Diese Arbeit interessiert sich dafür, was die PiS im Kontext des Diskurses um LGBTIQ+ und Gender mit der katholischen Kirche verbindet: Inwiefern lassen sich die verbreiteten Narrative der PiS und der katholischen Kirche vergleichen, und welche Rolle spielen die Medien dabei?
Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst auf allgemeiner Ebene die Beziehung vom Rechtspopulismus zu Gender-Narrativen beschrieben und der Begriff „Gender-Ideologie“ definiert werden (siehe Kapitel 2). Das Kapitel 3 widmet sich anschließend bestimmten Aspekten des polnischen Mediensystems und legt die Basis für die Beschreibung und Diskussion der verbreiteten Narrative. Kapitel 4 fokussiert sich dabei auf die katholische Kirche, ihre Beziehung zur Politik (4.1), ihre Einstellung zu LGBTIQ+ (4.2) und ihre Medien (4.3). Komplementär dazu betrachtet Kapitel 5 die PiS mit ihrem Verhältnis zu den Medien (5.2) und der katholischen Kirche (5.3) sowie den Positionen zu LGBTIQ+ und den verbreiteten Narrativen. Kapitel 6 diskutiert die Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage. Eine Zusammenfassung mit Ausblick auf sich anschließende Forschungsfragen (Kapitel 7) rundet die Arbeit schließlich ab.
Inhalt
1.0 Einleitung
2.0 LGBTIQ+ und die „Gender-Ideologie” im Rechtspopulismus
3.0 Polens Mediensystem
4.0 Die Katholische Kirche in Polen
4.1 Politische Einflussnahme
4.2 Positionen zu LGBTIQ+ und Gender-Narrative
4.3 Katholische Medien
5.0 PiS
5.1 Hintergrund und Einordnung
5.2 Verhältnis zu den Medien
5.3 Verhältnis zur katholischen Kirche
5.4 Positionen zu LGBTIQ+ und Gender-Narrative
6.0 Diskussion der Forschungsfrage
7.0 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1.0 Einleitung
Rechtspopulistische Parteien gewinnen weltweit an Gewicht. In Europa markierte wohl besonders das Jahr 2015 einen Wendepunkt, da sich rechtspopulistische Parteien in der Frage, wie Europa mit den Geflüchteten umgehen sollte, besonders profilieren konnten. Dazu gehört auch die polnische Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwosc (im Folgenden: PiS), die 2015 genug Stimmen für eine Regierungsbildung erhielt und 2019 wiedergewählt wurde. Allerdings bewegten Polen neben der Flüchtlingsfrage auch Diskussionen um die Themen LGBTIQ+ und Gender. In dem sehr katholisch geprägten Land positionieren sich die PiS-Partei und die katholische Kirche gleichermaßen gegen eine Liberalisierung. Die katholische Kirche in Polen orientiert sich am Vatikan, der sich zuletzt im Juni 2021 öffentlich gegen eine geplante Gesetzesänderung in Italien aussprach, die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten strafbarer machen soll und mehr Aufklärungsarbeit für Kinder und Jugendliche vorsieht. (tagesschau.de, 2021)
Diese Arbeit interessiert sich dafür, was die PiS im Kontext des Diskurses um LGBTIQ+ und Gender mit der katholischen Kirche verbindet: Inwiefern lassen sich die verbreiteten Narrative der PiS und der katholischen Kirche vergleichen, und welche Rolle spielen die Medien dabei?
Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst auf allgemeiner Ebene die Beziehung vom Rechtspopulismus zu Gender-Narrativen beschrieben und der Begriff „GenderIdeologie“ definiert werden (siehe Kapitel 2). Das Kapitel 3 widmet sich anschließend bestimmten Aspekten des polnischen Mediensystems und legt die Basis für die Beschreibung und Diskussion der verbreiteten Narrative. Kapitel 4 fokussiert sich dabei auf die katholische Kirche, ihre Beziehung zur Politik (4.1), ihre Einstellung zu LGBTIQ+ (4.2) und ihre Medien (4.3). Komplementär dazu betrachtet Kapitel 5 die PiS mit ihrem Verhältnis zu den Medien (5.2) und der katholischen Kirche (5.3) sowie den Positionen zu LGBTIQ+ und den verbreiteten Narrativen. Kapitel 6 diskutiert die Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage. Eine Zusammenfassung mit Ausblick auf sich anschließende Forschungsfragen (Kapitel 7) rundet die Arbeit schließlich ab.
2.0 LGBTIQ+ und die „Gender-Ideologie” im Rechtspopulismus
Dieses Kapitel stellt allgemeine Zusammenhänge zwischen Rechtspopulismus, dem Diskurs um LGBTIQ+ und der „Gender-Ideologie” heraus. Dabei wird auch ein erster Bezug auf die Rolle der Kirche genommen.
