Die ukrainische Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 ist unumgänglich mit dem Schlagwort der ‚demokratischen Revolution’ verbunden. Das Land und die politischen Ereignisse gerieten für einige Wochen in den Fokus der Weltöffentlichkeit und riefen ein immenses Presseecho hervor. Sie werden fortwährend als Fixpunkt für die neuesten Demokratisierungstendenzen in den Staaten Osteuropas herangezogen.
Demnach sollen in der folgenden Arbeit die Entstehungsfaktoren der Revolution in der Ukraine betrachtet werden. Dazu werden die Grundlinien im Verhältnis zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen kurz dargelegt, so dass im Anschluss die vorrevolutionäre Zeit betrachtet werden kann. Im Zusammenhang mit den eigentlichen Ereignissen kommt den Wahlen als ein wichtiger Auslöser hohe Bedeutung zu. So soll weiter überprüft werden, ob man die Ereignisse wirklich als eine demokratische Revolution bezeichnen kann. In einem anschließenden Teil werden daher die vielfältigen Faktoren außenpolitischer Intervention berücksichtigt, bei der sich die EU als Förderer von Demokratie engagierte. Nach der Erarbeitung der EU-Maßnahmen erfolgt schließlich die Gesamtschau und ein Ausblick im abschließenden Fazit.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Vom Endes des Kalten Krieges zur Orangen Revolution
2.1. Russland, Ukraine und Demokratisierung
2.2. Die vorrevolutionäre Situation in der Ukraine
III. Die Orangene Revolution in der Ukraine
3.1. Die Ereignisse im Winter 2004
3.2. Zivilgesellschaft, Wahlen und Revolution
3.3. Demokratisierungsunterstützung der EU
VI. Ereignisse und Perspektiven nach der Revolution
V. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die ukrainische Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 ist unumgänglich mit dem Schlagwort der ‚demokratischen Revolution’ verbunden. Das Land und die politischen Ereignisse gerieten für einige Wochen in den Fokus der Weltöffentlichkeit und riefen ein immenses Presseecho hervor. Sie werden fortwährend als Fixpunkt für die neuesten Demokratisierungstendenzen in den Staaten Osteuropas herangezogen.
Denn mit der Beendigung des Kalten Krieges setzte eine Transformationsphase ein, in der sich die ehemaligen Sowjetstaaten zu postkommunistischen Autokratien entwickelten. Doch die Herrschaft der Sowjeteliten erfuhr in der neueren Geschichte einen Dämpfer: Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends entwickelten sich in vielen Sowjetrepubliken demokratische und meist friedliche Revolutionen. Angefangen mit dem Widerstand in Serbien und Protestbestrebungen in anderen osteuropäischen Staaten wie etwa Slowenien, verdichtete sich dieser Wandel in der Orangen Revolution der Ukraine. Dort vollzog sich seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 ein Regime- und Regierungswechsel, der nicht nur nachhaltigen Einfluss auf das Land, sondern auf die gesamte Region ausübte.[1] Dabei kam den schwierigen Wahlen ein besonderer Stellenwert zu, da sie gleichsam zu einem Bedingungsfaktor der Revolte wurden. Der Widerstand wurde von der Zivilgesellschaft getragen, die sich ihrer Stimmen beraubt sah. Der Einsatz der Bürger ermöglichte letztendlich die friedliche Revolution und brachte das Regime zu Fall.
Demnach sollen in der folgenden Arbeit die Entstehungsfaktoren der Revolution in der Ukraine betrachtet werden. Dazu werden die Grundlinien im Verhältnis zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen kurz dargelegt, so dass im Anschluss die vorrevolutionäre Zeit betrachtet werden kann. Im Zusammenhang mit den eigentlichen Ereignissen kommt den Wahlen als ein wichtiger Auslöser hohe Bedeutung zu. So soll weiter überprüft werden, ob man die Ereignisse wirklich als eine demokratische Revolution bezeichnen kann. In einem anschließenden Teil werden daher die vielfältigen Faktoren außenpolitischer Intervention berücksichtigt, bei der sich die Europäische Union als Förderer von Demokratie engagierte. Nach der Erarbeitung der EU-Maßnahmen erfolgt schließlich die Gesamtschau und ein Ausblick im abschließenden Fazit.
