Diese Arbeit setzt sich mit der Resilienzförderung an Offenen Ganztagsschulen auseinander. Die nunmehr seit mehr als eineinhalb Jahren grassierende COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden behördlichen Eindämmungsmaßnahmen verlangt den Menschen auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen des Lebens viel ab. Daher scheint die Resilienz ein wichtiger Baustein, um Gesundheit – als höchstes Gut − zu erhalten und / oder wiederzuerlangen.
Vor allem wenn Traumata entstehen, zum Beispiel durch schwere Krankheitsverläufe oder gar Tod, aber auch durch finanziellen Ruin innerhalb der Familie. Kindern und Jugendlichen ist hier besondere Beachtung zu schenken, da sie häufig (noch) nicht über die nötigen persönlichen Ressourcen verfügen, diesen Traumata resilient zu begegnen. Gerade auch, wenn der familiäre Rückhalt fehlt – grundsätzlich oder weil die Erwachsenen selbst traumatisiert sind, bedürfen sie hier besonderer Unterstützung.
Da Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Zeit im Lebensraum Schule verbringen und hier, durch Pädagog*innen und Mitschüler*innen untereinander, Einfluss auf Wertvorstellungen und Ansichten genommen wird, scheint die Schule ein geeigneter Ort, um auch auf die Fähigkeit zum resilienten Umgang mit Schwierigkeiten einzuwirken. Ein weiterer möglicher Ort zur Umsetzung von resilienzfördernden Unterstützungsangeboten können Offene Ganztagsschulen an weiterführenden Schulen sein. Die Kinder und Jugendlichen können hier im vertrauten schulischen Rahmen aufgefangen werden, ohne dass sie ein weiteres (externes) Angebot aufsuchen müssen. Der Zugang ist somit niedrigschwellig, was zusätzlich mögliche Hemmschwellen vermindert bzw. beseitigt.
Da die Offene Ganztagsschulen in der Regel auf die unteren Klassenstufen (5 bis 7) begrenzt ist, soll sich die Arbeit auf diese Altersgruppe beziehen, was auch deshalb vorrangig erscheint, da Jugendliche höherer Klassenstufen oft mehr Rückhalt in ihren jeweiligen Peergroups erfahren als jüngere Kinder und Jugendliche, welche noch mehr auf die Unterstützung aus der eigenen Familie angewiesen sind. Da in einer Offene Ganztagsschule natürlich nicht alle Kinder und Jugendlichen der zugelassenen Klassenstufen angemeldet sind, profitiert jedoch genau die Gruppe an Schüler*innen, die – egal aus welchen Gründen – der zusätzlichen Unterstützung durch die Offene Ganztagsschule bedarf und eventuell Maßnahmen zur Resilienzförderung am nötigsten hat.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Ziele und Forschungsfragen
1.2.1 Ziele
1.2.2 Forschungsfragen
1.3 Methodisches Vorgehen
2 Theoretische Grundlagen
2.1 COVID-19-Pandemie
2.1.1 Definition COVID-19
2.1.2 Definition Pandemie
2.2 Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche der betrachteten Altersgruppe
2.2.1 Aktuelle Studien und Erkenntnisse
2.2.2 Erklärungsversuche und Zusammenhänge
2.3 Resilienz und Resilienzförderung
2.3.1 Definition Resilienz
2.3.2 Abgrenzung zum Coping
2.3.3 Abgrenzung zur Ressourcenorientierung
2.3.4 Kritische Anmerkungen zum Resilienzkonzept
2.3.5 Resilienzförderung als mögliche Gegenmaßnahme der Auswirkungen
2.4 Offene Ganztagsschule
2.4.1 Definition
2.4.2 Offene Ganztagsschule als geeigneter Ort zur Resilienzförderung
2.4.3 Theorien und Methoden
3 Methodik
3.1 Bestandsaufnahme
3.1.1 Ist-Situation der Resilienzförderung von Kindern und Jugendlichen
3.1.2 Ist-Situation der Resilienzförderung an Offenen Ganztagsschulen der Klassenstufe 5 bis 7
3.1.3 Ist-Situation der Resilienzförderung vor dem Hintergrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
3.2 Suche und Aufzeigen von Verbesserungspotentialen
