Im Zuge der Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC-Initiative) sowie der Multilateralen Entschuldungsinitiative (MDRI) konnte der Schuldenstand in den beteiligten Ländern im Verlauf der vergangenen zehn Jahre erheblich reduziert werden. Mittels der bereitgestellten Entschuldungshilfe soll diesen Ländern geholfen werden, eine in Zukunft tragfähige Schuldenbelastung zu ermöglichen, um so die Realisierung entwicklungspolitischer Ziele zu unterstützen. Aufgrund einer steigenden Neuverschuldung, vor allem in den Ländern, welche die beiden Initiativen vollständig durchlaufen haben, ist die Frage einer wiederum untragbaren Neuverschuldung von frisch entlasteten Ländern in den Fokus der internationalen Schuldendiskussion gerückt. Insbesondere private internationale Kreditgeber haben diesbezüglich ihr Engagement in Folge der gestärkten Kreditwürdigkeit dieser Länder in den Jahren nach der Entschuldung nahezu verdoppelt. Jedoch auch multilaterale und bilaterale Gläubiger haben ihr Kreditangebot erhöht. In Konsequenz begründet dies einen ansteigenden rückzahlungspflichtigen Kapitalstrom in die früheren Teilnehmerländer der HIPC- und MDRI-Initiative. Ziel vorliegender Arbeit ist nun einerseits die Identifikation entwicklungspolitischer Möglichkeiten, welche sich für die betroffenen Länder aus der erhöhten Kreditkapitalzufuhr potenziell ergeben. Andererseits sollen Risikofaktoren aufgezeigt werden, die in der Lage sind eine erneute Überschuldung dieser Länder zu forcieren. Der Aufbau der Arbeit gliedert sich hierfür wie folgt: Kapitel 2 bietet zunächst eine einführende Übersicht über die Entschuldungsmechanismen im Rahmen der HIPC-Initiative und der MDRI. Speziell herausgehoben werden in diesem Zusammenhang einzelne Elemente, die einen unmittelbaren Einfluss auf potenzielle Chancen und Risiken einer Neuverschuldung nach der Entschuldung haben. Zudem erfolgt ein Überblick über den derzeitigen Stand der Entschuldung und eine Beschreibung der Neuverschuldungsströme in jene Länder, welche den Entschuldungsprozess durchlaufen haben. Kapitel 3 beleuchtet den möglichen Beitrag der Neuverschuldung zur Realisierung essenzieller entwicklungspolitischer Ziele. Eine Darstellung der Risiken, welche im Zusammenspiel mit einem erhöhten Zufluss an ausländischem Kreditkapital eine erneute Überschuldung der betrachteten Länder bewirken können, erfolgt in Kapitel 4.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Initiative für hochverschuldete arme Länder und Neuverschuldungsströme
2.1 Aufbau der Entschuldungsinitiative
2.1.1 Ziele
2.1.2 Stufenprozess und MDRI
2.1.3 Essenzielle Bestandteile der HIPC-Initiative im Hinblick auf eine Neuverschuldung
2.1.4 Kritische Betrachtung der HIPC-Initiative im Hinblick auf eine Neuverschuldung
2.2 Aktueller Stand der Entschuldungsinitiative
2.3 Entwicklung der Schuldenindikatoren und Neuverschuldung nach der Entschuldung
3 Chancen der Neuverschuldung für Länder nach der Entschuldungsinitiative
3.1 Einordnung der Neuverschuldung in entwicklungspolitische Zielsetzungen und wachstumstheoretische Ansätze
3.2 Schuldenfinanzierte öffentliche Investitionen
3.3 Die Bedeutung gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen
3.3.1 Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen und Institutionen
3.3.2 Makroökonomische Rahmenbedingungen
3.4 MDGs und Schuldentragfähigkeit
4 Risiken einer Neuverschuldung nach der Entschuldung
4.1 Verschuldung und Schuldendienst
4.2 Traditionelle Überschuldungsrisiken
4.2.1 Unproduktive Verwendung des Kreditkapitals
4.2.2 Niedrige Exporte und mangelnde Exportdiversifikation
4.3 Neue Herausforderungen nach der Entschuldungsinitiative
4.3.1 Erhöhte öffentliche Inlandsverschuldung
4.3.2 Free-Rider-Problematik
5 Handlungsempfehlungen
6 Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schuldenstand in den HIPC-Ländern in Abhängigkeit der unterschiedlichen Entschuldungsstadien (Schuldenbarwert 2006)
Abbildung 2: Schuldenstand und Risiko einer erneuten Überschuldung in den PDPCs
Abbildung 3: Einflussfaktoren für die negative Entwicklung der Schuldenindikatoren in den PCPCs
Abbildung 4: Neuverschuldungsströme in die PCPCs
Abbildung 5: Nationales Vermögensänderungskonto
Abbildung 6: Konsolidiertes nationales Vermögensänderungskonto
Abbildung 7: Überwindung nationaler Ersparnisengpässe mittels ausländischem Kreditkapital
Abbildung 8: CPIA und HF/ WSJ Gesamtergebnis für ausgewählte Ländergruppen
Abbildung 9: CPIA-Ergebnis „öffentliches Schuldenmanagement“ für ausgewählte Ländergruppen
Abbildung 10: Schuldendienst und Ausgaben zur Armutsbekämpfung in den PDPCs
Abbildung 11: Importund Exportentwicklung in den PCPCs
Abbildung 12: Exportentwicklung in ausgewählten Ländergruppen
Abbildung 13: Entwicklung der Inlandsverschuldung in 14 HIPC-Staaten
Abbildung 14: Nicht-konzessionäre Schuldenströme in die PCPCs
Abbildung A 1: Schuldenklassifikation
Abbildung A 2: Phasenprozess der HIPC-II-Initiative
Abbildung A 3: DSF Uganda 2008
Abbildung A 4: Zahlungsbilanz
Abbildung A 5: Prozess der Kapitalbildung
Abbildung A 6: Armutsfalle
Abbildung A 7: KKM Dimensionen „Korruption“ und „Regierungseffizienz“ sowie CPIA Kategorie „wirtschaftliches Management“ für ausgewählte Ländergruppen
Abbildung A 8: Makroökonomische Indikatoren für ausgewählte Ländergruppen
Abbildung A 9: FDI-Ströme in ausgewählte Ländergruppen
Abbildung A 10: Exportentwicklung in ausgewählte Ländergruppen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Gegenüberstellung von HIPC-Initiative und MDRI
Tabelle 2: Länderindividuelle Schwellenwerte für die Schuldenindikatoren
Tabelle A 1: DSF Uganda 2008
Tabelle A 2: DSF Uganda 2008
Tabelle A 3: CPIA Indikatoren
Tabelle A 4: CPIA 2007 Uganda
Tabelle A 5: Länderspezifische Risikoeinstufung im Rahmen des DSF
Tabelle A 6: HIPC-Ländergruppierungen
