Ausgehend von Hans-Joachim Cremers kritischem Aufsatz „Völkerrecht - alles nur Rhetorik“, in dem er sich mit Jack L. Goldsmiths und Eric A. Posners Buch „The Limits of International Law“ auseinandersetzt, versucht diese Arbeit, die Argumente der genannten beiden Autoren zu entkräften. Im Zentrum der Gegenargumente steht dabei vor allem, dass sie zwar den Nutzen des Völkerrechts anerkennen, aber seine Verbindlichkeit als Rechtsordnung leugnen, ja sogar davon ausgehen, dass es sich um kein Recht im Sinne dieses Begriffs handelt. Kapitel 1 wird sich der Bedeutung des Rechtsbegriffs für das Völkerrecht widmen und dabei untersuchen, welche Elemente für diesen Begriff notwendig sind, welche Eigenschaften das Völkerrecht als Ordnungssystem besitzt und wie es sich mit dem schwächsten Punkt einer Verteidigung vereinbaren lässt, dem Fehlen eines zentralisierten Durchsetzungsmechanismus.
Kapitel 2 wird sich mit möglichen Erklärungen für zwischenstaatliches Handeln beschäftigen. Der erste Abschnitt verfolgt Gegenargumente zur reduktionistischen rational choice-Theorie, mit der Goldsmith und Posner sehr ungeschickt Politik und Recht miteinander vermischen und sodann das daraus resultierende Staatenverhalten kausalwissenschaftlich und nicht normativ erklären wollen. Dabei stehen für sie nur die Staatsinteressen im Mittelpunkt, deren Zweck es gerade ist, Völkerrecht nicht oder nur als bloßes Mittel einzuhalten. Der zweite Abschnitt widmet sich der Problematik rund um das Völkergewohnheitsrecht und einer Verteidigung dieser speziellen Institution des Völkerrechts, die immer besonders heftiger Kritik von Seiten der Leugner und Skeptiker ausgesetzt war. Hier und im dritten Abschnitt, in dem es um das Völkervertragsrecht geht, wird ein funktionelles Konzept des Völkerrechts dargestellt, das sich sowohl auf eine Kosten-Nutzen-Analyse als auch die Bedeutung der reputational costs, dh. einer möglichen Rufschädigung oder eines Gesichtsverlust für den betroffenen Staat, als Zwangsmittel für die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen stützt.
Inhalt
Einleitung
1 Bedeutung des Rechtsbegriffs für das Völkerrecht
2 Erklärungen zwischenstaatlichen Handelns
2.1 Kritik an der rational choice-Theorie
2.2 Völkergewohnheitsrecht
2.3 Völkervertragsrecht
3. Conclusio
Literaturverzeichnis
Einleitung
Ausgehend von Hans-Joachim Cremers kritischem Aufsatz „Völkerrecht - alles nur Rhetorik“, in dem er sich mit Jack L. Goldsmiths und Eric A. Posners Buch „The Limits of International Law“ auseinandersetzt, versucht diese Arbeit, die Argumente der genannten beiden Autoren zu entkräften. Im Zentrum der Gegenargumente steht dabei vor allem, dass sie zwar den Nutzen des Völkerrechts anerkennen, aber seine Verbindlichkeit als Rechtsordnung leugnen, ja sogar davon ausgehen, dass es sich um kein Recht im Sinne dieses Begriffs handelt. Kapitel 1 wird sich der Bedeutung des Rechtsbegriffs für das Völkerrecht widmen und dabei untersuchen, welche Elemente für diesen Begriff notwendig sind, welche Eigenschaften das Völkerrecht als Ordnungssystem besitzt und wie es sich mit dem schwächsten Punkt einer Verteidigung vereinbaren lässt, dem Fehlen eines zentralisierten Durchsetzungsmechanismus.
Kapitel 2 wird sich mit möglichen Erklärungen für zwischenstaatliches Handeln beschäftigen. Der erste Abschnitt verfolgt Gegenargumente zur reduktionistischen rational choice -Theorie, mit der Goldsmith und Posner sehr ungeschickt Politik und Recht miteinander vermischen und sodann das daraus resultierende Staatenverhalten kausalwissenschaftlich und nicht normativ erklären wollen. Dabei stehen für sie nur die Staatsinteressen im Mittelpunkt, deren Zweck es gerade ist, Völkerrecht nicht oder nur als bloßes Mittel einzuhalten. Der zweite Abschnitt widmet sich der Problematik rund um das Völkergewohnheitsrecht und einer Verteidigung dieser speziellen Institution des Völkerrechts, die immer besonders heftiger Kritik von Seiten der Leugner und Skeptiker ausgesetzt war. Hier und im dritten Abschnitt, in dem es um das Völkervertragsrecht geht, wird ein funktionelles Konzept des Völkerrechts dargestellt, das sich sowohl auf eine Kosten-Nutzen-Analyse als auch die Bedeutung der reputational costs, dh. einer möglichen Rufschädigung oder eines Gesichtsverlust für den betroffenen Staat, als Zwangsmittel für die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen stützt.
Schließlich wird die Conclusio am Ende das Vorgebrachte kurz zusammenfassen und die vorgebrachten Gegenargumente zu Goldsmiths und Posners Ansichten nochmals hervorheben.
