Die Diplomarbeit widmet sich der Vorgehensweise von systemisch beratenden
Personen beim Zugang (= Akquisition) und dem Beratungsbeginn und kontrastiert
dabei zwischen einer größeren und einer kleineren systemischen Beratungsfirma.
Dafür wurden im Zeitraum von Jänner bis Juli 2008 insgesamt vier qualitative Interviews geführt und mithilfe der System- und Feinstrukturanalyse nach Froschauer und Lueger (2003) ausgewertet.
Es konnte festgestellt werden, dass ausgehend von den Besonderheiten des Produktes „Beratung“ systemische BeraterInnen in Bezug auf die Akquise Strategien verfolgen, die einem Eindrucksmanagement gleichkommen. Im Vordergrund steht dabei der Aufbau eines Images, bei dem Vertrauen zur Risikoreduktion eine wesentliche Rolle spielt und variierend nach Größe der Beratungsfirma ebenso der
systemische Ansatz. Weiterempfehlungen und Networking sind in diesem Zusammenhang als Marktmechanismen zu werten, die eine solche Vorgehensweise unterstützen.
Nichtsdestotrotz stellen diese Bemühungen nur eine Vorstufe dar und bei Erstgesprächen
kommen verstärkt individuelle Aspekte (Rollen, Erwartungen) im Zusammenhang mit den konkreten Handelnden hinzu. Im Rahmen dieser Gespräche
wird vor allem die Basis für die Relation zwischen BeraterInnen und KundInnen gelegt. Durch die Verortung in einem bestimmten Beratungsansatz ergeben sich gewisse Ansprüche an eine solche Beziehung, die möglicherweise nicht mit den Vorstellungen der auftragsvergebenden Stelle von Beratung vereinbar sind.
Dadurch ist die Erstsituation durch einen hohen Faktor an Ungewissheit gekennzeichnet, für die es keine Erfolgsgarantie und –strategie gibt.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. METHODOLOGISCHE POSITION