Tabelle A 7: Aufteilung der HIPC-Kosten auf die verschiedenen Gläubiger
Tabelle A 8: Verschuldung der PCPCs im Entscheidungsund Abschlusszeitpunkt
Tabelle A 9: Einflussfaktoren auf die negative Entwicklung der Schuldenindikatoren in den einzelnen PCPCs nach dem Abschlusszeitpunkt
Tabelle A 10: DSF in acht PCPCs
Tabelle A 11: MDRI in den PCPCs
Tabelle A 12: Indikatorgruppen des Heritage Foundation/ Wall Street Journal
Index of Economic Freedom
Tabelle A 13: Qualitätsdimensionen des Kaufmann, Kraay, Mastruzzi Index
Tabelle A 14: Entwicklung der MDGs in den PCPCs
Tabelle A 15: Mangelnde Exportdiversifikation in den PCPCs
Tabelle A 16: Teilnahme kommerzieller Gläubiger an der HIPC-Initiative und Gerichtsverfahren privater Gläubiger gegen HIPCs
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Im Zuge der Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC-Initiative) sowie der Multilateralen Entschuldungsinitiative (MDRI) konnte der Schuldenstand in den beteiligten Ländern im Verlauf der vergangenen zehn Jahre erheblich reduziert werden. Mittels der bereitgestellten Entschuldungshilfe soll diesen Ländern geholfen werden, eine in Zukunft tragfähige Schuldenbelastung zu ermöglichen, um so die Realisierung entwicklungspolitischer Ziele zu unterstützen. Aufgrund einer steigenden Neuverschuldung, vor allem in den Ländern, welche die beiden Initiativen vollständig durchlaufen haben, ist die Frage einer wiederum untragbaren Neuverschuldung von frisch entlasteten Ländern in den Fokus der internationalen Schuldendiskussion gerückt. Insbesondere private internationale Kreditgeber haben diesbezüglich ihr Engagement in Folge der gestärkten Kreditwürdigkeit dieser Länder in den Jahren nach der Entschuldung nahezu verdoppelt. Jedoch auch multilaterale und bilaterale Gläubiger haben ihr Kreditangebot erhöht. In Konsequenz begründet dies einen ansteigenden rückzahlungspflichtigen Kapitalstrom in die früheren Teilnehmerländer der HIPC- und MDRI- Initiative.
Ziel vorliegender Arbeit ist nun einerseits die Identifikation entwicklungspolitischer Möglichkeiten, welche sich für die betroffenen Länder aus der erhöhten Kreditkapitalzufuhr potenziell ergeben. Andererseits sollen Risikofaktoren aufgezeigt werden, die in der Lage sind eine erneute Überschuldung dieser Länder zu forcieren.
Der Aufbau der Arbeit gliedert sich hierfür wie folgt: Kapitel 2 bietet zunächst eine einführende Übersicht über die Entschuldungsmechanismen im Rahmen der HIPC-Initiative und der MDRI. Speziell herausgehoben werden in diesem Zusammenhang einzelne Elemente, die einen unmittelbaren Einfluss auf potenzielle Chancen und Risiken einer Neuverschuldung nach der Entschuldung haben. Zudem erfolgt ein Überblick über den derzeitigen Stand der Entschuldung und eine Beschreibung der Neuverschuldungsströme in jene Länder, welche den Entschuldungsprozess durchlaufen haben. Kapitel 3 beleuchtet den möglichen Beitrag der Neuverschuldung zur Realisierung essenzieller entwicklungspolitischer Ziele. Eine genauere Betrachtung erfahren in diesem Zusammenhang die Millenium Ziele (MDGs). Eine Darstellung der Risiken, welche im Zusammenspiel mit einem erhöhten Zufluss an ausländischem Kreditkapital eine erneute Überschuldung der betrachteten Länder bewirken können, erfolgt in Kapitel 4. In Kapitel 5 werden in knapper Form Handlungsempfehlungen gegeben, die sich aus den Ergebnissen der vorangegangenen Kapitel ableiten. Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung.
2 Die Initiative für hochverschuldete arme Länder und Neuverschuldungsströme
Mit der 1996 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank eingeleiteten Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC-Initiative) haben sich multilaterale Gläubiger, dem Pariser Club angehörende und andere öffentliche bilaterale Gläubiger sowie private kommerzielle Gläubiger erstmals auf eine gemeinsame Anstrengung verständigt, um den Schuldenstand der weltweit am stärksten durch Schulden belasteten armen Länder auf ein tragfähiges Niveau zu senken – d.h. auf ein Niveau, welches es diesen Ländern erlaubt, ihre Schulden durch Exporterlöse, Entwicklungshilfe und Kapitalzuflüsse zu bedienen, ohne das langfristige Wirtschaftswachstum und die Armutsbekämpfung zu gefährden (vgl. IMF 2000, S. 50).1 Die Erkenntnis, dass sich der anschließende Fortschritt zu langsam einstellte, sowie die Forderung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Schuldnerländer nach einer Umstrukturierung der Entschuldungsmethodik, veranlasste Anfang 1999 IWF und Weltbank, die Initiative in Teilberiechen zu überarbeiten (vgl. UNCTAD 2004, S. 16).2 Die im Zuge dieser Novellierung entwickelte HIPC-II-Initiative soll im Folgenden bezüglich ihrer Kernbestandteile kurz erläutert werden. Ziel hierbei ist es jedoch nicht die Initiative im vollen Umfang ihrer Details zu erläutern oder zu bewerten. Vielmehr soll zunächst ein Überblick über die Mechanismen, Wirkungsweisen und grundsätzlichen Problematiken des Entschuldungsvorgangs gegeben werden. Eine ausführliche kritische Würdigung einzelner Bestandteile der Initiative wird auf jene Elemente beschränkt, welche einen potenziell direkten Einfluss auf Chancen und Risiken der Neuverschuldung nach der Entschuldungsinitiative haben und erfolgt an entsprechenden Stellen in den Kapiteln 3 und 4.
2.1 Aufbau der Entschuldungsinitiative
2.1.1 Ziele
Das World Bank Operation Development Department (OED)3 (2003, S. 16ff.) konkretisiert drei Hauptziele der HIPC-II-Initiative:4 Erstens die Bereitstellung geeigneter Schuldentragfä- higkeitsstrategien, welche einen dauerhaften Ausstieg der HIPC-Länder aus dem Umschuldungsprozess garantieren sollen.5 Zweitens das Initiieren langfristigen Wirtschaftswachstums und drittens die Nutzung der durch die Entschuldung freiwerdenden Mittel (wegfallende Zinsund Tilgungszahlungen) für die Armutsbekämpfung.