3.3 Soll-Situation der Resilienzförderung der betrachteten Altersgruppe an Offenen Ganztagsschulen vor dem Hintergrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
3.4 Soll-Ist-Abgleich
4 Erreichung der Soll-Situation
4.1 Konzeptentwurf und Handlungsempfehlungen
4.2 Zusammenfassung
5 Schlussbetrachtung
5.1 Zusammenfassung
5.2 Beantwortung der Forschungsfragen
5.3 Resümee und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zufriedenheit mit dem Kontakt und Austausch mit Freunden
Abbildung 2: Emotionales Befinden während der Schulschließung
Abbildung 3: Körperliches Befinden während der Schulschließung
Abbildung 4: Stress in der Kindheit
Abbildung 5: Wirkungskette
Abbildung 6: Aufbau der Übungsbeispiele
1 Einleitung
1.1 Motivation
Die nunmehr seit mehr als eineinhalb Jahren grassierende COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden behördlichen Eindämmungsmaßnahmen – „Social Distancing“1, Quarantäneanordnungen, Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, etc. − verlangt den Menschen auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen des Lebens (physisch, psychisch, seelisch, finanziell, …) viel ab. Das ist den Medien und persönlichen Beobachtungen täglich zu entnehmen. Daher scheint die Resilienz ein wichtiger Baustein, um Gesundheit – als höchstes Gut − zu erhalten und / oder wiederzuerlangen. Vor allem, wenn Traumata entstehen, z. B. durch schwere Krankheitsverläufe oder gar Tod, aber auch durch finanziellen Ruin innerhalb der Familie. Kindern und Jugendlichen ist hier besondere Beachtung zu schenken, da sie häufig (noch) nicht über die nötigen persönlichen Ressourcen verfügen, diesen Traumata resilient zu begegnen. Gerade auch, wenn der familiäre Rückhalt fehlt – grundsätzlich oder weil die Erwachsenen selbst traumatisiert sind, bedürfen sie hier besonderer Unterstützung.
Da Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Zeit im Lebensraum Schule verbringen und hier, durch Pädagog*innen und Mitschüler*innen untereinander, Einfluss auf Wertvorstellungen und Ansichten genommen wird, scheint die Schule ein geeigneter Ort, um auch auf die Fähigkeit zum resilienten Umgang mit Schwierigkeiten einzuwirken. Programme und Vorlagen, um dies ins Unterrichtsgeschehen einzubinden, existieren bereits, wie die vorliegende Arbeit zeigen wird. Lehrkräfte und Schüler*innen sind derzeit allerdings häufig zunächst damit beschäftigt, im Distanzunterricht versäumte Lehrplaninhalte nachzuarbeiten und durch zusätzliche Fördermaßnahmen zu vertiefen, sodass für zusätzliche, nichtverpflichtende Inhalte kaum Zeit und Raum bleiben dürfte.
Somit könnten ein weiterer möglicher Ort zur Umsetzung von resilienzfördernden Unterstützungsangeboten, Offene Ganztagsschulen (OGS) an weiterführenden Schulen sein. Die Kinder und Jugendlichen können hier im vertrauten schulischen Rahmen aufgefangen werden, ohne dass sie ein weiteres (externes) Angebot aufsuchen müssen. Der Zugang ist somit niedrigschwellig, was zusätzlich mögliche Hemmschwellen vermindert bzw. beseitigt. Da die OGS i. d. R. auf die unteren Klassenstufen (5 bis 7) begrenzt ist, soll sich die Arbeit auf diese Altersgruppe beziehen, was auch deshalb vorrangig erscheint, da Jugendliche höherer Klassenstufen oft mehr Rückhalt in ihren jeweiligen Peergroups erfahren als jüngere Kinder und Jugendliche, welche noch mehr auf die Unterstützung aus der eigenen Familie angewiesen sind. Da in einer OGS natürlich nicht alle Kinder und Jugendlichen der zugelassenen Klassenstufen angemeldet sind, profitiert jedoch genau die Gruppe an Schüler*innen, die – egal aus welchen Gründen – der zusätzlichen Unterstützung durch die OGS bedarf und evtl. Maßnahmen zur Resilienzförderung am nötigsten hat.