Bei der Anfertigung der Hausarbeit wurden die vom Fachbereich 03 empfohlenen Zitationsweisen für Textbelege verwendet.
II. Vom Ende des Kalten Krieges zu den Regenbogenrevolutionen
2.1. Russland, Ukraine und die Demokratisierung
Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Machtverlust des Sowjetimperiums verfolgte Russland die Abkehr von der antiwestlichen Politik. Man strebte politische und wirtschaftliche Kooperationen an und es sollten Marktwirtschaft und Demokrat- isierung Einzug halten. Als jedoch im Jahr 1996 Evgenij Primakov zum neuen Außenminister Russlands wurde, wandelte sich die außenpolitische Doktrin. Russland definierte sich nicht mehr als kategorischer Verbündeter des Westens, wollte seine multipolare Stellung behalten und sich von der scheinbaren Fixierung auf die USA als Machtzentrum abwenden. Die imperialen Ziele konnten angesichts des verlorenen Weltmachtstatus nicht verwirklicht werden.
Erst nach dem 11. September 2001 und im Zuge des Kampfes gegen den Terror- ismus wurde wieder eine deutlichere Hinwendung zur USA und dem Westen erkennbar. Russland stellte dabei seine imperialen Ansprüche offiziell nie in Frage, was etwa anhand der Tschetschenien-Konflikte deutlich wurde. Im Zuge dieser geopolitischen Interessen wurde auch das Verhältnis zur Ukraine geprägt. Ihr hohes politisches Gewicht resultierte aus ihrer geopolitischen Lage, da sie als Tor zu Zentral-, West- und Südosteuropa fungierte. Es war daher auch nicht verwunderlich, dass u.a. die Staatsoberhäupter der Ukraine und Russlands das Abkommen über die Auflösung der Sowjetunion unterzeichneten.[2] Hinzu kommt, dass das Land heute zu den am stärksten industrialisierten und urbanisierten Republiken des ehemaligen Sowjetimperiums gehört. Die Ukraine war und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Russland. Ihr Anteil am Gastransit der Region liegt bei 80%, was die Ukraine als Transitraum für Ressourcen wichtig macht.[3] Somit besitzt das Land in historischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Sonderstellung. Trotzdem ist die gewachsene Abhängigkeit der Ukraine durch die Schulden für russisches Gas und Öl immer wieder in der Diskussion.[4] Sie lähmte die Demokratisierung und eine westorientierte Außenpolitik. Wie in vielen ehemaligen GUS-Staaten wurde somit auch in der Ukraine der Konflikt zwischen Anhängern des kommunistischen Regime und den Reformern ausgetragen. Die Konfrontation hat „im Großen und Ganzen zur Entwicklung sachprogrammatischer Konfliktlinien geführt“, die sich zwischen den Positionen eines Marktliberalismus und sozialstaatlichen Regulierungen bewegten.[5] Doch ungeachtet von dem besonderen Verhältnis zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen war das Jahr 2004 von einer Ballung politischer Prozesse in Osteuropa gekennzeichnet. Sie wurden gemeinhin als die Regenbogenrevolutionen bezeichnet und umfassten neben der Ukraine, auch Georgien und Kirgisien.[6] Nicht ohne Grund ist schon von einer neuen Demokratisierungsepoche gesprochen worden, für welche das Jahr 2004 eine Zäsur darstellt. Der Politikwissenschaftler Michael Emerson sieht für diese komplexe Transformationsphase 3 charakter- istische Merkmale. So sei die hohe politische Dynamik durch
1. die Aufnahme von 10 neuen Mitgliedsstaaten durch die EU-Osterweiterung geprägt worden. 8 dieser Staaten waren vorher kommunistisch regiert.