Insbesondere die Ziele zwei und drei verdeutlichen hierbei den unterstützenden Charakter der HIPC-Initiative zur Umsetzung der Millenium Development Goals (MDGs) (vgl. IEG 2006, S. 6, 25ff.).
Hinsichtlich der Realisierbarkeit zeigen sich zwei Probleme der Zielsetzung als inhärent. Zum einen sind dies konfliktäre Zielbeziehungen und zum anderen setzt die Umsetzung der Ziele Maßnahmen voraus, welche außerhalb des Wirkungsbereichs der HIPC-Initiative liegen (vgl. Eaton 2002, S. V, 4). Hervorzuheben bezüglich letzterem ist die Forderung nach einer Steigerung des Nettoressourcentransfers in die HIPC-Länder durch die Entschuldungsinitiative. Dies bedeutet, dass die durch die Entschuldung freiwerdenden Mittel (wegfallende Zinsund Tilgungszahlungen) nicht durch eine simultane Verringerung der bisherig erbrachten Ressourcenzuflüsse in die HIPC-Länder kompensiert werden dürfen.6 Die zusätzlichen Zahlungstransfers beschreiben eine grundsätzliche Voraussetzung für die in Ziel drei vorgesehene Nutzung der aus der Entschuldung freiwerdenden Mittel für die Armutsbekämpfung.7 Dies betrifft primär erhöhte öffentliche Ausgaben im Sozialsektor wie bspw. Gesundheit und Bildung (vgl. Birdsall und Williamson 2002, S. 55). Wie schon angedeutet bietet das Instrumentarium der HIPC-Initiative keine Möglichkeit anderweitige Entwicklungshilfezahlungen zu steuern. Eine ähnliche Problematik betrifft das anvisierte Ziel der Wachstumssteigerung in den HIPC- Ländern. Die Entschuldungsinitiative ist empirisch nachweisbar in der Lage positive Effekte hinsichtlich des Wachstums zu bewirken. Jedoch beschreibt ein Schuldenerlass nur eine von vielen wachstumsfördernden Determinanten auf welche die Entschuldungsinitiative wiederum nur bedingten Einfluss hat (vgl. Clements et al. 2003, S. 6ff.). Die Beziehungen zwischen Entschuldung, Neuverschuldung und Wachstum werden in Kapitel 3 näher betrachtet.
Das OED (2003, S. 17ff.) erläutert zudem eine Reihe von Zielkonflikten. Um eine tragfähige Schuldenlast (Ziel eins) zu gewährleisten sind die zusätzlich benötigten Mittel zur Armutsbekämpfung (Ziel drei) von den HIPC-Ländern zu ausreichend tragfähigen Konditionen aufzunehmen. Im Idealfall betrifft dies unentgeltliche Übertragungen und Zuschüsse aus dem Ausland (Grants) sowie hochkonzessionäre Kredite (concessional loans).8 Doch auch hochkonzessionäre und insbesondere nicht-konzessionäre Darlehen kommerzieller Kreditgeber beschreiben de facto eine Neuverschuldung, welche die Schuldentragfähigkeitskriterien negativ beeinflusst. In ähnlicher Weise benötigt ein Wachstumsanstieg (Ziel zwei) im Falle mangelnder nationaler Ersparnisse zusätzliche Nettoressourcenzuflüsse aus dem Ausland mit deren Hilfe beispielsweise wachstumsfördernde, fiskalpolitische Maßnahmen sowie öffentliche Investitionen finanziert werden können. Dieser Zahlungsmittelzufluss entspricht auch in diesem Fall einer Neuverschuldung wenn nicht ausschließlich Grants verwendet werden. Zur Diskussion bezüglich einer eventuell notwendigen Neuverschuldung nach der Entschuldung, zur Ermöglichung eines adäquaten Wachstums, sei nochmals auf Kapitel 3 verwiesen.
2.1.2 Stufenprozess und MDRI
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über den chronologisch angeordneten Phasenprozess der HIPC-Initiative gegeben werden.9 Eine detaillierte graphische Darstellung findet sich im Anhang (Abbildung A 2). Das erfolgreiche Durchlaufen der unterschiedlichen Phasen beschreibt die Vorraussetzung für diverse Entschuldungsmaßnahmen am Ende des Prozesses. Einzelne wichtige Bestandteile des Prozesses, insbesondere jene mit Einfluss auf eine potenzielle Neuverschuldung der HIPC-Länder nach der Entschuldung, werden in den nachfolgenden Abschnitten separat erläutert.
Um sich für die Entschuldungsinitiative zu qualifizieren, ist die Erfüllung mehrerer Zugangskriterien für jedes teilnehmende Land erforderlich (Phase eins) (vgl. World Bank 2008a). Zunächst muss das Land von Weltbank und IMF als „hochverschuldet“ und „arm“ eingestuft werden. Das Land muss mit einer nicht tragfähigen Schuldenlast konfrontiert sein, welche trotz der bis dato verfügbaren Schulderleichterungs-Mechanismen Bestand hat.10 Eine nicht tragbare Schuldenlast wird demnach angenommen wenn das Verhältnis zwischen dem Barwert der Schulden und den Exporten über 150% liegt (außenwirtschaftliches Kriterium). Um Verzerrungen zu vermeiden, wird die Tragfähigkeit der Schulden bei Ländern mit starker Exportorientierung mittels des Verhältnisses Schuldenbarwert zu Staatseinnahmen beurteilt (fiskalisches Kriterium).11 Diesbezüglich wird eine nicht tragbare Schuldenlast ab einem Schwellenwert von 250% angenommen. Die Voraussetzung für eine Bemessung nach dem fiskalischen Kriterium ist die Erfüllung zweier Qualifikationskennzahlen. Zum einen muss das Verhältnis Exporterlöse zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen Wert von 30% übersteigen. Zum anderen wird für die Relation Staatseinnahmen zu BIP ein Wert von über 20% vorausgesetzt.