Aufgrund der föderalistischen Bildungspolitik in Deutschland und der eigenen pädagogischen Tätigkeit der Verfasserin an einer OGS einer weiterführenden Schule in Bayern, wird sich die Arbeit vorrangig im Rahmen der bildungspolitischen Gegebenheiten Bayerns orientieren.
1.2 Ziele und Forschungsfragen
1.2.1 Ziele
Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick zu bieten, welche Konzepte zur Resilienzförderung im Allgemeinen es (auch an Schulen) für die oben eingegrenzte Altersgruppe bereits gibt, welche Konzepte im Speziellen im Bereich der OGS angewendet bzw. durchgeführt werden können und wo es noch Erweiterungen der vorhandenen Konzepte bzw. weiterer neuer Konzepte bedarf, um sie speziell auf die derzeitigen Problemlagen der Zielgruppe anwenden zu können und diese neuen Konzepte dann ggf. zu entwickeln.
1.2.2 Forschungsfragen
Hinsichtlich der Ziele ergeben sich folgende Forschungsfragen:
Welche Möglichkeiten der Resilienzförderung gibt es vor dem Hintergrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie für Schüler*innen in Offenen Ganztagsschulen der Klassenstufe 5 bis 7 in Bayern?
Welche Konzepte gibt es bereits und welche Handlungsempfehlungen können bzgl. der besonderen Situation (weiter-)entwickelt werden?
1.3 Methodisches Vorgehen
Ich habe mich für eine Literatur- bzw. Evaluationsarbeit entschieden, da ich vor dem Hintergrund dieses Themas keine Möglichkeit für eine empirische Studie sehe, und nach Böhme (2019: 23−29) Resilienzmessungen aus verschiedenen Gründen schwierig sind (dazu mehr in 2.3.4).
Zunächst werden Begrifflichkeiten definiert und erläutert, wie sich die Pandemie bisher auswirkt und warum die Resilienzförderung hier angezeigt ist. Im Weiteren soll aufgezeigt werden, warum die OGS ein geeigneter Ort für dieses Unterstützungsangebot sein kann. Im Anschluss werden bestehende Konzepte ergründet, vorgestellt und auf deren Anwendbarkeit im hier eingegrenzten Rahmen geprüft. Je nach Ergebnislage sollen die bestehenden Konzepte weiterentwickelt und / oder neue Konzepte generiert werden, um sie für die Arbeit in Offenen Ganztagsschulen anwendbar zu machen.
Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung, der Beantwortung der Forschungsfragen, sowie einem Ausblick.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 COVID-19-Pandemie
2.1.1 Definition COVID-19
COVID-19 (Coronavirus Disease 2019) beschreibt eine Virus-Erkrankung, die durch das Virus SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus type 2) ausgelöst und 2019 zum ersten Mal beschrieben wurde (vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA 2021a).
2.1.2 Definition Pandemie
Als Pandemie, wird eine „zeitlich begrenzte weltweite Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und in der Regel auch schweren Verläufen [bezeichnet]. COVID-19 wurde am 11.03.2020 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer Pandemie erklärt“ (BZgA 2021a).
2.2 Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche der betrachteten Altersgruppe
Durch die globale Ausbreitung des Coronavirus und der damit einhergehenden teils sehr schweren Krankheitsverläufe wurden weltweit verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen. Zu diesen Maßnahmen gehörten und gehören teilweise noch immer Kontaktbeschränkungen, Schließung ganzer Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, Social Distancing und Quarantänemaßnahmen – gravierende Einschnitte im Alltag Aller, auch dem der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern (vgl. 1.1). Aufgrund der Aktualität des Themas bzgl. des Zusammenhanges mit der COVID-19-Pandemie, ist die Datenlage noch im Aufbau. Im folgenden Kapitel sollen erste Studienergebnisse und Erkenntnisse betrachtet werden, um sie im sich anschließenden Kapitel in einen Zusammenhang zu setzen.