2. die Orientierung von so genannten ‚nominellen Demokratien’ an der EU als politischem Gravitationszentrum in Europa von statten gegangen. Dabei versuchten die demokratischen Regime als glaubwürdige und legitime Staaten anerkannt zu werden.
3. die Ausbreitung dieser Prozesse im Sinne eines ‚Demokratie-Virus’ gekennzeichnet. Hierbei sei besonders eine südliche Bewegung zur verzeichnen, so dass zunehmend die arabische Welt und Zentralasien tangiert werden würden.[7]
Die angebrachten Punkte von Emerson bieten einen haltbaren Erklärungsansatz für die neueren Demokratisierungstendenzen im Osten Europas. Die Ukraine kann in diesem Zusammenhang als eine der nominellen Demokratien begriffen werden, die sich um eine Westanbindung bemühte und dadurch geopolitisch ‚zwischen den Stühlen saß’. Genauer ausgedrückt, war die Ukraine einerseits von alten Loyalitäts- bindungen gegenüber Russland geprägt, orientierte sich aber andererseits an der Osterweiterung und seinen neuen Nachbarn (z.B. Slowakei).
Jedoch fällt auf, dass die EU als hauptsächlicher Motor von Demokratisierung in weltweiter Hinsicht gesehen wird, wobei ihr globaler Einfluss begrenzt ist. Der Demokratie-Export der USA weist einen höheren Verbreitungsgrad auf.[8] Inwieweit es sich dabei um Vorteile oder Nachteile von Demokratisierungskonzepten handelt, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vielmehr ist interessant, dass neben
horizontalen Demokratisierungsbewegungen, nun eine Zeit der vertikalen Vertiefung einzusetzen scheint. So kann die Zeit von 1989 bis 2004 als Etablierungsphase von nominellen Demokratien gesehen werden. Dabei wurden zwar institutionelle Formen adaptiert, doch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und die Umsetzung von Gesetzen wurden vernachlässigt. Somit stellt das Jahr 2004 mit seiner Dynamik von Demokratisierung einen Wendepunkt in der politischen Geschichte Europas dar.[9]
2.2. Die vorrevolutionäre Situation in der Ukraine
Der wichtigste Einschnitt nach dem Zerfall des Sowjetimperiums war der Status der Unabhängigkeit, den die Ukraine im Jahr 1991 einnahm. Zu den wesentlichen Problemstellungen in den Anfangsjahren zählten der Aufbau eines eigenständigen Staates und eine selbstbewusste Haltung gegenüber Russland. So trat die Ukraine weder dem Kollektiven Sicherheitsvertrag der GUS, noch der Eurasiatischen Wirt- schaftsgemeinschaft bei. Beide Präsidenten der Ukraine, Leonid Kravcjuk und Leonid Kucma, betrieben eine Balancepolitik zwischen Russland und dem Westen. Drei Jahre kam es zu keiner Einigung über die Souveränität, die Unverletzbarkeit der Grenzen oder etwa die (militärische) Sicherheitsproble]matik der Ukraine.[10] Doch die Russländische Föderation ratifizierte schließlich den im Mai 1997 von Boris Jelzin und Leonid Kravcjuk unterschriebenen Freundschaftsvertrag. Der Umstand, dass zuvor der Konflikt über die Halbinsel Krim beigelegt werden konnte, trug zur Unterzeichnung des Vertrages bei. Die Beschäftigung mit der Krim war das dominierende Thema der russisch-ukrainischen Politik gewesen. Im Freundschafts- vertrag erkannte Russland schließlich die völkerrechtliche Souveränität der Ukraine an. Die Folgen der einsetzenden pro-russische Politik zeigen sich noch heute an dem Umstand, dass viele ukrainische Politiker und Beamte Russen sind.[11]