Um im Rahmen der Qualifikation für den HIPC-Prozess als „arm“ eingestuft zu werden, muss das jeweilige Land für eine konzessionäre Unterstützung durch IWF und Weltbank anspruchsberechtigt sein. Bezüglich der Weltbank betrifft dies die Zugangsmöglichkeit zu hochkonzessionären Krediten, welche durch die International Development Association (IDA) vergeben werden. Hinsichtlich des IWF muss sich das Land für die konzessionäre Kreditfazilität PRGF (Poverty Reduction and Growth Facility) qualifiziert haben.12 In beiden Fällen stützt sich die Teilnahmeberechtigung hauptsächlich auf das Pro-Kopf-Einkommen des Landes. Der Schwellenwert liegt derzeit bei 1025 US-Dollar. Neben dem Armutsund Verschuldungskriterium hat sich das Land zudem auf Strukturanpassungsund Reformprogramme festzulegen, die von IWF und Weltbank unterstützt werden. Diese Programme sind drei Jahre zu verfolgen. Während dieser Zeit erhält das Land weiterhin herkömmliche konzessionäre Unterstützung von allen relevanten Gebern und multilateralen Institutionen sowie Schulderleichterung durch bilaterale Gläubiger (einschließlich des Pariser Clubs).13 Ein wesentliches Qualifikationsmerkmal stellt darüber hinaus die Entwicklung länderspezifischer Armutsbekämpfungstrategien in Form eines Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) dar.14
Eine Überprüfung der Qualifikationsvoraussetzungen erfolgt in Phase eins durch Weltbank und IWF mittels der länderspezifischen „Preliminary HIPC Documents“, welche zugleich einen möglichen Zeitraum für den Entscheidungszeitpunkt festlegen.
Im Entscheidungszeitpunkt wird die Schuldenlast erneut auf deren Tragfähigkeit überprüft und die Höhe des im Abschlusszeitpunkt, durch multilaterale, bilaterale und kommerzielle Gläubiger zu gewährenden Schuldenerlasses bestimmt. Der Betrag des zugesicherten Schuldenerlasses hängt vom Bedarf ab, welcher notwendig ist um die Schulden auf ein tragfähiges Niveau zu senken. Ferner entscheiden IWF und Weltbank über die Weiterführung der länderindividuellen Politikmaßnahmen im Rahmen der Strukturanpassungsund Reformprogramme unter spezieller Berücksichtigung der PRSP. Für die PRSP werden in Zusammenarbeit mit den HIPC-Ländern quantitative und qualitative Ziele ausgearbeitet. Sobald diese Ziele erfüllt sind ist der Abschlusszeitpunkt erreicht.15
Die Anwendung sogenannter gleitender Abschlusszeitpunkte erlaubt es leistungsstarken Ländern, ihren Abschlusszeitpunkt schon früher zu erreichen wenn äußerst zufrieden stellende Bemühungen ersichtlich sind diese Programme zu erfüllen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit eines interimistischen Schuldenerlasses während der zweiten Phase, d.h. der Schuldendienst kann bereits während der zweiten Phase reduziert werden, um die Reformund Stabilitätsprogramme zu unterstützen (vgl. UNCTAD 2004, S. 16).
Nach Bestätigung des Abschlusszeitpunktes stellen die Gläubigergruppen die Unterstützung bereit, die zum Entscheidungszeitpunkt festgelegt worden ist. Vorübergehende Schuldenerleichterung, die zwischen Entscheidungsund Abschlusszeitpunkt bereitgestellt wird, wird dieser Unterstützung zugerechnet (vgl. Abbildung A 2). Mit der Implementierung der „Multilateral Debt Relief Initiative“ (MDRI) im Jahre 2005 werden den Ländern, die den Abschlusszeitpunkt erreicht haben zudem sämtliche Schulden bei den multilateralen Institutionen IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsfonds (AFEF) erlassen. Alle weiteren multilateralen, bilateralen und kommerziellen Gläubiger entschulden hingegen, wie angedeutet, nach den getroffenen Vereinbarungen im Entscheidungszeitpunkt. Eine kurze Gegenü- berstellung von HIPC-Initiative und MDRI zeigt Tabelle 1.
Tabelle 1: Gegenüberstellung von HIPC-Initiative und MDRI.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: IMF 2006b, S. 68.
2.1.3 Essenzielle Bestandteile der HIPC-Initiative im Hinblick auf eine Neuverschuldung
Die Strategiedokument zur Armutsbekämpfung (PRSP) beschreiben eine Kernkomponente im HIPC-Prozess.16 Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, ist deren Erstellung in der ersten Phase und Realisierung in der zweiten Phase unbedingte Voraussetzung zur Erlangung entschuldender Maßnahmen im Abschlusszeitpunkt. Sie beschreiben weiterhin die programmatische Grundlage für die Verwendung eingesparter Finanzmittel aus der Schuldenerlassinitiative HIPC (vgl. Ziel drei der HIPC-Initiative) sowie für Anpassungsprogramme und Kreditlinien (bspw. PRGF) von IWF und Weltbank (vgl. Strickner und Vögel 2003, S. 3). Eine explizite inhaltliche Beschreibung der nationalen PRSPs gestaltet sich jedoch schwierig, da sich die Strategiedokumente aufgrund ihres länderspezifischen Charakters stark unterscheiden.17 Zwei strategiepolitische Hauptrichtungen der PRSPs können jedoch landesübergreifend identifiziert werden. Zum einen sind dies wachstums-, sektorund strukturpolitische Maßnahmen und zum anderen sozialpolitische Maßnahmen (vgl. Haraldsdóttir 2006, S. 32f.). Erstere zielen auf die Generierung armutsmindernden Wachstums (vgl. Ziel zwei der HIPC-Initiative). Als zentrale Inhalte lassen sich diesbezüglich makroökonomische Stabilisierungsanstrengungen im Sektor Geldund Fiskalpolitik festhalten. Insbesondere fiskalpolitische Maßnahmen im Bereich der Ausgabenpolitik gewinnen zunehmend an Relevanz, wenn es darum geht, die durch die HIPC-Initiative freiwerdenden Mittel sowie zusätzlich aufgenommenes Kapital investiver Verwendung zuzuführen. Hinsichtlich der Strukturreformen enthält die überwiegende Mehrzahl der Länder PRSPs Kapitalund Handelsliberalisierungspläne, Privatisierungsansätze sowie Reformen zur Schaffung eines privatinvestitionsfreundlichen Klimas. Weitere Strukturund Anpassungsprogramme werden im Politikund Rechtssystem implementiert. Sozialpolitische Handlungsstrategien wie bspw. im Gesundheitsund Bildungssektor setzen hingegen direkt an der Armutsbekämpfung an (vgl. Ziel drei der HIPC-Initiative).
Die Qualität und Umsetzung der PRSP beeinflussen in beträchtlicher Weise die Auswirkungen einer Neuverschuldung nach den Entschuldungsmaßnamen. In Abhängigkeit der, mittels der PRSP beinflussten bzw. geschaffenen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, generiert die Verschuldung Effekte im positiven sowie im negativen Sinn (vgl. IMF 2004a, S. 15). Schwächen im Konzept und in den Inhalten der PRSP bergen diesbezüglich die Gefahr nachteilige Folgen einer Neuverschuldung zu forcieren. Eine genauere Betrachtung der Auswirkungen der Armutsbekämpfungsstrategien auf die Neuverschuldung speziell im Bezug auf verbesserter oder verschlechterten wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen erfolgt im Kapitel 3.3.