Rechtspopulismus lässt sich zunächst - unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung - als ein Weltbild definieren, das nach einem „Freund-Feind-Schemata“ funktioniert. (Mayer 2021, S. 37) Rechtspopulist:innen verstehen sich dabei als eine Allianz mit dem Volk, die gegen „die Eliten” und Andersdenkende einsteht. Eliten und Andersdenkende werden als Bedrohung dargestellt, vor denen die Rechtspopulist:innen Schutz versprechen und die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung versprechen. Dabei berufen sich Letztere oft auf den „gesunden Menschenverstand”, der als „zentraler Bestandteil rechtspopulistischerKommunikationsstrategien” gilt. (Mayer2021, S. 41)
An diesen knüpft dann auch der Anti-Gender-Diskurs an, wenn dieser von Rechtspopulist:innen aufgegriffen wird. Ausgangspunkt ist die Idealisierung der Heterosexualität bzw. der hetero-normativen Familie, die als einzig natürliche und gesunde Lebensform gesehen wird. Andere Ansichten werden nicht akzeptiert - und Andersdenkende, darunter vor allem LGBTIQ+, werden als Bedrohung für eben diese „natürlichen” Familien gesehen. Die Eliten sind dabei ebenfalls Teil des Feindbilds, da diese meist LGBTIQ+ unterstützen und sie damit die vermeintliche Gefahr, die von den sexuellen Minderheiten ausgeht, vergrößern. Über die „natürliche Familie” lässt sich die Zielgruppe leicht erweitern, unter anderem auf Rechtsextreme: „Die vermeintliche Sorge um die matürlichec Familie wird so zum Vehikel, mit dem ein breit geteilter >common sensec affektiv aufgeladen, politisch ausgerichtet und mit zentralen Ideologemen rechtsextremer völkischer Politik verbunden werden kann.” (Mayer 2021, S. 45) Auch die Kirche verwendet diesen Bezug in Gender-Diskursen. Vor allem das Bild der heterosexuellen Familie, die den Staat trage, wird idealisiert, um Gender als eine demografische Bedrohung darzustellen. (Mayer et al., 2018)
Diese Bedrohung wird besonders in Osteuropa gerne mit der von totalitären Regimes verglichen - eine Strategie, um unter dem Begriff „Gender-Ideologie” Angst zu schüren. (Graff et al., 2017) Genauso werden Gender Studies von Rechtspopulist:innen nicht als Wissenschaft, sondern als Neuauflage marxistischer, sozialistischer und kommunistischer Ideologie gesehen und als „Waffe“ gegen diejenigen, die die „natürliche“ Sexualität verfechten. (Mayer et al. 2018, S. 52)
Nach Mayer und Sauer (2017) lässt sich der Begriff der Gender-Ideologie kaum definieren, da er so fluide ist. Die Analyse von Gender-Diskursen in Österreich hat aufgezeigt, dass die Gender-Ideologie dort als leerer Signifikant fungiert. Durch seine Offenheit kann ein breites Spektrum von Akteuren, darunter christlich-konservative und rechte Akteure, trotz teils unterschiedlicher Ansichten und Beweggründe die Diskussion aufgreifen. Allen gemein ist, dass es schließlich nur darum geht, ein Feindbild mit der Gender-Ideologie zu kreieren, über dessen Abgrenzung sie sich definieren können.
In dieser Arbeit soll die Abkürzung „LGBTIQ+” verwendet werden, da dies die aktuellste Bezeichnung ist, die mehr Personengruppen einschließt als „LGBT”. Wenn in dieser Arbeit direkte Zitate mit Bezug auf „LGBT” vorkommen, kann davon ausgegangen werden, dass auch Intersexuelle, Queere und weitere Geschlechter mit gemeint sind. Denn Letztere gehören, wie in diesem Kapitel angedeutet wurde, ebenfalls zu dem Diskurs, der sich allgemein auf sexuelle Minderheiten bezieht.
3.0 Polens Mediensystem
Im Folgenden sollen bestimmte Merkmale des Mediensystems und der Öffentlichkeit in Polen angerissen werden. Diese sollen die Einordnung der medialen Gender-Diskurse, wie sie in Kapitel 4 bis 6 erläutert werden, unterstützen.
Polens Öffentlichkeit und Mediensystem sind durch die kommunistische Vergangenheit geprägt. Die Demokratie wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion eingeführt und ist noch nicht tief in der Gesellschaft verwurzelt. Die Öffentlichkeit übt wenig Einfluss auf die Politik aus. (Dobek-Ostrowska, 2019) Auch fehlt ihr Pluralismus; Polen’s Öffentlichkeit ist geprägt von Hass und politischer Ideologie. Besonders die Rechte von Minderheiten werden dabei angegriffen. (Krzyzanowski, 2017)
Die Demokratisierung schreitet in Politik und Gesellschaft nur langsam voran, und davon ist ebenfalls das Mediensystem betroffen. (Dobek-Ostrowska, 2019) Es gibt keine klaren journalistischen Standards, und im Gegensatz zu der Medienberichterstattung in weiter entwickelten Demokratien, ist es für polnische Journalist:innen Alltag, sich klar gegenüber der Politik zu positionieren. Polens Medien haben deshalb typischerweise ein politisches Bias. (Dobek-Ostrowska, 2019)
Am meisten zeigt sich die schwach entwickelte Demokratie in Polen wohl an der politischen Instrumentalisierung der Medien. (Dobek-Ostrowska, 2019) Wie noch weiter in Kapitel 5.2 ausgeführt wird, mischt sich die Politik in das Mediensystem ein, indem staatliche Medien kontrolliert und private Medien durch Konzerne aufgekauft werden, an denen der Staat hohe Anteile besitzt.
4.0 Die Katholische Kirche in Polen
4.1 Politische Einflussnahme
In diesem Kapitel soll der Einfluss der katholischen Kirche auf die polnische Identität und politische Entscheidungen erläutert und diskutiert werden. Polen ist ein katholisch geprägtes Land und katholische Werte sind tief verwurzelt in der polnischen Identität. In der Frage, wie hoch der Einfluss der Kirche auf politische Entscheidungen in Polen ist, gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten.
Hierlemann führte im Jahr 2005 Interviews mit Bischöfen und Akteuren aus der Politik und setzte diese in den Kontext der polnischen Geschichte. Die Studie arbeitet heraus, dass Lobbying durch veraltete, nicht-demokratische Strukturen innerhalb der katholischen Kirche Alltag ist. Bischöfe werden nicht gewählt, sondern auf Lebenszeit geweiht (Hierlemann, 2005) Da die meisten Bischöfe noch im Kommunismus aufgewachsen sind, sind sie es gewohnt, direkt in der Politik mitzumischen und haben gleichzeitig nicht gelernt, mit Meinungspluralismus umzugehen”. (Hierlemann, 2005) Hinter den Kulissen werden freundschaftliche Beziehungen zwischen Bischöfen und Politiker:innen gepflegt, besonders mit denen aus dem rechten Spektrum. Aus den Interviews geht hervor, dass diese Beziehungen keineswegs frei von politischem Einfluss sind. Beispielsweise erklärt ein ehemaliger Minister: „Die Mehrheit der Bischöfe unterstützt die Mitte-rechts-Parteien. Da wird dann auch diskutiert, was man unternehmen könnte, um Wahlen zu gewinnen und Einfluss zu behalten.“ (Hierlemann, 2005, S. 128) Zwar darf die Kirche seit Wende, anders als im Kommunismus, offiziell nicht mehr politisch aktiv sein. (Hierlemann 2005) Doch die politische Macht der Kirche läuft, so Hierlemann, über ein von außen kaum sichtbares Netz persönlicher Kontakte zwischen Bischöfen und politischen Akteuren. Öffentliche Unterstützung zeige sie nicht. Die Forschungsarbeit von Hierlemann ist allerdings bereits 16 Jahre alt, weshalb sich die Lage geändert haben könnte.