2.2.1 Aktuelle Studien und Erkenntnisse
Der Oberarzt der Kinder- und Jugendambulanz für psychische Gesundheit der Vitos Klinik Rheingau in Wiesbaden, Daniel Sammet (2021: 222), berichtet rückblickend über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, dass während der ersten Welle im Frühjahr 2020 Verunsicherungen, Ängste und Sorgen bei den Patient*innen und deren Familien zu beobachten waren. Durch den Fokus auf den rein somatischen Gesundheitszustand und dem Vermeiden von nicht dringend notwendigen Behandlungen, entstand bei den Fachkräften der Klinik „die Sorge, dass es in dieser Zeit zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt gegenüber Kinder [sic] kommen könnte“ (Sammet 2021: 222), was erfreulicherweise zunächst nicht eingetreten ist (vgl. ebd.). Dass es im Sommer 2020 durch den Rückgang der Infektionszahlen zur schrittweisen Rückkehr zu Alltagsroutinen kommen konnte, sieht Sammet (vgl. ebd.) auch in der Wiedereröffnung der Schulen begründet. Diese böten „Struktur und einen sicheren Rahmen. Der Präsenzunterricht ermöglich[e] soziale Kontakte und Gemeinschaft“ (ebd.). Auch wenn der Distanzunterricht von einigen der Patient*innen als Möglichkeit zu mehr Rückzug, weniger ablenkend und weniger konfliktträchtig erlebt wurde (vgl. ebd.).
Die COPSY-Studie2 des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), die „in Anlehnung an das Design und die Methodik der repräsentativen longitudinalen BELLA-Kohortenstudie konzipiert [wurde, die] […] das Modul zur psychischen Gesundheit der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) [ist], welche seit 2003 in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut durchgeführt wird“ (Ravens-Sieberer et al. 2021: 2), kommt in ihrer zweiten Befragungsrunde zwischen Mitte Dezember 2020 und Mitte Januar 2021 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass „Kinder und Jugendliche […] weiterhin stark [psychisch] unter [der] Corona-Pandemie [leiden]“ (Lemm 2021: 1). Sorgen, Ängste, depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden hätten weiter zugenommen bzw. wären verstärkt zu beobachten (vgl. ebd.). Bereits während der ersten Befragungsrunde der COPSY-Studie vom 26. Mai bis zum 10. Juni 2020, konnte festgestellt werden, dass sich von den „1586 [teilnehmenden] Familien mit Kindern im Alter von 7 bis 17 Jahren […] 70,7% der Kinder und Jugendlichen und 75,4% der Eltern durch die Pandemie und die damit einhergehenden Veränderungen belastet [fühlten]“ (Ravens-Sieberer et al. 2021: 4). Konkrete Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten zeigten sich in einem Anstieg des Medienkonsums, einer Verringerung bzw. völligen Aufgabe der sportlichen Betätigung und einer Verschlechterung des Essverhaltens hin zu erhöhtem Süßigkeiten-Konsum (vgl. Ravens-Sieberer et al. 2021: 7f.).
Eine von der DAK-Gesundheit3 in Auftrag gegebene forsa-Umfrage4, die vom 7. bis 14. Mai 2020 als Online-Erhebung „1.005 Elternteile bzw. Erziehungsberechtigte und jeweils ein zugehöriges Kind im Alter von 10 bis 17 Jahren nacheinander befragt[e]“ (forsa 2020: 2), kommt in ihren Untersuchungsbefunden zu dem Schluss, dass insgesamt 62% der Kinder und Jugendlichen mit dem Kontakt und Austausch mit Freund*innen während der Schulschließung unzufrieden waren (vgl. ebd.: 22). Davon waren 39% eher unzufrieden und 23% sehr unzufrieden (Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zufriedenheit mit dem Kontakt und Austausch mit Freunden
(forsa 2020: 22)
26% hatten oft, weitere 5% sehr oft das Gefühl von Stress; 20% erlebten oft (4% sehr oft) Streit in der Familie und 19% hatten oft (6% sehr oft) ein Gefühl von Traurigkeit (vgl. forsa 2020: 23), wie in Abbildung 2 zu sehen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Emotionales Befinden während der Schulschließung (forsa 2020: 23)
