Aufgaben und Organisation der britischen Regierungszentrale sind nicht in der „teilweise aufgeschriebenen“ (Döring 1993; S. 17) Verfassung fixiert. Auch die Rolle des Premierministers ist dort nicht festgehalten. „Der Bereich von Premierminister und Kabinett, dem politischen Zentrum zwischen Westminster und Whitehall, gehört zu den am wenigsten durch förmliche Gesetze schriftlich fixierten, sondern überwiegend durch juristisch nicht erzwingbare Konventionalregeln verfassten Bereich der nur teilweise aufgeschriebenen Verfassung“ (Döring 1993; S. 160). Der Premierminister verfügt über äußerst weit reichende Kompetenzen. Sehr übersichtlich sind diese zusammengefasst bei Kavanagh/Seldon:
The Prime Minister has responsibilities as:
• head of the executive branch
• ‚custodian’ and shaper of government policy
• national leader in peace and war
• chief appointing officer, including appointing and dismissing ministers, and disperser of patronage
• leader of the party in Parliament
• senior British representative overseas (apart from the sovereign who is head of state, with symbolic power)
(Kavanagh/Seldon 1999; S.30)
Somit hat der Premierminister, zumindest theoretisch, auch freie Hand bei der Ausgestaltung der Regierungszentrale. Praktisch muss er aber, wie auch bei allem sonstigen Regierungshandeln, auf mehrere Faktoren Rücksicht nehmen. Als erstes ist hier das Kabinettsprinzip zu nennen, demzufolge der Premierminister gemeinsam mit seinen Ministern Entscheidungen treffen soll. Auch die Rücksichtnahme auf parteiinterne Freunde und Gegner, sowie die Möglichkeit des Sturzes durch die eigene Fraktion per Misstrauensvotum, setzen dem Handeln grenzen. Wie weit ein Premierminister die Regierungszentrale nach seinen persönlichen Vorstellungen gestalten kann, welche Bereiche flexibel, welche fest sind, soll anhand eines Vergleiches der Regierungszentrale unter den wohl einflussreichsten Premierministern seit dem zweiten Weltkrieg, Margaret Thatcher und Tony Blair, untersucht werden.
Ich möchte dazu zuerst auf die Aufgaben von Regierungszentralen im Allgemeinen und der britischen im Besonderen eingehen. Sodann möchte ich einen Vergleich des Regierungsstils und des Aufbaus der Regierungszentrale unter Thatcher und Blair anstellen, um Unterschiede und eventuelle Gemeinsamkeiten herauszustellen. Dabei werde ich mich vor allem auf das Prime Minister’s Office, gemeinhin als No. 10 bekannt, konzentrieren.
Inhalt
Einleitung
1. Aufgaben von Regierungszentralen
1.1 Allgemein
1.2 Die britische Regierungszentrale
2. Die Regierung Margaret Thatcher
2.1 Thatchers Regierungsstil
2.2 Die Arbeit von No. 10 unter Thatcher
3. Die Regierung Tony Blair
3.1 Blairs Stil
3.2 No. 10 unter Tony Blair
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Aufgaben und Organisation der britischen Regierungszentrale sind nicht in der „teilweise aufgeschriebenen“ (Döring 1993; S. 17) Verfassung fixiert. Auch die Rolle des Premierministers ist dort nicht festgehalten. „Der Bereich von Premierminister und Kabinett, dem politischen Zentrum zwischen Westminster und Whitehall, gehört zu den am wenigsten durch förmliche Gesetze schriftlich fixierten, sondern überwiegend durch juristisch nicht erzwingbare Konventionalregeln verfassten Bereich der nur teilweise aufgeschriebenen Verfassung“ (Döring 1993; S. 160). Der Premierminister verfügt über äußerst weit reichende Kompetenzen. Sehr übersichtlich sind diese zusammengefasst bei Kavanagh/Seldon:
The Prime Minister has responsibilities as:
- head of the executive branch
- ‚custodian’ and shaper of government policy
- national leader in peace and war
- chief appointing officer, including appointing and dismissing ministers, and disperser of patronage
- leader of the party in Parliament
- senior British representative overseas (apart from the sovereign who is head of state, with symbolic power) (Kavanagh/Seldon 1999; S.30)
Somit hat der Premierminister, zumindest theoretisch, auch freie Hand bei der Ausgestaltung der Regierungszentrale. Praktisch muss er aber, wie auch bei allem sonstigen Regierungshandeln, auf mehrere Faktoren Rücksicht nehmen. Als erstes ist hier das Kabinettsprinzip zu nennen, demzufolge der Premierminister gemeinsam mit seinen Ministern Entscheidungen treffen soll. Auch die Rücksichtnahme auf parteiinterne Freunde und Gegner, sowie die Möglichkeit des Sturzes durch die eigene Fraktion per Misstrauensvotum, setzen dem Handeln grenzen. Wie weit ein Premierminister die Regierungszentrale nach seinen persönlichen Vorstellungen gestalten kann, welche Bereiche flexibel, welche fest sind, soll anhand eines Vergleiches der Regierungszentrale unter den wohl einflussreichsten Premierministern seit dem zweiten Weltkrieg, Margaret Thatcher und Tony Blair, untersucht werden.