Henning (2015) gibt etwas aktuellere Einblicke in die politische Macht der Kirche in Polen. Er verdeutlicht anhand von der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, dass die katholische Kirche in moralpolitischen Themen ernstzunehmenden Einfluss auf die Politik nimmt. Dieser Einfluss wirke zwar nicht direkt, z.B. indem die Kirche Gesetze schreibt, aber sie erhebe ihre Stimme in moralpolitischen Themen. Und abhängig davon, wie die Regierung moralpolitisch ausgerichtet sei, setze sie die Forderungen der Kirche um. Besonders rechts-konservative Parteien stünden der Kirche oft nahe. So habe es seit 1990 keine Liberalisierung der Moralpolitik (z.B. zu den Themen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften) gegeben, solange die Regierung rechtskonservativ war. (Henning, 2015) Ein eindrückliches Beispiel für den Einfluss der Kirche ist das Referendum für den EU-Beitritt im Jahr 2003. Neben vielen Wähler:innen stand auch die katholische Kirche dem Beitritt skeptisch gegenüber. Die Regierung schloss daraufhin eine Vereinbarung mit der katholischen Kirche, dass sich Letztere öffentlich für den EU-Beitritt aus sprechen solle - und die Regierung im Gegenzug das Abtreibungsgesetz nicht lockern werde: „Es war ein inoffizieller und von Frauenrechtlerinnen kritisierter »Pakt«, der jedoch seine Wirkung zeigt - bis heute“ (Henning 2015, S. 92)
Beispiele wie die Aktion „Rosary to the Borders“ zeigen, dass die politische Einmischung der Kirche aber mittlerweile auch öffentlich stattfindet. Im Oktober 2017, am Jahrestag des Sieges der Christen über die osmanischen Türken im Jahr 1571, hatte die katholische Kirche zu einem Gebetstag aufgerufen. Das Besondere daran war, dass die Gebete entlang der polnischen Landesgrenze ausgetragen wurden. Der Erzbischof von Krakau erklärte, dies solle ein Symbol dafür sein, dass Europa zu ihren christlichen Werten zurückzukehren solle, um die Grenzen zu schützen. Die Veranstaltung wurde vom Premierminister und weiteren Parteimitgliedern der PiS unterstützt. (Kotwas und Kubik, 2019) Dieses Beispiel, das im Kontext der EU-Flüchtlingspolitik steht, stützt die Position von Euchner (2019), der darauf hinweist, dass die Kirche (auch in anderen EU-Ländern) oft die Rolle eines Verteidigers der nationalen Identität vor der Politik einnimmt. Aktionen wie „Rosary to the Borders” geben der Kirche die Möglichkeit, sich über die Verteidigung von religiösen Werten und Normen zu profilieren.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass Hierlemann (2005), demzufolge die katholische Kirche sich nicht öffentlich zur Politik positioniert, nicht mehr ganz richtig liegt. Neuere Literatur, darunter Zuk und Zuk (2020), weist klar darauf hin, dass - bezogen auf rechte Parteien - die katholische Kirche kein Geheimnis aus ihrer Zugewandtheit macht: the Catholic Church is highly influential and does not hide its political alliances with the nationalist right [...]“ (Zuk & Zuk 2020, S. 566)
4.2 Positionen zu LGBTIQ+ und Gender-Narrative
Dieses Kapitel soll die verschiedenen Positionen innerhalb der katholischen Kirche in Polen zum Thema LGBTIQ+ aufzeigen. Hier sind zum einen die Widersprüche innerhalb der streng-katholischen Argumentation relevant und auch die Gegenpositionen, wie z.B. von kirchlichen Organisationen, die LGBTIQ+ unterstützen.
Grundsätzlich versteht sich die Kirche als eine humanistische Organisation, die für alle Menschen offen sein will. So zieht sich auch das Dogma „Gott liebt alle” durch die Diskussion um LGBTIQ+. Papst Franziskus betont in dem Dokumentarfilm „Francesco”, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften möglich sein sollen: „They are children of God and have a right to a family.” (Deutsche Welle, 2020a) Polnische Bischöfe schlossen sich dem an und schrieben sich zusätzlich in einem gemeinsamen StandpunktPapier zum Thema LGBT+ im Mai 2019 für deren Schutz aus: „Jeder Akt physischer oder verbaler Gewalt, jedes hooliganartige Verhalten und jede Aggression gegen LGBT+ ist inakzeptabel.” (Vatican News, 2020)
Solche Erklärungen scheinen allerdings nur schöner Schein zu sein. Denn in dem oben erwähnten Standpunkt-Papier fällt mehrmals der Begriff „Gender-Ideologie”, der (wie in Kapitel 2.1 beschrieben) LGBTIQ+ jegliche Rechtfertigung entzieht und sie als Gefahr darstellt. Dies geht sogar so weit, dass die Gender-Ideologie mit totalitären Regimes verglichen wird. So habe 2013 der polnische Bischof Tadeusz Pieronek die GenderIdeologie mit dem Kommunismus und dem Nazi-Regime verglichen. (Graff et al., 2017) Ebenfalls in 2013 wurde in Polen die Mobilisierung gegen die vermeintliche GenderIdeologie mit einem Brief der Bischofskonferenz angefacht. Nachdem dieser Brief in polnischen Pfarreien vorgelesen wurde, folgten mehrere katholische Initiativen und national-konservative Organisationen, die den Begriff „Gender” vermehrt öffentlich kommunizierten.
