit agonaler Verteidigung von Status und Ehre: Haferland 1988, S. 28f.: "Ehre wird vor den anderen, vor der Öffentlichkeit gelebt, wo jedes Selbstbild sich deckt mit dem Bild, das die anderen von einem haben und wo andererseits das Bild der anderen die Grundlage des Selbstbildes ausmacht. Da ist die kleinste, versteckteste Beleidigung ein Stachel und so bedrohlich wie die massivste Provokation. Die Reaktion muß erfolgen, und sie muß effektiv sein. Und man muß immer ganz genau wissen, wann man sich angesprochen und herausgefordert zu fühlen hat. Identität stellt sich so im sozialen Prozeß über den dauernden Wechsel von Herausforderung und Reaktion her." – Vgl. zum Zusammenhang von Gewaltfähigkeit und sozialem Status: Czerwinski 1985, S. 61: "Jedermann kann ihn [den adligen Grundherrn] angreifen, gegen jeden muß er sich behaupten, seine Unverletzlichkeit und Selbständigkeit erweisen, um nicht zum Knecht zu werden; in dieser ständigen Bereitschaft, den Kopf hinzuhalten, liegt also ein weiteres Element seiner adligen Identität, die Ehre."
[26] Vgl. zum Bruch der "Motivationszusammenhänge" im 'Laurin': Joachim Heinzle: Überlieferungsgeschichte als Literaturgeschichte. Zur Textentwicklung des Laurin. In: Egon Kühebacher: Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters. Bozen 1979, S. 172-191, v.a. S. 176.
[27] Laurin: v. 941-944.
[28] Vgl. zur "antihöfischen Gegenwelt" im geteilten narrativen Raum des höfischen Romans im Unterschied zu Rauminszenierungen der Heldenepik: Petra Giloy-Hirtz: Begegnung mit dem Ungeheuer. In: Gert Kaiser (Hg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtung der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. München 1991, S. 167-209, S. 190: "Anders als die Artusepik, die das ungezügelte Spiel der Einbildungskraft zuläßt und Freiräume für heteronome Projektionen des Phantastischen zur Verfügung stellt, verschließt sich das Heldenepos weitgehend den Zauberwelten." Die Rauminszenierung des Laurin D entzieht sich dieser verallgemeinernden Feststellung Giloy-Hirtz': Durchaus lassen sich in der Erzählung zwei Welten unterschiedlicher innerer Gesetzmäßigkeiten und Vorgänge beschreiben. Laurîns Reich ist augenfällig eine "Wunderwelt" mit magischen Zusammenhängen, einem monströsen Personal, denn hier wohnen die Zwerge und Riesen. Sie verfügen auf wunderbare Weise über Licht und Dunkel im Degenberc (Laurin: v. 1580-1593), benutzen magische Instrumente, wie Tarnkappen (Laurin: v. 838) und Zauberringe (Laurin: v. 2129-2133). Das Berner Reich und jenes des Stirære dagegen sind Teile einer ritterlichen Welt, aus der magische Requisiten und Phänomene ausgeschlossen sind, Laurîn als Gaukler und insofern als Kuriosum exponiert und marginalisiert wird (ebd.: v. 2710). – Paulus B. Wessels weist jedoch auf die innere höfische Organisation der Zwergenwelt im 'Laurin D' hin: Paulus B. Wessels: Dietrichepik und Südtiroler Erzählsubstrat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 85 (1966), S. 345-369, S. 359: "Wie ein höfischer Fürst gebietet Laurin über seine Untertanen. Ritterliche Ordnung und höfische Sitte prägen des Leben der Zwergengesellschaft im hohlen Berg. 'Ritterlich gerüstet fechten die Zwerge im ritterlichen Schema: Speerbrechen, Sturz vom Ross, Schwertkampf. Sieg und Ergebung vollziehen sich nach den Spielregeln des ritterlichen Zweikampfes."
[29] uns hât der kleine Laurîn // erzeiget ungevüegen haz. // möhten wir im gelten daz, // daz wær mîn wille und rât (Laurin: v. 2036-2039).
[30] Joachim Heinzle: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. Berlin, New York 1999, S. 166.