Wie oben erläutert, beschreibt die nachhaltige Reduktion der Schulden in den HIPC-Ländern auf ein tragfähiges Niveau eines der zentralen Ziele der Entschuldungsinitiativen. IWF und Weltbank beurteilen die Schuldentragfähigkeit mittels der Debt Sustainability Analysis (DSA). Zwei Kernbereiche charakterisieren die DSA. Zum einen ist dies die bereits aufgezeigte Schuldentragfähigkeitsanalyse vor und am Entscheidungszeitpunkt sowie im Abschlusszeitpunkt unter Verwendung der Indikatoren Schuldenbarwert zu Exporterlösen bzw. Schuldenbarwert zu Staatseinnahmen. Den zweiten Kernbereich beschreiben jährlich und ebenfalls länderspezifisch angefertigte Schuldentragfähigkeitsprognosen, welche als Kontrollinstrument genutzt werden, um die Entwicklung der Schuldentragfähigkeitskriterien insbesondere nach dem Abschlusszeitpunkt vorherzusagen. Zudem nehmen die DSA innerhalb des von IWF und Weltbank im Jahr 2004 implementierten Debt Sustainability Framework (DSF) einen zentralen Stellenwert ein. Das DSF wurde entwickelt, um Low-Income Countries (LICs) und im speziellen HIPC-Ländern nach deren Abschlusszeitpunkt, beratende Unterstützung hinsichtlich einer Neuaufnahme von Krediten zu bieten mit dem Ziel eine erneute, entwicklungshemmende Überschuldung zu verhindern sowie eine beschleunigte Umsetzung der MDGs zu ermöglichen (vgl. IDA und IMF 2007a, S. 1).18 19 Regelmäßig durchgeführte, länderindividuelle DSFs sollen dann unterstützende Hinweise für die Entwicklung wirtschaftspolitische Reformbemühungen liefern und somit den Aufbau einer vom jeweiligen Land selbst erstellten mittelfristigen Verschuldungsstrategie ermöglichen. Dies soll zu einer Verschuldung führen, die erstens konform mit den makroökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten des Landes ist, zweitens tragfähig ist und drittens die Kosten bei angemessenem Risiko in mittel und langfristiger Sicht minimiert. Weiterhin ist beabsichtigt, dass internationale Gläubiger mit Hilfe des DSF hinsichtlich der Verschuldungssituation der LICs bzw. der HIPCs sensibilisiert werden und geeignete Vorschläge bezüglich der Kreditvergabestrategien ausarbeiten. Aufgrund der Auswirkung des DSF auf die Verschuldungssituation nach der Entschuldung soll das Konzept nachfolgend kurz beschrieben werden.
Das DSF besteht im Wesentlichen aus einer, im Vergleich zu den HIPC-DSAs modifizierten Schuldentragfähigkeitsanalyse (LIC-DSA), welche sich aus drei Kernbestandteilen zusammensetzt (vgl. IDA und IMF 2007a, S. 3).20
Zunächst wird die Entwicklung der Schulden und des Schuldendienstes für die kommenden 20 Jahre unter Erarbeitung verschiedener Risikoszenarien prognostiziert. Anschließend erfolgt die Beurteilung der Schuldentragfähigkeit mittels Schuldenindikatoren, deren Schwellenwerte in Abhängigkeit der länderindividuellen politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, institutionellen und sozialen Rahmenbedingungen festgelegt wurden. Die Ergebnisse werden im Anschluss an die Analyse in länderspezifische Kreditvergabeund Kreditaufnahme Empfehlungen verarbeitet.
Im Folgenden soll die geschilderte Vorgehensweise in knapper Form am Beispiel der LIC- DSA Ugandas für dessen Fiskaljahr 2008 erläutert werden.21 Die Schuldenund Schuldendienstentwicklung für einen Prognosezeitraum von 20 Jahren zeigt Tabelle A 1 im Anhang (erster Kernbestandteil des DSF). Bedingt durch den knappen Rahmen vorliegender Arbeit soll auf eine explizite Darlegung des aufwendigen Erstellungsprozesses der Output-Tabelle an dieser Stelle verzichtet werden.22 Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die Erklärungen und Interpretationshinweise der Ergebnisse in vorliegender Tabelle. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Schuldenartenklassifikation in Abbildung A 1 im Anhang verwiesen.
Präzise ausgedrückt handelt es sich bei vorliegender Tabelle um die Darstellung der prognostizierten Auslandsschulden in Relation zum BIP vor dem Hintergrund eines makroökonomischen Basisszenarios. Dies bedeutet, dass die zur Prognose der Schuldenentwicklung und deren Zusammensetzung (oberer Bereich des Tableaus) herangezogenen makroökonomischen Annahmen (abzulesen im unteren Bereich) unter realistischen Vorgaben zu treffen sind (vgl. World Bank 2006, S. 23). Ausgehend vom Verhältnis der nominalen gesamten Auslandsschulden zum BIP lassen sich die im Rahmen des DSF essenziellen Schuldentragfähigkeitsindikatoren ableiten (mittlerer Bereich).23 Neben der bereits in der HIPC-Initiative eingesetzten Indikatorrelation Barwert der öffentlichen und öffentlich garantierten (öög.) Auslandsschulden zu Exporterlösen bzw. Staatseinnahmen werden in die LIC-DSA zudem die Verhältnisse Barwert öög. Auslandsschulden zum BIP sowie das Verhältnis Schuldendienst der öög. Auslandsschulden zu den Exporterlösen bzw. den Staatseinnahmen berücksichtigt (vgl. Tabelle 2).24 Innerhalb des ersten Kernbestandteils des DSF werden zusätzlich zum Basisszenario im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse Alternativszenarien und Schocktests durchgeführt (vgl. Tabelle A 2). Während die Alternativszenarien die veränderte Entwicklung der Schuldentragfähigkeitsindikatoren mittels permanent und konstant (über den gesamtem Prognosezeitraum hinweg) veränderter Kernannahmen im Vergleich zum Basisszenario untersuchen sollen, werden Schocktests herangezogen, um die Reaktion der Indikatoren auf kurzfristige makro- ökonomische Schocks zu analysieren (vgl. World Bank 2006, S. 24ff.).
Im Rahmen des zweiten Kernbestandteils des DSF attestieren empirisch ermittelte Schwellenwerte die Tragfähigkeit der prognostizierten Schuldenindikatoren (vgl. Tabelle 2).25
Tabelle 2: Länderindividuelle Schwellenwerte für die Schuldenindikatoren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: IDA und IMF 2007a, S. 5.
