Die erweiterte EU umfasst inzwischen 27 Mitgliedstaaten mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher sozioökonomischer Merkmale. Sie alle streben nach wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Integration und sehen sich dabei einem komplexen Gefüge wirtschaftlicher Rahmenbedingungen (z.B. Globalisierung) sowie einem direkten und mittelbaren Reformdruck ausgesetzt, der sich aus dem Prozess der europäischen Integration ergibt.
Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende Areit folgenden Fragestellungen:
1. Stellungnahme zu der These: „Es gibt keine europäischen, sondern nur westliche
Werte.“
2. Welche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Wohlfahrtssystemen der EUMitgliedstaaten lassen sich aus dem EU (25) - Sozialindikatoren-Ranking (Jörgensen/Schulz
zur Wiesch) ablesen?
Ob und wie sollte die übliche Typologie europäischer Wohlfahrtssysteme modifiziert bzw.
erweitert werden.
3. Welche Merkmale sollte ein zukunftsfähiges „europäisches Sozialmodell“ in einem entstehenden sozialpolitischen EU-Mehrebenensystem aufweisen?
Inhalt:
1. Nehmen Sie zu der These Stellung: „Es gibt keine europäischen, sondern nur westliche Werte“
2. Welche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Wohlfahrtssystemen der EU-Mitgliedstaaten lassen sich aus dem EU (25) - Sozialindikatoren-Ranking (Jörgensen/Schulz zur Wiesch) ablesen? Beschränken Sie sich auf zwei bis drei Dimensionen der Studie und die Ihrer Meinung nach wichtigsten alten und neuen EU-Staaten. Gehen Sie abschließend auf die Frage ein, ob und wie die übliche Typologie europäischer Wohlfahrtssysteme modifiziert bzw. erweitert werden sollte
3. Welche Merkmale sollte Ihrer Meinung nach ein zukunftsfähiges „europäisches Sozialmodell“ in einem entstehenden sozialpolitischen EU-Mehrebenensystem aufweisen?
Literaturverzeichnis
1. Nehmen Sie zu der These Stellung: „Es gibt keine europäischen, sondern nur westliche Werte“
Was sind westliche Werte?
„Europa ist nicht (allein) der Westen. Der Westen geht über Europa hinaus. Aber Europa geht auch über den Westen hinaus.“[1]
Mit dem Begriff „westlich“ assoziiert man gemeinhin eine kulturelle Tradition, die ih- re Ursprünge in der griechischen Philosophie hat und deren geistliches Zentrum im Mittelalter in Rom lag, also zur Westkirche gehörte. Nur in diesem Teil Europas gab es die beiden vormodernen Formen der Gewaltenteilung, zwischen geistlicher und welt- licher Macht und die von fürstlicher und ständischer Gewalt. Nur hier hatten die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Emanzipationsprozesse der Renaissance und des Humanismus, der Reformation und der Aufklärung stattgefunden. Die Men- schenrechtserklärungen des späten 18. Jahrhunderts waren das Ergebnis transatlanti- schen Zusammenwirkens; zusammen legten sie den Grund für das politische Konzept des Westens. Die Amerikanische Revolution war nicht nur die erste moderne, sie war zugleich eine konservative Revolution: Sie klagte Rechte ein, die den Untertanen des Königs von England seit alters her zustanden: die demokratischen Prinzipien des tradi- tionellen englischen Verfassungsrechts.[2]
„Die westlichen Werte sind das Ergebnis transatlantischer Prägungen und Erfahrungen und wie alle his- torischen Erscheinungen dem Wandel unterworfen.“[3]
Zu den zent ralen Inhalten dieser Tradition gehören die Deduktion und der Rechts- staat. Westliche Länder weisen einen vergleichsweise hohen Lebensstandard auf. Sie sind Rechtsstaaten mit demokratischen, weltlichen Regierungen und entwickelter Jus- tiz, die den Bürgern grundlegende Rechte zugestehen. Ein vergleichsweise hohes Bil- dungsniveau und eine ähnliche, „moderne“ Popkultur prägen die westliche Gesellschaft. Aus diesem Grund wird auch Japan als westlich eingestuft, Kolumbien dagegen nicht. Militärisch und diplomatisch sind die westlichen Länder seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs alle auf die eine oder andere Weise miteinander verbündet. Werte, die diese westlich geprägte Kultur ausmachen, finden sich auch im Entwurf zum Verfassungsvertrag der EU:
„Die Union gründet sich auf folgende Werte: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Perso- nen, die Minderheiten angehören. Diese in Artikel I-2 zum Ausdruck gebrachten Werte sind den Mitglied- staaten gemeinsam. Ebenso zeichnet sich die Gesellschaf t in den Mitgliedstaaten durch Pluralismus,
Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern aus.[4]
Werte sind nicht greifbar wie Gesetze und Verordnungen, die politische Umsetzung von Wertvorstellungen kann nicht wie eine EU-Richtlinie angeordnet werden. Die Dis- kussion über die Frage, welche Werthaltungen eigentlich die Union zusammenhalten wurde intensiviert durch eine wachsende europakritische Stimmung, die ihren Aus- druck u.a. in den gescheiterten Referenden zum europäischen Verfassungsvertrag und in den Diskussionen über den Beitritt der Türkei in die EU fand.