[31] Joachim Heinzle: Mittelhochdeutsche Dietrichepik. Untersuchungen zur Tradierungsweise, Überlieferungskritik und Gattungsgeschichte später Heldendichtung. München 1979, S. 176.
[32] Dietleip und her Dietrîch // mit ganzen triuwen sicherlîch // swuoren dô geselleschaft // (si hêten beide grôze kraft), // und der kleine Laurîn // muoste ouch in dem vride sîn. (Laurin: v. 1239-1244).
[33] Laurin: v. 2719-2722.
[34] Hans Fromm: Doppelweg. In: Ders.: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters. Tübingen 1989, S. 122-136, S. 122.
[35] Heinzle 1979, S. 185.
[36] Wessels 1966, S. 350.
[37] Ich zitiere das Eckenlied in der Fassung E2 (sog. 'Donaueschinger Eckenlied') nach der Ausgabe von Francis B. Brévart. Das Eckenlied. Hrsg. von Francis B. Brévart. Stuttgart 1986, S. 12-207.
[38] Eckenlied: v. 16,11-13.
[39] Eckenlied: v. 70,3.
[40] Eckenlied: v. 99,12 f.
[41] Eckenlied: v. 49,12.
[42] Vgl. allgemein zu den vorhandenen Fassungen: Heinzle 1999, S. 109-113.
[43] In der Modellvorstellung des doppelten Cursus' durchläuft ein einzelner Held den zweifachen aventiure -Weg. Vgl. etwa Weddige 1987, S. 197-203. Weddige referiert Erich Köhlers Strukturschema der a ventiure -Fahrt des Artusritters Iwein: Iwein verlässt den Artushof ein erstes Mal, im Bestehen von aventiuren die Ehre Kalogrenants wiederherzustellen. Nach siegreichen Kämpfen, der Heirat mit Laudine reintegriert sich der Held in die Artusgemeinschaft, versäumt jedoch, nach abgelaufener Frist wieder zu Laudine zurückzukehren. Im Wahn verlässt er wieder den Kreis der Artusritter, wird geheilt, restituiert seinen Namen und seine Ehre in weiteren aventiuren, findet infolge dessen wieder seinen Platz in der Artusrunde und neben Laudine. Ein Wechsel des Protagonisten findet jedoch Parzival -Roman Wolframs von Eschenbach statt. Weddige konstatiert: "An dem Punkt, wo im 'Erec' und 'Iwein' die zweite Abenteuerreihe einsetzt, wechselt im Parzival der Held. Gawein übernimmt im strukturellen Sinn über weite Strecken die Rolle Parzivals" (Weddige 1987, S. 203). Allerdings unterscheidet sich dieser personale Wechsel wesentlich von jenem des 'Eckenliedes': Im Parzival bestreitet trotz des Wechsels weiterhin ein Repräsentant der arturischen beziehungsweise höfischen Welt den aventiure -Weg. Dietrich löst als Vertreter der höfischen Welt den Riesen als Vertreter der Anderwelt ab.
[44] Es lassen sich einige typische Handlungsstationen und Begegnungen des Artushelden während der aventiure -Fahrt beschreiben: Zumeist muss er gegen außerhöfische und monströse Gegner, Riesen und Zwerge, antreten. Auf dem Weg begegnet er Helfer-Figuren, die ihm den Weg weisen, bewirten oder beraten. So besiegt 'Erec' im gleichnamigen Roman Hartmanns von Aue einen Riesen. Iwein, geheilt durch die Wundersalbe der vrouwe von Nârisôn, tötet den Drachen. Vgl. Weddige 1987, S. 197-203.
[45] Der Riese reist Bäume aus, um gegen Dietrich zu kämpfen (Eckenlied: v. 184,11).
[46] Vasolt weist dem Berner den Weg (Eckenlied: v. 208), warnt ihn vor Eggenot (v. 211), aber lenkt ihn in den Kampf gegen die monströsen Riesen-Frauen (Eckenlied: v. 228-244).
[47] Eckenlied: v. 64,7.
[48] Rosengarten: v. 53.