Im Unterschied zur HIPC-Initiative erfolgt die Schuldentragfähigkeitsbeurteilung eines jeden Landes unter Zuhilfenahme von Schwellenwerten, deren Ausprägung abhängig von der länderspezifischen Regierungsführung, der Wirtschaftspolitik und den Institutionen sind. Diesem Vorgehen liegt das Argument zugrunde, dass Länder mit höheren Qualitätsniveaus in den nationalen Rahmenbedingungen höhere Schuldenlasten verkraften können ohne das Überschreiten ihrer Schuldentragfähigkeit zu riskieren (vgl. IMF und IDA 2005, S. 9ff.).26 Die Einordnung der länderspezifischen Qualität der wirtschaftspolitischen Handlungen und Reformvorhaben in die Kategorien „gering“, „mittel“ und „hoch“ erfolgt mittels des Country Policy and Institutional Assessment (CPIA) der Weltbank.27 Die Beurteilung der Qualität richtet sich diesbezüglich nach der Fähigkeit der jeweiligen Rahmenbedingung die Armut zu reduzieren, nachhaltiges Wachstum zu generieren und eine effektive Nutzung von Entwicklungshilfe jeglicher Form zu garantieren (vgl. World Bank 2008d).
Unter Verwendung der Prognosen über die Entwicklung der Schuldentragfähigkeitsindikatoren im Basisszenario sowie der Bestimmung der landesindividuellen Schwellenwerte wird dann das länderspezifische Risiko einer zukünftigen nicht tragfähigen Schuldenlast ermittelt (vgl. Tabelle A 5). 28
Mittels des Fallbeispiels Uganda lässt sich der Prozess des ersten und zweiten Kernbestandteils in knapper Form veranschaulichen. Die Entwicklung der differenzierten Schuldenindikatoren Ugandas, unter den getroffenen makroökonomischen Annahmen lässt sich, wie bereits erwähnt den Output-Templates der LIC-DSA Ugandas entnehmen (vgl. Tabelle A 1 und Tabelle A 2). Ugandas Qualität der wirtschaftspolitischen Handlungen und Reformbemühungen werden durch das CPIA 2007 in die Kategorie „stark“ eingeordnet (vgl. Tabelle A 4) (vgl. World Bank 2008e). Die zugehörigen länderspezifischen Schwellenwerte können somit in Tabelle 2 festgestellt werden. Die Graphische Simulation der Schuldenindikatorentwicklung Ugandas und deren Interpretation erlaubt in Konsequenz die Beurteilung des Verschuldungsrisikos nach Tabelle A 5. Da im Basisszenario und in den Sensitivitätsanalysen keiner der prognostizierten Indikatorschwellenwerte überschritten wird, ordnen IWF und Weltbank Uganda ein geringes Überschuldungsrisiko zu (vgl. Abbildung A 3).29
Im abschließenden dritten Kernbestandteil des DSF nutzen IWF, Weltbank und weitere multilaterale Organisationen, wie bspw. der Afrikanische Entwicklungsfonds (AFEF), die Risikoklassifizierung aus dem zweiten Schritt zur Entscheidung über die Vergabemodalitäten der zu vergebenden Kredite. Die multilateralen Institutionen entscheiden in diesem Zusammenhang über die Höhe des Grantanteils (Schenkungsanteil) der Kredite. Länder mit hohem Überschuldungsrisiko erhalten demnach eine Finanzierung mit einem Grantanteil von 100%, Länder mit moderatem Risiko einen Grantanteil von 50%. Nationen mit geringem Risiko haben bezüglich der DSF keinen Zugriff auf Grants. Ihnen steht eine Finanzierung zu hochkonzessionären Bedingungen der multilateralen Institutionen zu (vgl. World Bank 2006, S. 14).30 Zudem sollen internationale bilaterale und vor allem private kommerzielle Gläubiger mittels des DSF bezüglich der Gefahren einer neuen Überschuldung durch die Vergabe nichtkonzessionärer Kredite sensibilisiert werden.31
Basierend auf dem empirisch nachgewiesenen Einfluss öffentlicher und öffentlich garantierter (öög) Inlandsschulden hinsichtlich einer potenziellen Überschuldung eines Landes werden im LIC-DSA neben der Betrachtung der öög. Auslandsschulden auch öög. Inlandsschulden in die Analyse einbezogen (vgl. IMF und World Bank 2006, S. 25 und S. 49ff.).32 Aufgrund konzeptioneller und qualitativer Unterschiede zwischen öög. Auslandsschulden und öög. Inlandsschulden und daraus folgenden Vergleichbarkeitsschwierigkeiten werden die ermittelten Schuldentragfähigkeitsparameter der öög. Inlandsschulden bei der Bestimmung des Überschuldungsrisikos mittels der länderspezifischen Schwellenwerte aber nicht mit einberechnet.33 Infolge der Relevanz der öög. Inlandsschulden in Bezug auf eine mögliche Überschuldung empfehlen IDA und IMF jedoch die ermittelten Schuldentragfähigkeitsindikatoren der Inlandsschulden in eine qualitative Analyse des in Tabelle A 5 dargestellten Überschuldungsrisikos einfließen zu lassen.34 Mit dem vorgestellten Konzept des DSF und den integrierten LIC-DSAs reagierten IWF und Weltbank auf zentrale Kritikpunkte an der Schuldentragfähigkeitsprognose der HIPC-Initiative. Dies betrifft die Anwendung mehrerer Schuldentragfähigkeitsindikatoren und deren flexible Anwendung im Hinblick auf die gegebenen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes.35 Weiterer Vorteil der LIC-DSAs ist die externe Berücksichtigung der öög. Inlandsschulden sowie diverser Alternativund Schockszenarien. Letztere versuchen dem Vorwurf der Verwendung zu optimistischer makroökonomischer Voraussagungen bei der Erstellung der HIPC-DSAs entgegenzuwirken (vgl. Kitabire und Kabanda 2007, S. 13f.; OED 2003, S. 28ff.; UNCTAD 2004, S. 21).
Abschließend soll das DSF noch einer kurzen kritischen Betrachtung unterzogen werden. Auf eine Erläuterung kritischer Ansatzpunkte hinsichtlich Methodologie und Konzeption wird an dieser Stelle verzichtet.36 Hervorgehoben werden sollen Schwächen des Ansatzes, welche potenziell negative Auswirkungen der Neuverschuldung forcieren. Die nachfolgend herausgegriffenen Punkte sollen dabei lediglich einen Einstieg in die Problematik bieten. Eine Analyse der Verschuldungswirkung erfolgt in Kapitel 4.