Bei Fragen zum körperlichen Befinden gaben 23% an, mehrere Male in der Woche oder täglich an Erschöpfung bzw. Müdigkeit zu leiden, 22% hatten Schwierigkeiten mit ihrem Schlaf und 11% verspürten mehrmals wöchentlich oder täglich Schmerzen (Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Körperliches Befinden während der Schulschließung (forsa 2020: 26)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Kinder und Jugendliche von Verunsicherungen, Sorgen, Ängsten und Stress betroffen waren, und dass es Streit in den Familien gab – dem man durch Schulschließungen, Lockdowns und Quarantänemaßnahmen auch nicht entfliehen konnte, oder den man durch Kontakt zu Freund*innen hätte kompensieren können. Auch waren sie allgemein mit dem (verringerten) Kontakt zu ihren Freunden unzufrieden. Der sportliche Ausgleich fehlte ebenfalls, was bei vielen Kindern und Jugendlichen dazu führte, dass sie den Sport ganz aufgaben, da auch hier die Routine wegbrach. Auf der anderen Seite führten das Wegbrechen von Abläufen und Routinen, sowie der fehlende Kontakt zu Freund*innen zu vermehrtem Medienkonsum und einem erhöhten Konsum von Zucker in Form von Süßigkeiten. Psychische Auswirkungen zeigten sich in Traurigkeit, bis hin zu depressiven Symptomen und psychosomatischen Beschwerden, wie Müdigkeit und Erschöpfung, Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten und Schmerzen, wie z. B. Bauch-, Rücken- oder Kopfschmerzen.
Eine weitere Studie während des Lockdowns im Frühjahr 2020, durchgeführt von Forschenden des Deutschen Jugendinstituts (DJI) untermauert diese Ergebnisse dahingehend, dass auch sie zu dem Schluss kommen, dass „die Zeit der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen für die Kinder eine Belastung darstellte“ (Langmeyer et al. 2020: 59). Allerdings weisen sie auch darauf hin, dass es den Kindern und Jugendlichen umso besser gelang mit der Gesamtsituation zurecht zu kommen, je besser die häusliche Situation (im Sinne eines positiven Familienklimas und elterlicher Unterstützung), der Kontakt zu Freund*innen bzw. Peers und zu Lehrkräften bzw. vorherigen Betreuungspersonen war. Hier zeigt sich bereits ein erster Hinweis auf mögliche Angriffspunkte, um den (besseren) Umgang mit künftigen Krisen solchen Ausmaßes vorzubereiten.
Im folgenden Kapitel sollen nun die Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen in Zusammenhang gesetzt werden, um so mögliche Erklärungen zu finden, die im weiteren Verlauf der Arbeit zu möglichen Fördermaßnahmen führen können.
2.2.2 Erklärungsversuche und Zusammenhänge
Hasler (2017: 98f.) weist in Bezug auf das Erleben von Stress im Zusammenhang mit Angst darauf hin, dass es einen Unterschied macht, ob es sich um bekannte oder unklare Risiken handelt. Wenn eine Gefahr oder Bedrohung also konkret bzw. bekannt ist, sind die meisten Menschen weniger gestresst, als wenn dies nicht der Fall ist (vgl. ebd.).
Auf die COVID-19-Pandemie kann man diese Tatsache insofern übertragen, als dass man nicht vorhersehen kann, ob man sich infiziert, wie schwer man im Falle einer Infektion erkrankt und ob die Infektion im schlimmsten Fall zum Tod führt. Zwar ist bekannt, dass Menschen mit gewissen Vorerkrankungen eine Disposition für schwerere bis schwere Verläufe haben, aber auch hier bestätigen (glückliche) Ausnahmen die vermeintliche Regel. Einzig durch die Einhaltung der Maßnahmen und die Vorsorge z. B. durch eine Schutzimpfung (Anhang 1) lassen sich die Risiken minimieren, jedoch trotz alledem nicht gänzlich eliminieren (vgl. BZgA 2021b). Ob dieses ungewissen Schicksals wird nun bei vielen Menschen Stress ausgelöst, mit dem unterschiedlich umgegangen wird. Während die Einen für sich das Risiko zu minimieren suchen und sich in Folge dessen an die von fachkundigen Wissenschaftler*innen vorgeschlagenen und von der Regierung teils angeordneten Maßnahmen halten, setzt bei Anderen − als Gegenmaßnahme − eine Verdrängungsreaktion ein, indem sie die für sie nicht greifbare Gefahr bagatellisieren und sich auf ihre Gefühle verlassen (Nachweisbar an Aussagen, wie etwa das ist doch nur eine Grippe, ich bin jung und gesund, für mich ist das nicht gefährlich ).