2.1 DAS INTERPRETATIVE PARADIGMA
2.2 ERHEBUNG UND AUSWERTUNG
2.2.1 Erhebung mittels qualitativer Interviews
2.2.2 Auswertung anhand der Feinstrukturund Systemanalyse
3. FORSCHUNGSPROZESS
3.1 PLANUNGS- UND ORIENTIERUNGSPHASE
3.2 ZYKLISCHE HAUPTFORSCHUNGSPHASE
3.3 REFLEXION DES FORSCHUNGSPROZESSES
4. BEGRIFFLICHE EINGRENZUNG
4.1 DEFINITION ORGANISATIONSBERATUNG
4.2 DIE SYSTEMISCHE BERATUNGSPHILOSOPHIE
4.2.1 Theorie und Weltbild
4.2.2 Das systemische Organisationsverständnis
4.2.3 Die systemische Haltung
4.2.4 Das systemische Interventionsverständnis
4.2.5 Die Bedeutung der Relation und Beziehungsgestaltung
4.3 DIE ANFANGSPHASE VON BERATUNGEN
4.3.1 Der Zugang
4.3.2 Das Erstgespräch
4.3.3 Differenz AuftraggeberIn/ KundIn
4.3.4 Exkurs: Größenrelationen von Beratungsunternehmen
5. BESONDERHEITEN DES PRODUKTS „BERATUNG“
5.1 BERATUNG – EINE DIENSTLEISTUNG
5.1.1 Probleme bei der Evaluation
5.2 STAND DER PROFESSIONALISIERUNG DER ANBIETERINNEN
5.3 RESÜMEE
6. DARSTELLUNG DER FORSCHUNGSERGEBNISSE
6.1 DIE AKQUISE
6.1.1 Die Wichtigkeit von Vertrauen zu handelnden Personen
6.1.2 Der Anschein der Akquise
6.1.3 Der Aufbau einer Marke
6.1.3.1 Die Bedeutung des Beratungsansatzes
6.2 DAS ERSTGESPRÄCH
6.2.1 Der Anschein des Erstgespräches
6.2.2 Umgang mit Unsicherheit als Kernkompetenz
6.2.3 Variation in der Wahrscheinlichkeit von Beauftragung
6.2.3.1 Vom Umgang mit Ablehnung
7. THEORETISCHE EINBETTUNG DER ERGEBNISSE
7.1 BERATUNGSHANDELN AUS STRATEGISCH-DRAMATURGISCHER SICHT
7.1.1 Vermarktung mittels Inszenierung
7.1.2 Der Glaube an die eigene Rolle
7.1.3 Fassade
7.1.4 Dramatische Gestaltung
7.1.5 Idealisierung
7.1.5.1 Idealisierung der eigenen Rolle und der Beziehung zum Publikum
7.2 DIE GRENZEN DER EINDRUCKSKONTROLLE
7.2.1 Wechselseitige Bestimmung der Situation
7.2.2 Die Einbettung in ein Ensemble
7.2.3 Die Gefahr der unwahren Darstellung
7.2.3.1 Vertrauen als Schutz für die Inszenierung
7.3 EXKURS: RISIKO AUS SOZIOLOGISCHER SICHT
7.3.1 Von Risiko vs. Sicherheit zu Risiko vs. Gefahr.
7.3.1.1 Entscheidung als Zeitbindung
7.3.1.2 Entscheidung und Betroffenheit
7.3.1.3 Die Generalisierung der sachliche Dimension
8. RESÜMEE
9. AUSBLICK: AKQUISITION UNTER DEM BLICKWINKEL VON RISIKO UND GEFAHR
10. ABSTRACT
11. LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Auswertungsschema Feinstrukturanalyse
Abbildung 2: Auswertungsschema Systemanalyse
Abbildung 3: Chronologie des Forschungsprozesses
Abbildung 4: Übersicht Beratungssystem
1. EINLEITUNG
„Früher waren die Heiligen die Nothelfer, heute sind es die Berater.“ (Unbekannt)
Begriffe wie „die beratene Gesellschaft“ (Schützeichel 2004) oder „Berater-Kapitalismus“ (Resch 2005) machen deutlich, dass Organisationsberatung als neue Form der Dienstleistung aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist. Durch die zunehmende Komplexität in modernen Gesellschaften sehen sich ManagerInnen von Organisationen immer häufiger mit Problemstellungen konfrontiert, bei denen sie bezüglich des Know-hows und der Ressourcen an ihre Grenzen stoßen. Umso attraktiver erscheinen hier die Angebote diverser Unternehmensberatungen, die Expertise und Lösungen für verschiedenartigste Probleme offerieren.
Das Gebiet der Organisationsberatungen ist wissenschaftlich noch wenig aufgearbeitet. Einen Überblick zum Forschungsstand liefert Zirkler (2005), Saam publizierte 2007 eine Metaanalyse zu bisherigen Arbeiten. Der Großteil der Abhandlungen ist deskriptiver Natur mit Fokus auf Fachberatungen, da jene mit bis zu 85% den höchsten Marktanteil (vgl. Wagner 2004: 62) innehat. Oftmals bleibt aber auch unklar, welche Form von Beratung näher beleuchtet wird. Die vorhandene Literatur im Bereich der systemischen Organisationsberatung basiert meist auf praktischen Erfahrungen von Beraterinnen und Beratern. Obwohl die gesellschaftliche Relevanz von Organisationsberatungen unbestritten ist, befinden sich die soziologischen Überlegungen in dem Gebiet noch in den Anfängen. Erst langsam beginnt sich eine Soziologie der Beratung zu entwickeln (Degele 2001, Scherf 2002).
Walger (1995) identifiziert mit der gutachterlichen Beratungstätigkeit, der Expertenberatung, der Organisationsentwicklung und der systemischen Unternehmensberatung vier idealtypische Beratungsformen. Im Unterschied zur klassischen Expertenoder Fachberatung, die sich auf betriebswirtschaftliche Theorien beruft, wurzelt die systemische Organisationsberatung unter anderem in der Systemtheorie und in der systemischen Familientherapie. Im Rahmen des Studiums hat sich die Forscherin durch die Spezialisierung auf Organisationssoziologie und den Besuch des Universitätslehrganges „Psychotherapeutisches Propädeutikum“ sowohl mit den soziologischen als auch den therapeutischen Grundlagen der systemischen Beratung auseinandergesetzt. Daraus entstand ein besonderes persönliches Interesse für die praktische Umsetzung dieses Beratungsansatzes, welches durch die Lektüre zahlreicher einschlägiger Literatur zur systemischen Organisationsberatung verstärkt wurde.