Was sind europäische Werte? Gibt es eine Europäische Identität?
Aus zahlreichen Umfragen geht hervor, dass sich die EU-Bürger auch weiterhin zual- lererst mit ihrem eigenen Land identifizieren[5]. Seit dem Fall der Mauer, dem Zusam- menbruch des Ostblocks 1989 und der Gründung der Europäischen Union 1992 durch den Vertrag von Maastricht, stellt sich immer wieder die Frage, welche Staaten ei- gentlich zur Europäischen Union gehören (oder gehören können) und was die Europäer eigentlich zusammenschmiedet.
Im europäischen Integrationsprozess ist die Definition gesellschaftlicher Werte bisher vor allem politisch bestimmt worden. Laut Vertrag von Nizza beruht die EU auf den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. Dar- über hinaus muss die EU, die Grundrechte, die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte festgehalten sind, einhalten[6]. Gemäß dem Motto "in Vielfalt geeint" verpflichtet sich die Europäische Gemeinschaft des Weiteren zur Wah- rung der kulturellen Vielfalt, jedoch unter "gleichzeitiger Hervorhebung des gemein- samen kulturellen Erbes"[7]. Worin dieses Erbe allerdings besteht, darüber herrscht großenteils Uneinigkeit.
Ist die EU tatsächlich eine (Werte-)Gemeinschaft, die sich durch „Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Männern und Frauen“ auszeichnet?[8]
Die EU ist in erster Linie ein politisches, institutionelles und pragmati sches Projekt. Vor allem die praktischen Vorteile binden die Bürger an Europa. Zur Identifikation gemeinsamer Werte die in allen Nationalstaaten innerhalb der EU Anerkennung fin- den, scheint eine Bezugnahme auf das europäische Recht, insbesondere auf die Ver- tragstexte ein sinnvoller Ansatz zu sein. Dabei handelt es sich um rechtsverbindliche Verträge, die für alle Mitgliedsstaaten gelten. Das Primärrecht erhebt einen hohen demokratischen Legitimitätsanspruch.
„Verfassungswerte sind Rechtskonstruktionen, die im Subsystem Politik einer Gesellschaft Institutionell verortet werden. Zugleich beziehen sie ihre Geltung aus vorpolitischen Quellen, aus dem Subsystem Le- gitimation einer Gesellschaft“[9]
Der zentrale Wert Europas liegt also nicht in einer Ideologie, sondern basiert auf den rechtlich verankerten Ideen der Freiheit, der Solidarität und der Menschenrechte. Die europäische Union definiert sich nicht durch eine gemeinsame Religion, Kultur, Ethnie oder territorial festgelegte Grenze; sie versteht sich als eine pluralistische Gemein- schaft, in der Gesellschaften gleichwertig und in gegenseitiger Anerkennung neben- einander existieren. Eine europäische Wertedimension findet sich in der gesamt- europäischen Entscheidung für eine soziale Marktwirtschaft, deren nationale wirt- schafts- und sozialpolitische Maßnahmen wiederum auf gemeinsamen Werten beru- hen, wieder.