Szelewa (2014) erklärt die Hintergründe dieses Briefes mit einer Ablenkung von den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche. So habe der polnische Pater Jozef Michalik die Schuld der Kirche an Missbrauchsskandalen kleinreden wollen, indem er behauptete, Kinder aus zerstörten Familien seien anfälliger für Pädophilie. „Zerstörte Familien“ meint in dem Kontext, dass es Familien Abseits der Tradition aus verheiratetem, heterosexuellem Paar mit Kindern sind. Michalik hat, so Szelewa (2014) damit die Verantwortung für sexuelle Missbräuche weg von der Kirche und hin zu dem Feindbild der liberalen, evtl. nicht heterosexuellen Familie lenken wollen.
Ein weiterer Punkt, warum die oben genannten Aussagen „Pro- LGBTIQ+“ als leere Versprechungen gewertet werden können, ist, dass die katholische Kirche nichtheterosexuellen Paaren zwar eine Lebensgemeinschaft anerkennt, aber kein Recht auf Ehe einräumen will. Das lässt zweifeln, dass die Kirche LGBTIQ+ genauso als „Kinder Gottes” schätzt wie heterosexuelle Menschen - denn eigentlich müssten sie dann dieselben Rechte haben. Es scheint für Mitarbeitende der katholischen Kirche in Polen gängig zu sein, diesen Widerspruch in eine Aussage zu legen, ohne das in Frage zu stellen. Die Aussage von Michal Sidor, einem Priester aus Pulawy ist dafür beispielhaft. In einem Interview sagte er: „Solche [LGBTIQ+] Menschen sind nicht unerwünscht und von der Kirche ausgeschlossen. Aber Menschen, die homosexuelle Beziehungen eingehen, gehen ein sündiges Leben ein. Und wir als Priester, die Kirche, haben die Aufgabe, Sünde auch Sünde zu nennen.” (ZDFheute Nachrichten, 2021, 10:35-11:17) In dem Interview erklärt Sidor weiterhin, seine Rolle als Priester bestehe darin, LGBTIQ+ einen Weg aus der Sünde heraus zu zeigen - unter der These, das hänge allein von ihrem freien Willen ab. Damit stellt er es als bewusste, umkehrbare Entscheidung dar, LGBTIQ+ zu leben - genauso, wie es der Begriff „Gender-Ideologie” schon impliziert.
Auf der anderen Seite gibt es auch offenere Kreise innerhalb der katholischen Kirche in Polen. So unterstützten einzelne Katholik:innen eine Aktion, bei der Regebogenfahnen an der katholischen Statue „Sursum corda“ in Warschau installiert wurden. Sie schrieben einen offenen Brief an den polnischen Erzbischof, in dem sie kritisierten, die Kirche sei der Politik zu nah. Sie verurteilten weiterhin die LGBTIQ+-feindliche Reaktion des Erzbischofs von Warschau. Dieser hatte die Installation der Regenbogenfahnen als Schändung der Statue bezeichnet, die viel Schmerz bei Gläubigen hinterlassen habe. (Bobrowicz & Nowak, 2021) Dieser offene Brief ist ein polnisches Beispiel dafür, dass es innerhalb des Christentums auch feministische Bewegungen gibt, nur sind diese weniger sichtbar. (Sledzinska-Simon, 2020)
4.3 Katholische Medien
Die oben beschrieben Kampagne gegen eine „Gender-Ideologie” wird von der katholischen Kirche auch über Medienhäuser verbreitet. Hier sind besonders die katholischen Medien des polnischen Medienunternehmers und Priesters Tadeusz Rydzyk zu erwähnen. Er gründete mehrere Medieneinheiten, unter denen Radio Maryja die größte Reichweite hat und nach Henning (2015) als die „größte charismatischfundamentalistische Bewegung” in Polen gilt. (S. 94) Der Radiosender vermischt katholische Beratung mit rechter Propaganda, wie Hierlemann (2005) beschreibt:
Der Sender funktioniert als eine Art Kummerkasten: Den ganzen Tag können Zuhörer anrufen und live ihre Meinung kundtun. Dabei polemisieren etwa moderierende Pater gemeinsam mit Zuhörern gegen Europa, liberale Gruppierungen, Postkommunisten und auch offene Kreise innerhalb der katholischen Kirche. (S. 83)
Foret (2015) sieht die Beliebtheit von Radio Maryja darin begründet, dass der Sender eine gewisse Stabilität und Kontinuität herstellt. Die patriotische Haltung, der Fokus auf Glauben und Tradition, fülle eine „soziale Leere”, die durch die vielen Veränderungen seit der Wende - wie Demokratisierung, der Einführung der Marktwirtschaft und dem Beitritt zur EU - bei der Bevölkerung entstanden sei. (Foret, 2015, S. 222)
Auch die staatlichen Medien stehen der Kirche teils sehr nahe. Ein Beispiel dafür ist die Aktion „Rainbow Madonna”. Auf Kritik an der offen homophoben Aktion von einer Kirche in Plock, die Boxen mit der Aufschrift „Gender, LGBT, Homodeviation“ aufstellte und diese als Sünde deklarierte, reagierte die führende Tageszeitung Gazeta Wyborcza, indem sie den dafür zuständen Pfarrer verteidigte. Sie verglich den Pfarrer mit Jerzy Popieluszko, katholischer Märtyrer zu Zeiten des Kommunismus. Die Aktion der Aktivist:innen wurde als Gotteslästerung beschimpft und alle anderen Staatsmedien stellten sich ebenfalls auf die Seite der Kirche, die verteidigt werden müsse gegen „kulturelle Barbarei“ (Bobrowicz & Nowak 2021, S. 17) Auch die in Kapitel 4.1 erwähnte Veranstaltung „Rosary to the Borders” wurde über das staatliche Fernsehen beworben und noch dazu von einigen PiS-Mitgliedern in sozialen Medien verbreitet. (Kotwas & Kubik, 2019)
5.0 PiS
5.1 Hintergrund und Einordnung
Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Transition in eine Demokratie ist Polen von einer gespaltenen Parteipolitik geprägt. Bill und Stanley (2020) erläutern, dass die Dekommunisierung auch Fragen zu der nationalen Identität aufwarf, die bis heute im Raum stehen. Dies sei mit ein Grund, warum die PiS die Wahlen in 2015 und 2019 für sich gewinnen konnte, denn sie warb damit, die traditionell-polnische Identität vor westlichem Einfluss beschützen zu wollen. (Bill & Stanley, 2020) Unterstützend dazu wurde das Narrativ einer Bedrohung durch Geflüchtete verbreitet. (Zuk & Zuk, 2020) Die ablehnende Haltung Geflüchteten gegenüber ist ein bedeutender Teil auf der rechten Agenda der PiS.