Ziel der Forschungsarbeit sollte deshalb die Analyse eines laufenden Beratungsprozesses mit Fokus auf die Interaktion zwischen BeraterInnen und KundInnen sein. Hierfür war die Arbeit mit Beobachtungen und ergänzenden qualitative Interviews angedacht. Wie im Forschungsprozess in Kapitel 3 näher beschrieben wird, missglückte der Zugang zu einem aktuellen Beratungsprojekt. Im Zuge dessen kam es zur Veränderung des Forschungsinteresses.
Die neue Fragestellung der Diplomarbeit widmet sich der Rekonstruktion des Zugangsprozesses von systemischen OrganisationsberaterInnen und umfasst somit den Zugang (= Akquisition) und den Beratungsbeginn. Dabei wird zwischen einer größeren und einer kleineren systemischen Beratungsfirma kontrastiert. Diese Beratungsphasen werden oft aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. Aus soziologischer Sicht ist neben der Einbettung in den ökonomischen Kontext relevant, dass sie den Anfang der BeraterInnen-KundInnen-Beziehung markieren. In dieser Hinsicht gilt es zu hinterfragen, ob sich der Beratungsbeginn von anderen Prozessphasen unterscheidet oder ob ausschlaggebende Faktoren für den Aufbau dieser Relation identifizierbar sind.
Für diese Untersuchung wurde die interpretative Forschungsstrategie einer quantitativen Herangehensweise vorgezogen. Qualitatives Arbeiten ermöglicht zum einen die Erschließung des meist impliziten Wissens systeminterner HandlungsexpertInnen. Zum anderen können daraus in weiterer Folge ebenfalls Rückschlüsse auf die spezifischen Systemdynamiken und Wirkungszusammenhänge gezogen werden (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 37; 52). Kapitel 2 und 3 führen in die Prämissen der interpretativen Sozialforschung ein und dienen der Beschreibung des Forschungsprozesses.
In Kapitel 4 und 5 erfolgt eine theoretische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand der systemischen Organisationsberatung. Es werden begriffliche Eingrenzungen in Hinblick auf die Fragestellung vorgenommen sowie Merkmale der Leistung erarbeitet, die für das Verständnis der Forschungsergebnisse in Kapitel 6 bedeutend sind.
Im Anschluss daran widmet sich Kapitel 7 der theoretischen Einbettung der Ergebnisse. Dabei werden mit der Theatermetapher von Goffman sowie der Soziologie des Risikos von Luhmann Theorien aufgegriffen, die den latenten Gesichtspunkten in der Akquisition von systemisch beratenden Personen gerecht werden. Die Aspekte der Inszenierung und Eindruckskontrolle wurden im empirischen Material als wesentlich für die Vorgehensweise der BeraterInnen bei der Akquisition identifiziert. Ursprünglich sollten die bedeutenden Faktoren für den erfolgreichen Abschluss der Anfangsphase herausgearbeitet werden. Die Analyse verwies jedoch vermehrt auf Unsicherheiten und mögliche Risiken und verdeutlichte die Wechselwirkungen in der Beziehungsgestaltung zwischen beratenden Personen und KundInnen. Letzterem wird durch das Aufzeigen möglicher Grenzen der Eindruckskontrolle genüge geleistet. In Kapitel 8 wird in weiterer Folge resü- mierend der Zusammenhang zwischen den schwierigen Bedingungen der Anfangssituation und der Beratungsphilosophie hergestellt. Der Fokus auf die Akquisition bringt nämlich das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Bedingungen und systemischen Beratungsidealen zum Ausdruck.
