Am 2. September 2008 stellte ein Nutzer namens Caesar im Forum Deutsches Recht, einem Internet-Diskussionsforum, die Frage: „Mal angenommen, es gäbe intelligente Außerirdische, die auch in der Lage wären, interstellare Reisen durchzuführen. Und nun stellen wir uns vor, dass so ein intelligenter Außerirdischer… mit seinem Raumschiff in meinem Garten landet. Dürfte ich ihn dann mit dem Hammer oder einer Axt erschlagen?“ Die Frage löste eine Diskussion mit Beiträgen zahlreicher Autoren aus. Dieser Aufsatz befasst sich mit der dahinterstehenden Rechtsfrage.
Inhaltsverzeichnis
A. Nutzen der Fragestellung
B. Stand der Forschung und Beweisprobleme
C. Keine lex specialis
D. Tötungsdelikte (§§ 212, 211 StGB)
E. Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB)
F. § 17 Tierschutzgesetz
G. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§ 102 StGB)
H. Ergebnis
Literaturverzeichnis
Macht man sich strafbar, wenn man einen Außerirdischen tötet?
Wohlgemute Anmerkungen zu einer wenig erforschten Rechtsfrage
Am 2. September 2008 stellte ein Nutzer namens Caesar im Forum Deutsches Recht,[1] einem Internet-Diskussionsforum, die Frage: „Mal angenommen, es gäbe intelligente Außerirdische, die auch in der Lage wären, interstellare Reisen durchzuführen. Und nun stellen wir uns vor, dass so ein intelligenter Außerirdischer… mit seinem Raumschiff in meinem Garten landet. Dürfte ich ihn dann mit dem Hammer oder einer Axt erschlagen?“ Die Frage löste eine Diskussion mit Beiträgen zahlreicher Autoren aus.
A. Nutzen der Fragestellung
Bevor auf die Fragestellung eingegangen wird, stellt sich die Vorfrage, weshalb man sich mit dem Problem befassen sollte. Entgegen dem ersten Anschein ist die hinter dem Ausgangsfall stehende Rechtsfrage nicht von belangloser Bedeutung. Dies wird deutlich, wenn man den Ausgangsfall modifiziert:
Abwandlung 1: Die Staatsanwaltschaft erhält folgenden Brief: „Sehr geehrte Damen und Herren, auf meine Einladung hin landete ein Außerirdischer mit seinem Raumschiff auf der Straße vor meinem Haus. Mein Nachbar hat den Außerirdischen mit einem Hammer erschlagen. Ich stelle Strafantrag wegen aller in Betracht kommenden Delikte. Für etwaige Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, X.“ Was wird der Staatsanwalt unternehmen?
Abwandlung 2: Enttäuscht von seinen Erfahrungen mit der Staatsanwaltschaft, beauftragt X den Rechtsanwalt R, ein Rechtsgutachten zu der Frage zu erstellen, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich dazu verpflichtet ist, Außerirdische besser zu schützen. Wie ist die Rechtslage?
Abwandlung 3: X hält Y, der ein aus dem Rahmen gefallenes Karnevalskostüm trägt, irrtümlich für einen Außerirdischen und schießt auf ihn mit Tötungsabsicht. X glaubt, nur auf diese Weise den Beweis führen zu können, dass es Außerirdische gebe. Er hält sein Handeln wegen des zu erwartenden wissenschaftlichen Fortschritts für gerechtfertigt. Der Schuss verfehlt Y knapp. Hat sich X strafbar gemacht?
Ungeachtet der nicht völlig auszuschließenden praktischen Relevanz hat die Ausgangsfrage pädagogischen Wert. Sie berührt die grundlegenden Fragen Immanuel Kants: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Kurz: Was ist der Mensch? Von daher ist der Ausgangsfall geeignet, bei den Studenten des Rechts ein besonderes Interesse an unorthodoxen Rechtsproblemen zu wecken und zum Nachdenken über das Recht einzuladen. Eine solche Annäherung an das Recht kann gelegentlich einen höheren Lerneffekt mit sich bringen als das Auswendiglernen von Rechtsprechung oder Literatur.
B. Stand der Forschung und Beweisprobleme
Der naturwissenschaftliche Stand der Forschung zu Außerirdischen ist, dass weder ihre Existenz noch ihre Nichtexistenz bewiesen ist.
Die Anzahl der technischen Zivilisationen in unserer Milchstraße (N) kann mit der sog. Drake- (oder Greenbank-) Gleichung[2] geschätzt werden. Diese lautet: N = R x fp x ne x fl x fi x fc x L. In der Gleichung sind die durchschnittliche jährliche Entstehungsrate von Sternen in unserer Milchstraße (R), der Anteil der Sterne mit Planeten (fp), die Zahl der Planeten in jedem Planetensystem, auf denen für das Leben geeignete Bedingungen herrschen (ne), die Wahrscheinlichkeit, ob auf diesen Planeten tatsächlich Leben entstanden ist (fl), die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Leben zu intelligenten Lebewesen weiterentwickelt hat (fi), die Wahrscheinlichkeit, dass die intelligenten Lebewesen zur interstellaren Kommunikation in der Lage sind (fc), sowie die Lebensdauer einer technischen Zivilisation (L) berücksichtigt. Die Gleichung hat den Vorteil, die hinter einer Schätzung stehenden Parameter sichtbar werden zu lassen. Da insbesondere die letzten vier Parameter der Gleichung mehr oder weniger unbekannt sind, liefert sie indes kein nutzbar zu machendes Ergebnis.