Hasler (2017: 114) spricht hier von der „Innenorientierung […], [bei der] regelmäßig objektive Gefahrensignale [übersehen werden]“. Er (ebd.: 113) vermutet den Grund dieser Einschätzung von Sicherheit in einer „Anpassung an die allgemein abnehmende soziale Integration und den steigenden Wert individueller Autonomie“ und gibt als Beleg an, dass nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu sehen war, dass „[v]iele Amerikaner […] danach den Piloten, Flughäfen, Fluggesellschaften und Sicherheitsbeamten [misstrauten] und […] aus Angst vor dem Fliegen aufs Auto um[stiegen]“ (Hasler 2017: 113). Dies führte in der Folge dazu, dass der Verkehr auf amerikanischen Straßen um 5% zunahm und 1500 Menschen bei zusätzlichen Verkehrsunfällen starben (vgl. ebd.). Als weitere Beispiele nennt Hasler (ebd.) u. a. Drogensüchtige, die unhinterfragt chemische und / oder giftige Substanzen konsumieren, aber bei „offiziell zugelassenen Medikament[en] […] sehr genau die Packungsbeilage [lesen]“.
Vergleichbar ist hier auch der Disput bzgl. homöopathischen versus schulmedizinischen Präparaten – während Homöopathie-Befürwortende, aus reinem Erfahrungswissen heraus, zwar stark verdünnte, aber dennoch giftige Inhaltsstoffe, wie Bienen(-Gift) (Apis mellifica), Giftefeu (Rhus toxicodendron) oder die Tollkirsche (Belladonna) schon an Säuglinge verabreichen, stehen Selbige wissenschaftlich geprüften und zugelassenen Maßnahmen wie Impfungen und „chemischen“ Präparaten häufig skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auch hier scheint die Innenorientierung aufgrund von nicht greifbaren Risiken (durch mögliche Krankheiten oder aber durch Anwendung von Medizin ) zu überwiegen. So ließe sich also das Verhalten von Maßnahmen-, Masken- und Impfverweigernden erklären, aber auch die unterschiedliche Art und Weise mit einer Pandemie, als nicht greifbarer Bedrohung, umzugehen. Und damit verbunden, die unterschiedliche Ausprägung der Resilienz.
Müller-Hermann (2020: 180) weist hierzu sehr passend darauf hin, dass „[d]ie Transformation unangemessener Haltungen, Dispositionen und Deutungsmuster […] daher im Modus der Krisenbewältigung erfolgen [muss]“, und dass Krisen als Chance, „unbewusst operierende[] Aspekte zu Bewusstsein zu bringen und thematisierbar zu machen“ gesehen werden müssen.
Um eine Krise erfolgreich bewältigen zu können, braucht es Resilienz, der sich das Kapitel 2.3 widmet.
2.3 Resilienz und Resilienzförderung
2.3.1 Definition Resilienz
Nach Göppel und Zander (2017: 9) entstammt der Begriff der Resilienz der Materialforschung im Zusammenhang mit der Eigenschaft von elastischem Material, das nach einer „Deformierung durch äußere Kräfte wieder in seine ursprüngliche Form“ zurückkehrt.
In der Psychologie steht Resilienz (von lat. resilire = zurückspringen, abprallen) seit den 1970er Jahren für die psychische Widerstandskraft und wurde schon im Stoizismus gelebt (vgl. Böhme 2019: 8f.), oder auch für „die Erhaltung oder zügige Wiederherstellung der psychischen Gesundheit nach einem traumatischen Erlebnis oder während adverser Lebensumstände“ (ebd.: 8). Böhme (2019: 8f.) weist darüber hinaus darauf hin, dass es auch in anderen Bereichen Resilienz gibt, etwa in Ökosystemen, beim Klima oder auch in sozialen Systemen.
Auch nach Fingerle et al. (2020: 7) geht es bei Resilienz „im Kern […] um die erfolgreiche Bearbeitung von Belastungen, Herausforderungen und Entwicklungsrisiken“. Diese Kurzdefinition bietet sich nach Meinung der Verfasserin für den Arbeitsalltag als die handhabbarste an.