[49] Kriemhilt verteilt 'Kuss und Kranz' im Rosengarten, bezeichnet damit die Sieger der Zweikämpfe. 'Kuss und Kranz' symbolisieren somit die agonale Dominanz des Trägers, verweisen vor einer Öffentlichkeit auf die Ehre, die jener im Kampf akkumulierte. Ludgera Vogt versucht, Bourdieus Theorie des symbolischen Kapitals auf den Artusroman anzuwenden. Êre sei ihren Ausführungen nach als ein solches "symbolisches Kapital" zu verstehen. Sie kann vor allem im Agon akkumuliert werden. Vgl. Ludgera Vogt: Ehre in traditionalen und modernen Gesellschaften. Eine soziologische Analyse des 'Imaginären' am Beispiel zweier literarischer Texte. In: Dies. und Arnold Zingerle (Hgg.): Ehre. Frankfurt a.M. 1994, S. 291-314, S. 303: "Ehre als symbolisches Kapital unterliegt folgender Logik: sie ist akkumulierbar und erfordert der Logik aller Kapitalien gemäß, Akkumulation. Mit Ehre wird nutzenorientiert kalkuliert [...]." So zitiert bei: Gerhard Wolf: Verborgene Kalküle. Pierre Bourdieus 'Reflexive Anthropologie', Erecs und Iweins Habitus und die Conditio humana des Interpreten. In: Ursula Peters (Hg.): Text und Kultur: mittelalterliche Literatur 1150 – 1450. Stuttgart 2001, S. 215-244, Zitat S. 234. – Vgl. dazu auch: Gerhard Fröhlich und Ingo Mörth: Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu. Frankfurt a.M., New York 1994, S. 271-311.
Kriemhilt verwaltet mit den Repräsentationen des Sieges, 'Kuss und Kranz', die Symbole agonal errungener Ehre. Im Umkehrschluss lässt sich sagen: Ehre, jenes symbolische Kapital, ist in 'Kuss und Kranz' präsent. In ihrer Verfügung über 'Kuss und Kranz' verwaltet Kriemhilt somit ein "symbolisches Kapital" selbst, verwaltet Ehre.
[50] Rosengarten: v. 308.
[51] Laurin: v. 2387-2390.
[52] Eckenlied: v. 16,11-13.
[53] Eckenlied: v. 13,2 f.
[54] Eckenlied: v. 5,11-13.
[55] Laurin: v. 2719-2722.
[56] Detaillierter zur Restitutionsfunktion der Strafe schreibt etwa Elmar Walde: Die peinliche Strafe als Instrument des Friedens. In: Johannes Fried (Hg.): Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter. Sigmaringen 1996, S. 229-247, S. 232: Walde referiert Viktor Achters 'Geburt der Strafe' wenn er konstatiert, "[...] die Tat stehe im Mittelpunkt des [alten] Rechts. Sie interessiere auch nur insoweit, als sie die Lebensordnung verletzt habe, als durch die Tat eine 'Entordnung', also etwas ganz Objektives eingetreten sei; diese Entordnung sei schnellstens zu beseitigen. Die Störung der geheimnisvollen Harmonie, in der alles menschliche Leben aufgehoben ist, müsse wieder hergestellt, das Heil wiedergewonnen werden."
[57] Rosengarten: v. 342.
[58] Catherine Blons-Pierre: Jeux et enjeux de la violence dans un roman arturien du moyen age tardif: Ysaye le triste. In: La violence dans le monde médiéval. Publications du CUER MA. Aix-en-Provence 1994, S. 37-53, S. 39: Il apparaît comme un élément important dans l'étude de la violence, car il est rare que l'on exerce la violence pour rien, et même, lorsque tel est le cas, l'enjeu existe encore, il s'agit de la violence pour la violence." Blons-Pierre lässt hier die genaue Bedeutung einer 'violence pour la violence' offen. Möglicherweise meint sie Gewalt zur Darstellung von Gewaltkompetenz. Ich verstehe darunter eine Form intervenierender Gewalt, die in den Ablauf eines anderen Gewalthandelns regulierend – also drosselnd oder entfesselnd – eingreift.
