Diese wissenschaftstheoretische Abhandlung geht der Frage nach, welche Rolle die beiden Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB) im entwicklungspolitischen Diskurs einnehmen. Dabei wird vor allem auf die zum Großteil in Afrika implementierten Strukturanpassungsprogramme der achtziger und neunziger Jahre eingegangen und die im Washington Consensus artikulierte neoliberale Praxis kritisch hinterfragt. Theoretisch finden sowohl moderni-sierungs- als auch dependenztheoretische Überlegungen Beachtung, die in einer formalen, die Konsistenz des neoliberalen Diskurses analysierenden, und in einer die Prämissen jenes Diskurses in Frage stellenden Kritik mündet.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. IWF und Weltbank: mächtige Organisationen mit großem Wirkungsbereich
3. Von der Verschuldungskrise übers Verlorene Jahrzehnt zur Komplexität
3.1 Verschuldung als Resultat komplexer Vielschichtigkeit
3.2 Strukturanpassungsprogramme und das Diktat des Washington Consensus
3.3 Strukturelle Komplexität wider die anachronistische Dichotomie
4. Wissenschaftstheoretische Kritik
4.4 Formale Auseinandersetzung
4.5 Inhaltliche Auseinandersetzung
5. Konklusion & Ausblick
6. Literaturverzeichnis
Abstract
Diese wissenschaftstheoretische Abhandlung geht der Frage nach, welche Rolle die beiden Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB) im entwicklungspolitischen Diskurs einnehmen. Dabei wird vor allem auf die zum Großteil in Afrika implementierten Strukturanpassungsprogramme der achtziger und neunziger Jahre eingegangen und die im Washington Consensus artikulierte neoliberale Praxis kritisch hinterfragt. Theoretisch finden sowohl modernisierungs- als auch dependenztheoretische Überlegungen Beachtung, die in einer formalen, die Konsistenz des neoliberalen Diskurses analysierenden, und in einer die Prämissen jenes Diskurses in Frage stellenden Kritik mündet.
1. Einleitung
Was einst als berechenbare, Gewissheit suggerierende Homogenität interpretiert wurde, erweist sich heute als ungewisses Amalgam aus Fremdem und Eigenem: Hybridität ist das Format einer Globalisierung, welche sich durch Ungleichzeitigkeit und asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse auf unterschiedlichsten Ebenen auszeichnet. Manche sehen in ihr eine Europäisierung oder Verwestlichung des gesamten Globusses, andere – im Angesicht terroristischer Aktivitäten – einen Kampf der Kulturen. Allerdings stimmt das Gros der Wissenschaftler derart verallgemeinernden ‚Großtheorien’ nicht zu. Vielmehr produziert die voranschreitende Verflechtung politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten unterschiedlichste Phänomene, deren Beobachtung jede Verallgemeinerung empirisch falsifiziert. So komplex Globalisierung jedoch erscheinen mag, so berechenbar ist die deskriptive Evidenz momentaner Gegebenheiten. Vervielfachte Japan sein Brutto-National-Einkommen (BNE) pro Kopf zwischen 1820 und 1998 um den Faktor 30, weist Afrika einen Durchschnittswert von drei auf (Graphik 1). Obschon Bürgern westlicher Industriestaaten durchschnittlich mehr als 30.000 US-Dollar Jahreseinkommen zur Verfügung stehen (ebd.), lebt die Hälfte aller Bewohner des subsaharischen Afrikas von weniger als einem Dollar pro Tag (ebd.). Es stellt sich die Frage, ob – gemäß Martin Khor – „Globalisierung [das] ist, was wir in der Dritten Welt einige Jahrhunderte Kolonisierung genannt haben“ (vgl. Nuscheler 2006: 53).[1]