Die Aufarbeitung von Luhmanns Risikobegriff dient der Hinleitung zum Ausblick der Forschungsarbeit in Kapitel 9. Darin wird Beratungshandeln erneut in Bezug zu KundInnenverhalten gesetzt und unter Einbezug der Zeitdimension mögliche erste Thesen zu damit verbundenen Risiken und Gefahren formuliert.
2. METHODOLOGISCHE POSITION
Die vorliegende Arbeit über die Akquisition und Anfangsphase von Beratungen richtet sich nach den Prämissen einer qualitativen empirischen Untersuchung. Nachfolgend seien einige Grundlagen und Prämissen einer solchen Forschungsstrategie sowie die angewendeten Methoden näher erläutert.
2.1 Das interpretative Paradigma
Ausgangspunkt von qualitativen Sozialforschungen ist die Annahme der Konstruktion von Wirklichkeit als aktiver Prozess. Realität ist demzufolge nicht objektiv gegeben und erfassbar, sondern wird in Interaktionen auf Basis von subjektiven Bedeutungen und Interpretationen konstituiert (vgl. Lueger 2000: 18; 41). Wissenschaftliche Studien verfolgen diesem Verständnis entsprechend die Erschließung und Rekonstruktion der Deutungsprozesse durch eine interpretative Herangehensweise (vgl. Lamnek 2005: 35).
Bei einer solchen Forschungsstrategie sind WissenschaftlerInnen nicht objektiv und neutral außerhalb ihres Untersuchungsgegenstandes, sondern genauso Teil des Forschungsprozesses. Dadurch fließt die Person des Forschers/ der Forscherin und ihre Subjektivität ebenfalls in die Erkenntnisse mit ein. Im Unterschied zu alltäglichen Verstehensleistungen zeichnen sich wissenschaftliche Studien jedoch durch eine methodisch kontrollierte Vorgehensweise aus, deren Anliegen eine intersubjektiv nachvollziehbare Rekonstruktion von Wirklichkeit ist (vgl. Hitzler 2002). Dabei geht es weniger um die Anwendung eines strengen methodischen Regelwerks, sondern um eine spezifische wissenschaftliche Arbeitshaltung. Jene ist in erster Linie durch die Prinzipien der Offenheit und Reflexivität gekennzeichnet, was sich in der entsprechenden Organisation des Forschungsprozesses sowie der Anwendung der Methoden niederschlägt (vgl. Lamnek 2005: 20ff, Lueger 2000: 11).
„Interpretative Forschung läßt1 sich als ein durch die laufende Arbeit angeregter eigendynamischer Prozeß verstehen, der Planbarkeit nur bedingt zuläßt“ (Lueger 2000: 12). Im Sinne eines offenen Zuganges erfolgt die Einteilung des Forschungsprozesses in der Weise, dass Strukturierungsleistungen vorwiegend durch das Forschungsfeld geschehen. Somit verzichten qualitative Sozialforschungen im Unterschied zu theorieprüfenden Herangehensweisen weitgehend auf Vorannahmen. Hypothesen werden entlang des jeweiligen Erkenntnisinteresses erst im Verlauf der wissenschaftlichen Arbeit entwickelt und unterliegen durch den kontinuierlichen Abgleich mit dem Untersuchungsgegenstand Modifikationen. „Die gesamte Forschungsstrategie muß die Voraussetzungen für die Generierung neuen Wissens, dessen Prüfung, Erweiterung und Präzisierung schaffen“ (Froschauer/ Lueger 2003: 21). Dies erfordert neben der bereits beschriebenen inhaltlichen Offenheit ebenfalls eine flexible Anwendung von Forschungsmethoden.
„Weder ist es sinnvoll, vorschnell Erkenntnisse unter frühzeitig definierte Annahmen zu subsumieren, noch ist es angebracht, Methoden (auch wenn es sich um offene Verfahren handelt) unreflektiert als Standardverfahren einzusetzen“ (Lueger 2000: 49).