„Solidarität und Zusammenhalt, Chancengleichheit und Bekämpfung jeder Form von Diskriminierungen, angemessenen Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen am Arbeitsplatz, allgemeinem Zugang zu Bil- dung und Gesundheitsversorgung, Lebensqualität und Qualität der Arbeitsplätze, nachhaltiger Entwick- lung und der Einbeziehung der Zivilgesellschaft.“[10]
Im Vergleich zu den USA oder Japan haben europäische Bürger höhere Erwartungen an den Staat. Der öffentliche Sektor spielt eine große Rolle, z. B. durch Regulierung, staatliche Ausgaben, oder der Organisation und Finanzierung der nationalen Systeme. Im Durchschnitt wenden die fünfundzwanzig EU-Mitgliedstaaten 27% des BIP für öf- fentliche Ausgaben für den Sozialschutz auf, im Vergleich zu 15% in den Vereinigten Staaten und 17% in Japan, wo niedrigere öffentliche Sozialleistungen dadurch kom- pensiert werden, dass die Elemente der betrieblichen Sozialpolitik und der Sozialpoli- tik mittels Steuern eine weit größere Rolle spielen als in den europäischen Sozialstaaten.
Nationale Systeme werden durch Maßnahmen auf europäischer Ebene (europäische Dimension) verstärkt. So z. B. durch den Binnenmarkt, das Bestreben nach einer Euro- päischen Sozialordnung oder die Kohäsion der Regionen, der durch die EU Struktur- fonds gefördert wird. Eine starke Tradition des sozialen Dialogs und der Partnerschaft zwischen Regierungen, Unternehmern und Gewerkschaften auf europäischer Ebene findet sich in den EU-Verträgen wider.[11] „Es erscheint deshalb wohl berechtigt, die wohlfahrtsstaatliche Kultur als zentralen Bestandteil der kulturellen Werteordnung Europas zu verstehen.“[12]
Im Zuge der Globalisierung verändern sich Werte, Prinzipien und Identitäten. Sie ist ein Beispiel dafür, dass nicht alle sozialen Schichten die gleichen Werte in einer sich verändernden Welt teilen. Das gilt auch innerhalb Europas. Daher sollte mit dem Stre- ben nach einheitlichen Werten bedächtig umgegangen werden. Zwar ist es in einer Demokratie wünschenswert und unerlässlich, dass die Mehrheit der Staatsbürger ge- wisse Werthaltungen teilen, die diesen Gesetzen zugrunde liegen, da sonst die Geset- ze selbst Dauer auf keinen Bestand haben. Diese Werte zu teilen darf jedoch nicht zur Pflicht werden. „Wo aber die Staatsgewalt sich unter Berufung auf höhere Werte für legitimiert hält, Menschen an etwas zu hindern, was zu verbieten ihr kein Gesetz er- laubt, da ist Gefahr im Verzug.“[13] Das Verhältnis sozialer Werte wie Pluralismus, Tole- ranz und Solidarität zu Interessen ökonomischer Prosperität und Selbstvertrauen wird sich künftig z. B. im Umgang der EU mit der zunehmenden Existenz von Immigranten in europäischen Gesellschaften messen lassen.
Die in den zitierten Artikeln definierten Europäischen Werte basieren also sowohl auf universellen Werten (z. B. Menschenrechte) wie auch auf westlichen Werten (z. B. Demokratie). Eine europäische Ausprägung bekommen sie z. B. durch das Bekenntnis zu sozialer Marktwirtschaft und ein im Entstehen begriffenes auf den Grundsätzen des Pluralismus basierendes europäisches Sozialmodell, in der alle Bürger der Länder eu- ropäischer Tradition ein gemeinsames Dach finden, wenn es Gemeinschaften mit ge- meinsamen Wertschätzungen ermöglicht und schützt (vgl. Aufgabe 3).
2. Welche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Wohlfahrtssystemen der EU-Mitgliedstaaten lassen sich aus dem EU (25) - Sozialindikatoren-Ranking (Jörgensen/Schulz zur Wiesch) ablesen? Beschränken Sie sich auf zwei bis drei Di- mensionen der Studie und die Ihrer Meinung nach wichtigsten alten und neuen EU- Staaten. Gehen Sie abschließend auf die Frage ein, ob und wie die übliche Typolo- gie europäischer Wohlfahrtssysteme modifiziert bzw. erweitert werden sollte.