1. Bedeutung des Rechtsbegriffs für das Völkerrecht
Jack L. Goldsmith und Eric A. Posner nehmen eine ähnliche Position wie John Bolton, der frühere US-amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, ein, wenn sie dem Völkerrecht nur „rhetorischen Charakter“1zuerkennen und seine rechtliche Verbindlichkeit verneinen. Sie alle betrachten es lediglich als politische oder moralische Verpflichtung, völkerrechtliche Verträge einzuhalten, keinesfalls aber als rechtliches Gebot: „[…] there is no reason to consider treaties as ‚legally’ binding internationally, and certainly not as ‚law’ themselves.“2
Folgt man der strengen Definition von Recht, wonach es sich dabei „in seinem wesentlichen Kern um eine Menge von sozialen Normen [handelt], (1) deren Wirksamkeit zumindest im Großen und Ganzen durch organisierten Zwang garantiert wird, (2) deren Anwendung und Erzeugung auf Ermächtigung beruht und (3) deren Anspruch auf Verbindlichkeit die Überzeugung ihrer Legitimität voraussetzt,“3dann muss man den Skeptikern wohl Recht geben und zustimmen, dass das Völkerrecht keine wirksamen zentralisierten Institutionen im Bereich der Legislative, Exekutive und Judikative kennt.4 Dennoch wurde bereits Ende des
19. Jahrhunderts der von Rudolf von Jhering geäußerte Leitsatz, dass das „Festhalten an dem Zwange als wesentlichem Erfordernis des Rechts“5 unabdingbar sei, angezweifelt, weil jedes Recht darüber hinaus Verhaltensregeln und Handlungsmuster beinhaltet, sowie Reflexivität, Funktionalität und Normativität aufweist. Ebenso besteht das Völkerrecht nicht nur aus einer gewissen Anzahl von unverbindlichen Regeln und Richtlinien, sondern ist ein komplexes Normensystem, das sich vom vertikal wirkenden nationalstaatlichen Recht nur durch seine horizontale Ausrichtung unterscheidet.6
Schließlich sprechen für das Rechtswesen des Völkerrechts weitere Fakten: Erstens gehen Staaten davon aus, dass das von ihnen gemeinsam geschaffene Recht für sie bindend ist, d.h. für sie hieraus nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten erwachsen. Zweitens anerkennen sie dieses Recht mit opinio iuris auch als solche Verbindlichkeit, was der französische Jurist Charles Rousseau mit folgendem Satz kommentiert hat: „ Ce caractère obligatoire résulte du
fait qu’il est ‚reconnu’ par les Etats.“7Drittens ist das Völkerrecht nicht derjenige zahnlose Tiger, als der es immer wieder dargestellt wird, sondern verfügt über ein Zwangsinstrumentarium im Interesse seiner Durchsetzung8, z.B. im Rahmen des Kapitels VII der UN-Charta oder auch durch Schiedsgerichte, die durch Vertragsklauseln eingerichtet werden können und deren Urteile für die Streitparteien bindend sind.
Auch wenn diese Zwangsmittel aufgrund der politischen Realität nicht immer zur Sanktionierung von Völkerrechtsverletzungen führen und die Sicht erhärten, dass auf internationaler Ebene das Recht des Stärkeren herrsche, ist das Völkerrecht keine
„archaische“ oder „primitive“ Rechtsordnung: „Das Völkerrecht ist Recht. Weder bloße Moral noch bloße Sitte, sondern echtes Recht. Aber ein Recht eigentümlicher Prägung mit starken Besonderheiten gegenüber dem staatlichen Recht.“9Diese eigentümliche Prägung verdankt es vor allem der Tatsache, dass es sich vielmehr um ein internationales Koordinationsrecht als ein nationalstaatliches Subordinationsrecht10handelt, das darüber hinaus einen Kernbestand von universell gültigen Normen beinhaltet. Dazu zählt man vor allem die ius cogens -Normen iSd Art 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, wie z.B. das Aggressionsverbot, das Verbot des Sklavenhandels und des Völkermordes, das Gebot der Achtung elementarer Menschenrechte sowie Normen des humanitären Völkerrechts, die direkte Verbote an Staaten und Einzelpersonen enthalten11.
Schließlich führt Cremer in seinem Aufsatz ein gewichtiges Argument für den normativen Charakter des Völkerrechts und der vorhandenen opinio iuris der Staaten dafür an, wenn er meint, dass der Versuch eines Staates, einen Normbruch zu rechtfertigen, diese Norm zugleich als solche und in ihrer Anerkennung bestätigt.12 Denn erst diese Rechtfertigung für eine unerwünschte oder gar verbotene Handlung drückt die Überzeugung eines Staates aus, dass Völkerrecht tatsächlich eine Rechtsordnung ist, und spricht für dessen Willen, diese Rechtsordnung in der Regel auch einzuhalten.
[...]
1 Vgl. Hans-Joachim Cremer, Völkerrecht - alles nur Rhetorik?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 67 (2007), 2, 267.
2 John R. Bolton, Is There Really „Law“ in International Affairs?, in: Transnational Law & Contemporary Problems, Vol.10, 2000, 4.
3 Peter Koller, Theorie des Rechts, 1997, 44.
4 Vgl. Cremer, ibid.
5 Vgl. Panos Terz, Die Völkerrechtstheorie, Versuch einer Grundlegung in Hauptzügen. Pro Theoria Generalis Scientiae Iuris Inter Gentes, in: Papel Político Bogotá (Colombia), Vol. 11, No.2, 699.
6 Vgl. Rosalyn Higgins, Problems and Process. International Law and How We Use It, 1995, 1.
7 Charles Rousseau, Droit International Public, Tome I, 1970, 25.
8 Vgl. Terz, ibid., 702f.
9 Ibid., 703.
10 Vgl. Walter Jaeschke, Vom Völkerrecht zum Völkerrecht. Ein Beitrag zum Verhältnis von Philosophie und Rechtsgeschichte, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 56 (2008), 2, 296.
11 Vgl. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 20045, § 15, Rn. 59, 193.
12 Vgl. Cremer, ibid., 279.
- Quote paper
- Mag.phil. Paul Gragl (Author), 2009, Völkerrecht als Rechtsordnung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121741
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