Hitzler betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Prinzipien der „künstlichen Dummheit“ und „Langsamkeit“ (Hitzler 2002) in hermeneutisch angelegten Forschungen. Erkenntnisse und Selbstverständlichkeiten sollen einer permanenten Hinterfragung unterliegen und der Verstehensprozess unter der Prämisse des Zweifels erfolgen (vgl. ebd.). Eine solche Vorgehensweise erfordert jedoch ein ausreichendes Maß an Zeit, da die Beendigung des Forschungsprozesses schwer absehbar ist. Von einer Stabilisation des Wissens kann erst gesprochen werden, wenn sich selbst mithilfe zusätzlicher Erhebungen im Sinne des theoretischen samplings kaum mehr neue Erkenntnisse erzielen lassen (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 21; 29).
Um eine Erforschung über die Ebene der AkteurInnen hinaus zu ermöglichen und sich so der Eigendynamik komplexer sozialer Systeme analytisch anzunähern, erweitern Froschauer und Lueger das interpretative Paradigma unter Rückgriff auf die Systemtheorie (vgl. Froschauer/ Lueger 2003). Demzufolge entspringen Handlungen nicht allein den Intentionen der Individuen, sondern sind „… in einen kollektiv geformten lebensweltlichen Horizont aus Relevanzstrukturen und Typisierungen integriert“ (Froschauer/ Lueger 2003: 17). Die Sichtweisen einzelner Personen repräsentieren somit ebenfalls subjektunabhängige Elemente, die Rückschlüsse auf die Organisation von sozialen Systemen zulassen (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 17).
Während Handlungen beobachtbar sind, entziehen sich die Sinngebungsprozesse, mithilfe derer Individuen die soziale Wirklichkeit ordnen, einer unmittelbaren Analyse (vgl. Oevermann et al. 1979: 366). Um dem Anspruch der Rekonstruktion von Bedeutungen zu entsprechen, stützt sich qualitative Sozialforschung auf bestimmte Erhebungsund Auswertungsverfahren. Jene, die in dieser Diplomarbeit zur Anwendung kommen, werden nachfolgend dargestellt.
2.2 Erhebung und Auswertung
2.2.1 Erhebung mittels qualitativer Interviews
„Offene Forschungsgespräche beginnen nicht mit der ersten Frage, sondern bereits im Vorfeld der Planung und Kontaktaufnahme; sie reichen auch nicht bloß bis zum Gesprächsende, sondern bis zur abschließenden Dokumentation der Gesprächssituation“ (Froschauer/ Lueger 2003: 63).
In diesem Sinne zeichnen sich qualitative Interviews durch eine sorgfältige Vorbereitung des Zuganges zum Forschungsfeld aus. Dabei spielen Überlegungen bezüglich Auswahl der GesprächsteilnehmerInnen ebenso eine Rolle, wie die geeignete Vorgehensweise bei der Kontaktaufnahme. Zum einen stellen die daraus gewonnenen Erkenntnisse erste wichtige Informationen über das System dar. Zum anderen hängt von dieser Phase die Positionierung der ForscherInnen im Feld ab, was sich in weiterer Folge auf die Kooperationsbereitschaft der beteiligten Personen und das Gesprächsklima auswirken kann (vgl. ebd.: 66; 44).
Gemäß des Postulats der Offenheit überlassen ForscherInnen bezüglich der Annäherung an einen Untersuchungsgegenstand die Strukturierung der Gespräche den interviewten Personen (vgl. ebd.: 34; 61). Damit ist gemeint, dass der Verlauf des Interviews in erster Linie den befragten Personen überlassen wird und vorwiegend offene Fragen entlang einer grob vorgegebenen Thematik gestellt werden.