Die dieser Aufgabenstellung zugrunde liegende Untersuchung „Wie sozial ist Europa?“[14] vergleicht die 25 EU-Staaten in einem Ranking von 35 Sozialindikatoren aus den The- menbereichen Einkommen und soziale Absicherung, Arbeitsmarkt, Bildungschancen, Geschlechtergleichstellung und Generationenverhältnis. Eine vergleichende Analyse der Rankingergebnisse lässt Rückschlüsse auf Gemeinsamkeiten und Diff erenzen sowie Stärken und Schwächen der Wohlfahrtssysteme der EU-Mitgliedstaaten[15] zu. Für einen Ländervergleich innerhalb der genannten Sozialindikatoren habe folgende Staaten ge- wählt:
[...]
[1] Stourzh, G. (Hrsg.): Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung, Wien 2002, S. XI.
[2] vgl.: Winkler, H. A.: Was heißt westliche Wertegemeinschaft ?Schrif t fassung seiner Abschiedsvorlesung am 14. Februar 2007 in der Humboldt- Universität, Berlin. in: Internationale Politik (Hg), Berlin 2007, S. 66
[3] ebenda, S. 84
[4] Webseite der Europäischen Kommission: Die Gründungsprinzipien der Union/Die Werte der Union in: http://europa. eu/scadplus/constitution/ objectives_de.ht m#VALUES 17.07.2007
[5] Laut einer Eurobarometer-Umfrage, die Ende 2004 durchgeführt wurde, fühlen sich lediglich 47 % der EU- Bürger zugleich als Bürger ihres Landes und als Europäer. 41 % der Befragten gaben an, sich ausschließlich ihrer nationalen Staatsangehörigkeit verbunden zu fühlen. 86 % der Befragten äußerten sich stolz auf ihre Nationalit ät, während 68 % stolz darauf sind, Europäer zu sein. Insgesamt fühlen sich die meisten ihrem ei- genen Land (92 %), ihrer Region (88 %) und ihrer Stadt (87 %) stärker verbunden als Europa (67 %). Hierauf scheint auch die relativ niedrige Wahltbeteiligung bei den Europawahlen, die 2004 bei 54 % lag, hinzudeu- ten.
[6] Amtsblatt der Europäischen Union DE 29.12.2006 C 321 E vom 29.12.2006:Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), Artikel 6, At hen 2003, unter: http://eur-lex.europa.eu , 20.07.2007
[7] EGV, Artikel 151
[8] Vgl.: Webseit e der Europäischen Kommission: Die Gründungsprinzipien der Union/ Die Werte der Union in: http://europa. eu/scadplus/constitution/ objectives_de.ht m#VALUES 17.07.2007, Art I-2
[9] Opielka, M.: Europas soziale Werte - Der Wohlfahrtsstaat als Projekt europäischer Identität? In: Internationale Poli- tik, IP/April 2006, S. 108
[10] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- schuss und den Ausschuss der Regionen: Beitrag der EU-Kommission zur Tagung der Staats- und Regierungschefs im Oktober 2005 „Europäische Werte in der globalisierten Welt“, S. 6, Brüssel, 20.10.2006
[11] vgl. ebd.
[12] Opielka, M.: Europas soziale Werte - Der Wohlfahrtsstaat als Projekt europäischer Identität? In: Internationale Poli- tik, IP/April 2006, S. 114
[13] Spaemann, R.: Europa – Rechtsordnung oder Wertegemeinschaft? in: Neue Zürcher Zeitung, Samstag, 20.01.2001 Nr.16, S. 92
[14] Jörgensen, J.F., Schulz zur Wiesch, J.: Wie sozial ist Europa? (2006)
[15] Vgl. Esping-Andersen, G. The Three Worlds of Welfare Capitalism (1990): Angelsächsisches Arrangement: (S. 35-42, 63) Kontinentaleuropäische Sozialpolitik: (S. 38-41) skandinavischer Ty- pus: (S. 26-28, 48-54) ; Vgl .Dt. Bundestag (HG): Bläß, D., Schneider, J. Das Europäische Sozialmodell, S. 7 vgl. Schulz zu Wiesch: „Merkmale und Entwicklungstendenzen nationaler Wohlfahrtssysteme“, Handout zum Stu- dienkolloquium Juli 2007; Weiteres zum Thema Wohlfahrtsregimes: vgl. Kap. 3
- Citar trabajo
- Dipl.-Ing. Claudia Harms (Autor), 2007, Soziopolitische Trends in den Mitgliedstaaten der EU, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122024
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.