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Neben allem globalisierungsbedingten Wirrwarr darf nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass besagte Phänomene der Moderne aus menschlichem Handeln resultieren. Fehlentwicklungen wie Armut, Krieg und Unterentwicklung folgen ebenso wenig natürlichen Gesetzmäßigkeiten wie Fortschritt verkörpernder Friede und Wohlstand. Extreme klimatische Bedingungen mögen zwar ein Aspekt der Erklärung von materieller Unterentwicklung sein, können jedoch kein hinreichendes Explanans darstellen. (vgl. Landes 1999) Dies bestätigt insbesondere die nachholende Industrialisierung Südostasiens. Mit Ausnahme des liberalen Stadtstaates Hongkong gründen alle weiteren new industrialized countries (NICs) – sowohl die Tigerstaaten Singapur, Südkorea und Taiwan als auch die Panterstaaten Indonesien, Thailand, Malaysia und die Philippinen – und nicht zuletzt die Volksrepublik China ihre prosperierende Wirtschaft auf dem Fundament eines starken, interventionistischen Nationalstaates. Staatliche Handlungsfähigkeit gegenüber dem Weltmarkt wird somit zur Voraussetzung nachholender Entwicklung.[2]
Trotzdem weist der Failed States Index der unabhängigen Forschungseinrichtung The Fund for Peace insgesamt 60 labile Staaten aus, in denen circa zwei Milliarden Menschen beheimatet sind[3], (vgl. Debiel & Werthes 2006: 87f) die größtenteils der so genannten ‚Dritten Welt’ zuzurechnen sind. Die relevanten Akteure der, meist aus der Kolonialherrschaft hervorgegangenen, Territorien sind heterogen. Kriterien der Staatlichkeit – gemäß Georg Jelinek und Max Weber Staatsgebiet, Staatsvolk und insbesondere Staatsgewalt– sind nicht oder nicht hinreichend gegeben. Gleichzeitig transferierten Industrieländer (IL) Unmengen von Geldern in Form von Official Development Assistance (ODA) in jene Entwicklungsländer (EL). „Je nach Berechnung […schwanken…] die Zahlenangaben zwischen 1,5 und 2,3 Billionen US-Dollar“ (Nuscheler 2007: 3) für den gesamten Transfer. Fraglich ist, welche Rolle dabei die beiden, bzgl. der ODA, wichtigsten Akteure einnehmen – Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB). Tragen sie zur Armutsminderung und Wohlstandsgewinnung bei und welche Wirkung entfalten sie auf den Staat?
2. IWF und Weltbank: mächtige Organisationen mit großem Wirkungsbereich
Idealiter lassen sich Akteure der Entwicklungszusammenarbeit einerseits anhand ihrer partizipatorischen Dimensioniertheit vertikal, andererseits themenfeldspezifisch horizontal unterscheiden (Graphik 3). Während in erster Linie Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) lokal im Einsatzland agieren, dominieren bei Implementierungen globalen Ausmaßes weiterhin multilaterale Regierungsorganisationen (RGOs) wie WB und IWF. Immer häufiger stattfindende Konferenzen und Konsultationen beider Typen zeugen allerdings von beiderseitiger Abhängigkeit und porösen Grenzen. NGOs versuchen, die Politik und Vergabepraktiken der RGOs gezielt zu beeinflussen, wohingegen letztgenannte zur Aufrechterhaltung ihres top-down- Monopols der Informationen von bottom-up- Akteuren bedürfen.
Da Entscheidungen und Vorgehen von IWF und WB auch die entfernt gelegene Peripherie tangieren, kann beiden ein weit reichender Wirkungsbereich bescheinigt werden, jedoch auch ein exklusiver Charakter. Einige inkludierte Mitglieder werden durch ein gewichtetes Stimmrecht marginalisiert, das sich neben geringen Sockelstimmen in erster Linie nach Quoten bzw. der Höhe des Kapitalanteils eines Landes richtet. (Graphik 3) Die enge Verbindung beider Strukturen wird in vielerlei Aspekten ersichtlich. 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods (USA) gegründet, beabsichtigten sie „eine Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in der Nachkriegszeit mit dem Ziel größtmöglicher Kooperation und teilweiser Integration“ (Andersen 2006c: 557). Entscheidungs- und Organisationsstrukturen entsprechen einander[4], die Bereitschaft zur Mitgliedschaft in beiden Organisationen ist Voraussetzung für einen Beitritt; gemeinsam unterhalten sie das Development Commitee.