Doch nicht allein darin fand die PiS Überschneidungen mit rechtsnationalistischen Parteien, sondern auch in der Diskussion der „Gender-Ideologie“. Zuk und Zuk (2020) beschreiben, wie die PiS eine Kampagne für den Kampf gegen die vermeintliche GenderIdeologie auffuhr, vor der sie die traditionelle Familie schützen müsse. Diese Rhetorik findet sich auch in rechtsnationalistischen Parteien und der katholischen Kirche wieder. (Zuk und Zuk, 2020) Für Rechtspopulistinnen in Osteuropa, so Sledzinska-Simon (2020), sei es typisch, dass der Westen als Feind dargestellt werde. Dieser Populismus würde gleichzeitig religiöse Akteure erstarken lassen. Dazu, wie die PiS mit der katholischen Kirche interagiert, geht es weiterführend in Kapitel 5.3.
Ein weiterer Punkt, der rechtspopulistische Parteien charakterisiert, ist, dass sie oft Medienhäuser angreifen. (Sledzinska-Simon, 2020) Im nächsten Kapitel soll deshalb zunächst der Einfluss der PiS auf Medien in Polen erläutert werden.
5.2 Verhältnis zu den Medien
Unter der PiS wurden die öffentlichen Medien zu einem „Propaganda-Instrument“ gemacht. (Bill und Stanley 2020, S. 384) Als Anteilseigner hat der Staat die Möglichkeit, die Linie eines Mediums zu beeinflussen. Ein Beispiel aus September 2006, während der ersten Amtszeit der PiS, zeigt dies: Die Chefredaktion der „Rzeczpospolita”, an denen der Staat 49 Prozent der Anteile hält, wurde neu besetzt durch einen PiS-treuen Journalisten. Eine Inhaltsanalyse arbeitete heraus, dass die Zeitung seitdem eine neue Programmlinie fährt, die die PiS unterstützt. (Dobek-Ostrowska, 2019)
Auch vor privaten Medien macht die PiS nicht Halt. Durch Aufkauf privater Medienhäuser von staatlich finanzierten Konzernen kann die Partei die Berichterstattung in ihrem Sinne kontrollieren. Beispielsweise wurde im Dezember 2020 die „Polska Press”, die zu dem deutschen Medienunternehmen „Passauer neue Presse” gehörte, von einem polnischen Ölkonzern (mit 30 Prozent staatlichem Anteil) übernommen. (Deutsche Welle, 2020b)
Von den katholischen Medien, die bereits in Kapitel 4.4 betrachtet wurden, gibt es auch einige, die die PiS unterstützen. Dobek-Ostroswka (2019) zählt zu den PiS-Unterstützern drei Medien des Pater Rydzyk - Radio Maryja, TV Trwam und Nasz Dziennik - genauso wie die Wochenzeitungen Gazeta Polska und Do Rzeczy. Auch die beiden letztgenannten Zeitungen sind katholisch geprägt und überschneiden sich mit Rydzyk’s Medien darin, dass sie das Feindbild des liberalen Westens verbreiten und in Moralfragen streng katholisch urteilen. Die Medien von Pater Rydzyk sind allerdings strukturell unabhängiger von der Regierung. Da die PiS wenig Einfluss auf deren Inhalte hat, orientiere sie sich an den Werten des Paters und seiner Medien und sei auf gute Beziehungen aus: it is the party leaders and politicians who are more concerned about good relations and who seek Father Rydzyk’s approval, than the other way round.” (Dobek-Ostrowska, 2019, S. 130-131) Dies sei politische Strategie, meint Dobek- Ostrowska (2019), da ein Großteil der PiS-Wählerschaft regelmäßig Rydzyk’s Medien konsumiert. Im folgenden Kapitel soll nun das Verhältnis der PiS zur katholischen Kirche erörtert werden.
5.3 Verhältnis zur katholischen Kirche
In den postsowjetischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, und damit auch in Polen, ist Religion eine wichtige Ressource, die die Identität des Landes trägt und über die sich Parteien im Wahlkampf profilieren. (Foret, 2015) Wie in Kapitel 5.2 bereits angesprochen, orientiert sich die PiS an den Medien des Pater Rydzyk und damit auch besonders an den dort verbreiteten katholischen Werten. Die PiS bezeichnet sich zwar nicht als eine katholische Partei, sie beruft sich aber im Thema LGBTIQ+ und Gender gerne auf die christlich-katholische Moral.
Das mag darauf zurückzuführen sein, dass die Politik in Polen allgemein Angst vor einem öffentlichen Konflikt mit der katholischen Kirche hat. Nach Henning (2015) ist in Polen die Politik kooperativ mit der Kirche, besonders wenn es um Entscheidungen zu moralischen Streitpunkten geht. Diese Kooperation wird bei der konservativen PiS wohl auch darin begründet liegen, dass gläubige Katholik:innen einen großen Teil der Wählerschaft ausmachen.