Durch die Politik Kucmas seit 1999 trat vor allem die zunehmende Spaltung der ukrainischen Gesellschaft zu tage, die einerseits in Befürworter der Anbindung an Europa und andererseits in pro-russische Kräfte unterteilt war. Es wurde Kritik am Regime laut, welche sich nicht nur auf die Ordnungsprinzipien des gesellschaftlichen und staatlichen Aufbaus bezog[12], sondern auch auf Kucmas Verwicklung in politische Morde. Weiter fand sie ihren Ausdruck in einer ersten Protestbewegung, die Kucmas Rücktritt und Neuwahlen forderte. Es wurden die Parolen „Korruption-Nein!“ oder „Dem Kucma-Regime-Nein!“ skandiert.[13] Bei der Parlamentswahl 2002 erlangte schließlich Viktor Juscenko mit seinem Oppositionsblock ‚Unsere Ukraine’ die Stimmenmehrheit. Zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine ging die pro-russische Kommunistische Partei aus den Parlamentswahlen als Verlierer hervor. Juscenkos Ziel waren nun die Präsidentschaftswahlen im November 2004.
[...]
[1] Vgl. Lindner, Rainer/ Meissner, Boris (Hg.): Die Ukraine und Belarus’ in der Transformation. Eine Zwischenbilanz. Köln 2001, S. 19
[2] Vgl. Kappeler, Andreas: Der schwierige Weg zur Nation. Beiträge zur neueren Geschichte der Ukraine. Wien/ Köln/ Weimar 2003, S. 7
[3] Vgl. Lindner, Rainer/ Meissner, Boris (Hg.): Ebd., S. 22
[4] Vgl. Brössler, Daniel: Gas als Ersatz für Raketen. http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/271/67204/ (Abfragedatum: 9.10.2006).
[5] Vgl. Burakowskij, Igor: Wirtschaftsreformen. Die Kluft zwischen Erwartungen und Ergebnissen. In: Simon, Gerhard (Hg.): Die neue Ukraine. Gesellschaft – Wirtschaft – Politik (1991-2001). Köln/ Weimar/ Wien 2002, S. 207; Ismayr, Wolfgang: Die politischen Systeme der EU-Beitrittsländer im Vergleich. In: APuZ, Bd. 5-6 (02/2004), S. 12
[6] In der revolutionären Symbolik tauchten auch die Begriffe Orangene-, Rosen- und Zedern-Revolution auf.
[7] Vgl. Emerson, Michael (et al.): The Reluctant Debutante. The European Union as a Promoter of Democracy in its Neighbourhood. CEPS-Dokument, Nr. 223 (07/2005), S. 2
[8] Aus Sicht der USA ist neben Afghanistan insbesondere der Irak zu nennen, der als Vorbilddemokratie mit Transformationswirkung für die gesamte Region gedacht war.
[9] Vgl. Emerson, Michael (et al.): Ebd., S. 2
[10] Vgl. Mácków, Jerzy: Russlands Beziehungen zu seinen ‚slawischen Brüdern’ Ukraine und Belarus. In: APuZ, Bd. 16-17 (04/2003), S. 36
[11] Vgl. Mácków, Jerzy: Ebd., S. 35
[12] Vgl. Yevtukh, Volodymyr: Der Orangene Geist der Freiheit. Profil und Motive der Revolutionsbewegung. In: Bredies, Ingmar (Hg.): Zur Anatomie der Orange Revolution in der Ukraine. Wechsel des Elitenregimes oder Triumph des Parlamentarismus? Stuttgart 2005, S. 15
[13] Vgl. Yevtukh, Volodymyr: Ebd., S. 16
- Citation du texte
- Christoph Hermes (Auteur), 2006, Revolution und Demokratisierung? Zur Orangen Revolution in der Ukraine, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121275
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