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Grundsätzlich schreibt sich der IWF in seinem Tun die Stabilisierung von Währungsbeziehungen sowie Währungskonvertibilität, respektive freie Wechselkurse, auf die Fahnen. Dieses Ziel verfolgte er jedoch nicht von jeher. Vielmehr stellt ein permanenter Aushandlungsprozess das Charakteristikum der monetären Organisation dar, welcher von Gold als Gegenwert zum Dollar führte und, in den frühen Siebziger Jahren, das System fester Wechselkurse mit der Aufhebung des US-amerikanischen Goldeinlöseversprechens endgültig einstürzen ließ. Diese Art von Handel setzt eine Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken von Nationalstaaten bzw. integrierten Wirtschaftsräumen voraus, welche global bisher nicht umsetzbar zu sein scheint. Da IL aufgrund der freien Wechselkurse kaum noch vom IWF abhängig sind,[5] fokussiert sich jener auf die konditionalisierte Kreditvergabe an Entwicklungs- und Schwellenländer. Gleichfalls geriet die WB frühzeitig in existentielle Not, nachdem ihr die Regierung der USA mit dem Marshall-Plan (European Recovery Program) die Rolle als Institution für Wiederaufbau und Entwicklung streitig machte. Auch sie fand in der Kredithilfe für langfristige Projekte in den EL einen Ausweg – ferner genießt sie dank des seit 1978 jährlich publizierten Weltentwicklungsberichts „gerade in ihrer Experteneigenschaft international hohes Ansehen“ (Andersen 2006c: 561). „Die Arbeitsteilung zwischen Weltbank und IWF verwischte sich zunehmend. […] Insbesondere in den Transformationsländern war eine klare Arbeitsteilung […] nicht mehr zu erkennen.“ (Nunnenkamp 2002: 6)
3. Von der Verschuldungskrise übers Verlorene Jahrzehnt zur Komplexität
Die Entwicklungspolitik der RGOs rückte Anfang der 80er Jahre erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit. Während bis zum Beginn des Niedergangs der Sowjetunion entweder dem Kommunismus oder Kapitalismus hörige nationalstaatliche Akteure Hilfsleistungen – Militärhilfe nahm dabei einen wichtigen Platz ein – an Regierungen in Dritte-Welt-Länder transferiert hatten, waren beide Systemkonkurrenten spätestens seit Gorbatschows Perestroika kaum mehr auf ‚erkaufte Solidarität’ aus. Dies war ein notwendiger Faktor der Verschuldungskrise, welche hinreichend indes nur mithilfe einer weit komplexeren Kohärenz verschiedener Einflüsse erklärt werden kann. Hier nehmen WB und IWF eine gewichtige Rolle als Krisenmanager ein. Als von Ideologien und Machtinteressen gesteuerte Institutionen wurde ihr Handeln der Komplexität einer immer weniger steuerbaren Globalisierung nur wenig gerecht. Im Gegenteil: Das ‚Gramscianische Konzept’ der Hegemonie, coercion & consent – Nötigung und Zustimmung, muss vor dem Hintergrund von Verschuldung, Abhängigkeit und Einwilligung kritisch reflektiert werden.
3.1 Verschuldung als Resultat komplexer Vielschichtigkeit
Seit dem ‚Mexiko-Schock’ im Jahre 1982 spricht man von der ‚Internationalen Verschuldungskrise’. Noch heute gelten gemäß den Kriterien der WB rund 40 Staaten als hoch verschuldet. (Graphik 4) „Bei der Kausalanalyse besteht große Übereinstimmung darüber, dass es sich um eine Faktorenkombination handelt“ (Andersen 2006b: 236), wobei sich endogene und exogene Krisenfaktoren gegenseitig bedingten und „den IWF als Krisenmanager zur mächtigsten internationalen Organisation machten“ (Nuscheler 2006: 356).