Kernelemente einer solchen weichen Interviewführung sind der Gesprächseinstieg, die Erzählund Nachfragephase sowie der Gesprächsabschluss. Der Gesprächseinstieg soll im Zuge der Kontaktaufnahme vereinbarte Rahmenbedingungen (Tonbandaufzeichnungen etc.) wiederholt klären und möglichen Fragen von Seiten der InterviewpartnerInnen Raum bieten (vgl. ebd.: 67ff). Anschließend wird im Rahmen des Forschungsinteresses eine Einstiegsfrage formuliert, die für die GesprächspartnerInnen einen lebensweltlich relevanten Bezug aufweist und eine Erzählung anregt (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 62; 69). In weiterer Folge gilt es den Redefluss mithilfe von Signalen des Zuhörens (zB. „mhm“) aufrechtzuerhalten und der befragten Person so Aufmerksamkeit und Interesse zu versichern. Ebenso soll durch immanentes Nachfragen weiter exploriert werden. Dies bedeutet, dass lediglich die von den InterviewpartnerInnen genannten Themen aufgegriffen werden (vgl. ebd.: 70ff). Eine solche zurückhaltende Vorgehensweise der ForscherInnen setzt die befragten Personen unter „… spezifische Zugzwänge des Kommunikationsschemas ‚Erzählung’ zur Strukturierung der Aussagen“ (Froschauer/ Lueger 2003: 71). Dies ist zum einen der Gestalterschließungszwang, um das Gesagte in einer Weise darzustellen, dass es für zuhörende Personen begreiflich wird und ihnen die als relevant erachteten Aspekte vermittelt werden können. Die begrenzten Möglichkeiten einer Interviewsituation erfordern dabei eine Fokussierung der Erzählung, da nicht alle Informationen mitgeteilt werden können (Kondensierungszwang). Trotzdem muss zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit die Schilderung ausreichend detailliert erfolgen (Detaillierungszwang) (vgl. ebd.: 71). Durch eine solche Gesprächsführung kommen die Strukturen der Lebenswelt der befragten Personen besonders gut zum Ausdruck. In Anschluss an diesen vorwiegend explorativen Teil, können ForscherInnen in einer klärenden Nachfragephase ebenfalls von sich aus Themen einbringen, wobei dieser Umstand in der Interpretation berücksichtigt werden muss (vgl. ebd.: 72).
2.2.2 Auswertung anhand der Feinstrukturund Systemanalyse
Durch das Anliegen einer verstehenden Forschung sollten die angewendeten Auswertungsverfahren eine Analyse abseits der manifesten Inhalte der Gespräche ermöglichen. Um die Interpretationen in strukturierter Form vorzunehmen, wurden deshalb die Feinstrukturund Systemanalyse nach Froschauer und Lueger angewendet (vgl. Froschauer/ Lueger 2003).
Die Feinstrukturanalyse eignet sich durch ihr hohes analytisches Potential insbesondere für den Einstieg in das Forschungsfeld, da sie zu einem ersten Orientierungswissen über den Untersuchungsgegenstand verhilft. Die Fokussierung von sehr kleinen Analyseeinheiten reduziert dabei die Beeinflussung der Interpretation durch Vorwissen, wodurch auch bei fortgeschrittener Thesenbildung die Offenheit hinsichtlich Bedeutungshorizonte gewährleistet werden kann (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 109ff).
Bei diesem Verfahren werden Texte in so genannte Sinneinheiten zerlegt, die dann anhand eines fünfstufigen Analyseschemas (vgl. Abbildung 1) interpretiert werden. Am Anfang steht die Paraphrasierung der Sinneinheit, die den manifesten Inhalt der Mitteilung wiedergibt. Im nächsten Schritt gilt es mögliche Intentionen und Funktionen der Aussage der GesprächspartnerInnen zu überlegen. Der dritte Punkt widmet sich der Auseinandersetzung mit möglichen latenten Momenten der Sinneinheit und bildet das Kernstück der Interpretation. An dieser Stelle gilt es in kreativer Weise mögliche Bedeutungen sowie deren Auswirkungen auf Interaktions- und Denkweisen durchzuspielen. Im Anschluss daran werden implizite Rollenverteilungen und damit mögliche Beziehungen und Zuschreibungen zu AkteurInnen durchdacht. Der letzten Analyseschritt beschäftigt sich auf Basis der bisherigen Überlegungen mit erwartbaren nächsten Sinneinheiten und dient so der Prüfung der Interpretationen (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 110ff).