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1 Mittels der HIPC-Initiative reagierten die Bretton-Woods-Institutionen auf zwei Jahrzehnte erfolgloser Versuche, Lösungsansätze für das Verschuldungsproblem armer Länder zu implementieren. Eine ausführliche Beschreibung dieser Lösungsansätze und deren Initiatoren bieten Daseking und Powell (1999, S. 3ff.), Easterly (1999, S. 3ff.), UNCTAD (2004, S. 11ff.).
2 Eine detaillierte Gegenüberstellung von ursprünglicher und erweiteter HIPC-Initiative (HIPC II) findet sich in OED (2003, S. 12).
3 2005 umbenannt in Independent Evaluation Group (IEG).
4 Ab sofort soll für „HIPC-II-Initiative“ vereinfachend „HIPC-Initiative“ geschrieben werden.
5 Die HIPC-Initiative bezieht sich ausschließlich auf öffentliche und öffentlich garantierte (öög.) Auslandsschulden. Öffentliche Inlandsschulden und Schulden des privaten Sektors werden nicht miteinbezogen. In Kapitel 4.3.1 vorliegender Arbeit werden die Risiken einer Aussparung von Inlandsschulden insbesondere bezüglich einer Neuverschuldung nach der Entschuldung genauer untersucht. Abbildung A 1 im Anhang gibt diesbezüglich einen schematischen Überblick über den Zusammenhang von öffentlichen bzw. privaten Auslandsschulden sowie öffentlichen bzw. privaten Inlandsschulden Im Folgenden wird bei dem Verweis auf eine Abbildung oder Tabelle, die sich im Anhang befindet nur das Kürzel „A“ eingefügt. Auf den Zusatz „im Anhang“ wird verzichtet.
6 Ressourcenzuflüsse sind hier als Entwicklungshilfeströme in Form von Zahlungsströmen aufzufassen. Diese umfassen unentgeltliche Übertragungen aus dem Ausland (Grants) und Kredite (Loans) (vgl. OED 2003, S. 101).
7 Das IEG (2006, S. 11ff.) ermittelte für die HIPC-Länder im Zeitraum 1996 bis 1999 eine Reduktion und ab dem Jahr 2000 einen Anstieg jener Entwicklungshilfe (i.S.v. Zahlungsströmen), welche nicht auf den Schuldenerlass zurückgeht.
8 Konzessionäre Kreditkonditionen zeichnen sich im Vergleich zu Marktkonditionen durch wesentlich geringere Kapitalkosten und/ oder längere Tilgungsfristen aus (vgl. OECD 2007, S. 131 und World Bank 2006, S. 7ff.). Eine explizite Darstellung zur Errechnung konzessionärer Konditionen findet sich in IDA (2006, S. 10).
9 Eine umfassende Darstellung des HIPC-Prozesses liefern Neuwirth/ Rohregger (2001, S. 14ff.) und OED (2003, S. 15ff.).
10 Die HIPC-Initiative sieht vor die Schuldenlast der HIPCs zu verringern und zwar auf Grundlage der Bemü- hungen, die im Pariser Club der bilateralen Gläubiger bereits gemacht wurden. Die Länder müssen sich also vor ihrem HIPC-Erlassgesuch schon an den Pariser Club gewandt haben, um eine „traditionelle“ Schuldenumwandlung zu erhalten. Die letzte Phase dieser „traditionellen“ Schuldenumwandlungen bezeichnete man „Naples Terms“ (vgl. Neuwirth/ Rohregger 2001, S. 11ff.).
11 Um eventuelle Volatilitäten der Exporterlöse und der Staatseinnahmen zu glätten, werden beide Größen als Durchschnittswert der letzten drei Jahre angegeben. Der Diskontsatz zur Berechnung des Schuldenbarwertes entspricht den währungsspezifischen und langfristigen Commercial Interest Reference Rates (CIRRs) (vgl. IMF und IDA 2005, S. 12f.). Der Schuldenbarwert wird in der anglo-amerikanischen Literatur in Zusammenhang mit der HIPC-Initiative häufig als Net Present Value (NPV) bezeichnet. Aus finanzmathematischer Sicht ist dies jedoch nicht korrekt, da der NPV den Kapitalwert einer Zahlungsreihe beschreibt. Richtig ist der Ausdruck Present Value (PV) (vgl. IMF 2003, S. 265).
12 Die Weltbank unterstützt mit den IDA Krediten vor allem Reformpläne im öffentlichen Sektor (bspw. institutionelle Anstrengungen zur Verwirklichung einer „good governance“) und armutsorientierte Sektorpolitiken. Der IWF finanziert mittels der PRGF hauptsächlich makroökonomische Reformvorhaben (Wechselkurs-, Geld oder/ und Finanzpolitik). IWF und Weltbank stimmen sich bei etwaigen Überschneidungen ab (vgl. Leschke 2007, S. 340). Für weiterführende Erläuterungen hinsichtlich der Vergabemodalitäten und Ressourcenallokation der IDA Kredite vgl. World Bank (2008b) und der PRGF Kredite vgl. IMF (2008a).
13 Die durchzuführenden Reformprogramme sind länderindividuell und wurden zum Teil schon vor dem HIPC- Qualifikationsprozess eingeleitet. Einen Einblick in diese größtenteils wachstumsorientierten Reformprozesse geben die sogenannten „Preliminary HIPC Documents“ (vgl. IMF 2008b).
14 Der Inhalt der PRSP wird aufgrund deren Einfluss auf positive und negative Effekte einer Neuverschuldung nach der Entschuldung in Kapitel 2.1.3 genauer erläutert.
15 Länderspezifische Informationen zum Entscheidungszeitpunkt können den jeweiligen Decision Point Documents entnommen werden (vgl. IMF 2008b). Für länderspezifische Informationen zum Abschlusszeitpunkt (Completion Point Documents) vgl. IMF (2008b).
16 1999 stellten IWF und Weltbank einen neuen Ansatz zur Armutsbekämpfung vor. Im Rahmen des PRSP Konzeptes sollen die Regierungen der Entwicklungsländer in Eigenverantwortung und unter Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen (Partizipation der Zivilgesellschaft) nationale Strategien zur Armutsbekämpfung entwickeln. Die Rolle von IWF und Weltbank beschränkt sich hierbei auf eine beratende Funktion. Andere Akteure wie UN-Organisationen, bilaterale Geber und NROs sollen in dieser Phase ebenfalls beratend tätig werden. Die fertig gestellten Strategiepapiere müssen jedoch von den Exekutivgremien des IWF und der Weltbank genehmigt werden, so dass beide Institutionen noch immer einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungsstrategien der Länder haben können. Mit dieser neuen Poverty Reduction Strategy (PRS) sollen für jedes Land angemessene Stabilisierungs-, Strukturund Sozialpolitiken ermittelt werden, um Armut zu reduzieren und gesellschaftliche Entwicklung zu erreichen (vgl. PRSP-WATCH 2008). Für eine detaillierte Ausführung der Prinzipien und Ziele der PRSP sowie Unterschieden zu bisherigen Armutsstrategien vgl. IMF (2004, S. 14ff.) und Strickner und Vögel (2003, S. 3ff.).