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So geht die Verschuldung zum einen auf jene invisible hand zurück, der neoliberale Akteure ordnende Fähigkeiten zuschreiben. Damals wie heute gingen Unternehmen Verbindlichkeiten auf dem Kapitalmarkt ein, um in Gastländern zu investieren. Doch statt Gewinne zu reinvestieren, transferierten sie diese in die Heimat und beteiligten sich somit durch Exploitation aktiv an der Schuldenkrise. Zum anderen hatte der Gebrauch des Wirtschaftsfaktors Erdöl als politisches Druckmittel durch die von arabischen Rentierstaaten dominierte OPEC (Organisation of the Petroleum Exporting Countries) die wohl eminenteste Wirkung. EL, meist auf durch Export erwirtschaftete ausländische Devisen angewiesen, sahen sich einem Verfall ihrer terms of trade[6] ausgesetzt. Herumvagabundierende petro-dollars, die aus dem Ölverkauf resultierten, suchten nach zinsträchtigen Anlagemöglichkeiten und fanden diese bei westlichen Privatbanken. Die wiederum vergaben aufgrund der unverhofften Liquidität Kredite zu marginalen Zinssätzen – welche allerdings ob des riesigen Haushaltsdefizits der Reagan-Administration bald ansteigen sollten – an EL.
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[1] Neben beschriebener Ungleichzeitig- und Ungleichmäßigkeit birgt Globalisierung einen weiteren dialektischen Aspekt: „Glokalisierung“. Dieser Kunstbegriff beschreibt sowohl weltweite Verflechtung als auch Lokalisierung. „Erstens, dass globale Entwicklung auf die lokale Ebene durchschlagen und das tägliche Leben in vielfältige Weise verändern, zweitens […] dass sie den Rückzug in vertraute soziokulturelle Umfelder fördert.“ (Nuscheler 2006: 58)
[2] „Die Rolle des ‚starken Staates’ ist weder allein mit seiner Funktion als ‚Frontstaat’ im Ost-West-Konflikt noch mit dem Erbe des Autoritarismus im ‚konfuzianischen Kulturkreis’ zu erklären, sondern muss auch das Erbe des japanischen Kolonialismus [Anm.: Dieser beutete zwar auch aus, allerdings wurde zusätzlich auf Produktivität wert gelegt.] berücksichtigen.“ (Nuscheler 2006: 220)
[3] Daten werden anhand von zwölf Indikatoren erhoben, welche sich in soziale (Demographie, Internally Displaced Persons, Migration, etc.), ökonomische (Wirtschaftskraft, soziale Ungleichheit) und politische (Legitimität des Staates, öffentliche Dienstleistungen, Sicherheit, Eliten, Rechtsstaatlichkeit etc.) Gegebenheiten ausdifferenzieren.
[4] „Grundentscheidungen werden von der einmal jährlich tagenden Gouverneursversammlung getroffen, in der jedes Mitgliedsland in der Regel durch den Finanzminister vertreten ist. Das inzwischen aus 24 Mitgliedern bestehende Exekutivdirektorium ist für wichtige laufende Entscheidungen zuständig. An der Spitze des international zusammengesetzten Stabes steht ein auf fünf Jahre gewählter Präsident mit traditionell starker Stellung, der gleichzeitig den Vorsitz im Exekutivdirektorium führt.“ (Andersen 2006c: 558)
[5] „Nach 1978 nahm kein größeres Industrieland mehr kurzfristige IWF-Kredite in Anspruch. [Sie] konnten sich deshalb der wirtschaftspolitischen Überwachung durch den IWF weitgehend entziehen.“ (Nunnenkamp 2002: 6)
[6] Die Terms of Trade beschreiben das Austauschverhältnis von Exporten und Importen. Dazu wird das Export- zum Importgüterpreisniveau ins Verhältnis gesetzt. Je weiter der dabei berechnete Wert unter 1 fällt, desto negativer wirken sich die teuren Importe bzw. die nur schwach vom Ausland nachgefragten inländischen Produkte auf die Marktwirtschaft des Landes aus.
- Arbeit zitieren
- Christoph Gollasch (Autor:in), 2008, Wie im Westen so auf Erden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121921
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