PiS-Vorsitzender Kaczynski bezeichnet die Kirche sogar als die einzig legitime Quelle moralischer Werte; in all dem, was nicht katholisch ist, liege eine Gefahr für Polen. (Bill und Stanley, 2020) Kaczynski gibt regelmäßig fundamental-katholische Äußerungen von sich, die den katholischen Glauben als notwendiger Bestandteil der polnischen Identität darstellen. (Zuk und Zuk, 2020) Kotwas und Kubik (2019) sehen darin eine Strategie, die aufgegangen ist: Die PiS habe an Stärke gewonnen, indem sie zusammen mit rechten Organisationen, konservativen Intellektuellen, katholischen Instanzen und katholischen Medien eine ideologische Kampagne aufzog. (S. 40) Ähnlich dazu meinen Bill und Stanley (2020), die PiS habe sich damit ihre eigene Ideologie aufgebaut, eine anti- pluralist cultural ideology.” (S. 389) Darauf bauen auch ihre Narrative zu LGBTIQ+ und Gender auf, die im nächsten Kapitel beschrieben werden.
5.4 Positionen zu LGBTIQ+ und Gender-Narrative
Die PiS framet LGBTIQ+ gerne als Gefahr für Kinder und die traditionelle Kernfamilie. Im Wahlkampf 2015 war das Thema LGBTIQ+/Gender sehr relevant. Bill und Stanley (2020) nehmen an, dass dies Taktik war, um ihre religiös-konservativen Wähler:innen zu mobilisieren. Die Partei redete die Opposition schlecht, indem sie verbreitete, die Opposition würde gefährliche LGBTIQ+ -Thesen unterstützen, die die Polnische Kultur zerstören würden. Die Grundthese der PiS ist, dass es LGBTIQ+ nur im elitären Westen gebe und dass dies eine fremde Ideologie, basierend auf fremden Werten, sei. Tatsächlich meint die PiS gleichzeitig, für eine pluralistische Gesellschaft in Polen einzustehen - und stellt die Gender-Ideologie mit ihrer „political correctness” als repressiv und totalitär dar. (Bill & Stanley, 2020, S. 389)
Auch hier findet sich das Narrativ des bösen Westens wieder, der traditionelle Werte in Polen zerstören wolle. Interessanterweise sieht sich die PiS hier als Kämpfer für die Freiheit, da die Political Correctness angeblich die Meinungsfreiheit nehme. In einer Ansprache nach den Wahlen 2019 sagte Premierminister Morawiecki von der PiS, dass die polnische Bevölkerung nach Normen lebe, die keine Ausnahmen erlauben. Menschen, die abseits dieser Norm lebten, wären eine Bedrohung für Polen. Er benannte dabei konkret LGBTIQ+, die Gender-Ideologie und die Empfehlungen der WHO für sexuelle Früherziehung in Schulen. (Bill & Stanley, 2020) Daraus wird deutlich, dass die PiS, wenn sie sich auf Meinungsfreiheit beruft, nur Meinungen innerhalb des nationalkonservativen, katholisch geprägten Wertesystems meint.
So verwundert es kaum, dass das Thema LGBTIQ+ und Gender von der PiS im Kontext von radikalen politischen Gruppen dargestellt wird. Radoslaw Brzozka, PiS-Politiker und Kreisverwaltungsbeamter von Swidnik, vergleicht in einem Interview des Youtube- Kanals reporter (2020) die Gender-Ideologie mit dem Kommunismus:
Wir haben hier über einige Jahrzehnte erlebt, wie der Kommunismus, der uns von wunderbaren Zielen erzählt hat [...] sich als totalitäres System entpuppt hat. Wir sind davon überzeugt, dass solche radikalen Tendenzen auch in heutigen Zeiten auftreten können. Eine dieser Tendenzen ist die Ideologie, die fordert, dass Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen, dass homosexuelle Paare in Sachen Ehe gleichgestellt werden. (7:07-7:57)
Graff et al. (2017) stützen diese Aussage - in Osteuropa höre man häufig das Argument, Gender sei eine „totalitäre Ideologie”. (S. 176)
Mit solchen diskriminierenden Positionen hat die PiS im westlichen Europa überwiegend kein gutes Ansehen. Doch sie scheint mit ihrem klaren Kurs in Polen Erfolg zu haben - die Wahlen haben sie 2019 erneut gewonnen. Zuk und Zuk (2020) erklären das damit, dass die polnische Öffentlichkeit grundsätzlich skeptisch gegenüber Rechten für LGBTIQ+ ist. Zwar sei die Gründung von LGBTIQ+-Communities seit 1989 erlaubt, doch in 2017 beispielsweise waren 84 Prozent der Befragten gegen ein Adoptionsrecht für LGBTIQ+. Aber die Einstellung zu LGBTIQ+ und Gender spaltet Politik und Gesellschaft in Polen: zwischen National-Konservativen und religiösen Rechten einerseits und progressiven Strömungen andererseits. (Zuk & Zuk, 2020)
6.0 Diskussion der Forschungsfrage
Dieses Kapitel soll die Forschungsfrage wieder aufgreifen und anhand der Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel diskutieren. In diesen hat sich unter anderem herausgestellt, dass die Diskussion um LGBTIQ+ sich auch um die Frage nach „der“ polnischen Identität dreht. Sledzinska-Simon (2020) weist darauf hin, dass die Definition der nationalen Identität in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels eine Herausforderung ist:
Today, we clearly lack the language to define national identity in a way that recognizes, on the one hand, the undeniable power of national history, common beliefs, and traditions and, on the other hand, the transformation of our collective identity traits [...] as well as changes within individual identities, including gender. (S. 453)
Warum die katholische Kirche als auch die PiS die Diskussion um LGBTIQ+ aufgreifen, wie sie dies tun und inwiefern sich die Narrative vergleichen lassen, soll dieses Kapitel erörtern.