17 Eine Auflistung aller Länder PRSPs findet sich in IMF (2008c).
18 Die Weltbank fasst Länder mit einem BNE pro Kopf von kleiner oder gleich 935 US-Dollar in die Gruppe der Low-Income-Countries zusammen (vgl. World Bank 2008c).
19 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das DSF kein unmittelbarer Bestandteil der HIPC-Initiative ist. Aus didaktischen Gründen aufgrund des Zusammenhangs mit den HIPC-DSAs soll das Konzept an dieser Stelle erläutert werden.
20 Die 2004 im Rahmen des DSF Konzeptes neu entwickelten LIC-DSAs werden aufgrund verbesserter Prognosemöglichkeiten zusätzlich zu den HIPC-DSAs jährlich für alle HIPCs angefertigt. Um eine Vergleichbarkeit zu früheren Zeiträumen beizubehalten, werden die HIPC-DSAs jedoch weiterhin erstellt und bleiben bis zum Abschlusszeitpunkt vorherrschendes Analyseinstrument betreffend aller Entscheidungen innerhalb des HIPC- Prozesses. Hinsichtlich der Prognose der Schuldenentwicklung nach dem Abschlusszeitpunkt empfehlen IWF und Weltbank jedoch die LIC-DSAs. Für eine Gegenüberstellung beider Konzepte vgl. IEG (2006, S. 14ff.) sowie IDA und IMF ( 2007, S. 17f.).
21 Uganda qualifizierte sich als erstes Land für den Abschlusszeitpunkt unter der HIPC-I-Initiative im Jahr 1998. Nach einem ersten Schuldenerlass nach dem Erreichen des Abschlusszeitpunkts in Höhe von 656 Mio. US- Dollar und der Senkung des Exportindikators auf 150% wurde in den Fiskaljahren 2005 und 2006 im Rahmen der MDRI nochmals ein Betrag von 3.6 Mrd. US-Dollar erlassen, nachdem der Exportindikator wieder auf über 250% angestiegen war. Das Fiskaljahr 2008 umfasst den Zeitraum 30. Juni 2007 bis 30. Juni 2008.
22 Eine ausführliche Erklärung zur Anfertigung einer LIC-DSA insbesondere zur Erstellung einer zwanzig jährigen Schuldenentwicklungsprognose auf Basis der Entwicklung makroökonomischer Indikatoren findet sich in World Bank (2006). Die in diesem Zusammenhang im Anhang aufgeführte Tabelle A 1 und Tabelle A 2 dienen in erster Linie der Veranschaulichung und sind nicht in allen Details für das Verständnis vorliegender Arbeit als voraussetzend zu betrachten.
23 Für eine Darstellung der hierfür angewandten Abzinsungsund Währungsumrechnungsverfahren vgl. World Bank (2006, S. 17ff.).
24 Für eine Begründung zur Aufnahme von Schuldendienstindikatoren und deren Zusammenspiel mit den Schuldenbarwertindikatoren vgl. IMF und IDA (2004b, S. 14f.).
25 Eine Beschreibung der empirischen Vorgehensweise enthalten die Arbeiten von Kraay und Nehru (2004), IMF und IDA (2004a) sowie IMF und IDA (2004b).
26 Eine Untersuchung der Wirkungszusammenhänge zwischen Verschuldung, länderspezifischen Rahmenbedingungen (insbesondere in wirtschaftlicher und institutioneller Hinsicht) sowie der daraus potenziell resultierenden Gefahr der Überschuldung (Überschreitung der Schuldentragfähigkeitskriterien) erfolgt in Kapitel 3.3.
27 Das CPIA beurteilt die jeweiligen nationalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Reformbemühungen mittels vier Kategorien (ökonomisch, strukturelle, soziale und institutionell). Die Qualität jeder Kategorie wird durch mehrere Indikatoren bestimmt (vgl. Tabelle A 3 und Tabelle A 4). Jeder Indikator wird auf einer Skala von eins bis fünf beurteilt. Ein Gesamtdurchschnittswert über 3,75 qualifiziert ein Land als stark, ein Wert zwischen 3,25 als mittel und unter 3,25 als schwach bezüglich der Qualität der Rahmenbedingungen (vgl. IEG 2006, S. 55). Eine ausführliche Beschreibung der CPIA Methodik bietet World Bank (2007).
28 Die jeweiligen Schwellenwerte sind jedoch nicht als starre Grenzen zu interpretieren. Vielmehr beschreiben sie Anhaltspunkte, um eine ganzheitliche Einschätzung der gegenwärtigen und künftigen Verschuldungssituation zu ermöglichen. Weitere länderspezifische Sonderinformationen, welche nicht explizit in den Schwellenwerten verarbeitet sind (bspw. akute politische Instabilitäten oder Unruhen), müssen zudem in eine umfassende Länderdiagnose einfließen (vgl. IMF und IDA 2004b, S. 3).
29 Die gesamte LIC-DSA Ugandas inklusive weiterführender Interpretationshinweise kann unter World Bank (2008f) eingesehen werden.
30 Eine ausführliche Beschreibung der Finanzierungsmerkmale liefern IDA und IMF (2006, S. 2).
31 Kapitel 4 vorliegender Arbeit vertieft die Diskussion potenzieller Gefahren einer Neuverschuldung.
32 Beispielsweise sei hier der negative Einfluss der Inlandsschulden auf die makroökonomische Stabilität angeführt, was wiederum die Fähigkeit des Landes mindert, öög. Auslandsschulden effektiv und effizient einzusetzen (vgl . IMF 2004b, S. 44).
33 IDA und IMF (2004b, S. 40ff. und 2006b, S. 26) bieten eine ausführliche Darstellung der Unterschiede.
34 Eine explizite Untersuchung der Inlandsschuldenlast und der damit verbundenen Risiken führt der IWF in gesonderten Länderfallstudien durch, welche aber in die Ergebnisse der LIC-DSAs einfließen (vgl. IMF 2004b, S. 43ff.).
35 Eine kritische Diskussion bezüglich der Anwendung von nur einem Schuldentragfähigkeitsindikator in den HIPC-DSAs findet sich in den Arbeiten von Birdsall und Williamson (2002) sowie Eurodad (2002).
36 Kaiser (2006) sowie Kitabiri und Kabanda (2007) bieten diesbezüglich eine Übersicht.
- Quote paper
- Bastian Beck (Author), 2008, Neue Schuldenaufnahme nach dem Schuldenerlass - Chancen und Risiken für Entwicklungsländer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121311
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