Ich möchte dazu zuerst auf die Aufgaben von Regierungszentralen im Allgemeinen und der britischen im Besonderen eingehen. Sodann möchte ich einen Vergleich des Regierungsstils und des Aufbaus der Regierungszentrale unter Thatcher und Blair anstellen, um Unterschiede und eventuelle Gemeinsamkeiten herauszustellen. Dabei werde ich mich vor allem auf das Prime Minister’s Office, gemeinhin als No. 10 bekannt, konzentrieren.
1. Aufgaben von Regierungszentralen
1.1 Allgemein
Wie arbeitet eine Regierungszentrale? Diese Frage lässt sich so kaum beantworten, da die Regierungszentralen verschiedener Länder zumeist erhebliche Unterschiede bezüglich ihres Aufbaus und ihrer Größe aufweisen. Diese Unterschiede liegen zum Teil in der unterschiedlichen Struktur des jeweiligen Staates begründet. Zudem mussten Regierungszentralen sich zumeist in ein bereits bestehendes Gefüge von Ministerien einpassen, dass ebenfalls von Land zu Land stark verschieden war. Hinsichtlich ihrer Funktion lassen sich jedoch einige Gemeinsamkeiten feststellen. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehören:
- Filtern und Konzentration eingehender Informationen für den Regierungschef
- Beratung des Regierungschefs bei der Formulierung des Regierungsprogramms
- Vorbereitung des Regierungschefs auf parlamentarische Fragestunden
- Überwachung der Arbeit der Fachministerien und Mitwirkung bei der Formulierung und Implementation politischer Vorhaben
- Organisation und Vorbereitung von Kabinettssitzungen
- Überwachung der Regeln im interministeriellen Austausch
- politische Planung und „lookout“ - Funktion
- Krisenmanagement (vgl. OECD 1990; S. 1 f)
1.2 Die britische Regierungszentrale
Die britische Regierungszentrale besteht im Grunde aus zwei Einheiten: dem Cabinet Office und dem Prime Minister’s Office (No. 10). Zusammen können sie als „[…] funktionales Äquivalent zu Regierungszentralen in anderen Ländern […] “ (Sturm 2003; S. 255) betrachtet werden.
Das Prime Minister’s Office in Downing Street No. 10 dürfte wohl die einflussreichste Institution in der britischen Politik sein. Sir Leo Pliatzky formulierte dies wie folgt: „At the end of the day the decisions that matter are taken not in the Whitehall village but in the castle of No. 10 Downing Street and the Cabinet Room” (Hennessy 1989; S. 382). Auch wenn die Organisation von No. 10 von dem jeweiligen Premierminister abhängig ist, so lassen sich doch einige relativ konstante Bereiche herausheben.
Die Personalstärke war und ist im Vergleich zu den Regierungszentralen anderer demokratischer Staaten relativ gering. Aktuell arbeiten etwa 110-120 Personen in No. 10 (vgl. Sturm 2003; S. 247). Allerdings relativiert sich dieses Bild wieder, wenn das Cabinet Office mit einbezogen wird (siehe Unten).
Das Personal rekrutiert sich zum einen Teil aus Civil Service Angehörigen, die für eine bestimmte Zeitspanne (im Durchschnitt drei Jahre) von den Fachministerien „ausgeliehen“ werden und in der Regel auch in diese zurückkehren.
Zum anderen gibt es die so genannten special advisers, die der jeweilige Premierminister mitbringt. Diese stammen zum großen Teil aus der Partei des Premiers und aus der Wirtschaft, aber auch aus anderen Teilen der Gesellschaft. Diese special advisers sind nicht an den Kodex des Civil Service (strikte parteipolitische Neutralität) gebunden. Die Mitarbeiter verteilen sich im Wesentlichen auf vier Abteilungen: das Private Office, das Press Office, die Policy Unit und das Political Office.
Das Private Office, das persönliche Büro des Premierministers, ist die wichtigste Abteilung in No. 10. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass es geographisch dem Premierminister am nächsten ist. Das Private Office liegt direkt neben dem von den meisten Premiers als Arbeitszimmer genutzten Cabinet Room. Aufgabe des Private Office ist die Filterung der Informationen für den Premierminister. Hier wird extrahiert, womit der Premier sich persönlich befassen soll. Auch die Kommunikation des Premiers wird durch das Private Office geleitet.
„Virtually all official communications to of from the Prime Minister, written or verbal, are channelled through the Private Office” (Hennessy 1989; S. 384). Deshalb wird es auch als der „Flaschenhals“ (Becker 2002; S. 137) von No. 10 bezeichnet. Auch der Terminkalender des Premiers wird im Private Office geführt. Das Private Office wird von einem Principal Private Secretary geleitet, der dem Civil Service angehört. Der Principal Private Secretary hat zwar formal nur den Rang eines Deputy Secretary (ein niedrigerer Rang etwa im Vergleich zum Leiter des Cabinet Office), aber durch seine Nähe zum Premierminister und der Möglichkeit sich jederzeit an ihn wenden zu können, nimmt er eine äußerst einflussreiche Position ein.