Luthar et al. (2000: 543, zit. n. Göppel 2017: 133) haben eine etwas ausführlichere Art Standarddefinition für den Resilienzbegriff geschaffen:
„Resilience refers to a dynamic process encompassing positive adaptation within the context of significant adversity. Implicit within this notion are two critical conditions: (1) exposure to significant threat or severe adversity; and (2) the achievement of positive adaptation despite major assaults on the developmental process.“
2.3.2 Abgrenzung zum Coping
Bittner (2017: 112ff.) grenzt den Begriff der Resilienz vom Begriff des Coping5 ab, indem er die unterschiedlichen Forschungsansätze in den Vordergrund stellt. „Die Resilienz-Forschung denkt im Unterschied zur Coping-Forschung nicht primär in Tunskategorien [sic], sondern in der Benennung und Feststellung von Eigenschaften […] und von Faktoren, die solche Eigenschaften fördern bzw. hervorbringen“ (Bittner 2017: 113f.). Die Grundlagenlegung der Resilienzforschung geht dabei zurück auf die Forschungsarbeiten von Emmy Werner (1929−2017) auf der Insel Kauai, auf die in 3.2 noch genauer eingegangen wird (vgl. Fingerle et al. 2020: 8).
2.3.3 Abgrenzung zur Ressourcenorientierung
Margherita Zander (2009: 12) stellt sich im Hinblick auf den Praxisbezug die Frage, ob die Resilienzförderung ein völlig neuer Ansatz ist, oder ob er sich in bestehende Konzepte integrieren lässt. Ihre These ist es, dass „Resilienzförderung […], bezogen auf spezifische Zielgruppen, ein neues Arbeitskonzept [beinhaltet], […] aber in bestimmte Arbeitsfelder […] und Arbeitskontexte durchaus integrierbar [ist]“ (ebd.). Dabei stellt sie (ebd.) die neue Herangehensweise in den Fokus, „die vor allem auf die Stärken der jeweiligen Person setzt, auf ihre personalen und sozialen Ressourcen“. Eine besondere Betonung sieht sie (ebd.; vgl. auch Zander et al. 2009: 20) hierbei auf den internen Schutzfaktoren der eigenen Kräfte (oder personalen Ressourcen) und den externen Schutzfaktoren durch äußere Unterstützung (oder soziale Ressourcen), um so die Lebensrisiken und Widrigkeiten erfolgreich zu bewältigen.
Auch von Freyberg (2015: 1) erkennt im Resilienzkonzept den Fokus auf „eine[m] spezifischen Typus von Ressourcen […], eine[r] Art von seelischer Widerstandsfähigkeit […] gegenüber situativen oder chronischen, psychischen oder psychosozialen Belastungen“. „Das Resilienzkonzept begründet, verstärkt und justiert den Ressourcenansatz […] [Hervorhebungen im Original]“ (ebd.: 2).
Den o. g. Schutzfaktoren gegenüber steht beim Ressourcenansatz die „Unterscheidung zwischen materiellen und nichtmateriellen Ressourcen, […] [und deren] objektive Verfügbarkeit und den Zugang zu […] [selbigen] auf der einen und die tatsächliche subjektive Wahrnehmung und Verwendbarkeit durch das jeweilige Individuum auf der anderen Seite“ (Zander et al. 2009: 19). Zander et al. (ebd.: 19ff.) stellen fest, dass eine Abgrenzung zwar schwierig, aber dahingehend möglich ist, dass die Resilienzförderung stärker auf die nichtmateriellen Ressourcen fokussiert und sie plädieren dafür, eher von „psychosozialen Ressourcen“ (ebd.: 21) zu sprechen, als „dem Kind selbst zur Verfügung stehende[] Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten“ (ebd.), sowie die Unterstützung von außen durch Familie, Peers und soziales Umfeld (wie z. B. auch Schule und Betreuungseinrichtungen). Zudem setze die Resilienzförderung eine Zielgruppe mit besonderen Entwicklungsrisiken voraus, wie Kinder und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten, mit Fluchterfahrungen und / oder traumatischen Erlebnissen. Insofern können Kinder und Jugendliche, die den tiefgreifenden und mittlerweile mehr als eineinhalb Jahre dauernden Auswirkungen einer Pandemie ausgesetzt waren und sind, hier ebenfalls als Zielgruppe angeführt werden.