Das Verfahren beansprucht viel Zeit und ist zum Zwecke der Qualitätssicherung und der Überwindung der subjektiven Position nur in Gruppen durchzuführen. Um die Fülle an Textmaterial adäquat bearbeiten zu können, erschien deshalb die Kombination mit der Systemanalyse als geeignet, da eine thematische Bestimmung von Analyseeinheiten erfolgt. Dadurch werden größere Textmengen bearbeitbar und trotzdem wird die Erschließung latenter Sinndimensionen ermöglicht. Im Unterschied zur Feinstrukturanalyse wird mithilfe der Wirklichkeitskonstruktionen der TextproduzentInnen vermehrt auf externe soziale Einflüsse geachtet, um so die spezifische Prozessdynamik sozialer Systeme ins Blickfeld zu nehmen. Wieder gibt es hierzu ein fünfstufiges Analyseschema (vgl. Abbildung 2), das wie bei der Feinstrukturanalyse mit der Paraphrase beginnt. Schritt zwei und drei einer
Systemanalyse befassen sich mit dem Äußerungskontext. Zunächst wird möglichen Effekten der Interviewsituation Rechnung getragen, dann werden Überlegungen zur lebensweltlichen Einbettung angestellt, die zur Textproduktion geführt haben könnten. Anschließend sollen die vermuteten Kontexte in ihrer Wirkung auf Interaktionen und die Strukturierung von Systemen untersucht werden (vgl. ebd.: 142ff). Bei ersterem stehen die sich daraus ergebenden Handlungsstrukturen im Mittelpunkt. „Dabei ist erst einmal wichtig darauf zu achten, in welche Situation sich die sprechende Person selbst hineinversetzt und welche Konsequenzen sie für ihr eigenes Handeln ableiten könnte“ (Froschauer/ Lueger 2003: 152). Die Systemeffekte finden insofern Beachtung, als die Analyse zum Abschluss „… Auswirkungen auf das Zusammenspiel mit anderen AkteurInnen oder anderen Subsystemen…“ (ebd.) in den Blick nimmt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Auswertungsschema Feinstrukturanalyse (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 119)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Auswertungsschema Systemanalyse (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 155)
3. FORSCHUNGSPROZESS
Entsprechend einer interpretativen Herangehensweise wird eine Untersuchung wesentlich durch den Forschungsverlauf mitbestimmt, deshalb wird anschließend der Gang der Forschung nachgezeichnet und das Forschungsdesign vorgestellt. Das oberste Prinzip in einem solchen Prozess ist die Reflexion (vgl. Lueger 2000: 11). Dem soll in Anschluss daran Folge geleistet werden.
3.1 Planungsund Orientierungsphase
Durch das Forschungsvorhaben der Analyse eines laufenden Beratungsprozesses wurden von der Forscherin bezüglich des Zuganges mehrere Barrieren erwartet. Zum einen ist die Umsetzung vom Einverständnis der Beratungsfirma und der beratenen Organisation abhängig, weshalb im Unterschied zu zahlreichen anderen Studien für einen ersten Einstieg bereits zwei kooperationsbereite Unternehmen gefunden werden müssen. Zum anderen zeichnet sich eine interpretative Forschungsstrategie dadurch aus, dass anfangs nur eine sehr grobe Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen wird (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 22f). Es ist anzunehmen, dass eine solch offene Vorgehensweise für das Forschungsfeld eher ungewöhnlich ist und möglicherweise Unsicherheiten erzeugt. Zusätzlich kommen noch praktische Einschränkungen im Sinne der Erreichbarkeit für die Forscherin hinzu, was die Auswahl an Beratungsprojekten auf den Raum Wien einschränkte. Weiters sollte der Beratungsprozess für eine Umsetzung der Studie eine gewisse Laufzeit aufweisen. Zu guter letzt fehlt es meist am Wissen, in welchen Organisationen aktuell Beratungen stattfinden.