Als Argument gegen die Existenz weiterer technischer Zivilisationen in unserer Milchstraße wird nicht selten das sog. Fermi-Paradoxon genannt.[3] Ausgangspunkt ist, dass eine technische Zivilisation unsere Milchstraße unter Nutzung der Möglichkeiten exponentiellen Wachstums innerhalb von maximal 30 bis 100 Mio. Jahren besiedeln können sollte. Auch sollte sie einen Roboter ins All schicken können, der sich selbst mit Hilfe dort vorhandener Materialien kopiert und seine Kopien weiterverbreitet, die sich ihrerseits wiederum nachbauen und verbreiten. Gäbe es mehrere technische Zivilisationen, hätte dies angesichts des Alters der Milchstraße von rund 10 Mrd. Jahren mindestens eine vermutlich getan. Dies veranlasste den Physiker Enrico Fermi 1950 zu der Frage „Ja, wo sind sie denn?“ Dem Fermi-Paradoxon werden zahlreiche andere Argumente[4] entgegengehalten, etwa die „Zoo-Hypothese“. Danach könnte die Erde von Außerirdischen wie eine Art Naturreservat geschützt werden. Nach anderer Einschätzung waren die Außerirdischen möglicherweise schon hier. Doch verließen die Erde wieder, weil sie nichts Interessantes fanden. Ggf. sind interstellare Reisen auch schwieriger als gedacht. Im Ergebnis vermag das Fermi-Paradoxon die Frage nach der Existenz Außerirdischer nicht abschließend zu klären, „weil das Nichtvorhandensein eines Beweises noch kein Beweis für das Nichtvorhandensein ist“.[5]
Obwohl die Existenz Außerirdischer nicht widerlegt ist, wird das Problem im juristischen Alltag ausgeblendet. Dies ist im Kern auf das „Ockhamsche Rasiermesser“ zurückzuführen. Gemeint ist das in der Wissenschaft anerkannte Sparsamkeitsprinzip. Es besagt, dass von mehreren Theorien, die den gleichen Sachverhalt analysieren, die einfachste den Vorzug verdient[6] (entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem). Alle derzeit zu beobachteten Phänomene lassen sich ohne Außerirdische erklären, so dass man auf sie als (zusätzliche) Hypothese nicht angewiesen ist – insbesondere nicht als Jurist.
Da ungewöhnliche Behauptungen besonderer Beweise bedürfen, könnte die Existenz Außerirdischer vor Gericht nur durch besonders überzeugende Beweise oder Indizien zu Lasten eines Angeklagten nachgewiesen werden. Die Selbstbezichtigung eines Täters oder entsprechende Zeugenaussagen würden aller Voraussicht nach für sich allein gesehen nicht genügen, um ein Gericht zu überzeugen. Gleiches gilt für Fotografien oder Filmaufnahmen (Fälschungsgefahr). Ein starkes Indiz für die Existenz außerirdischen Lebens wäre gegeben, wenn in der Atmosphäre eines Exo-Planeten größere Mengen Ozon nachgewiesen würden,[7] was bislang jedoch nicht gelang. Außerdem wären auf diese Weise weder Intelligenz noch Anwesenheit Außerirdischer auf der Erde nachgewiesen.
[...]
[1] Forum Deutsches Recht, http://www.recht.de (Stand: November 2008).
[2] Die Gleichung war Resümee einer Tagung am 1. und 2. November 1961 in Greenbank mit dem Titel „Greenbank-Tagung über extraterrestrisches intelligentes Leben“; vgl. Lesch, Harald/Müller, Jörn, Big Bang, zweiter Akt. Auf den Spuren des Lebens im All, München 2005, S. 298 f.
[3] Vgl. Lesch, Harald/Müller, Jörn, Big Bang, zweiter Akt. Auf den Spuren des Lebens im All, München 2005, S. 320.
[4] Gegenargumente sind aufgelistet bei Lesch, Harald/Müller, Jörn, Big Bang, zweiter Akt. Auf den Spuren des Lebens im All, München 2005, S. 321 – 325.
[5] Lesch, Harald/Müller, Jörn, Big Bang, zweiter Akt. Auf den Spuren des Lebens im All, München 2005, S. 321.
[6] Russell, Philosophie des Abendlandes, 5. Aufl., Köln 2002, S. 481.
[7] Lesch, Harald/Müller, Jörn, Big Bang, zweiter Akt. Auf den Spuren des Lebens im All, München 2005, S. 285.
- Citation du texte
- Erich Stephkohn (Auteur), 2009, Macht man sich strafbar, wenn man einen Außerirdischen tötet?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121183
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