[59] Peter Czerwinski beschreibt Gewalt sogar den wesentlichen Modus der inneren Gewaltdrosselung in der Artusgemeinschaft: Vgl. Czerwinski 1985, S. 66: "Im Parzival z.B. (309,3-10; 648,18-22) kann sich der Hof als friedliche Gemeinschaft nach innen erst dann in der Tafelrunde realisieren, wenn eines der Mitglieder nach außen Gewalt ausgeübt hat. Gewaltvermeidung ist nur mit Gewalt möglich, die fiktive Bewegungsform dieses Widerspruchs ist die aventiure." Zwar erweist sich solche "aventiure -Gewalt" als Mechanismus der Gewaltvermeidung, allerdings in einer systematisch anderen Weise als Restitutionsgewalt: Die Gewalt des Artusritters wirkt pazifizierend auf seine Gemeinschaft zurück, sie "glättet" insofern mittelbar die inneren Konfliktwogen dieser Gemeinschaft. Drosselungsgewalt interveniert dagegen direkt, greift unmittelbar auf einen agonalen Ablauf zu.
[60] Rosengarten: v. 262-277.
[61] Rosengarten: v. 302-309 und v. 310-321.
[62] Rosengarten: v. 320-321,1.
[63] Dô sprach meister Hiltebrant: 'seht ir, vrou künegîn, // wie diese recken strîtent? ez muoz ir ende sîn. // ir einer mac den andern niht gesigen an. // sie slahent tiefe wunden: von schirmen hânt sie gelân.' // Dô sprach diu küneginne: 'nu saget mir, wîser man, // wie sol ich sie nu scheiden, die recken lobesam?' // 'sô jeht in siges beiden, vil edeliu künegîn, und gebet ir ieglîchem ein rôsenkrenzelîn.' (Rosengarten: v. 272-273)
[64] Gerd Althoff beschreibt einen auf diese Weise agierenden Funktionsträger im mittelalterlichen Konfliktgeschehen, den mediator. Vgl. Gerd Althoff: Genugtuung (satisfactio). Zur Eigenart gütlicher Konfliktbeilegung im Mittelalter. In: Joachim Heinzle (Hg.): Modernes Mittelalter. Frankfurt a.M., Leipzig 1994, S. 247-265, S. 250 f.: "Vermittler verhandelten mit den Parteien getrennt über eine angemessene Genugtuung und garantierten die Einhaltung des von ihnen vorgeschlagenen Wegs der Beendigung des Konflikts. Sie waren wesentlich dafür verantwortlich, daß die Auseinandersetzungen nicht über die Maße eskalierten, denn hinter ihrem Vermittlungsvorschlag stand eine beträchtliche Autorität, auch wenn es sich bei ihnen nicht um Amtsinhaber oder Vertreter staatlicher Institutionen handelte." – Im Parzival Wolframs von Eschenbach beschreibt Monika Unzeitig-Herzog die Mediationsfunktion Artus': Vgl. Monika Unzeitig-Herzog: Artus mediator. Zur Konfliktlösung in Wolframs 'Parzival' Buch XIV. In: Frühmittelalterliche Studien 32 (1998), S. 196-217.
[65] Blons-Pierre 1994, S. 40.
[66] Rosengarten: v. 369,4.
[67] Rosengarten: v. 344,3 f.
[68] Vgl. zu diesem Begriff: Odo Marquard: Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie. In: Ders.: Abschied vom Prinzipiellen. Stuttgart 2000, S. 23-38.
[69] Blons-Pierre 1994, S. 39 [Übersetzung durch den Autor dieser Arbeit]: "Enjeu bedeutet etymologisch 'was auf dem Spiel steht', warum also Gewalt ausgeübt wird. In der Analyse von Gewalt spielt dieses Element eine wichtige Rolle, den nur selten formiert sich Gewalt um nichts. Selbst in diesem Fall existiert das enjeu, denn hier formiert sich Gewalt um der Gewalt willen."
[70] Vgl. Weddige 1987, S. 161-166.
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- Frank Roßmann (Author), 2002, Die Ordnung der Gewalt - Formen der Gewaltregulierung in der Dietrichepik: Laurin, Rosengarten, Eckenlied, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12202
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