Unterstützt wird der Principal Private Secretary von weiteren Private Secretaries, die für die Bereiche Äußeres, Inneres, Wirtschafts- und Parlamentsangelegenheiten (vor allem Vorbereitung der Fragestunden) zuständig sind.
Das Press Office, die Presseabteilung, kann ebenfalls eine zentrale Rolle einnehmen, je nach dem welche Bedeutung der Premierminister der Pressearbeit zumisst. Die Aufgabe des Press Office ist hauptsächlich die Durchführung von Pressebriefings. Der Leiter des Press Office, der Press Secretary, übernimmt auch die Rolle des Sprechers des Premierministers. Bisher gab es zwei verschiedene Typen von Press Secretaries, zum einen Civil Service Angehörige zum anderen persönliche Vertraute des Premierministers (meistens Journalisten).
Die Policy Unit wurde erst 1974 von Harold Wilson als Abteilung in No. 10 eingeführt. Aufgabe der Policy Unit ist die Weiterentwicklung der politischen Strategie der Regierung und die Beratung des Premierministers über zukünftige Vorhaben. Die Arbeit der Policy Unit ist jedoch stark von den Vorstellungen des jeweiligen Premierministers abhängig und nicht immer konnte sie ihre Rolle als langfristige Planungsabteilung wahrnehmen. „Different Prime Ministers had different ideas on the Unit, and it has tended to be sucked into short-term firefighting rather than longer-term analysis […]” (Kavanagh/Seldon 1999; S. 25). Die Leitung der Policy Unit wird zumeist durch special advisers besetzt.
Das Political Office ist für die Verbindung des Pr]emierministers zu Partei und Fraktion zuständig. Unter Labour werden hier auch die Kontakte zu den Gewerkschaften koordiniert. Das Political Office nimmt damit die Rolle eines Frühwarnsystems für potentielle Revolten in Partei und Fraktion ein. Geleitet wird es von einem Political Secretary, der Aufgrund der Funktion des Political Office ein persönlicher Vertrauter des Premiers ist. Traditionell hat hier auch der Parliamentary Private Secretary seinen Sitz, der speziell für den Kontakt zur Fraktion (insbesondere zu den „Hinterbänklern“) zuständig ist. Die Bedeutung des Political Office ist ebenfalls von Premier zu Premier verschieden.
Es gibt zudem noch ein Appointments Office, das unter anderem den Premierminister bei der Auswahl der Bischöfe für die Church of England und die Besetzung bestimmter Professorenstellen unterstützt. Dessen Arbeit ist jedoch weitgehend apolitisch und deshalb hier nicht weiter von Bedeutung.
Mit No. 10 verbunden ist das 1916 gegründete Cabinet Office und zwar nicht nur organisatorisch, sondern auch tatsächlich durch einen Verbindungsgang. Seine Aufgaben fasst Hennessy wie folgt zusammen: „Co-ordination of policy briefing for Cabinet and Cabinet committees, co-ordination of the security and intelligence services, preparation of economic summits, Civil Service security, top Whitehall appointments, honours, official histories“ (Hennessy 1989; S.388). Aktuell hat das Cabinet Office ca. 1940 Mitarbeiter, die dem Civil Service angehören (vgl. Cabinet Office 2005; S. 58). Diese verteilen sich auf sechs Sekretariate mit verschiedenen Aufgaben. Die Bezeichnungen der Sekretariate sind weitgehend selbsterklärend, deshalb wird an dieser Stelle auf eine nähere Erläuterung verzichtet. Es gibt das Economic Secretariat, das Oversea and Defence Secretariat, das European Secretariat, das Home Affairs Secretariat, das Science and Technology Secretariat und das Joint Intelligence Secretariat. Die politische Verantwortung für das Cabinet Office hat der Minister for the Cabinet Office, der auch den Titel Chancellor of the Duchy of Lancaster trägt. Die Arbeit des Cabinet Office wird aber vom Cabinet Secretary geleitet, der dem Civil Service angehört.
Historisch hat sich die Beziehung zwischen Cabinet Secretary und Principal Private Secretary als kompliziert erwiesen, da beide in Konkurrenz um den Zugang zum Premierminister stehen.[1] Die Abgrenzung der Aufgabenbereiche kann jedoch nur als grobe Einordnung angesehen werden. In der Realität überschneiden sich die Aufgaben häufig und es ist so gut wie unmöglich die Grenzen der Zuständigkeit festzustellen. „Flexibility and informality are the rule. Number Ten has remained a loose, unhierarchical office, in which political and official staff help out where the pressure is greatest“ (Kavanagh/Seldon 1999, S. 305 f).
[...]
[1] Sehr anschaulich Beschrieben bei Hennessy (1989) S. 389 f
- Citation du texte
- Martin Giese (Auteur), 2006, Welchen Einfluss hat der Regierungsstil auf die Regierungszentrale?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121274
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