Deutlich geworden ist zunächst, dass sich die katholische Kirche und rechtspopulistische Parteien wie die PiS nahestehen. Inwieweit diese zusammenarbeiten, ist nicht so einfach zu beantworten; dazu gibt es unterschiedliche Positionen. Hierlemann (2005) beschreibt die Kirche als eine Lobby für politische Parteien, die über persönliche Kontakte im Hintergrund agiert, während Foret (2015) die Kirche nur als einen Moral-Marker bezeichnet. Henning (2015) und Zuk und Zuk (2020) dagegen sehen einen großen politischen Einfluss der Kirche auf die Politik, der umso größer ist, wenn rechtskonservative Parteien am Regieren sind. Das enge Verhältnis zu Rechten werde dabei auch öffentlich gemacht. Das Thema Gender scheint hier ein starkes gemeinsames Narrativ zu sein und wird, so beschreiben es Graff et al. (2017), von beiden Seiten dramatisiert. Die Mobilisierung gegen LGBTIQ+ und eine vermeintliche „GenderIdeologie” schweißt Kirche und Rechtspopulisten zusammen. Wie Beispiele aus Kapitel 5 und 6 zeigen, treten sie auf Veranstaltungen gerne zusammen auf und positionieren sich als Verteidiger der traditionellen Werte.
Diese Verteidigerrolle bedingt, dass es ein Feindbild gibt: „die Anderen”. Dieses sogenannte „Othering“ wird in verschiedenen Diskursen in Polen verwendet, eben auch im Gender-Diskurs. (Krzyzanowski 2017) Das passt zu den Beobachtungen von Foret (2015), der Religion in der EU weniger als Grundlage von Politik begreift, sondern als Marker für das „Wir gegen andere”. In Bezug auf Polen ist weiterhin interessant, dass die sowjetische Vergangenheit des Landes eine große Rolle spielt. Denn diese Vergangenheit prägt die Definition dieses „Wir” erheblich. So argumentieren Bill und Stanley (2020), die Diskussion des „wir gegen die anderen” drehe sich nur darum, wessen Ideen und Werte am legitimsten seien. Das heißt, Rechtspopulisten und die katholische Kirche stellen die Frage, wer die nationale Identität am ehesten repräsentieren kann; sie selbst oder das liberale, westliche Europa. Das scheint auch der Grund zu sein, warum sowohl Kirche als auch Rechtspopulisten, statt eine sachliche Diskussion über Gender zu führen, den Begriff „Gender-Ideologie” verwenden. Denn im Endeffekt ist die Diskussion um die vermeintliche Gender-Ideologie nur ein leerer Signifikant für die Kirche und für Rechtspopulisten, um sich als Retter vor dem westlichen, liberalen Bösen darzustellen.
Ein Beispiel für diese Positionierung ist die Aktion „Rosary to the Borders”, die bereits in Kapitel 4.1 erwähnt wurde. Bei der von Kirche und rechtspopulistischen Parteien unterstützten Veranstaltung wurde argumentiert, Gläubige müssten die Landesgrenze wie Soldaten verteidigen gegen Andersgläubige (vor allem Flüchtlinge) und Europa müsse den Katholizismus wieder verbreiten, um sich vor eben diesem „Anderen“ zu schützen. Für die PiS war diese Veranstaltung wohl eine willkommene Möglichkeit, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu wettern. Denn Kotwas & Kubik (2019) zufolge dient der katholische Glauben in Polen gerne mal als Legitimierung für rechts-nationalistische Sichtweisen.
Auf der anderen Seite entstehen Gegenbewegungen, die sich für die Rechte von LGBTIQ+ aussprechen. Und diese können zum einen christlich-katholisch sein, zum anderen gibt es auch innerhalb der Rechtspopulist:innen Menschen, die zu eben solchen Minderheiten gehören. Auch Frauen seien in der Politik sichtbarer geworden, betont Sledzinska-Simon (2020), was ein positiver Aspekt sei: „The rise of populism also encourages the political participation of women in far-right parties or movements. [...] some radical groups also recruit members of the LGBT community who identify with their anti-immigration program“ (S. 453) Allerdings sei die zunehmende ideologische Polarisierung ein Problem, denn wenn diese Minderheiten nicht alle, teils radikalen Ideologien des Rechtspopulismus teilten, würden sie ausgeschlossen. Allgemein wachse in Zeiten von Populismus und Polarisierung die Sehnsucht danach, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. (Sledzinska-Simon 2020) Wer in eine Gruppe nicht hereinpasst, hat ein Problem.
Dies zeigt sich auch in polnischen Medien, über die die Narrative zu LGBTIQ+ und Gender verbreitet werden. Unter der Regierung der PiS wurden mehrere Medienhäuser - darunter auch private - bereits „gefügig“ gemacht. Journalistinnen, die sich dem konservativen, PiS-unterstützenden Mainstream nicht fügen wollen, werden teilweise durch Kündigung von ihrer Arbeit ausgeschlossen. Katholische Medien wie Radio Maryja sind zwar strukturell politisch unabhängig, teilen aber in den moralpolitischen Themen die Meinung der PiS. Das macht es einfach, Narrative zur „Gender-Ideologie“ und Hetze gegen LGBTIQ+ medial zu verbreiten. Dazu kommt, dass die polnische Öffentlichkeit - besonders derjenige Teil, der die kommunistische Vergangenheit noch nicht hinter sich gelassen hat - von politischer Ideologie und Hass auf Minderheiten 16 geprägt ist. Von Pluralismus ist Polen in dem Zusammenhang weit entfernt. Es erheben sich zwar vor allem jüngere Stimmen, die mit der EU aufgewachsen sind und für eine Liberalisierung Polens einstehen. Leider enden Proteste für mehr Rechte von sexuellen Minderheiten und für eine Liberalisierung von Abtreibungen oft gewalttätig, denn die Fronten sind verhärtet. Kotwas und Kubik (2019) zufolge fördern Kirche und PiS die Spaltung in „Traditionell-Katholische“ und „Liberal-Kosmopolitische“ und damit auch die Polarisierung der Gesellschaft, wie sich an solchen Beispielen erkennen lässt.