Von diesen Vorannahmen ausgehend, wurde der Einstieg über eine Beratungsfirma geplant, da diese über einen Pool an laufenden Projekten verfügen. Ausgehend von den obigen Überlegungen erschien es wichtig, schon im Vorfeld persönliche Kontakte zu knüpfen. Diese Möglichkeit ergab sich durch einen eigens dafür besuchten Vortrag eines renommierten systemischen Beratungsunternehmens und in weiterer Folge im Rahmen eines Seminars am Soziologieinstitut, welches von einem Gesellschafter2 der Firma abgehalten wurde. Diese Gelegenheiten wurden genutzt, um schon einige Monate vor aktuell werden der Diplomarbeit bezüglich einer möglichen Zusammenarbeit anzufragen. Zusätzlich kam der Forscherin zugute, dass die Diplomarbeitsbetreuerin ebenso in der „Szene“ bekannt ist und viele BeraterInnen persönlich gut kennt. Dieses Vertrauensverhältnis war sicher mit ein Grund, warum die Unterstützung der beratenden Personen für das Forschungsvorhaben gewonnen werden konnte.
Ende September 2007 wurde der Ansprechpartner der Beratungsfirma ein Diplomarbeitskonzept übermittelt und es gab konkrete Gespräche hinsichtlich einer Umsetzung der Studie. Die Kontaktperson leitete aktuell keine Projekte in Wien, wollte die Angelegenheit jedoch im KollegInnenkreis vortragen. Ende Oktober kristallisierte sich ein geeignetes Beratungsprojekt heraus und es fand eine Kontaktaufnahme mit dem projektleitenden Berater statt. Jener wollte auch das Einverständnis des beratenen Unternehmens für eine Teilhabe der Forscherin am Beratungsprozess einholen, worin er keine Schwierigkeit sah. Mitte November wurde jedoch der Zugang zur laufenden Beratung von KundInnenseite verwehrt. Allerdings wurde Interesse an einer möglichen Zusammenarbeit bei einem internen Organisationsentwicklungsprojekt bekundet, dessen Beginn allerdings noch nicht absehbar war. Es gab dann bis Ende Dezember 2007 weitere Bemühungen ein geeignetes Projekt zu finden, die aber aufgrund von zu heiklen beraterischen Problemstellungen oder fehlender zeitlicher Ressourcen der involvierten Personen auf KundInnenseite als Option für die Diplomarbeit nicht in Frage kamen. Nach den erfolglosen dreimonatigen Anstrengungen für einen Einstieg bei einem laufenden Beratungsprozess, wurde das Forschungsvorhaben an die Entwicklungen angepasst.
Wie Froschauer und Lueger festhalten, liefert die Kontaktaufnahme bereits wichtige Informationen über den Umgang der Systeme mit externen Personen und mit Forschungsansinnen (vgl. Froschauer/ Lueger 2003: 26f). Gemäß einem der Prinzipien einer interpretativen Forschungsweise wurden die Schwierigkeiten als erste wesentliche Erkenntnis über den Untersuchungsgegenstand „Organisationsberatung“ gewertet. „Kein beobachtetes Ereignis, keine Aussage und kein vorfindbares Material ist Produkt des Zufalls“ (Lueger 2000: 12). Da es hier vor allem vom ersten beratenen Unternehmen Vorbehalte gegenüber dem Einstieg der Forscherin gab, sollte der Fragestellung nachgegangen werden, wie sich der Zugang von beratenden Personen gestaltet. Das Forschungsinteresse verlagerte sich somit von der Analyse eines laufenden Beratungsprojektes hin zur Phase der Akquisition und dem Beratungsbeginn aus Sicht von beratenden Personen und der Nachzeichnung des Zugangsprozesses von BeraterInnen. Dabei sollten Überlegungen zu ihrer Vorgehensweise und bezüglich unterstützender Faktoren angestellt werden.
[...]
1 Es wird unter Beibehaltung der Schreibweise zitiert, somit sind Rechtschreibung, fehlende gendergerechte Schreibweise sowie Hervorhebungen (kursiv, fett) auf den Originaltext rückzuführen.
2 Bei den im Rahmen der Feldarbeit relevanten beratenden Personen handelte es sich ausschließlich um Männer, weswegen in diesen Kapiteln des Öfteren nur die männliche Form verwendet wird.
- Quote paper
- Magistra Monika Bader (Author), 2008, Mit dem richtigen Auftritt den entscheidenden Eindruck hinterlassen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121372
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