Es hat sich gezeigt, dass das Konzept der Resilienzförderung nicht eindeutig bzw. scharf vom Ressourcenansatz abgrenzbar ist. Dass es außerdem auch Gefahren birgt, wird im folgenden Kapitel durch kritische Stimmen zu Bewusstsein gebracht.
2.3.4 Kritische Anmerkungen zum Resilienzkonzept
Thomas von Freyberg (2015: 2) verweist im Hinblick auf die Zielgruppe der traumatisierten Kinder und Jugendlichen, die ihre teils in frühester Kindheit gemachten Erfahrungen oft in „befremdlichen und schwer zu ertragenden Verhaltensweisen“ (von Freyberg 2015: 2) zum Vorschein bringen darauf, dass es sich hierbei um Abwehr- und Schutzstrategien handelt und nicht etwa um schwach ausgebildete Resilienz. Somit können diese Abwehr- und Schutzstrategien etwaige Resilienzpotentiale überdecken (vgl. ebd.). Er (ebd.: 3) geht sogar so weit, das Resilienzkonzept in Verbindung mit dem Ressourcenansatz als „Instrument der Verharmlosung und Leugnung der […] Störungen und Entwicklungsblockaden [zu sehen]“. Hierbei bedauert er, dass der Ressourcenansatz in seiner Verknüpfung mit dem Resilienzkonzept die „ursprünglich kritische Frontstellung […] [im Reformprozess] verloren […] [hat und zu einem] affirmativen Konzept der Konfliktvermeidung oder Konfliktverharmlosung“ (ebd.) mutiert ist. Theoretisch-konzeptionell würde den Kindern und Jugendlichen unterstellt, dass sie prinzipiell über die nötigen Ressourcen verfügen würden, die für eine positive Entwicklung benötigt werden (vgl. ebd.). Pragmatisch-pädagogisch verbinde sich damit oft ein Verhaltenstraining zur positiven Verstärkung dieser vermeintlich vorhandenen Ressourcen (vgl. ebd.). Davon leitet er wiederum den Vorwurf des Systems an die Klient*innen ab, dass „[w]er über die notwendigen Ressourcen verfügt, […] letztlich auch die Verantwortung dafür [trägt], ob sie genutzt werden“ (ebd.) und prangert weiter an, dass „der mündige Bürger […] [, nach dem Motto des aktivierenden Sozialstaates vom Fordern statt Fördern,] unterstellt und eingeklagt [wird]“ (ebd.).
[...]
1 Social Distancing (auch „Physical Distancing”): untereinander Abstand halten und möglichst wenige Gegenstände und / oder andere Lebewesen berühren, Besuch von öffentlichen Gebäuden und Veranstaltungen vermeiden bzw. auf ein Mindestmaß reduzieren, um so die Übertragungswege von Tröpfchen- und Schmierinfektionen zu reduzieren bzw. zu verhindern und das Infektionsgeschehen einzudämmen (vgl. Bendel 2021).
2 COPSY-Studie: Studie zu Co rona und Psy che, von Forschenden des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Bundesweit erste Längsschnittstudie dieser Art, international eine der Wenigen. In einer ersten Befragungsrunde im Juni 2020 und in einer Zweiten von Mitte Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021 wurden Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren und Eltern von Kindern im Alter von 7 bis 10 Jahren bzgl. der Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Pandemie auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden befragt (vgl. Lemm 2021: 1f.).
3 DAK-Gesundheit: Die DAK-Gesundheit ist eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in Hamburg.
4 forsa: forsa Politik- und Sozialforschung GmbH.
5 Coping: Art und Weise der Stressbewältigung, veränderbar (vgl. Böhme 2019: 14f.); Coping-Strategien: „Verhaltensweisen, die […] der Stressbewältigung dienen“ (Böhme 2019: 60)
- Citation du texte
- Birgit Hickmann (Auteur), 2021, Resilienzförderung an Offenen Ganztagsschulen in der Klassenstufe 5 bis 7. Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1215829
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