Auffallend ist auch die Doppeldeutigkeit in den Aussagen von sowohl Rechtspopulist:innen als auch der Kirche. Das liegt zum einen wohl an dem katholischen Wertesystem, das sich nicht ganz eindeutig zu sexuellen Minderheiten positionieren kann, denn der Schutz der „natürlichen“ Sexualität und das Erbarmen gegenüber „Sündigen“ lassen sich schwer vereinbaren:“Although homosexuality can be perceived as a threat to Christian values, a key facet of these values is to demonstrate compassion and respect for others, despite their „sins.” (Sledzinska-Simon 2020, S. 454) Gleichzeitig kann diese Doppeldeutigkeit auch eine Strategie sein, um Gutherzigkeit zu signalisieren und die Sympathie hochzuhalten. Denn wenn die Kirche und die PiS offen zur Hetze und Verfolgung von sexuellen Minderheiten aufrufen würden, würde wohl nur noch ein kleinerer, radikaler und gewaltbereiter Teil der Anhänger:innen diese Position unterstützen. Die breite Masse dagegen erreichen sie über ebendiese doppeldeutigen Aussagen, die wie ein leerer Signifikant von Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten gemeinsam aufgegriffen werden können.
Anhand der letzten Ausführungen könnte der Eindruck entstehen, die Kirche spiele nur bei rechtspopulistischen Parteien eine Rolle. Doch auch außerhalb sprechen sich einige bekannte Persönlichkeiten für traditionell kirchliche Werte aus und gegen eine Liberalisierung. So beschreiben Bobrowicz und Nowak (2021), dass sogar die Opposition und Intellektuelle es verurteilten als junge Menschen das kirchliche Symbol der heiligen Maria mit einem Regenbogen versahen. Dieses Beispiel weist darauf hin, dass der Einfluss der Kirche sich nicht nur auf rechtspopulistische Parteien beschränkt - und die Narrative nicht nur eine Strategie von PiS und katholischer Kirche sind. Angesichts der sowjetischen Vergangenheit von Polen ist naheliegend, dass die Kirche insgesamt noch tief in der polnischen Gesellschaft und Politik verankert ist. Währen der Sowjetunion hatte die Kirche eine hohe politische Entscheidungskraft. Mit der Wende musste sich die Kirche auf einmal aus dem politischen Diskurs öffentlich zurückziehen. Deshalb ist eine strikte Trennung der polnischen Gesellschaft in „liberal“ und „katholisch“ eine problematische These.
Gleichzeitig warnen Kotwas und Kubik (2019) langfristig vor einer Auflösung der Demokratie in Polen. Die PiS findet viel Legitimation dafür, demokratische Institutionen autoritär zu untergraben - unter anderem über moralpolitische Entscheidungen; auch unter dem Deckmantel der katholischen Kirche.
7.0 Zusammenfassung und Ausblick
Diese Seminararbeit hat sich vor dem Hintergrund des erstarkten Rechtspopulismus in Polen und polarisierten Diskursen um das Thema LGBTIQ+ mit der Frage beschäftigt, inwieweit die Narrative der PiS mit denen der katholischen Kirche zu dem Thema vergleichbar sind. Sie kommt zu dem Schluss, dass sowohl die PiS als auch die katholische Kirche „die“ polnische Identität repräsentieren wollen, indem sie ein westliches Feindbild konstruieren. Das Narrativ der Gender-Ideologie und die Diskussionen um LGBTIQ+ sind dabei leere Signifikanten für die vermeintliche Gefahr des liberalen, westlichen Einflusses. Öffentliche Medien, katholische Medien und auch einige staatlich aufgekaufte private Medien unterstützen die PiS und die katholische Kirche. Im Laufe der Arbeit stellte sich auch heraus, dass die sowjetische Vergangenheit in Polen noch nicht so weit verarbeitet wurde, als dass man das Land als eine fest verankerte Demokratie bezeichnen könnte. Das zeigt sich unter anderem am Mediensystem, das von politischer Instrumentalisierung geprägt ist. Viele Journalistinnen beziehen Stellung gegenüber der Politik - doch bei PiS-kritischer Berichterstattung droht ihnen durch Aufkäufe privater Medienhäuser und Einflussnahme auf öffentliche Medien der Jobverlust. Dieser Umstand erschwert eine ausgeglichene Diskussion von LGBTIQ+ in Polen, zumal die Öffentlichkeit von Hass und Ideologie geprägt ist. Insgesamt hat diese Arbeit gezeigt, dass die katholische Kirche und der Staat in Polen nicht klar getrennt sind. Zumindest in moralpolitischen Fragen wie denen zu LGBTQ+ übt die Kirche einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen aus. Umgekehrt orientiert sich die PiS an den kirchlichen Werten - wohl besonders, um einen öffentlichen Konflikt zu vermeiden.
Der Einfluss der Medien wurde in dieser Arbeit allerdings nur oberflächlich behandelt. Insbesondere die für den Rechtspopulismus heute so zentrale Rolle der sozialen Medien konnte keine Beachtung finden. Dafür wäre eine tiefergehende, eventuell auch empirische Untersuchung nötig. Da kritische Stimmen es in den polnischen Massenmedien sehr schwer haben, ist davon auszugehen, dass sich die Gegenöffentlichkeit vor allem in die sozialen Medien verlagert hat. Ob und wie die PiS und die Kirche darauf reagieren und wie der Diskurs in den sozialen Medien geführt wird, könnte in einer sich anschließenden Forschungsarbeit untersucht werden.
Diese Arbeit hat mit Hierlemann (2005) eine recht veraltete Studie zitiert. Es wäre interessant herauszufinden, ob eine Untersuchung mit qualitativen Interviews, wie Letzterer sie durchführte, andere Ergebnisse liefern würde. Denn die Interviews mit Abgeordneten und Kirchenmitgliedern wurden zu einer Zeit geführt, in der rechtspopulistische Parteien kaum politischen Einfluss hatten und von einer Regierungsverantwortung weit entfernt waren. Von daher könnte sich seit dem Erstarken der PiS auch die politische Macht der Kirche verändert haben.
Literaturverzeichnis
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[...]
- Citation du texte
- Kim Mensing (Auteur), 2021, LGBTIQ+ und die "Gender-Ideologie" in Polen. Die Narrative von PiS-Partei und katholischer Kirche im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1215216
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